daß die Polizei so unerhörte Befugnisse hat, denn gegenwärtig ist nicht blos die Polizeigewalt gegen die Sozialdemokraten allmächtig, sondern im ganzen bürgerlichen Leben machen sich allenthalben die Uebergriffe der Polizei geltend. Jeder gewöhnliche Polizeidiener fühlt ein Stück Belage rungszustand in der Faust, wenn er in die Wohnung des Bürgers tritt, bei Haussuchungen u. s. w. Es kommt sehr häufig draußen im Reiche eine Dreiftigkeit der untergeordneten Beamten zum Vorschein, welche darauf hinweist, daß die Polizei thatsächlich die herrschende Gewalt in Deutschland geworden ist, und daß dies auf die allgemeinen bürgerlichen Verhältnisse einwirkt, ist, sage ich, sehr wohlthuend, ist ein wahres Glück, weil dadurch die ganze öffentliche Meinung sich in einer Weise gegen dieses Gesetz allmälig auflehnen wird, daß Sie es zurückziehen müssen, trotzdem es eine so bequeme Waffe für Sie ist.
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Ich komme nun auf die Verlesungen, welche der Herr Minister gestern für nothwendig erachtet hat. Er verlas da u. A. einen Artikel aus der Freiheit" über die Ehe. Wir haben nicht erst nothwendig zu erklären, daß uns die Freiheit" nichts angeht. Wir haben es aber sehr bezeichnend gefunden, daß der Herr Minister erklärt hat, die Mostianer seien ihm wesentlich lieber als wir. Wir begreifen diese Liebhaberei des Herrn Ministers für die Most'sche Richtung sehr wohl.
In diesem Artikel über die Ehe nun sind Grundsätze entwickelt, die nicht die Grundsätze unserer Partei als solcher sind; es sind aber auch einzelne Sachen verlesen worden, wie z. B. über Kindererziehung 2c., die durchaus vernünftig sind und von denen ich nicht begreife, was sie hier zu thun haben. Wenn Sie gegen den kommunistischen Grundsatz der allgemeinen Kindererziehung etwas einzuwenden haben oder sie als etwas Schreckliches betrachten, dann dürfen Sie auch nicht die Waisenknaben in besonderen Anstalten zu Unteroffizieren und Ihre eigenen hochadligen Sprößlinge nicht in Kadettenhäusern erziehen lassen, denn das ist ganz dasselbe wie das fommunistische Prinzip der gemeinsamen Kindererziehung. Was nun überhaupt diese Aeußerungen über die Ehe betrifft, so, meine Herren, ist die Ehe ein in ihrer Form äußerst wechselndes Institut. Zu verschiedenen Zeiten und bei verschiedenen Völkern war sie verschieden. Ich erkläre, daß unsere Partei als solche nicht auf dem Standpunkte der fogenannten„ freien Liebe" steht; das ist eine philosophische Anschauung, über die man streiten kann und über die auch sehr viel gestritten wird. Aber, meine Herren, was hat das denn überhaupt mit dem kleinen Belagerungszustande" zu thun?
( Sehr wahr! links.)
Wenn einzelne Theoretiker innerhalb unserer Partei im Punkte der freien Liebe so weit oder beinahe so weit gehen, wie der verstorbene Kaiser von Rußland darin in der Praxis gegangen ist,
( Unruhe, Zurufe)
und wie manche seiner lebenden Kollegen mit ihrer Maitreffenwirthschaft noch heute thun, dann spreche man doch nicht von der freien Liebe" und der Vernichtung der Ehe" durch die Sozialdemokraten, wo man selbst so bedeutende Ursache hätte, sehr ruhig zu sein. Ich erinnere Sie unter Anderem daran, wie diese freie Liebe bethätigt wurde von dem Sohne eines sehr bekannten, großen, berühmten Staatsmannes in ganz kurzverfloffener Zeit erft.
( Unruhe.)
Sie müssen ganz ruhig sein von diesem Thema. Sie haben gar keine Ursache, das hier zu kultiviren, denn die Ehe wird in keinem Stande mehr heilig gehalten als gerade unter dem deutschen Arbeiterstande, und ich verweise Sie darauf, daß Sie mit Ihrem Ausnahmezustande, mit den Ausweisungen, mit dem Belagerungszustande es sind, die die Ehe, die die Liebe in den Arbeiterfamilien untergraben und diesen Vorwurf müssen Sie sich mit Recht gefallen lassen.
Dann ist ferner gesagt worden, daß die Artikel, die geschrieben wor den sind gegen die Monarchie vom republikanischen Standpunkt aus, geradezu bestialisch seien, daß diese Aeußerungen Gift seien u. s. w. u. s. w. Meine Herrent, ich muß denn doch sagen, wenn man sich nicht scheut, wenn es der Herr Minister seinem Geschmacke angemessen findet, hier im Parlament von Bestialität, von Schundblättern u. s. w. zu sprechen, man sich auch gefallen lassen muß, wenn in einem Blatte, welches in einem freien Lande erscheint, wo kein Preßgesetz existirt, ab und zu Ausdrücke wie Hallunken u. s. w. vorkommen,
( sehr richtig! links)
das ist die nothwendige Konsequenz; wie man in den Wald hineinschreit, so widerhallt es. Jeder zielbewußte Sozialdemokrat ist Republikaner , und das ist es, was die Regierung jo verblüfft und ärgert, daß wir ihre sozialen Beglückungspläne nicht von reaktionären Händen, sondern vom demokratischen Volksstaat haben wollen. Von liberaler Seite werden wir angegriffen, weil wir Sozialisten sind, von der Regierung und den Konservativen werden wir verfolgt, weil wir Demokraten sind. Meine Herren, wir können deshalb gar nichts Besseres thun, als konsequent auf unferem Standpunkt zu bleiben und weder um die Angriffe von links noch rechts, noch um die Verfolgungen der Regierung uns irgendwie zu fümmern, sondern ruhig und unentwegt auf unser großes Ziel loszugehen.
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Es ist dann auch ein Artikel vorgelesen worden von Seite des Herrn Ministers von Puttkamer, der von dem an der Juvalidensäule erschossenen Knaben handelt, und aus dem Herr v. Puttkamer eine ganz besondere Gotteslästerung und religiöse Schmähung nachweisen wollte. Meine Herren, gerade das Gegentheil ist der Fall, in aus. gezeichneter Weise ist in diesem Artikel dargethan, was die herrschenden Kreise und sonstige gewisse Leute, die es nothwendig haben, Alles mit dem Deckmantel ihres lieben Herrgotts zuzudecken suchen, was für Schlechtigkeiten und Verbrechen in der heutigen Gesellschaft und von jeher verübt worden sind und wofür immer der liebe Herrgott verant
Feuilleton.
Zur Erinnerung. ( Schluß.)
Humanität der preußischen Heerführung. Aus den Tagen der Beschießung von Rastatt , unterm 7. Juli, erzählt unser Tagebuchschreiber:
„ Die( preußische) Zwölfpfünderbatterie unter Hauptmann Isenburg hatte 75 Bollkugeln, worunter 48 glühende, verschossen, die kombinirte Haubisbatterie 155 Granaten in die Stadt geworfen. Zum Zielpunkte hatten sich beide Batterien die Pfarrkirche genommen, da dort die Bevölkerung am dichtesten wohnt, und Schloß und Befestigungswerte zu schonen, vom General von der Gröben ausdrücklich befohlen war.
48
Die Steine des Schlosses und der Festungswerte sind in den Augen dieser Herren Junter natürlich mehr werth als Menschen. Die humane Tattit hatte auch zur Folge, daß Schloß und Festungswerke bei der Beschießung gar nicht litten, dagegen eine erfleckliche Anzahl von Menschen, darunter Frauen und Kinder, todt und zu Krüppeln geschossen wurden. Bei der Belagerung von Straßburg befolgten die Preußen betanntlich eine ganz ähnliche Taftit, die also traditionelle preußische Praxis zu sein scheint die Festungswerke wurden geschont, das Feuer auf die dichtestbewohnten Quartiere gerichtet. Nur in einem Punkte wurde von der Rastatter Praxis abgewichen. Außer auf Menschen wurde auch auf den Münster gezielt, welcher den Zorn der braven preußischen Junker vermuthlich dadurch auf sich gezogen, daß er einmal von einem Bürger der verhaßten Stadt Frankfurt gefeiert worden war, nämlich von einem gewissen Goethe. Kunst und Humanität sind Dinge, die in einem preußischen Junterschädel feinen Platz haben.
Nochmals die Humanität der preußischen Krieg führung. Am 8. Juli machte die Rastatter Besatzung einen Ausfall, der im Ganzen gut verlief. Eine Episode desselben erzählt der konservative Tagebuchschreiber wie folgt:
„ Die Schweizer( Theile der aus der Schweiz gekommenen Flüchtlingslegion, welche sich durchweg in dem ganzen Feldzug heroisch verhalten hat) nöthigten beim ersten Anfall, gleich nach 5 Uhr Morgens, die Feldwachen des( preußischen) 31. Landwehrregiments, ihnen das Wäldchen
wortlich ist, der wahrhaftig nichts dafür kann, daß die Menschen so schlecht sind und sich dabei seines Namens bedienen,
( Abgeordneter v. Vollmar: sehr gut!)
um ihre Verbrechen zu bedecken. Das ist nachgewiesen.
In dem Rechenschaftsberichte, welcher von dem König, reiche Sachsen uns vorliegt, ist unter Anderem gesagt, daß die gewöhnlichen Maßregeln des Ausnahmegesetzes von den Sozialisten wenig beachtet worden seien, sondern daß erst die Ausweisungen, die aber nach den Versicherungen der Vorlage mit bekannter sächsischer Gemüthlichkeit ausgeführt sein sollen, als ein wirkliches Uebel empfunden worden seien. Meine Herren, ich weiß nicht, wie ich diese Sprache be
zeichnen soll. Man sagte gestern, man habe kein Vergnügen daran, thue das nicht aus Chikane, es sei den Herren„ sehr zuwider", wollte Gott , man brauchte das nicht u. s. w., und hier sagt mit einem gewissen Behagen die Regierung, daß die Ausweisungen von den davon getroffenen Personen als ein Uebel empfunden worden sind. Ja, meine Herren, allerdings sind sie als ein Uebel empfunden worden, und das ist es ja eben, was die von Ihnen immer gepredigte Versöhnung der verschiedenen Gesellschaftsklassen geradezu unmöglich macht, welche Sie angeblich mit dem Sozialistengesetz erreichen wollen. Die Erbitterung, die Sie durch derartige Maßregeln hervorrufen, erreicht einen so hohen Grad, daß bei solchen Leuten, welche von derartigen Maßregeln getroffen worden sind, eine Versöhnung gar nicht möglich sein wird. Tausende dergleichen Leute stehen zähneknirschend und möchten am allerliebsten den nächsten Tag eine gewaltsame Revolution haben, wenn es möglich wäre; aber daran sind gerade diese Maßregeln schuld, von denen selbst zuge standen ist, daß sie als wirkliche Uebel empfunden werden sollten, das heißt auf Deutsch , daß man mit diesen Uebeln darauf ausgeht, die Betreffenden in ihrer Existenz zu ruiniren, sie zu vernichten, an den Bettelstab zu bringen, sie der vollständigen Vernichtung preiszugeben. Das ist eine ganz merfwürdige sächsische Gemüthlichkeit!
Aber ich möchte Sie auf Eines verweisen: gestern find es gerade die Herren von rechts hier gewesen, welche dem Herrn Minister ganz gewaltig Beifall zugerufen haben, als er von der Nothwendigkeit der Aufrechterhaltung aller dieser Maßregeln sprach. Ich erinnere Sie an etwas, meine Herren, es hat Herr Vollmar gestern schon gesagt, man bleibt nicht immer Majoritätspartei, der Stiel kann sich umkehren, die Welt ist bekanntlich rund und dreht sich. Nehmen wir einmal an, es wäre nicht ein sozialdemokratischer Staat, sondern nur eine ausgeprägt radikalliberale manchesterliche Regierung vorhanden, welche es für gemeingefährliche Bestrebungen erachten würde, wenn die konservative Partei für das Tabakmonopol, für Schutzzölle und indirekte Steuern agitirt.
( Zuruf.)
Meine Herren, das kann von richtigen Manchestermännern als gemeingefährlich betrachtet werden.
( Heiterkeit.)
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Nun, meine Herren, nehmen wir also an, daß über Pommern , über Ostpreußen , Oberschlesien , über Theile von Lauenburg u. s. w. der kleine Belagerungszustand gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Herren Konservativen verhängt würde ich will mich bei der Gelegenheit einmal der zarten aristokratischen Ausdrucksweise Ihres Parteigenoffen( nach rechts) von Bethusy- Huc bedienen nehmen Sie an, der Strom der Zeit würde Sie dann bei der Stirnlocke erfaffen" und Sie von Ihren heimathlichen Ochsen" und was Ihnen sonst noch lieb und werth ist, hinwegtreiben, Sie heimaths- und eigenthumslos machen, wie würde Ihnen das gefallen, wenn Sie verjagt, vertrieben würden, wenn Sie von Ihrer Familie, von Ihren Kindern hinweggerissen würden das könnte auch einmal eintreten, und ich wollte es Ihnen von Herzen gönnen, daß Sie dann das Alles durchkoften müßten, was Sie jetzt mit so großem Behagen als ein solches Uebel hinstellen, welches die Sozialdemokraten nothwendig ertragen müßten.
( Sehr gut! links.)
Es ist ferner gesagt, daß durch diese Scheu vor der Staatsgewalt, die eingetreten sei, durch das Gefühl der Furcht vor der Ausweisung die Verhältnisse wesentlich gebeffert worden seien und neue Kräfte unsererseits wenigstens nicht geworben werden konnten. Meine Herren, das gerade Gegentheil davon ist wahr. Scheu hat vor dem Ausnahmegesetz unter den Sozialdemokraten Niemand. Das einzige Gefühl, was es erzeugt, das ist der H a ß, von einer Versöhnung der Gegensätze und von einer Hochhaltung der Autorität kann daher durch Anwendung eines derartigen Paragraphen nicht die Rede sein. Meine Herren, gerade weil nicht das Recht spricht in dieser Angelegenheit, sondern weil die Ausweisungen und alle diese exorbitanten Maßregeln der poli zeilichen Willkür überlassen sind, gerade dadurch, gerade deswegen wird die Autorität der übrigen Gesetze, auch das allgemeine Rechtsbewußtsein untergraben, untergraben nicht von uns, sondern von Ihnen, die Sie das Ausnahmegesetz gemacht haben und die heute noch solche Gründe als genügend erachten, um den kleinen Belagerungszustand zu verhängen.
( Sehr richtig.)
Ich kann blos so viel sagen, Sie haben mit dem Ausnahmegesetz, welches nichts weiter ist als ein Erzeugniß der Furcht, das nichts weiter ist als die in Paragraphen formu- lirte Feigheit der herrschenden Klassen Sie haben mit diesem Gesetz geradezu Haß genug erzeugt, Sie haben Verhebung genug damit getrieben, haben die Bersöhnung verschiedener Bevölkerungsflaffen lange genug damit verhindert.
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Meine Herren, ich möchte im Interesse der Kultur und einer vernünftigen allgemeinen Entwickelung wünschen, daß Sie und ich will hier einen Ausdruck des Fürsten Bismard gebrauchen, der nirgends beffer am
Eichblon zu überlassen; die Freiburger Voltswehr dagegen rückte nicht vor und nöthigte dadurch die auf dem Bahndamme den Füsilieren vom 20. Regiment ausgesetzte Artillerie, eine Stellung weiter rückwärts zu suchen. Mittlerweile war auch das Bataillon des 3.( badischen) Regiments, durch das Zurückgehen der Geschütze getäuscht, in den vermeintlichen Rückzug fortgerissen worden. Dies nöthigte die Schweizer um so mehr, das Wäldchen aufzugeben, als gerade die Verstärkungen von Rauen thal herausdrangen, die Zündnadler des 20. Regiments die linke Flante ihres Rückzugs bedrohten, die Freiburger Volkswehr auf Freund und Feind unablässig fenerte und nachmals steif und fest behauptete, die Preußen seien in blaue Blousen verkleidet gewesen. Von den Schweizern blieben hier viele im Kampfe; andere, welche umzingelt waren, wurden von den erbitterten Landwehrmännern niedergemacht. Nur zwei Mann wurden lebend gefangen genommen: Stribent Bauer, der sich für einen zum Ausfall gezwungenen Offizier der Rastatter Bürgerwehr ausgab, und ein Handwerksbursche aus der Stadt, der sich gleichfalls den Schweizern angeschlossen hatte. Bei diesem wurde Ergebung nicht angenommen, von einem Schusse getroffen, fant er zusammen, raffte sich wieder auf, schrie Pardon, erhielt andere Schüsse, fiel wieder zusammen, krabbelte weiter, wurde wieder geschossen, bis er endlich regungslos liegen blieb. Als die Todten nach beendigtem Gefechte beerdigt wurden, fand man ihn athmend, mit 7 Schußwunden bedeckt. Dieser junge Mensch ist gleichwohl im Hospital vollständig genesen." Hier einige Bemerkungen.
Die preußische Landwehr hat sich während des badischen Feldzugs im Ganzen von Grausamkeiten fernegehalten. Es war aber ftritte Ordre er theilt, keinen Pardon zu geben. Der Befehl der Offiziere, das Beispiel der Linie und die lügenhaften Berichte über die Rebellen", namentlich die Schweizer ", denen die haarsträubendsten Dinge nachgesagt wurden, entfesselten allmälig auch in der Landwehr die Bestie".
Wie der Regel nach gegen gefangene Freischärler und„ Rebellen" verfahren ward, zeigt folgende Notiz in den Nachträglichen Aufschlüssen über die badische Revolution von 1849"( Zürich , Verlagsmagazin 1876): Nach dem Rückzuge der Anneke'schen Avantgarde wurde in Ulstadt ein Zug Volkswehrmänner( Schützen aus Thiergarten, Oberkirch und anderen Orten des Renchthales) abgeschnitten, und flüchtete sich derselbe mit Niederlegung der Waffen in die Kirche, in welcher nach dem offiziellen preußischen, im Militärwochenblatt von Berlin veröffentlichten
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Blaze ist als hier daß Sie in Zukunft die verbrecherische Thorheit des§ 28 niemals zu bereuen haben mögen.*)
Sozialpolitische Rundschau.
3ürich, 3. Januar 1883. Ueber den Zweck des letzten Bismarc'schen Krieg in Sicht Standals, schreibt uns Einer, der schon manchen Blick hinter die Coulissen gethan, hat man sich vielfach den Kopf zerbrochen und auf die tiefsten politischen Motive gerathen. Nun ist es zwar richtig, daß stets, wenn eine Mehrforderung für's Militär in Sicht ist, sofort auch ein Krieg in Sicht kommt. Diesmal trifft das aber nicht zu, weil die Alarmnachrichten schon 3 Wochen vor Zusammentritt des Reichstages dementirt wurden, also auf den Reichstag keinen Einfluß haben konnten. Auch die Vermuthung, es habe sich um einen Wink mit dem Zaunpfahl nach Paris oder Petersburg gehandelt, kann vor der Kritik nicht bestehen, da die Politiker an der Seine und Newa über den Schwindel geradeso unterrichtet waren wie die Politiker an der Spree . Kurz, der Zweck war gar kein politischer, sondern ein finanzieller. Gewisse Leute fühlten das Bedürfniß, ihre Börsen vermittelst des„ Giftbaumes" auf der Börse zu füllen und einen richtigen Räuberfoup à la Bonaparte zu machen. Vor dem Jahresschluß ist die Börse besonders ,, empfindlich", und so gelang es denn, die Kurse der Werthpapiere durch das systematische, auf der ganzen Reptilienlinie intonirte Krieg in SichtGebrüll bedeutend herabzudrücken. Die auf diese Weise künstlich verbilligten Papiere wurden en masse von den„ Eingeweihten" gekauft ( wozu bekanntlich kein Geld gehört- da es blos Scheinkäufe sind); dann ward plötzlich geschwenkt, die Alarmnachrichten wurden als unbegründet hingestellt, dadurch die Kurse wieder in die Höhe getrieben und die billig getauften Papiere zu dem erhöhten Preise vertauft. Die Differenz wanderte in die Taschen der„ Eingeweihten". Wer die Börsenkurse vor, während und nach dem letzten Krieg in Sicht- Skandal studirt, kann sich leicht ansrechnen, daß die Urheber des sinnreichen Manövers Millionen in ihre Taschen eskamotirt haben. Il faut corriger la fortune", sagt Riccaut de la Marlinière. In unserer Zeit, wo die ganze offizielle Politik auf Gründerei und Spekulation hinausläuft, kann man sich über solche Manöver nicht wundern. Sie gehören zum System.
Das Vieh ist zu regieren, diese Leute nicht!" Vor Weihnachten verlangte einer der auf Grund des Belagerungszustandes aus Leipzig und Umgegend Ausgewiesenen die Erlaubniß, zur Ordnung dringender Familien- und Geschäftsangelegenheiten auf zwei Tage nach Haus zu kommen. Die Zeit erwies sich als vollkommen ungenügend, und die Frau wandte sich persönlich an den ob seiner Humanität hochgerühmten Graf zu Münster , Kreishauptmann von Leipzig , die entscheidende Instanz in diesem Falle. Der Herr Graf empfing die Frau in einer seine„ Humanität" in's schönste Licht stellenden Weise. Er fuhr sie barsch an und sagte u. A.: Ihr Mann und die Sozialdemokraten überhaupt haben keine Religion, und wer keine Religion hat, steht unter dem Vieh. Das Vieh ist zu regieren, diese Leute nicht."
Das Gesuch wurde abgeschlagen. Das Wort des Herrn Grafen soll aber nicht vergessen werden. Es gibt monströse Worte, die eine, das menschliche Maß von Duldung überragende Gefühlsrohheit bekunden und ihren Urheber gewissermaßen außerhalb der Menschheit stellen. Namentlich in Zeiten staatlicher und gesellschaftlicher Auflösung, wo die herrschenden Klassen durch verdoppelte Härte und Gewaltthätigkeit das Bewußtsein des nahenden Untergangs zu ersticken suchen, sind solche Worte häufig und werden sehr oft ihren Urhebern, stets deren Genossen und Sache verderblich. Wer erinnert sich nicht des berüchtigten:„ Wenn das Bolt Hunger hat, dann mag es Heu fressen" ,, das dem elenden Foulon am 22. Juli 1789 das Leben foftete und gar manchem der frechen Junker von damals, sowie der gesammten Monarchie verderblich wurde?
Das Wort des Grafen Münster ist um fein Haar breit weniger bestialisch als das des französischen Generalpächters und Volkanssaugers. Ja eher noch bestialischer. Das Volk soll Heu fressen!" Das Volk ist Vieh die bekannte ,, Kanaille" sagte der französische Junker. Und
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der deutsche Junker sagt faft 100 Jahre später das deutende Volk, d. i. die Sozialdemokratie, ist schlimmer als das Vieh. Hatten wir Unrecht, zu sagen, der französische Junker sei von seinem deutschen Nachfolger an Bestialität noch übertroffen worden? Freilich auch an Dummheit, denn zu sagen: wer teine Religion hat, steht unter dem Vieh, heißt doch, genau betrachtet, die Religion ist Sache des Viehes, wer Religion hat, gehört zum Vieh und das hat der stramme Herr Graf zu Münster sicherlich nicht sagen wollen. Eine so bedenkliche Wahrheit auszusprechen, war für den Grafen Münster eine kolossale Dummheit.
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Auch in den übrigen Säßen hat der Graf eine sehr bedenkliche Wahr - die So heit ausgesprochen:„ Das Vieh läßt sich regieren, diese Leute zialdemokraten- nicht."
*) Verschiedenen Fragestellern zur Antwort, daß die von uns veröffentlichten Auszüge aus den Reichstagsreden unserer Genossen stets dem amtlichen stenographischen Bericht entnommen sind.
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Feldzugsbericht, der Lieutenant nicht verhindern konnte, daß die 24 Gefangenen auf der Stelle niedergeschossen wurden." In Philippsburg wurde der Zivilkommissär Schänzle an einen Pferdeschweif gebunden und zu Tode geschleift u. f. w."
Da wir gerade dabei sind, sei noch erzählt, daß in Durlach etwa 20 Freischürler, welche ihren Marsch verspätet hatten, von den Preußen überrascht, sich auf den Thurm flüchteten, oben niedergemezelt und die blutenden Leichname hinuntergeworfen wurden welchem Schauspiel der Prinz von Preußen jetzige Heldengreis mit zujah!
Charakteristisch um auf unseren Bericht zurückzukommen ist die Behandlung des Handwerkers und des für einen Offizier angesehenen Stribenten Bauer. Die preußischen Soldaten begriffen instinktmäßig, daß die gefährlichen Revolutionäre hauptsächlich unter den Arbeitern zu finden waren und daß es mit der revolutionären Gesinnung der Uebrigen im Allgemeinen nicht so ernst war.k
Die Bürgerwehr, die bei dem Ausfall des 8. Juli eine traurige Rolle spielte, hat sich bei verschiedenen Gelegenheiten, besonders bei Waghäusel , und theilweise auch den 29. Juni bei Rastatt an der Murglinie, gut geschlagen das Vertrauen in die Führung war allmälig erschüttert worden, und da man es versäumt hatte, die Volkswehr militärisch auszubilden, waren Vorkommnisse, wie das hier geschilderte, unausbleiblich. Welcher Geist die zumeist der Arbeiterklasse angehörigen Freischürler damals beseelte, erhellt aus nachstehender Erzählung unseres TagebuchSchreibers:
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" Heute( am 14. Juli) bewegte sich wieder ein Leichenzug unter meinen Fenstern voritber. Man begrub einen Hannover ' schen Freischärler, der vor 8 Tagen von einer Kugel in den Kopf getroffen wurde. Er hatte sich nach seiner Verwundung nur flüchtigen Berband anlegen laffen. Auf dem Walle sei er nöthiger als im Krankenzimmer; die Kugel sei hinter dem Ohr wieder hinausgefahren; durch einen so unbedeutenden Streifschuß lasse er sich nicht von seiner Pflicht abhalten." Gestern frith aber fam er zum Spital zurück. Der Schmerz sei unausstehlich, dabei friere es ihn unangenehm." Nach einigen Stunden wüster Fieberphantasien lag er in der Bahre. Die Leichenöffnung zeigte, daß der Streifschuß ein ziemlich großes Stück Hirnschale zerschmettert und Splitter in die Hirnmasse gejagt hatte, welche dadurch in Eiterung überging und den Tod herbeiführte, welchem die Willensstärke solange aufrecht in's Angesicht sah."