daß der Staat die Aufgabe und die Pflicht hat, die Lösung der sozialen Frage in die Hand zu nehmen.
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Aber, meine Herren, diese Lösung ist blos möglich in einem freien Staate, in einem Staate, in welchem das Volt auch das Regiment in Händen hat, in einem Staat, deffen Grundsatz es ist, Alles für das Volk" und„ Alles durch das Wolf". Ein das Volk von Oben bevormundender Staat, ein Staat, der, wie ich dem Herrn Abgeordneten v. Kleist- Rezzow vor einigen Jahren entgegenzuhalten hatte, an die Stelle des manchesterlichen Nachtwächters den Polizeibüttel stellt, den wollen wir ebensowenig wie den andern. Diesen Staat verwerfen wir, und wenn ich im Augenblick zwingend vor die Wahl gestellt wirde, dann wäre ich noch eher für denjenigen Staat, welcher aus den modernen Verhältnissen hervorgegangen ist, für den modernen bürgerlichen Staat, als für den alten feudalen Junker- und Zunftstaat. Aber, meine Herren, vor dieser Wahl stehen wir nicht, und wir kommen auch nicht vor sie. Das Bürgerthum in Deutschland hat zum Glück für uns noch nicht so feste Wurzeln zu fassen vermocht, daß es den Junker- und Militärstaat hat zerstören können, ähnlich wie in England und Frankreich ; und so besteht zwischen diesen beiden Richtungen ein kräftiger Antagonismus, welcher schließlich un serer Partei zu Gute fommen muß; wir sind der tertius qui gaudet, wir ziehen aus dem Kampf dieser beiden Richtungen unseren Vortheil und stehen beiden feindlich gegenüber.
Genug, wir fönnen uns nie und nimmer mehr bergeben zu einem Pafte mit jener Seite. Das Anerbieten, von dem eben die Rede war, steht nicht vereinzelt da. Ich kann sagen, daß Personen, die vielleicht noch in näherer Berührung mit Regierungsfreisen gewesen sind, in früheren Zeiten Fühlung mit uns gesucht haben, daß man zu jeder Zeit uns die Aussicht eröffnet hat, freien Spielraum für uns zu erlan gen, wenn wir die sozialdemokratische Bewegung in die Dienste der Reaktion stellen würden. Das ist uns wiederholt angeboten worden in einer Form, welche die Möglichkeit einer Ablengnung absolut ausschließt, angeboten worden von agrarischer und sonstiger verwandter Seite.
Also ich begreife nicht, wie Herr von Puttkamer dazu kommen kann, zu erklären, es sei ein Frevel, sich mit unserer Partei einzulassen. Ich wiederhole, keine Partei hat mehr versucht, sich mit uns einzulassen, hat mehr um unsere Gunst gebuhlt als die Parteien, welche an den Rockschößen des Herrn von Putttamer hängen.
( Hört, hört! links.)
Meine Herren, es gibt blos ein Mittel, um die soziale Frage aus der Welt zu schaffen, um einer Revolution vorzubeugen, und dieses Mittel ist die Freiheit und die Anschmiegung der Geseze an die Bedürfnisse der Gegenwart.
-Ich will Ihnen hier an einem denkwürdigen geschichtlichen Beispiel darlegen, wie je de Partei, jede gesellschaftliche Gruppe direkt auf den Boden der Gewaltthat, des gewaltsamen Umsturzes gedrängt wird, wenn man ihr die Möglichkeit der gesetzlichen Geltendmachung ihrer Forderungen raubt.
Ich habe vorhin der englischen Trades- Unions erwähnt, mit denen, im Vorbeigehen bemerkt, die deutschen„ Gewerkvereine" absolut nicht das Geringste zu thun haben; denn die englischen Trades- Unions sind aus der Mitte des arbeitenden Volkes selber hervorgezogene, aus den mittelalterlichen Gilden hervorgewachsene Organisationen, welche das Klasseninteresse der Arbeiter in bewußter und wahr. haft imposanter Weise, jetzt fast ein volles Jahrhundert lang, vertreten. Die Thätigkeit der Trades Unions, die beiläufig alles Das thatsächlich geleistet haben, was unseren Herren Sozialreformern als Ideal vorschwebt: Krankenversicherung, Unfallversicherung, Invalidenkassen u. s. w., die Thätigkeit dieser Arbeiterorganisationen wurde dem Großkapital, der Großproduktion gegen Ende des vorigen Jahrhunderts unbequem; die alten Koalitionsgesetze, die sich in gleichem Maße, wie gegen die Arbeiter, auch gegen die Arbeitgeber richteten, wurden abgeändert und in drakonischster Weise einseitig gegen die Arbeiter verschärft. Es wurden die strengsten Strafen gegen die Arbeiterkoalitionen gesetzt. Was war die Folge? Die englischen Arbeiter mußten ihre Organisationen in geheime Gesellschaften verwandeln und wurden auf den Boden der Gewalt gedrängt.
Diese ruhigen Engländer, die heute als das Muster eines refor matorisch friedlich- fortschreitenden Volkes vor uns dastehen, wurden zu den sogenannten„ trades outrages", diesen gewerkschaftlichen Freveln" getrieben; fie organisirten förmiche Vehmgerichte, in welchen diejenigen, welche den Arbeiterinteressen entgegentraten, seien es Fabrikanten, seien es Arbeiter, welche die Zwecke der Trades Unions zu vereiteln suchten, als Verbrecher zu schweren Strafen, häufig zum Tode verurtheilt wurden; und in vielen, vielen Fällen ist das Todesurtheil, unter ähnlichen Zeremonien wie die Todesurtheile der alten deutschen Behme, gefällt und vollstreckt worden.
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Wer die Geschichte jener Borkommnisse in den englischen blue books, in den Berichten der parlamentarischen Untersuchungskommissionen, nachliest, wird finden, daß ich nicht im Geringsten übertreibe; diejenigen, welchen die Quellen nicht zur Verfügung stehen, wie das bei mir der Fall gewesen ist ich habe in England mich ganz besonders mit dem Studium dieses Materials beschäftigt verweise ich auf die Schriften Brentano's, in denen Sie dies, wenn auch nicht vollständig pointirt, dargelegt finden. Es wurden von den Verurtheilungen zum Tode abgesehen Häuser in die Luft gesprengt, Pulversäcke an die Schlösser gehängt, welche die Fabriken zerstörten, es wurden Maschinen zerstört, Arbeiter und Meister, die sich mißliebig gemacht hatten, furchtbar mißhandelt u. s. w. Das Gesetz wurde mit unerbitterlicher Strenge gehandhabt, es wurden Todesurtheile vollzogen, obgleich, ähnlich wie bei den agrarischen Freveln" in Jrland, nur äußerst selten die Urheber haben entdeckt werden können, weil das gesammte Volk, dessen Rechtsgefühl durch die Ausnahmegesetzgebung verletzt war, mit den Unterdrückten sympathisirte. Keine Unterdrückungsmaßregel, teine Verfolgung, teine Bestrafung, nichts half; Stockprügel, die jetzt wieder als Universalmittel gelten, der Strick, der sich jetzt eben. falls als fittliches Heilmittel vielfacher Sympathien auf dieser( der rechten) Seite des Hauses erfreut, Alles ist angewendet worden, und das Resultat war, daß das Uebel schlimmer und schlimmer wurde, bis dann endlich die slaaismännische Klugheit die Oberhand gewann, und innerhalb der freifinnigen Elemente die Ueberzeugung zum Durchbruch kam, daß es unmöglich sei, durch Unterdrückungsmaßregeln das Rechtsgefühl in den Menschen zu vernichten, und den Arbeiterorganisationen, die in den sozialen Verhältnissen nothwendig begründet find, ein gewaltsames Ende zu bereiten; man begriff die Nothwendigkeit, die Ausnahmegesetze, zu denen die Koalitionsgesetze ja eminent gehören, aufzuheben. Unter Leitung Hume's , des bekannten philanthropischen Freigeistes, kam dann auch die Bewegung für Aufhebung der sogenannten Combination Laws zum Siege; im Jahre 1824 nahm das Parlament, Unterhaus wie Oberhaus, den Gesetzvorschlag, welcher die Ausnahmegesetze beseitigte, an, und von jenem Moment an sehen wir, wie die gesammte englische Arbeiterbewegung auf den Boden des Gesetzes tommt, denn kein Mensch ich appellire hier an Ihre Menschenkenntniß, meine Herren! tein Mensch, der auf friedlichem Wege das erreichen kann, was er in sei nem Interesse für nothwendig hält, wird frivoler Weise auf die Straße gehen, Barrikaden bauen, auf seine Mitmenschen schießen und sein Leben auf's Spielsetzen.
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Zu solchen Handlungen, wo nicht der Wahnsinn eines Einzelnen sie dikurt, kommt eine Klasse, kommt eine Partei nur unter dem Gebote der eisernen Nothwendigkeit, die feine andere Möglichkeit offen läßt. Vergleichen Sie dieses Beispiel, wie die englischen Arbeiter durch Ausnahmegesetze auf den Boden der Gewaltthätigkeit, des gewaltsamen Umsturzes, des Blutvergießens gedrängt, durch jede weitere Gewaltmaßregel auf dem Wege der Gewaltthat weiter vorangetrieben werden und dann nach Aufhebung dieser Ausnahmegeseze auf den Boden der friedlichen Reform gelangt find vergleichen Sie dieses Beispiel Englands mit dem Beispiele Rußlands , wo auf jeden Freiheitsruf von Unten herauf die brutale Fauft des Zarismus antwortet und sich um die Gurgel des„ Revolutionärs" krallt, der in irgend einem Gefängniß oder in Sibirien lebendig begraben wird sehen Sie, wie dieses bis auf die äußerste Spitze getriebene System der polizeilichen Unterdrückung an seiner eigenen Uebertreibung zu Grunde geht, wie die zarische Almacht in die äußerste Impotenz, in die vollständigste Macht
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lofigkeit umgeschlagen ist und den Nihilismus erzeugt, den Nihilismus zur Nebenregierung, ja zur Hauptregierung Rußlands erhoben hat, vergleichen Sie jenes Bild und dieses, und, meine Herren, discite moniti! Sie sind gewarnt, Sie sehen in dem Beispiele Rußlands , wohin die Unterdrückung führt. ( Schluß folgt.)
Briefe aus England.
London , 20. Januar 1883. Die Zustände in Irland verschlimmern sich von Tag zu Tag. Troßdem die englischen Grundrechte feststellen, daß Niemand inhaftirt werden und gegen Niemand Untersuchung verhängt werden soll, ohne daß ihm der Anklagepunkt mitgetheilt wird, wurden in letzter Woche massenhaft Verhaftungen vorgenommen; und bis jetzt wissen die Verhafteten nicht, welchen Bergehens man sie beschuldigt. Die Regierung sprengt das Gerücht aus, fie wolle nicht nur beweisen, daß einige der Verhafteten an der Ermordung von Cavendish und Bourke in Phönig Park theilgenommen haben, sondern auch zeigen, daß ein enges Bündniß zwischen der Mordgesellschaft"( assassination Society) und der Landliga besteht, und daß von den 20,000 Pfd St.( 400,000 Mark), welche Patrit Egan, der bisherige Schatzmeister der Landliga, unter dem Titel Organisations- Ausgaben" verwendete, ein Theil den Mördern übermittelt wurde. Doch scheint mir das sehr unwahrscheinlich, weil ich nicht glaube, daß die Herren Parnell, Egan und Kompagnie so wahnfinnig sind oder so aufopfernd, ihren Hals dem Henter preiszugeben. Ferner wird behauptet, daß ein Zusammenhang zwischen der„ Mordgesellschaft" und der irischen republikanischen Verbrüderung" nachgewiesen sei, aber auch das kann ich nicht glauben, denn die irische republikanische Verbrüderung ist nicht zu dem Zwed gegründet worden, einzelne Judi viduen todtzuschlagen, sondern das Volk zum offenen Kampf mit der englischen Regierung zu organisiren.
In einigen Theilen Irlands wird das Zwangsgesetz mit drakonischer Härte gehandhabt. Vergangene Woche wurde ein Mann, weil er nach eingetretener Dunkelheit ausgegangen war, zu drei Monaten Gefängniß verurtheilt, obwohl nachgewiesen worden war, daß er nur für sein frankes Kind einen Doktor geholt hatte. Eine Woche vorher waren alle Personen, welche an der Leitung einer Versammlung unter freiem Himmel Theil genommen, verhaftet worden. Man traktirte sie mit Büffen, transportirte fie zu Fuß meilenweit bis zum Sitz des Regierungsbeamten, der jeden zu einem Monat schwerer Arbeit verurtheilte. Das sind nur zwei Bilder von der englischen Ordnung in Irland unter der Herrschaft des großen Greises"( Spizname Gladstone's, Die Redaktion.)
Das unbedeutende Unwohlsein Gladstone's hat unsere Liberalen in große Aufregung versetzt, weil sie wissen, daß wenn er stirbt, die Todtenglocke der liberalen Partei länten wird. Nur sein Name hält dieselbe noch zusammen. Die Radikalen hassen die Whigs mehr als die Tories. Stirbt Gladstone , so werden Tories und Whigs wahrscheinlich ein Bündniß schließen, und unter Chamberlain's und des Errepublikaner Dilke Leitung wird sich eine radikale Partei konflituiren, ebenso auch die Arbeiterpartei, doch haben wir uns noch nach einem tüchtigen Führer umzusehen.(? Redaktion.)-
Es sind Unterhandlungen im Gange, daß der demokratische Berein Marlybone sein Domizil im kommunistischen Arbeiterbildungsverein, Tottenham Street 49, aufschlagen werde. Es würde dies eine internationale Verbindung im kleinen Maße sein, die nur einen brüderlichen Verkehr zur Folge haben kann.
Herr Bradlaugh macht große Anstrengungen, um die Demonstration zu seinen Gunsten zu einer erfolgreichen zu gestalten, und ich muß gestehen, daß ich mich täuschte, als ich Ihnen schrieb, sie werde nicht sehr enthusiastisch sein. Sie wird es sein. Extrazüge werden Tausende vom Norden und Westen Englands bringen, und wenn Brad laugh von der Polizei aus dem Unterhause herausgeschleppt werden wird, wie dies bisher der Fall war, so wird es zu einem Kampf fommen. So sehr ich Bradlaugh in vielen Fragen gegenüberstehe, glaube ich doch, daß man ihn diesmal unterstützen muß, weil 1) schon jede Agitation von Nugen ist und 2) es sich um das Recht des Volkes handelt, den Mann zu wählen, der ihm paßt. Wenn das Unterhaus heute Bradlaughs Aufnahme verweigern darf, so wird es morgen daffelbe mit Dadson( ein englischer Sozialist) thun.
Vor Kurzem war Louise Michel hier und hielt während einer Woche täglich in Steinway Hall Vorlesungen über Frauenrechte und Erziehung", leider vor sehr geringem Publikum. Die bestbesuchte Vers fammlung zählte- 70 Theilnehmer. Zwei Ursachen sind an Letzterem Schuld. Erstens sprach sie französisch und zweitens war der Eintrittspreis zu hoch. Eine Halle für 62 Pfd. Sterling( 1260 Mark) zu miethen und zu hoffen, sie bei einem Eintrittsgeld von 72, 5 und 2, Shilling für ersten, zweiten und dritten Platz zu füllen, war Wahnsinn. So übertrieben hoch der Engländer Musik bezahlt, so knauserig ist er in Bezug auf Vorträge. Während der Irländer die Reden seiner Leute gern theuer bezahlt, verlangen der Engländer, der Schotte und der Walliser die ihrer Vertreter umsonst. Die Bourgeoisie ist hier stets so schlau gewesen, die Kosten ihrer Meetings selbst zu bezahlen, dabei gewöhnlich auch alle Redner und die Macher". Vor vier Jahren wurden für ein Meeting in Exeter Hall 1000 Pfd. St.( 20,000 Mt.) ausgegeben. Der Arbeiter" Broadhurst hatte einen Finger in dieser Paftete( will sagen: machte seinen Schnitt dabei. D. Red.).
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Jedenfalls hat Derjenige, der Louise Michel einlud, bewiesen, daß er die hiesigen Verhältnisse absolut nicht fennt.
Jm Lyoner Prozeß, dessen Ausgang wir mit Spannung entgegensehen, sagte Fürst Krapotkin, es gebe in England keine Sozialisten. Das ist durchaus nicht richtig. In London allein gibt es vier ausgesprochen sozialistische Klubs, abgesehen von der demokratischen Federation, die, wenn auch nicht ausgesprochen, so doch thatsächlich eine sozialistische Bewegun ift und in ganz England, sowie in Glasgow und Edinburgh in Schottland Settionen zählt. Es ist sehr bedauerlich, daß Krapotkin diese Aeußerung that, ohne sich vorher beffer zu informiren.
Ch. J. Garcia.
Sozialpolitische Rundschau.
3ürich, 24. Januar.
Aus dem deutschen Reichstage. Am 18., 19. und 20. Januar wurde im Reichstag der Börsensteuergesetentwurf der Herren von Wedell- Malchow u. Kompagnie berathen. Der stenographische Bericht ging uns leider zu spät zu, um noch für diese Nummer eine gehörige Würdigung dieser sehr charakteristischen Debatten zu ermöglichen. Unsererseits sprach Genoffe Kayser und entwickelte den Standpunkt unserer Partei zur Börse und Börsensteuer mit ebensogroßer Schärfe wie Gewandtheit. Rechte und Linke, d. h. Kraut junker wie Börsenbarone, bekamen ihr gehöriges Theil bitterer Wahrheiten zu hören. Aber auch die chriftlich konservative Regierung ging nichts weniger als leer aus. Natürlich erklärte Kayser, trotz schärffter Kritif des Gift baums der Börse, von der er sehr richtig sagte, daß „ ein Gistbaum da wächst, wo auch ein Gistboden ist", daß unsere Genossen gegen die Börsensteuer stimmen werden, weil wir der Regierung über haupt keine Steuern bewilligen.
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Wie Kayser's Rede gesessen, zeigten die nachfolgenden Redner. Der ihm folgende Klerikal- konservative Schorlemer Alft konstatirte, daß der Abgeordnete Kayfer den Gegnern der Börsensteuer, insbebesondere dem Abgeordneten Sonnemann um mich der speziellen Ausdrucksweise des Herrn Sonnemann zu bedienen ein feines Begräbniß bereitet hat" und der liberale Abgeordnete Meyer ( Halle ) sagte, daß er und seine Freunde in Kayser's Ausführungen„ die erfte und wahre Konsequenz der Angriffe gesehen haben, die gegen die Börse gerichtet sind.", Man tann tein gründlicher Feind der Börse und kein abgesagter Gegner des Kapitalismus sein, ohne zu denjenigen Konsequenzen zu kommen, welche der Herr Abgeordnete Kayser gezogen hat."
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Wir werden, wenn irgend möglich, auch die Rede Kayser's im Auszug bringen.
- Konsequenz ist bekanntlich die Spezialität der Herren Liberalen. In der jüngsten Berathung des BörsensteuerEntwurfes haben die Leutchen das wieder einmal in geradezu klassischer Weise bewiesen. Das Streben des Liberalismus geht nothwendig auf eine Stärkung des Parlamentseinflusses, bezw. auf das parlamen tarische Regierungssystem, in welchem die Vertretungskörper der ausschlaggebende Faktor sind, dessen Entscheidungen sich die Regierung unterzuordnen hat. Von diesem Standpunkt aus ist der Liberalismus mit Recht aufgebracht, wenn die starke monarchische" Regierung des Reiches einen Beschluß des Reichstags dadurch vernichtet, daß sie ihm die Zuftimmung verweigert. Welche fittliche Entrüftung über solche„ Migachtung der Vertretung der Nation" geht da nicht durch die ganze liberale Presse. Aber wie schnell wendet sich das Blatt, wenn das liebe Interesse ins Spiel kommt! So schloß der liberale Abgeordnete Büsing seine Rede, in welcher er einen wahren Lobhymnus auf die„ segensreiche" Thätigkeit der Börse anftimmte, unter dem Beifall der Linken, mit den Worten:
Ich hoffe, der Reichstag wird diese ungeheuerliche BörsensteuerVorlage verwerfen; sollte jedoch auch das Gegentheil der Fall sein, so habe ich doch noch das feste Vertrauen zu der Richsregierung, daß dieselbe einem Gesetz, welches eine so tiefe Schädigung unseres wirthschaftlichen Lebens enthält, und welches sie eines so wesentlichen Machtmittels(!!) beraubt, wie sie es an einer starken kräftigen und alle Zeit loyalen Börse besitzt, nimmermehr ihre Zustimmung geben wird".
Das heißt zu deutsch : Der König absolut, sobald er unsern Willen thut! Und solche Leute wollen sich als gefährliche Gegner der Regierung aufspielen!
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Aus gegnerischem Munde. Die neueste Nummer des ,, Chriftlich- sozialen Korrespondenzblattes" bringt n. A. einen Bericht über die große Berliner Arbeiterversammlung vom 8. Januar, den wir gerade weil er von dieser Seite kommt, mindestens zum Theil hier wiedergeben wollen. Nach Konstatirung des koloffalen Besuches wird die Rede des Vergolders Ewald mitgeheilt, in welcher dieser sich gegen den Vorwurf, die Arbeit der Konservativen zu verrichten, bezw. ein Agent Stöckers zu sein, energisch verwahrte. Hier vermiffen wir folgende in der übrigen Preffe mitgetheilte Episode:" Ewald: Als im Jahre 1870 der gewiß von Jedermann hochgeachtete Dr. Johann Jakoby( Stürmischer, lang anhaltender Beifall)", die wir für wichtig genug halten, von ihr besondere Kenntniß zu nehmen. Nach Ewald tritt ein Arbeiter Kliem auf, der Ersterem den Vorwurf macht, nicht energisch genug gegen Stöder einzutreten, worauf Herr Stöcker, wie wir bereits mittheilten und worüber sich das christlich soziale Korrespondenzblatt gar nicht beruhigen kann, von allgemeinem Zischen begrüßt, das Wort nimmt. Aus dem Bericht über seine Rede interessiren uns, selbstverständlich nur wegen der Aufnahme, die sie bei den Arbeitern finden, folgende Stellen:
,, Das Unvernünftige der Sozialdemokratie besteht in dem Haß gegen das Königthum und das Christenthum.( Großer Tumult.) Die Bernünftigen suchen sich auszusöhnen mit den Faftoren, die das Wohl der Arbeiter wollen. Das ist zuerst das deutsche Kaiserthum.( Unruhe). Den Nachweis erbitte ich von Ihnen, welche moderne Regierung den Arbeitern mehr geboten hat, als die deutsche. Was wollen Sie denn von der Revolution?( Anhaltende Unruhe. Wiederholte Intervention des Vorsitzenden.) Was wollen Sie mit Ihrem Atheismus, mit Ihrer Gottes. läugnung?( Unbeschreiblicher Lärm.) Es gibt kein Buch auf Erden, das dem gefunden Sozialismus günstiger ist und dem Wohle des Arbeiters förderlicher, als die Bibel( rasender Widerspruch) und es gibt keinen Mann auf Erden, der mehr Ihr Freund ist, als der in Bethlehem geboren ist.( Minutelange stürmische Unterbrechung, Ermahnung des bereits heiseren Vorsitzenden). Sie haben keinen besseren Freund als den Erlöser Jesus Christus ! ( Stürmischer Widerspruch.) Er sagt: Der Mensch ist nicht Eigenthümer, sondern nur Verwalter seiner Güter, der Mensch solle nicht unablässig irdischen Gütern nachjagen, und Jeder soll seinen Nächsten lieben als sich selbst. Wenn Reich und Arm diese Ideen halten, wäre die soziale Frage wenigstens nicht in dieser schweren Form auf Erden, sondern es wäre sozialer Friede und es wäre besser als jetzt!( Beifall, Widerspruch, Zischen, anhaltende Bewegung.)" Bekanntlich erhielt nunmehr, von stürmischen Beifall begrüßt, Genoffe Kayser das Wort. Aber kaum hatte er einige Worte gesprochen und Miene gemacht, Stöcker zu widerlegen, als die Versammlung aufgelöst wurde. Darauf konstatirt der Bericht:
,, Unbeschreibliche Bewegung. Durchdringende Pfuirufe erschallen. Die Marseillaise wird angestimmt, und der MenschenInäuel drängt unter anhaltenden Hochrufen auf Kayser dem Ausgange zu. Der Saal leert sich nur langsam unter energischer Intervention der Polizei. Bis auf die Straße hinaus pflanzt sich der Tumult, doch kamen keine ernstlichen Ruhestörungen vor."
Ebenso interessant wie charakteristisch ist der Kommentar des christlichsozialen Blattes zu dieser Versammlung: 0p
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,, Wir wollen unerörtert lassen", heißt es da, ob die polizeiliche Auflösung in jenem Moment geboten war verdient hätte die tumultuarische Versammlung die Maßregel vollkommen, denn(!) fie artete aus in eine wüßte sozialdemokratische Demonstration." Und nach dieser sehr ehrenwerthen Beschönigung der Auflösung wird über den Empfang Stöcker's gejammert und Pfui! gerufen, dann den Leitern der Versammlung der Vorwurf gemacht, daß sie als Hausherren " zu schwach" seien, um strammes Regiment zu üben", worauf es zum Schluß heißt:
,, Da loben wir uns noch die alten Sozialdemokraten
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damals im Eisteller vor 5 Jahren gab's auch einen heißen Kampf, einen Kampf auf Leben und Tod, aber er wurde noch geführt in gewissen ritterlichen Formen; obgleich Herr Hofprediger Stöcker damals nicht als Gast, sondern als Einberufer in der Versammlung auftrat, und obwohl die Sozialdemokraten die ungeheure Majorität hatten, konnte man sich persönlich über unziemliche Behandlung nicht beklagen, Grotikau führte strenges Regiment, es ging alles mit einer gewissen Noblesse her heute, daß den Arbeitern neben manchem Andern auch die parlamentarische Schulung fehlt. ist mit ihnen nicht zu verhandeln." Wer tann, angesichts dieses Zeugnisses aus gegnerische m Munde, noch den leisesten Zweisel hegen an der edukatorischen ( erziehlichen) Wir tung des Sozialistengefeges"?
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man mertt
Den Genossen aber, die sich so unparlamentarisch" aufführten, ein kräftiges Bravo!