Das Fazit der diesmaligen Ergänzungs wahlen*) zum sächsischen Land­tag ist: die Eroberung mehrerer Size durch die Konservativen, Steigen der sozialdemokratischen Stimmenzahl und entschiedener Rückgang der ,, Liberalen  " auf der ganzen Linie, wie dies schon seit mehreren Wahl­perioden der Fall war.

Diese lettere Thatsache bedarf einer Erklärung.

Der sächsische Liberalismus ist der feigste und faulste in ganz Deutschland  . Das aggressive Vorgehen der Sozialdemokratie hat die feige sächsische Bourgeoisie überall eingeschüchtert. Flehentlich sieht sie sich nach einer Schußmauer gegen die sozialdemokratische Hochfluth um und wirft sich der Regierung und den Konservativen bedingunge los in die Arme. Die Furcht vor der Sozialdemokratie war es, welche die sächsische Bourgeoisie in diesem Wahlkampf überall lähmte; zitternd vor dem un­fichtbaren Gegner, der bis in die letzten Tage seine Angriffskolonnen verschleiert hielt, wagte sie vielfach nicht, in den Wahlkampf mit dem Konservativen Gegner zu treten, sondern überließ diesem das Feld. So in Leipzig  , wo der Gewählte zwar als nationalliberal ausgeschrieen wird, in Wahrheit aber konservativ ist. Es galt die Wähler, die auf eine offene tonservative Kandidatur nicht hereingefallen wären, hinter's Licht zu führen.

Je

Dieser Zustand im Lande und in der Kammer, scheinbar ein Rüd­schritt, ist in Wahrheit ein Fortschritt. Erste Bedingung für eine gesunde Entwickelung ist klärung der Gegensäte. unverhüllter die Reaktion ihr Haupt erhebt, in Stillstand und Versumpf­ung verfällt, um so beffer. In einer Zeit, wie die unsere, wo täglich auf allen Gebieten des ökonomischen und sozialen Lebens die über­raschendsten Fortschritte gemacht werden, Erfindungen und Entdeckungen auftauchen, welche den Umgestaltungsprozeß der Gesellschaft riesenhaft beschleunigen, da kann kein Staatswesen auf die Dauer im Stillstand verbleiben, ohne daß es mit den Lebensinteressen des Volkes in den stärksten Wider­spruch ger äth. Verbleibt es dennoch im Stillstand oder geht es gar rückwärts, dann hat sein legtes Stündlein bald ge= schlagen.

Mögen also Regierung und Bourgeoisie in Sachsen   wie anderwärts sich immer zu unserer Bekämpfung die Hände reichen, wir lachen dazu und spotten ihrer. Moralisch sind wir schon heute die Sieger, faktisch und praktisch werden wir es morgen sein, und dann ist's mit ihrer B. Herrlichkeit zu Ende.

Eine preußische Muster- Ordnungsstüßze.

II.**)

Wir sind heute in der Lage, die versprochene Fortsetzung unserer Mit­theilungen über den Verbrecher in Polizeikommissärs- Uniform, Herrn Bley, folgen lassen zu können.

Bley ist nicht allein ein Freund des schönen Geschlechts, sondern auch offenbar ein Freund der Kunst, wie uns nachfolgende Thatsache beweift:

Eines Tages erschien er im Vorzimmer der Theaterintendanz und erklärte dem inzwischen durchgegangenen Theaterdiener Ettling, der Herr Polizeipräsident Hergenhahn habe ihn geschickt, derselbe wünsche für den Abend zwei Logenplätze, man möge die Billete nur ihm( Bley) zu­senden, er wolle sie dem Herrn Präsidenten schon hinbesorgen. Selbst­verständlich wurde dem Wunsch des durch seinen Beamten zur Intendanz herabgestiegenen Polizeipräsidenten entsprochen, und Ehren- Bley erhielt für seinen Vorgesetzten die Karten. Dabei wäre nun eben nichts Schlim­mes gewesen, wenn nicht an besagtem Abend auf diesen Plätzen zwei vom Kommissarius protegirte Freudenmädchen gesessen hätten. Die Intendanz soll ob solch' betrügerischem Mißbrauch beim Präsidium vorstellig geworden sein, und siehe da, es stellte sich heraus, daß der Polizeipräsident gar keine Karten verlangt hatte!

Ferner erfahren wir in derselben Angelegenheit, der Theaterdiener sei bernommen worden und habe den Vorfall so erzählt, wie wir ihn hier geschildert. Um sich nun an diesem Diener zu rächen, spürte der Ver­brecher in Uniform dessen Thun   und Treiben nach, infolgedessen allerlei schmutzige und standalöse Geschichten herauskamen. Bley machte gegen Ettling, dem er, was Moral und gute Sitte betrifft, zum mindesten ebenbürtig ist, eine Anzeige wegen Kuppelei, und die Folge war, daß Ettling fich veranlaßt sah, eines schönen Tages unter Zurücklaffung von Weib und Kind zu verschwinden.

Seit unser erster Artikel in Nr. 28 erschienen ist, von welchem Ver­brecher Bley" sehr erbaut gewesen sein soll, suchte derselbe seine Schutz­leute, welche wir als Zeugen gegen ihn aufgeführt haben, auf die schmach­vollste und gemeinste Art und Weise zu verdächtigen, und bei den ge­ringsten Kleinigkeiten legte er Anzeigen gegen fie vor, die zum Theil da­mit endeten, daß die armen Teufel Arrest erhielten. Bley renommirt, wie wir erfahren, mit seiner Unschuld in den hiesigen Wirthschaften und frißt dabei fröhlich auf anderer Leute Rechnung weiter. Hierbei wollen wir doch erwähnen, daß der Kommissarius namentlich den Konditor Ed. E. Zamecz nit, Paulsplatz 17/19, um Torten und sonstige Süßigkeiten brachte. Zamecznik, der nicht zu Denen zu gehören scheint, welchen ein preußischer Polizeikommiffarius zu imponiren in der Lage ist, schickte ihm für das bei ihm Verzehrte und für Bley's Frau Bestellte einfach die Rechnung. Bley soll dieselbe jedoch bis heute noch bezahlen, hat dagegen aus Erkenntlichkeit seinen Schutzleuten Auftrag gegeben, den Zameczuit bei den geringsten Kleinigkeiten zu denunziren, infolgedessen Zamecznit außer seinem Schaden noch empfindliche Geldstrafen zu be­zahlen hat.

Bestechlich ist Bley, wie wir bereits in Nr. 28 mitgetheilt, in hohem Grade. Ein hiesiger Wirth, dessen Namen wir heute nicht nennen wollen, war so glücklich, die so berühmte, auch vielen unserer Parteigenossen auf­erlegte Feierabendstunde" zu besitzen. Seine Gesuche um Aufhebung dieser Maßregel blieben erfolglos. Endlich verfiel er auf den originellen Gedanken, dem Kommissarius Bley 24 Flaschen Wein zu senden; und fiehe da, die Feierabendstunde wurde ohne jedes weitere Gesuch plötzlich aufgehoben.

Ein bekannter Stellenvermittler Namens de Stoppany, Buchgasse Nr. 8, derselbe, welcher deutsche   Mädchen an englische Hurenhäuser ver­schachert, ist ein intimer Freund des Kommissarius und sorgt für dessen fleischliche Bedürfniffe, deren Verbrecher- Bley in hohem Grade bedürftig sein scheint, in ausgiebigfter Weise. Geld dafür auszugeben, ist der Herr nicht verpflichtet, denn er besitzt ja die Qualifikation eines preußischen Bolizeikommiffarius, die ihn vor Geschenken an diese Damen bewahrt. Er ist diesem Gesindevermiether aber erkenntlich und sorgt dafür, daß deffen Mietherinen nicht unter Polizeikontrole kommen.

Bley verkehrte früher viel mit einem hier sehr fein auftretenden Hoch­stapler, der sowohl Bley's Frau, als auch einer Kellnerin im Hotel Kräusel ( Buchgaffe), welches inzwischen polizeilich gesperrt wurde, bedeutende Geschenke, bestehend in Gold, filbernen Ketten und werthvollen Arm­spangen, machte. Der Zufall wollte es, daß Bley seinen Saufkumpan und Beischläfer seiner Frau selbst verhaften mußte. Da ihm nun bekannt war, daß auch das Kellnermädchen Goldsachen empfangen hatte, so ver­langte er diese von ihr heraus, wurde jedoch mit dem Bemerken abge­fertigt, daß sie nur dann ihre Geschenke der Polizei aushändige, wenn auch die Frau Polizeikommiffär die ihrigen herausgebe. Bley ließ sich hierauf aus naheliegenden Gründen nicht weiter sehen.

Inzwischen ist auch Bley's Köchin eines todten Knäbleins genesen. Obgleich unser Artikel in hiesigen Kreisen sehr viel Beifall gefunden *) Jm sächsischen Landtag scheidet alle zwei Jahre ein Drittel der Abgeordneten aus.

**) Vergleiche Nr. 28 des Sozialdemokrat".

hat und sehr gerne abgedruckt worden wäre, wenn unser famoses Aus­nahmegesetz dies zuließe, läuft Verbrecher- Bley, den seine gesammten Kollegen, unter denen sich übrigens auch noch manches räudige Schaf befindet, schon seit geraumer Zeit für einen großen Hallunken halten, und dessen Gesellschaft die Besseren unter ihnen soviel als möglich meiden, frecher denn je in Uniform herum.

Unsere Parteigenossen werden in Preußen auf's Schändlichste verfolgt, und derartige Spizbuben laufen ftets frei aus. Man sieht, das privi­le girte Hallunkenthum ist uns gegenüber immer im Recht. Weiteres über Bley sowohl wie über die ihm um nichts nachstehenden Kollegen folgt bald.

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Frankfurt am Main  , im September.

Die rothe Behme.

Sozialpolitische Rundschau.

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Zürich  , 19. September 1883. Wie schaut's aus? Es wird wieder schauerlich viel in hoher Politik gemacht. Auf Ischl  , Gastein   und Salzburg  , wo die be­rühmte Triple- Allianz, aus der nachgerade eine Quintrupel( fünffache) Allianz geworden sein soll, indem sich dem deutsch  - österreichisch  - italie­nischen Herzensbund noch Serbien   und Rumänien   zugesellt haben sollen tommt nun noch Spanien   hinzu, so ist das halbe Dutzend fertig folgt jetzt die trauliche Familienfeier in Kopenhagen  . Der König von Dänemark   versammelt seine theuren Familienmitglieder um sich, und es ist natürlich nur Zufall, daß der König von Griechenland  sein Sohn, der Kaiser von Rußland   und der zukünftige Beherrscher Englands seine Schwiegersöhne find. Von einem Gegenbündniß, das dem Vordringen Oesterreichs   im Orient einen Halt gebieten, ihm den berühmten Weg nach Salonichi versperren soll, kann gar keine Rede sein. Herr Gladstone ist nur aus Höflichkeit gleichfalle nach Kopenhagen   gereift. So wird offiziös versichert, glauben thut es natürlich Niemand.

Es wird eben noch immer das alte Intriguenspiel hinter dem Rücken der Völker und auf Kosten derselben getrieben, jenes Spiel, wobei die Könige solange Alles und die Völker Nichts sind bis es zum Klappen tommt, wo daun plötzlich die Völker Alles und die Könige Nichts einsetzen müffen. Es ist deshalb auch ganz natürlich, daß für die schweizerische und französische Republik   weder hüben noch drüben ein Plätzchen frei war, dort gibt es eben keine Personen, die von sich sagen tönnen: ,, Der Staat bin Jh". Das Schweizervolt ist übrigens keineswegs unglücklich darüber, daß es bei diesen feinen Kombinationen außer Be­tracht bleibt, und wenn die Franzosen vernünftig wären, so sollten sie darüber jubeln, daß sie von gewissen Mächten" als nicht bündnißfähig betrachtet werden. Je mehr die französische Republik   um die Gunst irgend eines der europäischen   Gewaltstaaten buhlt, um so mehr sinkt sie, und mit Recht, in der Achtung der Völker, und sie wird sich um so mehr die Liebe aller wahrhaft demokratischen Elemente im monarchischen Europa   erwerben, je weniger sie sich um die Gunst der europäischen  Kabinette bekümmert. Und so fest stehen die Gottesgnadenthümer ,, Gott  " sei Dank denn heutzutage doch nicht, daß der Wille der Völker ihnen gegenüber gar nicht ins Gewicht fiele.

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Zum Glück sorgen übrigens die Herren selbst dafür, daß der Gedanke der Volkssouveränetät immer wieder neue Nahrung erhält, wie der famose russische   Staate streich in Bulgarien   beweist. Par Ordre de Mufti muß der Battenberger plötzlich wieder den Liberalen spielen, eine Verfassung ausarbeiten, nur um die Serben und Rumänen gegen ihre österreichisch­deutsch freundlichen Regierungen, die autokratische Gelüfte verspüren, auf­zuhezzen. Auch in Kroatien   sollen russische   Agenten gehetzt haben. Daß eine Regierung, je autokratischer fie zu Hause ist, um so ,, revolutionärere" Neigungen in Bezug auf die guten Nachbarn draußen" verspürt, ist nichts Neues, immerhin fönnen wir von dieser neuen Dokumentirung des alten Sates in der Politik sind alle Mittel recht", Aft nehmen. Die hohe Politik besteht darin, Bündnisse zu schließen, die man nicht zu halten denkt, und zu stänkern. Wann werden die Völker endlich ihrer überdrüffig werden?!

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- Der Frankfurter Zeitung  " genügte die Blamage, die sie sich mit ihrem famosen Rathschlag an unsere sächsischen Genossen -überall wo der Sieg eines Fortschrittlers dadurch in Frage gestellt werden könne, auf eigene Kandidaturen zu verzichten--, geholt hat, noch nicht; in ihrer gewohnten Rechthaberei sucht sie jetzt die Schuld an dem Mahlerfolg der Konservativen unserer Partei in die Schuhe zu schieben anstatt die Ursache da zu suchen, wo sie einzig und allein zu finden ist in der Er bärmlichkeit ihrer, der Frankfurter Zeitung  ", politischen Freunde. Das weiland demokratische Blatt denn ein Blatt, das in Herrn Schaffrath einen Mann erblickt, der die gute alte Tradition des sächsischen Liberalismus vertritt", wird doch im Ernst nicht den Anspruch erheben wollen, als demokratisch zu gelten hat kein Wort des Tadels dafür, daß die sächsischen Fort­schrittler da, wo sozialdemokratische Kandidaten in Frage tamen, lustig für die Konservativen stimmten( so z. B. in Stollberg  - Land für Straumer, gegen Stolle) darüber schweigt des Sängers Höflichkeit, an den Siegen der Konservativen ist vielmehr nach ihr die ,, thörichte Taktik" der Sozialdemokraten Schuld, die nicht für die Kon­servativen stimmten. Man sieht, im Verdrehen der Thatsachen nimmt es das Frankfurter   Blatt mit dem berüchtigtsten der preußischen Offiziösen auf.

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Da die Politik unserer Genossen darin bestand, für keine Kandidaten des sächsischen Ordnungsbreies zu stimmen, sondern lediglich für Männer einzutreten, die fest auf den Boden unserer Prinzipien stehen, so haben wir einen Maßstab dafür, was man in Frankfurt am Main   thörichte Politit nennt.

Natürlich fehlen in den staatsmännischen Erwägungen der Frankfur­terin die berühmten Nullen" nicht. ,, Oder sollten die Sozialisten wirklich geglaubt haben, die Wähler Dresdens   und Leipzigs   für solche Nullen wie die vorgeschlagenen Kandidaten waren, gewinnen zu können?" Nun ist es richtig, unsere Partei verfügt nicht über den Reichthum an politisch en Kapazitäten, der die Volkspartei im Allgemeinen und deren sächsisch en Zweig im Besonderen auszeichnet, unsere Genoffen Münch Pflaum und Vollmar denn diese sind gemeint gehören nicht zu jenen Sternen ersten Ranges, die es verstehen, heute röthlich und morgen weislich zu schimmern, aber so fragen wir noch ein­mal sind denn Ueberzeugung und Prinzipien auf der Eschenheimer Gasse so in Kours gesunken, daß man sie dort überhaupt nicht mehr notirt"?

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Auch die Berliner Arbeiterbewegung erfreut sich der allerhöchsten Ungnade der Frankfurter Zeitung  " und wird von ihr in einer Weise mit Koth beworfen, wie nicht einmal in der Presse der Fortschrittspartei, gegen welche sich diese Bewegung doch mit richtet. Und warum? Weil die Berliner   Arbeiter bei den Stadtverordnetenwahlen selbstständig vorgehen und den Herren von der Fortschrittspartei wie denen von der famosen Bürger partei gleich kräftig die Wahrheit sagen. Das liebenswürdige Organ der Volkspartei überschüttet die Berliner  Arbeiter mit seinem Spott, weil sie den Herrn Träger ernst nahmen, als er in der auch von uns erwähnten Versamm lung sich als Demokrat geberdete.

Nun, es ist immer noch ehrenhafter, einmal zu anständig gewesen zu sein, als die Grundsatzlosigkeit soweit zu treiben, wie Herr Träger es nach der Frankfurter Zeitung  " und unter dem Beifall der­selben gethan.

Geschadet hat die Komödie" der Wahlbewegung der Berliner   Arbeiter feineswegs. Dieselbe geht vielmehr kräftig ihren Gang. Herr Paul Singer, der von den Arbeitern als ihr erster Kandidat bezeichnet wird und der voll und ganz auf dem Boden der Arbeiterbewegung steht, hat jüngst vor glänzend besuchter Versammlung seine Kandidatenrede gehalten und stürmischen Beifall geerntet, als er mit den Worten Johann Jakoby's schloß: Einer für Alle, das ist Menschenrecht, Alle für Einen, das ist Menschenpflicht."

Vor ebenfalls überfüllter Versammlung wurden am 15. September die weiteren Kandidaten der Arbeiterpartei nominirt und zwar: 1) Kauf­mann Rosenthal*) für den Wahlbezirk 8 und 11; 2) Kaufmann Singer für den Wahlbezirk 12 und 24; 3) Hausbesitzer Schäfer*) für Wahlbezirk 14 und 38; 4) Tischlermeister Ti zauer( Hausbesitzer) für Wahlbezirk 15; 5) Dr. Meilig für Wahlbezirk 27; Maschinen­bauer Görcki für Wahlbezirk 23; 7) Tischler Herold für Wahlbezirk 25 und 26; 8) Uhrmacher Kakorsky für Wahlbezirk 32 und 33; 9) Vergolder Ewald für Wahlbezirk 37 und 42; 10) Maurer Con rad für Wahlbezirk 36 und 41.

Diese Lifte zeigt, daß die Berliner   Arbeiter weder nach Standes- noch Rassenunterschieden fragen, sondern lediglich nach Prinzipien und Be­thätigung derselben.

Der, Herrgott" ist in der vergangenen Woche wieder arg hergenommen worden, in Düsseldorf  mußte er die Generalversammlung der deutschen   Katho liken und in Wittenberg   die zur Luther   feier versammelten Gläubigen der protestantischen Kirche mit dem Lichtstrahle seiner göttlichen Gnade erleuchten. Eigentlich gibt es doch keine ärgeren Gotteslästerer als die Pfaffen, und wenn wir Herrgott wären, so ließen wir es uns ficher nicht gefallen, daß jeder hergelaufene Kerl, der einige Semester Theologie geschwänzt und Bierologie getrieben hat, unseren Handlungen diejenigen Motive unterschiebt, die ihm gerade in den Kram passen. Aber die guten Gottesgläubigen stört das nicht, fie laffen es ruhig über sich ergehen, wenn ihnen Gott der Herr" als der Hausknecht der Pfaffen hingestellt wird.

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In diesem Monat vor 400 Jahren war Luther   noch nicht geboren, aber Gott   hatte ihn schon erwählt, das Licht des Evangeliums in voller Klarheit hervorzubringen", verkündete der Oberkonsistorialrath Schmieder am 12. September 1883(!) in der Schloßkirche   in Wittenberg  , und in dieser lustigen Weise ging's die ganze Woche hindurch, so daß die Ansprache des ,, libe­ralen" Kronprinzen noch als eine Oase in der Wüste ausposaunt wird, eine Ansprache, in der als Haupttrumpf das, demüthige Stre­ben nach der Erkenntniß christlicher Wahrheit" figurirt. Wir anderen Sterblichen sind der Auficht, Wahrheit sei Wahrheit, ob chriftlich oder nicht, und halten das rücksichtslose Streben nach Wahrheit über das Christenthum, wie über jede Religion, für die einzige dem Geist der Neuzeit entsprechende Aufgabe. Mögen darum liberale Blätter darüber jubeln, daß ,, unser Fritz" von ,, Gewissens. freiheit und Duldung" gesprochen hat, uns lassen diese Phrasen kalt. Zur Gewissensfreiheit gehört für uns vor allen Dingen die volle Tren­wir verlangen nicht nung der Kirche vom Staat und von der Schule- Duldung, sondern Gleichberechtigung aller Nichtgläubigen. Unserer Meinung über den Held der Feierlichkeiten, über 2uther, haben wir bereits in Nr. 33 des ,, Sozialdemokrat"" Ausdruck gegeben, mag noch folgender Ausspruch dieses Bergmannssohnes" hier seine Stätte finden, der die Begeisterung der herrschenden Klaffen für ihn erklärlich macht:

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Dem armen Manne gebührt Last, Fressen und Schläge, gleichwie dem Esel, sonst wird er über müthig!"

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In der Katholikenversammlung mußte der Herrgott der kleinen Erzel­lenz Windthorst helfen, die Gegensätze, welche der Klassenkampf in der heutigen Gesellschaft zeitigt, im Interesse der weltlichen Macht der Kirche nothdürftig zu verkleistern. Die katholischen Zünstler wurden mit einer Resolution abgespeist, die nicht Fleisch nicht Fisch ist, desgleichen die katholischen Arbeiter, denen die trostreiche Mittheilung wurde, daß die soziale Frage auch eine religiös- sittliche ist. Natürlich! ducken die Arbeiter vor den Pfaffen, so ducken sie auch vor dem Aus­beuter. Keine Forderungen, sondern Gebete und Bitten, keine Rechte, sondern Wohlthaten und Gnaden". Erst tommt mir der Himmel und dann die Erde, erklärte der alte Sünder kategorisch. Wie unschuldig das klingt! Natürlich versteht Herr Windthorst unter Himmel nicht jenes abgeschmackte Gebilde orientalischer Phantasie, sondern die Kirche, das Papfithum. Die Macht des Papstthums über Alles! tönt es hüben, Wieder. herstellung der Pfaffenherrschaft erschallt es drüben, Wittenberg   und Düffel­dorf vertreten keine Prinzipien gegeneinander, sondern nur noch kontur­renzinteressen, und wenn am 10. November die Einen ihren Luther feiern und die Andern demonstrative Gebetsversammlungen ab­halten, dann mögen die Worte noch so füßlich flingen, so werden aus ihnen doch nur heraustönen: Neid und Haß. Hüben aber wie drüben wird, Gott  " sein.

Nieder mit der Wissenschaft, es lebe die Ordnung"! Die Polizei- Herostrate haben ihren Zwed glücklich erreicht: der Fort bildungsverein für Arbeiter in Leipzig   hat das Ver­brechen, die Veranlassung und den Schauplatz für einen wissenschaftlichen Vortrag abgegeben zu haben, den der Erz- Ignorant Hohlfeld nicht zu verstehen tapabel war, zwar nicht mit sofortigem Tod, aber mit tödt­licher Verstümmelung büßen müssen. Der Appell vom Teufel an seine Großmutter hatte den üblichen Erfolg die Kreishauptmannschaft hat den Polizei- Utas, welcher den Fortbildungsverein für einen politischen Ver ein erklärt, bestätigt, und so war denn dieser Tage im Leipziger Tage­ blatt  " folgende Annonce zu lesen:

" Fortbildungsverein für Arbeiter.

Laut Verfügung der Königl. Kreishauptmannschaft tönnen Personen, welche das 21. Lebensjahr noch nicht erreicht haben, unserem Verein als Mitglieder nicht mehr angehören. Da das Polizeiamt auch die Theilnahme am Unterricht den minderjährigen Per­sonen nicht mehr gestattet, so sehen wir uns veranlaßt, un­fereunterrichtsturse bis auf Weiteres einzustellen. Der Vorstand."

Wir wünschen, schreibt man uns aus Leipzig  , unseren Gesellschaft 8- rettern Glück zu diesem Erfolg, welcher die Berechtigung unserer Feinde, sich als Hüter unserer modernen Kultur aufzuspielen, in bril­lantefter Weise illustrirt! Es wird Sache unserer Vertreter im Landtag sein, dieses schmachvolle Polizei- Attentat zur Sprache zu bringen und den obersten Chef der Hohlfeld und Genoffen zu einer Erklärung zu nöthigen. Bei dieser Gelegenheit werden wir dann ja auch sehen, wie die ,, liberalen Parteien", mit denen die naive Frankfurter   Zeitung" uns für die Landtagswahlen zusammenkoppeln wollte, ihre liberalen Grundsätze im Jargon der Frankfurter   Zeitung" zu reden, bethätigen werden. Bis auf den letzten Mann und Fortschrittler werden sie zu dem, was der Herr Minister erklären wird, Ja und Amen sagen. Und der Herr Minister wird erklären: ,, Der Hohlfeld und die Herren von der   Leipziger Kreishauptmannschaft haben recht gethan." Wir werden's uns aber

merten.

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Der Polizeistreich gegen den Fortbildungsverein für Arbeiter ist ein würdiges Seitenstück zu der schmachvollen Unterdrückung unseres Arbeiter­

*) Leiter der Bewegung für Schließen der Läden am Sonntag Nach­mittag.

**) Sprecher der freireligiösen Gemeinde.

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