waren die Herren Zünftler, bekanntlich die erbittertften Feinde der selb­ständigen Arbeiterbewegung. Um so spaßhafter war es, daß die Herren, die ihrer eigenen Kraft nicht mehr trauen, einen Wortführer der Berliner Gewerkschaftsbewegung, den Juftirer Görti, als Gaft einluden, um als Korreferent zur Frage der Untrennbarkeit der Handwerker- von der Arbeiterfrage" zu sprechen. Ob die Liebenswürdigkeiten, mit denen die Herren den ,, Vertreter der Arbeiter" überhäuften, auf diesen Eindruck machten, wissen wir nicht, sein Referat wird von den Zeitungen in einer Weise wiedergegeben, daß es zu allen möglichen Deutungen Veranlassung bietet, das aber wissen wir, daß die Arbeiter klasse sich schönstens hüten wird, auf die Herren, die mit ihrer Weisheit so ziemlich am Ende find, hineinzufallen. Die Arbeiter haben kein Intereffe daran, Beftr-­bungen zu unterstützen, welche die moderne Entwicklung der Industrie aufhalten sollen, eine Entwickelung, die, soviel Uebel sie heute für den Arbeiter im Gefolge hat, den Keim der Erlösung in sich trägt, während die Realisirung der Wünsche der Handwerker nichts anderes wäre als die Berewigung der Knechtschaft der Arbeiter.

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Aber die Bestrebungen der Handwerker find unrealifirbar, die Ent­wickelung der Industrie läßt sich nicht aushalten. Wenn daher der Handwerkertag der These des Freiherrn von Fechenbach zustimmte: ,, Neubegründung und Sicherung des Mittelstandes oder Revo lution gegen die Ausbeutung an den schaffenden und erwerbenden Kräften," so haben wir nichts dagegen einzuwenden. Das Entweder" ist ein Ding der Unmöglichkeit, der Mittelstand ist dem Untergang geweiht, darum lustig hinein in's Oder: Revolution gegen die Aus­beutung!

Schönen Dunt, Herr Freiherr, für diese Alternative.

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-Staatsanwaltliche Frechheit. Bei der Verhandlung des Frankfurter Amtsgerichts in der Geiser Frohme'schen Fahrkartenaffaire ( am 22. Mai) zeichnete der funktionirende Staatsanwalt sich durch die Rüpel­haftigkeit seines Benehmens aus. Es handelt sich in der fraglichen An­gelegenheit bekanntlich um einige, einer Dame gehörende Paketftücke, welche auf die Fahrkarten der beiden genannten Abgeordneten von Frank­ furt nach Leipzig geschickt wurden, und die, auch wenn sie nicht auf die Fahrkarten genommen worden wären, auf das Fahrbillet der Dame hin unentgeltlich hätten befördert werden müssen. Die Dame ist erwiesenermaßen an dem Borgang ganz unbetheiligt, und würde, selbst wenn das Verfahren Frohme's und Geiser's formell inforrekt gewesen wäre von Betrug" tann selbstverständlich die Rede nicht sein vollkommen frei von jeglichem Vorwurfe sein. Trotzdem hat der funk­tionirende Staatsanwalt-- Lauz heißt der Bursche- sich nicht entblödet, bei seinen Erpektorationen die Dame als" Frauenzimmer" zu tituliren, eine rohe Flegelei, welche den Mangel an Bildung dieses Gesetzeswächters und Mustervertreters der sittlichen Staatsidee" in grelle Beleuchtung stellt. Freilich, die Dame ist eine Tochter des Sozialdemokraten Liebknecht , und der biedere Herr Staatsanwalt glaubte sich deßhalb berechtigt, sie zum Gegenstand seiner Lauzbüberei machen zu dürfen.( Wie wir erfahren, hat Genosse Liebknecht sich beschwerdeführend an die Oberstaats­anwaltschaft zu Frankfurt gewandt und wird die Sache bis zum Aeußersten verfolgen. Red. d. Sozialdemokrat.")

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Mit den Wahlprüfungen, schreibt man uns, soll es nun rasch vorwärts gehen. Eine Anzahl neuer Kommissionsberichte liegen dem Reichstage vor und sollen demnächst erledigt werden. Die Aften der Wahl im IV. Berliner Wahlkreis sind inzwischen von der Staats­anwaltschaft an die Wahlprüfungskommission zurückgegangen, und kann jeden Tag deren Entscheidung erwartet werden. Daß diese auf Bean­standung lauten wird, steht bereits fest. Kassirung kann deßhalb nicht erfolgen, weil wie früher schon mitgetheilt ward die Behaup tung, daß eine größere Anzahl von gültigen Zetteln auf den Namen Bebels nicht mitgezählt worden seien, sich als unrichtig herausgestellt hat. In einigen Fällen ist dies freilich vorgekommen; es ist aber das Gleiche bei gegnerischen Zetteln vorgekommen und jedenfalls ist die Zahl der Stimmzettel, die Bebel unberechtigterweise nicht zugerechnet wurden, zu gering, um seine Minorität in eine Majorität zu verwandeln. Dagegen sind sonstige Unregelmäßigkeiten verübt worden, welche die Be­anstandung, und nach amtlicher Feststellung der Thatsachen- auch die Ungültig- Erklärung der Wahl im IV. Berliner Wahlkreis nothwendig machen werden. Das Gerede bezüglich der Wahl Stolle's war, wie wir gleich vermutheten, vollständig grundlos. Nachdem der von uns erwähnte Sachverhalt konstatirt werden, hat die Wahlprüfungskommission schon vor längerer Zeit dem Reichstag die Gültigerklärung der Wahl Stolle's vorgeschlagen; und der fragliche Antrag ist auch sofort und ohne Debatte vom Reichstage angenommen worden. Mit Rücksicht auf die Wahl im 13. sächsischen Wahlkreis ( Landkreis Leipzig ) scheint eine bedauerliche Unterlassungsfünde begangen worden zu sein. Auf Erkundigungen hin wird uns nämlich geschrieben, daß ein Wahlproteft gar nicht eingereicht sei. Ganz sicher ist dies noch nicht, jedoch ist die Hoffnung, daß es anders sei, leider nur eine sehr geringe. Das Material für deu Protest war recht­zeitig gesammelt( und es reichte für 10 Protefte aus der 13. Wahl­

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treis ist bekanntlich die Agitationsdomäne des Sparig!) und einem Ge­nossen zur Bearbeitung rechtzeitig übergeben dieser ward aber gerade um jene Zeit auf Grund des famosen Belagerungszustands- Paragraphen aus Leipzig ausgewiesen. Und das mag die rechtzeitige Einreichung verhindert haben.

Nachschrift. Es bestätigt sich leider, daß der Wahl- Protest von unserm Genossen im 13. sächsischen Wahlkreis nicht eingereicht worden ist. In der Wahlprüfungskommission des Reichstags weiß man nichts von einem solchen Protest!

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Das Krantentassengesetz wäre um ein Haar an§ 1, A ( handelnd von der Ausdehnung des Gesetzes auf die ländlichen Arbeiter) gescheitert. Zwar hatte die Kommission diese Ausdehnung sehr stark ver­flausulirt und fürsorglich so viel Hinterthürchen verfertigt, daß man ohne Uebertreibung sagen kann: sie habe die Regel bloß festgestellt, um hinten­nach die Ausnahmen zur Regel zu machen allein immerhin ging die Sache den Herren Junkern wider den Strich, und, da die Reichsregie­rung die Anwaltschaft für den armen Mann so versteht, daß sie sich ver­pflichtet hält, für Junker und Bourgeois einzutreten, so erklärte Herr Scholz, der gegenwärtige Parlaments- Hanstnecht Bismards, das Gesetz für unannehmbar, wenn der§ 1, A beibehalten würde. So bot sich eine vortreffliche Gelegenheit, das jammervolle Gesetz in der Geburt zu ersticken. Dank den fehlerhaften Arrangements des Herrn Eugen Richter , welcher den Mitgliedern der Fortschrittspartei bei Beginn der Pfingstferien die positive Versicherung ertheilt hatte, vor der dritten Lesung der Gewerbe­ordnungs- Novelle sei die Anwesenheit nicht absolut nothwendig, waren, bei der entscheidenden Abstimmung am 25. Mai, die Bänke der Fort­schrittspartei leer, und der unbequeme Paragraph wurde mit 136 gegen 134 Stimmen, den Wünschen der Regierung gemäß, aus dem Gesetz ent­fernt. Herr Eugen Richter würde einen so groben Fehler nicht haben begehen können, wenn er von der Tragweite der sogenannten Arbeiter gesetzgebung" eine Ahnung hätte.

- Die willkürliche Verhaftung der Reichstagsabgeordneten Diet, Frohme, Vollmar( nach dem Kopenhagener Kongreß) tam am 26. Mai in der Geschäftsordnungskommission, vor welche die An­gelegenheit bekanntlich verwiesen worden, zur Berathung. Ueber das Resultat derselben heißt es, daß die Kommission in Bezug auf die Verurtheilung des Borgehens der Polizei einstimmig sei, und dessen Ungesetzlichkeit nicht bezweifle; in Bezug darauf, was gegen die betheiligten Polizei­beamten zu thun sei, herrsche jedoch Meinungsverschiedenheit."- Kurz, es wird wieder die bekannte Wasch- mir- den- Pelz- und- mach- mich- nicht- naß­Praxis befolgt werden, und namentlich soll Herr Windhorst, die Perle

von Meppen ," für diese der Regierung bequemfte Lösung gearbeitet haben. Die kleine Erzellenz apportirt noch willfähiger als weiland Lasker . Das einzig Gute ist, daß die Sache demnächst an dem Reichstag zur Be­sprechung kommen muß, und dann unsere Abgeordneten in der Lage find, die schmach volle Bolizeiwirthschaft gebührend an den Pranger zu stellen und nach allen Richtungen hin rücksichtslose Kritik zu

üben.

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Aus Frankreich . Der Kongreß der Union Fédérative" des Zentrums der sozialistisch- revolutionären Arbeiterpartei hat seine Sigungen beendet. Die deutsche Presse hat es für gut befunden, lediglich eine Episode dieses Kongresses, den in Handgreiflichkeiten ausartenden Kampf mit den Anarchisten, ihren Lesern mitzutheilen. So bedauerlich nun auch solche Vorgänge find, so müffen wir unsere Genossen in Deutsch­ land doch davor warnen, nach ihnen den Stand der Arbeiterbewegung in Frankreich überhaupt beurtheilen zu wollen. Das sind Dinge, die überall vorkommen können, und namentlich da sehr leicht passtren, wo die Parteiverhältnisse noch nicht vollständig geklärt find. Auch im vor­liegenden Falle ist vielleicht ein nicht geringer Theil der Schuld der viel­deutigen Form der Kongreßeinladung zuzuschreiben, auf welche die An­archisten sich berufen durften.

Was die Berathungen selbst anbetrifft, so verbietet uns deren Aus­dehnung eine auch nur summarische Wiedergabe derselben. Es wurde auch diesmal der Modus beobachtet, daß zu jeder einzelnen Frage der Tages­ordnung die einzelnen Gruppen meist vorher ausgearbeitete Gutachten abgaben, so daß man von einer eigentlichen Diskussion mit Rede nnd Gegenrede nicht sprechen kann. Einzelne dieser Voten find übrigens sehr interessant und legen Zeugniß ab von dem Eifer und der Sorgfalt, mit allerdings sehr naive ökonomische Anschauungen. der die betreffenden Gruppen die Fragen studirt haben. Andere verrathen

Diese Gutachten wurden alsdann von einer dazu bestellten Kommission zusammengestellt und auf Grund derselben dem Kongresse Resolutionen zur Annahme vorgelegt.

öffentlichen Dienste in Staat und Kommune". Es freut uns, daß der Von diesen Resolutionen veröffentlichen wir zunächst die betreffs der Kongreß der Verführung, sich auf Grund der famosen, Theorie der meinnützigen Gesellschaften" zu stellen, nicht anheimgefallen ist, sondern öffentlichen Dienste" des Herrn Brousse auf das Niveau der Ge­die Grundsätze des revolutionären Sozialismus vorangesetzt hat. Die betreffende Resolution lautet:

" In Erwägung, daß die Konkurrenz in jedem Zweige der Produktion und des Handels durch den Sieg der Einen und die Niederlage der großen Mehrzahl zur Schaffung von Monopolen zu Gunsten Einzelner führt;

daß die Gesellschaft in Bezug auf ganze Produktionszweige nicht von der Gnade Einzelner abhängen, darf;

daß es daher der Gesellschaft obliegt, in ihrer organisirten Form, als Staat, einzugreifen und das Monopol durch öffentliche Dienstleistungen zu ersetzen, die entweder unentgeltlich oder zum Kostenpreis verrichtet werden;

in Erwägung jedoch, daß diese Einrichtung öffentlicher Dienstleistungen unter der politischen Herrschaft der Bourgeoisie immer zum Vortheil der Kapitalisten, sehr oft aber zum Schaden der Arbeiter ausfällt;

daß, wenn daher auch in einzelnen Fällen selbst in der heutigen Gesell­schaft die Forderung der Errichtung öffentlicher Dienste geboten erscheint, das Proletariat die Bourgeoisie von der Herrschaft verdrängen muß; beschließt der Kongreß:

die als besondere politische Partei organisirte Arbeiterklasse muß als unmittelbares Ziel die Eroberung der politischen Gewalt im Auge haben, um die Umwandlung der Privatproduktion in gesellschaft­liche selbst beschleunigen und leiten zu können;

der Regionaltongreß des Zentrums drückt den Wunsch aus, daß diese wichtige Frage auf die Tagesordnung des nächsten Jahreskongresses gesetzt und daß dort diskutirt werde, wie und durch wen die öffentlichen Dienste zu organisiren sein werden.

Der Schlußpaffus scheint uns den Werth der Bewilligung eines an­ständigen Begräbnisses zu haben.

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Sehr interessant für unsere Leser dürften die Beschliffe des Kongresses in Bezug auf die Frage sein: Die Einwanderung auslän- discher Arbeiter in Frankreich und die durch sie be wirkte Lohntonturreng."

Wir können über die taktvolle Behandlung dieser Frage seitens der von der Konkurrenz der Ausländer recht stark beeinträchtigten Bariser Arbeiter nur unsere hohe Befriedigung ausdrücken. Bis jetzt liegen uns allerdings nur die Gutachten vor. Wir verschieben unseren Bericht, da­rüber, bis uns auch die betreffende Resolution zugegangen sein wird.

Am lezen Sonntag, den 27. Mai, als dem Jahrestage der Nieder­megelung der Kämpfer der Pariser Kommune , zogen die Revolutionäre aller Schattirungen hinaus auf den Père- Lachaise , um das Andenken der Gefallenen zu ehren. Die Gräber wurden mit prachtvollen Kränzen und Schleifen geschmückt auch die Provinz hatte solche geschickt- revolutionäre Ansprachen wurden gehalten, alle Versuche, Zwiftigkeiten zu provoziren, aber energisch niedergehalten. Es mochten im Ganzen 8000 Personen an der Demonstration theilnehmen. Die Polizei war maffenhaft aufgeboten, fand aber keine Gelegenheit einzuschreiten.

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Korrespondenzen. Berlin

, 20. Mai. Der Kampf gegen das Ausbeutungssystem schreitet tüchtig vorwärts. In einer heutigen bis auf den letzten Platz überfüllten Maurerversammlung wurde einstimmig der Streit beschloffen, welcher morgen schon beginnt und voraussichtlich mit gutem Erfolg. Die Forderung beträgt vier Mart pro ( Nach den neuesten Berichten ist der Streit bereits zum größten Theil beendet und wird nur noch partiell fortgesetzt.)

Tag.

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Halle a/ S., 23. Mai. Als Antwort auf die jüngsten polizeilichen Verfolgungen wurde hier am vorigen Sonntag das folgende vielfach bekannte, aber immer noch treffliche und zutreffende Gedicht in einer Anzahl von mehreren tausend Exemplaren verbreitet:

Der Ochs und das Morgenroth. Ein wohlgenährter Vollblutstier Verließ einstmals sein Nachtquartier Sehr früh und ging um's Morgenroth Spazieren in dem Straßenkoth.

Das horngekrönte Haupt gesenkt, Geht er dahin und sinnt und denkt; Denn heutzutage denkt das Vieh Sogar und treibt Philosophie!

So trabt er mit bedächt'gem Sinn Zum nahen Fluß, zur Tränke hin; Da, wie er blickt zur Fluth hinein, Glänzt grell des Frühroths Widerschein. Des Morgenhimmels Glanz und Zier, Sie blenden unsern Vollblutstier; Das Rindvieh ist, wie allbekannt, Dem Rothen nicht sehr zugewandt.

Auch unser Ochs verfiel dabei In nicht gelinde Raserei;

Er brüllt und droht, doch was er droht, Es glühet fort das Morgenroth.

Das war zu viel! In blinder Wuth Stürzt der Gehörnte in die Fluth. Der Ochs ersoff doch gibt es hie Noch manches Stück von solchem Bieh.

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Die Polizei merkte während der Verbreitung absolut nichts, so daß dieselbe ohne jede Ruheftörung erfolgte. Gegen Abend aber sah man sämmtliche Träger der Polizeiwürde, vom niedersten Polizisten bis zum Polizeirath, besonders aber den Commissarius Grosse, sich immer wieder verzweiflungsvoll an die Stirne greifen! Wunderbarer Weise fanden sie aber Nichts! Meerane

, 24. Mai 1883. We berstreit ausgebrochen. Anläßlich der schon seit Jahren seitens unserer Fabrikbefizer beliebten Hungerlöhne fühlten sich die Arbeiter endlich einmal veranlaßt, am 12. Mai in der Fabrik von Straff und Sohn die Arbeit einzu­stellen; die Besitzer derselben gaben jedoch der von den Arbeitern gestellten Forderung von 75 Pfg. pr. Stück schon am 16. ds. Mts. nach, und wurde die Arbeit alsbald wieder aufgenommen.

Gleichzeitig wurde auch in den Fabriken von C. F. Schmieder und Kompagnie, L. Thieme u. Tie. gleiche Lohnzulage angestrebt, da dieselbe jedoch nicht berücksichtigt wurde, so ist am 17. d. M. in beiden Fabriken die Arbeit eingestellt worden. Die uns von den Fabrikbefizern daraufhin versprochene Lohnzulage von 25-50 Pf. wurde in der am 19. d. M. stattgefundenen Versammlung für ungenügend und der Streit in Permanenz erklärt.

Wenngleich die Stimmung unter den Arbeitern als ausgezeichnet zu betrachten ist, so muß doch berücksichtigt werden, daß dieselben érst furz vorher eine mehrwöchentliche Arbeitspause durch­gemacht haben und daß die Lage der streikenden Kollegen in Folge der ungünstigen Erwerbsverhältnisse eine sehr traurige ist.

Wir wenden uns daher an alle Kollegen mit der Bitte, uns in unserem Streben nach Verbesserung unserer Lage zu unterstützen, indem wir zu jeder Zeit erbötig sein werden, in gleichen oder ähnlichen Fällen anderen Kollegen gegenüber unseren Verpflichtungen nachzukommen.

Die Zahl der Streifenden beläuft sich ungefähr auf 800.

Da die schlechten Erwerbsverhältnisse uns in unserem politischen Vor­gehen sehr hindernd im Wege stehen, so bitten wir um die möglichste Verbreitung( hauptsächlich in Amerika !) dieser Ankündigung.

Der Lohn der Streifenden belief sich seit zwei und drei Jahren auf sechs, sieben und acht Mark pro Woche!! Meerane

, 24. Mai 1883.

Mit Gruß!

Das Komite der streitenden Weber: Bittor Friedemann, Karlstraße 30.

NB. Alle Gelder bitten wir zu senden an: Hermann Pöhler, Restaurateur, Heinrichstraße.

Die Redaktion des Sozialdemokrat" hat sofort nach Eintreffen dieses Berichtes ein Flugblatt angefertigt und an alle ihr bekannten Adressen im Auslande versendet. Dieses Flugblatt schließt mit folgendem Appell, der auch in Deutschland beherzigt werden mag:

Genossen allerorts! Wir empfehlen Euch dringend, nach Kräften dem Wunsche unserer braven Meeraner Freunde zu entsprechen. Namentlich aber Jhr, Genossen in Amerika , wollet die Gelegenheit nicht versäumen, Eure Brüder in der alten Welt kräftigst zu unterstützen. Sorgt dafür, daß namentlich die Fachgenossen der Streiten­den drüben von dem Kampf erfahren und alsdann das Ihrige thun. Der Sieg der Meeraner wird der ihre sein, ihre Niederlage aber würde vermehrte Auswanderung und Unterbietung von Arbeits­fraft und Arbeitsprodukt auf dem Weltmarkt zur Folge haben!

Fürchtet auch nicht, daß Eure Unterstützung zu spät kommen werde. Wenn auch selbst bei Eintreffen derselben der obenerwähnte Kampf schon beendet sein sollte, so würde das Bewußtsein, daß sie auf die Unter­ftützung ihrer Kollegen, der besser fituirten Arbeiter, rechnen dürfen, auf die Arbeiter nicht nur Meerane's, sondern auch der ganzen erzgebirgischen Industrie im höchsten Grade ermuthigend wirken, der Sieg würde be festigt und allgemein, eine Niederlage aber wieder ausgewegt werden! Genossen allerorts! Bedenkt, daß ein ausgehungerter Arbeiterstand auch unfähig ist zur Erringung seiner politischen Unabhängigkeit! Denkt an das Dichterwort:

Brod ist Freiheit, Freiheit Brod! Es lebe die internationale Solidarität aller Arbeiter! 3ürich, 26. Mai 1883.

Die Redaktion des, Sozialdemokrat." Mainz , im Mai. Zur Antisemiterei. Wenn in einem Haushalt oder Geschäft die Verhältnisse unbefriedigend sind, so greifen Diejenigen, denen man irgendwie eine Schuld zumessen könnte, oftmals zu den lächerlichsten Entschuldigungen. Wie dies im Kleinen der Fall ist, so verhält es sich im Wesentlichen auch im großen Haushalt der Staaten und Völker. Seit Gründung des neuen deutschen Reiches ist Manches an uns vorübergegangen, das zur Entschuldigung für all' die mißlichen Zustände dienen mußte, um dadurch der Aufmerksamkeit des Volkes die Wurzel und Ursache der allgemeinen Misere zu entziehen. Als die Wogen des Kulturkampfes noch hoch gingen und von der Oberfläche des politi­schen Lebens viele ernste Fragen hinwegspillten, sollte es abwechselnd die schwarze und rothe Internationale sein, die den Frieden im Innern störten und hauptsächlich das Nichteintreffen des gewünschten Glückes verschuldeten.

Die Sozialdemokratie aber mußte mehr als jede andere Partei als Sündenbock herhalten, bis die Zeit der Attentate tam und den Reaktio­nären aller Parteien einen billigen Vorwand zur Genehmigung eines Ausnahmegesetzes gab. Die Aufwiegler" waren dadurch zunächst von der Oberfläche verdrängt, aber die längstgehoffte Zufriedenheit wollte auch jetzt noch nicht Einkehr halten in den Hütten der Armen und Be­drängten, deren Lage mit jedem Tage schlimmer wurde und noch wird. An Stelle gerechter und vernünftiger Reformen, die von der Regierung und den herrschenden Klassen als segenbringende Geschenke in Aussicht ge­stellt worden waren, was jedoch kein Arbeiter jemals ernst nahm, trat der Polizeityrann, um jedes Verlangen nach dem Versprochenen möglichst zu hintertreiben, und jede Kundgebung der Arbeiter zu verhindern. In­zwischen verfielen Stöcker und seine Hintermänner auf die Idee der Anti­semiterei, um dadurch einen neuen Sündenbock für die verderbliche Zeit dem Volte zu zeigen. Die schwarze Internationale hatte ihr theilweise demokratisches Programm mit reaktionären Forderungen im Sinne un­ferer Konservativen vertauscht, die rothe Internationale war durch Gesetz am öffentlichen Wirken verhindert, trotzdem aber herrschte der alte Ullebel­stand im ganzen Lande fort und Jedermann sah ein, daß alles Ver­sprochene eitel Humbug war. Wenn der Teufel in Noth ist, frißt er Fliegen, warum sollten Stöcker und Konsorten nicht dazu kommen, die ,, jüdische Internationale" als Ursache unserer miserablen Zustände hin­zustellen, um das Volk vom rechten Weg abzubringen und ihre eigene Schuld zu verschleiern? Während an manchen Orten die Antisemiterei bereits im Abnehmen begriffen ist, indem das Volk die Lächerlichkeit dieses Windmühlenkampfes eingesehen hat, treten an anderen Orten Leute hervor, die gern die Bewegung wieder anfachen wollen, um mittels derselben zunächst ein Geschäft zu machen; denn Prinzip ist solchen Per­sonen bei allen derartigen Dingen nebensächlich.

So hat denn auch Mainz seit drei Monaten sein antisemitisches Wochenblatt, das, nebenbei bemerkt, auch start tonservativ ist. Gründer und Macher ist ein bei der letzten Reichstagswahl aus dem ultramontanen Lager zu der Sozialdemokratie übergegangener Schwärmer, der auch noch einen anderen sogenannten Führer der Partei, nebft zweifelhaftem Anhang, auf seiner Seite vereinigte und eifrig bestrebt war, die Vertrauensleute auf dem Lande zur Kolportage daselbst zu benutzen, was allerdings nicht gelang, denn der gesunde Sinn unserer Leute ist über einen solchen Rummel hoch erhaben. Es ist nur zu wünschen, daß derartige alsbald der Lächerlichkeit verfallende Manöver nicht dazu führen, die Kräfte und Zeit der Partei zu vergenden und die wahren Ziele des Sozialismus aus den Augen zu verlieren. Alle anderen Parteien find uns gegenüber eine reaktionäre Masse und alle Ausbeuter, ob jüdisch oder nicht, sind dem Volkswohl als solche schädlich. Junker und Pfaffen aber sind diejenigen, deren Bestreben mindestens ebenso schlimm ist, als das jüdischer und christlicher Geldprozen. Junker und Pfaffen, die gerne die Juden aus dem Lande verjagen möchten und start in Antisemiterei machen, sind um kein Haar besser als der auf seinen Geldsack pochende Bourgeois.