überflüssig erscheinen dürfte, und es hier nur einiger Andeutungen be­darf.

Es ist von Bebel schon darauf hingewiesen worden, wie schwierig es ist, die Preßerzeugnisse aus den Anfängen der sozialistischen   Bewegung zu beschaffen; und was vor vier Jahren galt, gilt in bedeutend ver­stärktem Maße noch heutzutage. Aber nicht nur, daß die Brochüren und Schriften der 30er und 40er Jahre dieses Jahrhunderts immer seltener werden, auch die literarischen Partei- Erzeugnisse der 60er und 70er Jahre verschwinden immer mehr, und nicht lange wird es dauern, daß diese ebenso wenig bekannt sein werden, wie die sozialistischen   Schriften der vor 48er Zeit.

Das Ausnahmegesetz mit seinen Verboten hat viel zu dem Zurück­drängen unserer Literatur jener Zeit beigetragen. Neuauflagen konnten nicht veranstaltet werden, weil sie sich der verbotenen Verbreitung halber nicht zahlten. Die im Besitz des Einzelnen befindlichen Schriften werden, weniger aus Furcht vor der ungesetzlichen Verbreitung, als weil der Besitzer die seltener gewordenen Schriften zu verlieren fürchtet, nicht weitergegeben, und es ist Thatsache, daß schon jetzt unter dem neuen Zuwachs der Partei weniger Leute zu finden sind, die mit dem Anfang unserer Parteigeschichte genügend bekannt sind.

Wenn auch dieser Uebelstand durch die Schaffung eines Parteiarchivs nicht gehoben würde, so würde doch verhütet, daß die zahlreichen sozia­ listischen   Schristen jener Periode überhaupt verloren gehen. Zum Theil mag letzteres nämlich schon jetzt der Fall sein, wie es z. B. schwer halten dürfte, noch Exemplare sämmtlicher so zahlreichen Organe der Partei zu beschaffen. So wurden, um nur eines anzuführen, die Beleg­exemplare eines unserer besten Parteiblätter in einer Auktion verkauft und zu Käsepapier benutzt.

In den meisten Fällen werden die Belege der Parteiorgane indeß noch vorhanden sein, und sie würden, hervorgesucht aus dem Bodengerümpel und Moder, in dem sie heute vielfach lagern, einen sehr guten Beitrag zu dem Archiv bilden. Diese Belegeremplare der Parteiorgane sind für denjenigen, der sich an die Bearbeitung der Geschichte unserer Partei macht, um so wichtiger, als sie außer den Kongreßprotokollen die einzige Quelle sind, aus welcher er schöpfen könnte. Meyer's Emanzipationskampf des vierten Standes, den man als Quelle anführen könnte, ist in vieler Beziehung fehler- und lückenhaft, und woher soll ein Historiker sonst seine Daten entnehmen, als aus unseren Zeitungen? In öffentlichen Zeitungen sind dieselben gar nicht oder nur selten vorhanden, und ich meine, daß allein schon die Erhaltung möglichst sämmtlicher Parteiorgane die Schaffung eines Archivs rechtfertigt.

Aber nicht nur für die Literatur der deutschen sozialistischen   Partei wäre ein solches Archiv wichtig, auch die Geschichte des Jahres 1848, der Pariser Kommune  , der heutigen russischen revolutionären Bewegung bietet noch manche dunkle Seiten, welche durch ein Zusammentragen des Materials und späteres kritisches Sichten desselben beleuchtet und in ein helleres Licht gesetzt werden könnten. Es ist nur zu erklärlich, daß die städtischen und höfischen Bibliotheken in Bezug auf revolutionäre Be­wegungen möglichst wenig und möglichst Schlechtes bieten, und es erscheint mir daher als im Interesse unserer Partei liegend, wenn wir die Samm­lung des Materials unserer Geschichte in die eigene Hand nehmen.

Wie dem Schreiber dieses selbst bekannt ist, gibt es in der Partei noch eine Anzahl alter Genossen, gewissermaßen Veteranen, die sich schon in den 30er und 40er Jahren um das kommunistische Banner schaarten, und die die meisten seither erschienenen Broschüren, Flugblätter, Bam­phlete, Reden und sonstige die soziale Frage betreffenden Schriften mit Bienenfleiß sammelten und heute noch in dem Besitz derselben sind. Gewiß werden einige derselben für ihre Literaturschätze lieber die Partei als Erbin sehen, als vielleicht entfernte Verwandte, die den Werth der­selben oft nicht einmal zu schätzen wissen. Auch sind hier und dort Bibliotheken vorhanden, die, früher im Besitz von Parteiorganisationen, gewiß von ihren jetzigen Besitzern der früheren Eigenthümerin, der Partei, gerne zurückgegeben würden, sobald eine Stelle bekannt gemacht wird, wo diese Sachen bis auf Weiteres aufbewahrt werden.

Der letzte Parteifongreß auf Wy den beschäftigte sich schon mit der Frage eines Archivs, der sich nöthig machenden Kosten halber ging man indeß über dieselbe hinweg. Die Kosten stellen sich aber thatsächlich so gering, daß dieselben gewiß mit Leichtigkeit durch freiwillige Beiträge auf­zubringen sind. Meine Meinung geht nämlich dahin, daß die Redaktion oder Expedition des Zentralorgans die Sache in die Hand nehmen und in Gemeinschaft mit den Züricher   Genossen die eingehenden Schriften sammeln und aufbewahren könnte. Die einzigen Kosten wären dann das Porto, denn ich meine, daß bei größeren Packeten das Porto seitens der Partei getragen werden müßte. Ueber jeden Beitrag, sowohl an Geld, wie an Schriften, müßte der Sozialdemokrat" quittiren. Einer Auf­forderung zur Einsendung von Schriften würde gewiß im reichsten Maaße entsprochen werden.

Vorläufig gilt es nur zu sammeln und zu retten, was sonst unwieder­bringlich verloren geht. Das Ordnen und die Sichtung des Materials taun auf spätere Zeiten verschoben werden.

Freuen sollte es mich, wenn durch diese Anregung die Genossen ver­anlaßt würden, sich über die vorliegende Frage im Sozialdemokrat" auszusprechen.

Die Ausführung eines derartigen Unternehmens würde unsern Gegnern zeigen, daß die kulturfeindliche" Sozialdemokratie auch im heftigsten Kampfe noch Zeit zu kulturfördernden Unternehmungen übrig hat.

H. Sch.

Wir können die Anregung unseres Genossen nur voll und ganz unter­stützen. Gerade die Heftigkeit des Kampfes, den unsere Genossen zur Zeit in Deutschland   führen, macht es nöthig, daß an einem, dem aktiven Kampfe entrückten Orte alle für die sozialistische Bewegung werthvollen Druckwerke 2c. gesammelt, gesichtet und aufbewahrt werden.

Wie werthvoll wäre es z. B., um nur noch ein Moment anzuführen, nicht nur vom literarischen, sondern auch vom praktisch- politischen Gesichts. punkte aus, wenn in einem Parteiarchiv von allen von unserer Partei verbreiteten Wahlflugblättern je ein Exemplar aufbewahrt würde. Welch' wesentliches Moment zur Beurtheilung und Werthschätzung unserer Wahlerfolge wäre damit gegeben! Kurz, nach allen Richtungen hin ist die Schaffung eines solchen Archivs wünschenswerth.

Auf die Art, wie dasselbe unserer Meinung nach am zweckmäßigsten einzurichten wäre, fommen wir noch zurück.

Sozialpolitische Rundschau.

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Zürich  , 26. April 1882. Wozu Geseze da sind? Natürlich, um umgangen zu werden. Wer's nicht glaubt, der erkundige sich nur danach, wie unsere Herren Gesetzgeber mit den von ihnen verfaßten Gesetzen verfahren. Bekanntlich wird nach dem Unterstützungswohnsitzgesetz jeder Deutsche   dort unter­stüßungsberechtigt, wo er sich zuletzt länger als zwei Jahre aufgehalten hat. Diese Vorschrift hat den Zweck ob sie ihn erfüllt, ist eine andere die Gemeinden von der Verpflichtung zu entlasten, diejenigen Frage ihrer ursprünglichen Mitglieder, welche jahrelang außerhalb der Gemeinde ihre Arbeitskraft aufgewendet haben, später, nachdem sie arbeitsunfähig geworden, verpflegen zu müssen. Man wird zugeben, daß der diesem Gesetz zu Grunde liegende Gedanke, die heutige Gesellschaft vorausgesetzt, an sich kein unberechtigter ist. Wie macht sich nun dieses Gesetz in der Praxis? In der Gemeinde Geislingen in Schwarzwald  ( Oberamt Balingen  ) befindet sich ein großes herrschaftliches Gut, auf welchem natürlich viele Knechte und Mägde gebraucht werden. Bei Anstellung

( Verding) derselben aber wird ihnen angezeigt, daß sie nach Verlauf von zwei Jahren den Dienst und die Gemeinde auf mindestens vier Wochen zu verlassen haben. Auf diese Weise verlieren die Betreffenden daselbst den Unterstützungswohnsitz. Das heißt: das Gesetz wird außer Wirkung gesetzt.

Und der Besitzer des Gutes, der sich so gut zu helfen weiß, ist Freiherr von Stauffenberg, bairischer Landtags- und deutscher Reichstagsabgeordneter!

Und der muß es doch wissen, wozu Gesetze da sind.

Aus der Schule geplaudert. In ihrem Eifer für das Tabakmonopol hat die Norddeutsche" neuerdings einen schönen Lapsus verübt. In einem Artikel, den sie sich aus Süddeutschland  " schreiben läßt, zieht sie gegen die Erhöhung der Gewichtssteuer zu Felde. Diese werde für die Konsumenten eine namhafte Vertheuerung der Fabrikate, infolge dessen eine Abnahme des Konsums zur Folge haben. Weitere Folge der Gewichtssteuer wird sein, Verfälschung der Fabrikate, der solide Fabrikant kann mit dem unsoliden nicht gleichen Schritt halten und in kurzer Zeit wird Alles, Handel, Fabrikation und Verschleiß in den Händen der Juden sein. Wie wenige Menschen sehen ein, wer in letzter Linie hinter der jetzigen gewaltigen Agitation steht, und ahnen nicht, wem die Früchte dieser Agitation in den Schooß fallen werden."

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Also zu lesen in der Osternummer der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung".

Das war einmal ein Reinfall, lieber Pindter! Das Monopol bekommt dein Brodgeber, Bismarck  , bekanntlich nicht, und wenn er dann hintritt und wenigstens die Gewichtssteuer haben will, dann wird man ihm sein Leib- und Magenblatt hinhalten und sagen: Nichts da, die Gewichtssteuer bringt Nichts ein, sondern schädigt die Tabakindustrie und spielt sie in die Hände der Juden. Pindter sagt's und Pindter hat bekanntlich nie gelogen.

Beiläufig ist das Schreckgespenst des im Hintergrunde lauernden Juden ein reizender Einfall. Unter den eifrigsten Gegnern des Monopols und Befürwortern erhöhter Tabaksteuer befindet sich Stöcker's Reichsbote". Nun denke man, der streitbare Pastor Stöcker, der Held des Anti­semitenthums, wirkt auf diese Art ahnungslos im Interesse der fürchter­lichen Kohne und Ihigsohn's. Ist eine größere Fronie des Schicksals denkbar? So muß es kommen, sagt Neumann.

Der Bundestag

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pardon! der Bundesrath hat, wie zu erwarten war, das Tabakmonopol mit großer Majorität angenommen. Wo es sich um eine Schröpfung des Volkes handelt, kann Bismarck   der Zustimmung der deutschen Einzelregierungen sicher sein. Die preußischen Vasallen" find so bodenlos feige, daß sie sich zu jeder Schmach bequemen, wenn ihnen nur ihr Titel und die Hauptsache ihre Zivilliste gnädiglich gelassen wird. Wer von der Seite Schutz gegen die Unver­schämtheiten des preußischen Regiments erwartet, der ist in der That verrathen und verkauft.

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Ob Bismard sparen kann. In der vorigen Nummer des, Sozialdemokrat", schreibt uns ein Genoffe, wurde die Frage auf­geworfen, ob wohl Bismarck   sein mindestens 30 Millionen betragendes Vermögen von seinem Gehalt erspart" haben mag. Ich will auf diese Frage nicht eingehen, dagegen konstatiren, daß Bismarck   ein solches Ein­kommen hat, daß er, trotzdem seine beiden Jungens nach dem Satze: Geiziger Vater, liderli che Söhne, flott darauf losleben, doch noch in der Lage ist, einige Mark bei Seite zu legen.

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Bismarck   bezieht als Reichskanzler 56,000 Mt., erhält außerdem freie Dienstwohnung- d. h. das deutsche Reich hat ihm einen Palast gebaut mit Garten. Dann erhält er 12,000 Mt. zur Jnstandhaltung der Dienstwohnung und des Gartens. Da Bismard auch preußischer Ministerpräsident ist, so bezieht er für dieses Amt einen Gehalt von 51,000 mt., dazu noch einige tausend Mark Repräsentationskosten. Ferner als ehemaliger Minister von Lauenburg   für die Verdienste" um dieses Land eine Pension von 12,000 Mt. Mit den 12,000 Mt. zur Instandhaltung seiner Dienstwohnung reichte aber der Anwalt des armen Mannes" noch nicht, sondern er hat in einem Etatsjahr den Betrag um 18,000 und im folgenden um 5-6000 Mt. überschritten. Diese Ueberschreitungen seien deshalb nöthig gewesen, hieß es, weil die Neuanschaffungen so viel gekostet hätten, z. B. Gardinen, Geschirre, Servietten 2c. ob auch Taschentücher für seine Jungens davon bezahlt wurden, blieb im Unklaren. Selbst die Kosten der Schneeabfuhr und dergleichen Dinge läßt sich Bismarck   extra bezahlen. Kommen hiezu die Einnahmen aus dem dem Ländchen Lauenburg abgesch- meichelten Sachsenwald, aus dem Gute Varzin  , aus der berühmten Schnapsbrennerei ,, auch ich bin ein Schnapsbrenner!" und der noch berühmteren Cösliner Papierfabrik, welche von der Reichsdruckerei, dem Reichstelegraphenamt 2c. mit zahl­reichen Aufträgen beehrt wird kurz, Bismarck   läßt sich die unschätzbaren " Verdienste" um das deutsche Reich sehr anständig bezahlen.

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Die Gerechtigkeit im frommen Wupperthale. Wenn es eine Gegend gibt, wo die herrschende Gesellschaft vor der Rache der Arbeiter zu zittern hat, so ist es die des Wupperthales, von Barmen­Elberfeld. Denn dort verbindet der Bourgeois die schamlose Ausbeutung mit frommer Heuchelei, und Staatsanwalt, Richter und Polizei betrachten es als eine ihnen von Gott   gegebene Aufgabe und als ihre Pflicht, weil ihnen die Bourgeoisie einen Theil ihrer Beute abgibt und sie mit ihr verschwistert und verschwägert sind, mit allen staatlichen Machtmitteln die Arbeiter zu unterdrücken. Für diese Leute sind die Gesetze nur dazu da, Arbeiter einzusperren und zu verurtheilen; und die von ihnen ver­übte reine Gewaltthat suchen sie mit Paragraphen zu verdecken. So ist jetzt gegen die Genossen Oppenheimer und Szimmath Klage erhoben worden wegen Verletzung der§§ 129, 130 und 131 des Reichs­strafgesetzbuches. Nach ersterem Paragraphen sollen die beiden Genossen eine Verbindung gebildet haben, zu deren Beschäftigungen es gehört, die Vollziehung von Gesetzen ze. durch ungesetzliche Mittel zu verhindern oder zu entkräften. Also 2 Personen sind für diesen Staatsanwalt schon eine Verbindung"; welche Angst muß diesen Büttel erst überkommen, wenn ihm klar wird, daß alle Sozialisten solch' eine Verbindung bilden, und so dem Staatsretter eine ganz unfaßbare Zahl von Personen gegen­übersteht. Die anderen Paragraphen sind bekanntlich schon längst in Mode, der eine bestraft die Aufreizung der Gesellschaftsklassen zu Ge­waltthätigkeiten, der andere die Verbreitung wissentlich falscher That­sachen. Ob dem Wortlaut der Gesetze wirklich entsprochen wird, ist den deutschen Richtern schon längst ein überwundener Standpunkt, für sie ist Aufreizung jedes böse Wort über Ausbeuter und die Wahrheit über die Regierung und die herrschenden Klassen etwas unwahres.

Nun noch etwas zur Belustigung. Unsere Leser erinnern sich noch, daß am 18. März über Barmen vom Kriegerdenkmal herab eine rothe Fahne wehte und die Polizei Mühe hatte, dieses Abzeichen der Revolution zu entfernen. Staatsanwalt und Polizei waren in fieberhafter Aufregung, sie suchten und suchten und konnten nichts finden. Da beteten unsere Frommen und unser Staatsanwalt zu Gott um Erleichterung, und siehe da, der sonst dumme Staatsanwalt wurde mit einem Male gescheidt. Er sagte sich also: die Fahne ist aus Tuch, eine Fahne muß auch genäht werden, also gehört ein Schneider dazu, und um eine Kette zu durchschneiden, dazu gehört ein Schlosser ja, ja, um so etwas zu wissen, dazu gehört Studium und der Staatsanwalt hat nicht umsonst Jura studirt. Was thut er also? Genosse Szimmath ist Schneider, darum hat dieser die Fahne genäht, bei ihm wohnt ein Schlosser, folglich hat dieser Schlosser die Kette durchschnitten, darum also Anklage gegen diese Beiden, daß sie diese Fahne aufgehißt haben. Und da nun auf die Idee, die Bourgeoisie und das Beamtenthum Barmens durch eine rothe Fahne zu erschrecken, nur ein boshaftes Gemüth kommen kann und der Staatsanwalt

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für ein solches unseren Genossen Oppenheimer hält, so wird auch dieser als Anstifter unter Anklage gestellt. Parteigen offen über Parteigenossen werden auf's Gericht geladen, der erleuchtete Staatsanwalt sucht aus ihnen etwas herauszuschrauben, scheint aber nichts erfahren zu haben, denn verrätherische Wände haben es aus­geplaudert, daß der Staatsretter von Barmen nach jeder Zeugenverneh mung verzweiflun.gsvoll zur Decke stiert, als wollte er sagen: Hab', ach, Jurisprudenz studirt, Vier Jahre geort, wie sich's gebührt, Da steh' ich nun, ich armer Thor, Und bin so klug noch, wie zuvor.

Ehud.

Aus Sachsen  . In meiner Notiz über den neuesten Prozeß gegen Bebel( s. letzte Nummer) befindet sich ein Frrthum. Die Ver­jährung ist nicht eingetreten; ich hatte, wie ich gleich nach Absendung des Briefes merkte, Anfang September statt Anfang Oktober als Zeit der Publikation des inkriminirten Flugblattes angenommen. Die Verjährungsfrist für Preß- und Druckschriftvergehen ist bekanntlich sechs Monate. Indessen hat man auch diese Bestimmung illusorisch zu machen gewußt, indem z. B. bei Beleidigungen der Verjährungstermin nicht von dem Datum der Publikation gerechnet wird, sondern von dem Zeitpunkt an, wo die angeblich beleidigte Person die Druckschrift zu Gesicht bekom­men hat. Namentlich bei Bismarckbeleidigungen ist dies seitens der Staatsanwaltschaft wiederholt geschehen und von den Gerichtshöfen auch sanktionirt worden.

Es liegt auf der Hand, daß mit derselben Logik auch jedes andere Vergehen dem Schutz des Verjährungsparagraphen entzogen werden kann

der Staatsanwalt braucht blos zu sagen, daß er von der Druckschrift, gegen die er vorgehen will, erst beliebige Zeit nach ihrem Erscheinen Kenntniß erhalten hat.

Rien n'est sacré pour un sappeur!

Nichts ist für einen Sappeur( Sprigenmann) heilig, pflegte die liederliche Chansonettensängerin Therese zu fingen. Nichts ist einem Staatsanwalt heilig, können wir das frivole Verstein variiren. Kein Gesetzesparagraph, nicht die deutlichst ausgesprochenste Absicht des Gesetzgebers. Der Gesetzes­paragraph wird in das Prokrustesbett der staatsanwaltlichen Logik ge­zwängt, und ist der Wortlaut noch so klar, was nicht paßt, wird ge­waltsam zurechtgerenkt, auseinandergezerrt, abgehackt, je nach Bedarf, bis der Paragraph die nöthige Gestalt erlangt hat und den beabsichtigten Zweck erfüllt. Natürlich sagen die Herren Richter Ja und Amen, einzelne Anstandsausnahmen abgerechnet.-

Recht charakteristisch für das schuftige Denunziationswesen, das durch das Sozialistengesetz zu kolossalen Dimensionen angeschwellt worden ist, find die jüngst verhängten und inzwischen wieder provisorisch zurückgenommenen Ausweisungen aus Leipzig  .

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Drei junge Männer bekommen eines Mädchens wegen mit dessen Stief­vater Streit, in welchem sie beiläufig ganz Recht habender Lumpazius von Stiefvater rennt auf die Polizei, denunzirt die drei jungen Männer als Verbreiter des Sozialdemokrat", und die Polizei, der bei Erwähnung des Sozialdemokrat" der Verstand soweit sie welchen hat zum Teufel zu gehen pflegt, ordnet sofort, ohne die Sache irgend zu unter­suchen, die Ausweisung der drei Denunzirten an. Hätten diese nicht zu­fällig, in Folge von Aeußerungen des sauberen Stiefvaters, die Ursache ihrer Ausweisung erfahren und dadurch Gelegenheit erlangt, die absolute Grundlosigkeit der Denunziation nachzuweisen, so wären sie eben ruinirt gewesen.

Es zeigt dieser Vorgang aber auch, mit welch' empörendem Leichtsinne unsere Behörden verfahren, und wie sie, wo es sich um die Existenz und Zukunft von Menschen handelt, nicht einmal die einfachste Vorsicht und notorisch die Sorgfalt beobachten. Und sächsische offiziöse Blätter servilen Dresdener Nachrichten" haben die Stirn, gerade im jezigen Moment die Humanität" der Leipziger   Kreishauptmannschaft zu verhimmeln, welche die schneidige Waffe der Ausweisung" nur in den dringendsten Fällen und nach sorgfältiger Prüfung brauche.

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Die Ausweisung Eisengarten's und der zwei Brüder George liefert einen klassischen Kommentar zu dieser verlogenen Schmeichelei. Uebrigens wäre es Unrecht, wenn wir behaupten wollten, das Denun­ziationswesen sei in Leipzig   erst durch das Sozialistengesetz in's Leben gerufen worden. Leipzig  , mit seiner nationalliberalen Musterbourgeoisie, ist von jeher die Pflanzstätte des infamsten Denunziantenthums gewesen. Als 1866 die Preußen dort einrückten, wurden dem preußischen Stadt­kommandanten Tausende von anonymen und nichtanonymen Denun ziationen gegen Partikularisten"," Großdeutsche, Demokraten  " und sonstige Gegner der Bismarck  'schen Politik zugesandt, so daß der Kom­mandant öffentlich seinen Ekel über dies niederträchtige Treiben Ausdruck gab. All' jene Denunziationen entstammten aber den Kreisen der Bour­geoisie!

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Da ich am Denunziations  - Thema bin, so sei noch jenes traurig- tomi­schen Subjektes erwähnt, das ein wunderliches Gemisch von Hans­wurst und Spitzbube, im Uebrigen ein Leipziger  ( oder Reudnitzer) Voll­blutbourgeois auf den Namen Sparig hört. Dieser groteske Hallunke hat mit großem Fleiß eine Liste aller gemeingefährlichen Sozial­demokraten" ausgearbeitet und dem Ministerium eingeschickt mit der an die 300- im Interesse Bitte, alle darauf verzeichneten Personen der öffentlichen Ordnung ausweisen zu lassen. Die bisherigen Aus­weisungen reichten bei Weitem nicht aus. Bleibt abzuwarten, ob das sächsische Ministerium wirklich auf den Sparig gekommen ist und dessen Proskriptionsliste die von der ich eine Abschrift zur Hand habe gewünschte Berücksichtigung schenken wird. Fähig ist es dazu.

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In Breslau   spielte am 22. ds. wieder einer jener berüchtigten Prozesse wegen des§ 131. Angeklagt waren die Genossen Kräder, Zimmer, Kulkmann und Feltenberg, weil sie in Breslau  und in der Provinz Schlesien   einen Wahlaufruf verbreitet hatten, in welchem gesagt war, daß das Sozialistengesetz die Sozialisten rechtlos mache und durch den Belagerungszustand unschuldige Familien an den Bettelstab gebracht habe. Der Staatsanwalt erblickte in solchen Worten die Behauptung wissentlich falscher Thatsachen und die Breslauer Richter apportirten, was ihnen der Staatsanwalt hinwarf' und ver urtheilten Kräcker zu drei Monaten, Kulk mann und Felten­berg zu je zwei Monaten und 3 immer zu sechs Wochen Gefängniß. Juteressant war in der Verhandlung, daß Zimmer und Kräcker dem Staatsanwalt und den Richtern einen Wahlaufruf der Christlich- Konser­vativen vor die Nase hielten, worin es hieß, daß die bisherigen liberalen Gesetze den ehrlichen Mann ins Zuchthaus bringen, und fragten, warum hier die Staatsanwaltschaft nicht auch Klage erhoben habe. Die Antwort bestand darin, daß ihnen das Wort entzogen wurde, weil sie die Parteilosigkeit des Staatsanwaltes anzweifelten. Der Präsident dieses modernen Inquisitionsgerichtes heißt Gryczewsky, der Staatsanwalt Dr. v. Rheinbaben und dann fungirte ein Assessor Troplowit als Beisitzer, dessen Vater vor einiger Zeit wegen Be­trugs bestraft worden ist.

Wir kommen auf diesen, in mehr als einer Beziehung charakteristischen Prozeß in nächster Nummer noch zurüid.

Denunziantenbeleidigung. Wir haben in Deutschland  obenan die Bismarckbeleidigung, dann kommt die Majestätsbeleidigung, hierauf die Stöckerbeleidigung, alsdann die Gotteslästerung und die ge­wöhnliche Beamtenbeleidigung und jetzt kommt hiezu noch die De­nunziantenbeleidigung. In Barmen stand der Genosse Hülle wegen angeblicher Verletzung der§§ 130 und 131, begangen durch Verbreitung eines Flugblattes, unter Anklage, und wurde zu vier Monaten Gefängniß verurtheilt, ohne daß 2 Monate Untersuchungshaft