Ueber die Munkel'sche Versammlung ist nicht viel zu sagen: Herr Munkel sprach anständig und wir ließen ihn reden; dem frechen Lokal­patron Pache jedoch konnten wir nicht erlauben, das Versammlungsrecht gegen uns zu mißbrauchen, und da er von keiner ehrlichen Debatte etwas wissen wollte, so mußte er einpacken, und mit seinen fortschrittlichen Mitfischern und Fischnetzen unverrichteter Sache abziehen. Leipzig und Umgegend gehört eben uns; und wenn die Herren Fortschrittler im Schatten des Sozialistengesetzes fortschrittliche Kutukseier in das sozial­demokratische Nest legen zu können hoffen, so täuschen sie sich gründlich. Hinter verschlossenen Thüren mögen sie, mag jede andere Partei nach Herzenslust tagen; das geht uns nichts an, und nach der Gesellschaft solcher Feiglinge sehnen wir uns nicht. Wenn aber öffentliche Volksversammlungen ausgeschrieben werden, dann kommen wir, das eingeladene souveräne Volk, und verlangen freie Bureauwahl und freie Diskussion. Fügt man sich unserm gerechten Verlangen gut; fügt man sich nicht, nun so findet einfach keine Versammlung ftatt.

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In Reudnitz haben wir dies vor drei Wochen den Herren Fortschritt­lern, die mit ihrem ganzen städtischen und dörflichen Generalstab erschienen oder richtiger, deren Generalstab erschienen war, denn es war wie immer ein Generalstab ohne Armee in nicht mißzuver­stehender Weise begreiflich gemacht. Ihr Kalthoff wollte reden und wurde einfach kalt gestellt, weil er, nebst seinen biederen Kumpanen, sich gegen eine freie Bureauwahl sträubte. Die betrübten Fortschrittler reti­rirten dann in ein geheimes Gemach, wo dann auch der kaltgestellte Kalthoff sein Redebedürfniß ungestört befriedigen konnte. Wir sind keine grausamen Menschen und warum soll der Kalthoff nicht reden dürfen, vorausgesetzt, daß er seine zwölf Zuhörer und Zugähner nicht eine ,, Volksversammlung" nennt? Uebrigens sind wir dem Manne durchaus nicht gram. Er hat uns nämlich einen unbezahlbaren Genuß verschafft durch Veröffentlichung eines Referats seiner Rede"( in der hiesigen fortschrittlichen, ergo an Abonnentenschwindsucht leidenden Freien Bürgerzeitung"). Da sind gar erbauliche Dinge zu lesen. Schon der Titel des Vortrags ist föstlich: Die reaktionären Parteien im Kampf mit dem Gewissen des Volkes. Der Fortschrittseunuch kennt keinen an­deren Kampf, als den sehr platonischen mit dem Gewissen". Oder hat das Gewissen des Herrn Kalthoff etwa Hände und Füße, und kann einen Schuft am Kragen packen? Die Kalthoff'sche Logik hat jeden­falls keine Hände und Füße; sie kriecht auf dem Bauch, sich schlangen­artig( jedoch nicht schlangen klug) bald nach rechts, bald nach links windend. Hören wir ihn selbst, wie er über sich referirt: Redner ( daß Kalthoff sich das Epitheton Redner" verleiht, zeigt, daß er von Göthe wenigstens den Spruch: Nur die Lumpe sind bescheiden", gelernt hat;) also: Redner erörtert den Begriff Reaktion" und knüpft daran die Betrachtung, daß es zwei Auffassungen im Staatsleben gebe: die des Alterthums, wonach das Ganze vor den Theilen, der Staat vor den Einzelindividuen kam, wonach der Einzelne kein Recht hatte, außer wenn er im Staatsorganismus eristirte. Er weist an historischen Beispielen nach, wie der Staat vollständig über den einzelnen Staatsbürger domi­nirte. Im Mittelalter konnte der, welcher als höriger Bauer geboren worden, absolut aus seinem Stande nicht heraus. Allmälig erst sah man ein, daß der Mensch das Recht eigenartiger, freier Entwicklung haben müsse. Die fortschrittliche Auffassung des Staatslebens vindicire dem Menschen das Recht, sich eine Bildung zu suchen, wo und wie er wolle. Das Alterthum mit seiner absoluten Negirung des Einzelnen gegenüber dem Staate weise ja manche geradezu heldenhafte Erscheinungen auf diesem Boden vor, wie z. E. die That jener 300köpfigen Spartanerschaar unter Leonidas. Der moderne Freiheitsgedanke ziehe den einzelnen Men­schen in Rechnung und wolle die Zustände derart geordnet wissen, daß der Einzelne zu seinem Rechte gelangt. Der moderne Gedanke des Staats tonstruire die Tüchtigkeit des Staates aus der Tüchtigkeit des Einzelnen, der alte Staatsgedante kenne nur den Gesammtwohlstand des Staates. Deshalb könne die freie Entwicklung des Einzelnen nicht scharf genug in den Vordergrund gestellt werden."

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Halt! Für einen Augenblic. Wie gefällt Ihnen die 300köpfige Spartanerschaar", dieses naturhistorische Monstrum, welches wir der Aufmerksamkeit aller Museumsbefizer empfehlen?

Und die famose Definition vom antiken und modernen Staat. Pardon, nicht modernen", sondern fortschrittlichen Staat. Und was für ein Musterstaat dieser fortschrittliche Staat ist, welcher dem Menschen das Recht, sich eine Bildung zu suchen, wo und wie er will"," vin­dizirt". Hat der Mensch kein Geld, so kann er sich seine Bildung auf dem Mond suchen, der ja auch eine schöne Gegend sein soll. Daß der Mensch von Rechten" nicht satt wird, daß es wirthschaftliche, meinetwegen Magenfragen gibt, davon hat dieser fortschrittliche Kalthoff gar keine Ahnung.

Nun weiter: Redner" kommt nach längerer Einleitung( zu welcher der zitirte Passus gehört) zu dem Bündniß der reaktionären Parteien", das seiner scharfsinnigen Entdeckung zufolge eine Verfündigung am Geiste der Menschheit involvirte".( Der Geist der Menschheit" ist ein anderer mehr vergeistigter Ausdruck für das Gewissen des deutschen Volkes", mit dem die reaktionären Parteien im Kampf sind.) Die Reaktionsparteien wollen das moderne Freiheitsbewußtsein vernichten, und darum lautet ihr erstes Feldgeschrei: Nieder mit der Freizügigkeit." ( Das zweite, dritte zc. Feldgeschrei lautet: Nieder mit der Gewerbe­freiheit! Nieder mit dem Freihandel! u. s. w. Nach Aufzählung der Feldgeschreie fährt der Kalthoff fort:)

bedeckt. Die Sträflinge tragen nur Leibwäsche und eine Sträffingskutte. Spazieren führt man sie nur einen Tag um den andern, und auf die Dauer einer viertel Stunde. Nicht nur Bücher, sondern Alles, was nur im Stande ist, den Sträfling irgendwie zu zerstreuen, wird ihm abgenommen. Mit der Außenwelt und den Mitgefangenen ist jeder Verkehr absolut unmöglich. Es ist wörtlich ein Grab. Da nun die Behörden wissen, daß ein solches Leben nothwendig zum Selbstmord führen muß, so wird in jede Zelle ein Gendarm und ein Soldat gesetzt, die dem Gequälten das Leben vollständig verbittern. Sieht derselbe etwas aufmerksamer an, so springt der Gendarm sofort auf und untersucht den Gegenstand, auf den der Gefangene seine Aufmerksamkeit gerichtet, ob da nicht welche Auf­schriften sich befinden. Er läßt ihn einfach nicht aus den Augen, verfolgt jede Kopfwendung, jede Handbewegung, möchte sein Innerstes durchdringen und es bedarf einer heroischen Willensstärke, um das auszuhalten. Der­selbe Gendarm hat auch das Taschentuch und Handtuch in Verwahrung, und der Sträfling bekommt diese Gegenstände aus seinen Händen, um sie nach gemachtem Gebrauch sofort zurückzugeben. Das mindeste Zu widerhandeln gegen diese bestialischen Regeln führt zu Anschnautzen, Karzer und Schlägen. Dieses Strassystem ist viel schrecklicher als der Tod, und die Meisten beklagen auch lebhaft, daß sie begnadigt wurden und mußten, als sie die Begnadigung erfuhren, thatsächlich vom Staatsanwalt Archscharunoff getröstet werden. Gegen den Befehl seiner Majestät vermag ich nichts", sagte er ihnen, als er bemerkte, wie freudig" sie die Freuden" botschaft entgegennahmen. Was die Verurtheilten da mals ahnten, hat sich voll und ganz bestätigt. Schirajem bekam bald die Schwindsucht, Okladsky wurde wahnsinnig und was seitdem aus ihm geworden ist, weiß Niemand; Tichonoff bekam Storbut. Ungeachtet deffen hat man ihn bei Abführung nach Sibirien in Ketten gelegt und von einem Ort zum andern buchstäblich tragen müssen. Jetzt ist er in Kraßnojarst, wo er nicht lange mehr zu leben hat." Man sieht, das Ge­fängniß hat mit diesen drei dasselbe in einem Jahre gemacht, was der Galgen mit jenen Beiden in einer Viertelstunde. Fast dasselbe Schick­sal tragen die zu weniger großen Strafmaßen Verurtheilten. Martinowsky und Zuckermann zeigten Symptome des Wahnsinns, wobei der Erstere sich erhängen wollte. Aber der Posten bemerkte es noch rechtzeitig und rettete ihm das Leben zu weiteren Qualen. Beide sind schon mehrmals geistesgestört in den Karzer gekommen. ( Schluß folgt.)

,, Das Prinzip der freien Konkurrenz wird nicht bloß von den reak­tionären Konservativen, sondern auch von den Sozialdemokraten bekämpft. Ohne dieses Prinzip aber wären unsere Zustände nicht erträglich, und gerade wegen der Angriffe, die sie erfährt, muß die Freizügigkeit uns heilig sein: ist ja die gesammte Kultur auf die freie Entwickelung des Individuums bafirt!"

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Schrumm! Da hätten wir den ganzen fortschrittlichen Plunder wollte sagen die ganze fortschrittliche Weisheit. Auf der freien Ent­wicklung des Individuums beruht unsere Kultur, und deshalb brauchen wir die freie Konkurrenz!

Was versteht der Herr Kalthoff unterfreier Entwicklung des Indivi­duums"? Daß das Individuum durch nichts in seiner Ent­wicklung gehemmt wird? Gut, dann sind wir einig. Aber dann müssen auch die Hindernisse der freien Bewegung aus dem Wege geräumt werden, und das kann das einzelne Individuum nicht; das kann nur eine zu dem Zweck, überhaupt zur Ermöglichung eines menschenwürdigen Daseins für jedes Individuum vereinigte Gesellschaft oder Gemeinschaft von Menschen. Auf sich allein angewiesen, bei durchgeführter, freier Konkurrenz" geht je des einzelne Individuum unrettbar zu Grunde, oder genauer ausgedrückt: kann überhaupt gar kein Individuum leben. Was würde aus Herrn Kalthoff, wenn sein Jdeal heute verwirklicht und er einzig auf sein eignes freies" Individuum angewiesen wäre? Er würde sehr bald so frei" sein, Hungers zu sterben. Und kraft der freien" Konkurrenz würde er vermuthlich sogar, noch ehe er Zeit hat, Hungers zu sterben, von irgend einem andern ,, freien" Individuum, das ihn an körperlicher Kraft über­trifft, todtgeschlagen und aufgespeist werden. Doch ne in davor ist er durch seine Ungenießbarkeit und Unverdaulichkeit geschützt. Zum Schluß kommt der Kalthoff auf die pfäffischen Geistern un­vermeidliche ,, Erbsünde":

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Was die Reaktion wolle so führte Redner" aus-, liege in der Lehre von der Erbsünde, welche jedem Menschen das Gefühl seines Un­werths predigen solle, der Sozialismus gehe von einer ähnlichen

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Grundvoraussetzung aus, er sage:" Mensch, du kannst nicht auf eignen Füßen stehen, wirf dich darum dem Staate in die Arme!" Der Sozia­lismus nehme dem Menschen den Glauben an sich selbst, und darum sei er eben reaktionär. Er wolle den Staat als die allgemeine Krippe hin­stellen und zu dem Einzelindividuum sagen: Da, friß!" Der Mensch von freier Vernunft und freier Ueberzeugung werde aber lieber für sein Brod selbst arbeiten und seine eigne Ueberzeugung sich wahren und der­selben Ausdruck leihen, als für die Gewährung des Essens den Mund halten."

Dieser schlaue Kalthoff! Der Sozialismus nimmt dem Menschen den Glauben an sich selbst, und stellt das Individnum vor die allgemeine ( Staats) frippe", und sagt zu ihm friß!" Wir hatten uns gar nicht gedacht, daß die Sache so leicht wäre. Hoffentlich verräth Herr Kalthoff uns das Geheimniß, wie die allgemeine Krippe" gefüllt wird, und wie der Sozialismus" es fertig bringt, die Einzelindividuen militärisch zu kommandiren? Der Sozialismus" kann doch nicht als selbständiges Individuum herumlaufen, sondern lebt blos in den Individuen, die vor die allgemeine Krippe" gestellt werden sollen. Wer stellt sie denn davor? Der in ihnen lebende Sozialismus? Also sie selber? Merken Sie, Herr Kalthoff, welches Blech Sie geschwätzt haben? Und wenn sie selber sich vor die Krippe stellen, ist da ihre Freiheit" mehr beschränkt, als die des Herrn Kalthoff, wenn er einen Vortrag über die reaktionären Parteien im Kampfe mit dem Gewissen des deutschen Volkes", hält, statt für die Gewährung des Essens den Mund zu halten", was seinen Mitmenschen vielleicht zuträglicher und gewiß angenehmer wäre.

Ob die zwölf Fortschrittler, die das Unglück hatten, ihn anhören zu müssen, nicht zur nämlichen Ansicht gelangt sind? Nun es muß auch solche Käuze geben, und wir haben vor der freien Entwicklung des Individuums" einen so hohen Respekt, daß wir sogar einem Kalthoff das Recht" Kalthoff zu sein, nicht absprechen.

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Esel" und Bande". Aus Ehrenfriedersdorf im Erz­ gebirge , den 5. April, schreibt man uns: Heute stand Genosse Liebknecht vor dem hiesigen Schöffengericht unter der Anklage, am 27. Sept. v. J. zu Geyer in einem Wirthshausgespräch die Polizei und Gensdarmerie Esel" und eine Bande" genannt zu haben. Ein anwesender Polizist wollte die Aeußerung gehört haben und einige ehrfame Bürger sozialistenfres­serischer Art zeugten für den Polizisten. Liebknecht bestritt nicht, den Ausdruck ,, Esel" mit Bezug auf einen bestimmten Fall von der Polizei gebraucht zu haben; versicherte aber und dies wird ihm durch Zeugen bestätigt daß er mit dem Ausdruck Bande" die nichtswürdigen De­nunzianten und Sozialistenhezer gemeint habe, welche seit dem Attentats jahr in Deutschland ihr Wesen trieben. Er führte mehrere sehr drastische Beispiele an und geißelte dieses gesinnungslose Pack in einer Weise, die auf Richter, Schöffen und Staatsanwalt sichtlichen Eindruck machte. Der Staatsanwalt gab ausdrücklich zu, daß bei einem Mann, der wie Lieb­knecht von der Polizei verfolgt werde, eine Erregung gegen die Polizei" ganz natürlich sei; was die Denunzianten betreffe, so verdamme jeder anständige Mensch das Denunziantenthum. Aber der Esel" müsse gefühnt werden. Und er wurde gefühnt mit 30 Mark Geldstrafe. Von der Bande" ein andermal.

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Die Infamie zum System erhoben. Aus Mann­ heim wird uns geschrieben: Im Verlage des durch seine Denunziation der Einjährigen, welche sich f. 8. mißliebig über ihre Vorgesetzten äußerten, noch in verächtlichem Andenken stehenden Buchhändlers F. Nemnich erschien am 3. April ein Handbuch für Lehrer", herausgegeben von einem gewissen Lehrer Klein in Weingarten , enthaltend Aufsätze, Formulare, Schemas für Anzeigen 2c., in welchem auf Seite 272 Nr. 336 folgendes Zeugniß" zu lesen ist:

" Dem Johannes Arnold von Eislingen , D.-A. Göppingen, welcher acht Monate bei mir in Arbeit stand, bezeuge ich gerne, daß er ein geschickter und fleißiger Arbeiter ist. Dagegen kann ich nicht verschweigen, daß er als ein eifriges Mitglied der hiesigen sozialdemokratischen Vereine die staatsgefährlichen Bestrebungen derselben wesentlich unterstützt und auch unter seinen Mitarbeitern in meinem Geschäfte störende Umtriebe gemacht hat. Dies ist auch der Grund seiner heute erfolgten Ent­lassung.

Eẞlingen, 24. Mai 1881.

Emil Meier, Drechsler." Soweit ist es also schon im heiligen deutschen Reiche gekommen, daß sogar Schulbücher zur Sozialistenheze verwendet werden! Wie viel Haß und Zwietracht werden durch solch gemein infame Machwerke den Kin­dern eingepflanzt! Da heißt es immer, daß politische Streitfragen nicht in die Schule hineingehören, und nun kommt so ein fanatischer Kriecher und will den Kindern mit Gewalt den rohesten Parteihaß einimpfen. Welchen Eindruck muß es auf ein Kind machen, wenn es derartige Schema's abschreiben und sich dann noch sagen muß mein Vater gehört auch zu dieser Partei! Pfui über derartige niederträchtige Mittel!"

Wir theilen die Entrüstung unseres Genossen über die infame Gesin­nung, die aus diesem Machwerk herausschaut, aber im Grunde ist diese Art der Agitation doch zu dumm, als daß wir sie tragisch nehmen fönnten. Solche Mittel verfehlen vielmehr erfahrungsgemäß erst recht ihren Zwed.

Aus Dresden , 6. April, wird uns geschrieben: Heute wurde Liebknecht wegen seines, an die Wähler von Neustadt- Dresden gerichteten Flugblattes in öffentlicher Urtheils verkündung der Bergehen gegen§§ 131, 185, 187 u. 1. w. für schuldig erklärt und in eine Gesammtstrafe von

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zwei Monaten verurtheilt. Die eigentliche Prozeßverhandlung hatte zwei Tage zuvor am 4. ds. stattgefunden und zwar unter Ausschluß der Oeffentlichkeit. Liebknecht vertheidigte sich selbst in längerer Rede. Der Mitangeklagte Vetter, welcher der Verbreitung des fträflichen Flug­blattes angeklagt war, wurde freigesprochen. So wären denn die Dresdener Richter die ersten deutschen Richter, welche in der neuesten Serie von Bismard- Beleidigungsprozessen gegen Reichstagsabgeordnete dem Herrn Reichskanzler die Freude einer Verurtheilung bereitet hätten. Die preußischen Richter, die über Dohrn und Bunsen zu richten hatten, waren nicht so willfährig.

Die bei der Urtheilsverkündung anwesenden Reporter der reaktionären hiesigen Zeitungen waren etwas enttäuscht, daß das Strafmaaß nicht höher ausgefallen ist. Ihr Erstaunen ist nicht ganz unberechtigt, wenn man bedenkt, daß in den beiden früheren hier abgeurtheilten Prozessen wegen Flugblättern für die letzte Wahl, das erste für Dresden- Neustadt, und das Großenhainer, Verurtheilungen in der Höhe von sechs und neun Monaten vorgekommen waren, und zwar nur auf Grund des§ 131, während Liebknecht sich auch die Ehre einer Bismarckbeleidigungsanklage zu erfreuen hatte. Die Sache ist: Liebknecht wurde nicht vor die von dem berüchtigten Mangold kommandirte Strafkammer gestellt; und die schmachvollen Verurtheilungen zu Anfang dieses Jahres haben, nach­dem unsere Genossen sie im sächsischen Landtage gebührend gekennzeichnet, eine so allgemeine Entrüstung im Publikum hervorgerufen, und zu einer solchen Diskreditirung der Dresdener Richter geführt, daß man auf dem bisherigen Wege nicht fortfahren konnte.

Der Liebknecht 'sche Prozeß war der schwerste der nach der Landtags­session noch übrigen sächsischen Wahlprozesse.

Liebknecht wird beim Reichsgericht die Revision des Urtheils beantragen, welches in juristischer Hinsicht ebensoviel Blößen darbietet, wie in logischer.

Spanien . Die Unruhen in Barcelona sind zum großen Theil beigelegt. Nach inzwischen eingetroffenen Nachrichten hat nur ein Bruch­theil der Arbeiterbevölkerung an denselben Theil genommen. Gerade die tlassenbewußten Arbeiter hielten sich fern, da die ganze Bewegung von den schutzöllnerischen Fabrikanten ausging und die Arbeiter, durch Er­fahrung gewitzigt, keine Luft hatten, für ihre Ausbeuter die Kastanien aus dem Feuer zu holen. 47 Gewerkschaften von Barcelona erklären in der ,, Revista social", daß sie mit den Krawallen nichts zu thun haben, und geißeln das Verfahren der Fabrikanten, die Fabriken zu schließen, um blutige Konflikte, bei denen die Arbeiter es natürlich sind, die ihr Blut laffen, um jeden Preis herbeizuführen. Ein Manöver, das die Herren Schutzzöllner mit Vorliebe in Barcelona aufgeführt haben und nach dessen Gelingen regelmäßig sie es waren, welche die Arbeiter am schamlosesten ausbeuteten und unterdrückten.

Diese Berichtigung unserer in voriger Nummer gebrachten Notiz än­dert natürlich nichts an der Thatsache, daß die revolutionäre Bewegung in Spanien große Fortschritte macht. Die Gewerkschaftsbewegung, welche eine großartige Ausdehnung gewinnt, steht z. B. vollständig auf sozia­listisch- revolutionärem Boden. Darüber indeß ein andermal mehr.

Rußland. Die neueste Nummer der Narodnaja Wolja " ( 8 und 9) kündigt in ihrem Leitartikel eine wesentliche Veränderung der Taktik der revolutionären Partei Rußlands an, und zwar im jakobi­nistisch- blanquistischen Sinne. Wir kommen auf diesen bemerkenswerthen Artikel, sowie auf den sonstigen Inhalt der Narodnaja Wolja " in nächster Nummer.

Abfertigung. Herr Deichsel, dessen wir in Nr. 14 des " Sozialdemokrat" gedachten, trat, als er nach London kam, in den kom­Arbeiterbildungsverein, Tottenhamstreet 49, ein. Kurze Zeit darauf ge­langte nach London die Nachricht, daß Deichsel in Berlin gesammelte Gel­der veruntreut habe; natürlich ernannte der Verein sofort eine Unter­suchungskommission, um diese Angelegenheit zu prüfen. Von diesem Tage an verduftete Herr Deichsel ein Zeichen seines reinen Gewissens spurlos aus dem gedachten Verein und lief mit vollen Segeln in den, Leuten zweifelhaften Kalibers so zugänglichen Sicherheitshafen der Lon­ doner Revolutionsmaulhelden ein, wo er als Matador glänzt.

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Die erwähnte Untersuchungskommission hat die Anklage gegen Deich­sel als durch vollgültige Beweise begründet gefunden. Dies zur Abfertigung auf die entrüstete Verwahrung" des gedachten Herrn. Auf seinen Wust von Schimpfereien und Verdächtigungen zu antworten, haben wir keine Veranlassung. Laß sie dreh'n und stäuben! Der in Nr. 14 des" Sozd." in der Korrespondenz aus Darmstadt als Polizeispion hingestellte Georg Ludwig Seibert bestreitet in einer Zuschrift an uns lebhaft, daß diese Bezeichnung auf ihn zutreffe und fordert von unserm Korrespondenten Beweise, wann und wo er mit der Polizei in Verbindung gestanden haben soll.

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Da es unser Grundsatz ist, Niemanden ungehört zu verdammen, so nehmen wir hiermit öffentlich von der Zuschrift Notiz, unser Genosse in Darmstadt , dessen Zuverlässigkeit zu bezweifeln wir keinen Grund haben, wird den Beweis für seine Angaben nicht schuldig bleiben.

Nachruf.

Wieder hat der unerbittliche Tod einen treuen Kämpfer für unsere Sache aus unserer Mitte abgerufen. Der auch in weiteren Kreisen be­fannte Genosse

Philipp Ludwig Paulus,

im Leben städtischer Einnehmer in Speyer , ist am 1. April d. J. einer 14 tägigen Lungenentzündung im Alter von 60 Jahren erlegen. Wie schmerzlich und schwer besonders uns und die Genossen des Speyer­Frankenthaler Wahlkreises der Tod des treuen Freundes berührte, können nur die voll und ganz verstehen, welche ihn kannten. Er strebte, wie sogar der Geistliche am Grabe hervorhob, einem hohen Ideale zu, er diente in der uneigennützigsten Weise der Sache des arbeitenden Volkes. Leider sollte er die Verwirklichung seiner Ideale nicht mehr erleben. Ab­gesehen von den großen materiellen Opfern, welche er unserer Sache freudig darbrachte, verlieren die Speyerer Genossen in ihm einen der hervorragendsten Leiter der dortigen Bewegung. In seiner bürgerlichen Stellung bekleidete Paulus 25 Jahre lang das Amt eines städtischen Ein­nehmers und erwarb sich die hohe Achtung nicht nur seiner Genossen, sondern seiner sämmtlichen Mitbürger.

Von hier aus gingen eine Anzahl Genossen nach Speyer , um ihm die letzte Ehre zu erweisen, und verdient ein kleiner Zwischenfall noch der Erwähnung. Wie jedem Genossen, den wir zu Grabe geleiten, widmeten wir auch unserem Freunde Paulus einen Lorbeerkranz mit rother Schleife. Doch kaum waren wir im Trauerhause angelangt, als auch schon einer der Ordnungshelden, ein gewisser Polizeiaffeffor Gref, die Wegnahme der Schleife anordnete und somit den Staat für diesmal rettete. Auf dem Friedhofe gaben wir unserm Freunde die verbotene Schleife ins Grab zum großen Aerger der zahlreich vertretenen Bourgeoisie, und der vier Polizisten sammt Anhängsel. Genosse Dreesbach sprach einige herzliche Worte, indem er den Kranz auf's Grab niederlegte.

Am 14. März d. J. geleiteten wir einen anderen Genossen, der nicht in den guten Verhältnissen wie der andere Verstorbene gelebt hatte, der sich im harten Kampf ums Dasein in seinem Berufe opferte, zur ewigen Ruhe. Es war dies der Schreiner

Jakob Mauser.

Wenn es ihm auch nicht gegeben war, in der Oeffentlichkeit eine große Rolle zu spielen, so war er doch ein tüchtiger und braver Ge­nosse und hat der ca. 250 Personen zählende Leichenzug bewiesen, daß der Verstorbene von seinen Genossen geachtet und geliebt gewesen. Die Beerdigung fand diesmal ohne Beisein eines Pfaffen statt. Genosse