gezählt. Das ist wenigstens unsere Ueberzeugung, die wir nicht von gestern auf heute gewonneu haben, sondern aus der Geschichte, sowohl der allgemeinen, als auch der des Sozialistengesetzes im Besonderen. In diesem Sinne suchen wir die revolutionäre Energie, das Selbstvertrauen und die Leidenschaft der deutschen Arbeiter zu stärken, und soweit wir aus den Zuschriften, die wir erhalten, schließen können, haben wir die überwiegende Mehrzahl unserer Genossen dabei prinzipiell auf unserer Seite.
Soviel im Allgemeinen. Auf die weiteren Vorwürfe und Einwände des Genossen Breuel in einem zweiten Artikel.
Briefe aus dem Reichstage.
Berlin , 12. Januar 1882. Am Montag kam die zweimal vertagte Hertling'sche Interpellation glücklich zur Verhandlung. Bismarck hatte sich gestellt, und die Staatsaktion konnte vor sich gehen. Die Rede des Herrn Hertling ist schon mehrmals im Reichstage gehalten worden, und sie war diesmal gerade so langweilig wie früher. Interessant und amüsant war dagegen das Auftreten Bismarcks. Vor Allem überraschend. Ein rennomistischer Korpsbursch, der sich plötzlich als ängstlicher Stubengelehrter präsentirt. Nicht als ob ich Bismarck für einen Stubengelehrten, überhaupt für einen Gelehrten hielte, das wäre ein groteskes Mißverständniß. Aber er hat an dem Baume, zwar nicht der Erkenntniß, aber der Wissenschaft zum ersten Male in seinem Leben gerochen, und der Geruch ist ihm in den Kopf gestiegen und hat lähmend auf ihn gewirkt.
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Der eiserne Kanzler", der über der Nationalökonomie zu ſtehen wähnte, hat eine Ahnung seiner Unwissenheit bekommen und sein bisheriges Selbstvertrauen verloren. Er dachte mit dem Sozialismus spielen zu können, und siehe da, er hat gefunden, daß der Sozialismus eine Wissenschaft ist, und daß er, der eiserne Kanzler", von dieser Wissenschaft nichts versteht. Welchen Einfluß die Privatissima des Herrn Erministers Schäffle an dieser merkwürdigen Wandlung gehabt haben, das will ich dahin gestellt sein lassen, genug, als Fürst Bismarck am vorigen Montag, statt nach seiner bisherigen Weise, kühn wie ein Stier im Porzellanladen, die Gesetze der Nationalökonomie auf die Hörner zu nehmen und unter die Füße zu trampeln, zimperlich wie ein im Kloster erzogener Backfisch die wirthschaftlichen und sozialen Fragen vorsichtigschüchtern anfaßte, als wäre es rothglühendes Eisen, da ging ein allgemeines Ah! der Verwunderung durch den Reichstag , und die Herren Manchestermänner, denen doch etwas bang geworden war vor dem grauen Gespenst des Staatssozialismus , sie athmeten erleichtert auf. Der sozialistische Paulus ist auf dem besten Wege, zu einem manchesterlichen Saulus zu werden. Das unterliegt keinem Zweifel. Abgesehen von den unvermeidlichen Körper- und Satzverrenkungen, hätten Richter oder Rickert diese Rede des„ eisernen" halten können Minister wären und nicht in der Opposition.
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das heißt, wenn sie
Summa Summarum Bismarck hat gemerkt, daß die bürgerliche Gesellschaft etwas stärker ist als er sich vorgestellt, und daß er sich in ein hoffnungsloses Abenteuer gestürzt. Und zurück kann er nicht mehr. Aber auch nicht vorwärts und das ist das Fatale. Wäre er ein Mensch von anderem Stoff, hätte er je einen edlen Gedanken, je einen Funken von Großherzigkeit gehabt man müßte den verkrachten Anwalt des armen Mannes aufrichtig bemitleiden. So können wir nur Schadenfreude empfinden. Wir haben es ihm vorausgesagt. Er war gewarnt. Und dann, was waren seine Motive?
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Hat er nicht blos aus demagogischer Ehrsucht und zu den gemeinsten reaktionären Zwecken gehandelt? Wo solch niedrige Beweggründe obwalten und jedes ideale, echt menschliche Moment fehlt, da kann ein tragisches Interesse nicht aufkommen. Höchstens ein psychologisches. Der mit allen Hunden gehetzte Falschspieler, der am Ende seiner Kunst ist. Womit natürlich nicht gesagt sein soll, daß es mit dem Herrn Reichs Kanzler nun sofort zu Ende sei. So lange der alte Kaiser lebt, ist der Hausmeier sicher in seinem Posten; und wenn man die Hand an dem Knopf hat, durch dessen Berührung anderthalb Millionen Soldaten in Bewegung gesetzt und die ungeheuren Hülfsquellen eines Reiches von 45 Millionen Menschen auf den Präsentirteller gezaubert werden können, dann läßt sich noch eine Zeitlang fortwirthschaften. Indeß der Anfang vom Ende ist's doch.
Die Rathlosigkeit Bismarck's war für uns ein großer Triumph. Sie bestätigt die Richtigkeit unserer Auffassung: Daß die Staatsmänner des heutigen Klaffenstaates nicht im Stand sind, die soziale Frage zu lösen. Hätten sie selbst den besten Willen dazu, der Klassenstaat mit Allem, was drum und dran hängt, würde sie hindern.
Grillenberger, der von unserer Seite sprach, benutzte sehr gut ,, den manchesterlichen Hauch" der Bismarck 'schen Rede und vertrat durchaus korrekt und mit sichtlichem Effekt den Standpunkt der Sozialdemofratie mit Vezug auf die sogenannte Sozialreform. Wir nehmen was wir bekommen; wir nehmen es nicht als Gnade, sondern als Recht als kleine Abschlagszahlungen, der weitere folgen müssen, bis wir das Ganze erlangen können.
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In Details gehe ich nicht ein, da Sie ja die Rede nach dem stenographischen Berichte im Auszuge bringen werden. Genug, sie war taktisch ebenso geschickt als rhetorisch gelungen.
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Die Debatte ist so verlaufen, wie sie verlaufen mußte: im Sand. Ein paar nebelhafte Andeutungen von embryonischen Zukunftsplänen, ein nebelhafter Hinweis auf eine Frühjahrssession das ist das praktische Ergebniß. Und darum Räuber und Mörder, ich wollte sagen: ,, Anwalt des armen Mannes", grimmer Ankläger des Kapitalismus, polternder Prediger des praktischen Christenthums". Wahrhaftig, um zu diesem kläglichen Fazit zu kommen, brauchte der lange Percy" nicht ein volles Jahr lang himmelstürmerischen Spektakel zu machen, den Olymp der Bourgeoisie- Götter zu bedrohen. Den alten Titanen ist der Olympfturm nicht gelungen und auch Titane Bismarck ist aus dem Himmel seiner staatssozialistischen Utopien heruntergeworfen worden auf die harte reale Erde des manchesterlichen Bürgerthums. Er befühlt seine Beulen und sucht seine Gedanken zu sammeln. Lassen wir ihn bei dieser schweren Arbeit!
Den Montag und Dienstag hatte die Interpellation Hertling in Anspruch genommen, die zwei folgenden Tage( gestern und heute) gehörten dem Antrage Windthorst, der auf Aufhebung des Ausnahmegesetzes vom 4. Mai 1874( des Kirchenämtergesetzes") hinausläuft. Wir hatten die Absicht, hierzu ein Amendement einzubringen, welches den Windthorstschen Antrag verallgemeinerte und die Abschaffung sämmtlicher Ausnahmegesetze bestimmte. Allein leider scheiterten wir mit unserem Vorhaben an der Geschäftsordnung, und wir mußten unseren Antrag als selbstständigen Antrag einbringen, was auch bereits geschehen ist. Der Antrag, welcher voraussichtlich nächsten Mittwoch auf die Tagesordnung kommt, wird von Liebknecht begründet werden, der ihn heute in der Debatte, wo er unsere Stellung zum Windthorst'schen Antrag präzisirte, schon ankündigte. Außer den gegen das Zentrum gerichteten Ausnahmegesetzen, einschließlich des Kanzelparagraphen", umfaßt unser Antrag den Elsässischen Diktaturparagraphen und natürlich das Sozialistengesetz. Einen Antrag auf Abschaffung blos des letzteren zu stellen, wie uns von verschiedenen Seiten gerathen ward, schien uns aus taktischen und prinzipiellen Gründen unthunlich.
Erwähnt muß hier werden, daß die„ Volkspartei " ihre„ wahre Demotratie" dadurch bewies, daß sie die Unterschriften zu unserem Antrage verweigerte; nur Köhl machte eine Ausnahme. 4 Mitglieder der Fortschrittspartei beschämten die ,, wahren Demokraten" und gaben sofort ihre Unterschriften.
Am Montag beginnt vermuthlich die dritte Lesung des Etats; außerdem wird uns die künftige Woche aller Wahrscheinlichkeit nach die Debatte über das Gesetz betreffs Berufsstatistik und den liberalen GesetzEntwurf eines revidirten Haftpflichtgesetzes bringen. Zu jenem soll Geiser, zu diesem Kayser sprechen.
Sie wissen, daß die kleine Differenz, zu der einige im Reichstage gefallene Aeußerungen über unser Verhältniß zum„ Sozialdemokrat" Anlaß gegeben, vollständig erledigt ist; innerhalb der sozialdemokratischen Fraktion herrscht Meinungs- Uebereinstimmung in Bezug auf alle prinzipiellen Fragen, und nicht blos innerhalb der Fraktion, auch mit allen übrigen Genossen, auf deren Rath und Ansichten die Gesammtpartei besonderen Werth zu legen Ursache hat. Die Gegner, welche auf unsere Uneinigkeit spekuliren, werden bis zum St. Nimmerleinstag zu warten haben.
Daß der Sozialdemokrat" in so rapidem Aufschwung begriffen ist, macht uns viel Freude.*) Man darf aber nie zufrieden sein. Speziell in Amerika könnten unsere Genossen noch weit mehr Abonnenten stellen, als jetzt der Fall ist.
Doch davon ein andermal.
Mit sozialdemokratischem Gruß!
2.
Aus der Rede des Abg. Grillenberger.
Gehalten am 10. Januar 1882.
( Nach dem amtlichen stenographischen Bericht.) Meine Herren, die Fragen, die durch die Interpellation des Herrn von Hertling hier im Hause angeregt worden sind, greifen so tief in das soziale Leben ein, daß ich, resp. meine Parteifreunde uns schon im Vornhinein veranlaßt gesehen haben würden, hierzu das Wort zu ergreifen. Wir sind aber dazu noch um so mehr veranlaßt worden durch das, was wir gestern und heute hier im Hause darüber gehört haben. Sowohl das, was der Herr Interpellant zur Begründung seiner Anfrage gesagt hat, als das, was seitens des Herrn Reichskanzlers und seitens der Herren Redner der verschiedenen Fraktionen hierüber gesagt worden ist, erscheint uns von unserem Standpunkt aus als durchaus ungenügend, und deshalb glauben wir die Angelegenheit noch direkt vom Arbeiterstandpunkt aus erörtern zu sollen.
Ehe ich auf die Sache selbst näher eingehe, habe ich hier und zwar nicht bloß als Person, sondern im Namen meiner Parteigenossen eine Erklärung abzugeben betreffs der sozialpolitischen Reformpläne des Herrn Reichskanzlers. Es ist in den letzten Tagen eine Notiz durch die Zeitungen gegangen, worin gesagt war, daß wir in einer Konferenz zu Dresden beschlossen hätten, uns strikte ablehnend gegenüber den Plänen des Herrn Reichskanzlers zu verhalten, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil durch diefe Pläne das„ System Bismarck" gestützt werden sollte. Ich habe dem gegenüber die Erklärung abzugeben, daß daran kein Wort wahr ist; wir haben einen solchen Beschluß nicht gefaßt, sondern im Gegentheil beschlossen, bei unserem bisherigen Verhalten stehen zu bleiben, nämlich die Vorlagen des Herrn Reichskanzlers einfach abzuwarten, dieselben zu prüfen, und, wenn sie uns etwas zu taugen scheinen, ihnen zuzustimmen. Daß wir deswegen, weil wir das System Bismarck nicht stützen wollten, praktische Errungenschaften für die Arbeiter zurückweisen sollten, fällt uns nicht ein, namentlich, da wir gar feine Veranlassung haben, jetzt wenigstens, an Stelle des Systems Bismarck" ein anderes System gesetzt zu sehen. Das System, welches wir bekämpfen, ist das System der kapitalistischen Ausbeutung; ob das repräsentirt wird durch den Herrn Reichskanzler Bismarck oder durch ein Konsortium Richter- Hänel, ist uns gleichgiltig, im wesentlichen würde ein anderes System uns nichts besonderes Gutes bringen. Die Herren von dem fortgeschrittensten Liberalismus verwahren sich dagegen, die Militärlaften wesentlich herabzusetzen, und können deshalb auch an den Steuerverhältnissen nichts ändern, sie sind vor allem nicht gegen die kapitalistische Ausbeutung, und deshalb sehe ich durchaus nicht ein, was ein solcher Systemwechsel uns in der gegenwärtigen Zeit nigen sollte. Das glaubte ich in Bezug auf die Zeitungsnotiz sagen zu sollen.
Auf die einzelnen Punkte der Interpellation eingehend, habe ich zunächst zu bemerken, daß wir ein striktes Verbot der Sonntagsarbeit nur voll und ganz unterstützen können. Wir gehen dabei allerdings nicht vom religiösen Standpunkte des Herrn Interpellanten aus, sondern von dem rein menschlichen; wir halten dafür, daß, nachdem der Arbeiter ohnehin in dem gegenwärtigen Industrialismus über Gebühr angestrengt wird, er einen Tag Ruhe haben muß, und da nun der Sonntag dazu bestimmt ist, so soll derselbe auch ganz strikte als Ruhetag eingehalten werden, und wir halten dafür, daß die gegenwärtige Bestimmung in der Reichsgewerbeordnung durchaus ungenügend ist, weil darin nur gesagt ist, daß der Arbeiter zum Arbeiten am Sonntag nicht verpflichtet werden kann, und es ist schon vom Herrn Interpellanten bemerkt worden, daß die Verhältnisse so liegen, daß, wenn ein Arbeiter sich weigert, am Sonntag zu arbeiten, ihm dann ganz ruhig gesagt wird seitens inhumaner Arbeitgeber, daß er auch in der Woche nicht mehr zu kommen brauche. Wenn aber erklärt wird, die Sonntagsarbeit ist ein für allemal verboten, mit Ausnahme vielleicht derjenigen Werke, wo ein ununterbrochenes Fener nothwendig ist, oder wo sonst die Verhältnisse derart gelegen sind, daß überhaupt Tag und Nacht gearbeitet werden muß wenn mit Ausnahme dieser industriellen Unternehmungen gesagt wird, daß die Sonntagsarbeit ein für allemal verboten ist, dann können solche Sachen nicht mehr vorkommen, wie sie von dem Herrn Abgeordneten von Hertling geschildert worden sind, nämlich, daß die Zuchthäusler vor der Sonntagsarbeit geschützt sind, während die„ freien" Arbeiter dazu ge zwungen werden können, diese freien Arbeiter, deren Verhältniß zu dem Arbeitgeber, wie mit besonderer Ostentation seitens der Liberalen immer betont wird, auf einem angeblich freien" Vertrage beruhen soll. Bei der Gelegenheit erlaube ich mir hinzuzusetzen- und ich werde das bei dem Normalarbeitstag vielleicht näher begründen können, daß, wenn man duldet, daß in einzelnen Industriezweigen, wo es unabweisbar erscheint, durchgearbeitet wird, und auch Sonntags, dann unter allen Umständen ein drei schichtiger( also a chtstündiger) Arbeitstag eingeführt werden müßte.
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Die Schweiz ist bekanntlich nichts weniger als sozialistisch und hat einen gesetzlichen Normalarbeitstag angenommen, allerdings einen 11stündigen, von dem in Deutschland bei der kolossal vorhandenen Ueberproduktion nicht die Rede sein könnte. Wenn in Deutschland ein gesetzlicher Normalarbeitstag eingeführt werden soll, dann kann es nach meiner Ueberzeugung nur höchstens der 10stündige sein. Ich sage also, die Freiheit der Fabrikanten darf nicht so weit gehen, um die Freiheit der Anderen einzuschränken, sie darf nicht so weit gehen, um dadurch die Wohlfahrt der Gesammtheit und namentlich das Wohlsein der arbeitenden Klasse derart zu schädigen, wie es gegenwärtig durch die schrankenlose Ausbeutung geschieht.
Der Normalarbeitstag wird insoferne sein Gutes haben, als damit einem großem Uebel gesteuert wird, über welches gegenwärtig namentlich von konservativer Seite sehr viel geschrieben und gesprochen wird, gegen welches man aber nichts anderes ins Feld zu führen weiß als gewöhnliche Polizeimaßregeln. Es ist überhaupt in der letzten Zeit in Deutsch land und auch in anderen Staaten Mode geworden, gegen alle gesellschaftlichen Uebel als Universaltur nur Polizeimaßregeln vorzuführen. Ich meine die in großartigem Maßstabe überhandgenommene Vagabondage. Es ist vor allen Dingen zu erwähnen, daß infolge des Normalarbeitstages solider gearbeitet wird. Es ist aber nicht ganz richtig, daß bei kürzerer Arbeitszeit ganz genau so viel hergestellt wird als bei längerer Arbeitszeit. Es wird wohl ein kleiner Ausfall an Arbeitsleistung
*) Wir haben unsern Genossen im Reichstage die erfreuliche Mittheilung machen können, daß das Abonnement auf den„ Sozialdemokrat" bisher einen ganz außerordentlichen Aufschwung genommen hat, trotz Ausweisungen und Berhaftungen. Nicht nur ist das Abonnement an den Hauptorten in steter Progression begriffen, auch von den kleineren Orten laufen jede Woche Nachbestellungen ein. Bei dem umständlichen Verkehr mit Deutschland kann der dortig beste Abonnentenstand immer nur die Kosten decken, wenn aber das Abonnement im Auslande, das sich gleichfalls von Quartal zu Quartal gehoben hat, so fortsteigt, so wird der Sozialdemokrat" bald eine Einnahmequelle für die Partei bilden können. Anm. d. Red.
entstehen, und das soll nach unserer Meinung gerade durch den Normal arbeitstag herbeigeführt werden. Es soll durch den Normalarbeitstag dafür gesorgt werden, daß von der gleichen Arbeiterzahl weniger produzirt wird als gegenwärtig, damit die riesenhafte industrielle Reservearmee, die gegenwärtig immer bereit ist, ihren industriellen Kollegen Konkurrenz zu machen, und auf den Landstraßen zu vagabondiren gezwungen ist, daß diese industrielle Reservearmee zum Produktionsprozeß herangezogen werden kann. Dann wird dieser Vagabon dage in kurzer Zeit ein Damm und Ziel entgegengesetzt werden, die Leute werden dann Arbeit bekommen.
Es ist in der letzten Zeit, kurz nachdem die Hertling'sche Interpellation bekannt geworden ist, in fortschrittlichen Blättern, unter anderen auch in dem in Nürnberg erscheinenden Fränkischen Kurier", eine Berliner Waschzettel- Korrespondenz zu lesen gewesen, welche sich abfällig gegen die Hertling'sche Interpellation aussprach und sich dahin äußerte, daß es irrthümlich sei, in der gegenwärtigen Zeit die Arbeitszeit zu beschränken, die Arbeiter seien selbst dagegen, dieselben wären froh, wenn sie Arbeit haben. Ja, meine Herren, daß sie froh sind, wenn sie Arbeit haben, das ist richtig, aber sie werden deswegen nicht die Arbeitszeit ins Unendliche verlängert haben, sondern einen Feierabend haben wollen, um sich als Menschen bewegen zu können, um ein Familienleben zu haben, kurz und gut, um Menschen zu sein wie andere Leute.
Der Normalarbeitstag, gesetzlich festgestellt, ist eine Nothwendigkeit; denn wenn auch von fortgeschrittener liberaler Seite uns entgegengehalten wird, das Alles könnte auf dem Wege des Koalitionsrechtes gemacht werden, so erlauben wir uns, das ganz entschieden zu bestreiten, denn erstens haben die Arbeiter auch unter einem annähernd freien Koalitionsrecht trotzdem nicht die nöthige finanzielle Macht, um das auf die Dauer durchführen zu können, weil bei jeder Krisis ihnen das Errungene wieder entrissen würde, und dann ist es Thatsache, daß wir ein solches Koalitionsrecht überhaupt nicht haben; wir hatten ein solches Koalitionsrecht in Deutschland nicht vor dem Ausnahmegesetze, und durch das Sozialistengesetz ist dasselbe vollends illusorisch gemacht worden.
Meine Herren, wo derartige Zustände existiren, wo das Koalitionsrecht derartig illusorisch gemacht wird, da kann nicht die Rede davon sein, daß auf dem Wege der freien Vereinbarung der Normalarbeitstag durchgesetzt werden kann. Der Normalarbeitstag wird aber nicht blos von uns, sondern von den Sozialpolitikern der konservativen Richtung und überhaupt von Menschenfreunden der verschiedensten politischen Parteien für nothwendig erklärt, um der übermäßigen Ausbeutung ein Ziel zu setzen. Es ist vielleicht der Ausdruck, Normalarbeitstag" nicht ganz richtig, es würde richtiger gesagt werden, Marimal arbeitstag", denn es gibt eine ganze Reihe von Geschäften, in denen der Arbeitstag nicht länger dauert als 8-9 Stunden, und die Arbeiter dieser Branchen würden sich selbstverständlich dafür bedanken, durch ein Gesetz an einen zehnstündigen Arbeitstag gebunden zu werden.
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Da wird uns von liberaler Seite entgegengehalten, wenn. ihr den Normalarbeitstag wollt, müßte konsequenter Weise auch ein Normalarbeitslohn festgesetzt werden. Ein Normal arbeitslohn wird nicht nöthig sein, er wäre auch ein Ding der Unmöglichkeit, allein einen Minimal arbeitslohn einzuführen, wäre durchaus nicht so unmöglich, und Diejenigen, welche sich mit dem Studium der Nationalökonomie nur einigermäßen beschäftigt haben, werden sich erinnern, daß schon von Rodbertus eine derartige Forderung aufgestellt wurde, und daß derselbe eine Skala dazu bekannt gegeben hat, die nach meiner Ansicht in sehr richtiger Weise die Schwankungen und Unterschiede zwischen den verschiedenen Verdiensten einzelner Geschäftsbranchen festgesetzt hatte. Also, wenn man auch darauf kommen wollte, einen Minimalarbeitslohn festzusetzen, so hätten wir dagegen nichts einzuwenden. Wenn dagegen angeführt werden sollte, daß durch den Minimalarbeitslohn den schlechten Arbeitern Vorschub geleistet werden sollte, so ist das durchaus nicht der Fall. Eine der besten Arbeiterorganisationen in Deutschland , der deutsche Buchdruckerverband, hat schon seit vielen Jahren einen Minimalarbeitslohn festgesetzt, und ich habe von Prinzipalen der Buchdrucker branche noch nicht darüber klagen gehört, daß ein gewisses Minimum des Arbeitslohnes eristirt, unter welches sie bei Bezahlung nicht herabgehen sollen; es wird im Gegentheil nach meiner festen Ueberzeugung durch einen derartigen Minimalarbeitslohn der Lehrling, der angehende Arbeiter angespornt werden, eine derartige Fertigkeit in seiner Branche zu erlangen, daß er diesen Minimalarbeitslohn unter allen Umständen verdienen kann, weil er sonst gewärtig sein muß, in seinem Fache nirgends Arbeit zu bekommen, und dadurch vielleicht zum Tagelöhner, zum Arbeitsmann herabsinken muß.
Der Herr Reichskanzler hat gestern mit einer gewissen Wehmuth gesagt, daß es ihn so sehr betrübe, daß gerade in den großen Industriezentren, in den großen Städten, wo viele Arbeiter vorhanden sind, die Wahlen so oppositionell, so regierungsfeindlich ausgefallen sind. Nun, meine Herren, wenn der Herr Reichskanzler dabei besonders die sozialdemokratischen Wahlen im Auge gehabt hat, so erlaube ich mir dar auf zu bemerken, daß diese sozialdemokratischen Wahlen im Allgemeinen allerdings als oppositionell oder, wenn Sie das so nennen wollen, als regierungsfeindlich aufzufassen sind; sie sind aber nicht durchweg als feindlich gegenüber den sozialistischen Plänen des Reichskanzlers aufzufaffen.
( Hört! rechts.)
Im Gegentheil, ein Theil der sozialdemokratischen Wahlen ist geradezu als eine Demonstration der Arbeiter gegen das neutrale Verhalten der Herren Manchestermänner zu betrachten; die Arbeiter haben damit ausdrücken wollen, sie wollen, daß endlich etwas Positives geschehe, und weil dies seitens des Liberalismus bisher nicht geschehen, darum haben sie Sozialdemokraten gewählt, welche erklärt haben, daß sie nicht abgeneigt seien, die sozialpolitischen Pläne des Kanzlers zu prüfen und, falls die selben brauchbar, sie zu akzeptiren. So liegt die Sache, und das ist hier ausdrücklich zu erklären.
Wenn aber im Allgemeinen diese sozialdemokratischen Wahlen darthun, daß das arbeitende Volk äußerst mißtrauisch gegenüber diesen Plänen des Herrn Reichskanzlers ist, so hat dies doch seine sehr begründeten Ursachen.
Redner erwähnt die Auflösung von Gewerkschaften, die Beschlagnahme von Gewerkschaftskassen, und fährt dann fort:
Meine Herren, das hat so kolossale Erbitterung hervor gerufen man bezeichnet nämlich die Art und Weise, wie diese Gelder weggenommen worden sind, in Arbeiterkreisen mit einem viel drastischeren Ausdruck, den ich hier nicht vorführen will, weil ich mir keinen Ordnungsruf zuziehen will nungsruf zuziehen will das hat so folossale Erbitterung hervorgerufen, daß die Regierung sich nicht wundern darf, wenn die Arbeiter ihr nicht mit offenen Armen entgegenfliegen wegeneinpaar kleinigkeiten, die sie mit den Reformplänen uns entgegenbringen will. Als ich gelegentlich einer Wählerzuſammenkunft in Nürnberg meinen Parteigenossen den Vorschlag machte, daß man die kanzlerischen Pläne ruhig prüfen müsse, und sofern sie für den Arbeiter etwas Positives bieten, darauf eingehen, da ist mir von Arbeitern gesagt worden, diese Kanzlerpläne seien, wenn man das ganze Berhalten der Regierung gegen uns betrachte, als nichts anderes aufzufassen als ein Wahlschwindel, an den nach den Wahlen nicht mehr gedacht werde.
Soweit haben Sie es mit dem Sozialistengesetz und dessen Handhabung gebracht, daß das Vertrauen in den Arbeiterkreisen vollständig geschwun den ist. Und wenn nun die Interpellation des Abgeordneten v. Hertling in einer Weise beantwortet wird, wie es gestern der Herr Reichskanzler gethan hat, der weit manchesterlicher gesprochen hat, als das seine zahlreichen Freunde auf sozialpolitischem Gebiete vielleicht erwartet haben dürften, so wird man damit den Arbeitern dieses Vertrauen nicht erhöhen, sondern dieselben werden sich mehr als je überlegen, was sie gegenüber allen diesen Dingen zu thun haben. Man wird noch viel zurückhaltender in Arbeiterkreisen sein, wenn man hört, daß auch Fürst Bismarck der durchaus veralteten Anschauung huldigt, daß nicht zu sehr in die wirthschaftliche Freiheit ein gegriffen werde im Punkte der Arbeitszeit u. s. w., und daß derselbe sogar auf dem Standpunkt steht, die Industrie sei die Henne, welche für den Arbeiterstand die goldenen Eier lege. Wir, meine Herren, und mit uns noch verschiedene andere Leute, sind der Ansicht, daß gerade das Umgekehrte der Fall ist, daß der Arbeiterstand es ist, welcher den Herren Industriellen die goldenen Eier legt, und daß deshalb von einem Schlachten der Henne, welche für die Arbeiter diese goldenen Eier legt, gar nicht die Rede sein kann.