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Richtigkeit zu beweisen unsere Gegner sich mit anerkennenswerther Offenheit bemühen. Die brutalen und zugleich kindischen Ver­folgungen, denen unsere Partei in allen Staaten des europäischen  Kontinents ausgesetzt ist die lächerliche Angst vor jeder Kund­gebung sozialistischer Prinzipiendas theils absichtliche, theils unabsichtliche Neben- die- Scheibe- Schießen, wenn man sich anschickt, irgend eine sozialpolitische" Maßregel zur Abhilfe oder Linde­rung eines sozialen Mißstandes in's Leben zu rufen das Alles verräth auf Seiten unserer Gegner, oder sagen wir lieber ber Regierungen und Vertreter der herrschenden Klassen einen so hohen Grad von bösem Willen oder Unfähigkeit oder Beidem zugleich( was wohl das Richtigere), daß ein noch höherer Grad von Leichtgläubigkeit dazu gehören würde, die Versicherungen der Regierungen und herrschenden Klassen, sie beabsichtigten wirk­lich die Sozialreform, auch nur einen Augenblick ernst zu nehmen.

Die Frage des guten oder bösen Willens wollen wir für heute links liegen lassen. Wir wollen uns ferner nicht in Untersuchungen ergehen, ob es überhaupt psychologisch denkbar ist, daß die heuti gen Machthaber soviel Vernunft und Selbstlosigkeit haben tön nen, als zu dem Entschluß einer ehrlichen Sozialreform nöthig wäre. Was wir wollen, ist, an einem alltäglich uns vor Augen tretenden, jeboch in seiner Bedeutung nur selten gewürdigten Beispiel die absolute Unfähigkeit der Machthaber zur Lösung der einfachsten sozialen Probleme zu demonstriren.

Wir meinen den Krieg, welchen die Gesellschaft gegen die Verbrecher führt: das sogenannte Kriminal- und Ge­fängnißwesen.

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In der guten alten Zeit" machte man mit den Verbrechern nicht viel Federlesens man hängte oder köpfte den einen Theil, und den anderen sperrte man ein, ohne sich weiter um die Gefangenen zu bekümmern, als daß man sie nicht verhungern ließ. Der Verbrecher war einfach der Feind, der auf die eine oder andere Weise unschädlich gemacht werden mußte. In unserem ,, humanen und intelligenten" Zeitalter wollte der Staat, wollten die Regierungen aber die Sache von einem höheren Gesichts­punkte" aus behandeln, und die Folge war, daß das Gefängniß­nißwesen einer vollständigen Revolution unterworfen ward.

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Statt Käfige zur Einsperrung und Unschädlichmachung der wilden Thiere, hätten wir faft gesagt- der Verbrecher, follten die Gefängnisse Besserungsanstalten werden. Indem der Staat den Gefängnissen diese Aufgabe zuwies, begab er sich, ohne es zu merken, auf das Gebiet der sozialen Frage. Er überall die soziale mochte den Fuß hinsetzen, wohin er wollte Frage. Und doch sah er sie nicht! Und weil er sie nicht sah, mißglückte das Besserungsexperiment.

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Eine Umgestaltung des Gefängnißwesens folgte auf die andere, mit den verschiedensten Haftsystemen wurde erperimentirt das Resultat blieb dasselbe. Die erstrebte Besserung wurde nicht erreicht und wird bis auf den heutigen Tag nicht erreicht. Nach wie vor füllen sich die Gefängnisse, nach wie vor sind die Gefängnisse, statt Besserungsanstalten, nur Schulen des Ver brechens, nach wie vor werden, namentlich die Eigenthums: verbrechen, gewerbs- und geschäftsmäßig betrieben; nach wie vor besteht ein furchtbarer Prozentsat sämmtlicher Gefangenen aus rädfälligen Verbrechern.

Trotz aller Revolutionen und Systemwechsel im Gefängniß­wesen ist der Staat von der Lösung des Problems, wie die Ver­brecher zu bessern sind, eingestandenermaßen gerade soweit entfernt, wie vor 100 Jahren.

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Und das ist nicht zum Verwundern. Denn das Problem an sich ist seiner Natur nach ebenso unlösbar wie das der Quadratur des Zirkels. Dem Staat erging es gleich den Schauspielern in gewissen Lustspielszenen er stolperte sozusagen über die Beine ber sozialen Frage, aber berührte sie nicht. Sonst hätte er begriffen, daß die Verbrecher nicht gebessert, aber die Ver= brechen verhütet werden können und verhütet werden müssen.

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Wir sagten: Der Verbrecher kann nicht gebessert werden. Selbstverständlich meinen wir: innerhalb der heutigen Gesellschaftsorganisation. Der Verbrecher, d. h. nicht der Gelegenheitsverbecher, sondern der geschäftsmäßige Verbrecher, stiehlt, raubt, betrügt, um sich zu ernähren- das Verbrechen ist sein Nahrungszweig, seine Erwerbsquelle. Wäre ihm die Möglichkeit ehrlichen und auskömmlichen Verdienstes geboten, er würde sicherlich nicht das mit sehr viel Unannehm­lichkeiten verbundene und sehr wenig lohnende Verbrecher geschäft betreiben.

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sobald er

Wird ein solcher Verbrecher gefangen und empfängt er im Gefängniß die schönsten Predigten und Lehren wieder frei ist, beginnt er wieder das alte Geschäft und zwar aus denselben Gründen, warum er es überhaupt ergriffen hat: er muß leben. Und daran hat der Staat bis zur Stunde nicht gedacht. Wohl haben wir ein paar Pri­vatgesellschaften, die für die Unterkunft entlassener Sträf linge sorgen wollen, jedoch aus Mangel an Mitteln und noch mehr aus Mangel an richtiger Sachkenntniß nichts leisten der Staat hat sich um diese so einfache, handgreifliche Frage nicht bekümmert. Er bessert"," bessert"," bessert", und unter den Sträflingen, die seine Gefängnisse und Zuchthäuser füllen, befinden sich Jahr für Jahr mit erschreckender Regelmäßigkeit 25-30 Prozent Rückfällige!

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Daß der Staat hier eine Arbeit verrichtet, so zwecklos und unfinnig, wie das Dreschen von leerem Stroh, das fällt den erleuchteten Geistern nicht ein, welche heute an der Spitze des Staates stehen.

Furcht vor der sozialen Revolution ist es nicht, was die Macht­haber gehindert hat, am Boden der Verbrecher- und Gefängniß­frage die soziale Frage zu entdecken. Es ist die Binde des Vorurtheils und der Beschränktheit, welche ihnen dick vor den Augen liegt und die Fähigkeit nimmt, die soziale Reform zu erkennen, geschweige denn, sie durchzu­führen.

,, Warum es in England keine Sozial­demokraten gibt?"

Also betitelt sich ein Aufsatz, welchen ein chriftlich sozialer Anonymus auf Grund der Ausführungen von L. Brentano und Gustav Cohn  im Schmoller'schen Jahrbuch verfaßt hat und welcher jetzt durch einen Theil der reaktionären deutschen Presse die Runde macht.

Wir könnten nun zunächst uns gegen die Frage selbst wenden, die den Titel des Aussages bildet, und sie einfach durch die Behauptung der Thatsachen über den Haufen werfen, daß es in England Sozialdemokraten gibt; aber lassen wir das und gehen wir in die Entwickelung und Ausführungen des Verfassers ein.

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Er beginnt damit, seine Frage von den verschiedenen Parteien beant­worten zu lassen.

,, Warum es in England keine Sozialdemokraten gibt?

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,, Weil England das klassische Land der freien Konkurrenz, des Gehen­und Geschehenlaffens ist wird die deutsche Manchesterschule fagen.

,, Weil in England zuerst unter allen Ländern der Grundsatz der Gleich­berechtigung aller Staatsbürger und der sozialistischen   Afsoziation zur praktischen Verwirklichung gekommen ist wird vermuthlich die ton­tinentale Sozialdemokratie antworten.

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,, Weil in England die unteren Klaffen die Nothwendigkeit der höheren begreifen und nicht schon im Prinzip die Regierung bekämpfen werden vielleicht tonservative Bertheidiger der bestehenden Ordnung, der bestehenden Gesellschaftsgliederung, erklären.

,, Weil das Volk Englands auch in seinen unteren Schichten dem christ­lichen Gedanken, von welchem die englische Sozialreform ausging, nicht prinzipiell feindlich gegenübersteht ist vermuthlich die Ansicht streng tirchlich gesinnter Kreise."

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die Nachdem der Verfasser so alle Parteien hat antworten lassen ,, kontinentale Sozialdemokratie" antwortet beiläufig nicht, wie er ver­muthet erklärt er, daß alle Recht und Unrecht haben, und ver­kündigt dann seine Weisheit: natürlich unfehlbare ,, Alle( in diesen Antworten angeführten) Thatsachen find richtig, ohne daß die daraus gezogenen Schlußfolgerungen ohne Weiteres zutreffen. Denn 1) bildet nicht das Prinzip der freien Konkurrenz, sondern die Be­kämpfung deffelben als eines unchriftlichen den Ausgangspunkt der Sozial­reform Englands und 2) bezog sich die proklamirte Gleichberechtigung, da auch jetzt noch die äußere Ungleichheit in der Bertheilung des Besitzes nirgends größer ist als in England, niemals auf den Besitz an weltlichen Gütern; auch nicht durch staatlich organisirte, sondern durch freiwillige Affoziation unter prinzipieller Verwerfung aller Staatshilfe suchte die englische Sozialreform ihre Ideale zu erreichen. Endlich hat auch 3) weder das gegenwärtige befriedigende Verhältniß der Gesellschaftsklaffen zu ein­ander, noch 4) der spezifisch religiöse Ausgangspunkt der englischen Sozial­reform verhindert, daß die große Maffe der englischen Arbeiter noch jetzt, und jetzt wieder, politisch und kirchlich genau so liberal, ja radikal denkt, wie irgendwo auf dem Kontinent.

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,, Und doch haben wir in dieser christlich- sozialen Bewegung Englands den nächsten Grund dafür, daß es dort gegenwärtig eine eigentliche So­zialdemokratie nicht gibt( wir sprechen von England, nicht auch von Jrland) zu suchen."

Und nun schildert uns der Verfasser in grellen Farben, wie bereits seit dem Schluß des vorigen Jahrhunderts( mit Verlaub, Herr Christlich  . Sozialer, es war schon ein bischen früher) der Großbetrieb die gewerb­liche Ordnung aufzulösen begann", wie die Handwerker in verwilderte Proletarier verwandelt" wurden und sich eine Kluft zwischen Arm und Reich aufthat." Staat und Kirche traten auf Seiten der Reichen gegen die Armen, der Fabrikanten gegen die Arbeiter. Die schlimmen Folgen blieben nicht aus.

,, Die Arbeiter suchten ihr Heil in der Zerstörung der Maschinen und Erstürmung von Fabriken; als dies, wie die Gewalt bisher stets, nichts half, in der Bildung von Gewerkvereinen, und da auch dieses Mittel ver­sagte, in der Lehre der Gütergemeinschaft. Die Arbeiter wurden, wie erst Jahrzehnte später in Deutschland  , der großen Mehrheit nach Sozialdemo­kraten und bekannten sich zu den Chartisten."

Diese christlich- soziale Geschichtschreibung ist so wunderbar, daß sie uns vortrefflich auf das Wunder vorbereitet, das sich jetzt zuträgt. Als Alles in Nacht und Verzweiflung war wie zur Zeit, wo dem

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in Elend und Sünden verkommenen Menschengeschlechte der Heiland ge­boren ward ,, erhob sich völlig vereinzelt die Stimme des Theologen Frederic Donison Maurice als des ersten Vorkämpfers einer neuen Lehre, die von einem kleinen, aber entschlossenen Häuflein von Aposteln aller Berufsarten, namentlich Rechtsgelehrter, bald weit ge­nug hinausgetragen werden sollte in das Vaterland Adam Smith's  . Die Welt, so lehrten dieselben, ist von Gott   geschaffen, die christliche Lehre ist von Gott   offenbart, zwischen beiden, der thatsächlichen Weltordnung und der christlichen Weltanschauung, kann somit kein Widerspruch stattfinden. Die Nothwendigkeit, die hieraus folgt, besteht darin, die Gesellschaft ent­sprechend der christlichen Lehre zu ordnen, die Grundsätze des Christen­thums anzuwenden auf Ackerbau, Handel und Gewerbe. Diesen Grund­fägen steht die gegenwärtige Wirthschaftsordnung, welche die Selbstsucht und die ihr entsprungene Konkurrenz für die oberste Triebfeder jedes gefunden Fortschritte erklärt, direkt entgegen. Die Bekämpfung dieser Selbstsucht, dieses Konkurrenzprinzips, bildet daher den Ausgangspunkt jeder vernünftigen Reform der Gesellschaft. Nicht durch Konkurrenz, sondern durch Zusammenwirken ist die Wirthschaft, ist die Gesellschaft zu reformiren, das Prinzip der Affoziation ist nothwendiger Ausfluß des Christenthums ſelbſt.

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,, Die Forderungen, welche die sozialen Reformer an die einzelnen Ge­sellschaftsklassen zu stellen hatten, ergaben sich hiernach von selbst." Die sich von selbst ergebenden Forderungen der Leser wird von seinem Erstaunen, daß die Existenz des wunderthätigen Meffias ihm trotz der überbiblischen Wunder desselben ein tiefes Geheimniß geblieben, sich also: hoffentlich genügend erholt haben, um das Folgende zu lesen ,, die sich von selbst ergebenden Forderungen" find, daß ,, Freiheit, Gleich­und Brüderlichkeit" eine durchaus berechtigte ,, Devise" ist. Aber nur in der gleichen Möglichkeit Aller, ihre besonderen Gaben zu ent­falten, besteht die wahre Gleichheit, nur in der Beherrschung der thierischen Justintte, die im Menschen ruhen, besteht die wahre Freiheit, nur in dem gemeinsamen Empfinden und Wirken für das Allen gemeinschaftliche Gute, in der Regelung des Klassenverhältnisses auf brüderlicher Grundlage die Brüderlichkeit. Niemals ist Volkspolitik mit bloßer Arbeiter­politik identisch; die erstere besteht vielmehr in der Erfüllung der jeder Klasse gegen die andere obliegenden Verpflichtungen und für die arbei­tende klasse heißt sie: Einfachheit, Anspruchlosig­teit, Ehrlichkeit, Treue gegen die Kunden und gegen einander, Unterordnung des einzelnen Jchs unter das Ganze, Assoziation statt Konkurrenz."

Und für die Klaffe der Besitzenden heißt die Bolkspolitik": daß fie die Arbeiter ,, wie ältere Brüder die jüngeren unterstützen und führen, nicht unterstützen in der Form der Gnade und mit dem ausgesprochenen Zwecke, die Armen in ihrer Lage als Arme zu erhalten, sondern mit der Absicht, fremde Hilfe fünftig entbehrlich zu machen, daß sie nicht mit

Parteigenossen! Vergeßt der Verfolgten falscher Bornehmheit, sondern vertrauend ihnen entgegenkommen, daß fie

und Gemaßregelten nicht!

die soziale Führung übernehmen und durch täglich neue Verdienste be­weisen sollen, daß sie in der That die erste Klaffe des Landes und ihre Klassenansprüche berechtigt sind."

Dies das welterlösende( und die Arbeiterfrage lösende) Programm. Und nun die Ausführung. Es wurden Artikel in einem Londoner Blatt ( und vermuthlich auch mehreren anderen) geschrieben. Es wurden Pro­

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duktivassoziationen gegründet. Es wurden Musterlogirhäuser errichtet. Es wurden Predigten gehalten. Es wurde für die armen Nähterinen das öffent­liche Mitleid erregt. Es wurde eine ,, Gesellschaft zur Förderung von Arbeiter­Affoziationen" gegründet. Es wurde eine Zentralgenossenschaftsbank ge­stiftet. Und noch verschiedenes andere Erstaunliche wurde geleistet. Das Alles war aber nicht genug. Die Arbeiter mußten ,, gebildet" wer­den. Die chriftlich- sozialen Wundermänner schufen das Workingmens College"( Arbeiter Hochschule), wo Unterrichtsstunden ertheilt und von verschiedenen berühmten Professoren Vorträge gehalten wurden. Jedoch der chriftlich- soziale Anonymus hat wieder das Wort ,, mit all' diesen Mitteln haben die chriftlichen Sozialisten Englands ihr nächstes praktisches Ziel, die Verwirklichung des Christenthums im Affo­ziationsprinzip nicht erreicht, ja sie sind demselben gegenwärtig ferner als je. Die Produktivgenossenschaften sind bis auf verschwin dende Ausnahmen zu Grunde gegangen, und die Konsumvereine blühen und gedeihen zwar, aber überbieten sich in jenem kleinlichen, dem Konkurrenzkampf und Klassenegoismus entsprungenen Krämergeist, den sie selbst und ihre christlich- sozialistischen Förderer bei ihren Gegnern in erster Linie bekämpften. Auch dem Christenthum, geschweige denn der Staats­firche ist die Arbeiterbevölkerung Englands innerlich kaum in höherem Grade zugeneigt, als früher.

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Aber Eines haben unsere christlichen Sozialisten erreicht. Die ganze Haltung der oberen Klassen Englands gegenüber den Arbeitern hat sich geändert, fie haben in hohem Grade die Lehre der christlichen Sozialisten beherzigt, daß es ihre vornehmste Aufgabe sei, die Führung der Arbeiter­Klaffe zu übernehmen. Und nicht als selbstsüchtige Agitatoren haben sie diese Führung übernommen, sondern als treue, oft warnende und zür­nende Freunde. In fast allen großen Arbeiterstreitigkeiten Englands haben fich aus ihren Kreisen Männer gefunden, die aller ihnen daraus erwach­senden Nachtheile nicht achtend, für die Arbeiter eintraten, wo sie in ihrem guten Rechte waren. Das Workingmens College besteht und ent­faltet seine reiche Segensthätigkeit noch jetzt; auch die großartigen, der materiellen und fittlichen Hebung des Arbeiterstandes dienenden sonstigen Anstalten, die alle der freien Initiative der höheren Stände entsprangen, find zu bekannt, als daß es ihrer Aufzählung und Beschreibung an dieser Stelle bedürfte.

,, Und die englischen Arbeiter haben dies erkannt. Es gibt heute that­sächlich in England keine Chartisten mehr."

Also das Praktische, was die chriftlich- sozialen Tausendsasas er­ftrebten, die Verwirklichung des Assoziationsprinzips u. s. w., ist ihnen mißglückt, aber das Hauptziel haben sie dennoch erreicht. Um so größer das Wunder.

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Es gibt teine Chartisten   mehr in England." Das ist allerdings richtig. Schade nur, daß Leute, die vermuthlich weil ihnen der rechte Glaube fehlt teine Wunder bemerkt haben, der Meinung sind, die englischen Chriftlich- Sozialen seien hieran ebenso un­schuldig, wie das Heupferd der Fabel an der Fortbewegung des Wagens. Und das Wunderbarste an dem christlich- sozialen Wunder ist, daß die englischen Arbeiter, an denen das Wunder doch geübt worden ist, gar nichts davon verspürt haben. Es wird keine hundert englischen Arbeiter geben, die den Namen des Messias Maurice je gehört oder in den Mund genommen haben.

Um einmal aus dieser chriftlich- sozialen Wunderwelt in die wirkliche ( sündhafte) Welt zurückzukehren, von der wir uns leider nicht zu trennen vermögen, sei kurz bemerkt:

Obgleich in England seitens der Pfaffen und überhaupt der oberen Klaffen hundertmal mehr als in irgend einem anderen Lande geschehen ist, um die Arbeiter fromm und konservativ zu machen( unser Chriftlich­Sozialer hat freilich toloffal aufgeschnitten), find all' diese Versuche auf's Kläglichste gescheitert. Die englischen Arbeiter sind durch die Bant entweder bewußt atheistisch oder religiös in different; und in der Politik radikal. Revolutionär" find sie seit dem Erlöschen der( an ihrer eigenen Unklarheit und ihren inneren Widersprüchen gescheiterten) Chartistenbewegung bis auf den heutigen Tag als Klasse nicht gewesen, und zwar aus dem sehr einfachen Grund, weil der Staat ihnen nicht feindlich entgegentritt- wie das in Deutschland   der Fall ist und weil die Freiheit, deren sie genießen, ihnen die Hoffnung eingeflößt hat, durch Ausübung des Affoziations- und Koalitionsrechtes in dem heutigen Staate das Arbeitsverhältniß und die Gesellschaft in ihrem( der Arbeiter) Sinn umgestalten zu können. Das ist eine Jllusion.

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Die Maffe der englischen Arbeiter ist, trotz empfindlicher Lehren, noch nicht von ihr geheilt. Die Logik der Thatsachen wird aber, vermittelst noch empfindlicherer Lehren und Erfahrungen, die Heilung bewerkstelligen. Es sind schon tüchtige Kräfte für die Sozialdemokratie gewonnen. Die " Demokratische Föderation  " arbeitet tapfer am Propagandawert. Kein Wunder der christlich- sozialen Wunderthäter wird verhindern können, daß eines schönen Tages die gesammte Arbeiterklasse Englands sich zur Sozial­demokratie bekennt. Und wenn den englischen Arbeitern die Binde von den Augen gefallen ist, dann haben sie auch vermöge ihrer kolossalen, unvergleichlichen Gewerkschaftsorganisationen( die nicht versagt" haben) sofort die Macht zur Durchführung ihrer Ideen.

Am Tage, wo die englische Arbeiterklasse sich von der Nothwendigkeit des demokratischen Sozialismus überzeugt, gibt es in England nicht blos Sozialdemokraten, dann gehört England der Sozial­

demokratie!

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Sozialpolitische Rundschau.

ml.

Zürich  , 26. September 1883.

Liberale Weisheit. Herr Georg v. Bunsen, Freund und Vertrauter des Kronprinzen und Führer der ſezessionistischen Libe­ralen, der es nicht verschmäht hat, die famose Reklamereise zu Ehren des Hrn. Billard und auf Kosten der ,, Northern Pacific Gesellschaft  " als Free­Luncher", auf deutsch   Freiberger, mitzumachen, dieser Herr Bunsen  ist bei seiner Anwesenheit in Chicago   von einem Berichterstatter der dortigen ,, Times" interwiewt" worden und ließ sich u. A. folgender­maßen über den Sozialismus aus:

" Der Sozialismus ist feine prominente*) Frage. Wir haben das allgemeine und freie Wahlrecht in Deutschland  , welches Jedem ge­stattet, seinen Ansichten freieu Ausdruck zu verleihen. Die Sozialisten haben auch hiervon Gebrauch gemacht und einige Bertreter erwählt. Ob der Sozialismus ab- oder zunimmt, kann ich Ihnen nicht sagen. Sie wissen, daß das Sozialistengeset die Agitatoren in sehr wirt­samer Weise ausgerottet hat. Sobald ein Redner in einer Versammlung über sozialistische Lehren spricht, nimmt ihn die Polizei sofort beim Kragen und sprengt die Versammlung. Damit bin ich nun eigentlich nicht einverstanden. Meine Ansicht ist die, daß der Sozialismus eine Krankheit ist, die auszurotten es nur zwei Mittel gibt:

1) Systematische Gesetzgebung, die alles Das beseitigt, was den Men­schen verhindert, fortzukommen.

2) Die gesellschaftlichen Beziehungen zwischen den gebildeten und un­gebildeten Klaffen sollten zu engeren und brüderlicheren umgestaltet

werden.

England und Amerika   haben nichts vom Sozialismus zu befürchten. England hat ihn durch weise Gesetzgebung vor 35 Jahren vernichtet. Amerika   bietet ihm nicht den geringsten Boden."

*) hervorragend, wichtig.