bend wirkt, aber nicht umstürzlich. Das Wort untergraben" ist da mals bei der Berathung des Sozialistengesetzes durch den Abgeordneten Lasker   aus dem Entwurfe herausgebracht worden und fällt also nicht unter das Sozialistengesetz; die Polizei kümmert sich aber gar nicht da­rum, ob umgestürzt oder untergraben wird; sie hält beide Thätigkeiten für gleichbedeutend, und deshalb wäre es mir eigentlich lieber, wenn das Wort untergraben" im Sozialistengesetz stehen geblieben wäre; dadurch wäre wenigstens die Absicht der Regierung in ihrer vollen Blöße zu Tage getreten, während sie sich jetzt noch ein bischen ver­hüllen und jede sozialdemokratische Thätigkeit, das Wählen selbst und alle gesetzmäßigen Agitationen, die wir jetzt verbrechen", mit dem Wort Um sturz bezeichnen kann, um bei dem Volke gegen uns Grauen zu erwecken.

Es wird in den Berliner   Motiven besonders darauf hingewiesen, daß unsere Organisation noch nicht gebrochen sei. Ich will mich hier nicht darüber mit Ihnen länger unterhalten, was man unter Organisation versteht. Organisation kann man doch nicht darunter verstehen, wenn ab und zu gleichgesinnte Leute zusammenkommen, wenn diese gleichgesinnten Leute in Deutschland   wieder zu gleichgesinnten bekannten Personen Zu­trauen haben, wenn gelegentlich Sammlungen für die Familien der Aus­gewiesenen veranstaltet werden, wenn ab und zu einzelne Personen für Wahlzwecke Gelder geben. Meine Herren, das kann ich keine Organi sation nennen. Wir hatten eine Organisation und zwar durch die Preffe, vor allen Dingen durch die Vereine; es wurde ein regelmäßiger Beitrag geliefert, wie dies in vielen Vereinen auch anderer Parteien geschieht. Diese Organisation haben Sie gründlich zerstört, das kann ich Ihnen versichern; wenn Sie sagen, dieselbe wäre nicht zerstört, so ist das nicht richtig; aber diese Zerstörung schadet uns nichts. Sie haben durch das Sozialistengesetz ein anderes Band um uns geschlungen, das Band aller Verfolgten, dies einigt uns, und deshalb ist das Sozialistengesetz so vollständig wirkungslos. Die gleiche Noth, das gleiche Elend, diese Bande schließen sich fester um uns, als eine äußere Organi­sation. Wir haben jetzt keine Organisation mehr nöthig; dazu haben Sie uns glücklicherweise verholfen. Herr Minister von Buttkamer, Sie haben uns zu einer wahrhaften Partei erst gemacht, und darüber sind wir froh.

Meine Herren, ich bekam vor einigen Tagen einen Brief, ich lese ihn nicht ganz vor, nur zwei Stellen aus demselben; da schreibt mir ein Ausgewiesener, der jetzt in Westphalen ist, daß er bei der Kontrolversammlung den Feldwebel gefragt habe, warum die Aus­weisung in seinen Militärpapieren vermerkt sei. Darauf antwortete der Feldwebel, das sei Befehl vom Kriegsministerium. Das ist nun auch so ein eigener Fall. Viele Leute legitimiren sich, wenn sie Arbeit haben wollen, mit den Militärpapieren; aber durch den Ausweisungsvermerk ist ihnen der Uriasbrief geschrieben, so daß sie keine Arbeit erhalten fönnen. Das aber kann doch nicht im Willen einer humanen Staats­regierung liegen. Nun schreibt der Ausgewiesene noch und darüber habe ich mich gefreut, Es ist mir gerade nicht unangenehm, ich bin stolz darauf, einer von denen zu sein, die verfolgt werden, und wenn die Gesellschaft uns noch mehr zusetzt, törnern" thun wir doch nicht.

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Es hat vorhin dort auf der linken Seite, als ich sagte, daß im All­gemeinen die liberale Presse uns nicht günstig gewesen sei, ein Sturm sich erhoben. Meine Herren( nach links gewandt) so unschuldig sind Sie doch nicht, daß ich Sie nicht angreifen sollte. Ich erinnere mich, und habe es schon einmal im Reichstag vorgebracht, daß vor dem Aus­nahmegesetz die Fortschrittspartei gerade über meine Partei in einer Weise hergefallen ist, daß thatsächlich das Ausnahmegesetz die reine Konsequenz all jener Angriffe der Fortschrittspartei war. Der Kollege Hänel hat seiner Zeit die allgemeinen Gesetzesparagraphen ver­schärfen wollen; das wäre aber nicht allein für uns ebenso schlimm, wie das Ausnahmegesetz, ja vielleicht noch schlimmer, sondern auch für Sie auf der Linken theilweise selbst von bösen Folgen gewesen. Also das kann ich nicht sagen, daß Sie gerade sehr freundlich uns gegenüber gewesen wären, und deshalb bin ich auch gegen Sie nicht freundlich. Ich erinnere mich ferner, daß kurz vor dem Ausnahmegesetz das Berliner  Wahlkomite vom 6. Wahlkreis, ich meine das fortschrittliche, in einem Flugblatt wörtlich gegen uns sagte: Jagtiie hinaus die vater landelosen Zuguägel, moher fie gekommen sind! Meine Herren, die Polizei hat ganz prompt den Wunsch des fortschritt­lichen Wahlkomites erfüllt, sie hat die vaterlandslosen Zugvögel" mit Weib und Kind, so weit sie konnte, hinausgetrieben! Also so unschuldig sind auch die Fortschrittler uns gegenüber nicht gewesen, das beweist die eben angeführte Aeußerung von den vaterlandslosen Zugvögeln! Mehr hat uns die Polizei auch nicht gethan, mehr sinnt sie uns auch nicht an, als das Hinausgeworfenwerden aus der Heimath. Daran sind also die Fortschrittler mitschuldig!

Es soll auch in den in den Motiven angedeuteten geheimen Versammlungen gesagt worden sein, daß man sich an die bestehenden Gesetze nicht kehren solle. Ja, meine Herren, diese Ausführung ist mir sehr verständlich. Ueberall, wo wir mit einem Parteigenossen sprechen, sagen wir selbstverständlich: Achten wollen wir das gemeine Recht, achten wollen wir die allgemeinen Gesetze- aber ein auf unsere Per= fonen förmlich zugeschnittenes Gesetz achten wir nicht, wir achten es nicht und suchen es überall zu umgehen, wo wir nur können. Das erkläre ich auch an dieser Stelle ausdrücklich und stütze mich dabei auf zahlreiche klerikale Geistliche, die ausdrücklich gleichfalls erklärt haben die sogenannten Kulturkampfgesetze achten wir nicht, weil sie Ausnahmegesetze sind. Die Klerikalen, mit denen Sie, Herr Minister, ja jetzt immer mehr harmoniren, auch die haben also die­selbe Erklärung abgegeben, wie wir es thun. Also nochmals: alle an­dern Gesetze achten wir so gut, wie jeder andere Staatsbürger. Aber wenn ein Ausnahmegese gegen uns erlassen wird, wer möchte es uns dann verargen, daß wir, die direkt Angegriffenen, uns wehren?! Wir wehren uns eben mit aller Energie, denn so feige ist der Deutsche  noch nicht geworden, daß er sich ruhig ohne Widerstand niederwerfen läßt. Die gewaltsame Revolution wird aber befördert nicht von unten auf, sondern von oben herab, wie uns die Geschichte lehrt. Immer

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Feuilleton.

Die freie Gesellschaft.

Sobald die Klassenunterschiede beseitigt sind, steht die Gesellschaft wieder auf derselben Basis, auf der sie stand, bevor die Klaffengegensätze sich entwickelten, auf der des urwüchsigen Stammes. Da nun Gleiches stets Gleiches erzeugt, dieselbe Ursache auch dieselben Wirkungen im Gefolge hat, so können wir wohl sagen, daß, insofern die Verhältnisse der sozia­listischen flassenlosen Gesellschaft denen der urwüchsigen klassenlosen Ge­sellschaft entsprechen, sie auch gleiche Erscheinungen hervorrufen werden. Wir wollen demnach ein urwüchsiges Gemeinwesen näher betrachten, und zwar wählen wir zur Vergleichung dasjenige, welches von den tech­nischen Fortschritten am meisten beeinflußt ist, welches demnach mit der sozialistischen freien Gesellschaft die größte Aehnlichkeit aufzuweisen hat: die indische Dorfkommune.

Die indische Gemeinde ist unter den urwitchsigen Gemeinwesen dasjenige, welches am längsten den Einflüssen der Zivilisation ausgesetzt war, ohne ihnen zu erliegen. Während die germanische Dorfgemeinde rasch vor dem römischen Einfluß dahinschmolz, während die russische Dorfgemeinde heute schon, nach so kurzer und mangelhafter Bekanntschaft mit der westeuropäischen Zivilisation in Auflösung begriffen ist, hat die indische Dorfgemeinde Jahrhunderte lang einer Zivilisation Stand gehalten, die sich mit der römischen messen konnte, ja sie hat sich vielfach noch bis heute gegen den übermäßigen englischen Einfluß behauptet. Nur ihr ist es zu verdanken, daß die Inder nicht zu Fellahs geworden sind, sie ist es gewesen, welche dem indischen Landmanne, trotz des zügellofesten Despotismus ein gewisses Maß von Freiheit und Wohlstand bewahrte. Die Wechsel der Minister, der Fürsten  , der Dynastien berührten sie nicht; Blünderung und Gemezzel der Eroberer vermochten sie für den Augen­blick zu schwächen, nicht aber aufzulösen. Weder die Perser, noch Alexander von Makedonien  , nicht die fanatischen Schaaren des Propheten, nicht die sengenden Schwärme der Mongolen haben dies Bollwerk in­discher Freiheit und indischen Wohlstandes erschüttern können. Erst die nordischen Kulturträger", die Engländer, vermochten es, den Keim der Zerstörung in den urwüchsigen Kommunismus zu legen und damit Elend, Noth und Stupidität ins indische Volk zu tragen.

Das ursprüngliche Gemeineigenthum an Grund und Boden bestand allerdings nicht mehr überall, als die Engländer indischen Boden betraten.

hat der Druck von oben die gewaltsame Bewegung des Volkes von unten erregt. Jetzt bin ich allerdings sehr zweifelhaft geworden, ob nicht ein solcher blutiger Ausbruch einmal kommen kann, wenn auch vielleicht nicht in nächster Zeit, aber doch nicht in allzuferner. Bis zum Ausnahmegesetz habe ich allerdings nie daran geglaubt, da war ich einer derjenigen Leute, die die ganze Hoffnung darauf setzten, die von uns gewünschte soziale Umwälzung könne auf dem Boden des Gesetzes erfolgen. Jetzt habe ich großen Zweifel bekommen, ich glaube sogar an eine ge­waltsame Umwälzung, aber dann sind nicht wir die Schuldigen, sondern Sie sind es, die das Ausnahmegesetz gemacht haben. Wir können mit viel leichterem Blut einer solchen Revolution entgegensehen, da unſer Herz und Gewissen rein ist, als diejenigen, die die eigentlichen Urheber eines gewaltsamen Ausbruches sind.

Man hat eine Liste verfertigt, und diese Liste ist mit den Sig­nalements der einzelnen Ausgewiesenen an alle Polizeibehörden Deutsch­ lands   gegangen. Wenn ein solcher Ausgewiesener nun in eine andere Stadt kommt und will Arbeit haben, da weiß die Polizei genau, was und woher er ist, die Polizei geht zum Arbeitgeber, wie es in Augsburg  ein höherer Polizeibeamter gethan hat, ein früherer Abgeordneter sogar, und macht auf die Gefährlichkeit des Arbeitsuchenden aufmerksam, der auch in den meisten Fällen keine Arbeit erhält. So werden Nihilisten und Vagabonden erzogen; da soll man sich wundern, wenn diese Leute rabiat werden, wenn diese Leute die Gesellschaft nicht mehr achten, den Krieg der Gesellschaft erklären? Daß aber nicht blos untere Polizei­beamte so verfahren, geht daraus hervor, daß oft genug auch von höheren Beamten Ausdrücke gefallen sind, die darauf hindeuten, daß der Sozialdemokrat für schlechter gehalten wird, als ein Vagabond und Spiz bube. So passirte es vor gar nicht langer Zeit einem wegen Preßvergehens in Zwickau   inhaftirten Sozial­demokraten, der um eine Vergünstigung bat, ich glaube, rauchen zu dürfen, daß der Herr Direktor, ich glaube d'Allinger heißt er, diese Vergünstigung abschlug mit den Worten: Nein, Sie sind schlimmer als ein Spitzbube und Vagabond.

( Ruf: Pfui!)

Ja, das Pfui" ist hier jedenfalls gut angebracht. Wenn solche Sachen vorkommen, dunn müssen ja Menschen entstehen, die ihr Leben für nichts achten, die schließlich keinen Respekt mehr vor sich selber haben, wenn sie in so niederträchtiger Weise von den Beamten behandelt werden.

In einem Aufruf für die Wahl des Herrn Oberbürger­meisters Dr. Stübel zu Dresden  , unterzeichnet von Herrn Ackermann, Hofrath, Finanzprokurator, Stadtverordnetenvorsteher Dr. Dibelius, Konsistorialrath, von Einsiedel, Kreishauptmann, von Mangold  , Land­die Namen gerichtsdirektor und von Ziegler, Staatsrath, Professor ziehe ich aus den Unterschriften, weil sie mit den Verhältnissen vertraut sein mußten- heißt es:

Wollt Ihr nicht endlich die Anmaßung zurückweisen, daß eine dreiste Minderheit ihre staatsgefährlichen Bestrebungen für die Euren ausgibt und damit den guten Ruf Dresdens   und Eure materiellen Interessen schädigt, ja sogar die Gefahr der Anwen­dung der Ausnahmemaßregel über unsere Stadt herauf beschwört. Mit diesen Worten erkennen die Herren an, daß die sozialdemokratischen Wahlen ein Grund seien für den Belagerungszustand. Das erkennt Herr Ackermann auch mit an, und so glauben wir, daß die sächsische Regierung nur den Standpunkt vertreten hat, uns das Wählen so schwer wie möglich zu machen. Auch die Dresdner Nachrichten" schrieben gleich nach dem Siege des Herrn Stübel:

Nun ist der Belagerungszustand vermieden worden, nachdem Bebel unterlegen ist.

Man sieht also immer wieder, daß nicht die sogenannten verbotenen Bestrebungen den Hauptausgangspunkt für derartige Maßregeln bilden, sondern die erlaubten Bestrebungen, das Wählen für den Reichstag, für die Gemeindevertretung und das Sammeln für die Opfer des Sozia­listengesetzes. Nebenbei wird nur darauf hingewiesen, daß zu gleicher Zeit verbotene Broschüren vertheilt worden wären. Ich sagte aber schon, daß in Leipzig   von allen Ausgewiesenen nur ein einziger gefaßt und bestraft morden ist. Ich komme nun zum Schluß, und Sie mögen entschuldigen bei dem reichen Material, daß die Rede etwas lang andauert. Ich habe schon angedeutet, daß durch das Spionagesystem die meisten Auszuweisen­den erst zur Ausweisung desiguirt werden, daß deren Vergangenheit wenigstens bei der Hälfte der Ausgewiesenen gar nicht hervorragend sozial­demokratisch war. Daß unter diesen Personen, die von der Polizei zum Spioniren gebraucht werden, es recht verächtliche Subjekte gibt, das hat uns der jüngste Hochverrathsprozeß zur Genige gezeigt. Kann man denn sich ein verächtlicheres Subjekt denken, als der Schneider Horsch ist, der in Frankfurt am Main   sein Wesen getrieben hat und der verschiedene Leute durch Lug und Trug auf die Anklagebank geführt hat, die später freigesprochen worden sind? Ebensogut, wie man auf Grund solcher Spionage Personen auf die Anklagebank wegen Hochverraths schleppen faun, fann man auf derartige Denunziationen hin eine Ausweisungsordre erlassen und, meine Herren, das ist in der That auch oft genug geschehen.

Redner erzählt die näheren Details über den Fall Büttner und fährt dann fort: Büttner wurde infolge der Verbreitung jenes Blattes in Untersuchungshaft genommen, und als er nun zur Gewißheit gelangte, daß seine Frau und Kinder wiederum brodlos geworden seien dadurch, daß er vielleicht 2-3 Monate Gefängniß erhalten könnte, und daß die­selben in Verzweiflung schon nach Berlin   abgereift seien, nimmt er sich das so zu Herzen, daß er sich im Gefängniß erhängt. Ja, meine Herren, das war eine recht weiche Natur. Wenn es aber eine härtere, stählerne Natur gewesen wäre, ein Mensch, der mehr haßerfüllt ge­wesen wäre als dieser weiche Mann, so hätte er gedacht, die drei Monate kannst du ganz gut noch absitzen, aber wenn du aus dem Gefängniß kommst, wirst du dich rächen an den Zerstörern deiner Ehe, an den Leuten, die immer von der Heiligkeit der Ehe sprechen, die sie aber dir gegenüber zerstört haben.

Seitdem hat es sich immer mehr in die unzugänglichsten Gegenden zurück­gezogen. Aber noch Nearchus, der Admiral Alexanders, des sogenannten Großen, von Makedonien  , berichtet, daß der Boden in Indien   nicht nur Gemeineigenthum sei, sondern auch gemeinsam bebaut und der Ertrag vertheilt werde. In einigen Gemeinden hat man dies noch vor Kurzem gefunden. Im Ganzen und Großen ist jedoch nicht nur die gemeinsame Bebauung des Bodens verschwunden, sondern auch die periodische Thei­lung desselben, wie wir sie zu Tacitus   Zeiten bei den Germanen, heute noch in Rußland   und auf Java finden. Die Ackerlose sind bereits festes Eigenthum der Familien geworden, welche sie jedoch nach bestimmten Regeln zu bebauen haben. Weide, Wald und unfuftivirtes Land sind heute noch Gemeineigenthum, an dem alle Gemeindemitglieder gemeinsames Nutzungsrecht haben.

Der Vorstand des Dorfes ist entweder ein Schulze, Pateel, oder ein Verwaltungsrath von filnsen, Pantsch genannt, der die Gemeinde nach Außen hin zu vertreten und die Dorfpolizei zu besorgen hat. Er wird ebenso, wie alle anderen Funktionäre, von der Gemeinde gewählt, welche sich von Zeit zu Zeit unter einem großen Baume versammelt, um Wahlen vorzunehmen, Streitigkeiten zu schlichten und ihre Interessen durch Beschlüsse der verschiedensten Art zu wahren. Kompetenzstreitigkeiten gibt es da nicht.

Soweit ist die indische Dorfkommune von anderen urwüchsigen Gemeindewesen durch nichts verschieden. Aber sie hat eine höhere Kultur­stufe erklommen, als die anderen, und sie hat sich deswegen gezwungen gesehen, die Arbeitstheilung dem urwüchsigen Kommunismus einzufügen. Dies ist ihr denn auch in der glücklichsten Weise gelungen. Zunächst sorgt sie natürlich für des Leibes Nothdurft, vor Allem dafür, daß der Ackerbau, der wichtigste Erwerbszweig des Jnders, wohl von Statten gehe. Neben dem Rechnungsführer, welcher die geschäftlichen Angelegenheiten der Kommune zu ordnen hat, finden wir zwei Männer der Wissenschaft", welche, soweit es die indische Wissenschaft eben erlaubt, den Ackerbau zu regeln haben. Den Einen würden wir einen Ingenieur nennen. Er hat das Land zu vermessen und dafür zu sorgen, daß die Bewässerungsanstalten in Ordnung sind und gehörig gebraucht werden, eine Sache, welche angesichts der großen Dürren in Indien   und der großen Wassermenge, welche der Reisbau erfordert, von ungemeiner Wichtigkeit ist.*) Neben dem Jugenieur fungirt ein Mann, den wir

*) Jede Dorfkommune hatte in Indien   ihre Bewässerungskanäle und ihr großes Wasserreservoir für die Zeiten der Dürre. Die Engländer

Ich deutete schon an, daß sich in Deutschland   mit 3. am brot und Peitsche nicht regieren läßt. Man hat das versucht im alten Rom  , wo der Staatssozialismus   allerdings in anderer, direkterer Gestalt auftrat, in Form von Almosen und Spenden; man hat es versucht in Frankreich   unter Napoleon III.   Aber die Völker haben dies nur kurze Zeit ertragen. Das alte Rom   ist gerade an einem solchen System zu Grunde gegangen, und auch Napoleon III.   hat seinen Sturz hauptsächlich dieser zäsaristischen Neigung zu verdanken. Das deutsche   Volk, an viel ruhigeres Nachdenken gewöhnt, wird überhaupt gar nicht auf derartige Zumuthungen eingehen. Solange die Peitsche des Ausnahmegesetzes in der einen Hand vom Regierungstische geschwungen wird, nimmt kein deutscher   Arbeiter aus der anderen das Zuckerbrot an. Diese Blamage, die sich die Herren Körner und Finn zugezogen haben, die so stark iſt, daß kein Berliner   Arbeiter mehr mit ihnen umgehen mag, ist ja haupt­sächlich dem Umstande zu verdanken, daß man einer Regierung nicht traut, die derartige Maßregeln nicht bloß gegen die Sozialdemokraten anwendet, sondern auch gegen die Arbeiter überhaupt, denn die denkenden Arbeiter, die politisch thätigen Arbeiter sind in der Hauptsache alle Sozialdemo­fraten ( Ruje: Oho!)

die politisch thätigen Arbeiter meine ich, andere nicht. Es glauben nämlich die Massen der Arbeiter, daß das Gesetz in der Hauptsache gegen sie gerichtet sei. Sie nennen es ein Arbeitergesetz, aber kein Arbeiterschutz­gesetz, sondern ein Arbeiterschutzlosigkeitsgesetz, und solange wie dieser Gedanke im Volfe ist, kann die Regierung noch so oft das Zuckerbrot zur Hand nehmen und noch so schmeichelnd locken, kein Arbeiter folgt diesem Locken. Vorhin las ich schon aus einem Arbeiterbriefe vor, daß man sich nicht verförnern" lassen wolle. So wie der Briefschreiber, genau in demselben Sinne denken hunderttausend und aberhunderttausend Arbeiter, auch die nicht für uns gewählt haben, besonders die jungen Arbeiter, die gerade die feurigsten Anhänger der Sozialdemokratie find. Hundedemüthig ist wenigstens unser deutscher   Arbeiter nicht, und deshalb möge man erst die Peitsche begraben, ehe man das Zuckerbrot anbietet. Dann läßt sich wenigstens in aller Ruhe über Vorschläge seitens der Regierung diskutiren, die angeblich das Arbeiterwohl bezwecken sollen. Die Diskussion hört aber im Großen und Ganzen auf, weil man immer die drohende Peitsche sieht. Wie kann ernsthaft ein Arbeiter oder Sozial­demokrat jetzt über das Unfallversicherungsgesetz oder das Alterversor­gungsgesetz mit dieser Regierung in Unterhandlung treten, solange das Ausnahmegesetz gegen die Arbeiter existirt? Bis das Ausnahmegesetz nicht verschwunden ist, müssen wir den Regierungsanschauungen gegen­über Nein sagen, solange müssen wir mit aller Entschiedenheit gegen der artige Zuckerbrotgeschenke uns verwahren, obwohl wir auch sonst diesel­ben nicht strikte annehmen würden. Aber man könnte ohne Ausnahme­gesetze wenigstens in Ruhe über dieselben berathen und sie genau prüfen.

Meine Herren, ist nun nach Ihrer Meinung das Sozia­listengesetz nöthig ich habe schon ausgeführt, daß wir nichts dagegen haben so mag es bestehen bleiben, der Belagerungszustand aber trifft nicht unsere politische Partei, sondern er trifft lediglich die einzelnen Per­sonen, besonders die Familien; und meistens sogar trifft er Unschuldige. Deshalb halte ich den Belagerungszustand, der uns, ich wiederhole es, als Partei gleichfalls nicht genirt, für äußerst verwerflich; ich halte ihn für demoralisirend, ich halte, wie ich schon ausgeführt habe, dafür, daß er den Nihilismus erweckt.

Trotzdem der Belagerungszustand also ein großer Schaden für das deutsche Vaterland ist, welches ich ebensosehr liebe wie irgend Einer von Ihnen im Hause, stellen wir keinen Antrag auf Aufhebung desselben. Dazu sind wir zu stolz. Wenn Sie nicht genirt werden durch den Bela­gerungszustand, durch das Sozialistengesetz, so mögen Sie es aufrecht er­halten; aber was daraus entsteht, nehmen wir nicht auf uns. Alles Un­heil, was geschieht und geschehen ist, das legen wir auf das Haupt Der­jenigen, welche das Sozialistengesetz geschaffen und aufrecht erhalten haben und besonders der Regierung!

Sozialpolitische Rundschau.

"

Zürich  , 28. Dezember 1881. Unser Artikel Entweder Oder" hat, wie zu er warten war, eine Reihe Zuschriften an die Redaktion des Sozialdemo­frat" zur Folge gehabt, bis jetzt, wie wir mit Genugthuung konstatiren können, nur prinzipiell zustimmende. Ferner ist in einer Frat­tionsfigung unserer Abgeordneten einstimmig be= schlossen worden, daß überden offiziellen Charakter des Sozialdemokrat" einfach fein 3 weifel besteht, und daß die erste Gelegenheit benutzt werden wird, um öffentlich zu erklären, daß unsere Vertreter mit der Gesammthaltung des Sozialdemokrat" voll­kommen einverstanden sind.

"

Der Verfasser der Briefe eines Achtundvierzigers" schreibt uns in dieser Angelegenheit:*)

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Oder" war zwar

Ihr Artikel mit der Ueberschrift Entweder nicht ganz ,, opportun", aber er war ganz korrekt. Nicht ganz opportun", weil sie ihn schrieben, ehe Sie den stenographischen Bericht über die Reichstagsverhandlungen betreffend den kleinen" Belagerungszustand hatten, denn dieser Bericht würde Ihr Urtheil modifizirt haben. Ganz forrekt, weil jeder Sozialdemokrat, ohne seine Prinzipien zu verleugnen, *) Wir bedauern, seinen Brief Raummangels halber nur zum Theil abdrucken zu können.

einen Meteorologen nennen würden. Aber bei den naiven Anschauungen des Inders ist es nicht zu verwundern, daß es ein Astrologe ist, der Kalenderbrahmane, welcher die glücklichen und unglücklichen Tage für Säen, Ernten, Dreschen und andere wichtige Vornahmen auszukund­schaften hat.

Neben diesen beiden Männern der Wissenschaft" hat die Kommune ihre Handwerker: den Schmied, den Zimmermann, den Radmacher, den Töpfer.

Die Gemeinde sorgt aber auch dafür, daß man neben den Erzeugnissen des Reisbaues noch etwas anderes zu essen habe. Jede hat ihren Kuh­hirten und viele, namentlich früher, außerdem noch einen Fischer, einen Jäger und einen Vogelsteller. Seit dem 8. Jahrhundert vor Beginn unserer Zeitrechnung verbieten allerdings die brahmanischen Speisegesetze den Genuß des Fleisches, doch werden Ausnahmen gestattet; das Fleisch

haben die Dorfkommune aufgelöst, namentlich dadurch, daß sie die Steuern nicht nach Dörfern, sondern nach Individuen vertheilten, sowie dadurch, daß sie den Grund und Boden der Gemeinden den bisherigen Steuer­erhebern, den Zemindars, als Eigenthum zuwiesen, um aus diesen eine Stütze der Regierung nach Art des englischen Adels zu machen. Die Bauern wurden plötzlich aus Mitgliedern und Miteigenthümern einer Kommune zu besitzlosen Pächtern gemacht von denselben Leuten, die in London   ein elfjähriges Mädchen hängen ließen, weil es ein Taschentuch gestohlen hatte. Der einzelne Bauer hat jetzt nicht mehr die Mittel, die Bewässerungskanäle und Reservoirs in Stand zu halten. Die englische  Regierung ihut nichts dafür, so verfallen sie, und wenn Zeiten der Dürre kommen, bricht eine jener entsetzlichen Hungersnöthe aus, wie sie jetzt fast jedes Jahr vorkommen, die aber unter der Herrschaft des Kom­munismus unbekannt waren.

Warren sagt in seinem L'Inde Anglaise II. 310: Die Engländer haben keinen Brunnen gegraben, keinen Teich angelegt, keinen Kanal ge­zogen, feine Brücke gebaut zum Wohle ihrer indischen Unterthanen. Sie haben keine Straßen gebaut, außer für das Militär. Man unternimmt nicht nur nichts Neues, sondern läßt das Alte verfallen. Mit den Teichen und Kanälen verschwindet auch die Kultur und die Bevölkerung, das Land wird eine Wüste. In einem einzigen Distrikt der Präsidentschaft Madras, in North Arcot, war die Zahl der in einem Jahre zu Grunde gegangenen Teiche nicht weniger als 1,100, nachdem der Distrikt nicht länger als ein Vierteljahrhundert unter englischer Oberhoheit gestanden." Wie segensreich wirkt doch das Privateigenthum!