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Es leben unsere Freunde, die Feinde! Einen größeren Dienst konnten die chriftlich- konservativen Rückschrittler unserer Sache gar nicht leisten, als sie mit ihrem Antrag auf Einführung der Arbeitsbücher gethan. Wie ein Blizz hat dieses Attentat auf die Ehre der deutschen Arbeiter in den Reihen derselben eingeschlagen und selbst dem Vertrauensvollsten die Augen über die Arbeiterfreundlichkeit" dieser Herren geöffnet. Und so kräftig haben sich unsere deutschen Arbeiter gegen dasselbe zu wehren gewußt, daß den biederen Konservativen das Herz darüber in die Hosen gefallen ist. Jeder Tag bringt uns Berichte von neuen Protestversammlungen, eine immer zahlreicher besucht als die andere. Jn Gera gab Hasen clever in einer von mehr als 2000 Arbeitern besuchten Versammlung der Entrüstung der Arbeiter kräftigen Ausdruck, in Hannover drängten sich gegen 3000 Arbeiter in einen Saal, aus dem Tische und Stühle entfernt werden mußten, um die Protestreden der Genossen Hasen clever und Meister zu hören. In München nahm eine gleichfalls von über 1000 Arbeitern besuchte Volksversammlung nach Anhörung einer mit stürmischem Beifall aufgenommenen Rede Grillenberger's eine von Genosse Viered beantragte energische Entrüstungsresolution an. In Rendsburg trat Genosse Frohme, in Wilhelmshaven Blos, in Großen hain und Meißen Geyer gleichfalls gegen die Arbeitsbücher öffentlich auf, unsere wackeren Barmer Genossen setten in einer von den Fortschrittlern einberufenen Volksversammlung zum Proteft gegen die Arbeitsbücher ihre bei Weitem energischer gehaltene Resolution mit überwiegender Mehrheit durch 2c. 2c.
Wollten wir von allen Versammlungen in dieser Angelegenheit berichten, so müßten wir den ganzen Raum unseres Blattes nur diesem Zwecke widmen, kurz, eine so allgemeine Agitation hat der deutsche Arbeiterstand lange nicht zu verzeichnen gehabt. Die Regierung mußte eben die Arbeiter in dieser Frage zum Worte kommen lassen, ihre Arbeiterfreundlichkeit hätte sonst gar zu schäbig ausgesehen, die Arbeiter aber haben diese Gelegenheit benutzt, mit nicht zu verkennender Deutlichkeit ihr Verdikt über mehr als diese eine Frage abzugeben.
Und sie haben Recht daran gethan. Im politischen Leben kommt Alles auf die Energie an, mit der eine Forderung, eine Sache vertreten wird. Wer sich in die Vertheidigung drängen läßt, der hat schon halb verloren. Angreifen, immer wieder angreifen, das ist die Hauptsache. Der Erfolg ist auch diesmal nicht ausgeblieben, das zeigt am deutlichsten Herr Stöcker. Dieser christlich- soziale Bauernfänger hatte sich bekanntlich erst für die Arbeitsbücher ausgesprochen, dann die Sache für noch nicht spruchreif erklärt, und neuerdings, am letzten Freitag, erklärte er nach dem Deuschen Tageblatt" in einer Rede, in der er seinem Verdruß über die neue Berliner Arbeiterbewegung" offen Ausdruck gab, sich, r idhaltlos gegen diejeßige Einführung obligatorischer Arbeitsbücher", weil seines Erachtens die Nach- theile und Gefahren derselben größer seien, als der von ihnen zu erwartende Vortheil für die Arbeiter."
Ist diese Erkenntniß dem frommen Herrn Hofprediger plötzlich aus der Luft,„ von Oben", gekommen? Onein! es waren die Geister der Unterwelt, die noch immer nicht vermuckerten Berliner Arbeiter, welche dem Manne Gottes dieses Licht aufgesteckt haben. Die„ gottlose" Versammlung vom 8. Januar hat es bewirkt, daß Herr Stöcker nicht für die jetzige(!) Einführung ist- ein Hinterpförtchen muß er sich natürlich offen lassen, wofür wäre er sonst Hosprediger! Indeß, mag er sich nur der Hoffnung hingeben, daß die Arbeiter schließlich doch auf den chriftlich- konservativen Köder anbeißen werden,
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Hoffen und Harren
Macht Manchen zum Narren,
er wird doch immer weiter retiriren müssen, der brave Apostel des sozialen Königthums". Dafür bürgt uns die tapfere Haltung der deutschen Arbeiter.
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- Aus dem aristokratischen Gestüte". Man erinnert sich der komischen Entrüstung des Tugendritters Buttkamer über einen Zeitungsartikel, der die Ehe ein Gestüte" nannte. Herr Puttkamer scheint nicht zu wissen, daß diese Bezeichnung von seinem biederen„ Chef" herrührt, der in den Gesprächen mit seinen Leuten"( siehe das bekannte Buch unseres Büsch'chen") von der Zweckmäßigkeit der Vereinigung christlicher Hengste mit jüdischen Stuten" sprach. Natürlich kann die Sache auch umgedreht werden; und so hören wir denn jetzt, daß die Tochter des Fürsten Hatzfeldt, notorischen Günftling's unseres braven Reichskanzlers, als christliche„ Stute" mit einem Sohne des famosen Bleichröder als jüdischem Hengst" vereinigt, bezw. gepaart werden soll. Wir sind überzeugt, daß diese Nachricht aus dem aristokratischen Gestüte von unseren Lesern mit gebührender Andacht und Befriedigung aufgenommen wird.
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Das Spielflugblatt, schreibt man uns aus Dresden , hat hier kolossale Aufregung verursacht. Wir würden noch weitere 40,000 mit Leichtigkeit loswerden. Jeder will es lesen, Jeder will es haben, denn die Entrüftung über die Polizei ist allgemein. Selbst die pießer, welche sonst alle Streiche gegen uns gutheißen, sind aufgebracht, daß der Betrüger wir haben Schmidt's Unterschlagungen und Betrügereien in dem Flugblatt vollzählig aufgeführt außer Berfolgung gesetzt wurde, daß man ihm sogar noch Legitimationspapiere schickte. Allgemein verlangt man, daß gegen Kriminalrath Weller und Polizeikommissar Paul der§ 346 des Strafgesetzbuches in Anwendung gebracht werde, der da laulet:
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Ein Beamter, welcher vermöge seines Amtes bei Ausübung der Strafgewalt oder bei Vollstreckung der Strafe mitzuwirken hat, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft, wenn er in der Absicht, Jemanden der gesetzlichen Strafe zu entziehen, die Verfolgung einer strafbaren Handlung unterläßt" 22. 2c. Bis jetzt hat sich in dieser Beziehung noch nichts gerührt, die beiden Herren amtiren ruhig weiter, hoffentlich werden unsere Abgeordneten im Landtage mit dem Herrn Minister, der in Berlin erklärte, mit Revolutionären diskutire er nicht, ein träftiges Wort reden. Hier wird er ihnen nicht ausweichen können, im Landtage muß er diskutiren.
Beiläufig hat die Polizei es bis heute noch nicht gewagt, unser Flugblatt zu verbieten. Ihr Verbot würde einem homerischen Gelächter begegnen. Dagegen soll sie beabsichtigen, gegen unsere zwei Genossen, welche bei der Verbreitung abgefaßt wurden, auf Grund eines Beleibigungsparagraphen Anklage zu erheben.
Das würde ein netter Prozeß werden.
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Ein Hohenzoller weniger! Preußens Lataien haben einen großen Schmerz erfahren. Prinz Karl, der Bruder des deutschen Kaisers, ist am 21. Januar im Alter von 81 Jahren diese" armen" Fürsten haben trotz ihres schweren und sorgenvollen" Berufes Alle ein tatzenartig zähes Leben zu seinen hochseligen Vätern versammelt worden. Natürlich werden dem„ hohen Verstorbenen" jetzt alle möglichen Tugenden und schönen Züge nacherzählt, wir aber können uns nicht entschließen, das„ von den Todten soll man nur Gutes reden", einem Manne zu Gute kommen zu lassen, der bei Lebzeiten eine so überaus privilegirte Stellung einnahm, daß ihn selbst nicht die berechtigtste Kritik, geschweige denn die Gerechtigkeit hätte erreichen können; denn sonst wäre dieser vortreffliche Prinz schwerlich in seinem Palais, sondern wahrscheinlich in irgend einem Zuchthaus gestorben. Es war Prinz Karl von Preußen , der ganz in der Nähe seines am Wilhelmsplatz in Berlin gelegenen Balais in der Kanonierfstraße, hinter der Dreifaltigkeitstirche- eine separate Wohnung besaß, in welche ihm von einem ergebenen Diener halberwachsene Mädchen des Quartiers gebracht wurden, damit ihnen dort von Sr. Königlichen Hohheit ein Kapitel über chriftliche Moral gelesen werde. Es gab Jahre hindurch kaum eine Konfirmandin
in der Dreifaltigkeitsgemeinde, welche nicht die Liebenswürdigkeiten des Brinzen persönlich kennen gelernt hätte.
Karl war auch derjenige Prinz von Preußen, dem das Unglück" paffirte, seinen Kammerdiener mit dem Degen ,, aus Versehen" zu tödten. Warum der Prinz mit dem bloßen Degen im Zimmer herumfuchtelte, wissen wir nicht. Prinzen haben eben andere Gewohnheiten als gewöhnliche Erdensöhne. Vielleicht hatte der Kammerdiener mit Ausplaudern gedroht, vielleicht wollte der Prinz auch nur die Güte seiner Waffe erproben!
Am besten hat übrigens sein hochseliger" Bruder, der, ehe er überschnappte, geistreiche Friedrich Wilhelm IV., den Prinzen Karl beurtheilt. Zwei Aeußerungen mögen dafür zeugen:
„ Wenn unsere Eltern gebildete, wohlhabende Bürgersleute gewesen wären," sagte er einst, so wäre ich jedenfalls Künstler, vermuthlich Bildhauer, geworden, Wilhelm wäre unter die Soldaten gegangen, Karl aber wäre jedenfalls 3 u chthäusler geworden."
Ein andermal, als er Wilhelm und Karl miteinander im Gespräche sah, meinte er:„ Ueber welchen Schurkenstreich mögen wohl die Beiden nachsinnen? Denn wo gäbe es ein Verbrechen, das mein Bruder Karl nach nicht begangen hätte!"
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Genug; ein hohenzollerscher Prinz ist gestorben legt deshalb Trauer an, gute und getreue Unterthanen!
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Aus Hannover wird uns geschrieben: Seit dem 28. Dezember ift Loges wieder in Freiheit", nachdem er seine sechsmonatliche ,, Strafe" bis auf die letzte Minute ,, verbüßt" hatte. Er war in dieser Beziehung nicht so glücklich wie Genosse Liebknecht in Leipzig , den man eine halbe Stunde vor der Zeit herausließ", damit er gleich mit dem nächsten Zug abdampfen konnte, und durch mehrstündige Anwesenheit auf dem Bahnhof die Sicherheit von Kleinparis" nicht gefährdete. Loges hat seine Haft ungebrochenen Körpers daß auch ungebrochenen Geistes versteht sich von selbst überstanden, und beschwert sich nicht über die Behandlung im Gefängniß, die er als human bezeichnet. Ich hebe dies hervor, weil Gerüchte entgegengesetter Art kursirt hatten. Etwas geschwächt ist er freilich, wie sich das nach so langer Haft von selbst versteht. Im Gefängniß wurden wie dies ja landes- und reichsüblich ist. mehrere Befehrungsversuche gemacht im Ganzen fünf an der Zahl. Der letzte der fünf Versuche fiel für den Gefängnißpfaffen Pfotenhauer ist sein Name so unglücklich aus, daß dieser die Lust zu weiterer SysiphusArbeit verler, beim Abschied aber wie einen parthischen Pfeil auf das undantbare Objekt die Worte abschoß: Und Sie kriechen doch noch zu Kreuze!" Nun Loges wird nicht zu Kreuze kriechen"; sehr hübsch ist aber das Eingeständniß des Pfaffen, daß„ chriftlich werden“ und„ zu Kreuze kriechen", also Christenthum und Knechtsinn ein und dasselbe ist. Das Einzige, worüber abgesehen von diesen Befehrungsversuchen unser Genosse sich beklagt, ist, daß er so schwer habe Schreibmaterial erhalten können. So bekam er z. B. am Donnerstag seine Vorladung zum Termin auf den folgenden Montag, erhielt jedoch erst am Sonnabend Schreibmaterial, um seinen Vertheidiger benachrichtigen zu können.
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Seitens des Staatsanwalts wurden ca. 170 Mark, die für Abonnementsgelder an Loges geschickt waren, auf der Post mit Beschlag belegt, und, obgleich diese Summe nicht das Eigenthum von Loges ist, so hat die Staatsanwaltschaft sie doch, trotz wiederholter Reklamationen, nicht herausgegeben, und wird sie wohl auch nicht herausgeben. Die Kosten" sollen davon gedeckt werden. Jedem das Seine rauben ist die Devise, nicht blos der preußischen Politik, sondern auch der preußischen Just i z.
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Einer unserer Genossen hat eine Anklage wegen ,, Verbreitung des„ Sozialdemokrat" erhalten. Bei einer Haussuchung wurde nämlich 1- schreibe ein Exemplar des„ Sozialdemokrat" bei ihm gefunden. Das genügt unserer unvergleichlichen Staatsanwaltschaft, von deren„ Logit" und Scharfsinn wir schon so wunderbare Proben gehabt haben, zu deduziren, daß„ Angeklagter" der Verbreitung verbotener Schriften dringend verdächtig" sei. Ein anderer Gen offe, bei dem vor Kurzem ein Eremplar des so eifrig gesuchten Blattes gefunden worden war, mußte drei Wochen in Untersuchungshaft fitzen, weil man von ihm herausbekommen wollte, bei wem er den Sozialdemokrat" abonnnirt habe. Die Folter zur Erpressung von Geständnissen ist bekanntlich bei uns abgeschafft auf dem Papier. In Wirklichkeit besteht sie in voller Kraft und heißt Untersuchungshaft.
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Frankreich . Das Urtheil im 2yoner Anarchistenprozeß übersteigt die kühnsten Erwartungen der Reaktionäre: seit den Prozessen der Kommunards sind derartige Verurtheilungen wegen politischer Vergehen nicht vorgekommen. Und damals war ein erbitterter Kampf vorangegangen! Das Urtheil macht die Angeklagten für die Explosion im Café des Theater Bellecour verantwortlich, weil einer der Angeklagten nach Vienne gereift sei, um Dynamit zu kaufen, und weil bei einem anderen Angeklagten Lunte gefunden worden sei; ferner wird der Lyoner Anarchistenverband für schuldig befunden, der Londoner Internationale angehört zu haben. Es wurden auf diese„ Gründe" hin verurtheilt:
Krapottin, Bernard, Bordat und Gautier zu fünf Jahren Gefängniß, 1000 Franken Geldstrafe, zehn Jahren Polizeiaufsicht und fünf Jahren Verlust der bürgerlichen Ehren
rechte.
Drei weitere Angeklagte zu je vier Jahren Gefängniß, 1000 Franken Geldbuße, 10 Jahren Polizeiaufsicht und fünf Jahren Verlust der bitr gerlichen Ehrenrechte.
Und so weiter, und so weiter. Im Ganzen find 46 Personen zu zusammen 82 Jahren Gefängniß und 14,200 Fr. Geldstrafe verutheilt worden abgesehen von den Kontumazialverurtheilungen.
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Und doch hatte sich von Sizung zu Sigung immer deutlicher gezeigt, daß der Prozeß ein reiner Tendenzprozeß sei, dabei konnte keinem der Angeklagten Anderes nachgewiesen werden als revolutionäre Artikel und Reden; über Gesinnungen saß man zu Gericht, nicht über Handlungen.
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Und das in einer Republik!
Freilich, die Richter, der Gerichtsvorsitzende waren keine Republikaner es find Monarchisten, meist ehemalige Subjekte des Kaiserreiches. Das ist ja das Kernübel der gegenwärtigen französischen Republik, daß es in ihren Beamtenkreisen noch von monarchistischen Kreaturen wimmelt. Jm Heer, im Richterstand, im Beamtenstand, überall nistet das Gefindel noch, das äußerlich natürlich die Republik anerkannt hat, im Herzen aber gut monarchisch gesinnt ist. Diese Elenden brauchen einen Regenten, denn sie fühlen, je mehr die Republik sich befestigt, um so mehr wackeln ihre Posten. Früher brauchten sie nur nach oben zu triechen, um nach unten treten zu können. Darum rächen sie sich jetzt, wo fie nur können, rächen sie sich vor Allem an den wirklichen Kämpfern für die Republik !
Das Urtheil wurde vom Publikum mit einem Schrei der Ent rüstung begrüßt, der im ganzen Lande bei allen aufrichtigen Republifanern aufrichtigen Widerhall fand. Um so stärkeren Widerball, als es ganz eigenthümlich mit der wahrhaft kriecherischen Behandlung des Prinzen Bonaparte kontrastirte, der in seinem„ Gefängniß" Kammerdiener, Sekretär 2c. zur Verfügung hat, furz, buchstäblich wie ein Fürst lebt.
Er wird mit einer lächerlichen„ Buße" davon kommen, und die einzige Folge seines frechen Manifeftes wird möglicherweise eine Verschlechterung der Preßgesetze sein, da ja zur großen Freude der Frantf. 3tg."
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o Ihr Staatsmänner"! der Senat, diese Schöpfung der Orleanisten, auch ein Wort dreinzureden hat. Wenn also die Kammer auch wirklich den Ausweisungsantrag Floquets annimmt, dann wird er
wahrscheinlich am Senat, diesem Hemmschuh des Fortschritts, stolpern und das Genick brechen. Am Senat scheitert die Reorganisation des Beamtenstandes, das Gesetz über die Wählbarkeit der Richter, kurz alles, was die Republik aus einer nominellen zu einer wirklichen machen kann; Alles, was in Frankreich wirklich demokratisch denkt, hat die Abschaffung des Senates auf dem Programm aber ,, der Senat wird die Kammer bor Uebereilungen schützen", sagt die demokratische Frankfurter Zeitung "!
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Die Wahl im 5. Pariser Arrondissement ist so ausgefallen, wie wir voraussetzten. Der sozialistische Radikale Bourneville ist mit 2300 Stimmen im Vordertreffen und wird bei der Stichwahl sein Hauptgegner ist der Opportunist Engelhard wohl fiegen. Der Kandidat der Arbeiterpartei Allemann erhielt 837 Stimmen; unter den in voriger Nummer entwickelten Umständen und wenn man bedenkt, daß das 5. Arrondissement das Studentenviertel bildet, eine ganz respektable Zahl.
Ein Gutes hat das Lyoner Urtheil doch zur Folge: es macht sich unter den französischen Sozialisten allgemein das Streben nach Einigung bemerkbar.
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Rußland. Die Henker an der Arbeit. Eine von der Odeffaer Sektion der„ Narodnaja Wolja " veröffentlichte Proklamation enthält haarsträubende Mittheilungen über die Behandlung ihrer dort in Untersuchungshaft befindlichen Genossen. Am 12. Dezember sahen diese sich gezwungen, ihre Zuflucht zu einer Hungerrevolte zu nehmen, d. h. jede Nahrung auszuschlagen, bis die Verwaltung ihren nur zu berechtigten Forderungen Gehör verschaffe. Man höre nur:
„ Die meisten Gefangenen sind gezwungen, auf dem feuchten und kalten Fußboden ihrer kleinen und verpesteten Zellen, in denen selbst bei der größten Kälte kein Feuer angezündet wird, zu schlafen. Nur die dem Adel angehörigen Jnhaftirten genießen den„ Luxus" eines Bettes, d. H. eines elenden Lagers. Ein im letzten Stadium der Schwindsucht befindlicher Arbeiter wurde auf Befehl des Gefängnißdirektors Soubotschewski. in eine dunkle Zelle geschickt, blos weil er ein Unterbett verlangt hatte. Schläge und dunkle Zellen, das sind überhaupt die einzigen Antworten der Verwaltung auf Beschwerden und Reklamationen, gleichviel welcher Art.
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Die Nahrung ist eine elende, da die Regierung nur die lächerliche Summe von 15 Kopeken( 30 Pfennige) für den Unterhalt pro Person und Tag ausgeworfen hat. Dazu stickige Luft und fast gar keine Spaziergänge. Selbst die kräftigsten Naturen können dieser Behandlung keinen Widerstand leisten. Die meisten der Inhaftirten sind brustkrank, schwindsüchtig oder leiden an Blutfluß; viele verfallen in Wahnsinn oder erliegen Selbstmordsversuchen. Und alles Das in Untersuchungshaft! Der Gefängnißarzt, ein gewisser Rosen dieser Name verdient dem öffentlichen Abscheu überliefert zu werden verhöhnt die Gefangenen in brutalfter Weise.„ Saugen Sie nur Ihre Geschwulst aus, das wird Ihre Muße verkürzen," sagte dieses Scheusal zu einem Gefangenen, der über eine rothlaufartige Geschwulst klagte.„ Krankenkost? Wo denken Sie nur hin? Das foftet 1 Mart 20 Pfennige pro Tag, und Sie find nur ein Arbeiter!" antwortete er auf die Bitte eines anderen Kranken. Und als ihn irgend einer seiner unglücklichen Patienten in der letzten Noth um die Erlaubniß bat, einen anderen Arzt rufen zu lassen, da brüllte er los:„ Sie brauchen einen Henker, aber feinen Arzt!"
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Einen Henker! O, er hat das Gefühl eines solchen und nimmt im geeigneten Falle durchaus keinen Anstand, auch das Amt eines solchen zu übernehmen. Sah man ihn nicht bei der Hinrichtung von Chalturin und Schelwat off seinen Beruf entehren und mit lächelnder Miene der Unerfahrenheit des Henkers zu Hilfe kommen, ihm helfen, den Knoten zu werfen, und denselben mit eigenen Händen kaltblütig den Verurtheilten um den Hals legen?!
Die Brutalität der Unterbeamten, die heute in Odessa über Leben und Schicksal der politischen Gefangenen entscheiden, wird aber nicht Wunder nehmen, wenn man erfährt, daß sie von Niemand anders angestellt wor den sind, als von dem berüchtigten General Strelnikoff. Und dieser raffinirt grausame Mensch, der sich darin gefiel, die Herzen der Mütter zu foltern, indem er ihnen zynisch den Galgen für ihre Söhne versprach, dieser Hallunke wurde vom Zaren ausdrücklich ernannt, von ihm mit den höchsten Vollmachten ausgestattet und mit der Untersuchung der sozialistisch- revolutionären Bewegung beauftragt."
Die Proklamation, der wir die vorstehenden Thatsachen entnehmen, schließt mit einem leidenschaftlichen Appell an die russische Gesellschaft. Sie beschwört sie, dem unerträglichen System, unter dem in Rußland Alle, Gefangene wie sogenannte Freie, gleichmäßig seufzen, endlich ein Ende zu machen.
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Die Gesellschaft! Leider ist von der blutwenig zu hoffen! Der in Genf erscheinende Baltische Föderalift" entnimmt der radikalen Monatsschrift„ Das gemeinschaftliche Werk"(„ Obschtscheje Djälo") eine drastische Schilderung davon, wie die russische Gesellschaft" ihre Freiheit vertheidigt:
,, Als bei uns der revolutionäre Kampf wüthete", heißt es da, klagten unsere gemäßigten Fortschrittler, daß der Radikalismus desselben die Durchführung liberaler Reformen verhindere und dem„ vernünftigeren" Theile der Gesellschaft keine Möglichkeit gebe, seine gemäßigten und gerechten Forderungen der Regierung gegenüber auszusprechen. Leute, die so sprechen, scheinen ihr Gedächtniß verloren zu haben. Sie haben zum Beispiel vergessen, daß der revolutionäre Terror nicht in einer Zeit der Hoffnung und fortschrittlichen Wehen , sondern gerade auf dem Höhepunkt der keinen Ausweg vor sich sehenden Reaktion begann; daß der reattionäre Terror schon lange existirte, als der revolutionäre Terror noch nicht existirte; daß endlich die Regierung nur allein unter dem Eindruck der verwegenen Angriffe des letzteren allmälig einige Zeichen des Zweifels an der Richtigkeit des von ihr eingeschlagenen Weges von sich zu geben begann und die Gesellschaft die Möglichkeit erhielt, ihr einige, schon lange auf der Seele liegenden bitteren Wahrheiten zu sagen. Alle diese Thatsachen sprachen durchaus nicht zu Gunsten Derjenigen, welche das Verftummen der Revolution wünschten; indessen hörten fie nicht auf, dieses herbeizurufen, bis endlich die ersehnte ,, Stille" eingetreten ist, die nun schon einige Monate andauert."
In dieser Zeit aber hat die Reaktion nicht nachgelassen, sondern ist von Tag zu Tag frecher geworden. Die Presse ist rechtloser als je, von Freiheit ist weniger als je die Rede, und die Stimme der Gesellschaft mit ihren vernituftig- liberalen Forderungen" ist gänzlich verstummt. Die Gesellschaft selbst scheint wie plößlich in den Boden verschwunden zu sein.
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,, Als die Revolutionäre die Szene verließen, blieb auf ihr allein die Reaktion mit ihren Gendarmen und Druschinen; als der revolutio näre Kampf aufhörte, hörte jeglicher Kampf auf; als die„ Stille" eintrat, erwies diese sich als ein„ todter Stil", unter dessen drückendem Einflusse es der russischen Gesellschaft ist, als befinde sie sich auf dem Boden eines tiefen Grabes, welches man sich zuzuschütten anschickt." Und diese Grabesruhe wird nicht eher aufhören, als bis die Revolutionäre, die vielverschrienen und verlästerten, hilisten", ihrerseits den Kampf mit dem Zarismus wieder aufgenommen haben. Und daß fie ihn wieder aufnehmen, nicht von ihm ablassen werden, deß sind wir gewiß. Sie aber mögen versichert sein, daß Alles, was in West Europa ein Herz hat für Freiheit und Volksrechte, mit ihnen ist, daß vor Allem das revolutionäre Proletariat ihnen seine rückhaltlose Sympathie entgegenträgt trop Windthorst- Meppen und sonstiger Dunkelmänner!