Meine Herren, es ist sehr oft von der äußersten linken Seite und speziell von uns vorgeschlagen worden die Einführung einer all. gemeinen progressiven Einkommensteuer. Es ist aber meines Wissens, wenigstens hier im Hanse, noch teine Detailberechnung gegeben worden, wie viel wohl durch eine solche progressive Einkommenfteuer, die nicht allzusehr die wohlhabenden Kreise des Volkes belastet, mehr eingebracht werden könnte, als bis heute durch Einkommensteuer aufgebracht worden ist. Nun, meine Herren, ich habe eine derartige Berechnung angestellt, mit deren Details ich Sie selbstverständlich nicht behelligen will, deren Grundzüge ich aber mir hier anzudeuten erlaube. Wenn wir bei der klassifizirten Einkommensteuer von der Grundlage ausgehen, welche die preußische Regierung selbst angenommen hat, nämlich davon, daß ein Einkommen von über 3000 Mart mit 3 Prozent besteuert wird, wenn wir dann den Prozentsatz steigern lassen natürlich muß eine progressive Einkommensteuer nothwendig bis zu einem hohen Prozentsage hinaufgehen z. B., wie ich für sehr gut thunlich erachte, bis auf 50 Prozent des Einkommens in der höchsten Steuerstufe, so würde, falls wir die höchste Steuerftufe z. B. beginnen lassen bei dem Einkommen über 72,000 Mart, bei der Berechnung, die ich entworfen habe, und die ich jeden Augenblick vorlegen kann, in Preußen bei der tlasfizirten Einkommensteuer allein eine Mehreinnahme zu erzielen sein von 120 Millionen Mart.
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und des Amishauptmanns von Leipzig bezüglich der denunziatorischen Praktiken des Sparig forderte. Die Redaktion der Fränkischen Tages. poft" hätte nun auch Bertagung erlangen können, allein sie wünschte den möglichst raschen Austrag der Sache, und der Anfangs auf den morgigen Tag( 22. d. M.) anberaumte Appelltermin wurde sogar um einen Tag zurückgeschoben( auf heute). Die Verhandlungen begannen um 29 Uhr vor gefüllten Zuhörerbänken. Als Zeugen für die Vertheidigung waren Branddirektor Weigand und Liebknecht erschie nen. Sparig, der sich( wohl um zu beweisen, daß ihm jedes Schamgefühl fremd) persönlich einfand, war sichtlich betroffen, als er die Zeugen erblickte. Und die Aussagen der Zeugen waren derartig, daß seine Unbehaglichkeit von Minute zu Minute wuchs, und er schließlich dasaß wie ein begoffener Pudel. Die Aussagen waren auch vernichtend. Die Lifte hat existirt, es war eine Proffriptionslifte, und sie war von Sparig entworfen in der ausgesprochenen Absicht der Mittheilung an die Behörden. Herr Weigand begnügte sich nicht mit bloßen Behaup tungen er verlas eine Anzahl eigenhändiger Briefe des Sparig, welche an dessen Schuld keinen Zweifel lassen, und obendrein den Beweis liefern, daß er seinen Kollegen" an der Abgabe des Zeugnisses verhindern wollte.
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Der Eindruck war niederschmetternd. Das Zeugniß Weigand's wurde durch Liebknecht ergänzt, der auf Befragen des Präsidenten und des Vertheidigers ein wahrheitsgetreues Bild des fich den Angstschweiß von der Stirne wischenden Delinquenten gab, verschiedene„ Streiche" des. selben erzählte, ihn mit dem„ größten Schimpf- und Schandblatte Deutsch lands ", dem ,, Leipziger Tageblatt ", und dessen Hauptmitarbeiter, dem Postspitzbuben Leonhardt in Verbindung brachte, Hand in Hand mit Hödel aufmarschiren ließ nicht turz, ihn als einen Menschen schilderte, der von der eigenen Partei nur wegen der von ihm geleisteten schmutzigen Arbeit gehalten wird und die Verachtung jedes ehrlichen und anständigen Menschen verdient.
Das, meine Herren, ist in knapp bemessenen Grundzügen das, was ich zur dritten Lesung des Etats anführen wollte. Es ist selbstverständlich, daß wir im Großen und Ganzen überhaupt gegen den Etat ftimmen werden, und zwar nicht etwa deswegen, weil wir meinen, daß der heutige Staat überhaupt wesentlich geringere Ausgaben machen tönnte, sondern weil wir meinen, daß das System, nach welchem die Einnahmen verwendet werden, so geartet ist, daß es mit den Interessen des Volkes nicht übereinstimmt; aber die Interessen des Volkes find und das unterscheidet uns ganz wesentlich von den anderen Herren, die auf der linken Seite dieses Hauses fizzen so sehr im Sparen zu suchen und immer nur im Sparen, bei dem doch nichts herauskommt, als ein Schlag ins Wasser, sondern vielmehr in höhrer Aufwendung für alle die Zweige der Staatsthätigkeit, welche auf die Gesammtlage des Boltes, vor allen Dingen des niederen Volkes, günstig zu wirken im Stande sind. Wenn nach diesen Richtungen die Regierung mehr verlangt und damit dem Volte auch mehr gewährt als bisher, so wird fie, gerade so wie es bei der Position des Gesundheitsamts der Fall war, finden, daß wir ebenso entschieden, als wir jetzt immer wieder gegen den gesammten Etat ftimmen, für alle die Positionen, welche wir als vereinbar erkennen mit einer wahrhaft der Volkswohlfahrt dienenden Politit, eintreten und im Bolte dafür wirken werden.
Sozialpolitische Rundschau.
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- Festgefahren. Trotz aller füßen Liebesbetheuerungen, die der protestantische Papst in Berlin und der katholische Papst in Rom seit einiger Zeit wieder austauschen und zur Erbauung dei misera contribuens plebs" auf Deutsch : der dummen Steuerzahler ber öffentlichen, hat es im preußischen Landtage vor Kurzem wieder ganz gehörig gekulturkämpfelt. Aber o weh! nicht mehr ertönten die begeisterten Kulturpauten der Bamberger , Hänel und Konsorten, kein Bennigsen sprang der Regierung zu Hilfe, mit stiller Schadenfreude saßen diese Herren da und überließen es den Regierungsvertretern, auf die Attaken Windthorst's, Schorlemer's 2c. zu antworten. Darob große Wuth im Reichstanzleramte, welcher die biedere Norddeutsche Allgemeine" denn auch Tags darauf in folgendem föstlichen Wuthschrei Ausdruck gab:
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In den erregten Debatten über den Kultusetat, welche jetzt schon mehrere Tage währen, haben die liberalen Parteien eine auffällige Zurüdgezogenheit beobachtet. Unseres Erachtens muß die Regierung aus diesem Schweigen nothwendig schließen, daß fie in dem Streit zwischen dem Staat und der Kurie nicht mehr in dem Maße wie früher auf die Unterstützung der liberalen Parteien rechnen könne, und sie wird sich deshalb vielleicht(!) veranlaßt fühlen, gegen die päpstlichen Wünsche nachgiebiger zu sein, als es bisher der Fall war."
Merkst Du was, Leser? Der große" Staatsmann, der sich einbildete, die sämmtlichen großen Parteien in der Tasche zu haben, hat sich so gründlich festgefahren, daß er jetzt bei den von ihm am meisten gehaßten um Sulfurs betteln muß. Denn die Drohung, daß die preußische Regierung der päpstlichen eventuell mehr Nachgiebigkeit zeigen werde als bisher, ist natürlich nur das Geständniß, daß es für sie heißt: Der Bien muß! Die Zentrumsfraktion oder vielmehr die Zentrumswähler wollen von Bismarc's polizeistaatlichen Passionen nichts wiffen, Bismarck aber will und kann auf diese nicht verzichten- wo bliebe auch Breußen ohne Polizeiherrschaft! denn wenn er es könnte, dann brauchte er überhaupt keinen Frieden mit Rom ." So sitzt der„ geniale Staatsmann" jetzt in der Klemme feft, und wenn die Liberalen diesmal ihrem Namen Ehre zu machen versuchen, oder wenn sie uur keine Esel find, dann rächen sie sich gründlich für das bekannte An die WandDrücken und lassen ihren treulosen Freund zappeln, bis er-quietscht." Die Freiheit, sowohl die politische wie die religiöse, würde dabei nicht zu kurz kommen.
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Eine moralische hinrichtung, so schreibt man uns unter dem 21. Februar aus Nürnberg , wurde heute im Sitzungssaale des hiesigen Landgerichts vollzogen, eine Prozedur, die wegen der Person des Delinquenten für die Leser des„ Sozialdemokrat" ein ganz besonderes Intereffe haben wird. Der Delinquent war nämlich der sattsam bekannte, unqualifizirbare nationalliberale" Agitator" Sparig aus Leipzig Reudnitz . Man wird sich erinnern, daß im Frühling des vorigen Jahres im Sozialdemokrat" und verschiedenen deutschen Zeitungen berichtet wurde, der genannte unqualifizirbare Herr habe eine Proffriptionsliste mit den Namen von 200-300 prononzirten Sozialdemokraten aus Leipzig und Umgegend entworfen und dem Ministerium eingereicht. Herr Sparig, der sich in der Illusion wiegte, der Wahrheitsbeweis könne nicht gegen ihn erbracht werden, hatte die Stirne, drei deutsche Zeitungen, welche die betreffende Notiz veröffentlicht hatten, zu verklagen: die Frankfurter Zeitung ", die Fränkische Tagespost" und die„ Leipziger Bürgerzeitung" und da der Wahrheitsbeweis in der That aus gewissen Gründen noch nicht zu erbringen war, gelang es dem unqualifizirbaren Herrn auch, in allen Fällen Verurtheilung zu erwirken und von der " Fränkischen Tagespost" und„ Leipziger Bürgerzeitung" fich sogar ganz hübsche Entschädigungssümmchen als Schmerzenspflaster für die angeblich geschädigte( Sparig'sche!) Ehre zu erpressen. Wenigstens ein erstinstanz. liches Erkenntniß in diesem Sinne.
Allein man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Das erfuhr Herr Sparig! Die Frankfurter Zeitung ", welche die ProskriptionslistenAffäre als eine sozialdemokratische Angelegenheit betrachtete, ließ es zwar, da sie in ihrer komischen Sozialisten- und Polizeiangft mit peinlicher Sorgfalt Alles vermeidet, was sie in den Verdacht sozialdemokratischer Sympathie bringen könnte, beim ersten Urtheil bewenden und zahlte flugs Strafe und Kosten, die beiden anderen verurtheilten Blätter ergriffen aber beiden Rekurs, und da, das nöthige 2 Beweismaterial wurde beschafft.
Der„ Kollege" des Sparig, welchem die Proskriptionsliste von diesem gezeigt worden war, und zwar unter charakteristischen Aeußerungen, der Branddirektor Weigand aus Chemnit, erklärte sich bereit, Zeugniß abzuTegen; an Zeugen, welche die Person und Thätigkeit des Sparig in's richtige Licht stellen konnten, fehlte es nicht, und so war Alles klar zum Gefecht.
Die Appellverhandlung gegen die„ Leipziger Bürgerzeitung" sollte ursprünglich am 17. d. stattfinden, wurde aber auf Antrag des Redakteurs Perls vertagt, weil dieser die Bernehmung des Kreishauptmanns
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Der Anwalt Sparig's wußte nicht Anderes zu sagen, als daß die intriminirte Notiz seinen Klienten beschuldige, die Liste eingereicht zu haben, und das sei nicht erwiesen; außerdem sei es teine Prostriptionslifte" gewesen, sondern der famose Organisationsplan, welcher in den Motiven zur Beschönigung des Belagerungszustandes und in mehreren Reden des Herrn von Nostiz- Wallwitz eine Rolle spielte allein die Absurdität dieser Ausrede wurde sofort von Liebknecht nachgewiesen. Herr Sparig, der zum Schluß Einiges zu seiner Entlastung sagen wollte, verschnappte sich zum Gaudium der Zuhörer dermaßen, daß er zuletzt eines der kompromittirendsten Fakten: die Herstellung der Wahlzettel aus gefranztem, leicht erkennbarem und unnachahmlichen Papier ausdrücklich eingestand.
Der formell Angeklagte( in Wirklichkeit war es der Sparig) Löwen stein, Redakteur der„ Tagespost ", sprach nach der Rede seines Anwaltes Cronacher nur ein paar Worte, aber es waren kräftige Worte: ,, Hätte ich, als ich den Artikel aufnahm, Alles gewußt, was ich jetzt weiß, so hätte ich nicht ein, nein, ich hätte hundert und tausend Pfui! hingesetzt." ( Der inkriminirten, aus der Frankfurter Zeitung " abgedruckten Notiz war nämlich von ihm ein redaktionelles Pfui! beigefügt, was von der Anklage als besonders erschwerender Umstand bezeichnet worden war.) Das Erkenntniß soll erst in 8 Tagen gefällt werden. Wie immer es lanten möge eine Verurtheilung wegen einfacher Beleidigung ist nach deutschem Gesetz auch trotz des gelungensten Beweises der Wahrheit nicht ausgeschlossen soviel steht fest: Sparig ist gerichtet und hingerichtet, und der ritterliche Nostiz Wallwitz kann sich zu seinen Agenten gratuliren. Neulich sein Berichterstatter Schmidt als Fälscher und Betrüger zu vierjährigem Zuchthaus verurtheilt, heute sein Schüßling Sparig als Denunziant, Lump und Lügner moralisch zum Tode verurtheilt Sie haben Glück, Herr v. Nostiz- Wallwitz!
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Und wenn nun gar noch herauskommen sollte, daß der Sparig die Prostriptioneliste do ch eingereicht hat mie dann, Herr von Nostiz ? Nach oben kriechend, nach unten, brutal diese Maxime aller Knechtsseelen ist das Motto fast aller kleinstaatlichen Regierungen Deutschlands geworden. Je tiefer sie vor Preußen in den Staub sinken, um so brutaler benehmen sie sich zu Hause". Allen voran die Regierung des Königreichs" Sachsen , die, Preußen gegenüber absolut willenlos, sich nur da als„ Herr im Lande" zeigt, wo es zu unterdrücken und zu chikaniren gibt.
Einen neuen Beweis kleinlich gehäffiger Bedientenrache liefert ihr Verhalten in der Angelegenheit unseres jüngst verstorbenen Genossen Künzel. Dieser hat bekanntlich seine Wittwe mit drei unerzogenen Kindern und der Aussicht auf ein viertes im Zustand völliger Mittel losigkeit hinterlassen. Der Wittwe und den Kindern könnte aber, wie uns aus Leipzig geschrieben wird, ein ganz hübsches Einkommen gesichert werden, wenn die von Künzel gegründete und zu hoher Blüthe gebrachte ,, Reichsgerichtskorrespondenz" als Eigenthum der Familie im Interesse derselben fortgeführt würde. Dies ginge nun ganz leicht, wenn der jüngere Bruder Künzels , der vorigen Sommer unter den bekannten skandalösen Umständen von Leipzig ausgewiesen wurde, die Erlaubniß zur Rückkehr erhielte. Der jüngere Künzel ist gleichfalls ein sehr tüchtiger Stenograph, und hat seinem verstorbenen Bruder bei Gründung der ,, Reichsgerichtsforrespondenz" wesentliche Dienste geleistet, auch längere Zeit bei der Redaktion geholfen und ihn wiederholt vor dem Reichsgericht vertreten. Kurz, er ist nach jeter Richtung eine geeignete Persönlichkeit. Wohlan er wandte sich auf den dringenden Wunsch seiner unglücklichen Schwägerin an die Kreishauptmannschaft mit dem Gesuch, ihm die Rück fehr nach Leipzig zu erlauben. Allein er versäumte es, zu Kreuze zu kriechen und seine Grundsätze zu verleugnen: sein Gesuch wurde abschlägig beschieden. Die arme Wittwe mag mit ihren Kindern verhungern, oder das Stadtalmosen erbetteln!
Um die ganze Moral der Geschichte" zu erfassen, muß man sich ins Gedächtniß zurückrufen, daß der jüngere Künzel auf Grund einer Anschuldigung ausgewiesen ward, deren Grundlosigkeit durch lett ustanzlichen Richterspruch festgestellt worden ist. War es schon ein frivoles Attentat auf Logik und Recht, daß der Ausweisungsukas nicht sofort nach Fällung des lettinstanzlichen Urtheils als etwas selbstverständliches zurückgenommen wurde um wie viel schmachvoller und verbrecherischer erscheint dieses Attentat, wenn man erwägt, daß es unter solchen Umständen, angesichts einer verzweifelten Wittwe und unversorgten Waisen, Monate nachher mit kalter Ueberlegung noch formell santtionirt und gewissermaßen wiederholt worden ist. Das ist die vielgerühmte, sächsische Gemüthlichkeit".
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Preußisches aus Baden. Aus Pforzheim , 9. Februar, wird uns geschrieben: Jm badischen Ländle ist bekanntlich die Polizei noch weit preußischer, d. h. schuftiger als in Preußen selbst. Gestern hat sich nun die hiesige Obrigkeit" wieder einmal große Lorbeern" errungen. Bei drei hiesigen Bürgern kamen die die öffentliche Sicherheit gefährdenden Organe angerückt, um„ Haussuchung zu thun". Gesucht wurde selbstverständlich nach verbotenen Schriften, gefunden aber nichts. Da die mit diesem offiziellen Hausfriedensbruch Bedachten als Sozialdemokraten nicht bekannt sind, so kann nur eine der hier an der Tagesordnung befindlichen Post stiebereien die Veranlassung dazu gegeben haben. Vor einigen Wochen tamen nämlich hier Briefkouverts, in denen sich Zeitungen befanden, zerrissen an, so daß deren Inhalt ganz gut geprüft" werden konnte. Einer der Adressaten erhob gegen diese Bibelsicherheit" Beschwerde zur Postdirektion und die Antwort hierauf waren die Haussuchungen! Solche erbärmliche Bütteldienste leistet die hiesige Postist sie ja doch eine Reichs institution! der Polizei öfters. So wurde seinerzeit dem Genossen Dittus ein Brief 3 Wochen lang vom Amtsgericht behalten, an das er gleichfalls aus „ Gefälligkeit“ abgeliefert worden war. Als D. den Brief endlich verlangte,
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wurde der Brief verleugnet, bis endlich der Postdirektor so weit gebracht wurde, schriftlich die Erklärung abzugeben, daß der Brief in der That an das Amtsgericht abgeliefert sei notabene, ohne daß über Dittus gerichtliche Briefsperre verhängt war! Als nun die Herren Briefdiebe zur Verantwortung gezogen werden sollten, da biß kein Staatsanwalt an und die ganze Geschichte wurde für ein Versehen" erklärt. Natürlich! Doch darf man sich über derartige Vorkommnisse hier nicht wundern, denn der höchste hiesige Beamte ist zugleich auch der schlechteste, und es war lange Zeit ortsüblich, daß die Polizei alles Mögliche ft a hl. So wurde einem Parteigenoffen von einem Kriminalschutzmann Holz gestohlen; ein anderer Kriminalpolizist ftahl einen Schwartenmagen( das Schwartenmagenstehlen war früher blos bei den Würzburger Polizeidienern Usus) u. s. w.
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Als diese Art von Eigenthumsbehütung gar zu blamabel wurde und zum gerichtlichen Austrage kommen sollte, tommandirte der Stadtdirektor einfach eine Anzahl Schußleute zum Meineid, der natürlich auch geleistet wurde denn wozu wäre der Meineid sonst auch da, als um geschworen zu werden? und die Sache war abgethan!! Und als dann die sauberen Kronzeugen wegen Meineids belangt werden sollten, bedeutete man von höherer" Seite dem Staatsanwalt, daß der Prozeß sehr unerwünscht sei, und versetzte den Beamten.
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Wie Sie sehen, existirt hier eine solche Untiefe von Schufterei, natürlich von Oben sich auf die unteren übertragend, daß Einem ein förmliches Grauen ankommt, wenn man all' Das schildern soll. Und dies find die Stüßen unserer„ Ordnung"," Sitte"," Moral" u. s. w. ganz à la Buttkamer, Madai und Kompagnie.
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Nachgerade dürfte man aber doch auch in Pforzheim eingesehen haben, daß mit solchen wemeinheiten eine edle, gerechte Sache nicht besiegt werden kann. Und sollte diese Ueberzeugung wirklich noch nicht ganz zum Durchbruch gekommen sein, so wollen wir schon dafür sorgen, daß es recht bald geschieht.
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Auf verschiedene Anfragen sei hiermit geantwortet, daß die Wahl im vierten Berliner Reichstagswahlkreis, wo Bebel nur mit wenigen Stimmen gegen den Fortschrittler Träger unterlag, von der Wahlprüfungskommiffion, trok wiederholten Drängens von Seiten unserer Abgeordneten, in Folge der Erkrankung des Referenten noch nicht erledigt ist. Es ist aber das positive Versprechen gegeben worden, daß die Sache nach Ostern auf's Schleunigste erledigt und erforderlichen Falles ein anderer Referent ernannt werden soll. Kann auch, wie unseren Lesern bekannt, nicht auf unmittelbare Kassirung der Wahl Träger's und einfache Proklamirung der Wahl Bebel's erkannt werden ( weil die Zahl der ungerechtfertigter Weise annullirten Stimmzettel mit dem Namen Bebel's nicht ausreicht), so unterliegt doch, da auch andere Unregelmäßigkeiten in dem Wahlprotefte gerigt find, die Beanstan- dung der Wahl nicht dem mindesten Zweifel.
Daffelbe gilt von der Wahl im Leipziger Landkreis und im Dresdener Landkreis, deren Beanstandung bald nach Wiederbeginn der Sitzungen vom Reichstag ausgesprochen werden wird. Daß die Wahlprüfungen sich so in die Länge ziehen, ist übrigens nicht die Schuld der Wahlprüfungskommission, welche durchaus kein Tadel trifft, sondern der Mangelhaftigkeit des ganzen, früher bereits von uns gekennzeichneten Verfahrens. Von unseren Abgeordneten wird noch in dieser Session ein auf Reform des Wahlgeschäfts hinzielender Antrag eingebracht werden, der außer der Forderung von Stimmzettel Couverts, Verlegung des Wahltages auf einen Sonn- oder Feiertag 2c. auch die Bestimmung enthalten wird, daß der Reichstag spätestens 6 Wochen nach seinem ersten Zusammentritt alle Mandate geprüft haben muß, und daß die anzustellenden Erörterungen in Fällen der Beanstandung derart zu beschleunigen find, daß die endgiltige Beschlußfassung über Giltigkeit oder Ungiltigkeit einer Wahl spätestens 6 Wochen nach ausgesprochener Beanstandung erfolgen kann. Auf diese Weise würde schon in der ersten Session die Minimumdauer einer Session ist doch wohl 3 Monate die Mandat prüfungsarbeit vollendet und könnten vor Beginn der zweiten Session schon die nöthigen Neuwahlen vorgenommen werden während nach der jetzigen Praxis die Wahlprüfung wesentlich nur einen formellen Werth hat und auf eine unwürdige Farce hinausläuft.
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- Noch einmal die Frankfurter Zeitung ". Aus dem ,, Sozialdemokrat" ersehe ich, schreibt uns einer unserer Abgeordneten, daß die Frankfurter Zeitung " in einer Reichstagskorrespondenz, oder einem Reichstagetelegramm, die Unverschämtheit gehabt hat, gelegentlich einer der Abstimmungen über den Militär- Etat vom Fehlen verschiedener sozialdemokratischer Abgeordneten in nörgelnd gehäffiger Weise zu reden. Die betreffende Notiz rührt von Herrn Sonnemann selbst her und ift für diesen Herru um so charakteristischer, als er unmittelbar nach der fraglichen Abstimmung, und noch ehe er seine Korrespondenz( oder Telegramm) a b geschickt, auf eine impertinente Bemerkung hin, in sehr deutlicher, wenn auch( verdientermaßen) nicht gerade höflicher Weise belehrt worden, daß er sich geirrt hatte, und daß die Abgeordneten, welche seiner Behauptung nach gefehlt haben sollten, zum Essen in die dem Reichstag gegenüberliegende Restauration gegangen, aber, verabredetermaßen im entscheidenden Moment benachrichtigt, rechtzeitig zur Abstimmung erschienen waren. Herr Sonnemann hat also wider besseres Wiffen die Un wahrheit gesagt, um der Sozialdemo tratie, die ihm in Frankfurt gefährlich zu werden beginnt, etwas am Zeuge zu flicken.
Dieser Vorgang steht nicht vereinzelt da; es können auf Wunsch andere, ebenso kleinliche und standalöse Beispiele angeführt werden.
Der Kirche muß Recht geschehen! So sagte der Pastor der Gemeinde Lesum zu einem armen Bahnwärter, der mit seinem färglichen Lohne sechs Kinder zu ernähren hatte, als diesem zwei derselben gestorben waren und der betrübte Bater den Herrn Pastor um Erlaß der Gebühren bat.„ Es geht nicht, die Kirche muß ihr Recht haben!" Der Todtengräber verzichtete auf seine Gebühren, aber der Herr Bastor mußte sein Geld haben.
Ein anderer Fall religiöser Nächstenliebe passirte in dem unweit Lesum gelegenen Städtchen Blumenthal an der Weser . Der Herr Pastor Müller hatte ein Paar zu trauen. Als er der Braut anfichtig wurde( die Trauung geschah in einem Privathause), schlug derselben den Kranz vom Kopfe und zerriß ihn. Und der Bräutigam? Nun, der sah zu, anstatt dem Beleidiger seiner Frau eine gebührende Tracht Prügel zu verabfolgen.
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Nur so weiter, Ihr Herren! Das Volk ist zwar sehr dumm, aber schließlich dürfte es doch einsehen, welche unwürdige Rolle es vor dem Altar Gottes" spielt, wo angeblich alle Menschen gleich sein sollen. Auch da heißt es: hier reich hier arm! Einem reichen Mädchen gegenüber hätte sich der Pfaffe eine derartige Unverschämtheit nicht erlaubt. Die Moral von der Geschichte ist demnach: Der Standesbeamte zerfledert teine Braut und Jungfernkränze" und der Kirche muß ihr Recht geschehen also weggeblieben!
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- Polizeistaatliches. In Erfurt wurde am 20. Februar Mittags Genosse V., als er in seine Wohnung trat, von zwei Geheimpolizisten empfangen, die ihn erwarteten und diesmal eine gründliche" Durchsuchung nach verbotenen Schriften vornehmen wollten. Hauptsächlich wurde nach der Broschüre:„ Die deutsche Geheimpolizei" geschnüffelt. Gefunden wurde außer einigen laufenden Nummern des„ Sozialdemokrat" nichts. Für das Verbrecher Album reif soll sich dabei, schreibt man uns aus Erfurt , der Spitzel ömstedt benommen haben, der dort als brutaler Schuft erster Klasse bekannt ist.
Jn Berlin , in Glais hammer bei Nürnberg , in Mün- chen, in Limbach bei Chemnitz und an vielen anderen Orten