weisen, so weiß sofort der Kondukteur und das sonstige Fahrpublikum, daß es sich hier um einen Beaufsichtigten, vielleicht um einen verfolgten gefährlichen Verbrecher handelt. Abends gehen sie sogar bis in die Kneiplokale nach und scheuen sich auch nicht, in's Parlamentsgebäude einzudringen, um dort nachzufragen, ob der oder Jener noch da oder schon fortgegangen sei. Während der Sizungen treiben sie sich auf den Tribünen des Hauses unter den Zuhörern herum, um ihre Opfer besser von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen. Doch auch diese benützen jede Gelegenheit, theils um den Elenden ab und zu einmal auszukommen, theils um sie gleichfalls genau kennen zu lernen, und so gelegentlich auf der Hut sein zu können. Es hat dabei schon die ergötzlichsten Szenen, zum Theil auch ganz schroffe Zusammenstöße und Auseinandersetzungen mit dem Gesindel gegeben. Die natürliche Folge eines gelungenen„ Versetzens", wie der Berliner Kunstausdruck für Frreführen lautet, ist natürlich, daß die Kerle, um ihr trauriges Brot nicht zu verlieren, ihren Auftraggebern irgend etwas über den Aufenthalt der ihnen aus den Augen Gekommenen vorlügen. Da werden dann die Berichte über angebliche geheime Zusammenkünfte und wer weiß was noch konstruirt, und diese Falsifikate dienen dann bei Ausweisungen und sonstigen Maßregeln als ,, Beweismaterial". Dies Alles schilderte Grillenberger, der sich einige Tage ganz besonders auf die Beobachtung dieser merkwürdigen Garde verlegt hatte, in schärfster Weise, nannte das Verfahren einen unerhörten Skandal, der die Würde des ganzen Parlaments verletze, denn es handle sich hier nicht darum, daß die Verfolgten sozialdemokratische, sondern daß sie überhaupt Abgeordnete sind. Der Mehrzahl des„ hohen Hauses" erschienen diese niederträchtigen Chitanen, wie Redner die polizeilichen Frechheiten nannte, ohne dafür einen Ordnungsruf zu erhalten, ganz unglaublich. Ihr Erstaunen und zum großen Theil doch auch Entrüstung machte sich in unzweideutigster Weise Luft. Die Herren Regierungsvertreter schwiegen zu den Angriffen, gestanden also einfach ihre Schuld ein; auf der„ linken Seite" aber, bei den Herren Fortschrittlern 2c., fand sich keiner, der es der Mühe werth gefunden hätte, eine Debatte über diesen wichtigen Punkt zu veranlassen. Das Praktischste wird wohl sein, wenn einer der chikanirten Abgeordneten einmal nach drückliche Selbsthilfe übt, um den groben Unfug vor Gericht und damit vor das Forum der ganzen politisch denkenden Welt zu ziehen.
- Wer ist der Verbrecher?„ nof ist einer der jenigen Menschen, welche nur aus dem verwerflichen Motive ein Verbrechen verüben, um für längere Zeit im Zuchthaus untergebracht zu werden."
Also beginnt der„ Dresdener Anzeiger" vom 21. Januar d. J. seinen Bericht über die Gerichtsverhandlungen des vorhergehenden Tages und erzählt mit Behagen, wie der verwerfliche" Knof, der einen Heuschober in Brand gesteckt, seinen Wunsch, im Zuchthaus untergebracht zu werden, von den mitleidigen Geschwornen erfüllt bekommen hat( sie schenkten ihm vier Jahre Zuchthaus nebst 8 Jahren Ehrverlust als freundliche Zugabe).
Es fällt uns nicht ein, über den Zeitungsschreiber, der diesen moralischen Ausspruch verübt hat, die Zornesschaale sittlicher Entrüstung auszugießen. Der Mann hat sich bei der Sache aller Wahrscheinlichkeit nach gar nichts gedacht und nur gedankenlos nachgeplappert, was die ,, gute Gesellschaft" von so verwerflichen" Subjekten, wie diesem Knof, denkt oder doch zu denken behauptet. Aber welcher Abgrund von Elend und Frivolität enthüllt sich uns in dem abgedruckten Saße des Penny- a- liners! In welchem Zustande des Elends muß der unglückliche Knof gewesen sein, daß er das so mächtige Gefühl der persönlichen Freiheit in sich erstickte und in der öden Sklaverei des Zuchthauses Rettung suchte! Wie furchtbar muß der Wolf Hunger ihn zerfleischt haben, daß ihm die Hungerdiät des Zuchthauses als verlockender Lurus erschien!"
Auf der anderen Seite aber, welch' bodenlose Frivolität, dies grauenhafte Selbstopfer auf„ verwerfliche Motive" zurückzuführen! Worin bestehen die„ verwerflichen Motive"? Einfach in dem ersten und obersten aller Triebe: dem Selbsterhaltungstrieb in dem alles Andere zurückdrängenden Streben, den nagenden Hunger zu stillen, für den frierenden, müdgehetzten Körper ein warmes Obdach zu finden.
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Kann es eine furchtbarere, wuchtigere Anklage gegen die heutige Gesellschaft geben, als dieses tragische Selbstopfer zum Zwecke der Selbsterhaltung? Um das nackte Leben zu retten, auf die goldene Freiheit, auf jede Bequemlichkeit des Lebens verzichten das ist die eherne Nothwendigkeit, vor welche die mit ihrer Freiheit" und" Zivilisation" sich brüstende Bourgeoisie- Gesellschaft ihre im Konkurrenzkampf unterlegenen Glieder stellt; Hungertod, Verkommen in Schmutz, Nässe und Kälte oder das Zuchthaus! Das ist das Dilemma, in welchem die gerühmte ,, Humanität" der besten aller Welten gipfelt, so lautet das letzte Wort, welches die Bourgeoisie- Gesellschaft für die verzweifelnde Armuth hat- das ist, der Heuchlerphrasen entkleidet, in feigenblattloser Nacktheit, die Lösung der sozialen Frage" im Sinne der Bourgeoisie- Gesellschaft.
Ein berühmter englischer Arzt sagte vor einigen Jahren, das Gefäng niß sei die einzige, den bescheidensten Anforderungen der Gesundheitslehre entsprechende Wohnung der Armen.
Das ist wahr. Die Bourgeoisie- Gesellschaft degradirt den Menschen, drückt ihn unter das Niveau primitivster Lebenshaltung herab, läßt ihn unbarmherzig tiefer und tiefer sinken und schließlich zu Grunde gehen, und erkennt eine Verpflichtung der Humanität nur in den seltensten Ausnahmefällen an, wo der gehetzte Mensch entweder ein Verbrechen begeht oder körperlich und geistig gebrochen sich auf Gnade und Ungnade ergibt oder sonst in eklatanter Weise die öffentliche Aufmerksamkeit auf seine Noth, auf sein Unglück lenkt. Abgesehen vom Hospital ist das Gefängniß und Zuchthaus die einzige halbwegs menschliche Zuflucht, die sie der gehetzten Armuth bietet.
Und der böse Knof mit seinem ,, verwerflichen Motive" hat dies begriffen und sich aus Bosheit" in's Zuchthaus stecken lassen.
Schade, daß das Mittelstädt'sche Prügelregime noch nicht in's Strafgesetzbuch aufgenommen ist- dann könnte man dem bösen Knof für sein„ verwerfliches Motiv" jeden Morgen und Abend„ Fünfundzwanzig" aufzählen.
Einige gelegentliche Hiebe wird's freilich auch so setzen!
Denn nur auf diese Weise erzieht die heutige Gesellschaft gute Staatsbürger".
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Ein objektiver Staatsanwalt! In Freiberg stand dieser Tage vor Gericht der Betriebsdirektor der Himmelfahrt Fundgrube Wengler, und der Kunststeiger Schmidt, beide angeklagt der fahrlässigen Tödtung. Durch Unterlassen der nöthigen Schutzvorrichtungen hatten die Angeklagten das bekannte Grubenunglück, den Tod von, wenn wir uns recht erinnern, über 30 Arbeitern verschuldet. Die Schuld war, was Wengler anbetrifft, so evident, daß sie nicht abzuleugnen ist. Und nun höre man die, wie das mastbürgerliche Leipziger Tageblatt " meldet, sehr ruhig und„ objektiv" gehaltene Anklagerede des Staatsanwaltes" Bernhard heißt der Biedermann
,, er, der Staatsanwalt, wäre der Letzte, der dem Betriebsdirektor einen Vorwurf daraus machen wollte, wenn er sich nicht um jeden Nagel, jede Schwinge, jede Fahrkunststange bekümmert hätte."
Natürlich, denn ein Betriebsdirektor erhält die 10- und mehrfache Bezahlung wie der Arbeiter nur, damit er sich um solche Kleinigkeiten nicht fümmere! Wunderbarerweise macht aber kurz hinterher derselbe Staatsanwalt alsdann dem Angeklagten Wengler zum Vorwurf, daß er seiner Pflicht, die Grube zu revidiren und seine Untergebenen zu kontroliren, nur ganz ungenügend nachgekommen sei und daß er durch sein ganzes hitziges, auffahrendes Wesen, das keinen Widerspruch geduldet, seine Leute scheu und ängstlich gemacht habe, so daß sie sich gefürchtet hätten, ihm Mittheilungen über nöthige
Reparaturen im Schachte zu machen."
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Was ist denn das, da hörte ja doch jede„ Objektivität" auf? Wenn das wahr ist, so ist ja Wengler schuldig, schuldig in erschwerendem Grade!
O, nein, ein„ objektiver" Staatsanwalt findet auch für so offenbare Pflichtverletzungen seine ,, mildernden Umstände". Es heißt nämlich weiter: ,, Der Staatsanwalt gab schließlich dem Gerichtshof im Falle(!) der Verurtheilung Wengler's als mildernde Gesichtspunkte anheim, daß er erstens eine qualvolle Zeit durchgemacht, seitdem das Unglück(!) passirt sei, daß er sich in den letzten Jahren dem Grubenvorstande gegenüber in einer schwierigen Lage befunden, denn dieser habe Ausbeute haben wollen, Wengler habe sie aber nicht geben können wegen der Silberpreise, die in hohem Grade zurückgegangen waren und daß Wengler endlich, wenn er verurtheilt werde, auch auf dem Zivilwege für den entstandenen Schaden werde belangt werden können."
Das sind doch gewiß Gründe, den armen Wengler freizusprechen. Die Todten bleiben ja doch todt, und schließlich waren es ja eigentlich nur Proletarier! Ja, wenn Wengler in Verzweiflung einen Heuschober angezündet hätte, das wäre ganz etwas Anderes. Vier Jahre in's Zuchthaus mit ihm! Aber ein„, Unglück" durch grobe Pflichtverletzung verschuldet zu haben, dafür genügt doch eigentlich die qualvolle Zeit, die Wengler seither durchgemacht, vollkommen als Sühne, denn wenn Sie ihn verurtheilen, meine Herren, dann kann der arme Wengler auch noch zivilrechtlich haftbar gemacht werden, und das wollen Sie doch gewiß nicht!
Solchen Argumenten wird der Gerichtshof hoffentlich sein Ohr nicht verschlossen haben( das Urtheil ist uns bis zur Stunde noch nicht be< fannt). Erfreulich bleibt es jedenfalls, wie ,, objektiv" die Staatsanwälte sein können, wenn es sich um ein Mitglied der ,, besseren Stände" handelt. Es ist eine herrliche Gesellschaft, in der wir leben!
- Zu dem„ Vorfall" in Konstanz ist ferner nachzutragen: " Irrthümlich" ins 3nch thaus gesteckt und irrthümlich erschossen zu werden, gehört zu dem Reichssegen neuesten Datums. Kurz nach Erschießung des angeblichen Festungssträflings Rieg, kursirte das Gerücht, der Erschossene sei gar nicht der eigentlich verfolgte Rieg! In der That war dieses Gerücht nicht unbegründet; denn nach dem ausgegebenen Signalement sollte derselbe hellblondes Haar haben, während der Erschossene dunkles hatte, ferner differirte die Körperlänge, welche im Signalement angegeben war, um drei Centimeter mit der des Erschossenen! Von Ulm aus wurde als sicheres Kennzeichen eine am Arme sich befindende Tätowirung telegraphisch gemeldet ,,, was jeden Zweifel aufhob", wie die„ Konstanzer Zeitung" bemerkte. Wenn man aber bedenkt, daß diese Tätowirungen bei der Armee sehr häufig vorkommen, ja daß sogar, wie Schreiber Dieses aus Erfahrung weiß, ein förmlicher Kultus damit getrieben wird, so ist hier die Möglichkeit, daß man einen Unschuldigen erschossen hat, durchaus nicht ausgeschlossen.
Freilich, es wäre nicht der Erste in Deutschland !
Ein Pfaffenst it ck chen. Unter den, Ende 1880 in der„ Hochverraths" Angelegenheit Verhafteten befand sich auch der Kaufmann Mezzkow in Berlin . Irgend ein Beweismittel gegen ihn war nicht vorhanden, und er hätte, wie die Mehrzahl der mit ihm zugleich Verhafteten, schießlich aus der Haft entlassen werden müssen, wenn nicht ja wenn nicht Gottes wunderbare Fügung selbst dafür gesorgt hätte, daß die schwere Schuld Mezzkows schon auf Erden gefühnt werde. Metzkow's Mutter war schwer erkrankt und fühlte sich dem Tode nahe. Erzogen im religiösen Aberglauben und beunruhigt über das Schicksal ihres Sohnes ließ sie sich den Gefängnißgeistlichen kommen. Was der Gottesmann ihr Alles vorge- betet, wissen wir nicht, kaum war er aber nach der Stadtvogtei zurückgekehrt, als er den ,, verlornen Sohn" in der Zelle aufsuchte und ihm den letzten Wunsch der sterbenden Mutter" mittheilte, er solle ihm dem Geistlichen wenigstens sein Herz erleichtern und ihm Alles mittheilen, was er verbrochen, er, der Pfaffe, werde dann die Mutter davon unterrichten, denn daß ihr Sohn Verbotenes gethan, das wisse sie leider. Natürlich weigerte sich Metzkow; der Pfaffe wußte ihm aber solange zuzusetzen, ihm so rührsam vorzumalen, welche Beruhigung es der kranken Frau gewähren würde, ein Geständniß ihres Sohnes in Händen zu haben, daß Mezkow sich schließlich erweichen ließ und auf einem Zettel der Mutter schrieb, er habe weiter nichts gethan, als einige ihm übersandte Flugblätter an Soldaten geschickt.
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Mit diesem Zettel in der Tasche ging der fromme Mann von dannen; schwer bedrückt es ihn, der Mitwisser einer solchen Frevelthat zu sein, indeß er hatte sein Wort gegeben, nichts zu verrathen, und Priester halten stets ihr Wort. Aber Gottes Wege sind oft wunderbar" noch wanderte der Priester sinnend den Korridor entlang, da stieg leise, ganz leise der Engel Gottes vom Himmel herab, nahm mit unsichtbarer Hand den Zettel aus des Gottergebenen Tasche und warf ihn auf den Boden. Dort der Zettel, nicht der Priester von einem Aufseher gefunden und dem Untersuchungsrichter übergeben. Nicht länger vermochte jetzt Metzkow zu leugnen, man behielt ihn in Haft, bis er vom frommem Reichsgericht zu der in seinem Falle höchst zulässigen Strafe von zwei Jahren Gefängniß ohne die geringste Anrechnung der elfmonatlichen Untersuchungshaft verdonnert wurde.
wurde er
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Nicht wahr, ein hübsches Pfaffenstückchen, dieses ,, Wunder" des 19. Jahrhunderts?
- Stieber, unser Stieber, die Seele des preußischen Regierungssystems, der noch als alter gelähmter Mann, wie sich im Leipziger Hochverrathsprozeß gezeigt hat, das Mausen nicht lassen konnte, der privilegirte Staats- und Gesellschaftsretter Stieber ist gestorben. Sein Tod ist für das neue preußisch- deutsche Reich ein großer Verlust. In Scham- und Gewiffenlosigkeit gibt ihm zwar das Heer seiner Nachfolger nichts nach, aber so plump, so tölpelhaft, wie die heutigen Ober- und Unterstiebers, war das Original denn doch nicht. In ihm starb ein vollendeter Schuft, seine Nachfolger sind nur Lumpe.
Bemerkenswerth ist es aber doch, welch' hohes Alter in Deutschland Lumpe wie Schufte erreichen. Sie sterben alle im Bett.
Madai und Konsorten brüsten sich ungemein damit, daß es ihnen Dank der Wachsamkeit ihrer Subjekte gelungen ist, zwei größere für Berlin bestimmte Sendungen des ,, Sozialdemokrat" abzufangen. Um diese großartige Leistung des organisirten Spigelthums von Berlin in ihrer vollen Bedeutung zu würdigen, heben wir hervor, daß seit Bestehen des„, Sozialdemokrat", d. h. seit mehr als zwei Jahren dies der erste Fang ist, der, abgesehen von einigen Knochen, die man den Spürhunden hin und wieder zur Ablenkung hingeworfen hat, ihnen in die gierigen Tatzen ge= fallen ist von ,, abfangen" ist nämlich gar nicht die Rede.
In unsere Arme, wadere Freundin! Wir erin nern daran, daß es deutsche Professoren waren, welche Deutschland im Jahre 1848 im Frankfurter Parlament um seine schönsten Hoffnungen brachte" schreibt die ,, Nordd. Allge= meine" in ihrer Sonnabend- Nummer. Das ist uns aus der Seele gesprochen! Die Professoren waren es bekanntlich, welche die Errichtung der deutschen Republik hintertrieben haben mit ihrer wie die „ Norddeutsche" wiederum sehr treffend sagt- theoretischen Professoren Recht haberei.
- Von sehr zweifelhafter Farbe" ist nach der„ Berliner Volkszeitung" das Wasser gewesen, welches jüngst im Reichstage dem durstigen Reichskanzler präsentirt wurde.„ Auch der Laie erkannte auf den ersten Blick die Gefahr, welche mit dem Genuß derartiger Flüssigkeiten verknüpft ist, zumal bei dem starken Bedarf des Fürsten ." Die Angriffe, welche der reichskanzlerische Antifortschritt gegen die städtischen Behörden in Berlin erhebt, scheinen daher
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doch nicht ganz unbegründet zu sein, wenigstens was die Wasserleitung anbetrifft.
Er muß ihnen doch sehr wehe gethan haben, den guten Fortschrittlern, mit seiner Zerstörung der konstitutionellen Legende, sonst würden sie nicht so böse werden!
Aus Dresden , 27. Januar, schreibt man uns: Die Schandthaten der sächsischen Justiz fanden endlich einmal an ,, maßgebender Stelle", im sächsischen Landtage, ihre entsprechende Rüge. Genosse Bebel ergriff bei Berathung des Justizetats das Wort und wies nach, daß die sächsische Regierung seit Anfang 1880 allein in Dresden nicht weniger als 90 ihrer politischen Gegner verhaften ließ. die Davon wurden 23 in der bekannten hier üblichen Weise verurtheilt, übrigen konnten selbst bei der hiesigen leichtfertigen Auslegung von Gesetzen und Ausnahmegesetzen nicht bestraft werden, ihre Verhaftung erwies sich als durchaus grundlos. Diese 67 grundlosen Verhaftungen von Gegnern der Regierung beweist, daß wir uns in Zuständen befinden, die selbst hinter russischer Rechtspflege nicht zurückbleiben. Selbst den sonst so indolenten Kammermitgliedern standen gleichsam die Haare zu Berge, als Bebel einzelne Proben der unerhörtesten Brutalitäten und Gewaltakte der Justiz vorführte.*) Bebel erzählte, wie der Abgeordnete Kayser nebst 12 Freunden in einer Delikatessenhandlung verhaftet und wegen Hochverrath denunzirt wurde, wiewohl ihm weiter nichts unterzuschieben war, als daß er das Geschäft eines verhafteten Genossen mit seinen Freunden frequentirt und daselbst Fische gegessen hatte. Weiter führte Bebel den Fall Tröger an: Nachdem das Reichsgericht längst entschieden, daß Weitergabe einer einzelnen verbotenen Zeitungsnummer nicht strafbar ist, wurde der Schlosser Tröger nicht nur wegen eines solchen Falles angeklagt, sondern von Arbeit und Familie weg verhaftet und vier Wochen eingesperrt unter dem Vorgeben, es sei Untersuchungshaft nöthig. Dabei lag der Fall so einfach, daß es gar nichts zu untersuchen gab! Nachdem diese Untersuchungshaft vier Wochen gedauert hatte, erfolgte erst die Verhandlung und selbstverständlich Freisprechung. Dann hielt Bebel der sächsischen Volksvertretung den tragischen Fall Lange vor. Nach der Verhaftung des Fischhändlers Paschky wegen Anklebens der Plakate:„ An das deutsche Volk" trat, um das Geschäft zu erhalten, der Maschinenbauer Lange als Kompagnon in die Firma Paschky ein und die Polizei, welche Andern immer Schlechtes zutraut, glaubte, dieser Eintritt erfolge zum Zwecke der Hinterziehung der Gerichtskosten. Obgleich dieser Verdacht an sich sehr unbegründet war und das gewitterte Vergehen ebenfalls nur ein geringfügiges ist, wurde Lange verhaftet und vier Monate in„ Untersuchungshaft" gehalten. Sodann erfolgte seine Freisprechung und Entlassung. Die Nerven des unglücklichen Opfers hatten aber im Gefängniß und unter dem Einfluß der vom Zaune gebrochenen, unendlich in die Länge gezogenen Untersuchung" so sehr gelitten, daß Lange in Verfolgungswahn verfiel und bald nach seiner Entlassung durch einen Sprung in die Elbe seinen Tod fand. Endlich führte Bebel an, daß ein Dresdener Kaufmann wenige Tage vor der Freiberger Stichwahl, bei welcher er den Wahlkampf für Kayser leitete, auf anonyme, grundlose Denunziation hin verhaftet wurde, und der Staatsanwalt ihm selbst sagte: Wären Sie nicht Sozialist, so würden Sie nicht verhaftet worden sein. Nach der Wahl wurde der Betreffende auch wirklich wieder freigelassen. Neben dieser gewaltthätigen Justiz rügte Bebel auch die rohe Behandlung, welche man politischen Gefangenen hier angedeihen läßt. Gewöhnlich werden sie mit Stricken gebunden über die Straßen geführt, den Sozia liften Paschky belastete man aber sogar mit Ketten und schleppte ihn so durch die Stadt bei seinem Geschäftslokal vorüber, so daß seine Frau, welche den Transport sah, ohnmächtig zusammenſant.
Dem Justizminister waren diese Enthüllungen höchst unbequem, er mochte sich schon der Hoffnung hingegeben haben, daß nach der Unterdrückung der sozialistischen Presse in Dresden solche Fälle nicht mehr öffentlich gebrandmarkt werden könnten. Er half sich mit der allen Ministern, deren Ministerbank zur Anklagebank wird, geläufigen Ausrede, er wisse von diesen Fällen nichts und müsse erst recherchiren. Letzteres wird er höchstens thun, um den betreffenden Beamten eine persönliche Zulage" zu ihrem Gehalte zu bewilligen, denn die Korruption der Richter wird hier von oben herab gefördert. Die Kammerdirektoren sind blinde Werkzeuge des Justizministers, die Landgerichtsräthe als Untersuchungsrichter find angewiesen, nach polizeilichen Inspirationen und staatsanwaltlichen Spitzfindigkeiten zu handeln, und die untersten Amtsrichter sind noch die selbstständigsten Beamten in der Dresdener Justiz.
Außer dem Angeführten geißelte Bebel auch die Thatsache, daß mächtige Justizbeamte gleichzeitig Parteiagitatoren find, und führte das eklatante Beispiel von Mangoldt an, der die mit jesuitischen Verdrehungen und Lügen gespickten Wahlaufrufe der Konservativen unterzeichnet und als reaktionärer Wühler schlimmster Sorte dennoch den Richterstuhl einnimmt, um über seinen politischen Gegner ,, Recht" zu sprechen.
Wenn man in einem Rechtsstaate, in welchem wir ja angeblich leben sollen, dem Justizminister in der Kammer solche Dinge über seine Beamten sagte, er würde das ganze Gesindel fortjagen und selbst hinterher gehen. Hier sind wir bereits so tief in die Korruption versunken, daß ein Kopfschütteln der ehrlichen Leute und möglichstes Todtschweigen dieser Enthüllungen in der Presse die ganze Folge ist. Auf parlamentarischem Wege kommen wir aus diesem Sumpfe nicht heraus.
Aus Oesterreich schreibt man uns: Die Nachrichten vom Kriegsschauplate laufen spärlich ein, trotz aller offiziösen Verdrehungen geht aber doch soviel aus ihnen hervor, daß die Insurgenten die Offensive ergriffen haben und die kaiserlichen Truppen allenthalben zurück drängen. Ferner steht fest, daß das Calcul der Regierung in der Kreditvorlage an die Delegationen sich schon während des Druckes derselben als verfehlt herausgestellt hat. Diese Vorlage spricht die Hoffnung aus, daß acht Millionen Gulben zur Deckung der Kosten des Feldzuges genügen werden: kaum ist sie gedruckt, erklärt der Kriegsminister, er müsse viel mehr verlangen.
Er wird auch mit dem Doppelten und Dreifachen nicht auskommen. Schon der Occupationsfeldzug kostete enorme Opfer. Damals hatte es Desterreich blos mit den mohamedanischen Begs zu thun. Außerdem traten damals die Montenegriner die beiden Bezirke Bilek und Gazko freiwillig an die Desterreicher ab. Dießmal sind diese beiden Bezirke mit in der Empörung begriffen, und diese geht von den Christen aus ohne die Mohamedaner auszuschließen. So schroff die Gegensätze zwischen beiden in Friedenszeiten sein mögen, dem gemeinsamen Feinde gegenüber sind sie einig.
Vorzüglich bewaffnet, abgehärtet, mit den Bodenverhältnissen wohl vertraut, dabei begeistert von einem urwüchsigen wilden Freiheitsdrange, können die nomadisirenden Bewohner der Herzegowina wohl erdrückt, nicht aber besiegt werden. Ersteres ist aber nicht leicht möglich, da die Unfruchtbarkeit und Unwegsamkeit des Landes erfordert, daß alle Heeresbedürfnisse, im Sommer selbst Wasser, den Truppenkörpern auf Tragthieren nachfolgen. An eine Entfaltung großer Massen ist unter solchen Umständen nicht zu denken. Und selbst dann, wenn es den österreichischen Feldherrn gelingen sollte, aller dieser Schwierigkeiten Herr zu werden was zu glauben bei der bekannten Genialität unsere Generäle nicht die mindeste Veranlassung vorliegt ist der Aufstand unfaßbar, so lange - ihm die Rückzugslinien Serbien , Albanien und die Gegend von Mitrowiza, namentlich aber Montenegro offen stehen, von wo aus die zurückgedrängten Insurgenten bei günstiger Gelegenheit wieder hervorbrechen können.
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*) Eine detaillirte Statistik der sächsischen Justizinfamien bringen wir in nächster Nummer zum Abdruck.