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retterischen Maaßregel erst einige Wochen im Gefängniß gesessen hat, liefert ein weit gewichtigeres Argument als eine sans façon und ohne staatsanwaltliches Vorspiel verhängte einfache Polizei- Ausweisung. Während die Polizei es sich unsägliche Mühe und der Himmel weiß wie viel Geld toften läßt, die Verbreitung des ttt Sozial­demokrat" zu verhindern, zirkulirt dieser, vor der Nase, wenn auch nicht unter den Augen der Polizei mit einer Pünktlichkeit, die in der guten, alten Zeit" des Rüder- Döbler'schen Polizeiregiments niemals auch nur annähernd erreicht worden ist. In dieser Beziehung sind wir wirklich unserem neuen Polizeidirektor, dem eifrigen Chemnitzer   Er- Oberstaats­anwalt Richter, vielen Dank schuldig. Er hat sein bei seinem Amts­antritt dem Stadtrath gegebenes- Versprechen: Leipzig   von der Pest der Sozialdemokratie zu reinigen," mit solchem Er­folge gehalten, daß wir ihn wirklich zum Ehrenmitglied unserer Partei ernennen sollten. Es ist dies auch bereits ernsthaft in Erwägung gezogen worden, und wenn Herr Richter( der dies liest) nächstens ein Ehrendiplom" in optima forma erhält, dann braucht er nicht überrascht zu sein. Er möge nur so fortfahren!

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Scherz bei Seite: Gemüthlichkeit" ist das deutsche   Nationallaster auch unsere Partei krankte daran, und es war hohe Zeit, daß wir durch das Sozialistengesetz un gemüthliche" Zustände bekommen haben, durch welche dem Gemüthlichsten" die Gemüthlichkeit" ausgetrieben worden ist. Je, ungemüthlicher" die Zustände, desto strammer die Organisation, desto schneidiger die Stimmung. Das sehen wir überall. Und den letzten Rest von Gemüthlichkeit" aus unserer Seestadt Leipzig" aus­getrieben zu haben, dieses unleugbare un und wirkliche Verdienst hat der neue Polizeidirektor.

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Daß der Lumpacius Sparig seine Proscriptionsliste" richtig nach Dresden   ans Ministerium geschickt hat, wissen Sie aus den deutschen Zeitungen. Dieses Individuum, bei dem man nicht weiß, wo der Hans­wurst aufhört und der Schuft anfängt, rühmt sich seiner Gemeinheit öffentlich. Nun das ist seine Sache; aber Sache unserer Bour­geoisie ist es, daß sie, statt jede Solidarität mit dem elenden Tropf von sich zu weisen, unverhohlen seine Infamie billigt, und Bravo   dazu klatscht. Pfui der Schande!

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Wohlgemerft: ich schrieb Bourgeoisie, nicht Bürgerthum. Unser Kleinbürgerthum wendet sich immer mehr der Sozialdemokratie zu, in deren Sieg es mit Recht seine einzige wirthschaftliche Rettung erblickt.

Heut vor 8 Tagen stand Bebel vor dem hiesigen Landgericht, unter der Anklage, durch sein Leipziger Wahlflugblatt gegen§ 131 verstoßen und den Bundesrath beleidigt zu haben. Die Oeffentlichkeit wurde trog Einsprache unseres Genossen ausgeschlossen, and Bebel, obgleich er den Staatsanwalt ad absurdum führte, zu 1 Monat Gefängniß verur­theilt. Er wird Revision beantragen. Das Erkenntniß beruht auf der landesüblichen famosen Interpretation des, wissend, daß sie erdichtet oder entstellt sind", und auf der Annahme, daß jede scharfe Kritif eines Gesetzes eine Beleidigung derer ist, die mit der Verfertigung und Er­lassung des Gesetzes etwas zu thun gehabt haben. Nach dieser Annahme hätte Bebel ebensogut auch noch auf Beleidigung der Reichstags­mitglieder, die für das Sozialistengesetz gestimmt, und des Kaisers, der seinen Namen daruntergeschrieben und natürlich auch Bismarc's angeklagt und verurtheilt werden können, ja müssen. Das Gericht hatte nur nicht den Muth der Konsequenz: es schreckte offenbar vor deren Widerfinnigkeit zurück.

Den entgegengesezten Muth der Konsequenz: ganz frei zusprechen, hatte das Gericht aber erst recht nicht.

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Die Jurisprudenz"

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· hat ein berühmter Mann gesagt ,, tödtet die Fähigkeit logischen Denkens und gerech ten Handeln 8." Wahrhaftig, er hat den Nagel auf den Kopf ge­troffen!

Nach diesem Erkenntniß gegen Bebel ist die Verurtheilung Lieb­tnecht's, Bebel's und Hasenclever's wegen des bekannten Flugblattes über den Leipziger   Belagerungszustand nicht mehr zu be­zweifeln, denn die Anklage hat genau die nämliche Basis. Dieser Prozeß, bei dem die Deffentlichkeit sicherlich gleichfalls ausgeschlossen wird, dürfte etwa 14 Tage nach Schluß des Reichstagssession, während deren Dauer er fistirt ist, zur Verhandlung kommen.

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In München   hat am 24. Mai endlich die Prozeßverhandlung gegen unsere Ende Januar verhafteten Parteigenossen stattgefunden. Achtzehn brave Arbeiter sind auf die Denunziation des gewissenlosen Hallunken Gehret hin seit vier Monaten in Untersuchungshaft ge­halten worden, und in der Hauptverhandlung hatte der saubere Gesellschaftsretter nicht einmal einen Zeugen für die Richtigkeit seiner Angaben aufzuweisen, sondern stützte sich auf den großen Unbekannten". Jemand, den er nicht nennen könne, habe ihm mitgetheilt, daß am betr. Tage in Steinhausen eine Vertrauensmännerversammlung stattfinden sollte, und diese Angabe genügte Herrn Gehret, Jeden, der die Schwelle des Gastzimmers überschritten hatte, ver haften und in Ketten nach München   transportiren zu lassen!

Die Vertheidiger, die Doktoren Bernstein   und Siegel, gingen mit anerkennenswerther Schärfe gegen den Polizeipascha von München  vor. Dr. Bernstein protestirte anfangs gegen die Vereidigung Gehret's, da diesem das bekannte Amtsgeheimniß" verbiete, über interne Polizei­angelegenheiten zu berichten, eine theilweise Enthebung aber un­zulässig sei. Da die Richter den Meineidsmichel" trotzdem vereidet hatten, verlangte Dr. Bernstein nachher, Michel soll auch nunmehr ge­zwungen werden, seinen Zeugen zu nennen, was die edlen Richter aber nicht für nöthig befanden.

Weiter rückte Dr. B. Gehret mit der Frage auf den Pelz, ob der Spion für die Denunziation bezahlt worden sei, worauf derselbe ausweichend antwortete. In seinem Plaidoyer erklärte derselbe Vertheidiger, der Spion habe auf jeden Fall aus schlechten Motiven gehandelt, denn sonst würde er seine Angaben vertreten. Auf die Angabe eines anonymen Schuftes hin sollen nun 18 Männer verurtheilt werden, das sei das Stärkste, was einem deutschen Gerichtshof je zugemuthet worden wäre. schaft higher scharf ging Dr. Siegel mit Bolizei und Staatsanwalt­schaft ins Gericht. Sehr wacker benahmen sich die Angeklagten, die sämmtlich unumwunden ihre Angehörigkeit zur Sozialdemokratie be­

fannten.

Dem Gerichtshof, der schon durch seine Ablehnung der von der Ver­theidigung gestellten Anträge gezeigt hatte, wes Geistestind er sei, schien die Untersuchungshaft noch nicht lange genug gedauert zu haben, er setzte deshalb die Verkündigung des Urtheils erst auf acht Tage später an, also über die Pfingstfeiertage hinaus, damit die Angeklagten, unter denen verschiedene Familienväter sind, ja nicht zu früh freikämen. Dabei besaß er noch die Unverfrorenheit, durch seinen Präsidenten gegen den von der Vertheidigung erhobenen Vorwurf der Verschleppung sich zu verwahren.

Das Urtheil", wird somit erst am 2. Juni bekannt werden.

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Aus Dresden  , 21. Mai wird uns geschrieben: Unsere famose 2. Strafkammer bei dem hiesigen Landgericht, deren Vorsitzender der be­richtigte Herr v. Mangold   ist, hat seitens des Reichsgerichts doch einen kleinen Rüffel erhalten, leider nur einen kleinen, einen solchen, der den Verurtheilten nichts nüt.

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Es handelt sich um die Revision des Urtheils in dem Prozeß wider eine Anzahl unserer Genossen in Dresden   Neustadt, die wegen eines Wahlflugblattes auf§ 131 von 2-6 Monate Gefängniß erhielten.

Die eingelegte Revision wurde vom Reichsgericht verworfen, und zwar, weil dasselbe an die thatsächlichen Feststellungen" des urtheilenden Gerichts gebunden sei; jedoch führte das Reichsgericht über das Urtheil selbst unter Anderem folgendes aus:

Ob die Auslegung, welche dieses Flugblatt, welches die An­geklagten verbreitet haben, in den Urtheilsgründen erfahren hat, richtig ist, das entzieht sich der Nachprüfung der Revisionsinstanz. Es ist auch zuzugeben, daß in diesem Flugblatt verschiedene Sätze enthalten sind, welche ebenso wohl als eine beleidigende Kritik als auch als that­sächliche Behauptungen aufgestellt werden können; allein es kann dem Gericht erster Instanz ein Rechtsirrthum darum nicht zur Last gelegt werden, weil es in diesen Sätzen thatsächliche Behauptungen", eine Entstellung von Thatsachen gefunden hat."

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Aus dem Preußendeutsch in gutes reines Deutsch übertragen, heißt das: Wir Reichsgerichtsleute sind zwar der Meinung, daß das Flugblatt nur eine beleidigende Kritik enthält, die nach dem Sinn und Wort­laut des§ 131 nicht straffällig sein kann, allein, da das erkennende Gericht darin thatsächliche Behauptungen" zur Verächtlich­machung von Staatseinrichtungen erblickte und thatsächlich festgestellt" hat, so können wir von unserm Kompetenzstandpunkt nichts dagegen machen. Die Verurtheilten müssen ihre Strafe abbrummen.

Das Reichsgericht gesteht also indirekt ein, daß seitens der zweiten Straftammer am Landgericht zu Dresden   eine schwere Beugung des Rechts vorgekommen ist, der eine Anzahl Menschen zum Opfer fielen, es erklärt aber, nichts dagegen machen zu können.

Und das nennt man im deutschen Reich Gerechtigkeitspflege!

Hurrah! Eine nationalliberalerseits einberufene Versammlung der Tabaksinteressenten von Speier ist auf Grund des Sozialistengesetzes verboten worden. Das ist famos, nur immer so weiter! Die heilsame Wirkung" des Sozialistengesetzes, von der die ,, Nationalliberale Korrespondenz" in einer ihrer letzten Nummern faselte, muß sich noch in ganz anderer Weise offenbaren.

,, Mit Genehmigung des Kaisers ist der am 12. Mai d. J. geborene Sohn des Herzogs Paul Friedrich von Mecklenburg als Soldat in die Armee aufgenommen" und dem ersten großherzoglich­mecklenburgischen Dragonerregiment Nr. 17 zugetheilt worden." Also zu lesen in der erleuchteten Presse des Denkervolkes. Wir nehmen von dem kolossalen uit Notiz und fragen bescheiden an, об der qu. hund sgemeine Soldat, wenn er seine Uniform, d. h. seine Windeln be- schmutzt auch mit Arrest bestraft wird, oder ob für ihn ein militärisches Ausnahmegesetz geschaffen wird, das ihm dergleichen Freiheiten gestattet?

Uebrigens dürfte es der Soldat in Windeln an Verständniß für seine Pflichten und für die deutsche   Grammatik mit seinem erlauchten" Groß­oheim, Prinz Schnaps genannt, in jeder Beziehung aufnehmen.

,, Das wäre heiter, wenn die Deutschen   ihren geliebten Kron prinzen von Nihilisten in die Luft sprengen ließen"-schreibt die liberal­tonservative Züricher Freitagszeitung". Wir haben dem nichts hinzuzusetzen.

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Anarchistisch e s. Ein lieber Kerl, der Revolté in Genf  ! Die Devise der Londoner Freiheit":" Gegen die Tyrannen sind alle Mittel gesetzlich", übersetzt er seinen Gläubigen mit: Contre les tyrans tous les moyens sont bons. Gegen die Tyrannen sind alle Mittel gut. Das bloße Wort gesetzlich légal" flößt ihm ein solches Entsetzen ein, daß er es gar nicht zu drucken wagt. Er schämt sich der mangelnden Logit seiner Londoner   Freunde.

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Es ist allerdings eine seltsame Logit, welche einen solchen Satz fertig bringt, nur ist die Logik des Revolté" um fein Haur besser. Gegen die Tyrannen sind durchaus nicht alle Mittel gut, sondern nur die Mittel, welche ihnen in Wirklichkeit schaden und den Unterdrückten nützen.

Oesterreich. Aus dem Lande der Niedertracht, schreibt man uns, ist diesmal eine Infamie zu melden, welche alles auf diesem Gebiete bei uns bisher geleistete übersteigt, und das will viel heißen.

,, Es handelt sich um den Prozeß Richter". Richter, ein Sozial­revolutionär", hatte einen Letternſatz, den er angeblich von einem ge­wissen Schäfer erhalten, einem Buchdruckereibesitzer überbracht und bei demselben 2000 Abzüge bestellt. Der Buchdrucker aber liefert, nach­dem er den Bürstenabzug gelesen, den Letternsatz der Polizei aus. Richter hinwiederum, anstatt seinerseits über die Verzögerung stuzzig zu werden, richtete einen Brief an den Buchdrucker, in welchem er die Ausführung des Auftrags betrieb. Diesen Brief hatte er mit seinem vollen Namen unterzeichnet, es war also für die österrei­chische Bolizei nicht schwer, den Schuldigen" zu ermitteln, der vorgestern wegen Hochverrathes, Majestätsbeleidigung" und anderer kleinerer Delikte vor Gericht stand. Die Art und Weise seiner Verantwortung, zusammengehalten mit der beispiellosen Naivetät seines Vorgehens bei Bestellung der Flugschriften, hätte genügen sollen, die Richter zu über­zeugen, daß sie ein bloßes Werkzeug vor sich hatten, welches sich der Trag­weite seiner Handlungen nicht bewußt war. Aber unsere Rechtsbanditen wollten die Welt davon überzeugen, daß Schönerer   Recht hatte, als er sie im Reichsrathe erbärmliche Subjekte nannte, die zu jedem Staatsstreich zu gebrauchen seien. Nachdem die Geschworenen ihn schuldig" gesprochen, verurtheilten sie den Angeklagten zu der entsetzlichen Strafe von zwölf Jahren schweren kerters.

Zwölf Jahre wegen des Versuches, ein Flugblatt drucken zu lassen! Und das nicht im brutalen Rußland  , sondern im Rechtsstaat" Desterreich! Gesetzlich kann auch die Todesstrafe über Hochverräther verhängt werden; vielleicht erleben wir's noch, daß Galgen für uns errichtet werden.

,, Nun, die Herren vergessen, daß russische Zustände auf der einen Seite auch solche auf der andern provoziren.

Vorläufig wollen wir nur konstatiren, daß das Scheusal, welches dem Gerichtshof präsidirte, Karajan heißt.

,, Anderntheils wollen wir aber auch nicht vergessen, darauf hinzuweisen, welche Schuld den Herren in London   eizumessen ist, welche die Revo­lutionsmacherei als Sport betreiben unt sich nicht scheuen, damit sie eine Hezz" haben, in der frivolften und leichtsinnigsten Weise diejenigen ihrer hiesigen Genossen, die noch etwas Kourage besitzen, an's Messer zu liefern. Der Juhalt des Flugblattes, der den des Rebell" noch über­treffen soll, sowie das ganze Arrangement, waren derart, daß man sich wirklich fragen muß, sind diejenigen, die dergleichen veranstalten, verrückt oder gekauft? Daß sie, ob mit Willen oder nicht, bisher für Niemanden gearbeitet haben, als für die Polizei, haben die Hochverrathsprozesse der letzten zwei Jahre zur Genüge bewiesen."

B. J.

Frankreich  . Vom 14.- 21. Mai tagte der Regionalkongreß von Mittelfrankreich, einberufen von der sozialistischen   Arbeiterpartei, bezw. von der Majorität des, wie unsere Leser wissen, gespaltenen Verbandes des Zentrums. Da sämmtliche Arbeitervereine eingeladen waren, so hatten sich auch die zur Minorität zählenden Vereine eingefunden, und zum Zeichen, daß sie gewillt seien, ernsthaft an der Berathung der auf der Tagesordnung stehenden Fragen Streifs, Gewerkschaftskongresse, Eroberung politischer Macht in Staat und Gemeinde theilzunehmen, ihre Mandate den Einberufern übergeben. Die Thatsache aber, daß auch die Minderheit den Titel Verband des Zentrums" führte, wurde von der Majorität dazu benutzt, derselben die Theilnahme am Kongreß un­möglich zu machen, indem sie ihr die Bedingung stellte, diesen Titel ab­zulegen, d. h. sich ihres ob vermeintlichen oder wirklichen, bleibe da­hingestellt guten Rechtes freiwillig zu begeben. Das war eine Aus­stoßung in bester Form, die Minorität und mit ihr 3 weitere Sektionen, im Ganzen 10 Organisationen, traten vom Kongreß zurück.

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Dieses Verfahren der Majorität können wir umsoweniger billigen, als sie auf der anderen Seite in weitherzigster Weise sowohl Anarchisten wie Selbsthilfler zuließ. Unter den ausgeschlossenen Sektionen befinden sich

aber gerade die eifrigsten Verfechter des revolutionären wissenschaftlichen Sozialismus. Mit solchen Manövern gründet man teine kampffähige Partei. Aus verschiedenen Industrieſtädten in der Provinz liegen auch schon Proteste gegen das Verfahren vor, u. A. aus Alais  ( Gard  ), Roanne  ( 7 Vereine), Reims  ( 4 Vereine), Rochefort, Mont­Ingon, Angouleme   2c.

Ob dieser Konflikt, der zum größten Theil auf persönliche Rivalität zurückzuführen ist, bis zu einer vollständigen Spaltung der so viel ver­sprechenden Arbeiterpartei getrieben werden wird, wird sich auf dem im Herbst stattfindenden nationalen Kongreß zeigen.

Was nun die Berathungen des Kongresses selbst anbelangt, so können wir mit Genugthuung fonstatiren, daß dieselben einen entschiedenen Fortschritt gegen den vorjährigen Kongreß dokumentiren. Es zeigt sich ein immer größeres Verständniß für den in der heutigen Gesellschaft herrschenden Klassenkampf zwischen Kapital und Arbeit und die aus dem selben resultirenden Aufgaben des Proletariats. Wir bedauern sehr, daß uns der Raum mangelt, die höchst interessanten Voten über die oben­genannten Fragen im Sozialdemokrat" zu veröffentlichen. In Bezug auf die Streiks und die Gewerkschaften gingen übrigens die Meinungen wenig auseinander, die Ersteren wurden fast allseitig als nothwendige Folgen des heutigen Kampfes zwischen Kapital und Arbeit anerkannt, sowie als Mittel, auf die große Masse der Arbeiter agita­torisch einzuwirken. Betont wurde dabei, daß der Hauptwerth bei den Streits auf die Abkürzung der Arbeitszeit zu legen sei. Die Minorität legte in ihrem Votum einen Plan zur Organisation einer allgemeinen Streiftasse nieder, die Majorität hielt eine solche für noch nicht realisir­bar und entschied sich für eine Unterstützung der Streits nach den jeweilig vorhandenen Mitteln. Bezüglich der Organisation der Arbeiter in natio­nalen Gewerkschaften bisher bestanden fast nur lokale Fachbereine sprachen sich Minorität und Majorität bejahend aus und erklärten es für Aufgabe der Partei, diese Gewerkschaften in jeder Beziehung zu befördern, und die Initiative zu regionalen, nationalen und internatio nalen Gewerkschaftskongressen zu ergreifen.

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In der Frage der Eroberung der politischen Macht in Staat und Gemeinden traten in Bezug auf die letzteren stärkere Differenzen zu Tage. Wir kommen darauf in nächster Nummer zurück.

Streits und Lohnkämpfe finden noch fortwährend statt. Der bedeutendste ist wohl im Moment der von uns vor einigen Wochen angezeigte Streit der Schuhmacher in Paris  . Eine ganze Anzahl Meister haben die geforderte Lohnerhöhung bereits bewilligt, aber darum gebeten, daß diese Lohnerhöhung bis zur Beendigung des Streits für die Streit­kaffe verwendet werde. Dieser Wunsch wurde von einer sehr stark be­suchten Versammlung einstimmig bewilligt. Die Organisation scheint eine gute zu sein, so daß der Sieg der Arbeiter nicht unwahrscheinlich ist. Der Jahrestag der blutigen Maiwoche wurde von den Pariser Sozialisten in würdiger Weise begangen. Am 28. Mai versammelten sich eine große Anzahl Sozialisten auf dem Bastilleplatz und marschirten von da aus in einzelnen Gruppen zum Begräbnißplatz Père- Lachaise Letzterer war während des ganzen Tages überaus start besucht. Die Stätte, wo die Ueberreste der niedergemeßelten Kommunards eingescharrt liegen, war von Blumen, Kränzen, Schleifen 2c. bedeckt. Eine ganze Anzahl von Sozialisten, u. A. La busquière, Digeon, Louise Michel, hielten auf das Gedächtniß der Gefallenen feiernde Ansprachen. Am Abend fand eine Versammlung der Manifestanten statt, welche zum Zwecke hatte, ein Einverständniß zwischen den verschiedenen Frat tionen der revolutionären Partei anzubahnen. Auf Vorschlag von Digeon wurde eine Kommission gewählt, um Vorschläge zu einer Gegen­demonstration am sogenannten Nationalfest am 14. Juli( Bastillesturm) auszuarbeiten.

England. Die Anklage gegen den Schriftsetzer Mertens wegen des Artikels der Freiheit" über die Ermordung von Cavendish und Burke ist vor die Assisen verwiesen worden. Mertens erklärte in der Vorverhandlung, den qu. Artikel weder verfaßt noch auch gesetzt zu haben, nichtsdestoweniger wurde er sofort in Haft genommen, sein Gesuch auf Freilassung gegen Kaution aber rundweg abgeschlagen.

Der Herausgeber der Londoner Wochenschrift The Radical", Herr Bennet, hat die Vertheidigung Mertens übernommen. Bezeichnend ist es, daß ,, Labour Standard", das Organ der Trades- Unionisten, ausdrücklich die Verfolgung der Freiheit" billigt. Dasselbe schreibt in seiner neuesten Nummer:

Wir halten nichts davon, Gewürm mit Dampfhämmern zu erbrücken, aber Leute, welche sich einbilden, die Sache der Demokratie mittelst Dolch und Kugeln zu befördern, verdienen, daß man Acht auf sie gibt"

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Gerechte   und ehrliche Kritik ist das Lebensblut des Journalismus, aber die von der Freiheit" gepredigten Verbrechen erfordern strenge Gegenmittel. Kleine(!) und rachgierige Tyrannen, welche von Freiheit deklamiren, sind soviel werth wie ein Taschendieb, der für Ehr­lichkeit eintritt."

Schöne Idee von Preßfreiheit, welche dieses Arbeiterblatt da ent­widelt!

Leider wird dieser Standpunkt, wie uns ein deutscher Arbeiter aus London   schreibt, von einem großen Theil der englischen bezw. Londoner  Arbeiter getheilt, so daß die sozialistischen deutschen Arbeiter in den eng­lischen Werkstätten neuerdings sehr viel zu leiden haben.

Korrespondenzen.

Flensburg  , im Mai. Wir sind leider in die Nothwendigkeit versetzt, auch von hier aus über einen Todesfall zu berichten: Am 5. April verschied plötzlich am Herzschlag der auch in weiteren Kreisen bekannte Gastwirth H. P. Zimmermann im 42. Lebensjahr. Eine Anzahl Genossen begleiteten den Frühverstorbenen zur letzten Ruhestätte und legten einen Kranz mit rother Schleife und der folgenden Inschrift: Sprich, Schicksal, sprich, was hast du diesen Tempel So früh in Schutt und Asche hingelegt?" Gewidmet

von seinen Gesinnungsgenossen.

auf den Sarg nieder, wogegen der anwesende Polizist auffallenderweise nichts einzuwenden hatte. Da der Verstorbene zugleich Dissident war, so unterblieb selbstverständlich die pfäffische Zeremonie, eine Musikkapelle spielte auf dem Wege bis zum Kirchhof einen Trauermarsch und am offenen Grabe sprach ein Genosse einen letzten Scheidegruß dem Heim­gegangenen nach, worauf die anwesenden Freunde als letzte Gabe rothe Blumen in die offene Gruft niederfallen ließen.

Einen infamen Gaunerstreich hat die große Schiffbau- Gesellschaft hier­selbst zu Anfang dieses Monats gegen ihre 800-900 Personen zählende Arbeiterschaft ausgeübt, indem dieselbe die Kranken- und Sterbekasse, über welche bisher die Arbeiter zu gebieten hatten, auflöfte und damit zu er­kennen gab, welch schöne Harmonie zwischen Kapital und Arbeit in deutschen Landen zu herrschen hat. Sie gründete einfach eine neue Kasse, weil ihr die Statuten der alten nicht gefielen, strich die Bestim mungen über die Unterstützungen der Familien und betr. Verabreichung freier Medikamente an dieselben. Ferner schloß sie diejenigen Arbeiter, denen es nach zweijähriger Mitgliedschaft gestattet war, der Kasse noch anzugehören, auch wenn sie nicht mehr auf der Werft beschäftigt werden, einfach von der weiteren Betheiligung an der Kasse aus; überhaupt ist das Statut der neuen Krankenkasse ein Monstrum in seiner Art: tein einziger Beschluß kann ohne Einwilligung der Direktion gefaßt werden. So fnechtet man uns auf jede Weise, möchte der Tag bald kommen, wo wir unsere Ketten zerbrechen werden! Rilian.

Nürnberg  . Es ist schon ziemlich lange her, seit von hier ein Bericht an den Sozialdemokrat eingesandt wurde; Unthätigkeit der Genossen trägt nicht Schuld an der Versäumniß, eher ist das Gegentheil richtig; der Unterstützungsfond wird es von jetzt ab beweisen, daß wir auch nach