Der Sozialismus in Nordamerika .

Aus dem

Bericht über amerikanische Parteiverhältnisse, erstattet dem in Kopenhagen am 29. März zu eröffnenden Parteitage, im Auftrage der Sektion New york , Sozialistische Arbeiterpartei der Vereinigten Staaten .

( Schluß.)

Sozialistische Gewerkschaften.

Ich sprach oben von einer Ausnahme mit Bezug auf die verhält­nißmäßige Erfolglosigkeit der Sozialistischen Arbeiterpartei " als einer politischen Partei. Diese Ausnahme ereignete sich bei Gelegenheit der letzten November- Wahl in der Stadt Newyork .

Das Streben unserer Partei nämlich auf Reformirung der nach altem, englischem Muster organisirten Gewerkschaften ist vielfach mit Erfolg ge­trönt worden, so zwar, daß nicht allein eine große Anzahl unserer Mit­glieber thatsächlich die leitenden Kräfte in den Gewerkschaften bilden, sondern daß wir auch eine ganze Anzahl vollständig sozialistisch redigirter Gewerkschaftsblätter in englischer, deutscher und böhmischer Sprache auf­zuweisen haben, wie z. B. Carpenter"," Progreß"," Möbelarbeiter", " Hammer" u. s. w.

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Den bedeutendsten Erfolg aber errangen wir in Newyork , als es uns im letzten Sommer gelang, einen großen Theil der Gewerkschaften zu einer , Central- Labor- Union" zu vereinigen, mit der ausgesprochenen Tendenz, als selbständige Arbeiterorganisation, getrennt von den alten Parteien, in ben politischen Kampfzu ziehen. Mit dieser, Central- Labor­Union" vereinigt, gaben wir im letzten Herbst in Newyork , auf ein durch­aus sozialistisches Campagne- Programm hin, für der Zahl nach über­wiegend sozialistische( die übrigen bona fide Arbeiter-) Kandidaten eine bedeutende Stimmenzahl ab. Wenn es uns gelingt, die politischen Kor­ruptionisten, die sich, der Bedeutung dieser Organisation wohl bewußt, in diese zu drängen suchen, draußen zu halten, so haben wir, nach diesem Muster in den anderen Städten weiter arbeitend, den festen Punkt unter den Füßen gewonnen, den wir haben müssen, um die alten politischen Parteien aus den Angeln zu heben. Jedenfalls werden wir in dieser Richtung, trot möglicher Fehlschläge, mit allem Eifer weiter arbeiten. Allgemeine Wirkung der sozialistischen Propaganda. Hat so die Sozialistische Arbeiterpartei " der Vereinigten Staaten als politische Partei nur vorübergehende Triumphe und augenblicklich keinen allzuglänzenden Stand aufzuweisen, kann sie sich mit Bezug auf sozia­listische Reorganisation der Gewerkschaften schöner Erfolge rühmen, so ist die Wirkung, die sie im Denken des Volkes, im Bewußtsein der Massen und in der Anschauung der Presse und hier spreche ich selbstverständ­lich von dem Gesammtvolte und von der Gesammtpresse der Union hervorgebracht, eine ganz außerordentliche und wahrhaft revoln lutionäre. Nur mer mindestens 10 Jahre in den Vereinigten Staaten gelebt, kann das Tiefgreifende dieser Umwälzung ermessen. So unglaub­lich es klingt, so ist es doch buchstäblich wahr: die ununterbrochene, sich ftetig ergießende Fluth unserer fast rein deutschen Agitation in Wort und Schrift ist durch tausend Kanäle und Spalten auch auf die Felder des öffentlichen englisch - amerikanischen Lebens gefickert und hat dieselben be­fruchtet.*) Der Ton der Preffe, die Platformen der Parteien, vor Allem die immer sozialistischer werdenden Forderungen der in tausend Logen, Geheimbünden und Gewerkschaften organisirten englischen Arbeiter beweisen dies zur Genüge. Was vor zehn Jahren noch als verderblich und gegen die Natur des Menschen verstoßend" verschrieen wurde, wird heute als selbstverständliche Forderung einstimmig anerkannt, was damals als absurd verlacht wurde, wird wenigstens heute ernsthaft diskutirt. Die alten Par­teien überbieten sich darin, ihre Wahlprogramme mit sozialistischen Ge­dankenspähnen und lebergangs"-Planten auszuftaffiren. Die Jdeen von dem Gemeinbesitz des Grund und Bodens haben, besonders seit Henry George , tiefe Wurzeln im Bewußtsein des Volkes geschlagen und die, auf Drängen der Arbeiter, in einzelnen Staaten organisirten Bureaus für Arbeitsstatistik weisen das Unzulängliche der wages"( Löhne) un­widerleglich nach und leisten der Propaganda für genossenschaftliche indu­strielle Produktion mächtig Vorschub, genau so wie der Uebermuth der Eisenbahn- und Telegraphen Monopolisten unserer Forderung von der Uebernahme aller Verkehrsmittel durch den Staat in überraschender Weise förderlich ist. Es bedarf nur des Anstoßes, einer neu hereinbrechenden Krisis, um die durch die sozialistische Propaganda im innersten Kerne ihres Wesens verwandt gemachten Elemente rasch zu krystallisiren und sie zu Organisationen von einer Mächtigkeit und einem Zielbewußtsein zu­sammenzuschmieden, wovon man bei der letzten Panik nur vereinzelte Ansäze gehabt hat. Daß sich bei diesem Stand der Dinge die herrschenden Klassen, insbesondere deren Führer, die Herren Monopolisten, auf den letzten Kampf sorgfältig vorbereiten, versteht sich von selbst. Die Zeit rückt heran, da sie die Gewalt, welche sie über die Gesetzgebung und die Gerichte des Landes thatsächlich besigen, in der rücksichtslosesten Weise gegen die Emanzipationsbestrebungen des arbeitenden Volkes ausbeuten werden, und es dürften sich dann in den Vereinigten Staaten Dinge ereignen, wovon man sich heute in der alten Welt und vielfach auch in der neuen noch nichts träumen läßt.

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Dann aber wird auch Alles verschwinden, was uns heute die Propa ganda noch schwierig macht und oft genug unsere schon halbgewonnenen Erfolge wieder in Frage stellt: die inneren Zerwürfniffe, welche zum Theil nur entstehen, weil der gemeinschaftliche Feind nicht so deutlich und scharf martirt ist wie in der alten Welt; die Fiktion der absoluten, politischen Freiheit, welche lettere bald genug durch Gesetze" beschränkt werden wird; das verhältnißmäßige Wohlergehen, welches einem mit mit zahlreichen ökonomischen, verluftvollen Kämpfen durchsetzten mith­feligen Ringen um die tägliche Existenz Plazz machen wird.

Daß die Partei sich dann ihrer Aufgabe gewachsen zeige, darauf tommt Alles an. Und auf diesen Moment milffen wir uns schon jetzt vorbereiten.

Die grünen" Sozialisten.

Die Jahre 1874 und 1875 und später die Jahre nach Erlaß des Sozialistengesetzes waren es hauptsächlich, welche große Maffen deutscher Sozialisten an die amerikanischen Küften warfen. Ein Theil dieser grit­nen" Sozialisten, wie sie drüben wohl scherzweise genannt werden, wandte fich sofort von jeder Agitationsthätigkeit ab und nur dem einen Ziele des Erwerbens zu. Es ist dies selbstverständlich nur ein sehr geringer Prozentsatz der Neueingewanderten. Unsägliches materielles Elend, das fie in Folge ihrer Agitation in der alten Welt erlitten, und der Wunsch, sich nun endlich davon zu befreien, mag die Grundursache ihrer Hand lungeweise gewesen sein. Andere, besonders ältere Agitatoren, können bei allem Streben nur ein fümmerliches Brod finden, da sie sich in die neue Arbeitsweise nicht mehr hineinfinden können. Dennoch halten sie treu und ehrenhaft bei der Partei aus. Der weitaus größte Theil hat sich mit wahrhaft befruchtendem Eifer auf die Propaganda geworfen, wobei leider zwei Mißstände hemmend einwirken: zunächst die Thatsache, daß fie alte persönliche Reibereien in die neuen Verhältnisse mit herüberbringen, und dann, daß ihr Blick noch zu sehr der alten Heimath zugewandt ist. Indeß befreien sie sich von diesen natürlichen Mängeln mehr und mehr und lernen auch die politischen Methoden ihrer neuen Heimath nach und nach beffer würdigen und handhaben.

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Der übrige Theil des Berichtes bezieht sich auf die noch in der Ent­wicklung begriffene sogenannte sozialrevolutionäre" oder anarchistische"

*) In einer neuern Nummer der Americain Review wird in einem Jammerartikel dieser ,, destruktive Einfluß" der deutschen Sozialisten ausdrücklich quittirt. Anm. der Red.

Bewegung in Amerika , sowie auf die übrigen, die Parteiverhältnisse in Deutschland betreffenden Punkte des Kopenhagener Kongresses.

In Bezug auf die Stellung zu dem deutschen Parlamentarismus be­tont der Bericht, daß unsere deutsch - amerikanischen Parteigenoffen, wohl wissend, daß der letzte entscheidende Kampf nicht in den Parlamenten ausgefochten werden wird, die Wahlbetheiligung und die Thätigkeit un­serer Abgeordneten im Reichstage wesentlich als werthvolle Mittel der Propaganda auffaffen und fast einzig und allein nach diesem Maßstab die Haltung der sozialistischen Abgeordneten beurtheilen.

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Sozialpolitische Rundschau.

Zürich , 18. Juli 1883.

- Vom allzuvielen Wissen hat er sicherlich teine Kopfschmerzen gehabt, der kleine 2aster, als er am 23. Juni in New- York eintraf. Ein Mitarbeiter der New- Yorker Volkszeitung" war dem großen Parlamentarier" entgegengefahren, um ihn über den Zwed seiner Reise und seine Auffassung von der politischen Situation in Deutschland zu interviewen", erhielt aber auf die meisten Fragen nur Antworten, wie darüber habe ich mir noch keine Ansicht gebildet", ,, eine solche Frage zu beantworten, ist sehr schwierig"," darüber könnte man Bände von Leitartikeln schreiben"( warum nicht reden?) und der­gleichen mehr. Die ganze Jämmerlichkeit des deutschen Liberalismus tritt uns in dem Vertreter für Meiningen II. entgegen, und dabei gehört derselbe noch so unglaublich es klingt zu den entschiedensten Mitgliedern seiner Fraktion. Freilich will das Wort entschieden" da wenig bedeuten, es besagt nur, daß Herr Lasker von Zeit zu Zeit Anwandlungen von Grundsätzen bekommt, alsdann eine oder mehrere schöne Reden hält, worauf der Anfall vorüber ist und der Realpolitiker wieder zum Vor­schein kommt. Und was man in Deutschland Realpolitik nennt, ist bekannt: das ängstliche Zurückweichen vor jeder realen Lösung politischer oder wirthschaftlicher Fragen, das Nichtanstoßenwollen um jeden Preis, die Vermeidung jeglichen Konfliktes, die Aufrechterhaltung der Lüge vom ,, Monarchen, der über den Parteien steht" 2c. 2c. Diese Sorte von Politikern ist so tonsequent inkonsequent, daß man nicht einmal einen gesunden Haß gegen fie empfinden kann, fie können nur Mitleid oder Verachtung erregen.

Einem Redakteur der New- Yorker Staatszeitung" gegenüber zeigte sich Herr Lasker mittheilsamer, allerdings nur, um sich eine tolossale Blamage zuzuziehen. Auf die Frage, ob es wahr sei, daß sich die materiellen Verhältnisse der unteren Klaffen in Dentschland fortwährend verschlechterten, antwortete er mit Nein! und gab als Beweis für seine Behauptung an, daß im Gegentheil das Nationalvermögen gestiegen sei. Herr Lasker hat also gar keine Ahnung davon, daß Nationalreichthum und Volkswohlstand zwei grundverschiedene Dinge find, daß der erstere sehr wohl steigen kann, während der letztere fällt, daß in der bürgerlichen Gesellschaft dieses Verhältniß sogar ein wirth, schaftliches Naturgeset" ist denn mit dem Reichthum steigt die Konzen­tration der Industrie und mit dieser die Expropriation des Mittel­standes, und diese heißt Vermehrung des Massenelendes. Er hat keine Jdee von den Ergebnissen der Steuerstatistik, welche dieses Abnehmen des Mittelstandes so unverkennbar zu Tage treten lassen, daß selbst ein Soet beer sich gezwungen sah, es zu konstatiren; er hat keine Idee von den Lohnkämpfen, welche die deutschen Arbeiter zu führen ge­zwungen sind, um sich vor der rapiden Verelendigung zu schützen, er weiß nicht einmal, was in seinem eigenen Wahlkreise vor­geht, wo, wie Say in seinem Buche ,,, die Hausindustrie in Thüringen ", nachgewiesen hat, der Nothstand der Massen immer größer wird, kurz, er ist, wie seine liberalen Kollegen insgesammt, blind, blind, blind, er sieht nicht, er will nicht sehen. Darum brachte er es auch fertig, auf die Frage des Mitarbeiters unseres Bruder organs, ob in Deutschland bald eine Revolution stattfinden werde, zu antworten, es fehle in Deutschland an Gründen zu einer Revolution, und ,, die Sozialisten haben gar teine Bedeutung."

Die Wahl in Hamburg war eine treffende Antwort darauf. Ob fie aber Herrn Lasker belehrt hat? Schwerlich. Wie er die Reaktion nicht sehen wollte, bis sie ihn am Kragen hatte, so wird es ihm auch mit der Revolution gehen: er und seine Freunde werden eines Tages zu ihrer Ueberraschung merken, daß sie bereits mitten in der Revolution drin stehen, die sich nicht ankündigt, wie ein Spektakelstück, sondern die sich vollzieht, als ein historisches Ereigniß, das unscheinbar beginnt und in seinem Verlaufe immer größere Dimensionen annimmt.

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Zur Wahl in Kiel . Wenn diese Nummer in die Hände unserer Leser gelangt, ist das Resultat der am 20. Juli in Kiel er­folgenden Reichstagswahl bereits bekannt. Dennoch dürfte der nach­stehende Stimmungsbericht aus Parteitreisen, nicht zu spät kommen.

,, Riet, 10. Juli 1883. Mit sozialdemokratischem Gruß! Schon lange ist es her, seit aus unseren nordischen Gefilden, insbesondere aus Kiel und Umgegend, ein Lebenszeichen in die Oeffentlichkeit gedrungen ist. Die Parteigenoffen müffen jedoch nicht glauben, daß hier Alles schläft. Mit nichten, hier wird gewühlt und gearbeitet, wie es unter dem , beautiful exception law"( fchönen Ausnahmegesetz), ohne die Aufmert­samkeit der Spione und Polizisten auf uns zu ziehen, nur immer möglich ift. Gehaussucht wird freilich übergenug, wenn auch natürlich stets ohne Resultat. Namentlich jetzt, da der Tag der Wahl immer näher heran­rückt, wo es heißt Hie Heinzel! hie Hähnel!", erfreuen wir uns der liebevollsten Aufmerksamkeit der Hochlöblichen.

So flein nun die Zahl der hiesigen Parteigenossen auch ist, welche furchtlos und in enger Verbrüderung zur Fahne halten, um den Unverstand der Massen, der uns hier, trop der langjährigen Agita­tion, noch immer dicht umlagert, zu durchbrechen, so laffen wir es bei der bevorstehenden Reichstagswahl doch in keiner Weise an der gewohnten Rührigkeit, welche nur unserer Partei eigen ist, fehlen, um ein günstiges Resultat für unsern Kandidaten Stephan Heinzel , Schneider in Kiel , zu erreichen. Es wird dies allerdings äußerst schwer halten, denn in den um Kiel herumliegenden Ortschaften und Gütern spielen die meisten Gutsherren, wie wohl bekannt sein dürfte, Ankläger, Richter und Henker zugleich, und wirken so in jeder Weise auf die Be­wohner ein. So lieferte z. B. die Ortschaft Blumenthal, wo wir früher für unseren Kandidaten sehr viele Stimmen erhielten, beim letzten Wahlgang nur eine sozialistische Stimme. Der Grund hiefür ist der, daß die in genannter Dorfschaft wohnenden Grundbefizer nach bekannt gewordenem Wahlresultat den Arbeitern Fuhren, welche diese sonst lei­fteten, Stroh, Milch und sonstige zum Lebensunterhalt nöthige Mittel, entzogen: Daut dieser Maßregel wurden alle bis auf einen topfschen und wählten gar nicht.( Ein lehrreicher Beitrag zur Kritik des freien" Wahl­rechtes. Die Red.)

Die früher von uns befolgte Taktik und Organisation bei der Reichs­tagswahl ist soviel wie irgend möglich verbessert, um sowohl eine wirk­famere Hausagitation als auch bei der Verbreitung von Flugblättern eine schnellere Erledigung zu erzielen.

Die auf den gestrigen Tag, den 8. Juli, in Aussicht genommene Berbreitung von 10,000 Flugblättern, betreffend die Wahl unseres Kan­didaten zum Reichstagsabgeordneten, wurde binnen 1, Stunden voll­führt, ohne daß die Polizei etwas ahnte. Sie merkte erst von der Ver­breitung, als diese bereits geschehen war.

Drum Brüder aller Orten, Jm Süden und im Norden, Jm Osten und im West, Haltet, haltet feft!

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Wie es auch sich wende Eure Hand zum Schwur:

Bis zum Lebensende Treu wie Ronsdorf schwur!"

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Pataché.

Da ein weiterer Brief aus Kiel über Mangel an den nöthigen Geld­mitteln flagte, so hat die Verwaltung des Sozialdemokrat" im Ver­trauen auf die Opferwilligkeit der Genossen, wie beim Meeraner Streit, sofort einen größeren Betrag ausgelegt und nach Kiel geschickt. Da es nun außerdem möglicherweise zu einer Stichwahl zwischen Heinzel und Hänel kommen wird, so ist eine weitere Ur­sache vorhanden, nach Kräften für Kiel zu sammeln.

Genossen! Es wäre einer unserer schönsten Triumphe, wenn es uns gelänge, den Mann, der die Verschärfuug der( politischen) Strafgefete anempfahl durch einen bewährten Kämpfer für die volle politische und soziale Befreiung des Volkes zu ersetzen. Laßt daher kiel nicht im Stich!

Beiträge sind an die bekannten Adressen in Deutschland oder an die Expedition des Sozialdemokrat" zu richten.

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Der Lohnkampf in Deutschland . Das Hauptinteresse nimmt zur Zeit der Kampf der Schreiner Stuttgarts gegen die unverschämtheit der dortigen Prinzipale in Anspruch. Wir erhalten darüber folgende Zuſchrift: ,, Stuttgart , 14. Juli. Wegen Lohndifferenzen und schlechter Behandlung stellten in der hiesigen Möbelfabrit von G. Schöttle 128 Arbeiter die Arbeit ein. Ein Fauftschlag in's Gesicht der Stutt garter Gesammtarbeiterschaft seitens des hiesigen Vereins der Möbel­fabrikanten war die Antwort. Sämmtliche Möbelfabriken wurden ge­schloffen und die Arbeiter, 720 Mann, wurden auf's Pflaster geworfen. Und der Grund!? Die Herren Fabrikanten wollten durch den Aus­schluß ihrer Arbeiter diese zwingen, auf die Schöttle'schen Arbeiter ein­zuwirken, daß diese unter den alten Bedingungen die Arbeit wieder auf­nehmen sollten.

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Der Handschuh wurde aufgenommen, und die hiesige Arbeiterschaft er­klärte die Sache der Schreiner für die ihrige. Sammlungen wurden organifirt und Alles gethan, den Kampf fiegreich für die Arbeiter zu gestalten. Die Fabrikanten, die wohl angenommen, daß die Arbeiter sofort zu Kreuze friechen würden, sahen sich getäuscht, und da fie bei dem Stillliegen ihrer Hände" den gewohnten Mehrwerth" ausbleiben sahen, ging ihre Einigkeit bald in die Brüche. Als erste Errungenschaft ihres Kampfes hatten die Arbeiter das Sprengen der Fabrikantenorganisation zu ver­zeichnen. Ein Theil der Fabrikanten nämlich bot seinen ausgeschloffenen Arbeitern die Wiederaufnahme der Arbeit unter den alten Bedingungen an. Zu dieser plöglichen Sinnesänderung trug nicht wenig der Umstand bei, daß einer der Ausschlußfabrikanten, Namens Buschle, durch das Ge­meindegericht zur Zahlung eines 14tägigen Lohnes an jeden seiner aus­geschlossenen Arbeiter verurtheilt wurde. Das wirkte abkühlend auf die Kampfluft der Ausbeuterklique, ist doch der Geldbeutel bei dieser Sorte Menschen der empfindlichste Theil des Körpers. Sie machten, wie er­wähnt, den Arbeitern Vorschläge zur Wiederaufnahme der Arbeit. Die Arbeiter antworteten ihnen, wie sichs gebührt: sie stellten eine Reihe von Forderungen auf, von deren Erfüllung fie die Aufnahme der Arbeit ab­hängig machten.

Diese Forderungen find folgende:

1) 33, Prozent Extraaufschlag für Ueberzeitarbeit.

2) 1 Stunde Mittagspause bei Beginn der Arbeitszeit um 7 Uhr Morgens, Saluß um 6 Uhr Abends. Jede Fabrikordnung ist zu entfernen und durch Anschlagen der firirten Arbeitszeit, sowie des Abdrucks der§§ 122 bis 124 der Gewerbeordnung zu ersetzen. 3) Die Prinzipale zu verpflichten, den Lohn für die Zeit der Aus­sperrung bis zur Wiederaufnahme der Arbeit zu zahlen.

4) Auf jede Maßregelung zu verzichten, eventuell die Arbeitseinstellung zu gewärtigen.

Eine Fabrit, Epple u. Ege, hat die Forderung angenommen, und gestern sind die Arbeiter wieder in die Fabrit einmarschirt, und haben die Arbeit begonnen; mit anderen Firmen schweben die Verhandlungen. Fest steht schon jetzt, daß der Ausschluß mit einer Niederlage der Fabri fanten endigt, und daß auch die Aussichten für den Streik in Schöttle's Fabrik günstig sind.

Erwähnt muß noch werden, daß einige der Fabrikanten, als sie ihre Industrietasernen schlossen, den Arbeitern nicht einmal den rückständigen Lohn auszahlten; sie wollten ihre Lente" aus hungern, damit die selben desto eher firre würden. Dem einen der Fabrikanten, dem schon erwähnten Buschle, soll übrigens die Sache sehr schlecht bekommen. Man spricht hier davon, daß der Ausschluß ihn materiell ruiniren wird. Ein Bankhaus, bei dem er Geld erheben wollte, verweigerte ihm dieses mit dem Hinweis darauf, daß seine Arbeiter ja nicht schaffen. Die Herren Bantiers wissen sehr gut, daß ohne die Arbeit Werthe nicht erzeugt werden.

Zur vollständigen Durchführung des Kampfes bedarf es aber noch großer Anstrengung und besonders Unterstützung an Geld. Die deutschen Arbeiter werden gewiß die Stuttgarter Schreiner nicht im Stiche lassen." Einer zweiten Zuschrift entnehmen wir die Mittheilung, daß den Arbeitern der Firma Epple und Ege, welche die Arbeit unter der Be dingung der Bewilligung der gestellten Forderungen wieder aufnahmen, am letzten Samstag ausnahmslos auf 14 Tage gekündigt wurde. Indeß legten die Arbeiter sofort die Arbeit nieder: die angebliche Bewilligung war ein Advokatentniff, um die Arbeiter um ihren 14tägigen Lohn anspruch wegen widerrechtlicher Entlaffung zu bringen.

Der Kampf wird also heftiger, schließt unser Korrespondent. Wir wiederholen daher unsere dringende Aufforderung, Zuzugfernzuhalten und nach Kräften Unterstützungen einzusenden. Adresse: A. Lohrmann, Schreiner in Stuttgart , Nedarstraße 81 III.

Der Schreinerfachverein in Stuttgart zählt zur Zeit weit über 1100 eingeschriebene Mitglieder. Infolge der neueren Lohnbewegung sind ihm über 200 neue Mitglieder beigetreten. Bravo!

Die Frankfurter Schreiner haben ihre Lohnerhöhungs­forderung siegreich durchgesetzt. Unter den eingegangenen Unter­fügungen figuriren auch 700 Frt. qus Paris , welche übrigens, da nicht mehr nothwendig, mit Dant retournirt werden konnten. Es lebe die Internationalität der Arbeiter!

Die Schreiner München 8 haben sich nun auch organisirt und zählt der dortige Fachverein bereits 500 Mitglieder.un dnia

Fabrikanten Uebermuth. Jn Glauchau hat der In­haber der Firma Reifschneider u. Cie. fünf Arbeiter, die als Deputation ihrer Kollegen um eine Lohnerhöhung von 15 Prozent er­suchten, da sie mit dem bisherigen Lohn von acht Mart pro Woche(!!) nicht austamen, ob dieser Frechheit entlassen. Da fönnte es wirklich nicht schaden, wenn einmal ein Erempel statuirt würde! In Gotha findet am 26. und 27. August ein allgemeiner Schuhmacher( Arbeiter) Rongreß ftatt. Der in voriger Nummer angekündigte Hand wertertag der deutschen Zim merleute soll am 18. und 20. August in Berlin statt. finden. Das Programm deffelben enthält u. A. folgende Punkte:

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Hebung der materiellen Intereffen der deutschen Zimmerleute auf Grund einer gewerkschaftlichen Konftitution( politisch- parteilos) durch a) Gründung eines Verbandes deutscher Zimmer leute.

b) Die möglichste Lohnaufbefferung allerorts.

c) Die Regulirung der Arbeitszeit gegenüber der heutigen Ma schinenproduktion.

d) Größtmöglichste Einschränkung der Sonntagsarbeit.

e) Erstrebung eines Schutzes gegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers( Garantie des Arbeitslohnes).

f) Schutz des Zimmermanns gegen Unfall; 1) durch Errichtung einer gesetzlich garantirten Unfalls- Kaffe, 2) durch Rechtsbei stand im Falle des Verschuldens dritter Personen, 3) durch