stete Sorge für sein herrliches Heer, das er braucht, wie Herwegh   einst so beißend sang:

den gemeinen Mann

Hochnäßig anzuschnarren

Und, wenn er murrt, zeitlebens dann Im Zuchthaus einzuscharren.

Er braucht es, ja! von Wacht zu Wacht­Baraden hinzustrolchen

Und dann in stiller Mitternacht Hausknechte zu erdolchen.

Herr Wilhelm braucht ein großes Heer, Braucht Pulver und Patronen, An Jesum Christum glaubt er sehr, Doch mehr noch an Kanonen.

Die Infanterie, die Kavallerie,

Die Artillerie entfalten

Die Gottesgnadenmonarchie

In dreierlei Gestalten.

Er kann o Volf, wie einen Hund

Auf's Bajonett dich spießen

Kann dich zusammenreiten und Kann dich zusammenschießen.

Und daß er davor nicht zurückschreckt, hat er 1848-49 gezeigt, Wilhelm, der Erste, genannt der Milde und Gütige! Nicht die ,, soziale Reform" ist sein Testament, sondern die Wiederherstellung der Allmacht der Krone!

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Mit Hofklatsch geben wir uns zwar nur sehr ungern ab, aber bei der gegenwärtigen Lage der Dinge in Preußen- Deutschland   muß man wohl oder übel auch auf das Kliquenwesen, welches die geheiligte" Person der Monarchen umgibt, Obacht geben. In der kleinen Welt der Lakeien und Hofschranzen heißt es noch immer: Kleine Ursachen, große Wirkungen, und auch die großen Ereignisse" der letzten Tage haben ihre kleinen Ursachen.

Daß Bismarck   seit langem mit der Hofpartei in den Haaren liegt, ist weltbekannt. Ebenso bekannt ist, wie er einen seiner Feinde nach dem andern zu rommeln" und seine Werkzeuge an ihre Stelle zu setzen wußte. So gelang es ihm, die brave Landesmutter matt zu setzen, und jetzt muß nun auch der liberale" Kronprinz an die Reihe. Die Dynastie Eulenburg, die früher mächtigste der Hoffliquen, welche sich einstweilen beim Kronprinzen eingenistet, muß auch von da vertrieben und durch Mitglieder der Dynastie Bismarck- Buttkamer ersetzt werden. Lange wurde mit allen Regeln der Kriegskunst minirt, aber auch die Eulen­burgs verstehen den Rummel und unser Fritz" blieb liberal". Das war eine ungemüthliche Situation für Bismarck  , denn der alte Herr kann jeden Augenblick abschieben, und dann wär's mit der Herr­lichkeit zu Ende.

Endlich kam er nun doch einmal auf einen glücklichen Einfall. Geht's nicht indirekt, so geht es einmal direkt. Wie wär's, wenn ich mir den Kronprinzen ,,, kaufte"! Der Knabe ist jetzt über fünfzig Jahre alt und brennt darauf, einmal selbst zu regieren. Wilhelm thut, was ich will, also los in's Geschirr. Und nun begannen die Konferenzen mit dem Kronprinzen. Schichst Du den Eulenburg fort, so verschaff' ich Dir die Regentschaft von Preußen. Ja, aber wohin mit ihm? Spaß, wofür habe ich denn das Auswärtige! Die Geschichte ist bald gemacht. Wir geben ihm ein Gesandtschaftspöstchen, das ist noch immer besser als Re­gierungspräsident von Wiesbaden   zu werden, wie sein gerommelter Vetter. Gesagt, gethan! Der Handel wurde abgeschlossen, und nun konnte Putt­tammer noch unverschämter auftreten als vorher. Damit unser Fritz" aber nicht in die Verlegenheit kommt, mit seinen liberalen" Tradi­tionen in Widerspruch zu gerathen, wurde schnell der neue Erlaß vom Stapel gelassen, der die Prärogative der Krone" feststellt und Fritzchen wird, wenn er in der nächsten Zeit man spricht vom 22. März Regent von Preußen wird, die Bahnen seines erlauchten Vaters" inne­halten. So behält ihn die Sippe Bismarck- Buttkammer in den Klauen und die Kriegskosten die Pension für den früheren Gesandten von Canig bezahlt wie immer, das Volk.

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Hundert deutsche   Studenten waren natürlich die ersten, welche den Ukas Seiner Selbstherrlichkeit, des Zaren von Preußen­Deutschland pflichteifrigst beschweifwedelten. Die zu ernstem" Thun  massenhaftem Biervertilgen nämlich versammelten ſtrebsamen Jünglinge bitten den deutschen Reichs- Ignatieff, vor Sr. Majestät dem Deutschen Kaiser in ihrem Namen das Gelöbniß abzulegen, daß sie, eingedenk die­fer hohen Worte, jetzt und immer dar, vor Allem aber in ihrer späte­ren Stellung als Beamte, sich als ihres angestammten Herr­scherhauses getreue Diener erweisen werden."

Man sollte den braven Knaben, um sie jetzt und immerdar" von anderen Menschenkindern besser gut unterscheiden zu können, eine königliche Erkennungsmarke auf die Stirne brennen, und hol' uns der Teufel! wenn sie sich nicht auch dadurch noch ganz besonders geehrt fühlen werden.

Es fehlt den Deutschen   zum Hunde nur Ein richtiger Schwanz zum Wedeln; du grundgütige Mutter Natur,

Du Spenderin alles Edlen,

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Gib doch den Menschenhunden ihr Recht,

Ihr eigenstes Recht auf Erden,

Und laß das nächste deutsche   Geschlecht

Mit Schwänzen geboren werden.

O, Heine redivivus, wann wird dein neues" Winter­märchen endlich einmal veralten!

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Bei Bismarck  . Das große Kunststück, die soziale Frage zu lösen, ohne den Kapitalisten mehe zu thun und dabei für den Nimmer­fatt, Militäretat genannt, einen anständigen Bissen zu verdienen, läßt den Kanzler des deutschen Reiches keine Ruhe. Wagner hat's nicht zu Wege gebracht, und da hat er sich denn jetzt auch Schäffle kommen lassen, und mit ihm, wie das Deutsche Tageblatt" meldet ,,, sehr ein­gehend konferirt". Herr Schäffle ist gewiß kein Dummkopf, aber wir fürchten, wir fürchten, das Kunststück, welches Bismarck   von ihm ver­langt, bringt auch er nicht zu Wege, und wenn er darüber preußischer Minister werden sollte.

Die Interpellation Hertling( Ultramontan) wegen Weiter­ausbildung der Fabrikgesetzgebung hat dem Anwalt des armen Mannes" Gelegenheit gegeben, zu zeigen, wie wenig die Ar­beiter vom heutigen Klassenstaat zu erwarten haben. Große Worte und nichts dahinter, das ist die Signatur der großen Kanzlerrede vom 9. Jan. Die ganze sozialökonomische Weisheit des Mannes, der nach den Versicher­ungen seiner Reptilien ganze Bände von wissenschaftlichen Werken über die soziale Frage studirt hat, gipfelt in dem Nachweis, daß es für die Arbeiter besser ist, bei hoher Arbeitszeit wenig zu verdienen, als gar keine Arbeit zu finden. Infolgedessen können die Effener Bergleute nichts Besseres thun, als ihre Petition einstweilen zu beliebigen häuslichen Zwecken benutzen, denn bis die Herren Unternehmer freiwillig zugestehen, daß die Industrie einen fürzeren Arbeitstag ertragen kann, da wird's mit der guten Geschäftszeit wohl zu Ende sein. So geht's, wenn man fich an den Gönner der Herren Baare, Funke und Konsorten wendet!

Der außergewöhnlich matten Rede Bismarcks gegenüber, hatte der Fortschrittler Eugen Richter   leichtes Spiel, nachzuweisen, daß der Anwalt des kleinen Mannes" in Wahrheit der Anwalt des Groß­tapitals ist, und ihm zugerufen: Entweder gar nicht Sozialist oder ganz!" Jm Uebrigen ritt er seinen abgetriebenen Manchestergaul.

Die Debatte wurde am 10. Januar fortgesetzt, und gab Genosse Grillenberger Gelegenheit, den Standpunkt der Sozialdemokratie zu Bismarcks Sozialpolitik zu entwickeln. Wir werden über diese Rede, welche uns bis Redaktionsschluß nur im kurzen Auszuge vorliegt, in nächster Nummer ausführlich berichten.

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Wasch' mir den Pelz und mach ihn mir nicht naß! Das war auch der Grundton der Rede des katholischen Arbeiterfreundes Hertling. Ich weiß woht", sagte dieser gute Mann, daß nicht für alle Arbeiter die Verkürzung der Arbeit eine wirkliche Wohlthat sein würde; eine sehr kurze Arbeitszeit fordert intellektuell und moralisch hoch stehende Arbeiter, welche wissen, was sie mit der freien Zeit anfangen sollen." Es ist in der That ergreifend, welche Sorge sich die hohen Herren um die Arbeiter machen. Schade, daß dieses schöne Argument so alt ist, wie der Konflikt zwischen Kapital und Arbeit, und daß schon die englischen Ausbeuter so schlau waren, bei allen Enqueten die troft­reiche Versicherung abzugeben, daß sie die Arbeitszeit nur aus Fürsorge für das Seelenheil ihrer ,, Schußbefohlenen" auf Deutsch   Ausbeutungs­Objekte ins Bodenlose hinausschrauben. Diese Flunkerei hätten sie sich also ruhig sparen können, Herr Hertling, darauf fällt heute Niemand mehr hinein.

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Wie sie sich wenden und drehen, die christlich- sozialen Arbeiterfreunde, wenn es gilt, wirkliche Forderungen der Arbeiter auf Besserung ihrer Lage zu vertreten, das zeigt Stöcker's Reichsbote bei Besprechung der Essener Bergarbeiterpetition. Wie Stöcker in seinen demagogischen Reden, so beginnt auch sein Blatt zunächst mit einem Salm von Schmeicheleien und Betheuerungen des guten Willens. Dann aber kommt sachte der hinkende Bote nach. Man höre nur, wie sich der christlich- konservative Mann aus der Affäre zieht:

Die Industriellen haben also eine gewisse moralische Verbindlichkeit übernommen, von einem gewissen Punkte ab auch die Löhne zu erhöhen, und hiermit ist ipse facto( an sich schon) gesagt, daß, sobald die Lage der Industrie sich noch(!) weiter verbessert, diese Verbindlichkeit durch effektive Erhöhung der Löhne eingelöst werden muß." ( Reichsbote" Nro. 8.)

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Kann man schamloser mit den Arbeitern spielen? Die Besserung, von der man ihnen alles Mögliche vorgeschwatzt, ist da, sie hat ihnen bis jetzt lediglich erhöhte Arbeitsleistungen verursacht, und nachdem ihnen nun endlich die Geduld reißt und sie immer noch in überbescheidener Form um den versprochenen Antheil an der Besserung bitten, da kommt der wohlgenährte Hofpfaffe und sagt ihnen salbungsvoll: Eure Bitte wird in Erfüllung gehen, wartet nur aber, bis es noch besser kommt. Das heißt, selbst dann dürft Ihr nur auf die Einlösung der ,, moralischen Ver­bindlichkeit" rechnen, denn ob es sich dann als zweckmäßig erweisen wird, die Frage des Normalarbeitstages in Erwägung(!) zu ziehen, darüber kann man, wir wiederholen es, verschiedener Meinung sein." Wie vorsichtig der Herr Hofprediger hier ist, wo es sich ernsthaft darum handelt, den Ausbeutern einen Zaum anzulegen. Ob es zweckmäßig ift"" In Erwägung zu ziehen" welche Kastratensprache! Ja, wenn es sich um die ,, böse Presse" handelt, da kann er donnern und wettern, daß es eine Art hat, hier aber kann er, wie bescheiden ,,, verschiedener Meinung" sein. Den Teufel auch! je nachdem man vom Standpunkt des Arbeiters oder vom Standpunkt des Ausbeuters ausgeht, ,, kann" man das, Herr Hofprediger! Wenn Sie uns aber mit ihrer ,, moralischen Verbindlichkeit" beschwatzen wollen, so rufen Ihnen Ausbeuter und Ausgebeutete einstimmig entgegen: Wat wir uns davor koofen."

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Genosse Kayser ist in den Reichstag   eingetreten und hat demselben sofort Gelegenheit gegeben, zu zeigen, wie heute in jeder Be­ziehung mit zweierlei Maß gemessen wird. Das Kriegsschiff Freya  " war auf den Grund gefahren, und zwar hatte die Havariekommission festgestellt, daß das Verhalten des Schiffs kommandanten zu erheblichen Ausstellungen Veranlassung gab. Jetzt sollte der Reichstag   die Kosten, die sich auf über zehntausend Mark be­laufen, bewilligen. Mit Recht stellte Kayser den Antrag, diese Post­tion zu streichen und den betreffenden Seeoffizier, der an dem Unfall schuldig ist, zum Ersatz heranzuziehen, aber der hohe Reichstag fühlte sich nicht veranlaßt, auf dieses gerechtfertigte Verlangen einzugehen, sondern bewilligte mit ungeheuerer Majorität die verlangte Summe: das Volk kann's ja zahlen. Wenn ein abgerackerter Arbeiter, der vor Müdigkeit fast zusammenbricht, einen noch so geringfügigen Schaden in der Fabrik anrichtet, dann heißt's gleich: Lohnabzug! aber so ein wohlbezahlter Schiffskommandant, ja Bauer, das ist ganz was Anders!

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Meineid eine Folge des Sozialisten gesetzes! Unsere Genossen Joh. Baptist Dietl, Kolporteur, und Anton Zauner, Schuhmacher, wurden vom Schwurgericht in Landshut  ( Bayern  ) des Meineides für schuldig erklärt und unter Ausschluß mildern der Umstände zu 18%, resp. 19 Monaten Zuchthaus und fünfjährigem Ehrenverlust verur­theilt, weil sie den wegen öffentlicher Vorlesung des Flugblattes: ,, Keine Schmarotzer mehr!" angeklagten Genossen Fuß dadurch hatten vor der Vernrtheilung schützen wollen, daß sie leugneten, ihn zu kennen. Wenn ein gewissenloser Fabrikant Leben und Gesundheit seiner Arbeiter fahrlässig auf's Spiel setzt, um nur recht viel Geld zu verdienen, so kommt er in der Regel mit einer Geldstrafe weg, im schlimmsten Falle setzt es einige Monate Gefängniß ab, der Lebensmittelfälscher, der Medi­zinalpfuscher, der gemeine Gauner erhalten, wenn es nur irgend geht, mildernde Umstände bewilligt, für Arbeiter aber, die, um einen ihrer Gesinnungsgenossen vor den Folgen eines infamen Ausnahme­gesetzes zu schützen, einen politischen Meineid schwören, wie er ihnen von den hohen und höchsten Personen im Reiche schon unzählige Male vorgemacht worden ist( man denke nur an die Rastatter Morde unter Leitung des Kartätschenprinzen!), wie er ihnen in der Schule schon als eine unter Umständen patriotische That gepriesen worden ist( General York!) ist keine Strafe zu hart, da arbeiten bürgerliche Geschworne und Be­rufsrichter Hand in Hand, um den politischen Gegnern auf möglichst lange Zeit das Brandmal der Ehrlosigkeit auszudrücken. Nun, vor dem Gesetz, vor dem Spießbürger mögen Dietl und Zauner jetzt ehrlos sein, vor uns, vor der Partei des arbeitenden Volkes, sind sie es ebensowenig wie unser Genosse Ibsen  , der noch immer wegen eines gleichen Meineides" im Zuchthaus schmachtet!

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Wenn die Landshuter   Geschwornen nicht lediglich ihren blindwüthenden Parteihaß hätten sättigen wollen, so müßte ihnen schon die außerordent­liche Ungeschicklichkeit, mit der ihre armen Opfer vorgegangen waren, sagen, daß sie es mit unüberlegten Männern zu thun hatten, die sich kaum recht klar waren, was sie durch ihr Abläugnen aufs Spiel setzten, aber was fragt der Bourgeois dem Proletarier gegenüber nach Motiven! Thut nichts, der Jude wird verbrannt!" das ist die politische Marime dieser Ordnungsfreunde.

Wir werden sie uns merken.

-Aus Sachsen  , 6. Januar. Gestern hat die sächsische Justiz wieder an einer Anzahl unserer Genossen ihr Müthchen gekühlt. Es handelte sich um das Wahlflugblatt im Dresden  - Neustädter Kreis, welches am 25. Septbr. durch etwa 40 Genossen verbreitet worden war. 17 von diesen 40 hatte man erwischt, und diejenigen, welche der Polizei am bekanntesten als Sozialisten waren, wurden als Rädelsführer der Wahlagitation denunzirt. Da Verbreitung unverbotener Flugblätter nicht strafbar ist, erfolgte die bekannte Manipulation der Unterstellung unter§ 131, welche im Sozial­demokrat" schon mehrfach gewürdigt worden ist. Gestern nun hatten die ländlichen Spitzbuben einen gut Tag, denn von Kötzschenbroda   bis Pillnit gab's keinen Gendarm; die Landgendarmen waren sämmtlich als Be­

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weismittel( in Ermangelung besserer) in den Gerichtssaal kommandirt, um unsere Genossen als" Zeugen" verknacken" zu helfen. Auf einen Meineid kam's ihnen dabei nicht an, wie wir weiter unten nachweisen werden. Die Verhandlung wurde vom Gerichtspräsidenten Wehinger eröffnet, damit die Sache anständig aussehen sollte. Aber das erste, was er that, war, die Oeffentlichkeit auszuschließen. Was hier beabsichtigt war, vertrug das Licht der Oeffentlichkeit nicht. Das Publikum wurde an die Luft gesetzt, und die 17 Angeklagten blieben wie Daniel in der Löwengrube zurück, links die Richter", rechts die Garnitur der Gens­darmen. Nun verließ auch der Präsident Wehinger seinen Platz, ver­duftete, und machte dem berüchtigten Mangoldt Platz, dem Würg­engel der letzten Schwurgerichtsperiode, der jeden reichen Spizbuben laufen läßt, aber jeden Arbeiter und vor Allem jeden Sozialisten rück­haltlos verknurrt. Damit war der juristische Schein abgestreift, es be­gann die Inquisition. Mangoldt schrie die Angeklagten an: Was wollen Sie? Was haben Sie zu sagen? Seien Sie doch ruhig!" Kurz, von Verhör und Beweisaufnahme war gar nicht mehr die Rede. Selbst die wenigen nichtpolizeilichen Zeugen wurden erst gefragt, ob sie Sozialdemo­fraten seien, und wer bejahte, wurde nicht vereidet, weil auf seine Aus­sage kein Gewicht gelegt werde. Es wurde gar nicht erwogen, ob denn der Inhalt des Flugblattes wirklich strafbar sei, es wurde kein Angeklagter gefragt, ob er das Sozialistengesetz nach bester Ueberzeugung für schlecht und infam halte; über diese nothwendigen Vorbedingungen zur Be­urtheilung setzte sich Mangoldt ruhig hinweg. Obgleich der§ 131 durch wissentlich falsche Angaben über Staatseinrichtungen 2c. erst in Betracht kommen kann, wurde hier weder ein Wort darüber verloren, ob die Angaben, daß das Sozialistengesetz Eristenzen ruinire 2c., falsch seien, noch diese absurde Annahme wirklich vorausgesetzt ob sie wissentlich falsch behauptet wurden. Auch der Umstand, ob die ein­zelnen Angeklagten überhaupt Kenntniß von dem Inhalte hatten, wurde nur sehr liederlich erörtert. Genosse Hünig bestellte einen Omnibus für die Austräger, folglich kannte er den Inhalt des Flugblattes und ist Hauptschuldiger. Genosse Gärtner   hatte die Blätter eine Nacht in Verwahrung, folglich mußte er sich davon überzeugt haben, daß der Inhalt nach Dresdener   Rechtsbegriffen strafbar sei. Genosse Schreiber hatte andere, hier gar nicht in Frage kommende Druckschriften, u. A. ein Liederbuch aus Zürich  , verbreitet", folglich mußte er auch den Inhalt des Flugblattes kennen. Genosse Pflaum hatte zwei Mappen an Austräger verliehen, und man hatte einige Zettel mit geographischen Notizen über den Wahlkreis bei einem Andern gefunden, der sie an­geblich von Pflaum hatte, folglich war auch Pflaum für den Inhalt verantwortlich. Drei andere Genossen hatten ihre Flugblätter in die Stiefel oder auf der Brust versteckt, weil erfahrungsgemäß die behördlichen Schnapphähne, jedes auch das harmloseste Flugblatt während der Wahl­agitation raubten, der Zeuge" Kommissar Pa ul konstatirte auch aus­drücklich, daß er Ordre gehabt habe, jedes auftauchende Flugblatt ohne Unterschied wegzunehmen, aber trotzdem wurde aus dem Verstecken der Flugblätter seitens jener drei Austräger gefolgert, daß sie sich der Strafbarkeit des Inhalts bewußt gewesen. Unter den Zeugen trat auch ein Gensdarm auf, der bei der Flugblätter- Wegnahme einem Genossen eine Ohrfeige gegeben hatte. Auf Vorhalt der Angeklagten stellte er diese Rohheit in Abrede, und beschwor ausdrücklich, keine Ohrfeige gegeben zu haben, obgleich sechs Augenzeugen den Vorfall mit angesehen haben. Daraus kann man sehen, was es mit den Zeugnissen und Eiden der Gendarmen auf sich hat und warum ge­rade Polizeilente immer als ,, Beweismittel" gegen uns vorgeführt werden. Die Burschen beschwören Alles, was der Präsident haben will. Das war die Beweisaufnahme", die durch das brutale, parteiische Gebahren des Vorsitzenden, welcher gar nicht schnell genug fertig werden konnte, ihren Charakter als lästige Formalität offen zur Schau trug. Der Staatsanwalt hielt eine jener schablonenmäßigen Belastungsreden, die schon durch ihre Langweiligkeit tödtlich wirken, der Vertheidiger Dr. Eysold hielt eine wirklich gute, treffende und überzeugende Rede für die völlige Straflosigkeit der Angeklagten, während welcher der Präsident unruhig, wie ein ungezogenes Kind, auf dem Präsidentenstuhle herumrückte, dann folgte die Verknurrung. Genosse Hänig( Familienvater) wurde zu sechs Monaten verurtheilt und von der Anklagebank weg verhaftet. Genosse Pflaum( schon seit Mouaten in Haft, während seine Frau jede Stunde ihrer Niederkunft entgegensieht) erhielt sechs Monate und blieb gefan gen. Genosse Gärtner  ( Familienvater und mehrere Monat bereits inhaftirt) bekam vier Monate, Genosse Schreiber ebenfalls vier Monate. Den letzten beiden und Pflaum wurden je ein Monat Untersuchungshaft angerechnet. Die drei Genossen, welche die Aufrufe vor den Spitzbuben versteckt hatten, bekamen für diese Vorsicht je zwei Monate Gefängniß. Die Motivirung dieser Urtheile gipfelt in dem oben geschilderten Sachverhalt, und hatte man sich gar nicht Mühe gegeben, dieselben im Erkenntniß auch juristisch zu begründen. Die übrigen zehn Mann wurden freigesprochen. Man hatte sie überhaupt blos mit an­geklagt, um durch theilweise Freisprechungen der Sache einen Schein von Unparteilichkeit zu geben. So spricht man Recht" im deutschen Reiche! Und so frei ist die Wahlagitation!

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Ueber die Behandlung des im obigen Prozeß zu se ch s Monatent eigentlich a cht Monaten, denn von 11 Wochen Unter­suchungshaft wurden ihm nur vier als verbüßt" angerechnet donnerten Genossen Pflaum während der Untersuchungshaft entnehmen wir einem Privatbriefe noch folgende Mittheilungen:

,, Seit jeher hatten die Insassen des Dresdener Untersuchungsgefängnisses bitter über die schlechte Behandlung zu klagen, insbesondere die ,, poli­tischen". Gegen jetzt aber war es früher golden. Früher war es den Untersuchungs gefangenen wenigstens vergönnt, hin und wieder den Besuch ihrer Angehörigen zu empfangen, es war möglich, ihnen gewisse Erleichterungen ihrer Haft zu verschaffen, das ist alles nicht mehr der Fall. Trotzdem Pflaum's Gattin laut ärztlichem Attest sich in einem Zustand befindet, der keinerlei Aufregung oder Unruhe verträgt, wurde ihr weder erlaubt, ihren Mann zu besuchen, noch dem Gesuch, Pflaum gegen Kaution vorläufig zu ent< laffen, Folge gegeben, obwohl der Staatsanwalt selbst ihr zugestand, daß unter solchen Umständen eine Ausnahme zulässig sei. Aber die Herren Richter, die Männer der Gerechtigkeit", mißbrauchen ihr Amt mit frechstem Cynismus dazu, an ihren politischen Gegnern, die ihnen in die Klauen fallen, ihren Haß auszulassen, sie ihre Macht fühlen zu lassen. Knirschend fügen wir uns heute der Macht, aber den festen Entschluß im Herzen, uns Genugthuung zu verschaffen, sobald nur die Gelegenheit fich bietet".

-Das vierte Gebot! Der Kreisschulinspektor des Kreises Fried­ land  ( Ostpreußen  ), Corsepius ist der Name dieses Biedermannes, hat eine rithrsame Epistel über die allerhöchste" Botschaft des deutschen Kaisers an die gesammte Lehrerschaft seines Kreises gerichtet, in der er seine Schutzbefohlenen in allen Tonarten ermahnt, doch ja dafür zu wirken, daß nicht wieder ein böser Fortschrittsmann in diesem Kreise gewählt werde. Denn", sagt der Gute ,,, wenn ich auch gewiß glaube, daß Sie, meine Herren, alle königstreu sind, und daß ohne Zweifel nur wenige Lehrer unseres Kreises sich dazu hergegeben haben, für den Fortschritt und gegen die Regierung unseres Kaisers förmlich zu agitiren was sich, beläufig gesagt, sehr schlecht mit dem vierten Gebot Gottes verträgt" u. s. w. u. s. w.

Das vierte Gebot Gottes! O, Herr Kreisschulinspektor  , damit hätten sie doch nicht kommen sollen. Denn wie die Könige von Gottes Gnaden bis jetzt Vater und Mutter geehrt" haben, das ist ein gar böses Kapitel. Wollen's aber trotzdem nächstens behandeln.

Trotz kleinen Belagerungszustandes haben bei den letzten Gemeinderathswahlen in Volkmarsdorf   bei Leipzig  unsere Genosse glänzend gefiegt. Bravo!