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über die Wahlproteste nicht aus dem Pulte herauslassen. Wir werden Alles aufbieten, um dieses nichtswürdige Manöver zu vereiteln. Ginge es diesen Herren Reaktionären nach, so würden wie das in einem Fall ja thatsächlich vorgekommen ist- die Kassirungen der Mandate erst am letzten Tage der Legislaturperiode ausgesprochen, so daß die unrechtmäßig Gewählten ihr gestohlenes oder geraubtes Mandat ungestört bis zu Ende ausüben könnten. Nun die smal wird's sicherlich nicht gelingen. Es herrscht in diesem Reichstag eine etwas bessere Temperatur als in den früheren Reichstagen und die unverschämte Rücksichtslosigkeit, mit welcher Bismarck soeben die Session des preußischen Landtags verlängert hat bloß um Land- und Reichstag zu chikaniren hat die Verstimmung" zu positiver Erbitterung gesteigert. Nur noch ein paar brutale Fußtritte und, wer weiß, der deutsche Reichstag erhebt sich zur Höhe des Wurms, der den Fuß sticht, von welchem er getreten wird.
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Sozialpolitische Rundschau.
3ürich, 10. Mai 1882. Irland , das ungeberdige, steht wieder einmal im Vordergrund des öffentlichen Interesses. Die Taktik der irischen Landliga, alle größeren Zusammenstöße zu vermeiden, sonst aber ihre Gegner bei jeder Gelegenheit zu schwächen, hat über die famose Gladstone- Forster'sche Unterdrückungspolitik den Sieg davon getragen. Die konservativen Landlords find schließlich so mürbe geworden, daß sie ein Ende, mit Schrecken einem Schrecken ohne Ende vorzogen und den Versuch machten, mit den Jrländern einen Kompromiß gegen Gladstone zu schließen, indem sie dessen Landbill zu überbieten suchten und sich für eine Landreform in dem Sinne erklärten, daß den irischen Bächtern durch Gewährung von Staatsvorschüssen die Möglichkeit werden sollte, ihren Pachtzins abzulösen und freie Bauern zu werden. Auf diese Weise retten nämlich die Herren vermittelst des Staatssäckels für sich, was überhaupt zu retten ist, ganz abgesehen von der Aussicht, Gladstone aus dem Sattel zu heben. Dieser alte Pfiffifus aber war schlau genug, den„ Zuvorkommenden" zu spielen, und erklärte sich mit dem Grundgedanken der vorgeschlagenen Ablösungsbill einverstanden. Er berief seinen Sündenbock Forster ab und schickte an dessen Stelle den in jeder Beziehung unbedeutenden Lord Caven dish als Staatssekretär nach Dublin . Ebenso mußte der Lord Statthalter von Irland , Cowper Templer, abdanken. Dagegen wurden die gefangenen Führer der Landliga auf freien Fuß gesetzt. Darob großer Jubel unter den Anhängern derselben, der übrigens ganz berechtigt war, denn sie durften sich eines großen Erfolges rühmen.
Dieser Jubel wird nun plötzlich durch die Ermordung des neuen Staatssekretärs, des obengenannten Cavendish, und des Unterstaatssekretärs Bourke sehr empfindlich gestört. Da zur Stunde, wo wir diese Zeilen niederschreiben, über die Motive der Ermordung noch nichts bekannt ist, so enthalten wir uns jetzt jeden Urtheils darüber. Wir stehen nicht auf dem abgeschmackten Standpunkte, in jedem politischen Morde eine revolutionäre " That" zu erblicken, sondern überlassen diese Verwechslung von Revolutionarismus und Brutalität anderen Leuten. Genug, die zwei zur Einleitung der Versöhnungspolitik" abgeschickten englischen Beamten sind ermordet worden, und ist infolgedessen in England die Stimmung eine den Irländern außerordentlich feindliche. Nicht nur die Konservativen, sondern auch ein großer Theil der sogenannten Liberalen, die Whigs, schreien nach entschiedener Aenderung der Politik den Irländern gegenüber. Die Jührer der irischen Landliga aber erlassen ein Manifest, in welchem sie ihre„ Empörung" über das Attentat in Dublin aussprechen und ihre Landsleute auffordern, ein Gleiches zu thun.
Es wird nicht an Stimmen fehlen, welche dieses Vorgehen als einen ,, Verrath am irischen Volk" bezeichnen, und die Herren Varnell, Davitt c. als von der englischen Regierung„ getauft" hinstellen werden. Wir beurtheilen die Sache kühler. Wir haben in den genannten Herren niemals Revolutionäre in unserem Sinne erblicken können und auch deshalb nur ein mitleidiges Achselzucken gehabt, wenn sie anarchistischerseits bald als„ Parlamentshumbuger" niedergeriffen, bald als ,, wahre Volksmänner" unseren Abgeordneten gegenübergestellt wurden. Der Kampf der Irländer ist so grundverschieden von dem Kampf unserer Partei, die Ziele gehen so weit auseinander, die Traditionen des Volkes, die ganze Situation überhaupt ist eine so grundverschiedene von der Situation in Deutschland , daß auch die Taktik naturgemäß eine andere sein muß. Die irische Erhebung ist ihrem sozialen Charakter nach eine rein agrarische, und zwar wesentlich eine Erhebung der kleinen Pächter, die unabhängige Bauern werden wollen. Von unserem Standpunkt ist ihre Tendenz daher im Grunde eine reaktionäre, da wir den kleinen Grundbesitz als einen Fortschritt gegenüber dem Großgrundbesitz nicht anerkennen können. An Versuchen, den Irländern den Gedanken einer Nationalisirung des Grund und Bodens im Interesse der Gesammtheit nahezulegen, hat es nicht gefehlt, namentlich hat der Korrespondent der " Irish World"( Frische Welt), Herr Henry George , Verfasser des auch in deutscher Sprache erschienenen sehr interessanten Buches ,, Fortschritt und Armuth", in diesem Sinne zu wirken gesucht, aber gegen die allgemeine Strömung läßt sich eben nichts machen, die große Masse, auf welche es ankommt, will davon nichts wissen, sie muß erst durch Erfahrung klug, durch den Gang der Ereignisse selbst weiter getrieben
werden.
Nehmen wir aber die Irländer, wie sie sind, so können sie, wie gesagt, auf ihre bisherigen Erfolge stolz sein. Die ihnen verhaßten Beamten sind abgerufen, die Zwangsbill ist nicht erneuert worden, die rückständigen Pachtzinse sollen zum Theil den Pächtern ganz erlassen, zum Theil vom Staat gegen billige Amortisation übernommen werden, die Landlords suchen zu retten, was zu retten ist, ehe ihnen das Land von
Feuilleton.
Von
Ueber die Ursachen, die dem Christenthum zum Sieg und zur Weltherrschaft verholfen haben, gibt Bauer auch sehr werthvolle Daten. Aber hier tritt der Idealismus*) des deutschen Philosophen ihm in den Weg, verhindert ihn klar zu sehen und scharf zu formuliren. Die Phrase muß oft am entscheidenden Punkt statt der Sache Dienst thun. Statt also auf die Ansichten Bauer's im Einzelnen einzugehen, geben wir lieber unsere eigene, außer auf Bauer's Schriften auch auf selbständigen Studien beruhende Auffassung dieses Punktes.
Die römische Eroberung löfte in allen unterworfenen Ländern zunächst direkt die früheren politischen Zustände und sodann indirekt auch die alten gesellschaftlichen Lebensbedingungen auf. Erstens, indem sie an die Stelle der früheren ständischen Gliederung( abgesehen von der Sklaverei) den einfachen Unterschied zwischen römischen Bürgern und Nichtbürgern oder Staatsunterthanen setzte. Zweitens, und hauptsächlich, durch die Erpreffungen im Namen des römischen Staates. Wurde der Bereicherungswuth der Statthalter unter dem Kaiserreich im Staatsinteresse möglichst ein Ziel gesetzt, so trat an deren Stelle die stets und mit wachsender Kraft wirkende, immer mehr angezogene Steuerschraube für den Staatssäckel eine Aussaugung, die furchtbar auflösend wirkte. Drittens endlich wurde überall nach römischem Recht von römischen Richtern
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*) Unter Idealismus“ ist hier die Neigung verstanden, bei Be urtheilung geschichtlicher 2c. Vorgänge den Hauptwerth auf den Einfluß bestimmter Ideen" zu legen, bezw. dieselben als von„ Ideen" abhängig darzustellen. Anm. der Redaktion.
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den Bauern genommen wird und diese günstige Situation verdanken die Frländer der Energie, mit welcher sie gezeigt haben, daß sie entschlossen sind, zu wollen, und mit welcher sie ihrem Willen, wo es darauf ankam, durch die That Nachdruck verliehen haben. Ob und inwieweit die Sachlage durch die Ermordung von Cavendish eine Aenderung erfahren wird, läßt sich in diesem Augenblick natürlich nicht vorausbestimmen; wir glauben aber, daß das in England erhobene Geschrei nach strengeren Maßnahmen", nach energischer Unterdrückung" nicht viel auf sich hat. Die Frländer haben John Bull gezeigt, daß sie teinen Spaß verstehen und schießen können.
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Ein Kuriosum. Im Reichstag saß vor Jahren ein Abgeordneter von wahrhaft phänomenaler Harmlosigkeit ein Vertreter des kleinen Mannes" in Hamburg , ein Herr Richter, trotz Eugen's eine durch und durch ehrliche Haut, in der Politik Fortschrittler der besseren Sorte, und in puncto Nationalökonomie seinem polternden, scheinbissigen Namens-( und Fraktions-) Kollegen ungefähr gewachsen, wo nicht gar über", was freilich sehr wenig sagen will. Wohlan dieser harmloseste der Richter, den nach zehnjähriger Parlamentspause sein Unstern wieder in den Reichstag gebracht hat, wurde vor wenigen Tagen auf Requisition der Staatsanwaltschaft über eine angebliche majestätsbeleidigerische Aeußerung vernommen, die er, laut einer Denunziation, vor 4 Jahren, in der tollen Attentatsfieber- Periode gethan haben soll. Während dieser 4 Jahre hatte er von dieser angeblichen Aeußerung feine Ahnung gehabt, kein Sterbenswörtchen gehört, und nun plötzlich sieht er sich einem Denunzianten gegenüber, der, durch die Wahl auf ihn aufmerksam geworden, wegen irgend einer Privatdifferenz sein Müthchen an ihm fühlen will und bereit ist, zu beschwören, daß der unglückliche Richter die fragliche Aeußerung, von der dieser, wie gesagt, nicht die leiseste Erinnerung hat, wirklich gethan, and daß er, der Denunziant, fie gehört habe.
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Das Ganze klingt grotesk lächerlich, wie ein schlechter Witz, und zwar ein recht schlechter. Es ist aber buchstäblich wahr, und für Herrn Richter auch durchaus nicht spaßig, denn wenn es ihm nicht gelingt- und dazu ist sehr geringe Aussicht nach so langer Zeit einen Alibi- Beweis zu erbringen oder sonst die Unrichtigkeit der denunziatorischen Zeugenaussage zu beweisen, so muß er günstigsten Falles auf einige Monate in's Gefängniß.
Eine Verjährung gibt's für derlei„ Verbrechen" nicht, wenigstens nicht in absehbarer Zeit; ein majestätsbeleidigerisches Wort behält seine gefährliche Wirkung volle 10 Jahre lang- d. h. länger, als unser monar chisches Europa Aussicht hat, fortzubestehen und gleicht jenem berühmten Klapperschlangenzahn aus Meidinger, der, in einem Stiefel stecken geblieben, noch nach vielen Jahren dem Eigenthümer des Stiefels verderblich wurde.
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Daß die Majestätsbeleidigungsprozesse sich wieder zu häufen beginnen, ist übrigens für unsere Feinde kein gutes Zeichen. Sagte doch schon Tacitus, nur wenn die Achtung vor der Majestät gesunken sei, könne es eine Majestätsbeleidigung geben. Und er hatte Recht: jeder Majestätsbeleidigungsprozeß ist ein testimonium paupertatis des Majestätsbegriffes, eine Bantrouterklärung des Monarchismus.
Russisches aus Bayern . Ein Monstre prozeß, besser ein Stück schamlosester Polizeiinsamie, spielt sich im Augenblick in München gegen 18 unserer Parteigenossen ab. Vor mehr als vier Monaten entdeckte die Münchner Hermandad unter Anführung vom ,, Meineidsmi che l", vulgo Michel Gehret, eine angeblich geheime Sozialistenversammlung. Anfangs wurden die schauerlichsten Gerüchte über die Verhafteten, die an einem Sonntag Nachmittag in Ketten von einem ca. dreiviertel Stunde von München entfernten Orte durch die Stadt hindurch ins Gefängniß transportirt worden waren, verbreitet; sie sollten schauerliche Mordpläne entworfen haben, namentlich hätten sie es auf Michel abgesehen, ein Mann, mit einem Revolver bewaffnet, habe auf Posten gestanden, um jeden unbefugten Eindringling über den Haufen zu schießen- kurz, über die Nihilisten konnten keine abenteuerlicheren Gerüchte im Schwunge sein, als Gehretmichel und seine Bande über die 18 verhafteten Arbeiter verbreiteten. Unzweifelhaft war der Revolvermann ein guter Freund der Polizei, denn während alle übrigen Verhafteten in Ketten geschlossen transportirt wurden, behandelte man gerade diesen so freundschaftlich, daß er auf dem Transport nach der Stadt dem wachsamen Auge der so findigen Polizistenbande ,, unbemerkt entwischen" konnte. Vergebens wiesen die Verhafteten nach, daß an dem ganzen Geschwätz kein wahres Wort, vergebens erklärten sie Mann für Mann, den verhängnißvollen Unbekannten mit dem Revolver gar nicht zu kennen, die Polizei hatte sie einmal in ihren Krallen und ließ sie nicht heraus. Jetzt endlich, nach 16 wöchentlicher Untersuchungshaft, ist die Anklage gegen unsere Genossen aufgesetzt worden, und zwar
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gestützt auf die nicht eidliche Aussage eines Unbekannten, welcher dem eidlichen Verhör des Herrn Gehret zufolge, diesem die Belastungsmomente schriftlich hinterbracht haben soll". Auf gut deutsch heißt das Auf die feige Denunziation eines ehrlosen Hallunken an einen noch ehrloseren Polizeischuft.
Und worauf lautet die Anklage? Was ist das fürchterliche Verbrechen, wegen dessen 18 brave Arbeiter mehr als vier Monate hinter Schloß und Riegel gehalten werden? Verdacht der Betheiligung an Verbindungen, deren Zweck, Dasein und Verfassung vor der bayerischen Staatsregierung geheim gehalten werden sollte, und welche in Wirklichkeit bahin abgezielt hätten, entgegen dem Sozialistengesetze Umsturzbestrebungen zu befördern und verbotene Schriften gleicher Tendenz zu verbreiten, um
geurtheilt, die einheimischen gesellschaftlichen Ordnungen damit für ungiltig erklärt, soweit sie nicht mit römischer Rechtsordnung stimmten. Diese drei Hebel mußten mit ungeheuerer nivellirender Kraft wirken, namentlich wenn sie ein paar Jahrhunderte lang angesetzt wurden an Bevölkerungen, deren kräftigster Theil schon in den der Eroberung vorhergehenden, sie begleitenden, und noch oft ihr folgenden Kämpfen niedergemacht oder in die Sklaverei abgeführt war. Die sozialen Verhältnisse der Provinzen näherten sich immer mehr denen der Hauptstadt und Italiens . Die Bevölkerung theilte sich mehr und mehr in drei, aus den verschiedensten Elementen und Nationalitäten zusammengewürfelte Klassen: Reiche, darunter nicht wenig freigelassene Sklaven( s. Petronius ), Großgrundbesitzer, Zinswucherer oder Beides, wie der Onkel des Christenthums, Seneka ; besitzlose Freie, in Rom vom Staate ernährt und beluftigt in den Provinzen konnten sie sehen wie sie fortkamen; endlich die große Masse Sklaven. Gegenüber dem Staat, d. h. dem Kaiser, waren die beiden ersten Klassen fast ebenso rechtlos wie die Sklaven gegenüber ihren Herren. Namentlich von Tiberius bis Nero war es Regel, reiche Römer zum Tode zu verurtheilen, um ihr Vermögen einzuziehen. Stütze der Regierung war, materiell, das Heer, das einer Landsknechtsarmee schon weit ähnlicher sah, als dem alten römischen Bauernheer, und-moralisch- die allgemeine Einsicht, daß aus dieser Lage nicht herauszukommen, daß zwar nicht dieser oder jener Kaiser, aber das auf Militärherrschaft gegründete Kaiserthum eine unabänderliche Nothwendigkeit sei. Auf welchen sehr materiellen Thatsachen diese Einsicht beruhte, darauf einzugehen ist hier nicht der Ort.
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Der allgemeinen Rechtlosigkeit und Verzweiflung an der Möglichkeit befferer Zustände entsprach die allgemeine Erschlaffung und Demorali sation. Die wenigen, noch übrigen Altrömer patrizischer Art und Gefinnung wurden beseitigt oder starben aus; ihr letzter ist Tacitus . Die übrigen waren froh, wenn sie sich vom öffentlichen Leben ganz fern halten konnten; Reichthumserwerb und Reichthumsgenuß füllten ihr Dasein aus, Privatklatsch und Privatkabale. Die besitzlosen Freien, in Rom Staatspensionäre, hatten dagegen in den Provinzen einen harten Stand. Arbeiten mußten sie, und das obendrein gegen die Konkurrenz
so die Vollziehung des fraglichen Reichsgesetzes durch ungesetzliche Mittel zu entkräften und zu verhindern."" Dagegen sind die Angeklagten nicht verdächtig, verbotene Schriften verbreitet zu haben." Das heißt, die Angeklagten haben weiter nichts verbrochen, als ohne bei Gehret anzufragen ihrer 18 zusammenzukommen. Das ist das ganze Verbrechen. Alles andere ist Polizeiflunkerei. Ist einer solchen Schandwirthschaft gegenüber unsere Einleitungsbemerkung Russisches aus Bayern " zuviel gefagt?
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Damit beim Ernst auch der Humor nicht fehle, hat Gehretmichel in der Untersuchung sich bitter darüber beklagt, daß unter den Sozialisten allgemein Spiznamen im Gebrauch seien, und es daher selbst seinem bekannten Scharfsinn nicht gelingen wolle, die geheimnißvollen Fäden, denen er auf die Spur gekommen, zu entwirren. Armer, verwirrter Gehret, Du hast Recht! Man sollte die Spitznamen durch ein Reichsgesetz untersagen.
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- Polizeiliches aus Hessen . Aus Darmstadt wird uns geschrieben: Der Hochverrathsprozeß wäre also richtig wieder fertig. Wie ich in meinem Bericht in Nr. 14 mitgetheilt, wurde ein auf den Namen Jean Fischer gereifter fliegender Agitator" der Most'schen Richtung dadurch hier verhaftet, daß man ihn von London aus an die Adresse eines Polizeispitzels sandte, der denn auch pflichtschuldigst seinen Rapport der Behörde überbrachte. Der Verhaftete hatte aber noch einige Briefe an Gleichgesinnte in Bornheim und Hanau , die er, statt sie schon unterwegs oder doch wenigstens selbst in den Briefkasten zu werfen, besagtem Spitzel( Seibert) zur Besorgung übergab. Nicht etwa, daß die Briefe nun an die Polizei nolens volens abgeliefert, resp. von ihr abgenommen wurden Gott bewahre! Es wurde vom hohen Polizeirath beschlossen, um bei uns ja keinen Verdacht aufkommen zu lassen, bei Seibert eine ordnungsmäßige Haussuchung vorzunehmen, bei welcher dann die Briefe in der Tischschublade des Seibert vorgefunden werden mußten. Ja, ja, Herr Lampe, Sie wundern sich, daß wir Ihren Befehl so genau gekannt? wüßten Sie, in welch' unmittelbarer Nähe von Ihnen wir unsern Berichterstatter haben! Doch wieder zur Sache. Die Polizei fand, wie geplant war, die Briefe vor, und nun gibt's Untersuchungen auf Untersuchungen wegen Hochverrath". Welches Glück die Polizei damit hat, wird sich vielleicht nach einem Jahre finden. Freilich gibt das der Polizei wieder neuen Muth, auf uns herumzuhacken; die Polizeiseelen vergehen geradezu vor Wuth, weil es ihnen immer noch nicht gelang, einen der Unserigen zu kapern.
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Wie schlecht die Polizei ist, mögen die Genossen daraus ersehen, daß sie sogar in unseren eigenen Reihen Spione dingen will. Namentlich gilt dies vom Kommissär Rinn, der alle Minen springen läßt, und dem es nach eigener Aussage auf ungezähltes Geld nicht ankommt, wenn er nur von den Genossen Binkert und Müller etwas erfahren kann. Natürlich wurde dieses Ansinnen von dem Betreffenden zurückgewiesen, ob aber alle Eingeweihten derartigen schuftigen Anerbietungen gegenüber standhaft bleiben, ist eine Frage, die zwar nicht beantwortet werden kann, welche aber immerhin zur größten Vorsicht mahnt. Man lasse ja nicht den Gedanken aufkommen, die Polizeischergen seien Produkte der heutigen Gesellschaft, und man dürfe über sie als solche kein allzuftrenges Verdikt fällen. Daß fast Jeder ohne Ausnahme neben ehrloser Gesinuung auch eine gehörige Portion Denunziantensinn hat, geht aus Folgendem hervor:
Hat da ein Wirth, dessen Lokalitäten sich von anderen Wirthshäusern dadurch vortheilhaft unterscheiden, daß in ersteren fein Militär verkehren darf, eine schwarze Kazze. Irgend ein Kind hatte aus Spielerei dieser Katze ein rothes Bändchen um den Hals geknüpft. Vielleicht im Bewußtsein, ein rothes Bändchen zu haben, wurde die Katze dermaßen von hochverrätherischen Gedanken erfüllt, daß sie sich bis auf die Straße wagte. Flugs fand sich so ein Schnüffelinski und dem Wirth wurde ein Protokoll gemacht, weil seine Katze in demonstrativer Weise die rothe Farbe trug." Es wird vielleicht mancher Genosse das Gesagte für unglaublich halten, wer aber die unverschämte Dummheit unserer Polizei kennt, den wird so etwas nicht befremden.
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Apropos! Gestern fand auch die Gerichtsverhandlung gegen Frau Anna Lesser von hier und Frau Gräfin Guillaume- Schack aus Beuthen statt, weil sie sich beikommen ließen, gegen unsere sittenpolizeilichen Zustände zu sprechen und das Verhalten der Behörden zur Prostitution einer scharfen Kritik zu unterziehen. Der Staatsanwalt wies darauf hin, daß der brittisch- kontinentale Bund destruktive Ziele verfolge und die heutige Gesellschaftsordnung ändern wolle. O staatsanwaltliche Weisheit, die wohl nur in einem Bordell zu solcher Blüthe kommen konnte! Wer also gegen die gesetzliche Prostitution eifert, will die Gesellschaftsordnung umwälzen, verfolgt destruktive Ziele!?! Wahrlich, drafti scher könnte unser bester Agitator die Zustände nicht kennzeichnen, als es hier allerdings von einem gelbschnabeligen Jungen, der kaum sein juridisches Examen absolvirt geschehen ist. Doch wie kam das? Ich will es den Lesern noch kurz mittheilen zur Nacheiferung für die, so zu uns gehören, zur Schande für die staatsanwaltliche, richterliche und polizeiliche Sippschaft.
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Frau Lesser bewohnte mit Genosse Miller dasselbe Haus. Die Anklage gegen sie war nicht gut aufrecht zu halten. Vielleicht hat Müller sein Versteck in ihrer Wohnung, kalkulirte die Polizei in ihrer polizeiwidrigen Dummheit, darum einmal gehaussucht bei ihr; und natürlich wurde hiezu ein Tag gewählt, an dem Frau Leffer nicht da, also ihre Wohnung geschlossen war. Dieselbe wurde nun mit Gewalt aufgebrochen, und das hat Frau Lesser in der Verhandlung gebrandmarkt, indem sie ausführte, daß die Polizeier wie Die be bei ihr eingebrochen seien und energisch gegen solch schmachvolle Beleidigung protestirte, wofür sie vom Richter mit einer Strafe von 3 Mt. wegen Ungebühr bedacht wurde. Das ist
Neben
der Sklavenarbeit. Doch waren sie auf die Städte beschränkt. ihnen gab es in den Provinzen noch Bauern, freie Grundbesitzer( hie und da wohl auch noch in Gemeineigenthum) oder, wie in Gallien , Schuldhörige großer Grundherren. Diese Klasse wurde von der gesellschaftlichen Umwälzung am wenigsten berührt; sie stellte auch der religiösen den längsten Widerstand entgegen.*) Endlich die Sklaven, rechtlos und willenlos, in der Unmöglichkeit sich zu befreien, wie schon die Niederlage des Spartakus bewiesen; aber dabei großentheils selbst ehemalige Freie oder Söhne Freigeborener. Unter ihnen mußte also noch am meisten lebendiger, wenn auch nach Außen ohnmächtiger Haß gegen ihre Lebenslage vorhanden sein.
Dem entsprechend werden wir auch die Ideologen jener Zeit geartet finden. Die Philosophen waren entweder bloße gelderwerbende Schulmeister oder bezahlte Possenreißer reicher Prasser. Manche waren sogar Sklaven. Was aus ihnen wurde, wenn es ihnen gut ging, zeigt Herr Seneta. Dieser Tugend und Enthaltung predigende Stoiker war erster Hofintriguant Nero's, was ohne Kriecherei nicht abging, ließ sich von ihm Geld, Güter, Gärten, Paläste schenken, und während er den armen Lazarus des Evangeliums predigte, war er in Wirklichkeit der reiche Mann desselben Gleichnisses. Erst als Nero ihm an den Kragen wollte, bat er den Kaiser, alle Geschenke zurückzunehmen, seine Philosophie genüge ihm. Nur ganz vereinzelte Philosophen, wie Persius , schwangen wenig stens die Geißel der Satire über ihre entarteten Zeitgenossen. Was aber die zweite Art der Ideologen angeht, die Juristen, so schwärmten diese für die neuen Zustände, weil die Verwischung aller Standesunterschiede ihnen erlaubte, ihr geliebtes Privatrecht in aller Breite auszuarbeiten, wofür sie dann dem Kaiser das hündischste Staatsrecht verfertigten, das je existirt hat.
Mit den politischen und sozialen Besonderheiten der Völker hatte das römische Reich auch ihre besondere Religion dem Untergang geweiht. Alle Religionen des Alterthums waren naturwüchsige Stammes- und
* Nach Fallmereyer wurde noch im 9. Jahrhundert in der Maina ( Peloponnes ) von den Bauern dem Zeus geopfert.