Sozialpolitische Rundschau.

3ürich, 29. November 1882.

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Wirklich versto dt muß Einer sein, wenn er noch immer an der Arbeiterfreundlichkeit der preußischen Regie­rung zweifelt. In der Thronrede zum preußischen Landtag verkündigt Wilhelm endlich den als schwache Abzahlung auf die neueingeführten indirekten Steuern zugesagten Erlaß der direkten Besteuerung der vier unterſten Klaſſenſteuerstufen, fordert aber im gleichen Athem eine Lizenz­steuer für den Verkauf von Branntwein und Tabak, d. h. eine neue indirekte Besteuerung dieser Konsumartikel des Volkes. Von einer Branntweinbrennereiftener, welche die schnapsbrennenden Herren ins Herz, d. h. in den Profit, treffen würde, will der Lenker Deutschlands  - ,, auch ich bin ein Schnapsbrenner" befannntlich nichts wissen, der fleine Mann muß es tragen. Ferner soll im Interesse des deut­ schen   Waldes, soll heißen der Waldbesitzer Bismard tennt als Besitzer des Sachsenwaldes die Leiden dieser Parias der Holzzoll, ins­besondere der Zoll auf Nugholz erhöht werden: Fürsorge für das Wohl der Holzschnitzer im Erzgebirge  , im Spessart  , in Thüringen  , Franken 2c., denen dadurch das Material vertheuert wird. Süß wie Zucker ist ferner das Verhalten Bismarcs gegen die armen Zuckerfabrikanten, meist Großgrundbesitzer oder Aktiengesellschaften. Diese erhalten nämlich bei der Ausfuhr von Zucker eine Exportprämie im Verhältniß der von ihnen erhobenen Zuckerrübensteuer. Nun ist in der Zuckerfabrikation seit Jahren ein neues Verfahren eingeführt, auf Grund dessen aus der Zuckerrübe ein viel höherer Prozentsatz Zucker gewonnen wird als seiner Zeit bei Festsetzung der Ausfuhrvergütung angenommen wurde, trotzdem er­halten die Herren Zuder sieder nach wie vor die alte Vergütung aus­gezahlt, das heißt, das deutsche Volt muß ihnen nicht nur die erhobene Steuer zurückzahlen, sondern außerdem noch Geld drauf legen dafür, daß die Herren mehr Profit machen; die Zuckersiederei blüht" daher, die Aktiengesellschaften zahlen fette Dividenden, eine Fabrit in Dirschau  3. B. 56 Prozent, mit einem Wort, diese Fürsorge für die armen Zuckerfieder ist so ergreifend, daß eine Anzahl seither liberaler Guts­besitzer bei den letzten Wahlen zum preußischen Landtag vor lauter Rührung konservativ wählten. Man sieht, es hat Alles seine Ursache.

Aber die Arbeiterfreundlichkeit der preußischen Regierung ist, wie Gottes   Gnade, unerschöpflich. Daß sie, um die Berliner   Arbeiter vor überflüssigen Geldausgaben zu schüßen, aus väterlicher Fürsorge die Sammlungen für die streikenden Krimmitschauer Weber verbieten ließ, haben wir an anderer Stelle erwähnt, ähnlichen edlen Motiven ist zweifelsohne das Verbot einer auf den 26. November einberufenen öffent­lichen Versammlung der Maurer Berlins und Umgegend zuzuschreiben, denn die Maurer können ihren Sonntag Vormittag besser verwenden, als mit Berathungen über ihre Stellung zu der neuen Berliner   Arbeiter­Zeitung" und die Freiheiten des Fortschritts" gegenüber den Arbeitern." Die Krone der väterlich freundlichen Fürsorge ist aber die Verlänge­tung des kleinen Belagerungszustandes über Berlin  und Umgegend. Es gibt ja doch kein erhebenderes Gefühl für einen Arbeiter mit Familie, als wenn Tag für Tag das Damoklesschwert der Ausweisung über ihm schwebt, wenn jedes unbedachte Wort, jede Denun ziation eines jener liebenswürdigen Herumfungerer grenzenloses Elend über ihn und die Seinen bringen kann.

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Wahrlich, wenn die Arbeiter da noch unzufrieden sind und die gute Absicht der Regierung nicht anerkennen wollen, dann verdienen sie gar teine Regierung. Man denke!

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Zahlungsfähige Moral. Am 13. November wurde in Freiburg  ", schreiben die Bourgeoisblätter, über eines jener verworfenen Subjekte abgeurtheilt, die das große Hugstetter Eisenbahnun glück als eine günstige Gelegenheit für Diebstahl und Plünderung be­nützt haben. Der schon vielfach wegen Diebstahls bestrafte übelberüch­tigte Webergeselle W. Heß von Gottenheim   hatte es dabei besonders auf den Uhrendiebstahl abgesehen. Er wurde wegen wiederholten Rückfalls und wegen der bekundeten verworfenen Gesinnung zu einer Zuchthaus­ftrafe von zwei Jahren, fünf Jahren Ehrverlust und Stellung unter Polizeiaufsicht verurtheilt, sein Helfershelfer, der Schuster Pfeifer von Wilchingen  , wegen Hehlerei zu sechs Wochen Gefängniß."

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Wir sind selbstverständlich weit entfernt, die Handlungsweise des Heß irgendwie beschönigen zu wollen, aber wenn die Bourgeoispresse gar so tugendhaft entrüftet thut über diese eigensüchtige Ausnügung eines großen Unglücks, dann können wir doch nicht umhin, zu konstatiren, daß dieses verabscheuungswürdige Verbrechen in der guten Gesellschaft gang und gäbe ift. Man stiehlt natürlich nicht Uhren wer wird sich mit solchen Kleinigkeiten abgeben? man benutzt nur eine günstige Kon­junktur", und wenn eine solche nicht von selbst eintritt, so hilft man unter Umständen ein Bischen nach. Gibt es ein größeres Unglück für ein Bolt als einen Krieg? Niemand außer Moltke wird dies behaupten wollen. Nun, wir kennen die Leute, die ein ganzes Vermögen der schlauen Ausnüßung dieses Unglücks verdanken, die Millionen von Mark zusammen­scharrten, als hunderttausende Menschen auf dem Schlachtfelde bluteten. Man hat sie aber deshalb nicht vor Gericht gestellt, sondern sie sind heute Kommissionsräthe, Kommerzienräthe, Freiherren   und Barone  .

Zur Arbeiterfreundlichkeit der deutschen   Be­hörden und Regierungen. Das Bairische Ministerium hat der radikalen Süddeutschen Post" die beantragte Erlaubniß zur Sammlung von Unterstützungen für die nothleidenden sächsisch- thüringschen Weber verweigert, mit der Erklärung, dieses Gesuch sei zur Berüd­fichtigung nicht geeignet". Der Bürgermeister von Großen­ hain   ein Kathedersozialist! hat in seinem Bezirk Sammlungen zu gleichem Zwecke auf Grund irgend eines sächsischen Polizeigesetzes verboten, und Madai, der tugendhafte Polizeipräsident von Berlin   hat fich bemüßigt gefunden, auch seine Arbeiterfreundlichkeit wieder einmal zu bekunden, und daher auf Grund des§ 16 des Gesetzes gegen die gemein­gefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie das Einsammeln von Beiträgen zur Unterstützung der Fabritweber und Webe­rinnnen, welche die Arbeit in den Fabriken zu Krimmitschau eingestellt haben, sowie die öffentliche Aufforderung zur Leistung solcher Beiträge für den Polizeibezirk von Berlin   verboten."

Man sieht, der Berliner   Polizeichef ist seinen Kollegen in der Scham­Tofigkeit noch über. Deutlicher kann man gar nicht zeigen, daß das Sozialistengesetz gegen die Arbeiter klasse gemacht ist.

Für die Fabrikanten führt man Schußzzoll ein, den Landjunkern zu Liebe vertheuert man dem Volte die Lebensmittel, wenn sich aber die Arbeiter endlich erkühnen, die Herren Fabrikanten an ihre Versprechungen zu mahnen, und die Lohnerhöhungen fordern, welche ihnen für die beffere Konjunktur zugesagt wurden, dann fällt man ihnen in den Arm und beraubt sie der Möglichkeit, den Kampf zu führen. Das nennt man in Preußen- Deutschland   arbeiterfreundlich.

Gott   schüße uns vor unsern Freunden!

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Duellschwindel und Stande sehre. Diese mittelalter­lichen Gewächse treiben in der neuesten Zeit ganz wunderbare Blüthen. In Würzburg   rempelt ein Raufbold die Frau eines Hauptmanns Emmerich an. Dieser, wie es allgemein heißt, ein hochbegabter Mann von liebenswürdigem Charakter, weist den Flegel in ruhigen Worten zurück. Der aber fühlt sich in seiner Ehre" gekränkt und sendet dem Hauptmann eine Forderung, der Ehrenrath" des Regimentes ent­scheidet, daß das Duell angenommen werden muß, und Hauptmann Emmerich ist heute eine Leiche. Die Ehre" des Radaubruders ist ge­rettet, er selbst soll flüchtig sein, wie es scheint, wird seine Flucht sogar begünstigt. Aber wenn er auch wirklich gefaßt wird, so wird seine

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" Strafe" doch in nichts anderem bestehen als in einigen Jahren Festungshaft, die wenn der Bursche wohlhabend ist oder gute Freunde hat, ihm ein Leben wie im Paradies gestatten.

Und dieselben Kreise, in denen so etwas als ganz in der Ordnung angesehen wird, lamentiren über die Rohheit" und Verwilderung der unteren Klaffen, die nur eine Folge sei der falschen Humanität und der milden" Behandlung der Verbrecher in den Zucht- und Arbeitshäusern! Wer lacht da?

Aber noch viel schlagender werden der Duellhumbug und die Ehr­begriffe in den Kreisen der patentirten Ehre" charakterisirt durch fol­gendes, von der Berliner Volkszeitung" mitgetheilte Faktum: maköln, Anfang November. Am 2. Oktober d. J. wurde einem hiesigen Sekondelieutenant der Landwehr mitgetheilt, daß her auf Grund ehrengerichtlicher Entscheidung vom 26. August d. J.( bestätigt durch königliche Kabinetsordre bom 16. Oktober) aus dem Heere entfernt sei. Die Vorgeschichte dieser Maßregel ist nicht uninteressant. Der Gemaß­regelte nennen wir ihn X. sollte zwei andere Reserveoffiziere beleidigt haben, und zwar dadurch, daß er sich über ihren Umgang in herber Weise aussprach. Die Beleidigten", die übrigens die Wahrheit der Behauptungen des X. nicht anfechten konnten, forderten ihn schließlich. Auf ehrengerichtlichem Wege erfolgte die Entscheidung, daß beide Theile befriedigende Erklärungen abgeben msollten, und die Beleidigungsaffäre selbst wurde beigelegt. Es ge­schah dies auch. Sekondelieutenant X. weigerte sich jedoch, in dem Protokolle anzugeben, daß er bereit gewesen sei, ein Duell an­zunehmen. Er ließ vielmehr protokolliren, daß er aus Ge­swissensgründen die Aufforderung zum Zweikampfe nicht angenommen haben würde.

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in Oberst M. ließ einige Tage später Herrn X. zu sich kommen, und stellte ihn diesbezüglich zur Rede. X. gab an, daß er um seinen Abschied einkommen werde, da er an Neuralgie des Herzens leide, worauf der Herr Oberst ihm zumuthete, zu erklären, daß er in einem frankhaften, nervösen, geiftig geschwächten Zustand jene Ver­werfung des Duells ausgesprochen habe. Dieses Anfinnen lehnte X. ab.

Am 22. Juli erhielt er eine neue Vorladung vor das Ehren­gericht und gab dort die Erklärung ab, daß er aus religiösen Gründen den Zweikampf, der ein wahnsinniges Ver­brechen sei, verwerfe, und daß er unter keinen Um­ständen und unter keinen Verhältnissen auf ein Duell eingehen werde. Schon am 24. Juli wurde X. infolge seiner Erklärung suspendirt und am 11. August folgte Schlußvernehmung durch den Ehrenrath. Aus der schriftlichen Vertheidigung des Angeklagten ist folgender Passus bemerkenswerth:

" Zu meiner Vertheidigung führe ich lediglich an, daß ich weder durch den bei meinem Eintritt in das Heer geschworenen Eid, noch durch einen andern Aft bei meiner Ernennung zum Offizier die Verpflichtung übernommen habe, den von Seiner Majestätsanttionirten Staatsgesehen entgegen zu handeln, die das Duell und die Aufforderung dazu unter strengen Strafen verbieten."

Wie schon bemerkt, entschied das Ehrengericht, daß X. aus dem Heere zu entfernen sei, weil er nicht das richtige Ehrgefühl gezeigt und seine Pflicht als Offizier unter erschwerenden Umständen ver­letzt habe. Das ist der Sachverhalt, den wir nach dem Aften­material, soweit es uns zugänglich wurde, festgestellt haben. Den Kommentar wird sich der Leser selbst dazu machen können."

So die Volkszeitung". Wir aber, denen der preußisch- deutsche Preß­fnebel nicht den Mund verschließt, wollen unseren Lesern grad heraus­sagen, was die Moral von der Geschichte ist: Die Gesellschaft des höhern Ehrgefühle" pfeift auf die Gesetze, die ihr nicht in den Kram passen, und wenn sie sie zehnmal beschworen hat. Gesetze, die man selbst verkündet hat, mit Füßen zu treten, das ist recht und gut, das beeinflußt die Ehre" nicht, aber eine auf dem mittel­alterlichen Aberglauben der Gottesgerichte beruhende Einrichtung, wie es das Duell bekanntlich ist, verwerfen, das ist ehrlos, das bedingt die zwangsweise Entfernung" aus dem Heere.

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Die schriftliche Vertheidigung des X., in der er sich auf die vom König von Preußen santtionirten Staatsgesetze beruft, hat diesem vorgelegen. Trotzdem entschied derfelbe im Sinne des Ehrengerichtes". Dazu, lieber Leser, mußt du dir allerdings selbst einen Vers machen, aber im Machtbereich des deutschen   Strafgesetzbuches dich befindest ganz leise, denn

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soweit du teise,

Wer den Kaiser, seinen Landesherrn 2c. beleidigt, wird mit Ge­fängniß nicht unter zwei Monaten bestraft", und die preußisch- deutschen  Richter find sehr freigebig.

Also, Ehre dem Ehre gebührt!

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Die famose Tattit, angeblich arbeiterfreundliche Reformen auf die Tagesordnung zu setzen, den Arbeitern aber die Besprechung dieser Reformen" unmöglich zu machen, ist in letzter Zeit mehrfach in die Brüche gegangen. Um sich nicht zu sehr zu blamiren, mußten die Regierungen verschiedene Versammlungen zur Besprechung dieser Fragen gestatten, und so haben denn eine ganze Anzahl von Versammlungen statt­gefunden, in denen unsere Genossen die Bismarck  'sche Sozialreform triti­firten. Unter Anderen haben Kayser in verschiedenen Orten Württem­bergs und Badens, Grillenberger in Nürnberg   und Fürth  , Frohme in Frankfurt  , Hanan 2c. in faft überall glänzend besuchten Versammlungen gesprochen. In welchem Sinne die Kritik ausfiel, das brauchen wir nicht erst zu sagen; ebenso selbstverständlich ist, daß, wo die Gegner unseren Genoffen entgegenzutreten wagten, fie unter dem Jubel der Arbeiter abgefertigt wurden.

Aber diese Versammlungen sind doch nur Ausnahmen, an den meisten Orten wird noch streng an der bisherigen Praxis festgehalten und die Verbotswuth treibt noch immer die wunderlichsten Blüthen.

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In Mannheim   sollten am 12. de. Mts. Grillenberger und Kayser über die Arbeiterschutzgesetze vor dem Reichstage" referiren, als es in letter Stunde der Polizei einfiel, die Versammlung zu ver­bieten. Dabei benahm sie sich so unverschämt und provozirend das Militär war in beiden Kasernen Mannheims konfignirt, daß sich unser Genoffe Dreesbach veranlaßt gesehen hat, eine gepfefferte Be­schwerde beim badischen Landeskommiffar einzureichen.

Es heißt darin u. A.:

,, Die zur Aufsicht befohlenen Mannschaften hätten nach der Bekannt­gabe des Verbotes unbedingt das Wirthslokal verlassen und den Saal freigeben müssen. Beides geschah nicht; ja sogar als sich die Anwesenden in den Garten begaben, um Bier zu trinken, wurden sie von den Polizei­beamten umftellt und mit Argusaugen bewacht und einige Polizeibeamte hatten die Kühnheit, sich direkt an den Tisch, an welchem die beiden Reichstagsabgeordneten, ich und einige Freunde saßen, zu postiren, um zu lauschen, was gesprochen wurde. Es ist dies eine eminente, hier un­gewohnte Beschränkung der persönlichen Freiheit, gegen welche ich ganz energisch hiermit Protest erhebe."

Ueber den praktischen Nutzen dieser Beschwerde sind sich unsere Genoffen selbstverständlich vollständig flar, und daß sie auch ohne polizeiliche Er­laubniß zum Bolte zu sprechen wissen, beweist ein von ihnen verbreitetes und in unserer Druckerei hergestelltes kräftiges Flugblatt: Ein Wort zur Aufklärung."

Von sonstigen Verboten ist noch zu erwähnen, daß sich die Regierung von Oberbayern   bemüffigt gefunden hat, den schlechten Ar­beitslohn zu verbieten, d. h. ein Flugblatt, welches diesen Titel trug. Souft hat sie gegen schlechte Arbeitslöhne nichts einzuwenden, denn

Meineidsmichel duldet keine Sammlungen. Madai hat gar ein in der Berliner   Oberhofbuchdruckerei gedrucktes Flugblatt: Ein Beitrag zur Geschichte des Ausnahmegesetzes" verboten. Ein tugendhaftes Züricher  Blatt, deffen Redakteur man indessen nicht nachsagt, daß er der zahlungs­fähigen Moral huldige, vergießt bittere Thränen ob des schnöden Miß­brauchs einer so hochgestellten Firma. Wie aber, wenn nicht nur die Firma, sondern auch die Typen und Maschinen derselben zum Druck des sozialistischen   Flugblattes gemißbraucht" worden wären? Welcher Gräuel vor dem Herrn!

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Noch etwas vom Zucker. Wir haben oben gezeigt, wie Dank der Fürsorge der preußisch deutschen   Regierung die ,, nationale" Zuckerfabrikation fette Profitchen macht. Dieser Schutz der nationalen ,, Arbeit" erhält seine treffende Beleuchtung durch einen uns von Mann­heimer Genossen zugesandten Bericht über die Generalversammlung der Badischen Gesellschaft für Zuderfabrikation", einer Aktiengesellschaft, welche mit einem Kapital von 2,750,000 Gulden( gegen 5 Millionen Mark) arbeitet". Für diese Arbeit" erhalten die Aktionäre 11/3 Proz., d. h. pro Aktie von 500 Gulden( 857 Mt.) 100 Mark Dividende, im Ganzen also 550,000 Mart. Der Reservesond wurde mit 361,276 Mark bedacht, dem Aufsichtsrath und Ausschuß 168,276 Mart Tantièmen" bewilligt. Aber auch die Arbeiter gingen nicht leer aus; in hochherzigfter Weise bewilligte die Generalversammlung, abgesehen von einem Korruptions- pardon Belohnungsfond für Beamte und Arbeiter von 29,000 Mart, zu einem Kranken- und Unterstützungs­fond für Arbeiter ganze man ftaune! 12,000 Mart. Da steht

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man doch, wo die Ausfuhrprämien hinwandern! Vielleicht schreibt uns ein Mannheimer   Arbeiter etwas über die Löhne in diefer glücklichen Zuckerfabrit. 168,000 Mart Tantième, da find wir in der That begierig, die Löhne der Arbeiter kennen zu lernen!

Kastraten. Während die Petition der Berliner   Gewerkschaften, den Normalarbeitstag 2c. betreffend, in ganz Deutschland   bei den Ar­beitern freudigen Widerhall gefunden hat in Stuttgart   allein hat dieselbe in kurzer Zeit mehr als 4000 Unterschriften erhalten, und während andererseits die Streits in den sächsischen und thüringischen Industrieorten die Nothwendigkeit derartiger Arbeiterschutzgesetze mit zwingender Beweiskraft darlegen, finden sich sogenannte Arbeiterfreunde bemüssigt, dieser Bewegung unter den lächerlichsten Vorwänden entgegen­zuarbeiten natürlich im Namen der Freiheit".

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So donnerte jüngst im Ortsverein der Klempner und Metallarbeiter" Mar Hirsch'scher Kouleur ein Herr Ledebour  , Schriftsteller", gegen den gesetzlichen Normalarbeitstag los und behauptete frischweg, daß diese Frage durch die geschichtliche Entwicklung der Arbeiterverhältnisse in denjenigen Ländern, welche bereits längere Zeit als Deutschland   hervor­ragende Industrieländer find, im Gegensage zu der Ansicht der gewerk­schaftlichen Fach- und Interessenwahrungs- Vereine und in Ueberein­ftimmung mit der Ansicht der Hirsch'schen Gewerkvereine entschieden sei. In England und in Amerika   sei die Forderung, daß von Staats­wegen durch gefeßliche Einführung eines Normal. arbeitstages   die übermäßige Arbeitszeit verkürzt und dadurch die Lage der Arbeiter in materieller, sozialer und sittlicher Beziehung ver­bessert werde, im Allgemeinen von den Arbeitern nie gestellt worden. Die Forderung sei eine gänzlich unausführbare und erweise als eine solche sich schon dadurch, daß ihre unabweisbare Konsequenz die weitere Forderung sei, daß von Staatswegen auch ein Normallohn, durch welchen den Arbeitern eine menschenwürdige Existenz ermöglicht wird, festgesetzt werde."

Daß der Herr hier ganz unverschämt gelogen hat, brauchen wir unsern Lesern wohl kaum erst zu bemerken. Sein Argument, daß der Normal­arbeitstag einen Normallohn zur Konsequenz habe und deshalb zu verwerfen sei, ist übrigens unbezahlbar und würde bei anderen Zu­hörern aus dem Arbeiterstande die entgegengesetzte Wirkung haben. Aber die glücklicherweise an Zahl nur winzig geringen Anbeter des Harmonie­doktore sind so verbohrt, so baar jedes Verständnisses für ihre Klassenlage, soweit sie überhaupt wirklich Arbeiter sind, mit einem Wort so ent­mannt, daß man ihnen getrost Alles bieten darf, wenn nur die Freiheit der Ausbeuter nicht darunter leidet. Und darum nahmen die Versammelten ,, mit großer Majorität" wahrscheinlich 9 gegen 3, denn

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über ein Dutzend Theilnehmer haben die Hirsch Dunker'schen Versamm­lungen felten, eine Resolution an, in welcher sie gegen eine gesetzliche Einführung eines Normalarbeitstages protestiren und mit ganzer Kraft in Bezug auf eine herbeizuführende Verkürzung des Arbeitstages für die freie Vereinbarung der Arbeitgeber und Arbeitnehmer eintreten zu wollen erklären.

Lacht Euch in's Fäustchen, ihr Ausbeuter von Crimmitschau  , Meerane  , Mülsen  , Gera  , Greiz   u. s. w. Eure Interessen werden sorgsamt ge­hütet von Arbeitern"!

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Ein bedentlicher Vertheidiger. Für den Bergolder Ewald in Berlin  , dem die dortigen Genossen allerhand bedenkliche Verbindungen vorwerfen, tritt plötzlich im antisemitischen Deutschen Tageblatt" Herr Wilhelm Körner in die Schranken. Bildet sich der elende Renegat etwa ein, daß sein Lob die Berliner   Arbeiter von der Reinheit Ewald's überzeugen werde, oder benutzt er diese Gelegenheit nur, um der allerdings, bernünftig geleiteten Berliner   Gewerkschafts­bewegung" einige Artigkeiten zu sagen und zu betheuern, daß er ja eigentilch auch nichts anderes beabsichtigt habe? Wie dem auch sei, Herr Körner wird seinen Zweck nicht erreichen, die Berliner   Arbeiter brauchen keine Protektoren, und Ewald kann nichts Besseres thun, als die unberufene Vertheidigung des weiland Voltsanwaltes" höflichst abzulehnen.

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Wegen Spielbeleidigung auch eine schöne Gegend stand am 13. November ein Arbeiter vor dem Stuttgarter   Schöffen­gericht. Was er dem Beamten im Dienste" gesagt haben soll, wird nicht berichtet, der Gerichtshof muß aber entweder die Glaubwürdigkeit oder die Ehre des Fahnders" so lautet der schwäbische Kunstausdruck Ringer nicht hoch anschlagen, denn er erkannte auf fostenlose Frei­sprechung des Angeklagten.

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Es gibt keine Tugend mehr!.

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Klingt unglaublich und ist doch wahr! In Rade­ berg   bei Dresden   hat die Frau unseres Genoffen Lehmann, weil sie an ihrem Hute eine fleine, obendrein mit weißem Tüll halb verdeckte rothe Schleife öffentlich getragen hat ,,, wegen Tragens republikanischer Abzeichen" ein Strafmandat in der Höhe von vier Tagen Gefängniß erhalten. Wir schreiben jetzt 1882, in Worten Achtzehnhundertzweiunbachtzig!

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Die Arbeiter und der Staatssozialismus  . Die Petition der Hamburg   Altonaer   Krantentassen an den Reichstag gegen die Krankenkassenvorlage der Regierung hat in sieben Wochen die Unterschriften von 560 Kaffen mit 81,364 Mitgliedern er­halten; ein lehrreicher Beweis, daß die Arbeiter ihre Unabhängigkeit höher schätzen als die Bettelpfennige einer despotischen Regierung.

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Es gibt noch Richter in Hannover  . Die von der Loges- Affäre her berüchtigte 1. Straftammer des Hannover  'schen Land­gerichtes zusammengesetzt aus lauter Altpreußen verurtheilte den Redakteur der welfischen Deutschen Volkszeitung" wegen Abdrucks eines trotz Denunziation der Norddeutschen Allgemeinen" unbeanstandet ge­bliebenen Artikels des Stuttgarter  " Beobachter" zu zwei Jahren Gefängniß wegen Majestätsbeleidigung". Diesen Strebern ge bührt als Belohnung ein Streifen in's Knopfloch.

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