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in den zwischen Fortschritt und Reaktionären streitigen Bezirken an der Wahl theilnahmen, stimmten sie für die Letteren, gaben also dem Haß mehr Raum als der Verachtung." Das ist eine direkte Lüge. Die Berliner Volkszeitung" konstatirt vielmehr ausdrücklich, daß da wo die Arbeiter sich bei den Stichwahlen zwischen ihren Gegnern überhaupt betheiligten im Allgemeinen blieben sie denselben fern sie über: wiegend zu Gunsten der Liberalen stimmten, wie das z. B. im 11. Wahlbezirk evident ersichtlich. Dagegen schreibt die„ Volkszeitung" von den Wahlkreisen, wo Tuzauer siegte, daß in Beiden höchstens nur ein Theil der Bürgerpartei für die Arbeiterpartei gestimmt haben kann, wahrscheinlich aber beide Parteien ihren Stimmenzuwachs ihren eigenen Mitgliedern zu verdanken haben". Man muß schon einen großen Haß gegen die Arbeiterpartei hegen, wenn derselbe in so eklatanter Weise, wie bei der Frankfurterin über die Wahrheit obfiegt.
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Stöcker in London . Wenn Jemand eine Reise thut, so kann er was erzählen, dachte der fromme Hofprediger und zog über den Kanal, vor den Engländern Luther und vor den in London lebenden Deutschen die christlich- germanische Sozialreform, d. h. sich selbst, zu glorifiziren. Denn bekanntlich läßt sich der brave Stöcker mit Vorliebe als Luther Nr. 2 anpreisen, was auch insofern ganz berechtigt ist, als Herr Stöcker alle Fehler Luther's getreulich nachahmt. Vielleicht machen wir uns einmal gelegentlich den Spaß, eine Parallele zwischen Luther , dem Wortführer des emporstrebenden Absolutismus, und Stöcker, dem Lobredner des überlebten Absolutismus zu ziehen, heute wollen wir dies Thema bei Seite lassen und lieber unseren Lesern mittheilen, was man uns aus London über die dortigen Abenteuer des preußischen Oberhofdemagogen schreibt. Wir erhalten nämlich darüber folgende Korrespondenz:
,, Herr Stöcker ist mit seinem Versuch, in London ,, chriftlichen" Sozialismus zu predigen, besser gesagt: Sozialdemagogie zu treiben, schlecht angelaufen. Es war seinem Komite gelungen, für seinen ersten Vortrag den egyptischen Saal im Mansionhouse( Stadthaus), für seinen zweiten die Memorial- Hall in Farringdon- Street zu sichern. Der erste Vortrag sollte am 14. ds., Nachmittags 1 Uhr, stattfinden, Thema:„ Die Sozialreform in Deutschland ", der zweite am 15. ds., Abends 7%, Uhr, Thema: ,, Der christliche Sozialismus." Da machte ihm nun der hochkonservative neue Lordmajor Fowler einen bösen Strich durch die Rechnung, indem er ihm auf Veranlassung des israelitischen Aldermans Isaac die Erlaubniß zur Benutzung des Mansionhouse- Saales entzog, mit Rücksicht, wie er in den Blättern erklären ließ, auf die respektablen israelitischen City- Kaufleute.
,, Die erste Versammlung mußte also auch in Memorial- Hall, die einer englischen Nonconformisten( Diffidenten-) Sekte gehört, stattfinden. Vorher hatte Stöcker noch sein Heiligenlicht in dem Hauptquartier der Mucker Londons , in ,, Exeter- Hall", leuchten lassen, allwo er einige unverdauliche Phrasen über die Internationalität Luther's in noch unverdaulicherem Englisch von sich gab. Zu der Nachmittagsversammlung konnten unsere Genossen, die sämmtlich für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten haben, nicht kommen, da Stöcker denn doch nicht werth ist, einen halben Tag Arbeit seinetwegen zu verlieren. So waren nur einige Genossen anwesend, die dem geistlichen Herrn den Faden seines Vortrags schön in Unordnung brachten, bei dem Namen Luther Bauernkrieg!" und bei Erwähnung der Botschaft unseres Kaisers"" Massenmörder!" riefen. Schließlich gab dann auch Stöcker die Sache auf, nachdem er noch geäußert, die Sozialdemokraten sollten erst ihre revolutionären Ideen ablegen, da könne man auch das Sozialistengesetz aufheben. So blau! Diskussion gab es nicht.
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,, War die Nachmittagsversammlung schon ein beträchtlicher Hereinfall, so wurde es am Donnerstag Abend noch schlimmer. Unsere Genossen waren von allen Seiten herbeigeeilt, auch Juden hatten sich in Masse eingefunden. Als die Thüren geöffnet wurden, war der Andrang so start, daß die geräumige Halle sie faßt mit der Gallerie 1500 Per sonen im Nu gefüllt war. Von Sozialisten mochten im Ganzen etwa 400-500 Mann anwesend sein, und zwar aus beiden Lagern, da Sozialisten und Sozialrevolutionäre bei dieser Gelegenheit ohne besondere Verabredung zusammengingen. Die Arrangeure der Versammlung hatten auch reservirte Pläge eingerichtet, à 2 Sh. 6 d.( Mk. 2,50) der Sit; die Stühle hatten die Schlaumeier mit Stangen und Stricken mit einander verbunden, um einem etwaigen Vordringen der im hinteren Theile des Saales befindlichen Menge Hindernisse in den Weg zu legen. Unsere Genossen, als erfahrene Versammlungsbesucher, hatten sich natürlich so weit als möglich nach vorn postirt.
,, Als Stöcker mit seinem Komite erschien, wurde er mit minutelangem Zischen und Lärmen begrüßt, wobei die anwesenden Bourgeois und Juden Hervorragendes leisteten. Letztere brachten dann auch aus Dankbarkeit dem Lordmajor Fowler ein Hoch aus. Ein gewisser Herr Feldmann, der den Vorsitzenden spielen wollte, suchte vergebens Ordnung herzustellen, bis Stöcker schließlich einsah, daß er nachzugeben habe, und den Bürger Daubenspeck bewog, in seinem Namen zu erklären, daß er sein Wort gebe, daß freie Diskussion stattfinden solle; auch offerirte Stöcker den Sozialisten, sich einen zweiten Vorsitzenden zu wählen. Davon wollten aber die Genossen nichts wissen. Sie waren hergekommen, nicht um zu diskutiren, sondern um Herrn Stöcker und in seiner Person Bismarck , seinem Patron und den regierenden Klassen Deutschlands , ihren Haß und ihre Verachtung in möglichst unzweideutiger Weise kundzugeben, auf die Mundtodtmachung unserer Genossen in Deutschland zu antworten, und glaubten das am besten zu thun, wenn sie Stöcker möglichst geschwind zum Berlaffen des Saales bewogen. Das Zischen begann von Neuem, untermischt mit den Rufen: Raus!"" Nicht reden lassen!" 2c. Gleichzeitig wurde an zwei Stellen im Saale die rothe Fahne entfaltet, die eine von Bürger S. Kaufmann unmittelbar vor der Tribüne, die andere von einem Mitgliede von Stephens Mews ( Rose Street) mitten unter den reservirten Pläßen. Beide, von der Masse der Genoffen getrennt, wurden leider von den sie umringenden Polizisten und Bourgeois überwältigt und ihnen die Fahnen entrissen. Jetzt war es aber mit aller Geduld vorbei. In geschlossenen Reihen marschirten unsere Genossen auf und über die Sihreihen hinweg und nahmen, die Bourgeois verscheuchend, von dem Bureau Besitz, von dem Stöcker und sein Komite Hals über Kopf verschwanden. Die Marseillaise wurde angestimmt, und volle 10 Minuten erfreuten wir uns unseres spielend errungenen Sieges.
,, Die Stöcker'schen hatten inzwischen Polizeiverstärkung geholt. Der Inspektor kam, erklärte, daß ,, Dr." Stöcker die Halle verlassen habe, und ersuchte( merkt Euch das Wort!) die Anwesenden, die Halle ruhig zu verlaffen. Dieser höflichen Aufforderung famen wir auch nach, freilich so langsam als möglich, um Stöcker nicht Gelegenheit zu geben, doch noch eine Versammlung mit seinen Getreuen abzuhalten. ,, Wie wir hören, wird jetzt von Stöcker's Seite beabsichtigt, eine gegeschlossene Versammlung abzuhalten.
,, Nun, wir können die Herren nicht hindern, hinter verschlossenen Thüren zu tagen und pomphafte Resolutionen zu fassen. In eine öffentliche Versammlung in London wird sich aber dieser Bismarckische, in Judenhese machende christlich- soziale Oberdemagoge wohl nicht so leicht wieder begeben.
Soweit der Bericht.
C. V."
Wie man sieht, nehmen unsere Londoner Genossen die Verantwortung für die wüsten Tumulte", von denen die Liberalen mit heuchlerischem Bedauern schreiben, voll und ganz auf sich. Sie wollten nicht distutiren, sondern demonstriren. Und wenn man bedenkt, in welch' infamer Weise Stöcker in Deutschland das Sozialistenknebelungsgesetz dazu benutzt hat, unsere Partei und unsere besten Vorkämpfer mit seinem Geifer zu besudeln, dann wird man diese Art Revanche sicherlich nicht zu schroff finden. Selbst die erzkonservative„ St. James Gazette"
schreibt, daß der Professor der Wissenschaft der Judenheze keinen Grund habe, sich zu beklagen.
Die St. James Gazette" ist das Organ der englischen Hofklique und zweifelsohne von gewissen, der preußischen Kronprinzessin Viktoria nahestehenden Kreisen beeinflußt. Die Engländer sagen offen ihre Meinung, die deutschen Liberalen aber, die sich im Stillen unbändig gefreut haben, daß ihr Konkurrent in Servilismus es einmal gehörig bekommen hat, laffen die gute Gelegenheit nicht vorübergehen, auf die rohen Sozialdemokraten den Stein ihrer pharisäerhaften Entrüstung zu werfen, von Verlegung der Freiheit" 2c. zu reden. Diesen Biedermännern sei erwidert, daß unter den ,, wüsten Schreiern" sich Männer befanden, denen die deutsche Freiheit" ihre ganze Existenz gekostet hat. Das will etwas mehr sagen, als der bloße Verzicht auf die Verherrlichung des Bismarcschen Volksbetrugs. Wer die Freiheit Anderer mit Füßen tritt, hat keinen Anspruch darauf, seine eigene Freiheit respektirt zu sehen.
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Das Attentat auf Jules Ferry . Wie unsere Leser bereits gelesen haben werden, ist der Präsident des Ministeriums der französischen Republik , Herr Jules Ferry- Fait- rire( macht lachen) nennen ihn die pietätlosen Pariser am letzten Sonnabend Gegenstand eines Attentatsversuchs gewesen. Der Attentäter war in das Ministerhotel gegangen, hatte dort den Minister, der zur selben Zeit im Senat war, zu sprechen verlangt, war dann, da er nicht vorgelassen ward, gewaltsam in das Zimmer gedrungen, in welchem er den Minister vermuthete, und bekannte, als ihn die Thürsteher verhafteten, offen, weshalb er gekommen war. Ihr stehlt Millionen, rief er aus, während wir mit 2%, Franken per Tag verhungern!"
Paul Curien, so heißt der Attentäter, ist 18 Jahre alt, von schwächlicher Konstitution und arbeitete zuletzt als Bäckergehülfe in Lille . Er besuchte dort öfters anarchistische Vereine, denen er jedoch als Minderjähriger nicht beitrat.
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,, Aus unsern Gegenuntersuchungen", schreibt Em. Massard im ,, Cri du Peuple" der seinen Mitarbeiter Olivier Pain nach Lille geschickt hatte, um nicht auf die offiziösen Quellen angewiesen zu sein ,, geht hervor, daß Curien weder wahnsinnig noch ein Polizeiagent ist. Soviel steht fest. Wir sagen das frei heraus, weil die sozialistische Partei kein Interesse daran hat, die Wahrheit zu bemänteln. Curien gehört zu jenen Verbitterten, die wie Fournier in Roanne und Florion in Reims nicht den für eine Erhebung günstigen Moment abwarten können, und die sich einbilden, durch einen Pistolenschuß die Grundlagen der Gesellschaft zu zertrümmern.
,, Wir billigen das individuelle Vorgehen nicht, wir erklären es offen, weil wir es für unnüz und zuweilen sogar schädlich halten. Gambetta , den Florion beseitigen wollte, ist todt, aber die kapitalistische Ausbeutung ist immer noch oben auf.
,, Das Leben eines Staatsmannes zählt nicht in dem Leben eines Volkes; wir führen keinen Kampf gegen Individuen, sondern gegen Einrichtungen; die Haut eines Ferry ist uns nicht die Kugel werth die sie durchlöchert, und wir halten dafür, daß der Kampf gegen die Bourgeoisie kein persönlicher und vereinzelter, sondern ein gemeinsamer und allgemeiner sein muß: Klasse gegen Klasse.
,, Das ist aber kein Grund, die Heißblütigen zu verläumden, welche in einem Augenblick der Verirrung der Versuchung nachgeben, die Rolle des Rächers zu spielen. Curien gehört zu ihnen."
Schroffer als Massard drückte sich der Anarchist Delory in Rou bair, der Nachbarstadt von Lille aus, den Olivier Pain besuchte. Er sagte:
,, Dieser Attentatsversuch ist Blödsinn. Was sollte das gewaltsame Verschwinden eines Regierers nüßen! Unsere Grundsätze richten sich nicht gegen Einzelpersonen, sondern gegen die ungerechten Einrichtungen." Ganz unsere Ansicht.
Bourgeoisdankbarkeit. Für den Musterbourgeois gibt es keine andere Triebfeder als das Interesse, das nackte, kraẞmaterialistische Interesse. Wenn er sich großmüthig zeigt, kann man darauf wetten, daß die Großmuth nur der Deckmantel des gemeinsten Egoismus ist. Am deutlichsten sieht man dies an der Behandlung, welche die Bourgeoisie ihren Handlangern und Vertheidigern zu Theil werden läßt. Solange sie arbeitsfähig sind, ihr nutzen, werden sie bezahlt oft( falls es sich verlohnt) gut bezahlt sobald sie aber arbeitsunfähig werden, ist's auch mit dem Bezahlen vorbei der ausgemerzte" Erfinder, Journalist oder was er sonst ist, mag sehen, wo er Brod findet, seine Wittwe oder Kinder mögen verhungern.
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Ein recht schlagendes Beispiel von solcher Bourgeoisdankbarkeit wurde uns vor Kurzem durch ein Leipziger Blatt enthüllt. Wir fanden daselbst nachstehende Annonce, die wir im Original beilegen:
Aufträge für Wäscheſtickerei, lateinische und gothische Buchstaben sowohl wie Monogramme, nimmt entgegen
P. verw. Redakteur Hüttner, Lindenstraße 2, 2 Tr."
,, P. verw. Redakteur Hüttner" sucht ,, Aufträge für Wäschestickerei" 2c., d. h. Arbeit, welche erbärmlich bezahlt wird und knapp ausreicht, das schnelle Verhungern zu hindern, indem an dessen Stelle das lang= same Verhungern gesetzt wird, wie das Hood in seinem ,, Lied vom Hemd" geschildert hat. Die Verfasserin der Annonce ist also offenbar in der traurigsten Nothlage. Und wer ist nun diese Unglückliche? Der Name hat unsere Leser vielleicht schon auf die richtige Spur gebracht. Es ist die Wittwe des vor ungefähr einem Jahre zu Leipzig verstorbenen Redakteurs Hüttner vom Leipziger Tageblatt ." Dieser Hüttner, den Parteigenossen zur Genüge bekannt, hatte sich an die Bourgeoisie verkauft und obgleich seine Fähigkeiten und Kenntnisse nicht weit her waren, so besaß er doch eine Eigenschaft, die seiner Feder und Redaktionsscheere( lettere war sein Hauptarbeitsinstrument) einen ziemlichen Kaufwerth verlieh: er bebte vor keiner schmutzigen Arbeit zurück, ja betrieb sie mit Vorliebe je schmutziger, je lieber. Und so kam es denn, daß die Eigenthümer des„ Leipziger Tageblatts", Buchdruckereibesizer Polz, ihm ein Jahresgehalt von 9000 Mark bezahlten. Jetzt ist er todt und die Wittwe am Verhungern. Die Wittwe kann die schmutzige Arbeit ihres Mannes nicht verrichten und Herr Polz denkt: keine schmutzige Arbeit, kein Geld die Wittwe seines gestorbenen Redakteurs( Chefredakteurs), der ihm fast ein Menschenalter treu als journalistischer Kondottiere*) gedient hat, läßt er kaltblütig in's Proletariat herabsinken, zu Grunde gehen. Und er sieht hierin durchaus nichts Unanständiges sonst würde er die Blamage dieser Annonce durch ein Bettelalmosen abgewendet haben. Offenbar hält er sein Handeln für durchaus korrekt; für so korrekt, daß er sich nicht schämt, den verzweifelten Nothschrei der Wittwe seines langjährigen Chefredaktors in seinem eigenen, von diesem fast ein Menschenalter redigirten Blatte zu veröffentlichen. Denn das„ Tageblatt" ist's, dem wir die Annonce entnommen. Ob er Zahlung für die Annonce verlangt und empfangen hat? Warum nicht? Geschäft ist Geschäft, und in Geldsachen hört die Gemüthlichkeit auf.
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Der Skandal hat noch eine zweite Seite, auf die wir unseren Blick werfen müssen: der verstorbene Chefredakteur des„ Leipziger Tageblatts" gehörte bekanntlich zu den rücksichtslosesten Verunglimpfern der Sozialdemokratie und rechnete es u. A. unserer Partei als ein besonders schweres Verbrechen an, daß sie die deutschen Arbeiter dem Sparevangelium des sozialen Messias Schulze Delisch abwendig mache. Er war mit einem Wort ein fanatischer Vertreter der Spartheorie: durch Sparsamkeit könne alles Elend aus der Welt geschafft werden, durch Sparen, und durch Sparen allein, sei die soziale Frage zu lösen, Niemand, der spare, könne in's Elend kommen, wer in unserer
*) Wörtlich: Führer, hier im Sinne von Oberhausknecht.
besten der Welten in's Elend komme, sei selber Schuld daran, weil er das alleinseligmachende Sparen versäumt habe.
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Wohlan, dieser biedere Sparapostel huldigte in seinem Leben jener famosen Pfaffenmarime, daß die Lehrer des Volkes, gleich den Wegweisern an den Landstraßen, zwar den Weg zu zeigen, nicht aber ihn zu gehen haben er verkneipte Jahr für Jahr seine 9000 Mark gewissenhaft bis auf den letzten Pfennig; und als er der Redaktionsscheere und der Leipziger Gose Valet sagen mußte, da war von dem Sparapostel nicht soviel Geld erspart, daß man den Sparapostel hätte begraben können.
Man sieht, der Musterredakteur Hüttner war ein ebenso musterhafter Sparapostel, wie sein Brodgeber Polz ein musterhafter Bourgeois ist. Von der Moral der Geschichte brauchen wir nicht zu reden; sie liegt faustdick vor den Augen des Lesers.
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Die Volkspartei und das Reich. Herr Sonnemann hielt am 17. November in Göppingen einen Vortrag über die politischen und wirthschaftlichen Tagesfragen. In diesem Vortrag gab er, wie die Frankfurter Zeitung " berichtet, unter Anderem folgenden Sat zum Besten:
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,, Um ein solches Vorgehen( das Zusammengehen mit den Konservativen) zu rechtfertigen, sagen die württembergischen Liberalen, sie seien gezwungen mit den Konservativen zu gehen, weil sie die Volkspartei bekämpfen müssen, denn diese sei antinational. Zum Beweis für diese Behauptung wissen sie nichts Anderes vorzubringen, als alte Geschichten vor 1866 oder 1870; in dieser Zeit hat bekanntlich auch Herr v. Varnbüler , nunmehr einer ihrer Parteigenossen, das Wort: Vae victis!" gesprochen. Gegen die Thätigkeit der Volkspartei seit der Neugründnng des deutschen Reiches wissen sie nichts einzuwenden. Heute erfüllt teine Partei ihre Pflich= ten gegen das Reich treuer und gewissenhafter, teine steht fester auf dem Boden des Reichs als als die deutsche Volkspartei."
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Das Reich", um das es sich hier handelt, ist ein Konglomerat von 25 Regierungen", von dem noch jüngst sein ,, Schöpfer" in seinem Leibblatte erklären durfte, es sei durchaus nicht ausgeschlossen, daß diese ,, Regierungen" nicht eines Tages den Reichsvertrag ändern könnten, wenn es ihnen in den Kram passe; dieses Reich" zählt zu seinen Angehörigen Hunderttausende, die nicht Deutsche sind, nicht Deutsche sein wollen, während Millionen Deutscher außerhalb desselben stehen; dieses Reich" hat eine Verfassung, die jede wirkliche Volksvertretung unmöglich macht dieses ,, Reich" ist mit einem Wort das absolute Gegentheil eines demokratischen Gemeinwesens.
Indeß das Reich besteht einmal und deshalb kann man, ohne die die Grundsätze der Demokratie zu verleugnen, in dem gegebenen Rahmen desselben für seine Umwandlung in einen wirklichen Volksstaat wirken, ohne deshalb Landesverrath und dergleichen zu begehen oder irgend ein Interesse des im Reich vertretenen Volkes zu verlegen. Wer sich aber auf den Boden des Reiches stellt, und zwar so fest stellt als alle anderen Parteien, die Deutschkonservativen inbegriffen, der verläßt damit den Standpunkt der Demokratie, der anerkennt das Fürstenkonglomerat als einen berechtigten Faktor in den Reichsinstitutionen, der anerkennt den Zustand, daß ein Bundesrath alle Beschlüsse der Volksvertretung in den Papierkorb werfen darf, der sanktionirt die jämmerlichste Schöpfung einer kläglichen Kompromißpolitik.
Anstatt dagegen zu protestiren, daß man die Gegner des Reiches in seiner heutigen Gestalt als Gegner der Nation hinstelle, zog es Herr Sonnemann vor, zu konstatiren, daß er mit Minnigerode, Hammerstein, Bennigsen und Konsorten an demselben Strange ziehe eher fester als weniger wie sie.
Wir begnügen uns damit, von dieser offiziellen Lossagung von der Demokratie, von den politischen Grundsätzen eines Johann Jakoby, Kenntniß zu nehmen.
Eine Frage. Noch eine Stelle aus der Sonnemann'schen Rede verdient hier näher betrachtet zu werden. Die Volkspartei ", sagte der Führer derselben ,,, kämpft für den freiheitlichen und sozialen Ausbau des Reiches mit der Waffe des allgemeinen Stimmrechts. Solange wir diese Waffe haben, bleibt die Bahn keinem berechtigten Fortschritt verschlossen."
,, Berechtigter Fortschritt" ist ein sehr schönes Wort, das wir jedoch als einen harmlosen lapsus linguae nicht beachten würden, wenn es nicht vortrefflich die Tendenz, überall einzuschränken, zurückzudrängen, verriethe. Selbst der arme, funschuldige Fortschritt, dieser nichtssagende, zu nichts verpflichtende Fortschritt, muß sich unter ihr in einen berechtigten und einen unberechtigten eintheilen lassen. Wollten wir boshaft sein, so könnten wir Herrn Sonnemann unterstellen, daß er jeden Fortschritt, der mit dem allgemeinen Stimmrecht erreicht werden kann, für berechtigt, jeden anderen aber für unberechtigt hält, und da würde es sich denn zeigen, daß all die schönen Dinge, von denen er hinterher spricht: Schaffung eines verantwortlichen Reichsministeriums, Umwandwandlung des Bundesratses in ein Staatenhaus u. s. w. zum unberechtigten Fortschritt gehören, sintemalen sie durch das allgemeine Wahlrecht nicht erreicht werden können. Herrn Sonnemann ist doch das Schicksal des Diätenantrages bekannt?
Wir sind aber nicht so boshaft, sondern erlauben nur eine ganz bescheidene Frage: Haben wir denn in Deutschland überhaupt das allgemeine Stimmrecht? Kann man unter ernsthaften Leuten ernsthaft von allgemeinem Stimmrecht reden, in einem ,, Reiche", wo die Presse geknebelt, das Versammlungsrecht vernichtet, das freie Wort unterdrückt, die Freiheit der Wahl für die Mehrzahl der Wähler eine infame Lüge ist?
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Eine Schufterei. Seit über 14 Tagen ist der aus Leipzig ausgewiesene Buchbinder Taute, der im Diet'schen Geschäfte in Stutt gart Stellung bekam, verhaftet, wie sich herausstellt, in Folge einer Denunziation, daß Taute den ,, Sozialdemokrat" verbreite. In der That fand sich bei der Haussuchung in seiner Wohnung ein Brief des bekannten Polizeispions Nebel aus Leipzig vor, worin dieser seinen„ Freund Taute" ersucht, ihm eine Anzahl von Exemplaren des„ Sozialdemokrat" zu senden.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß Nebel diesen Brief geschrieben hat, um Taute in die Patsche zu bringen. Taute hat nun zwar keine Blätter gesandt, sitzt aber doch seit über 14 Tagen in Uutersuchungshaft und tann unter Umständen warten, bis nach Ansicht der Stuttgarter Richter seine Unschuld erwiesen ist.
In Leipzig besteht kein Zweifel, daß Nebel es war, der schon vor Jahr und Tag gegen Taute die Denunziation einreichte, einen Artikel im ,, Sozialdemokrat" geschrieben zu haben, infolge deren Taute 3 Monate Gefängniß erhielt und dann ausgewiesen wurde.
Merkwürdigerweise wollte Taute nie an die Schuftigkeit Nebel's glauben jest dürften ihm die Augen aufgegangen sein!
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Auch eine geschulte Kraft". In den Elsaßlothringischen Oberschulrath ist jüngst ein Lehrer Dr. Sachse aus Berlin berufen worden, der das respektable Alter von 26 Jahren erreicht hat und noch nicht 2½ Jahre seine Probezeit inbegriffen
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Tur:
im Schuldienst thätig ist. Was muß das für ein Genie im nen sein! Ein Rückgrat von Gummi elastikum! Nicht nur in den Straßburger Lehrerkreisen, sondern auch in den nicht speziell betheiligten Regierungskreisen ist die ,, Verwunderung" darüberd. h. über die Berufung, nicht über das Rückgrat eine allgemeine, berichtet man der Fr. 8tg."