mal praktizirt werden. Wohl aber möchte ich wünschen, daß von allen Parteigenossen die agitatorischen sowohl, wie die didaktischen Talente, welche in verschiedenen Persönlichkeiten verkörpert sind, als Blüthen am Baume der Partei betrachtet werden.

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Ebensowenig wie wir erwarten dürfen, mit wissenschaftlichen Gründen unsere Feinde zu überzeugen sie wollen nicht belehrt, sondern gehauen sein ebensowenig dürfen wir verkennen, daß die Wahrheit eine Macht ist, welche vorab aus der Mittelklasse, die zwischen Hangen und Bangen schwebt, manchen Indifferenten zu uns herüberzieht. Ja, die Macht der Wahrheit ist so groß, daß sie auch im Heere der Widersacher noch manchen Verstockten zu bekehren vermag. Und über solche Sünder, die Buße thun, ist dann mehr Freude, wie über tausend Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.

Denen, die so geringschäßig von der akademischen Diskussion denken und es gibt deren Viele erlaube ich mir die Erwägung zu unter­breiten, wie affenartig geschwind sich die Völker bekehren, wenn irgend ein höheres Thier" dergleichen vormacht. Wir dürfen uns deshalb an­gelegen sein lassen, auch höhere Thiere" einzufangen. Wer einem Professor ein sozialdemokratisches Licht aufsteckt, der führt uns mit einer solchen Autorität" die Proselyten duizendweise zu.

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J. Dietgen.

Guten nichts aus, und dann: Was wollen die Herren denn eigentlich?

Die preußisch- deutsche Armee steht in Feindes Land und mit dem Feinde wird bekanntlich nicht lange gefackelt. Der Feind ist das deutsche Volk, von dem zirka zwei Millionen unter dem Banne des Be­lagerungszustandes sich befinden. Die Kriegskontributionen werden mit äußerster Strenge erhoben, ein scharfer Kordon ist um das Land gezogen, um Nichts hereinzulassen, was Denen, die es besetzt halten, etwa mißfällt. Je unentbehrlicher dem Volke die einzuführende Waare ist, um so schärfer der Zoll, den sie an die Kriegsherren zu entrichten hat; gesunde geistige Nahrung wird gar nicht herübergelassen.

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Der Kriegsherr unterhandelt mit dem Feinde durch die von demselben unter Kontrole der Beamten dieses Kriegsherrn gewählten Vertreter. Wehe aber diesen, wenn sie es wagen, dem Willen des Kriegsherrn nicht sofort zu entsprechen! Es ist Mein höchsteigener Wille", herrscht er ihnen zu, und des besonderen Nachdrucks wegen läßt er seinen Willen" im ganzen besetzten Gebiet öffentlich anschlagen. Seine Drohungen werden prompt ausgeführt, seine Versprechen dagegen, Botschaft" genannt, ebenso gehalten, wie sein Versprechen von 1870:" Ich führe keinen Krieg mit dem französischen Volk!" das heißt, sobald es an's Einhalten geht, ver- geffen.

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Eine Armee im Feindesland muß aber ihre ganzen Dispositionen danach treffen, dem Feind Respekt einzuflößen. Daher bekommen die

Ein Brief aus den Bergwerken Sibirens.*) ausgestellten Wachen auch scharfe Patronen und den Auftrag, nieder­

Ich weiß nicht, ob der Brief in Deine Hände kommt. Bis jetzt schrieb ich nicht, weil ich durch die hiesige äußerst strenge behördliche Aufsicht daran verhindert war. Im Dezember 1880 erschienen neue Instruk tionen" von Loris- Melitow, worin unter anderen äußerst strengen Maß­regeln folgende speziell auf uns, die aus politischen Gründen zu Berg­werfarbeit Verurtheilten, gemünzt waren:

Wir haben nicht das Recht, wie es die gemeinen Verbrecher haben, nach Ablauf der Prüfungsfrist ins Freie" zu gehen; wir haben nicht das Recht, zu irgend einer Zeit die Ketten abzulegen. Kurz, es ist uns alles verboten, was uns in einer mehr oder weniger entfernten Zukunft das Leben leichter gemacht und zum Mindesten die Hoffnung nicht ge­raubt hätte, in der Freiheit( und sei es auch eine fiktive) zu sterben. Ja, diese liberalen Maßregeln" haben uns selbst das Recht geraubt, welches, glaube ich, noch nie irgend einem Verbrecher genommen wurde, das Recht nämlich, unseren nächsten Angehörigen, dem Vater, der Mutter, der Frau, von uns Kunde zu geben.

Weißt Du, daß ich aller Rechte verlustig erklärt worden bin, und daß buchstäblich unser Leben und unsere Ehre von der Willkür, von der Gnade der Beamten abhängig ist? Ich habe keine Hoffnung mehr, irgend jemals das Sonnenlicht zu erblicken; denke nicht, daß ich mich beklage. Ich wußte von Anfang an, was mich erwartet und habe mich längst mit dem Gedanken an den Tod befreundet.

Wir arbeiten von 6 Uhr früh bis 7 oder 8 Uhr Abends. Wir arbeiten in den Gruben inmitten von eiskaltem Wasser, das manchmal bis an die Knie reicht. Der Grund besteht fast ausschließlich aus kleinen und größeren Steinen, die erst mit dem Spaten aufgewühlt werden müssen, bevor sie abgehoben werden können. Unser regelmäßiges Arbeitspensum besteht in zwei Kubiksaschen**), aber wir arbeiten für Lohn oft bis zu drei Kubiksaschen, was uns gestattet, 2-3 Mal die Woche eine Grüße und ungefähr 3/4 Pfund Fleisch zu erhalten. Letzteres zwar nicht ganz frisch, aber es ist doch besser als das trockene Gefängnißbrod. Abends kehren wir von der Arbeit ganz erschöpft zurück, so daß wir fast gleich schlafen gehen: lesen und geistig zu arbeiten ist ganz unmöglich. Eine solche Arbeit dauert übrigens nur bis zur kalten Zeit; dann werden wir für den Staat arbeiten und werden mehr Muße haben, aber dann werden wir auch nichts verdienen.

Der Postverkehr ist ein sehr unregelmäßiger. Im Herbst und Frühling kommen sogar die Zeitungen nur einmal in 3-4 Wochen, von Packeten und Briefen nicht zu reden. Briefe gehen über Tschita ", d. h. sie kommen hierher, werden dem Gouverneur zugeschickt, liegen bei ihm lange Zeit und kommen erst dann zurück in unsere Hände. Alles dies nimmt zwei bis drei Monate, manchmal auch mehr in Anspruch.

Wie schlimm es um uns steht, kannst Du schon daraus sehen, daß wir im Jahre 1881 vier Genossen zu Grabe trugen. Semjanowsky und Rodin haben ihrem Leben selbst ein Ende gemacht. Der Unbekannte***) und Krivo­schejin sind gestorben. Die Kowalewskaja ist wahnsinnig geworden. Das­selbe Schicksal erwartet Viele, und unzweifelhaft wird es ihrer je länger je mehr geben.

Wir leben in zwei ziemlich engen und schmutzigen Zellen. Medizinische Hilfe gibt es keine. Im September oder Oktober werden wir in ein anderes Zentralgefängniß übergeführt werden, das tief im Gebirge liegt, fern von jedem Verkehr. Hier in der mittleren Kara sehen wir wenigstens manchmal Menschen, dort wird auch dieses fehlen. Im Oktober erwarten wir Zuzug. Jetzt sind unserer 80 Mann, die Frauen nicht eingerechnet, welche in einem besonderen Gefängniß internirt sind.

Wir haben Mangel an Allem, Büchern, Wäsche, Schuhwerk und Geld. Unsere Qualen sind groß; wir wären zufrieden, nur ein Stündchen im Freien verbringen zu dürfen, nur ein einziges Stündchen; wir brauchen fein Erbarmen, kein Mitleid, wir haben die Kraft, ebenso zu endigen, wie wir angefangen haben.... Ich persönlich fühle jetzt viel mehr Haß als ich bis jetzt fühlte. Früher habe ich ja mehr geliebt als gehaßt. Lebt wohl, theure Freunde, das ist mein letzter Brief. Wer weiß, was uns noch erwartet.

Wenn Du unsere Zelle beträtest, so würdest Du im ersten Augenblick bei weitem nicht dieselbe Stimmung finden, der ich soeben Ausdruck gegeben. Lachen, Spaß und Gesang. Je schrecklicher, verzweifelter die Lage, desto mehr äußerlicher Frohsinn und Lachen. Wenn die Arbeit aufhören wird, d. h. am 15. November, will ich versuchen, zu lernen.

Sozialpolitische Rundschau.

3ürich, 15. Februar 1882. In Feindesland. Die Berliner Knabenerschießung saffaire, über die wir in voriger Nummer bereits kurz berichteten, ist jetzt klar­gestellt. Es ist Alles in schönster Ordnung. Der Soldat hat nur seine Pflicht gethan. Ja noch mehr, er hat seine Pflicht mit außerordentlicher Bravour erfüllt, denn drei Knaben mit einem Mal zu treffen, darunter zwei tödtlich, das ist keine Kleinigkeit. Er verdient also offene Anerken­nung und ist daher auf Allerhöchsten Befehl" Se. Majestät, Kaiser Wilhelm der Mildherzige, soll vor Entzücken ganz bes- eeligt ge­wesen sein vor versammeltem Kriegsvolk freigesprochen worden. Eine Auszeichnung wird nicht auf sich warten lassen. Einige fortschrittliche Zeitungen haben angesichts der erregten Stim mung des Volkes schwache Versuche in Entrüstung" gemacht, es ist ihnen aber nicht gelungen. Wider den heiligen Militarismus richten die

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*) Dieser Brief ist erst vor wenigen Wochen, natürlich auf Umwegen, in die Hände unserer russischen Freunde gelangt. Er rührt von einem jungen, eifrigen und opferwilligen Propagandisten her, der ein Leben voll der glänzendsten Aussichten für seine Ueberzeugung in die Schanze schlug. Näheres über ihn dürfen wir nicht mittheilen, um seine Lage nicht noch zu verschlimmern.

**) Ein Kubitsaschin ca. 15% Rubikmeter.

***) Einer der Vielen, die vor den russischen Gerichten ihren Namen anzugeben sich weigern.

zuknallen, was ihnen nicht Ordre parirt. Bei Feinden nimmt man es mit dem Menschenleben nicht so genau.

Man denke nur, was im obigen Falle auf dem Spiele stand. Der Soldat hatte die sogenannte Invalidensäule, ein Denkmal von 60 Meter Höhe und 21/2 Meter Umfang, zu bewachen. Wie leicht konnte diese Säule gestohlen werden! An Taschendieben fehlt es in der Groß­stadt ohnehin nicht. Der Soldat mußte schon aus diesem Grunde mit scharfen Patronen versehen werden. Die dumme Bevölkerung sieht das nicht ein, deshalb wurden auch in allen Schulen, von der Abc- Klasse der Volksschule bis zur Oberprima der Gymnasien, sofort nach der Erefution die Kriegsartikel vorgelesen. Kinder sind bekanntlich am bildungsfähigsten, sie werden es daher auch leicht begreifen, welchen Respekt die Besatzungs­armee verlangen kann in Feindesland.

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In Feindesland! Die Instruktionen der Soldaten, die Privilegien der Offiziere, die Furcht der Hohen und Allerhöchsten" Personen vor dem Volke beweisen es, daß sie sich wie in Feindesland fühlen.

Wann endlich aber, o Volf, wirst Du einsehen, daß Du den Feind im Lande haft? Daß, wie Dir Herwegh schon im Jahre 1870 zurief, Du Dich

gleich Kindern läßt betrügen, o weh!

Bis Du zu spät erkennst

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Die Wacht am Rhein kann nicht genügen, Der schlimmste Feind steht an der Spree !

An der Spree erschießt man heute Deine Kinder, deutsches Volk! Auf Allerhöchsten Befehl!

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Er hat so geendet, wie wir vorausgesagt, der Feldzug gegen die Börse nämlich mit einem großen Fiasko. Auf der ganzen Linie wird zum Rückzuge geblasen, nur Stöcker's Meute bellt noch nach Verbot des" unfittlichen" Börsenspiels um Gimpel zu fangen. Der verlogene Pfaffe macht jetzt wieder stark in Judenheze und reitet dabei auf der frechen Lüge herum, Mary und Lassalle hätten die Arbeiter nur gegen das christliche produktive Kapital der Fabrikanten gehetzt, nicht aber gegen das jüdisch- unproduktive der Börse. Die studen­tischen Saufgenies und die armen Teufel von halbruinirten Handwerks­meistern, welche seinen Heerbann bilden und natürlich nie einen Blick in die Schriften der Genannten gethan, flatschen begeistert Beifall und triumphirend steigt der Vernichter" der jüdischen Sozialisten von der Tribüne, seinem strebsamen Kampfgenossen Adolph Wagner herab­laffend auf die Schulter klopfend, als wollte er ihm sagen: Siehst Du, mein Bruder in Christo, was der Glaube gegen das Wissen vermag? Du hast zu viel gelesen und stolperst alle Augenblicke über Dein besseres Wiffen. Mir fann das nicht passiren. Meine hofpredigerliche Unwissenheit schützt mich vor solchen Schwächen. Wenn ich auf der Tribüne stehe, so bilde ich mir ein, ich hätte mein Allerdurchlauchtigstes, Allergnädigstes Pfarrkind vor mir, und da schwatze ich das Blaue vom Himmel herunter, je sinnloser, um so besser.

Lassen wir aber den widerlichen Dompfaffen und kehren wir zu unse­rem Schmerzenskind, dem Kulturkampf gegen die Börse, zurück. Man verhehlt sich in maßgebenden Kreisen die Schwierigkeiten nicht, heißt es offiziös, auf welche das Eingreifen des Gesetzgebers stößt, wenn es gilt, das unsolide Geschäft zu treffen, ohne das solide dabei zu schädigen. Stimmt auffallend mit dem, was wir in voriger Nummer voraussagten. Wo hört das solide" Geschäft auf und wo fängt das unsolide an, das ist die Preisfrage, vor der die Weisen der heutigen Gesellschaft so rathlos stehen wie Buridans Esel vor den zwei Heubündeln.

Aber nehmen wir nun einmal an, sie hätten das Kunststück fertig ge­bracht und mit mehr oder weniger Ungeschick eine Grenze statuirt. Wie nun eingreifen? Neue Rathlosigkeit, die sich nicht klassischer kennzeichnen läßt, als durch den Umstand, daß man in Deutschland dem unsoliden" Diffe­renzspiel den Todesstoß dadurch zu versetzen meint, daß man die Diffe­renzschulden für nicht einflagbar erklärt, in Frankreich aber, wo sie heute nicht einklagbar sind, dasselbe Kunststück dadurch verrichten will, daß man sie für einklagbar erklärt. Wieder die berühmten zwei Heu­bündel, zwischen denen unsere gesetzgeberischen Esel sich die Köpfe zer­brechen. Laffen wir sie bei dieser nützlichen Beschäftigung!

Bravo! rufen wir aus vollem Herzen unsern Genossen im sächsischen Landtage zu, und mit uns gewiß jeder Genosse im In- und Auslande. Es ist eine wahre Freude, zu sehen, wie scharf unsere Freunde dort gegen Polizei und Unternehmerthum zu Felde ziehen, wie sie es verstehen, immer und immer wieder die Aufmerksamkeit des Volkes auf die schmachvollen Brutalitäten zu lenken, deren Opfer die sächsischen Arbeiter seit mehreren Jahren sind, wie sie durch ihre fühne und energische Sprache nicht nur das Rechtsgefühl, sondern auch das Rechts bewußtsein des Volkes zu wecken wissen, den heutigen Macht­habern aber die heuchlerische Maske der Schützer von Recht und Frei­heit" vom Gesicht reißen und sie dem Volke in ihrer wahren Gestalt als Unterdrücker der Freiheit, als Verächter des Rechtes bloßstellen. Wenn die schändlichen Gewaltakte damit auch nicht gefühnt find, so ist doch der Entrüftung über die Vergewaltigung in so wuchtigen Hieben Ausdruck gegeben worden, daß die Schuldigen sich in eine wahr­haft klägliche Defensive flüchten mußten.

Am 9. Februar", schreibt uns unser Korrespondent aus Sachsen ,,, hielt die Sozialdemokratie im sächsischen Landtag wieder einmal Abrechnung mit ihren Unterdrückern."

Die Sigung dauerte den ganzen Tag und begann mit einem Renkontre zwischen Bebel und dem Justiz minister. Der Letztere suchte Bebel's Angaben über Justizwillkür, die derselbe vorige Woche bei der Budget­berathung gemacht hatte, zu widerlegen. Zuerst stellte er die Behauptung des Sozialdemokrat", daß eine der großen Prozeßverhandlungen durch den Präsidenten Wehinger eröffnet und nach Ausschluß der Deffent­lichkeit von Mangoldt fortgesetzt worden wäre, pathetisch in Abrede; es sei dies durchaus nicht wahr, sondern Mangoldt worauf es nämlich ankam habe die Sigung von Anfang an geleitet. Da die Sache auch den Korrespondenten des" Sozialdemokrat" berührt, so kann derselbe hier nur erklären, daß, wenn ein Frrthum vorliegt, das Gericht denselben selbst verschuldet hat, indem es die Oeffentlichkeit aus­schloß, so daß die Berichterstattung auf's Hörensagen angewiesen war. Wenn der Gerichtshof gerechte Sache hatte, brauchte er die Oeffentlichkeit nicht zu schenen. Wenn aber Euere Abwürgung politischer Gegner und

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Mangoldt hat gegen Sozialisten kandidirt und agitirt! hinter spanischen Wänden stattfindet, so ist für die Beurtheilung des Verfahrens ziemlich gleichgiltig, ob dabei ein oder zwei Gerichtspräsidenten mitschuldig geworden sind, die erste Berichtigung des Ministers ist also ganz un­wesentlich. Die übrigen Berichtigungen aber sind nur Zustimmungen für das Gesagte. Der Minister gab zu, daß Genosse Pasch ky gefesselt durch die Straßen der Stadt und an seinem Geschäfte vorüber geschleppt worden und daß seine Frau, die ihn gesehen, vor Schrecken und Schmerz ohnmächtig hingesunken ist; er gab ferner zu, daß Genosse Lange nach Verbüßung einer 18wöchentlichen Untersuchungshaft, auf welche Frei­sprechung erfolgte, sich aus Tiefsinn das Leben genommen, er behauptete nur, daß Lange schon früher tiefsinnig gewesen sei. Ferner gab der Minister zu, daß der Staatsanwalt einem auf anonyme Denunziation in Untersuchungshaft genommenen Kaufmann, der als Leiter der Wahl in Freiberg besonders mißliebig war, gesagt hatte: Wären Sie nicht Sozialist, so wären Sie nicht in Haft genommen worden." Um seine Niederlage zu verdecken, half sich der Minister mit Ausfällen gegen den Sozialdemokrat", von welchem er sagte, derselbe predige den Meineid, und er hoffe, Bebel werde unter solchen Umständen der weiteren Verbreitung desselben hindernd in den Weg treten.

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Unser Vertreter konstatirte hinsichtlich der Berichtigungen nur, daß der Justizminister Alles in den Hauptsachen bestätigt habe. Hinsichtlich des Sozialdemokrat" erklärte er: es falle ihm gar nicht ein, das Blatt zu desavouiren. Wenn es eine gereizte Sprache führt, so erklärt sich das aus den maßlosen Verfolgungen, denen unsere Partei ausgesetzt ist, und welche eben die Leidenschaften des Volkes auf's Höchste erregen. Für jedes einzelne Wort des im Auslande erschei­nenden Blattes könne er die Vertretung ebensowenig übernehmen, wie Bismarck dies bei seiner sogar direkt unter amtlicher Mitwirkung erschei­nenden Presse im Stande sei, im Ganzen aber billige er die Haltung des Parteiorgans, des, Sozialdemokrat". Es ergriff darauf Genosse Liebknecht das Wort, um den Minister des Innern, v. No stiz, über die gegen unsere Partei verübten Gewalt­thaten zur Rechenschaft zu ziehen. In zweistündiger, glänzender Rede kennzeichnete er alle jene Verfolgungen und Rechtsbrüche, mit denen in Sachsen die Wahlen gefälscht, Eristenzen vernichtet und Racheafte gegen Sozialisten verübt worden sind. Der Landtag krümmte sich unter der Wucht der Thatsachen, mit denen Liebknecht aufwartete. Er zeigte, wie die Versammlungen und Blätter unterdrückt, wie Wahlaufrufe und Stimm­zettel gestohlen worden, wie die Agitatoren unserer Partei gehetzt wurden wie wilde Thiere( der Präsident hielt für nöthig, diesen Ausdruck zu rügen, Liebknecht hielt ihn aber aufrecht und führte Belege dafür an) und wie durch Verhaftungen, Durchsuchungen 2c. das Volk eingeschüchtert wurde. Unser Genosse erwähnte ferner, wie in 3 wickau eine schwangere Frau durch unittliche Handgriffe der haussuchenden Gensdarmen entehrt worden sei.( Lachen.) Ja, lachen Sie nur, rief Liebknecht den Sittlich keitsheuchlern zu, es war ja nur eine Frau aus dem Volke. Die Frau hat nicht gelacht, sie hat aus Verzweiflung über die ihr angethane Schmach einen Selbstmordversuch unternommen, durch den eine Früh­geburt und der Tod des Kindes herbeigeführt wurden.*) Die Auswei­sungen, die nichtswürdige Polizeispionage, welche die Sozialisten auf Tritt und Schritt umschleicht, die Existenzen, welche durch diesen Unfug ver­nichtet wurden, dies Alles wurde den Gegnern vorgehalten.

Der Präsident, sonst ein ziemlich unparteiischer Mann, bekam schließlich Angst und forderte, der Redner solle maßvoller über die Regierung und die Polizeiorgane sprechen.

Liebknecht beharrte aber auf seinem Rechte der Redefreiheit und rief den Kammermitgliedern zu: Wenn Sie nicht Redefreiheit walten laffen, degradiren Sie sich zu Puppen!( Sturm der Entrüstung seitens Aller, die sich getroffen fühlten 7/8 der Kammer.)

Der Präsident ertheilt den Ordnungsruf.

Liebknecht: Es ist die Sprache des beleidigten Rechtes, der fitt lichen Entrüstung, die ich führe und führen muß. Er weist darauf hin, daß er jeden Vorwurf mit einer Fülle von Thatsachen belege, und fährt mit der Vorführung einzelner Gewaltthaten fort. Hiebei bemerkte er, es verbreite sich allerdings die Ansicht immer weiter, daß alle Gesetzlichkeit nichts helfe, und wenn die Polizei es ordentlich darauf anlege, blutige Katastrophen zu provoziren, wie dies in Chemnitz und Dresden an den Wahltagen geschehen, so habe man es nur der verständigen Ein­sicht und der guten Organisation unserer Partei zu verdanken, wenn die Metzeleien nicht eingetreten. Die Leidenschaften, ja der Fanatismus werde auf's Höchste entflammt und man solle sich hüten, den Funken in das Pulverfaß zu werfen. Trotz aller Verfolgungen, fuhr der Redner fort, behauptet die Sozialdemokratie ihre Stellung und wird kämpfen, bis sie zum Siege gelangt. Wenn der Minister das Versprechen verlangt habe, daß wir nicht zur Revolution kommen, so können wir dieses Versprechen nicht geben, denn wir werden zur Revolution tommen. Dafür, daß sie sich friedlich vollzieht, gibt es nur ein Mittel, die Freiheit! An freien Staaten seien die früheren Revolutionsstürme ohne vernichtende Wirkung vorübergebraust, in Polizeistaaten haben sie den blutigen Kampf erzeugt. So wird es auch künftig sein. Ich weiß jedoch, schloß Liebknecht, daß diese Mahnung nichts nügt, verfolgen Sie uns also weiter, aber tragen Sie die Folgen!

Nach dieser Rede fanden selbst der freche Ackermann und der geckenhafte Minister No stiz ihr gewöhnliches Pathos nicht und blieben den ganzen Tag kleinlaut; selbst dann noch, als in der Abendsizzung der Abg. Freytag die ungesetzlichen Haussuchungen rügte und Bebel die Dresdener Polizeiwirthschaft und ihre Provokationen z. B. bei der Wahl, in vernichtender Weise brandmarkte. Man suchte schandenhalber die Polizei in Schutz zu nehmen, aber das geschah in so täppischer Weise, daß dadurch der Eindruck der sozialistischen Rede nur erhöht wurde. Der 9. Februar gehörte der Sozialdemokratie! Ferner haben unsere Ageordneten im sächsischen Landtag den Ent­wurf eines Berggefeßes und Knappschaftsgesetzes, sowie einen Antrag gegen die polizeilichen Ausweisungen eingebracht. Kurz, der Kampf wird auf der ganzen Linie geführt.

Die Thätigkeit der sozialistischen Abgeordneten

in der verflossenen Reichstagssession, schreibt uns einer unserer bewähr­testen Vorkämpfer, hat innerhalb der Partei hier und da nicht denjenigen Erwartungen entsprochen, welche nach dem unerwartet günstigen Ausfall der Wahlen gehegt wurden.

Abgesehen von gewissen Begehungs- und Unterlassungsfünden, die in dem Parteiorgan ja genügend zur Sprache gekommen sind, können wir die Berechtigung zu ernsthaften Vorwürfen nicht anerkennen.

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Das unleugbar hier und da vorhandene Gefühl der Enttäuschung hat wesentlich in dem Kontrast zwischen dem Ringen des Wahlschlacht­feldes und der parlamentarischen Arena seinen Grund. Unsere Partei hat diesmal einen Wahlkampf geführt mit solch gewaltiger Kraftanstrengung, mit solch riesigen Opfern, daß der darauf folgende parlamentarische Kampf nothwendiger Weise an sich schon zwerghaft und unwichtig er­scheinen mußte.

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Unsere Genossen im Reichstag hatten außerdem theils keine Gelegenheit, theils keine Veranlassung, an den sensationellsten Debatten des Reichs­tags Theil zu nehmen. Diese fanden statt zwischen der Regierung und den großen alten Parteien; und durch unser Eingreifen würde der uns so vortheilhafte Zersetzungsprozeß der alten Parteien nur aufgehalten und die widerhaarigen Bourgeoisparteien der Regierung zugedrängt worden sein.

*) Der Bürgermeister von 3 widau, welcher später das Wort er­griff, mußte den tragischen Vorfall bestätigen und konnte als Beschönigung nur anführen, die Frau habe den Selbstmord wohl(!) nur aus Furcht vor ihrem Mann, dessen Eigenthum der Polizei in die Hände gefallen war, versucht.