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Eine verunglückte Spekulation. Die famose Musteranstalt des Königlich Preußischen Staatssozialismus, die Straßburger Tabatsmanufaktur, tann bekanntlich trotz aller erdenklichen Anstrengungen ihre Fabrikate nicht loswerden. Rauchen will sie Niemand, und obwohl die Loyalitätsseuche in Preußen sich breiter macht als je, so hat doch der Appell an alle Bismarck- und Königstreuen Bürger, fie möchten aus Patriotismus das Straßburger Fabrikat aufrauchen oder wenigstens auftaufen, gleichfalls nichts gefruchtet. Die Reichs-, Königs- 2c. trenen Bürger" find nur Reichs-, Königs- 2c. tren gegen baare Bezahlung; noch Geld zugeben bei dem Schwindel, sagen sie, das gibt's nicht. Und die für den Staat der Gottesfurcht und frommen Sitte, wie Preußen- Deutschland ja doch ist, so angemessene Absicht, die sieben Millionen Straßburger Zigarren unter falscher Flagge in's Publikum zu schleudern, ist gleichfalls fehlgeschlagen. Da, in ihrer höch ften Noth, fiel die Verwaltung des Herrn von Meyer, wie uns ein Genoffe aus Delmenhorst mittheilt, auf einen neuen Ausweg. Sie unterstützt die qualifizirte Waarenfälschung. Es mangelt in Bremen und Delmenhorst nicht an gutgefinnten Fabrikanten, die gern bei der Hand find, wo es ein Geschäftchen zu machen gibt. An diese vertauft die Straßburger Manufaktur jetzt die Widel, welche die Herren einrollen lassen, und alsdann werden die fertigen Zigarren als Bremer Fabritat auf den Weltmarkt geworfen. Ist das nicht reizend? Früher begnügten sich die Staaten damit, das Geld zu fälschen, heute provoziren fie die Waaren fälschung!
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Ein Fabrikant, bei dem mehrere Genossen arbeiten, hatte 20,000 Stüd von solchem Schund aufgekauft und hier überrollen lassen. Er wollte auch noch einen Hundelohn geben, nämlich 5 Mart, hatte aber kein Glück damit. Er mußte noch 1 Mark zulegen und das Versprechen ablegen, feine derartige Wickel mehr zu kaufen, was er auch that."
Welch' beißende Kritik des heutigen Staatssozialismus ! Staat und Kapitalist erscheinen als ein Herz und eine Seele, der Arbeiter aber legt ihnen ihr schmutziges Handwerk. Dieser einfache Vorgang zeigt bereits, wie lächerlich es ist, aus dem Fehlschlagen der Straßburger Manufaktur einen Schluß auf die Unzweckmäßigkeit des Sozialismus ziehen zu wollen. Bismards Schooßkind ging zu Grunde, nicht weil es sozialistisch war, sondern weil es nach bureaukratisch- ausbeuterischen Prinzipien verwaltet
wurde.
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Für achtzehntausend Mart, Gerechtigkeit." Aus dem Reich" kommt eine Nachricht, die geeignet wäre, die allgemeine Heiterkeit zu erregen, wenn der Schurkenstreich, um den es fich dabei handelt, nicht gar zu groß wäre. Die hohe Reichskommission für das Sozialistengesetz" zu Berlin hat nämlich vorige Woche beschloffen, das Verbot des Nürnberger Arbeiter- und Handwerker- Notizkalenders" zu bestätigen! Bekanntlich wurde dieses Verbot von dem Reichs. Oberpolizeihallunken Madai am 14. Dezember v. J. erlassen als Antwort auf die von unserem Genossen Grillenberger am selben Tage im Reichstag gehaltene Belagerungsrede. Grillenberger ist Theilhaber und Arbeiter bei der Nürnberger Genossenschaftsbuchdruckerei, in welcher der Kalender erschienen ist. Es lag daher in dem Verbot ein Att der niederträchtigsten Rache für die dem Herrn Puttkamer und Konsorten von Grillenberger in's Gesicht gesagten Wahrheiten; da man dem Redner auf andere Weise nicht beikommen konnte, schädigte man das Geschäft, dem er angehört. Das ist die alte Praxis aller Reattionäre und feit dem Gesetz" vom 21. Oftober 1878 ist dieselbe wieder ganz besonders in Uebung gekommen politische Gegner in ihrer Eristenz anzugreifen, ihnen dieselbe womöglich zu vernichten. Als Grillenberger im Februar wegen Verschleppung der gegen das Verbot erhobenen Beschwerde im Reichstag einen Angriff gegen die Reichskommission richtete und dabei den Antrag stellte, an den für diese famose Behörde eingesetzten 18,700 Mark 18,000 abzuftreichen, sagte er den Herren auf den Kopf zu, daß lediglich ein polizeilicher Racheaft vorliege, und die Herren vom Regierungstisch steckten diesen schweren Vorwurf ruhig ein, ohne ein Wort zu erwidern. Die hohe Kommission war erflärlicherweise über den Versuch, ihr die so angenehme Zulage zu ihren Sonstigen Gehaltsbezügen streitig zu machen, sehr aufgebracht und rächte fich nun ihrerseits dadurch, daß sie die Sache noch länger verschleppte. Vorige Woche hat sie nun endlich ihren„ Spruch" gefällt. Derselbe lautet, wie oben mitgetheilt, auf Bestätigung des Verbotes. Letzteres war seinerzeit damit begründet" worden, daß in dem Geschichtskalendarium des fraglichen Kalenders auch eine Anzahl von Attentaten auf gekrönte und ungekrönte Landesväter enthalten war. Dies konnte nach Ansicht der Berliner Polizei natürlich nur den Zweck haben, die Handwerker und Arbeiter, zu deren täglichem Gebrauch der Kalender bestimmt ist, stets an die ,, Verbrechen der internationalen Revolutionsparteien" zu erinnern und dadurch zum„ Umsturz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung" beizutragen. Alle Welt war erstaunt über eine solche Weisheit", die Buchhändler lachten zum Theil darüber und waren von einer alsbalbigen Freigabe der Druckschrift überzeugt, theile waren sie entriiftet über diese Art und Weise, das Verlagsgeschäft zu beeinträchtigen; die Herren Reichstägler, denen ein Exemplar zur Ansicht auf den Tisch des Hauses gelegt worden war, machten„ kopfschüttelnde Gesichter", um mit Herrn v. Köller zu sprechen, und hielten es für eine absolute Unmöglichkeit, daß das Verbot aufrecht erhalten werden könne( namentlich wunderten sich die Herren Juristen) kurz, Niemand glaubte, daß der Madai- Puttkamer'sche Bubenstreich sanktionirt werden würde. Nun find die guten Leute freilich eines Besseren" belehrt. Die 18,000 M.- Männer der Reichskommission gingen übrigens in ihrer ,, Begründung" noch weiter als Madai. Ihnen genügten die Attentate und sonstigen Verbrechen der Revolutionsparteien" nicht. Sie sagen, auch das sei ein Beweis, daß es sich nicht um objektive Geschichtsdarstellung, sondern um„ Aufreizung" 2c. handle, daß nicht blos das Hödel'sche
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Waffer und Brod. Aber das Bewußtsein, die Frauen mißhandelt zu haben, genügte dem Schurken nicht, er mochte noch damit prahlen, und zwar gegenüber den männlichen Gefangenen. Er ging in eine Belle, wo 35 politische Verbrecher saßen und erzählte dort frech, wie er die Frauen ganz habe entblößen laffen.„ Wir machen mit Euch nicht viele Umstände", sagte er höhnisch ,,, und Eure Frauenzimmer, die halten sich ja viel ärger als Huren!" u. s. w.
Das Blut stieg uns allen zu Kopf. Einer von den Gefangenen, Tschedrin, vermochte es nicht, an sich zu halten. Er näherte sich Solowieff und sagte ihm, daß er ein Schurke und befahl ihm, seine Worte sofort zu widerrufen. Statt dessen erzählte Solowieff noch einmal, wie er die Frauen habe auskleiden laffen und drohte Tschedrin, daß er ihn still zu machen verstehe. Dieser aber gab ihm eine tüchtige Ohrfeige. Solowieff wagte es nicht, sie zu erwidern. Er fuhr gleich zum Gouver neur und erstattete ihm Bericht, natürlich einen verlogenen. Sofort wurde ein Kriegsgericht eingesetzt, in welchem Solowieff die Rolle des Prokurators spielte; er log nach rechts und nach links, indem er die Geschichte von der Ohrfeige dem Gerichte erzählte und verlangte, daß man den Tschedrin zum Tode verurtheile. Das Gericht schenkte ihm Gehör und sprach thatsächlich ein Todesurtheil aus.
Attentat, sondern auch die Hinrichtung Hödel's als„ historische Thatsache" angeführt war! Auch das gefällt den Herren nicht, daß die Verlänge rung des Sozialistengesetzes durch den Reichstag im Kalendarium angegeben wurde. Die Herren schämen sich also, wie es scheint, dieser " Ordnungsthaten" und wollen nicht haben, daß das Volk hierüber auch nur einen Buchstaben zu lesen bekomme! In Konsequenz hievon müßten natürlich auch alle Zeitungen verboten werden, welche über solche ,, unliebsame" geschichtliche Ereignisse irgend welche Mittheilungen machen. Aber Konsequenz wo ist die bei deutschen Polizeiseelen zu finden, und gar erst Gerechtigkeit! Dieses 18,000 M.- Stüdchen ist wirklich start und seine Verüber brauchen fich wahrhaftig nicht darüber zu wundern, daß die deutschen Arbeiter eifrigft nach gebrauchten Galgenstricken suchen neue find zu gut für das Gesindel, um die ganze Lausbubokratie dran aufzuknüpfen. Daß die sogenannte" freifinnige" Prefse draußen im Reiche über diese loyale" Handhabung des Knebelungsgesetzes kein Wort verliert, ist selbstverständlich. Ist sie ja doch in Wirklichkeit seelenvergnügt darüber. Ja, hätte diese enorme Geschäftsschädigung, welche die Verleger dieses Kalenders betroffen, sich auf einen ihrer Roterie erstreckt, da wäre die Sache natürlich anders.
Eine Gerechtigkeits" ausübung, wie sie oben geschildert, ist jedoch immer ihre 18,000 Mark werth, da ja das geknechtete und gereitpeitschte Volk durch diesen Fall wohl wieder um soviel an Erkenntniß zunehmen wird.
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Zum Fall Unglaube schreibt man uns aus Leipzig : Der Sozialdemokrat“ vom 15. März hatte recht. Unglaube mußte nach neuntägiger unschuldig verbüßter Untersuchungshaft am 14. d. Mts. frei gelaffen werden, weil sich absolut kein Anhalt zu einer Anklage bot. So war also der ganze in Szene gesetzte Apparat unnütz und überflüssig und die bei der Haussuchung and im Polizeiverhör vorgekommenen Brutalitäten bleiben echte Polizeistückchen, wie man sie von den„ Wächtern der Geseze" nur verlangen kann.
Die Mutter Unglaube's, eine zweiundsechzigjährige Frau, wurde, weil sie sich das Durcheinanderwerfen ihrer Wirthschaft nicht wollte gefallen lassen, vom alten Döber angefahren ,,, man werde sie mitnehmen und ausweisen". Der Bube Hohlfeld erklärte der alten Frau, weil sie die gewünschten Aussagen sich nicht erpressen ließ, sie sei eine noch frechere Lügnerin als ihr Sohn und drohte ihr mit Einsperren. Aber diese Mittel zogen nicht.
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Das stärkste aber ist, daß als Unglaube nach mehr als 26stündiger Polizeihaft gesetzlich mußte er binnen 24 Stunden an die Staatsanwaltschaft abgeliefert werden- dem Gerichtsgefängniß zugeführt wurde und sich dort einer gründlichen Reinigung unterziehen lassen mußte, weil er in der Polizeihaft eine Menge Ungeziefer aufgelesen hatte. Das Leipziger Polizeigefängniß ist ein anerfannter Schweinestall, in dem kein anständiger Mensch zwölf Stunden zubringen kann, ohne nicht eine Masse Ungeziefer oder irgend eine ansteckende Krankheit davon zu tragen. Unser vermuckerter Oberbürgermeister und sein gleichgesinnter Stadtrath haben für alle möglichen Luruszwecke Geld in Hülle und Fülle. Handelt es sich darum, dem Pfaffenthum eine Brücke zu bauen, fehlt es auch nirgends, aber für ein an ständiges Polizeigefängniß und die nöthige Reinlichkeit hat Klein- Paris weder Mittel, noch Bedürfniß und Sinn.
Da das Gericht gegen Unglaube nichts machen konnte, so wurde die übliche Polizeirache genommen. Unglaube wurde Mittwoch den 20. dieses Monats vor Hohlfeld geladen und ihm die Ausweisungs ordre behändigt. Unglaube's Antwort war:„ So, jetzt haben Sie mich neun Tage unschuldig in Untersuchungshaft gehalten, dafür werde ich jetzt ausgewiesen. Einem Menschen seine Existenz zu ruiniren, das ist Ihre ganze Kunst, das ist Alles, was Sie können" Hohlfeld antwortete: er sei nicht wegen Verbreitung verbotener Schriften ausgewiesen, sondern wegen Sammlungen, daß man ihn wegen Verbreitung von Schriften nicht fassen tönne, hätte sie( die Polizei) gewußt, man habe nach etwas Anderem gesucht.
Damit hat Hohlfeld zugestanden, daß die gauze Anklage gegen Unglaube Schwindel war, daß man mit Absicht ihn unschuldig ins Gefängniß gesteckt, wiffend, daß man nichts machen konnte. Und da das ganze Manöver mißglückt ist, man das Gesuchte der Teufel mag wiffen was es war sich nicht fand, erhebt man die allerdümmste Beschuldigung, nur um einen Vorwand zu baben, Unglaube die Existenz vernichten zu können, man beschuldigt ihn, gesammelt zu haben".
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So handeln Schurken und Buben, aber nicht Männer, die als Wächter der Gesetze in erster Linie an die Beachtung der Gesetze gebunden find. Angenommen, Unglaube habe gesammelt, was er bestreitet, dann thut er dies für die Familien der Ausgewiesenen und eine solche Sammlung ist gesetzlich erlaubt. Unglaube ist also seiner Eriftenz und seiner Heimath einer gesetzlichen Handlung wegen beraubt worden. Wir wiederholen, so handeln Schurken und Buben und unser einziger Wunsch ist, daß der Tag bald komme, wo der verdiente Lohn all' dieser Bübereien ausgezahlt wird. Arbeiter von Leipzig und Umgebung, prägt Euch die Namen der Menschen tief ins Gedächtniß ein, die heute in frevlem Uebermuth, die in ihre Hand gelegte Gewalt mißbrauchend, frivol die Existenz Jener vernichten, von denen fie annehmen, daß sie zu Eurem Besten handeln! Seid am Tage der Abrechnung auf dem Posten!
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Aus Leipzig , den 23. März, schreibt man uns: Ganz wie ich's vorausgesehen hatte: Unglaube mußte aus der Untersuchungshaft entlassen werden, weil absolut nichts gegen ihn vorliegt die Polizei, bezw. Kreis- und Amtshauptmannschaft hat ihn aber ausgewiesen. Von unserer Polizei wundert uns nichts mehr; sie ist durch das Berliner Vorbild, durch die Ordres aus Dresden und durch die Instruktionen unseres nationalliberalen ,, Rings" derartig korrumpirt, daß kein anderer Gedanke mehr obwaltet, als der: fich in Berlin , Dresden und bei der einheimischen Leipziger Sippe einen rothen Rock zu verdienen. Auf die Niedertracht ist eine Prämie gesetzt und so wird die Niedertracht förmlich gezüchtet. Wer irgendwie anständig ist, und sich nicht zur schmutzigsten Arbeit bergibt, und bei ihr nicht den nöthigen Eifer entwickelt, wird zurückgesetzt und hat keine Aussicht auf Beförderung. Nur was man im gewöhnlichen Sprachgebrauch, ehrlose Gesinnung" zu nennen pflegt, ebnet den Weg zu Geld, Würden und Ehren. Unsere gute Seestadt" ist in dieser Beziehung ein treuer Spiegel der gesammten bürgerlichen Staats- und Gesellschaftsordnung klassischer Mikrokosmus, der die Schandwirthschaft und Infamie des Mikrokosmus Klassenstaat in schönster Bollendung zeigt. Die Niedertracht regiert und erheischt von ihren Jüngern und Werkzeugen ehrlose Gesinnung. Das ist logisch. Und da es im Intereffe der herrschenden Niedertracht liegt, daß sie sich selbst als die wahre Moral hinstellt, und die ehrlose Gesinnung für ehrenhafte Gesinnung ausgibt, so ift es auch ganz logisch, daß die ehrenhafte Gesinnung von der herrschenden Niedertracht für ehr lose Gesinnung erklärt wird. Indem das Reichsgericht, die oberfte und höchste Arroganz der in Deutschland herrschenden Niedertracht, den Feinden der herrschenden Niedertracht„ ehrlose Gefinnung" unterschiebt und sie zu Zuchthaus verurtheilt, handelt es fonach mit untadelhafter Logik und Konsequenz. Doch zur Sache.
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Also Unglaube ist schuldlos das Gericht hat abfolut nichts Strafbares entdecken können, es hat ihn, weil er schuldlos ist, aus der Haft entlassen und die Untersuchung einstellen müssen: die Polizei weift Unglaube aus, ruinirt ihn wirthschaftlich.
Diesmal gelang es Solowieff aber nicht. Sämmtliche Gefangene, die der Szene mit der Ohrfeige beigewohnt hatten, verlangten den Gouberneur zu sprechen und erzählten ihm, wie es hergegangen. Derselbe fand, daß Tschedrin den Tod nicht verdient habe, widerrief das Todes. urtheil und ließ den Verurtheilten nur einige Tage im Karzer sizen. Einige Wochen nach diesem Ereignisse ware Solo- entlassen wieff zum Befehlshaber über die zu den Zwangs. arbeiten verurtheilten Verbrecher ernannt. Nunmehr hat seine Macht keine Grenzen, jezt tann er obne kontrole nach seiner Willkür die ihm anvertrauten Opfer peitschen, hungern und martern laffen.
Er ist gegangen, andere ebenso schändliche Menschen sind geblieben.
Warum? Weil Unglaube Sozialdemokrat ift. Ein anderer Grund eriflirt nicht. Die Sozialdemokratie soll eingeschüchtert, den Genossen ad oculos demonstrirt werden, daß die schneidigste Waffe des Sozialistengesetzes" noch immer schneidig ist. Und da muß denn von Zeit zu Zeit ein Erempel ftatuirt, auf dem Altar des Klassen- und Polizeistaats eine Existenz geopfert werden. Gestern Dieser, heute Jener, morgen ein
Andrer. Daß der Mann schuldlos, daß das Gericht mit Hülfe des ganzen Spizelapparats ihm nichts hat anhaben können: der Polizei ist es gleichgültig, fie braucht keine Schuldigen, sie braucht blos Opfer. Und wurde es den Herren Lasker und Konsorten, den liberalen „ Geburtshelfern" des Sozialistengesetzes, bei Berathung dieser Quintessenz der herrschenden Niedertracht nicht deutlich genug gesagt, gerade darin liege das Wesen und der Vortheil des Sozialistengefezes, daß es ermögliche, die ,, Gott sei bei uns" Umstürzler von Sozialdemokraten auch ohne juristische Beweise an das Meffer zu liefern? Mit anderen Worten, daß gegen die bösen Gesellschaftsfeinde von Gesez und Recht nicht die Rede sein könne, und einfach das Recht des Stärkeren, das Fauftrecht, die brutale Gewalt und Willkür gelte! Doch wozu mich ereifern. Ob Ausnahmegesez, ob gemeines Recht das Gesetz und Recht der heutigen Gesellschaft ist das Gesetz und Recht der herrschenden Niedertracht.
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Uebrigens ist die Ausweisung Unglaube's schon deshalb nicht überraschend, weil sein Name auf der Sparig'schen Prostriptionsliste steht. Herr von Noftiz- Wallwig, unser biederer Minister des Innern, und seine biederen Beamten und Helfershelfer, die Kreis- und Amtshauptleute Graf Münster und Plazmann, haben zwar auf Ehre!- die Prostriptionsliste des Sparig nicht eingehändigt bekommen- allein aber indessen sie haben aus ihr doch einige staatsmännische und Staatsretterische Weisheit geschöpft.
Apropos, Herr von Nostiz- Wallwitz war dieser Tage hier, und die Herren Plazmann und Graf Münster haben die„ Erlaubniß“ erhalten, in der auf den 10. April dieses Jahres anberaumten Prozeßverhandlung Sparig contra Perls als Zeugen aufzutreten. Die Herren werden wohl dem Sparig ein Tugendzeugniß à la Nostiz- Wallwitz, mit obligatem Wortspiel, ausstellen! Warten wir ab!-
Das Gesuch des jüngeren Künzel ist endgültig abgeschlagen worden. Kein zureichender Grund." Daß die Wittwe Ernst Künzel's sammt ihren fünf Kindern am Hungertuch nagt, und, wenn die„ Reichsgerichtskorrespondenz" nicht fortgesetzt wird, verhungern oder der Stadtarmentasse zur Last fallen muß das ist kein zureichender Grund." Die Wittwe und die Waisen des Sozialdemokraten mögen verhungern oder verlumpen- das fümmert die Organe der herrschenden Niedertracht nicht. Und es gibt Angst- und Klugmeier, die uns verargen, daß wir empört find über die gegenwärtige Ordnung der Dinge und ihre Vertreter!
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Aus Dresden den 22. März schreibt man uns:„ Die Sozialistenjagd ist in der heutigen reaktionären Zeitströmung nicht blos ein lohnendes, sondern auch ein sehr leichtes Handwerk ein Handwerk, das im wahrsten Sinne des Wortes einen„ goldenen Boden" hat, was von dem ehrlichen Handwerk nicht mehr gesagt werden kann. Unser Hr. Gerichtspräsident Mangoldt hat das erfahren. Der Mann hat rasch Karriere gemacht, und durch die Leichtigkeit, mit der er die Verurtheilung von Sozialdemokraten erwirkte, sich in den Ruf eines guten Juristen gebracht. Sehr mit Unrecht. Hr. Mangoldt ist ein Streber, wie er im Buch steht, servil, glatt, bis zu einem gewissen Grade entschieden talentvoll, allein als Jurist höchst mittelmäßig. Das hat sich dieser Tage bei der reichsgerichtlichen Prüfung eines nicht politischen Prozeffes gezeigt, in welchem Hr. Mangoldt als verurtheilender Richter fungirt hatte. Das von dem großen Sozialistentödter und vermeintlichen großen Juristen Mangoldt formulirte Erkenntniß ist soeben vom Reichsgericht aufgehoben worden, weil Hr. Mangoldt in allen Punkten der Motivirung sich die ärgsten juristischen Fehler hatte zu Schulden kommen lassen! Wie gesagt es war ein nicht politischer Prozeß. Wäre es ein politischer gewesen, so würde das Reichsgericht Alles in Ordnung gefunden haben, und der brave Mangoldt wäre ein großer Jurist geblieben!
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Aus Mailand erhalten wir folgende Adresse zur Beförderung an den Kommunistischen Arbeiter- Bildungsverein in London , die gleichzeitig der deutschen Sozialdemokratie insgesammt gilt:
" Die zur Feier des Jahrestages der Pariser Kommune von 1871 brüderlich versammelten Mailänder Sozialisten vereinen sich mit Euch, Gesinnungs- und Kampfgenossen, bei der Nachricht von dem Tode Karl Mary' in dem Schmerz um den gemeinsamen Verlust, indem sie die Versicherung abgeben, daß die Grundsätze des großen Vorkämpfers, der das infame Gesetz der kapitalistischen Gesellschaft bloslegte, niemals verblassen werden, und daß wir unsere ganze Kraft aufwenden werden, um die Ideen, die er während seines Lebens so machtvoll unterstützte und verfocht, zu verwirklichen.
Wir benutzen diese traurige Veranlassung, um auf's Neue die Solidarität und den Brudersinn zu bekräftigen, die uns Arbeiter aller Länder verbinden, und grüßen Euch mit dem Ruf: Es lebe die soziale Revolution Hoch die allgemeine Gleichheit.
Im Namen der Versammlung: ( Folgen 10 Unterschriften.)
Aus England. Ich ersuche die Redaktion des„ Sozialdemofrat" um wörtliche Aufnahme des folgenden Berichtes:
Dienstag, den 20. März, fand eine große Versammlung des demokratischen Zentralvereins von Marlybonn statt, um einen Vortrag unseres Freundes H. M. Hyndmann über„ Trades Unions, Malthufianismus und andere angebliche Heilmittel zur Beseitigung der schlechten Lage der arbeitenden Klassen" anzuhören. Herr Hyndmann begann mit dem Hinweis auf den Tod unseres leider dahingeschiedenen Karl Marr, und widmete in höchst beredten Worten dem Andenken dieses großen Mannes einen ergreifenden Nachruf. Nach Schluß des Vortrages erhob sich Herr Herbert Burrows und sprach, während die Versammlung tiefes Schweigen beobachtete Freunde, es ist angemessen, daß wir diese Gelegenheit ergreifen, um Fräulein Marr unser Beileid über den großen Verlust auszudrücken, den sie soeben erlitten hat, und gebe ich Herrn Stewart Glennin das Wort. Herr Glennin beantragte darauf eine Resolution zu beschließen, dahingehend,
,, daß die Versammlung dem Fräulein Marr zu dem Verlust ihres großen Vaters ihr aufrichtiges Beileid ausdrückt, und ihrem tiefen Schmerz über den Tod eines so aufrichtigen Freundes und so ausgezeichneten Vertreters der Sache des Proletariats ausspricht." Nachdem noch Herr Adam Weiler diese Resolution befürwortet hatte, wurde sie unter feierlichem Stillschweigen einstimmig angenommen. Sämmtliche Anwesende hatten sich von den Plätzen erhoben und das Haupt entblößt.
In Belfast ( Frland) standen letzten Donnerstag und gestern sechs Männer vor Gericht unter der Anklage Verschwörung gegen die Königin und Mordversuch auf einen Landlord", und wurden schuldig gesprochen. Am Montag wird gegen sieben weitere verhandelt werden. Aber es wäre eine Lüge, hier von Gericht und Gerichtsverhandlung zu reden. Die Geschworenen sind sämmtlich vorher gewonnen, und wenn selbst ihr „ Allmächtiger Herrgott" als Entlastungszeuge aufträte, ihr Spruch würde trotzdem lauten: Schuldig, o Herr." So wurde zum Beispiel bewiesen, daß einer dieser Männer an demselben Tage in Glas gow ( Schottland ) auf Arbeit war, an dem er, wie der Belastungszenge Duffey beschwor, in Irland gewesen sein soll; aber die Jury erkannte, daß er schuldig sei. Möge der Herr mich davor bewahren, je vor einer Jury von Frischen Landlords als Angeklagter zu stehen!
Ch. J. Garcia.