eine bide unwahrheit, und zweitens ein juristischer Unsinn und ein grober Verstoß gegen jeden Rechtsbegriff ist, fintemalen es für den Richter weder konservative, noch sozial. Einer demokratische Erzesse gibt, sondern einfach Exzesse. scharfen Kritik des Ausnahmegesezes, dem dieses standalöse Vortommniß zuzuschreiben sei, welche Mundel in seiner Vertheidigungsrede vornahm, suchte der Herr Präsident durch ein ziemlich albernes: Gott sei Dant, wir haben noch einen Rechtsstaat" die Spitze abzubrechen, einer Verherrlichung des Rechtsstaats, die selbst den abgebrühten Gneist roth gemacht hätte.
Noch ein zweites Mal dankte der Herr Präsident Gott und pries sich glücklich, daß wir keine russischen und irischen zustände hätten. Nun, wenn die Polizeiwirthschaft noch lange so fort dauert, und von solchen Richtern vertheidigt und sanktionirt wird, werden die russischen und irischen Zustände sicherlich nicht ausbleiben.
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Genug das Material zu Gunsten der Angeklagten und gegen die Polizei war so überwältigend, daß der Staatsanwalt die Anklage auf Aufruhr fallen ließ. Da aber verurtheilt werden mußte, so erfolgte, unter Freisprechung Pohl's und Struve's, die Verurtheilung aller übrigen Angeklagten wegen Aufreizung und Widerstand gegen die Obrigkeit.(§§ 111 und 113) zu je drei bis fünf Monaten. Frau Haertel erhielt vier Monate. Von den 15 Wochen Untersuchungshaft wurden blos 10 angerechnet.
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Der Prozeß hat sehr günstig für uns gewirkt. Das zahlreich anwesende Publikum die Verhandlung dauerte von Morgens 9 bis Abends 9 zeigte sich durchaus sympathisch, und man sah den Leuten die Empörung über das Polizeitreiben an.
Für das unabhängig denkende Volf hat der Prozeß mit einer Verurtheilung Madai's und seiner schimpflichen Spigelwirthschaft geendet.
Ein Vorschlag.
Die Erneuerung des kleinen Belagerungszustandes über Hamburg , Altona , Harburg und Umgebung hat in einem Theile der liberalen Presse zu einem Gemurmel der Unzufriedenheit geführt, und die„ Volkszeitung" erklärt gar, daß diese abermalige Verlängerung ohne Gründe seitens der Linken im Reichstag zu einer gründlichen Debatte benutzt werden würde.
„ Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube". Ein großer Theil der Liberalen im Reichstag hat bei der Reichstagswahl seinen Wählern das Versprechen geben müssen, sich gegen das Ausnahmegesetz zu erklären, aber die Haltung, welche die Herren bei der vorjährigen Debatte über den Belagerungszustand einnahmen, war kläglich genug, und sie wird sich in ihrer ganzen Erbärmlichkeit zeigen, wenn nächstes Jahr die Verlängerung des Gesetzes an die Tagesordnung kommt.
In der Hand unserer Vertreter liegt es nun, sowohl eine ordentliche Debatte bei der Berathung der Denkschrift über den Belagerungszustand hervorzurufen, als auch die Liberalen und das Zentrum zum Farbe bekennen zu zwingen. Sie haben nur nöthig, eine Resolution zu beantragen, durch welche der Reichstag erklärt, daß die seitens der verschiedenen Regierungen vorgelegten Gründe" die Verhängung des Belagerungszustandes in teiner Weise rechtfertigen.
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Diese rein negative Form der Resolution spricht nur aus, was der ganze Reichstag denkt, was die Herren aber nicht zu sagen wagen. Dennoch werden Volks- und Fortschrittspartei, Sezessionisten, Zentrum, Polen und Elsässer gezwungen, einer solchen Resolution zuzustimmen; und damit wäre die Majorität erlangt und ein Votum über den Belagerungszustand, dem man bisher ängstlich aus dem Wege ging, herbeigeführt.
Daß ein solches Votum zunächst keine praktische Folge haben, d. h. sich keine der Regierungen herbeilassen wird, den ihrerseits verhängten Belagerungszustand aufzuheben, darüber ist kein Zweifel. Aber die moralische Wirkung eines solchen Votums auf die öffentliche Meinung und zu Gunsten unserer Partei dürfte bedeutend sein und fünftige Anträge auf Verlängerung erschweren. Ganz besonders aber zwingt der Vorschlag einer solchen Resolution die verschiedenen Parteien, Farbe zu bekennen und ihre Redner für oder gegen sie ins Feld zu schicken, wodurch unsere Vertreter die Gelegenheit zu einer gründlichen Debatte erhalten. Gelingt es dann noch, eine namentliche Abstimmung herbeizuführen, so haben wir erreicht, was sich vorläufig erreichen läßt.
Eine gründliche Debatte und Auseinandersetzung bei der Berathung der Denkschrift über den Belagerungszustand herbeizuführen, dürfte sich auch schon deshalb empfehlen, weil vermuthlich der Antrag Liebknechts auf Abschaffung aller Ausnahmegeseze kaum die Gelegenheit zu einer größeren Debatte bieten wird. Läßt man denselben diesmal überhaupt zur Berathung kommen, so wird man sich über denselben sehr kurz schlüssig zu machen suchen. Man wird darauf hinweisen, daß das Sozialistengesetz einen bestimmten Termin habe und so wie so nächstes Jahr zur Debatte stehe. Ferner, daß der Antrag verschiedene, zum Theil sehr heterogene Materien umfaffe und wie sonst alle die schönen ,, Gründe" heißen werden, womit eine in Opportunismus, Feigheit und Achselträgerei versunkene Majorität ihre Verkommenheit zu drapiren sucht. Man wird den Antrag durch eine motivirte oder unmotivirte Tagesordnung beseitigen.
Träte dieser Fall aber nicht ein, und gäbe der Antrag Gelegenheit zu einer ausgiebigen Debatte, so ist unser Vorschlag deshalb noch nicht überflüssig, wir haben dann zwei Sozialisten- Debatten statt einer, und das kann uns nur nützen. Der Liebknecht 'sche Antrag gibt die Veranlassung zu einer allgemeinen, die Resolution zu einer Spezialdebatte. Also drauf und tüchtig!
I.
B.
Mit Bedauern habe ich gesehen, daß die Redaktion des Parteiorgans fich in die leidigen Zwiftigkeiten unserer französischen Parteigenoffen gemengt
*) Jm Obigen veröffentlichen wir eine Entgegnung auf unsere Artikel: Roanne oder St. Etienne", der wir aus verschiedenen Gründen die Aufnahme nicht versagen zu dürfen glaubten. Um die Debatte nicht zu weit auszudehnen, werden wir uns darauf beschränken, etwaige Gegeneinwände unsererseite nur in Form von Anmerkungen zum Ausdruck zu bringen, und auch nur in so weit, als sie uns unbedingt geboten erscheinen.
Ein für allemal wollen wir jedoch vorausschicken, daß wir bezüglich der Stellung unserer Partei und des Organs derselben zu den auswär tigen sozialistischen Parteien einen von dem des Einsenders grundsätzlich verschiedenen Standpunkt einnehmen. Wir halten die von ihm befürwortete Art des Verkehres, für die wir keinen anderen Ausdruck als das Wort„ Diplomatisch" finden, und die in der Praxis auf eine Anerkennung der jeweiligen Wajorität, beziehungsweise der maßgebenden Bersönlichkeiten der ausländischen Parteien hinauslaufen müßte, für nicht der Aufgabe des Parteiorgans entsprechend. Dieselbe besteht vielmehr in dieser Beziehung darin, die deutschen Genossen über die bedeutenderen Vorgänge innerhalb der sozialistischen Parteien des Auslandes zu unterrichten, ganz besonders, was die prinzipielle Entwickelung derselben anbetrifft. Und sowenig wir für unsere Partei die Kritik auswärtiger Parteiorgane, soweit sie nicht böswillig oder verleumderisch, perhorresziren, ja fie sogar wünschen, so wenig werden uns einfichtige Genossen des Auslandes das Recht einer solchen streitig machen. Dinge, wie sie den Fran zofen in Bezug auf unsere Partei passirt sind, waren übrigens nur möglich infolge der in Frankreich herrschenden Unkenntniß der deutschen Sprache, was schon daraus hervorgeht, daß die„ Egalité" gleichzeitig mit Most, Bebel und Liebknecht als ihre Mitarbeiter proflamirte. Die Letzteren scheinen die Sache philosophischer aufgefaßt zu haben als der
hat, fast noch ehe sich die Thüren zu St. Etienne und Roanne hinter den auseinandergehenden Delegirten geschlossen hatten.
Ist es schon unter allen Umständen etwas Schwieriges, mitten in der Size des Streites und zumeist auf die Behauptungen der leidenschaftlich erregten Gegner hin ein unparteiisches Urtheil zu fällen, und soll Jeder einer solch' mißlichen Aufgabe nach Möglichkeit aus dem Wege gehen, so muß dies doppelt und dreifach der Fall sein, wo es sich um die Angelegenheiten einer befreundeten Partei handelt. Denn gerade je mehr Bedeutung dieselbe unserer Meinung beimißt, desto leichter wird sie sich von einer Beurtheilung verlegt fühlen, die infolge der mangelnden Reife und Abklärung der Verhältnisse und der nicht minder fehlenden Ruhe der Ueberlegung nur zu leicht lückenhaft und hinfällig wird und wegen der nothwendig mitspielenden vorgefaßten Meinungen über die beiden streitenden Theile dem Vorwurf der Parteilichkeit selten entgehen kann.
Es ist daher in unseren Parteiorganen immer Gebrauch gewesen, sich in Bezug auf innere Vorgänge in befreundeten Parteien die möglichste Zurüdhaltung aufzuerlegen und auch den Schein zu vermeiden, als ob man sich unberufen an der Debatte betheiligen wollte. Und das mit Recht. Denn während dabei für unsere eigene Partei selten etwas gewonnen wird, werden auf der kritisirten Seite meist sehr unangenehme Gefühle hervorgerufen. Erinnern wir uns nur an die Zeit( 1879/80), da die Freiheit" und ihre Behauptungen bei vielen schlechtunterrichteten sozialistischen Blättern des Auslandes noch in einem gewissen Ansehen standen und infolgedessen unsere Partei allfälligen Besprechungen ausgesetzt war. Ob uns Letzteres damals so angenehm gewesen ist? Unsere Antwort ist damals einfach gewesen:„ Unsere auswärtigen Gesinnungsgenossen kennen unsere inneren Parteiverhältnisse nicht genügend, um sie mit hinreichendem Verständniß beurtheilen zu können; eben darum sollten sie sich aber auch nicht in unsere Angelegenheit mengen, sondern deren Ordnung uns allein überlassen."
Was aber uns recht, ist Anderen billig. Und namentlich den fran zösischen Genossen gegenüber, welche fich gelegentlich des Moft- HasselmannKrakehls( und was drum und dran hing) im Ganzen wohl mit am Zurückhaltendsten benommen haben. Ich wenigstens erinnere mich nur zweier Thatsachen, welche uns wirklichen Anlaß zu Klagen gaben. Die ,, Egalité" nahm zur Zeit des heftigsten Streites unserer Partei mit Most diesen zum nominellen Mitarbeiter, ließ sich auch weder durch Beschwerden noch durch das würdeloseste Benehmen dieses ihres Mitarbeiters gegen uns zu einer Aenderung dieses Verhältnisses bewegen und entfernte Most erst infolge eines Angriffes auf französische Arbeiter. Der„ Proletaire" dagegen veröffentlichte späterhin einen ziemlich absprechenden Bericht über den eben stattgehabten Wydener Kongreß. Wie sich in der Folge herausstellte, verdankte dieser Bericht seine Entstehung dem Umstande, daß der betr. Redakteur des Deutschen nicht mächtig war und sich durch den tendenziösen Bericht eines Anderen ( Nichtfranzosen) hatte täuschen lassen. Wir waren damals ungehalten genug; weiter aber hatten wir feinen Anlaß mehr zu Beschwerden.
Aus den erwähnten Gründen bedauere ich, wie gesagt, gewisse Ausführungen der Artikel ,, St. Etienne oder Roanne ?"( Nr. 41, 42 und 44) und daß die Redaktion nicht lieber sich mit der einfachen Anführung der Thatsachen und dem Ausdruck des Bedauerns über die Spaltung unserer französischen Brüder begnügt hat alles Weitere auf eine Zeit versparend, wo die Wogen der Leidenschaft sich etwas gelegt haben werden und die Möglichkeit einer besseren Uebersicht und ruhigeren Beurtheilung gegeben sein wird.
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Da jene Artikel aber nun einmal geschrieben sind und dieselben, wenn sie ohne Widerspruch blieben, gar leicht falsche Vorstellungen bei den Parteigenossen hervorrufen könnten, so muß ich doch wenn auch widerstrebend und mit möglichster Zurückhaltung mit einigen Worten auf die Sache selbst eingehen.
Ich habe das ganze vergangene Jahr und einige Monate des laufenden in Frankreich zugebracht, zu dem fast ausschließlichen Zweck, die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse des Landes und insbesondere seine sozialistische Bewegung an Ort und Stelle eingehend zu beobachten. Demgemäß habe ich am Parteileben unserer französischen Gesinnungsgenoffen regen Antheil genommen, Versammlungen und Zusammenkünfte besucht, die Veröffentlichungen der sozialistischen Preffe verfolgt, mich mit einer Reihe einflußreicher Männer der Partei( aus beiden Lagern) persönlich bekannt gemacht, kurz Alles gethan, um möglichst genauen Einblick in den Stand und die Entwicklung der Parteiverhältnisse zu erhalten.
Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb ist aber mein Urtheil über die Kongresse und was damit zusammenhängt ein von dem Standpunkt der Artikel St. Etienne oder Roanne ?" in vielen Dingen sehr ab. weichendes, und zwar sowohl was Dinge, als was Personen anbetrifft.
Bei Beurtheilung der sozialistischen Bewegung in Frankreich sind sachlich vor Allem zwei Umstände in's Auge zu fassen.
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Wir deutschen Sozialisten find im Allgemeinen gewohnt, den Sozialismus unter einer anderen Form zu betrachten als unter der des modernen Sozialismus, wie ihn Karl Marx und F. Engels zur wissenschaftlichen Darstellung gebracht haben. Dieser moderne wissenschaftliche Sozialismus bestand aber, bevor es eine sozialistische Partei in Deutschland gab( denn weder die Lehren des der Entwicklung der Zeit weit vorangeeilten Kommunistenbundes der 40er Jahre, noch andere Bestrebungen z. B. die Weitling's hatten sich vorher in irgend nennenswerther Weise im Volk verbreitet). Als Lassalle seine zuerst die Maffe in Bewegung setzende Agitation begann und den ersten Anfang einer sozialistischen Parteibildung schuf, da konstruirte er sich keineswegs sein eigenes sozialistisches Lehrgebäude, sondern adoptirte einfach das schon Vorhandene. Seit jener Zeit haben die deutschen Sozialisten wohl manchen Strauß unter sich ausgefochten, und es gab Zeiten, wo die Kraft der sozialistischen Proletarier Deutschlands sich im Kampf von zwei, drei und vier Fraktionen aufzuzehren schien. Aber bekanntlich spielte in diesen Streitigkeiten die Prinzipienlehre bei Weitem nicht die erste Rolle und hat dieselbe daher auch bei der Vereinigung keine große Schwierigkeiten geboten. Kurz: unsere Bewegung hat in der That von ihrem Anfang an bis zum heutigen Tag, im großen Ganzen, nur eine einzige sozialistische Lehre, die des sogen. modernen wissenschaftlichen Sozialismus, gekannt. Und deshalb hat es in Deutschland unter den Sozialisten auch niemals unter be doktrinäre Streitigkeiten von einer Stärke gegeben, daß sie die Ruhe und Einigkeit der Partei ernstlich hätten stören können.
Ganz anders in Frankreich . Die Geschichte des Sozialismus ist dort weit älter und ungleich verwickelter als bei uns. Eine große Anzahl von verschiedenen Lehrmeinungen, Systemen, Schulen, Sekten und Organisationsgruppen aller Art sind sich gefolgt und haben mehr oder weniger Antlang und Anhang in verschiedenen Volksschichten gefunden. Und von nahezu allen diesen Schulen und Gebilden sind noch heute größere oder kleinere Ueberbleibsel vorhanden. Hiezu kommen dann noch eine Menge von Trümmern der verschiedenen Revolutionen und revolutionären Erhebungen, deren politischer Radikalismus, demokratische und revolutionäre Ideen fie in Zeiten der Unterdrückung auf eine Verbindung mit den Sozialisten anweisen und ihnen bei letzteren Sympathien verschaffen. So bilden die
Herr Einsender, denn es ist uns nicht bekannt geworden, daß sie dagegen Protest eingelegt hätten.
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Wir sahen uns gelegentlich der Kongresse von St. Etienne Roanne vor der Alternative, entweder dieselben mit einigen nichtssagenden Redensarten über die Spaltung abzuthun oder aber die prinzipiellen Ursachen derselben zu erörtern.
Angesichts der in der übrigen Breffe veröffentlichten Berichte thaten mir Letzteres, gestützt auf sorgfältiges, mehrjähriges Studium der fran zösischen sozialistischen Parteiliteratur, sowie auf gelegentliche Briefe aus beiden Lagern. Daß wir uns damit in die Zwiftigkeiten gemengt" hätten, tönnen wir nicht zugestehen.
Die Rebattion des, Sozialdemokrat."
franzöfifchen Sozialisten nicht gleich den deutschen ein in Bezug auf ihre Grundsäge im Wesentlichen gleichartiges Ganze, sondern man findet unter nihen die verschiedensten, zum Theil entgegenseitesten Lehrmeinungen und Anschauungen vertreten, zum Theil geschlossene Programme bildend, mehr noch aber buntfarbig durcheinander wogend. Fourier, Cabet, Colins, Louis Blanc , Pierre Leroux , Proudhon haben alle noch ihre Verehrer, wozu dann noch einerseits Cooperateurs und Positivisten, andererseits Jakobiner, Blanquisten und Anarchisten kommen.
Wie schwer es bei diesem üppig entwickelten Sektengeifte halten muß, eine sozialistische Partei mit einem Programm und einer Taktik zu schaffen, ist leicht erklärlich. Der Lokal- und Gruppengeist ist überstark, Parteidisziplin ist für die meisten ein Schreckenswort und von Zentralisation darf nicht gesprochen werden, wenn man die Leute nicht von vorneherein topfschen machen will. Diese Nachtheile lassen sich indessen nur ganz allmälig mildern und beseitigen. Und sowenig auch mir manche Verschwommenheiten des Programms, der Ernennungsart und die Vielföpfigkeit das Parteivorstandes sowie der weitgetriebenene Föderalismus zusagen, so muß der mit den französischen Verhältnissen Vertraute immerhin schon das bisher Erreichte als einen Fortschritt erkennen. Die Weiterentwicklung auf der Bahn zur Schaffung einer einheitlichen, starken, alle Kräfte auf ein Programm und eine Politik vereinigenden Partei kann nicht ausbleiben.
Sozialpolitische Rundschau.
3ürich, 8. November 1882. Was lehrt uns der Ausfall der preußischen Land=
tags wa bien? Diefe Frage beantwortet uns ein Genoffe are Deutsch land , der reichlich Gelegenheit hat, die Stimmung des Volkes tennen zu lernen, in so vortrefflicher Weise, daß wir seine Ausführungen, wenn sie auch Manches nur wiederholen, was wir selbst bereits gesagt, im vollen Wortlaut wiedergeben. Sie scheinen uns den Nagel auf den Kopf zu treffen. Unser Genosse schreibt:
Die prenßischen Wahlen haben den Liberalen ein arges Fiasko bereitet. Mit der erträumten liberalen Majorität ist es vorläufig nichts und das ist gut, damit nicht der liberale Schwindel vor dem Volke von Neuem beginne. Die Liberalen haben durch die Wahlen den verdienten Lohn empfangen für die feige Niedertracht, womit sie bisher das„ elendeste aller Wahlgefeze", wie es bekanntlich Bismarc selber nannte, zu galvanisiren versuchten.
Aber das Verdikt über das Dreiklassenwahlsystem ist noch in anderer Weise und viel gründlicher ausgesprochen worden, und zwar durch das Volk selbst, das sich nach den übereinstimmenden Berichten aus allen Theilen der Monarchie, in seiner sehr großen Majorität bei der Urwahl der Wahlenthielt. Insbesondere war es die dritte Wählerklasse, also das Volk in seiner Masse, und namentlich wieder die Arbeiterklasse in den großen Städten und Industriebezirken, die sich in demonstrativer Weise von der Wahl fern hielten.„ Wir machen den Schwindel nicht mit", so lautete die unter den Arbeitern ausgegebene Parole, und sie fand den allgemeinsten Anklang.
Die liberalen und namentlich fortschrittlichen Blätter sind ganz unglücklich über diese Wahrnehmung, sie geben auch schüchtern zu, daß das Dreiklaffenwahlsystem, das namentlich die dritte Wählerklasse als reines Stimmvieh erscheinen läßt, an dieser schwachen Betheiligung schuld sei, aber von einem kräftigen Verlangen nach Beseitigung dieses Humbugs von einem Wahlgesetz ist nirgends etwas zu spüren. Von der„ Franks. 3tg." und„ Berliner Volkszeitung" bis zum„ Hannov. Courier" des Herrn Bennigsen ist in dieser Richtung über allen Wipfeln Ruh.
,, Weit mehr noch als sie mich hassen, fürchten sie die Revolution", urtheilte einstmals, in der schlimmsten Konfliktszeit, der damalige Herr von Bismarck über die Fortschrittler, und das Wort hat heute erst recht seine Bedeutung. Wie die Steuergesetzgebung in Preußen beschaffen ist und sich namentlich mehr und mehr gestaltet, bleibt nach Abschaffung des Dreiklassenwahlsystems nichts übrig als das allgemeine Stimmrecht, und deffen Wirkungen fürchtet Fürst Bismard trotz seines Urtheils über das Dreiklassenwahlsystem ebenso sehr wie die Liberalen. Das allgemeine Wahlrecht bedeutet den Appell an die Massen; in dem Kampf um die Gewinnung dieser Massen werden die Kandidaten aller bürgerlichen Parteien wider Willen genöthigt, größere Bersprechungen zu machen, ale sie zu halten gewillt sind und halten können. Die Folge davon ist der Wortbruch, der den Massen den Schwindel der bürgerlichen Parteien enthüllt, und die Massen naturgemäß mehr und mehr auf die radikale Seite drängt, namentlich wenn die allgemeine soziale Lage so wirksam zur Schürung der Unzufriedenheit beiträgt, wie das seit Jahren der Fall ift und in steigender Potenz in Zukunft der Fall sein wird. So wird das allgemeine Stimmrecht unwillkürlich zum Werkzeug der Revolution, und das fühlen die Liberalen und die leitenden Kreise instinktiv, und darum ihre Furcht und ihr Abscheu vor demselben. Wie also immer die Wahlrechtsfrage in der nächsten Zukunft sich gestaltet, sie wird unter allen Umständen in letzter Instanz der Sozialdemokratie nützen. Die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Systems, indem es die Massen den leitenden Kreisen entfremdet und sogar ganz wesentlich zur Vernichtung des preußischen Partikularismus beiträgt; die Einführung des allgemeinen Stimmrechts, indem es der Sozialdemokratie ein neues wirksames Feld der Agitation bietet. Auch die gleiche Machtstärke der verschiedenen Barteien im preußischen Abgeordnetenhause, die nothwendigerweise jede pofitive Gesetzgebung verhindert und sich nur wirksam erweisen wird in der Durchführung weiterer reaktionärer Maßregeln, muß von unserem Standpunkt aus begrüßt werden; sie bringt den heutigen Parlamenta rismus in Mißkredit und verweist auf die Volksiniziative.
Konstatirt muß werden, daß die krampshaften Versuche der Fortschrittler, die Arbeiter für sich an die Wahlurne zu bringen, verschiedentlich die entschiedensten Zurückweisungen erfuhren. So in Berlin und im Rheinland. Im Wahlkreis Solingen , wo Herr Phillipps, der Redakteur der Berliner ,, Volkszeitung", seitens der Fortschrittspartei aufgestellt wurde, machten dieser und seine Parteifreunde die größten Anstrengungen, unsere Parteigenossen zur Betheiligung an der Wahl zu seinen Gunsten zu bestimmen. Aber vergebens. Herr Philipps wurde auf das Verhalten seiner Parteigenossen gegen uns verwiesen und ihm erklärt: daß die Sozialdemokratie das System der Dreiklaffenwahl nicht durch ihre Betheiligung fanttioniren wolle. Da man sah, daß die mündlichen Gründe nicht zogen, griff man zu klingenden Gründen und bot 300 Mt., falls unsere Parteigenoffen sich an der Wahl betheiligten. Auch diese Versuchung fand die gebührende Zurechtweisung, und das Endresultat war, daß in dem Kampf der Bourgeoisie unter sich die Fortschrittler der Kapitalistenpartei par excellence, den Nationalliberalen, unterlagen.
Die eigentliche Signatur der preußischen Landtagswahlen ist der Kampf der verschiedenen Bourgeoisfraktionen unter sich. Bei der Gespanntheit unserer Zustände ist der Bourgeoisie jede geräuschvolle Oppofition, weil sie die Maffen leicht aufregt, zuwider, und darum fürchtet sie sogar die Opposition à la Richter und wählt lauwarm liberal oder tonservativ. Kommt noch hinzu, daß in der ersten und zweiten Wählerflaffe vieler Orts die höher gestellten Beamten einen wesentlichen Theil des Wahlkörpers repräsentiren und nicht oppositionell zu wählen wagen. So erklärt sich der Ausfall der Wahlen leicht, über den, wie gesagt, die Sozialdemokratie feine Thränen zu vergießen braucht.
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Zum Thema von der Gesetzlichkeit: Wie die Polizei und Gerichte in Deutschland die Geseze respet. tiren. Aus Leipzig , 2. Novbr., schreibt man une:„ Die Polizeiwirthschaft greift hier immer mehr um sich, wir sollen erfahren, daß wir auch ohne Polizeidirektor türkisch regiert werden können. Drei Wochen hintereinander gelang es der hiesigen Polizei, die Sendungen des„ So