markte. Namentlich die Verurtheilungen politischer Verbrecher zu Zuchthaus fanden ihre passende Kritik.

Wir entnehmen dieser Rede zwei Stellen:

Run frage ich: wohin sollen solche Grundsäße führen? Und ich frage weiter: glauben Sie, daß Sie durch solche Dinge den Geist der Ge­setzlichkeit" im Volke bedeutend fördern werden? Jedenfalls steht das Eine feft, für mich wenigstens: wenn die Richter der früheren oder späteren Prozesse, wenn das Reichsgericht glaubt, daß es einen politischen Angeklagten, einen Mann, dessen Vergehen ein Meinungsvergehen ist, das geradezu aus der Ehrliebe und der Selbstlosig­teit fließt, wegen der fehlerhaften Wahl seiner Mittel durch die Verurtheilung zum Zuchthaus und die Stellung unter Polizeiaufsicht seine Ehre nehmen tönne wenigstens bei uns Sozialdemokra ten schießt es absolut fehl, da erreicht es gerade das Gegentheil. Selbst Leuten, die nicht zu uns gehören, in Bezug auf die fich jeder Sozialdemokrat sagt, daß ihre Mittel ungeschickt find und auf die von ihnen gewollte Weise nichts zu erreichen sei- selbst solchen Lenten wendet sich unsere Sympathie zu, blos deswegen, weil sie ver­urtheilt, ftigmatisirt, bestraft worden sind ihrer politischen Meinung wegen! Der Verurtheilte verliert durch derartige Ur­theile die Ehre nicht!"

-- Der Herr Abgeordnete Dr. Windthorst hat uns mit dem Pathos, das ihn so schön kleidet, vor einiger Zeit erklärt, daß wir der Justiz Respekt schuldig find. Meine Herren, Personen und Insti­tutionen, welche Respett genießen wollen, müssen sich selbst Respett verschaffen! Wenn aber in Prozessen, wie in dem Ihnen vorher charakterisirten Hochverrathsprozesse geschehen ist, ein solcher Abgrund von Infamie vor das Forum des Gerichtes kommt; wenn nach den Worten des Vertheidigers Lewald mit der Justiz in diesen Brozeffen geradezu Komödie getrieben worden ist; und wenn dann ein Gericht den Schleier, welcher über diesen Dingen ruht, nicht zerreißt, sondern geradezu sein Siegel darauf drückt: dann bin ich allerdings der Meinung, daß das nicht geeignet ist, Respekt einzuflößen!

Indessen paßt das Vorgeführte vollkommen zu dem System, das wir gegenwärtig haben. Dies ist treffend charakterifirt worden durch die Worte, welche Herr von Puttkamer im vorigen Jahre ausgesprochen hat: daß nämlich derartige Mittel, wie wir sie durch die Polizei u. s. w. ange wendet gesehen haben, Provokationen, Spionage und dergleichen mehr nöthig gewesen seien, solange zivilifirte Staaten eriftirt haben." Meine Herren, nicht in den zivilisirten, wohl aber in allen despotischen Staaten sind solche Mittel allerdings immer noth wendig gewesen. Aber die despotischen Staaten find auch durch derartige Mittel niemals gerettet worden. Um nicht zuweit zurückzu­greifen, brauche ich Ihnen blos zwei Namen in's Gedächtniß zu rufen: denken Sie an die Regierung Louis Philipp's und an die Napoleon's III. Sind sie durch ähnliche Mittel gerettet worden? Nein! Und wenn man ' bei uns so fortfährt, so wird man...

( Glocke des Präsidenten)

.. auch unser herrschendes Staats- und Gesellschaftssystem wird durch derlei Mittel nicht von seinem Sturz errettet werden!

Vizepräsident Freiherr zu Frankenstein: Ich muß den Redner unterbrechen, er hat sich vom Gegenstand der Debatte entfernt. Vollmar: Ich bin auch zu Ende."

Und dem Herrn Karl Braun, der zwar die Spionagewirthschaft u. s. w. sehr drastisch geschildert, aber das Reichsgericht selbst reinzu­waschen gesucht hatte, sowie dem ultramontanen Fuchse Windthorst antwortete Vollmar in einer Replik:

" Der Herr Abgeordnete Windhorst hat mir zum Vorwurf gemacht, daß mein Vortrag ein einseitiger" gewesen sei. Wenn ich mit diesem Bortrag wie bei allen anderen strenge von dem Standpunkte meiner Grundsätze ausgegangen bin, so kann ich dem Vorwurf natürlich nicht entgegentreten; fann ihm auch sagen, daß wir für alle Zukunft nicht auf eine Vielseitigkeit reflektiren, wie wir sie in der neueren Zeit namentlich beim Zentrum bewundern.

,, Weiter hat Herr Braun dem dahingeschiedenen Obertribunal etwas spät ein Denkmal gesetzt. Ich habe hierauf nicht weiter einzugehen und auch nichts dagegen zu sagen, wenn Herr Braun das Ober­tribunal in Schutz nimmt vor einem Vergleich mit dem Reichs­gericht.

Wenn dann weiter gesagt wurde, daß das Reichsgericht in seinem Erkenntniß in dem ersten großen Hochverrathsprozeß sich nicht habe dupiren laffen von den Polizeimachenschaften, so habe ich zunächst nicht das Gegentheil behauptet. Ich freue mich indessen, daß die Thatsache tonstatirt worden ist, denn ich kann natürlich von meinem Standpunkt nur die Schlußfolgerung daran knüpfen, daß sein Verhalten dann um so schlimmer ist.".

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Beim Reich seisenbahnamt trat in sehr energischer Weise Kayser für die unteren Eisenbahnbeamten ein und protestirte dagegen, daß man die großen Eisenbahnunglücke auf diese abzuwälzen suche, anstatt die Schuldigen da zu suchen, wo sie sich in Wahrheit befinden, namentlich bei den Herren, welche die niederen Beamtenproletarier mit Arbeiten überbürden. Auch verschiedene Schlagworte der Konservativen wie Liberalen, die Sonntagsfeier, das Staatsbahnsystem und die Lage der Landwirthschaft betreffend, wurden von Kayser zurückgewiesen. Soviel über die Thätigkeit unserer Abgeordneten.

Was die sonstigen Debatten anbetrifft, so ist als charakteristisches Faktum aus derselben die von Vollmar konstatirte Vielseitigkeit" der Zentrumsmänner hervorzuheben. Man kann auch sagen, Vielf ar big­teit. Nachdem die Herren in allen möglichen Farben geschillert, tragen fie jetzt ein Schwarzweiß zur Schau, das nichts zu wünschen übrig läßt. Beim Militär- Etat spielten die klerikalen Junker Schorlemer- Alst und Ballestrem den Fortschrittlern gegenüber die Rolle der frei­willigen Regierungskommissare mit ebensoviel Eifer als Unverschämtheit. Man mag über die Eugen Richter'schen Etatsreben sonst denken, wie man will, jedenfalls muß es das Recht eines jeden Abgeordneten sein, überall, wo das Voltsintereffe in Frage kommt, Kritik anzulegen; die Herren der Partei für Wahrheit, Freiheit und Recht" geberdeten sich aber wie rasend, als Richter es wagte, verschiedene von den Fa ch leuten längst gerigte Uebelstände zur Sprache zu bringen. Die Bevorzugung des Adels im Offizierftande, die Aufrechterhaltung der sehr kostspieligen und dabei geradezu zwecklosen Kürassierregimenter und des reinen Lurus­zwecken dienenden Berliner Garde wurden als Dinge hin gestellt, über welche die Volksvertretung kein Recht habe, der Armee­verwaltung dreinzureden. Die Tradition in der Armee muß beibehalten werden als ob nicht schon viele Kriege trot oder gerade wegen der Erhaltung von solchen Traditionen verloren worden seien.

Nun, uns kann es nur Recht sein, wenn diese Herren den reaktionären Pferdefuß immer deutlicher zu Tage treten laffen. Die rheinisch- west­phälischen Arbeiter werden ihnen die Antwort nicht schuldig bleiben. Darüber in nächster Nummer mehr.

Professorenservilität. Wohl Jeden, der die wissenschaft. liche Literatur fritherer Jahrhunderte studirt, überkommt das gleiche Ge­fühl tiefsten Mitleids, wenn er sieht, wie ganz besonders im lieben Deutschland die erleuchtetsten Denker und Philosophen gezwungen waren, um die Gunft der Großen zu betteln, die Früchte jahrelangen Forschens irgend einem Fürsten vor die Füße zu legen, der sich in den Armen seiner Mätreffen über sie luftig machte, weil er sie nicht verstand. Tiefes Mitleid empfinden wir namentlich mit jenen Denkern, von denen wir wissen, wie schwer fie unter einer solchen Erniedrigung litten, wie fich ihr ganzes Jnnere dagegen empörte, wenn sie die Wissenschaft, die ihnen eine hehre Göttin war, in Ansprachen und Huldigungsakten, zur Dirne der Fürsten erniedrigen mußten. Ist es heute anders geworden? Freilich; ob aber besser, das ist eine andere Frage. Heute sehen wir die Leuchten der Wissenschaft vor den Fürsten nicht gezwungen, sondern freiwillig friechen, getrieben nicht von der Sorge um ihre Existenz, sondern von der Hoffnung auf ein rothes Bändchen, auf ein gnädiges Lächeln. O, auch Das könnte Mitleid erregen, aber dieses Gefühl wird zurückgedrängt durch den Etel, der sich unserer bemächtigt, durch den Zorn, der uns erfaßt, wenn wir eine so hundsjöttische Charakterlosigkeit sich breitmachen fehen.

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Da hat neuerdings wieder einmal Herr Dubois- Reymond in Berlin das Bedürfniß gefühlt, zu zeigen, daß er nicht blos das Zeug zu einem tüchtigen Phyfiologen hat, sondern auch zu einem ausgezeich neten oder, was hier dasselbe sagt, niederträchtigen Lataien. Auf einem Balle des Vereins Deutscher Studenten" eine notorisch antisemitisch feudale Verbindung brachte vor einigen Tagen ,, Seine Magnifizenz", Herr Dubois ist nämlich zur Zeit Rektor, wie das Deutsche Tagebl." berichtet, einen Toaft aus auf die akademische Jugend, das, geistige Leibregiment der Hohenzollern ". Seine Magnifizenz knüpfte unter dem Beifall der Festtheilnehmer an die Ueber­nahme seines ersten Rektorates an, die am Tage der Schlacht bei Weißen­ burg 1870 stattfand. Er habe damals in seiner oft erwähnten Rede die Berliner Universität das geistige Leibregiment der Hohenzollern genannt. Das sei ihm zwar sehr verdacht worden, aber er bleibe dabei und lehre in diesem Sinne sein Glas auf das Gedeihen der Universitas litterarum Berolinensis."

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So infam dieser Ausspruch an sich ist, so infam es namentlich war, ihn in dieser Gesellschaft von Strebern und bornirten Junkersöhnchen zu thun, so kann doch die Charakterlosigkeit, die er verräth, ihrem ganzen Umfange nach nur von Dem beurtheilt werden, der die Verhältnisse der Berliner Universität kennt. Es war nämlich gerade Herr Dubois Reymond, der Jahre hindurch in Berlin vergeblich um Erweiterung der Universität, um den Bau eines physiologischen Laboratoriums gekämpft hatte, dem von hohenzoller'scher Seite damals erwidert wurde, man habe für die Er­weiterung weder Geld noch Platz. Das Geld wurde für das Militär verwendet, den Platz, der damals in Betracht kam, brauchte die kör­perliche Leibgarde der Hohenzollern , die zur Landesvertheidigung ganz überflüssige, sehr theuere Garde du Corps für ihre

Pferde.

Erst als die Milliarden in's Land kamen, wurde nach vielem Unter­handeln der Bau des Laboratoriums durchgesetzt. Wir wissen von einer, Herrn Dubois sehr nahe stehenden Persönlichkeit, daß der jezige geistige Leibgardist der Hohenzollern damals gedroht und auch im engsten Kreis den Entschluß befundet hatte, in's Ausland zu gehen. Dann wolle er aber den Herren die Wahrheit sagen". Nun, es kam anders, Herr Dubois ist in Preußen geblieben, hat eine prachtvolle Amtswohnung bezogen und sagt den Herren" unterthänigste- Artig­feiten.

Sein allergnädigster Herr aber ist noch der Alte geblieben und äußert fich, wenn man ihm von den geistigen Leibgardisten spricht, weg werfend: Sehr schön; aber meine strammen Jungens vom Garde'corps mit ihrem Helmbüschen und Quasten sind mir doch lieber." Uns auch!

Thu' mir nichts, ich thue Dir auch nichts- so rufen sich auf der Straße Jungen zu, wenn sie zu feige find, miteinander an­zubinden, und Thu' mir nichts, ich thu' Dir auch nichts", das ist der Sinn eines Schreibebriefes des alten Wilhelm an den Papst Leo, der in diesen Tagen zur Erbauung des deutschen Volkes von der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" veröffentlicht wurde. Aber die Zeit, da das Volk, entgegen der Sozialdemokratie, noch an den Kulturkampf glaubte, ist vorüber, man weiß jetzt, daß es sich nur um Herrschaftszwecke handelt, und daß man heute bereits einig ist, die Herrschaft über das Volk friedlich zu theilen darum konnte der Brief im günstigsten Falle

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ein mitleidiges Achselzucken erregen. Mögen Journalisten und Fach­politiker aus des altersschwachen Wilhelm kraft und saftlosem Brief herauslesen, was sie wollen, beim Volke heißt es: Der alte Schwindel zieht nicht mehr.

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Die Eidesfrage macht in neuester Zeit wieder von sich reden. Der antisemitisch reaktionäre Pfaffe apte hatte vor einem jüdischen Richter den Eid nicht ablegen wollen, weil sein Gewissen" ihm gebiete, nur vor einem Chriften Gott anzurufen. Die Liberalen sind darüber sehr erbost, aber die Logik ist unstreitig auf Seiten des christlich sozialen Heuchlers, ganz gleich giltig, ob dieser woran in der That gar kein Zweifel möglich mit seiner Weigerung nur einen Angriff auf die Gleichberechtigung der Juden bezweckte. Entweder ist der Eid ein reli­giöser Akt, und dann muß ein wirklich gläubiger Christ allerdings nicht sehr angenehm berührt sein, wenn er vor einem jüdischen oder gar +++ freidenkerischen Richter seinen Christengott anrufen soll und vice versa, oder aber der Eid ist ein bürgerlicher Akt, und wozu dann die Phrase: so wahr mir Gott helfe"? Den Kundigen verhindert sie doch nicht, eventuell einen Meineid zu leisten, und dem Unwissenden kann man die Bedeutung des Eides besser klar machen als durch eine so nichts­fagende Redensart.

Die konservativen Ultras haben mit Rücksicht auf den Fall Hapke einen Antrag eingebracht, daß Christen, Juden 2c. auf Verlangen den Eid vor einem Geistlichen ihrer Konfession sollen ablegen dürfen. Das flingt sehr tolerant, ist in Wahrheit aber, weil praktisch nicht durchführ­bar, auch nur eine Finte; man will den Richtern womöglich ein ortho­dor christliches Glaubensbekenntniß abverlangen. Das werden die Herren also nicht durchsetzen. Aber sie haben den Stein in's Rollen gebracht, und deshalb werden, wenn Andere es nicht thun, hoffentlich unsere Ab­geordneten die Gelegenheit beim Schopfe packen und Abschaffung des religiösen Eides beantragen. Die Chancen find nicht un­günstig, und es wäre ein famoser Wig, wenn die frommen Herren auf diese Art wider ihren Willen Veranlassung gegeben hätten zur weiteren ,, Entchriftlichung des Staates".

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Prinzliche Passionen. In dem christlich- germanischen tönigstreuen Deutschen Tageblatt" finden wir folgende Notiz:

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Die Sammler sind eine ganz eigenthümliche Spezies von Menschen und jeder von ihnen geht beim Sammeln seine besonderen Wege. Einer eigenthümlichen Neigung folgt z. B. ein bekannter Prinz eines bekannten großen Fürstenhauses. Er sammelt die Porträts aller jenen Damen, welche zu Fürst lichkeiten seines Hauses in Beziehung(!) gestanden haben. Ihre Bilder schmücken in langer Reihe das Schlafgemach des Jung­gesellen. Freilich den Menschen, den Prinzen, fesselten diese Er­scheinungen mit den tragischen Konflikten, die sich an ihre Spuren in der Geschichte hesten, wohl weniger als den dramatischen Dichter, welcher eine dieser Gestalten in seinen Dichtungen aus­sprechen läßt, was sie vor dem poetisch gestaltenden Blick rechtfertigt: Abhängig muß ich bleiben sung

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Bon meiner Liebe, sie kann mich erretten, Den Himmel mir erschließen oder mich Auf ewig elend machen, mich zerstören!"

Die Moral, die Welt urtheilt hart über sie, der Dichter ent schuldigt sie!"

In der That, ein echt dichterisches Bergnügen, diese lange muß in der That sehr lang sein- Gallerie der Opfer hohenzoller's cher Wolluft. Denn nach der Schlußbemerkung tann gar tein Zweifel sein, daß es der Prinz Georg von Preußen ist, der diese eigen thümliche Neigung" hat. Es ist übrigens sehr hübsch von ihm, daß er in seinen Boefien jene Frauen entschuldigt, welche die Moral, die Welt verdammt", verdienstvoller wäre es, die Männer anzut lagen, welchen die Moral, die Welt" Alles erlaubt.

Daß den Prinzen als Menschen" diese Erscheinungen weniger fesseln", glauben wir nach dem, was die Welt von Prinz Georg's sonstigen Passionen sagt, ohne jeden Rückhalt. Es ist das aber ein Thema, über wel hes man nicht gern spricht. Judeß, Lakaien plaudern Wan hes aus, und so erfahren wir vielleicht auch einmal, daß i gend ein liebenswürdiger Prinz desselben Hauses Revanche genommen und zur Damengallerie des Prinzen Georg das Gegenstück angelegt hat. Würde auch recht lang werden und den Beweis liefern, daß, wenn ein Hohenzoller wirklich einmal kein Militär, er doch zum Mindesten ein großer Soldatenfreund ist.

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- zum Thema: Beamtentorruption erhalten wir aus Kaufbeuren folgende Zuschrift: Vor ca. 3 Jahren wurde zur Adaptirung der Kreisirrenanstalt Jrsee von Kreisbauassessor Maron und von Regierungsrath Schmalix in Augsburg ein Mensch Namens Becker , seines Zeichens Steinhauer, zuletzt verdorbener( bankerotter) Bauspekulant, als Bauführer dort installirt, welcher es sich seit dieser Zeit über Alles angelegen sein ließ, die jetzigen, für die Arbeiter so un­günstigen Zeitverhältnisse für sich auszunüßen. Nicht nur, daß er die Arbeiter mit wahren Hungerlöhnen abfertigte, es war auch u. A. die noble Einrichtung getroffen, daß der Samstag am Ende der Woche nicht mehr ausbezahlt wurde, was viele austretende Arbeiter um diesen Tag­lohn brachte, da nicht jeder tagelang in Jrsee bleiben und von Pontius zu Pilatus laufen konnte, um diese paar Nickel zu erhalten.

Auch sonst suchte dieser hochmüthige Mensch auf jede Weise zu zeigen, daß die Arbeiter seine Untergebenen seien und sich nicht mucksen dürfen. So mußten dieselben beispielsweise am Samstag stundenlang unter dem Portale stehen und auf die paar Mark warten, ehe sie den Heimweg, der bei vielen über eine Stunde lang ist, antreten konnten.

Für die Zeit der Adaptirung wurde in der Anstalt provisorisch eine Schreinerwerkstätte etablirt, in welcher noch 4-5 Schreiner arbeiten. In dieser Werkstätte ließ nun besagter Becker für sich nach und nach heimlicher Weise eine ganze Hauseinrichtung anfertigen, und wurden die solchergestalt in Arbeit befindlichen Gegenstände, sobald Besuch des Ver­walters oder Direktors von Kaufbeuren aus zu erwarten stand, sorgfältig versteckt, da von letzteren solche Be- schäftigungen nicht geduldet würden. Auch die beiden Gönner Becker's, Schmalix und Maron, gingen natürlich nicht leer aus, und manches schöne Stück aus dieser Werkstätte wanderte nach Augsburg . Diese Herren haben sich dann auch diesem brauchbaren Menschen erkenntlich gezeigt, indem sie es bei den Herren Landräthen"( nachdem jetzt ein Bauführer überflüssig ist und Beck sonst nirgends untergebracht werden konnte) durchsetzten, daß derselbe als fünftes Rad am Wagen für die Anstalt als ständiger Techniker" ange­stellt werden durfte, jedenfalls mit sehr gutem Gehalt.

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Der Rechnungsführer der Anstalt Jrsee, Schrödel, hält ein Küchen­mädchen auf der Straße an, durchsucht dessen Taschen, und als er ein Würstchen findet, das es sich am Munde abgespart hatte, um es seiner Mutter zu bringen, veranlaßt er dessen Entlassung; von diesen Sachen aber, die täglich um ihn herum vorgehen, sieht der Herr nichts. Ja Bauer, das ist ganz was Anderes: man darf den Teufel nicht bei seiner Großmutter verklagen!

Wir übergeben diese Sachen hiermit der Oeffentlichkeit, damit das Volk sieht, daß nur noch die Sozialisten den Muth haben, solche Dinge an's Licht zu bringen. Warum wir das nicht in der hiesigen Tagespresse gethan haben, hat seinen Grund darin, daß den hiesigen Blättchen über der Gier nach Verdienst jede Opposition gegen Leute, bei welchen etwas herausschaut, zuwider ist. Wenn es sich um einen armen Teufel handelt, welcher bei den jetzigen gesellschaftlichen Zuständen herunterkommen mußte, den würde besonders der Tagblättler schön prügeln. Bei ,, Denen" hat es keine Gefahr, die abonniren doch nicht und geben auch sonst nichts zu verdienen. Kommentar überflüssig.

Mehrere Arbeiter.

3ur kapitalistischen Entwidelung. Aus Sachsen berichtet man dem Norddeutschen Wochenblatt": Die Handelskammer in Plauen ist jetzt selbst in der Lage, erklären zu müssen, daß die Hand­weber seit den letzten Jahren fast ganz auf den Aussterbe- Etat gesetzt worden sind. Man hatte nämlich bis in die neueste Zeit hinein behauptet, daß die Handweberei in bestimmten Zweigen noch Aussicht auf Erfolg habe, so die Mullweberei, weil der feine Mull nur auf Webstühlen her­gestellt werden könne. Nun aber verwendet man eben diesen Mull nicht mehr, sondern lediglich den Maschinenmull, der viel billiger ist.

In der Zwickauer Gegend ist allerdings noch eine große Anzahl von Handwebern auf baumwollene Stoffe beschäftigt, doch ist der Lohn seit einigen Jahren um 10-15 Prozent gesunken, so daß auch dort die Handweber bald schon verschwinden werden. Die Maschine hat also die Handarbeit verdrängt, ohne und das allein ist zu beklagen- den Maschinenarbeitern eine leidliche Stellung zu verschaffen. Der Beweis ift hier aber wiederum gegeben, daß der Handwerker, der selbst­ständige Arbeiter immer da an der Konkurrenzunfähigkeit zu Grunde geht, wo die Großproduktion sich irgend einer Branche bemäch­tigt. Deshalb ist alles Zunftwesen, aller Jnnungszwang abgesehen von ein paar Kunsthandwerkern eitel Humbug und kann den Hand­werkerstand nicht erretten. Ueberhaupt wird es nicht lange mehr dauern, daß man von einer Handwerkerfrage nicht mehr spricht, da dieselbe nach und nach in der Arbeiterfrage aufgeht.

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Recht und Gerechtigkeit in Preußen. Aus Han­ nover wird uns unterm 25. Januar geschrieben: Ich will Ihnen heute einen kurzen Bericht über einen Prozeß geben, welcher zwar nicht unsere Partei betrifft, aber unsere skandalösen Justizzustände so grell beleuchtet, daß er im Parteiorgan, welches ja die Sühnung des verletzten Rechtes und die Geißelung der Frevler am Recht zur Aufgabe hat, erwähnt wer­den muß.

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Jm vorigen September verurtheilte das hiesige 2 andgericht den Welfen Metjen, Chefredakteur der hier erscheinenden Deutschen Volks­zeitung", wegen eines Artikels, der angeblich eine Majestätsbeleidigung enthalten sollte, zu zwei Jahren Gefängniß! Das Neue an diesem Prozeß war, daß der Präsident des Gerichtshofes, Landge­richtsdirektor Haate aus Ostpreußen , bei Eintritt in die Verhandlung die Anklagerede hielt, so daß der Staatsanwalt der sattsam be tannte Isenbiel sich einfach auf die Rede des Gerichtspräsidenten bezog; und daß der Gerichtshof in seinem Loyalitätsfanatismus über den Antrag des Staatsanwalts hinausging, der sich blos zu Jahren verstiegen hatte. Metjen hat nicht appellirt, weil er keine Luft hatte, seine Haft noch um ein halbes Jahr zu verlängern. Denn die Zeit bis zum Entscheid des Reichsgerichts wäre ihm nicht angerechnet worden, und bis jezt ist es noch nicht vorgekommen, daß das Reichs­gericht ein vom hiesigen Landgerichte in einem politischen Prozesse gefälltes Urtheil aufgehoben hätte. Ein Krähe hackt der anderen die Augen nicht aus, und wer gegen den Teufel bei deffen Großmutter Hilfe sucht, ist sprichwörtlich verloren.

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Nun muß ich aber auch das corpus delicti vorlegen, damit Jeder für sich urtheilen kann. Die inkriminirte Stelle betitelt sich:" Betrachtungen an Königs Geburtstag", ist zuerst im Stuttgarter Beobachter" erschienen, behandelt die preußische Annexionspolitik und schließt mit folgenden Worten, welche zu der Anklage und Verurtheilung Veranlaffung gegeben haben:

,, Wenn unter dem Druck des jetzt herrschenden Einschüchterungssystems Niemand mehr zu reden wagt, mögen Fahnen und andere Zeichen es sein, mit denen man gegen Abfall, gegen Fälschung des Volksgeiftes pro­testirt. Deutschland über Alles! rufen auch wir: aber Deutschland unter dem Banner deutscher Treue und Freiheit, und nicht unter dem Banner schwarz­weißen Bureaukratismus und Militarismus."

Durch die gesperrten Schlußworte soll, wie der Gerichtspräsident in seiner Anklagerede erklärte und der Gerichtshof annahm, indirett ausgesprochen worden sein, daß der deutsche Kaiser, oder König von Preußen, welcher nach dem Verfasser des Artikels den schwarz­weißen Bureaukratismus", das Gegentheil von deutscher Treue" vertrete, d. h. wortbrüchig, heimtüdisch, verrätherisch u. f. w. sei.

Wäre dieses juristische Taschenspielerstückchen der indirekten" oder ,, konstruktiven" Majestätsbeleidigung nicht schon Dutzende und Dutzende