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bildungsvereins nach den Attentaten. Es ist wahr, dieser Verein hatte fich offen auf den Boden der Sozialdemokratie gestellt, aber er hatte niemals agitirt, und noch lange bevor das Sozialistengesetz in Kraft trat, hatte er jeder Thätigkeit, die als eine politische betrachtet werden konnte, entsagt, und sich ausschließlich den Bildungszwecken gewidmet, die übri­gens nie in den Hintergrund gedrängt worden waren. Trotzdem er­folgte das Verbot und die Konfiskation der Bücher und eine Anstalt war zerstört, der Tausende von Arbeitern ihre Ausbildung und ihre Eristenz verdankten. Jetzt ist's wieder so. Hat auch der Fort­bildungsverein für Arbeiterhauptsächlich in Folge des durch das in­fame Ausnahmegesetz hervorgerufenen Mißtrauens nicht dieselbe Blüthe erlangen können, wie der 1878 zerstörte Arbeiterfortbildungs­berein, so hat er doch viel Gutes geleistet und einer erklecklichen Zahl von jungen Arbeitern im Zeichnen, in Sprachen, in Stenographie, in allgemeinen Wissenschaften, und in technischen Fächern ein Kapital von Kenntniffen gegeben, mit Hilfe deffen sie den Kampf ums Dasein leichter hätten bestehen können. Das ist nun zu Ende da politischen Vereinen nach dem sauberen sächsischen Vereinsgesetz teine Unmündigen angehören dürfen, so können jetzt nur noch Arbeiter, die das 21. Jahr zurück­gelegt haben, Mitglieder sein; und mit den schönen Unterrichtskursen ists zu Ende. Ob dieselben wieder aufgenommen werden können, ist sehr in Frage: find doch gerade diejenigen Altersklassen, für welche fie eigentlich bestimmt waren, durch den Polizeistreich an der Theilnahme gehindert.

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Der Stieber übertroffen! Stieber hat bekanntlich piel in seinem Leben geleistet, er hat Briefe gestohlen, Protokolle gefälscht und Meineide geschworen. Aber Eines hat er doch nicht gewagt: Offen die Gesetze mit Füßen zu treten. Seine Nachfolger im Reiche der Gottes­furcht und frommen Sitte haben auch das fertig gebracht. Vor Kurzem wurden dem neuen Abgeordneten für Metz , dem Protestler Antoine, verschiedene Briefe 2c. tonfiszirt, man sprach von einem Hochverraths­prozeß oder gar von Landesverrath und dergleichen. Daraus wurde nun nichts, plößlich veröffentlicht aber die Norddeutsche Allgemeine" ganz wider den klaren Wortlaut des Gesetzes mehrere dem Herrn Antoine abgenommenen Briefe. Das ist der Gipfel der Schamlosigkeit. Natürlich wird sich aber kein Gesetzeswächter bulgo Staatsanwalt in Preußen- Deutschland finden, der dafür forgt, daß dem beleidigten Gesetz Genugthuung werde. Ja, wenn es sich um einen beleidigten Polizeidiener handelte! Aber ein ganz gewöhnlicher Attendiebstahl, was will das sagen?

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Ein Beitrag zur sozialen Frage. Die Blätter melden, daß die Baronin von Rothschild sich in den Badeort Plombières ihren Vorrath an Fächern in einer kleinen Kiste hat nachkommen lassen, deren Werth auf 350,000 Fr.( ca. 280,000 Mt.) an­gegeben war.

Wie viel Arbeitslöhne sind in diesen Hunderttausenden, die für eine Mode­thorheit vergeudet werden, enthalten? Wie viele Arbeiterfamilien, und wie lange müssen dieselben sich in das Joch anstrengendsten Schaffens spannen, um 350,000 Fr. zu verdienen, die eine Börsenbaronin in Fächern anlegt, um sich Kühlung zuzu wehen? Der Schmied an dem Ambos, der Maschinenbauer in der Gluth der Werkstätten und Fabrik­räume, der Steinklopfer an der Landstraße, der Zimmerer auf dem schwanken Baugerüft haben nicht Zeit, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen und Frau von Rothschild ? Nun, der Herr Ge­mahl, der König der Könige, hat ja die französischen Deputirten von der Ordnungspartei, macht ja die Gesetze, läßt das Kabinet nach seiner Flöte tanzen, vertheilt Trinkgelder und gibt märchenhafte Feste. Seine Be­ziehungen zu allen Höfen und Ministerien machen ihn zum Herrscher der Börse, und wenn ein anderer Finanzgauner, Bontour, ihm in's Hand­wert pfuscht, so bricht er ihm das Genick. Millionen von Menschen nagen am Hungertuche, und die Gnädige von Rothschild hat für 350,000 Fr. Fächer für einen Theil der Badesaison! Es besteht das Kunststück der modernen Kapitalwirthschaft ja hauptsächlich darin, den die Arbeitermassen aufrei benden und Millionen von Schweiß­tropfen ehrlicher Thätigkeit aufsaugenden Produktionsprozeß den zart­empfindenden" Gemüthern und den leichtverletzten Augen der genießenden Ausbeuterklassen, der oberen Zehntausend", vorsichtig zu verhüllen. Es werden auf filbernen Schüffeln die goldenen Früchte die Produkte dargeboten, die Produzirenden in ihrer Arbeit für die Andern sieht man nicht. Die Aktionäre der Eisenbahnen, die Theilhaber an industriellen Unternehmungen, die ihre Koupons abschneiden und damit ihr Tagwerk vollbringen, sehen gar nicht die Lohnstlaven, die für elenden Sold ihre ganze Eristenz einsetzen. Sie haben blos die, Papierchen"- die Sachen und die Personen, auf denen der ganze Mammonismus steht, durch deren systematische Aussaugung und Beraubung er existirt, werden mit Vergnügen ignorirt. Es erinnert das an die bekannte Anekdote, nach der die Frau Kommerzienrath sagt:" Ich weiß gar nicht, weshalb die Leute so über die Kleinheit der Semmeln jammern? Sie können ja statt einer zwei effen!" Das ist die Weisheit der gefühlvollen Bourgeoiste! Die Dentende steht bekanntlich gar nicht ein, weshalb die ,, Leute" überhaupt Semmeln zu efsen brauchen. Hoffentlich wird es bald anders.

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Aus Leipzig , 12. September, wird uns geschrieben: Der Hohn, den unsere Reichstagsvertreter in ihrer Erklärung über die sog. Rechtfertigungsschrift der sächsischen Regierung für den Leipziger Be­lagerungszustand ausgoffen, hat unsere Polizei in große Aufregung ver. setzt. Eifrig ist sie daran, zu beweisen, daß sie doch nicht so dumm ist, wie man sie hält, und so hat sie seit 14 Tagen einen Arbeiter Nitzsche und seit ein paar Tagen auch den Zigarrenarbeiter Hofmann der Staatsanwaltschaft überliefert, beide unter der Anklage, verbotene sozia­listische Schriften verbreitet zu haben. Seitens der Staatsanwaltschaft wird in echt inquifitorischer Weise im Widerspruch mit dem Gesetz gegen die Angeklagten vorgegangen, und werden die gemeinsten Schimpf­wörter nicht gespart, um den Angeklagten Geständnisse zu erpressen. Die Angelegenheit wird gelegentlich im nächsten Landtag beim Justizetat zur Erörterung fommen.

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Ist es nicht erstaunlich, daß wir, die Umstlirzler, abwechselnd die Polizei, die Staatsanwälte und die Richter an die Gesetze erinnern müssen, die zu respektiren ihres Amtes ist, die sie aber uns gegenüber fortgesetzt in der gröblichsten Weise verletzen?

Unser famoser Polizeidirektor hat jetzt eine neue Methode erfunden, die Sozialdemokratie zu bekämpfen: er hat die Polizeistunde von 12 auf- 2 Uhr verlängert. Herr Bretschneider kalkulirt folgendermaßen: Nichts bringt die Menschen besser von ernsten und ideellen Bestrebungen ab, als wenn man ihnen Gelegenheit gibt, liederlich zu werden. Dazu bietet aber eine gewisse Sorte von Kneipen, die in Leipzig wie Pilze aus dem Boden schießen, ganz besondere Gelegenheit. Unter den Inhabern dieser Lokale soll in Folge der Bretschneider'schen Verordnung eine so begeisterte Stimmung herrschen, daß sie bereits zusammengetreten find, um zu berathen, in welcher Weise sie Herrn Bretschneider am besten ihre Dankbarkeit ausdrücken können. Wenn Herr Madai das hört, wird er elend vor Merger, denn er hat für Berlin die Polizeistunde auf Nachts 12 Uhr beschränkt.

Der löbliche Eifer, mit dem unsere Polizei neuerdings auf die Sozia­listen fahndet, hat nach einer anderen Seite einen Mangel an Mann­schaft erzeugt, weshalb eine Anzahl Mannen neu angestellt und das Polizeibudget entsprechend erhöht werden soll. Die Dirnen in gewissen Straßen unserer Borstädte, heißt es nämlich, werden Mangels polizei­licher Ueberwachung immer dreifter und setzen die arme unschuldsvolle Männerwelt argen Versuchungen aus. Da aber das Angebot von Dirnen der Nachfrage im frommen Leipzig entsprechen dürfte, empfehlen wir Herrn Bretschneider, seine Vigilanten anzuweisen, auch ein wenig ihre

Aufmerksamkeit auf diese unschuldsfromme Männerwelt zu richten. Er macht alsdann vielleicht die Entdeckung, daß darunter gar mancher ehr­same Eheherr, Stadtvater und Vertreter der Sitte und Ordnung" sich befindet, der seiner( Herrn Bretschneider's) Rede am heiligen Sedan­fefte wider den inneren Feind" lauten Beifall gezollt, aber mit Ver­gnügen dem Teufelsgelüft nachgibt, einmal heimlich über die Stränge zu schlagen.-

Die Neuigkeit des Tages, die aber unser ehrsames Tageblatt" seinen Gläubigen bisher verschwiegen hat, ist: Herr Diege auf Pomm­ßen, Vertreter von Leipzig Land im Reichstag, hat ,, Umstände halber" sein Mandat niederlegen müssen, so daß eine Nachwahl bevorsteht.

Die Umstände" die den Vertreter der ,, Ordnung sparteien" zwingen, sein Mandat niederzulegen, sind sehr delikater Natur. Herr Dietze auf Pommßen ist kurz gesagt, bankerott, und zwar infolge seiner und seiner Ehehälfte ausschweifenden und verschwenderischen Lebenswandel s. Herr Dieze galt bis vor Kurzem als einer der reichsten Grundbesitzer der Leipziger Gegend und war dies auch früher; er hatte aber tostspielige Bedürfnisse, namentlich in Bezug auf das weibliche Geschlecht, das ihm heidenmäßig viel Geld koftete. Seine Gemahlin ent­schädigte sich nach dem Grundsatze: Wie Du mir, so ich Dir". Häufige Festlichkeiten und Fêten, an denen zahlreiche Hausfreunde Theil nahmen, verschlangen Unsummen, und so tam, was kommen mußte.

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Die Ordnungsparteien" haben uns wieder einmal an einem ihrer Vertreter gezeigt, wie sie Sitte und Ordnung verstehen. Am meisten wird Herr Sparig den Fall seines Freundes Dietze bedauern. Herr Sparig war für Herrn Dietze's Wahl stets der eifrigfte Agitator und thatsächlich verdankt ihm derselbe seine Wahl. Aber diese Wahl toftete Herrn Dieße immenses Geld und davon sollen unterschiedliche Tausende in die opferwilligen Taschen des Herrn Sparig geflossen sein. Umsonst ist der Tod.

Unsere Parteigenoffen hoffen diesmal bestimmt, den Wahlkreis zurück­zuerobern. Glück auf zum Wahlkampf!

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Schweiz . Von den Resolutionen, welche auf dem Arbeitertag angenommen wurden, dürften die nachstehenden auch für die Leser des Sozialdemokrat" von Interesse sein.

Nachdem Kantonsrath Strub( Schaffhausen ) in sehr ausführlichem Referat nachgewiesen hatte, wie sehr die Ausführung des Fabrikgesetes in der Schweiz noch zu wünschen übrig läßt und wie nothwendig eine schärfere Kontrole sei, was von allen an der Debatte sich betheiligenden Rednern bestätigt ward, wurden über diesen Punkt folgende zwei Resolutioneu beschlossen:

,, Nach Anhörung des Referats seitens Brg. Strub und den Ausführungen in der Debatte, aus denen unumstößlich hervorgeht, daß das Fabrikgesetz in seinen wesentlichsten Bestimmungen für die Arbeiter nur auf dem Papier steht, weil die Kantonsregierungen durch Handhabung des Gesetzes dasselbe vielfach illusorisch machen, und weil der Arbeiter wegen seiner abhängigen sozialen Stellung oft nicht in der Lage ist, die so häufig vorkommenden Ueberschrei­tungen und Mißachtungen zur Kenntniß der Behörden zu bringen und damit ihre Abstellung herbeizuführen,

beschließt der Arbeitertag:

1) Es soll ein Hauptaugenmerk bei der Agitation darauf gerichtet werden, daß die einzelnen Bestimmungen des Fabritgesetzes in der Arbeiterpresse, in Broschüren und Versammlungen mehr als bisher zur Kenntniß der Arbeiter zu bringen.

2. Es soll überall dahin gewirkt werden, daß bei einer Abände­rung des Fabrikgesetzes die Ausführung des Gesetzes von den Kantonsbehörden an die Bundesbehörden übertragen werde."

" Der Arbeitertag hat mit Entrüstung die Nicht beachtung des Fabrikgesezes aus allen Gauen unseres Vaterlandes vernommen und verlangt vom Bundesrath, sofort die Weisung an die Kantons­regierungen gehen zu lassen, dem Gesetze ftritte nachzukommen, da­mit die Handhabung des Fabrikgesetzes voll und ganz durchgeführt wird."

In Betreff der Agitation für internationale Fabriks­gesetzgebung schlug der Referent, Profeffor Vögelin, folgende Resolution vor:

,, Der schweizerische Arbeitertag ersucht den Bundesrath, die Unter­handlungen mit den hauptsächlichsten Jrdustriestaaten zum Zweck der Anbahnung einer internationalen Fabritgesetzgebung weiter fort­zuführen und jenen Staaten bestimmte Vorschläge in Sachen vor­zulegen."

Dieselbe ward e instimmig angenommen, desgleichen die nachstehende Resolution, welche mit Rücksicht auf die Sprödigkeit der Regierungen, der Anregung der Schweiz Folge zu leisten, gestellt wurde:

,, Der Arbeitertag fordert das Aktionskomite auf, mit den Ar­beiterparteien anderer Länder behufs Agitation für die internationale Fabritgesetzgebung in Verbindung zu treten".

Zur Frage der staatlichen Alters- und Invaliden­unterstützung stimmte der Arbeitertag nach kurzer Debatte den nach­stehenden Thesen des Referenten Bernstein zu:

,, 1. Es ist Pflicht der organisirten Gesellschaft dafür zu sorgen, daß ihre arbeitsunfähigen Mitglieder im ausreichenden Maße gegen Mangel geschützt werden.

2. Unter der Herrschaft des Privateigenthums und der kapita­ listischen Produktionsweise ist die beste Form dieser Fürsorge die obligatorische Alters- und Invalidenversicher­ung auf berufsgenossenschaftlicher Basis mit Selbstverwaltung der Arbeiter, bezw. der dem Gesetz unterstellten Personen.

3. Die Mittel für die Versicherung sind aufzubringen zu einem Theil von den betheiligten Arbeitern, zum andern Theil durch Staatszuschuß.

5. Dieser Staatszuschuß wird gebildet durch eine von den Unter­nehmern einzuziehende Steuer für jeden von ihnen angestellten ver­ficherungspflichtigen Arbeiter.".

Da die Frage der Alters- und Invalidenversicherung auch in Deutsch­ land demnächst zur Debatte kommt, so werden wir in einer der nächsten Nummern auch die Begründung dieser Thesen veröffentlichen. Es dürfte das um so eher geboten sein, als in Berichten deutscher Blätter arge Mißverständnisse untergelaufen find.

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Oesterreich. Die Theilnehmer an der Demonstration vom 10. August sind zu mehrmonatlichen Gefängnißstrafen, einer sogar zu vier Jahren Gefängniß verurtheilt worden. Jn kleinerem Maßstabe fand am 6. September eine Neuauflage dieses Krawalls statt, welche gleichfalls nur den Zweck hatte, daß eine Anzahl Arbeiter hinter Schloß und Riegel gebracht, andere von den wüthenden Soldaten schauerlich mißhandelt worden sind. Der Weber Schustaczet hatte auf den 6. Sep­tember eine Versammlung einberufen, welche von der Polizei verboten ward. Trotzdem hatten sich zur festgesetzten Stunde mehrere hundert Arbeiter eingefunden und die Polizei hatte es auch ruhig geschehen lassen, daß dieselben sich in dem festge. setten Lokale ansammelten. Dann aber gebot sie plötzlich Auseinandergehen, dem sich die Arbeiter nicht fügten, und so kam es zum Handgemenge. Mit Hilfe requirirten Militärs ward dann die Straße, wie es im Polizeijargon heißt, gesäubert", wobei es, wie gesagt, an Brutalitäten aller Art nicht fehlte.

Wir sind nun keineswegs der Ansicht, daß jeder Widerstand gegen die Polizeigewalt schon dann zu verwerfen ist, wenn nicht die Sicherheit des Sieges gegeben ist; es gibt vielmehr Verhältnisse, unter denen wir jedem Versuch solchen Widerstandes zustimmen würden; aber der oben­erwähnte Fall trägt zu deutlich den Stempel der Polizeimache an sich, als daß wir ihn unter diese einzureihen ver möchten. Ganz zweifellos haben die Arbeiter einer Parole gefolgt, die unter ihnen ausgegeben wurde- ,, man wußte nicht, woher sie kam". Wer aber das Habsburgische Regierungssystem kennt, wer den Vorgängen insgesammt, die sich in der

letzten Zeit in Wien abspielten( der wunderbare Merstallingerprozeß, die Vertheilung der anarchistischen Flugschriften gelegentlich der Wiener Brände 2c.) einigermaßen gefolgt ist, der wird auch wissen, wohin die Fäden der letzten Affäre zurückführen.

Die infamen Manöver der österreichischen Reaktionsklique wären eben nicht möglich, wenn nicht in Desterreich und speziell in Wien die soge­nannten Sozialrevolutionäre noch einen verhältnißmäßig großen Einfluß auf gewisse Arbeiterkreise ausübten. Diesem Einfluß vermochten die Ein­sichtigen unter den österreichischen Sozialisten schon deshalb nicht erfolg­reich entgegenwirken, weil sie die Manöver gewisser Anarchisten" der Deffentlichkeit hätten aufdecken müssen d. h. auch der Polizei. Und obwohl die Anarchisten durch ihr gemeines, verleumderisches Vorgehen jeden Anspruch auf Schonung verwirkt haben, so widerstrebt es doch jedem ehrenhaften Sozialdemokraten, der Polizei irgend einen Vorwand zum Einschreiten zu liefern. Es ist eine sehr schwierige Lage, in der unsere Genossen in Wien sich befinden.

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Um so mehr ist ein Flugblatt zu begrüßen, welches in den letzten Tagen von ihnen ausgegeben wurde und seine Wirkung nicht verfehlen dürfte. Es trägt den Titel: Die sozialdemokratische Partei Oesterreichs an die Arbeiter" und behandelt in Klarster Weise die Fragen: Wer macht Revolutionen, wie macht man Revolutionen und warum macht man Revolutionen?" Die Streiche der Anarchisten werden darin in einer Weise gekennzeichnet, aus der hervorgeht, daß der Verfasser des Flug­blattes über dieselben sehr gut unterrichtet ist.

Wir werden in nächster Nummer einige darauf bezügliche Auszüge aus diesem beachtenswerthen Dokument bringen, für heute mag es genügen, einige Stellen aus dem Schlußkapitel deffelben wiederzugeben.

" Die sozialistische Propaganda", heißt es da, bedroht die herrschenden Klaffen in allen ihren Vorrechten, ihr Wachsthum ist ein Gegenstand des Schreckens für Regierungen, Kapitalisten und Pfaffen, kein Wunder da­her, wenn man sie durch alle Mittel zu hemmen sucht. Auch in Defter­reich dehnte sich der sozialistische Ideenkreis beständig aus, trotz Verfol­gung und Druck von Oben, trotz Verleumdung und Hohn seitens der gegnerischen Preffe. Da versuchte man die Partei zu spalten; es gibt immer unzufriedene und Intriguanten, die, wenn sie nicht über das Ganze herrschen können, Theile von der Partei lostrennen, um dort ungehindert terrorisiren zu können. Solche Leute waren immer von der Reattion sehr gesucht, an sie drängten sich stets Polizeispione, um ihnen zu schmeicheln, ihren Größenwahn zu kultiviren und sie so für die Dienste gefügig zu machen, für welche die Polizei sie braucht. Nun werden die Arbeiter unter einander verheßt, um leerer Schlagworte willen die Partei gespalten, die Vertrauensmänner verdächtigt und damit das Terrain für eine der Reaktion dienende Armee von Proletariern geebnet. Durch die raffinirtesten Mittel sucht man das Bewußtsein der Solidarität unter den Arbeitern zu ersticken, indem man eine recht radikale" Taktik em­pfiehlt und alle Gegner derselben als Verräther und Auchsozialisten" oder ,, Palliativsozialisten" verdächtigt. Nachdem eine hinreichend weite Kluft zwischen den Arbeitern geschaffen, geht man daran, Verschwörungen zu bilden und alles für die Veranstaltung von Putschen vorzubereiten, von denen erwiesenermaßen die Polizei vorher immer genau unterrichtet ist. Um das Proletariat zu demoralisiren, vielleicht auch, um einigen Hallunken Geld zu verschaffen, werden Raub, Diebstahl, Betrug als löbliche Thaten im Interesse der, Par­tei", die aber blos aus den Lumpen besteht, ane mpfohlen. Wer als Lump, wer als Fanatiker mitwirkt, ist dann natürlich nicht mehr zu unterscheiden.

" In diesem Sumpf geht der Sozialismus jämmer­lich zu Grunde, er wird zu einer scheußlichen Frazze verzerrt, die den Abschen und den Eckel jedes ehrlichen Proletariers hervorruft. Darum sagte auch der Mitarbeiter am Merstallinger- Attentate, der berüchtigte Hote: Die Professionsbrüder( das heißt die wirk­lichen Arbeiter) fönnen wir in unseren Klubs nicht brauchen."

,, Eine so präparirte Masse ist auch zu den wahnsinnigsten ,, Thaten" fähig, sie ist das Material für die Revolutionsmacher von Profession. Hat man es einmal soweit gebracht, dann ist nur ein Schritt zur Ge­sellschaftsrettung". Hat man den Bürger- und Bauernstand durch ver­rückte Gewaltthaten eingeschüchtert, ihn mit Grauen vor dem Sozialismus erfüllt, die moralischen Gefühle gegen die Sozialisten aufgeftachelt, dann ist auch die Bahn frei für die niederträchtigste und erbarmungsloseste Razzia gegen die wirklichen Sozialisten, die mit Mördern, Räubern und Brandstiftern identifizirt werden. Die verrückten Fanatiker werden wie tolle Hunde niedergeschlagen. Die Reaktion triumphirt!

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,, Arbeiter! Ihr seid hiermit gewarnt! Hütet Euch vor Jenen, die Euch zu Thaten" auffordern, die sie selbst wohlweislich unterlassen. Folgt feiner Aufforderung zu Gewaltthaten, sondern verlanget von Jenen, die Euch dazu auffordern, sie sollen mit gutem" Beispiel vorangehen. Dann werdet Ihr hören, welche Ausflüchte sie ge­brauchen, um ihr eigenes tostbares Dasein nicht in Ge­fahr zu bringen. Trauet Jenen nicht, die Straßendemonstrationen veranstalten, selbst aber in sicherer Ferne bleiben und hintennach behaupten, die Demonstration sei aus dem Schooße der Arbeiterschaft selbst hervor­gegangen, sie seien nicht daran betheiligt gewesen. Ver­breitet unsere Prinzipien, schließt Euch an die öffentlichen Organisationen der Arbeiter an, sorget für die politische Aufklärung des Volkes, und Ihr werdet Euch um die Sache des Proletariats wahrhaft verdient machen! Wer Euch aber zu Attentaten auffordert, zu Straßendemon­ftrationen verleiten will, wer gemeine Verbrechen empfiehlt, der ist ein Schurte, ein bezahlter oder unbezahlter Agent der Reattion."

Mehrere Arbeitertongresse werden in den nächsten Tagen stattfinden. Am Sonntag, den 30. September, wird in Paris der Kongreß der französischen Sozialisten St. Etienner Richtung eröffnet werden, während die Sozialisten Roanner Pro­gramms Mitte Oktober oder noch später in Roubaix , tagen werden. Die spanischen Sozialisten hatten ihren Jahreskongreß für die Dauer des Belagerungszustandes vertagt, und berufen denselben jetzt auf den 4. Oktober nach Valencia ein. Unter Anderem wird dieser Kongreß, wie die neueste Nummer der Revista social" mittheilt, sich mit der Frage der sogenannten Parcerie( Theilhaber) verträge befassen, d. h. einer Art Erbpacht. Das anarchistische Blatt ist der Ansicht, daß diese Verträge zwar nicht die Lösung der sozialen Frage sind, wohl aber das praktischste und zuverlässigste Mittel, zu ihr zu ge­langen", weil sie, so heißt es weiter, als Mittel zur Organisation der Landarbeiter nicht ihres Gleichen haben. Sie erretten ihn Landarbeiter sofort aus den Krallen des Lohnsystems und des Bettler­thums, indem sie alle Fragen, welche auf das Bestehen der Arbeiter­vereine, die Organisation und Vertheilung der Arbeit, Bezug haben, in einfacher Weise dem Zivilrecht unterstellen, wo weder der Haß der Bourgeois noch der Hochmuth der Behörden etwas vermag, sondern nur die Entscheidungen der Gerichtshöfe."

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,, Mit dem Parcerievertrag erhält das zahlreichste, schlechtest unterrichtete Element des Proletariats Lebensfähigkeit, da in dem Augenblick, wo er abgeschlossen wird, der Großgrundbesitz die Form wechselt, zum unmittel­baren Nugen des Arbeiters, der durch ihn ein ver brieftes Recht auf das Land erwirbt, das ihm weder die spanische Bürgerwehr noch die stehenden Heere Europa's entreißen können."

Außerdem wird sich der Kongreß mit der Frage der gesetzlichen An­erkennung der Arbeitervereine befassen.

Wie man sieht, sind die spanischen Anarchisten ein ganz eigenes Völk­chen, so eine Art englischer Gewerkschaftler im proudhonistischen Ge­

wande.