die soziale Frage sich in England mit Elementargewalt in den Vorder­grund des politischen Lebens drängt, die öffentliche Aufmerk samkeit von dem Kernpunkte ab und auf eine falsche Fährte lenkt. Die Worte des Herrn Chamberlain lassen an Kraft und Schärfe gewiß nichts zu wünschen übrig, seine Kritik der heutigen Ge­sellschaftszustände ist erbarmungslos so weit sie geht, seine Schilderung des Elends, das aus den sozialen Mißständen hervorgegangen, ist er­greifend. Aber Herr Chamberlain hütet sich sorgfältig, die Ursa che, die Basis der gesellschaftlichen Mißstände zu berühren, und richtet seine Entrüstung nicht gegen die Wurzel des Uebels: die kapitalistische Produktion mit ihrer Ausbeutung und ungerechten Gütervertheilung, sondern nur gegen den einen, allerdings häßlichen, aber keineswegs häßlichsten Auswuchs: die Wohnungsfrage, den schmachvollen Zustand der Wohungen eines großen Theils, vielleicht des größten, der arbeitenden Bevölkerung.

Wenn man bedenkt, daß die Führer der Konkurrenzpartei, die Tories, die, gleich den aristokratischen Reaktionären anderer Länder, gern in Sozialreform" machen, schon seit Monaten auf der Wohnungsfrage herumreiten und politisches Kapital aus ihr zu schlagen suchen, so er­scheint das Chamberlain'sche Pronunziamento als einfacher Gegen= Schachzug von liberaler Seite: man will dem Plebs" etwas bieten, damit er den Tories nicht in's Garn geht und sich von den Liberalen hübsch fort nasführen läßt. Die liberale Regierung ver­steigt sich wohl auch zu ,, positiven Maßregeln": legt dem Parlament eine Bill zur Verbesserung der Arbeiterwohnungen vor, sorgt wirklich für den Bau einiger Musterwohnungen und schlägt tüchtig auf die Reklametrom­mel. So gelangt sie billig in den Ruf der Menschen- und Arbeiterfreund­lichkeit, und im Grunde bleibt Alles beim Alten. Die Wurzel des Uebels wird nicht berührt, die Ausbeutung dauert fort, die Arbeiter leben nach wie vor im Elend und bereichern ihre Ausbeuter. Die Regie­rung sagt triumphirend: Wir haben die soziale Frage gelöst dem Rezepte Chamberlain's!

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Sozialpolitische Rundschau.

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nach

Zürich  , 16. Januar.

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Zur Kritik des neuen Unfallversicherungs­Gesezentwurfs genügt mehr als alles Andere die Thatsache, daß die Organe des Bourgeoisliberalismus mit ihm zufrieden sind, und diesen dritten( unter solchen Verhältnissen vielleicht auch wohl letzten) Unfall- Entwurf für einen, erfreulichen Fortschritt" gegenüber den früheren erklären. Und die Herren Bourgeois haben Ursache, sich zu freuen. Der biedere Otto, dem es mit seinem Staatssozialismus und seinem ,, Staats­zuschuß" zu den Unfallversicherungskaffen nur um gemeine Bauern­fängerei zu thun war, hat Staatssozialismus   und Staatszuschuß" ohne Gewissensbisse oder Herzbeklemmungen fahren lassen und sich mit seinem ganzen Entwurf auf den Standpunkt des bürgerlichen Liberalismus ge­stellt. Mit seinem ganzen Entwurf? Das war eine Ungenauigkeit des Ausdrucks, welche wir berichtigen müssen. Mit der Verfasserschaft des dritten Entwurfs hat nämlich der biedere Otto gerade so wenig zu thun, als mit der Verfasserschaft von Göthe's Fauft selbst wenn wir seine" sämmtlichen Minister, Geheimräthe und sonstigen Hausknechte als leibeigen ihm angehörig betrachten wollten. Der Entwurf ist näm­lich im Wesentlichen dem von Vollblut- Bourgeois entworfenen Unfall­gesetz der österreichischen   Regierung entnommen, oder zu gut deutsch abgeschrieben worden. Original, d. h. von ,, Bismarck   und seinen Leuten herrührend", ist nur ein einziger Paragraph, und das ist zufälliger- oder auch nicht zufälligerweise der schlechteste des ganzen Entwurfs: wir meinen den bereits in voriger Nummer erwähnten Para­graph mit der 13 wöchentlichen Karenzzeit, welcher die Kosten für alle Unfälle, die bis zu 13 Wochen Arbeitsunfähigkeit zur Folge haben, den Krankenkassen, d. h. den Arbeitern aufwälzt. Die Voll­blutbourgeois des österreichischen Gesetzes begnügten sich mit einer Karenzzeit von 5 Wochen, und wälzten nur für diese Frist die Last der Unfallversicherung den Arbeitern auf. Die Arbeiterfreundlichkeit unseres selbsternannten Anwalts des armen Mannes" und die der österrei­chischen Vollblutbourgeois drückt sich mit klassischer Deutlichkeit in diesen beiden Ziffern aus. Man muß nur die Ziffern umkehren. Die Arbeiter­freundlichkeit des biederen Otto verhält sich zu der Arbeiterfreundlichkeit der österreichischen Gesezmacher wie 5 zu 13. Der Polizei und Junker­sozialismus drückt auf den Arbeiter mit beinahe dem dreifachen Gewicht wie die Arbeiterfreundlichkeit der Vollblut- Bourgeois. Damit ist der biedere Dtto und seine Sozialreform sammt praktischem Christenthum zur Genüge charakterisirt und gerichtet.

Herrschen und Ausbeuten. Auf dem, nationalliberalen Parteitag" zu Barmen( am 6. d. M.) sagte der Abgeordnete Dr. Graf anläßlich des Antrags Stern: Die geheime Abstimmung nehme dem Wähler das Gefühl der Verantwortlichkeit; fie gebe den ungebildeten und besitlosen Massen die Herrschaft im Staate und bedeute die Aus­beutung der Minorität durch die Majorität."

Nageln wir diese Ausdrücke fest, welche die innersten Gedanken der Bourgeoisie verrathen. Ueber die Phrase von dem Gefühl der Ver­antwortlichkeit" verlieren wir kein Wort. Desto wichtiger aber ist das Zugeständniß, daß das allgemeine Stimmrecht mit geheimer Stimm­abgabe schließlich zur Herrschaft der ,, ungebildeten und besiglosen Massen", d. h. des Proletariats führen muß. Die Herren wissen recht genau, was die praktischen Konsequenzen des unbeschränkten und frei aus­geübten allgemeinen Wahlrechts sind. Gerade weil sie es wissen, sind fie auch Gegner des allgemeinen Stimmrechts. Wie Herr Graf, so denkt die gesammte liberale Bourgeoisie( Fortschrittler natürlich mit ein­

Feuilleton.

Das Recht auf Faulheit.

IV. Wo die Rettung liegt.

Trotz der Uebel, welche ihr aus demselben erwachsen, gewöhnte sich die Bourgeoisie bald an ihr Parasitenleben und sah mit Schrecken jeder Aen­derung der Dinge entgegen. Angesichts der jammervollen Lebensweise, der fich die Arbeiterklasse refignirt unterwarf, und der organischen Verkümme­rung, welche die unnatürliche Arbeitssucht zur Folge hat, steigerte sich noch ihr Widerwille gegen jede Auferlegung von Arbeitsleistungen und gegen jede Einschränkung ihrer Genüffe.

Und just zu dieser Zeit setzten sich die Proletarier, ohne der Demoralisation, welche sich die Bourgeoisie als eine gesellschaft­liche Pflicht auferlegt hatte, im Geringsten zu achten, in den Kopf, die Kapitalisten zwangsweise zur Arbeit anzuhalten. In ihrer Einfalt nahmen sie die Theorien der Dekonomen und Moralisten über die Arbeit für baare Münze und gürteten ihre Lenden, die Praxis derselben den Kapitalisten zur Pflicht zu machen. Das Proletariat proklamirte die Parole: Mer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Im Jahre 1831 erhob sich Lyon   für Blei oder Arbeit"; die Juniinsurgenten von 1848 forderten das Recht auf Arbeit" und die Föderirten vom März 1871 bezeichneten ihren Aufstand als die Revolution der Arbeit".

Auf diese barbarischen Angriffe wider alles bürgerliche Wohlleben und alle bürgerliche Faulheit konnten die Herren Kapitalisten nur mit gewalt­samer Unterdrückung antworten; aber wenn sie auch diese revolutionären Ausbrüche zu unterdrücken vermochten, so wissen sie doch, daß selbst in dem Meere des vergossenen Blutes die absurde Jdee des Proletariats, den Müssiggängern und Satten Arbeit aufzuerlegen, nicht ertränkt worden ist; und nur um dieses Unheil abzuwenden, umgeben sie sich mit Soldaten, mit Polizisten, Behörden und Kerkermeistern, die sämmtlich unproduktive Arbeiten verrichten müssen. Heute kann Niemand mehr über den Charakter der modernen Heere im Unklaren sein, sie sind nur deshalb stehende", um den inneren Feind" niederzuhalten. Ein Beispiel, gegen das es keinen Widerspruch gibt, ist Belgien  , dieses Muster­land des Kapitalismus  . Seine Neutralität ist von den europäischen  Mächten verbürgt, und trotzdem ist seine Armee, im Verhältniß zur Be­

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gerechnet), und wo und wann einzelne Jdeologen zählen nicht die liberale( fortschrittliche) Bourgeoisie sich für das allgemeine Wahl­recht erklärt, geschieht es aus politischer Heuchelei oder hat irgendwie sonst den Schalt hinter ihm".

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Das allgemeine Wahlrecht, frei ausgeübt, ist nicht sofort, aber mit der Zeit die Herrschaft des arbeitenden Volks, oder richtiger: das Aufhören der Herrschaft seiner Unterdrücker und Ausbeuter also das wissen die Herren Bourgeois; aber sie wissen auch was Herrschaft" bedeutet. Nicht aus Herrschsucht oder Ehrgeiz klammert die Bourgeoisie sich an die Herrschaft solche ritter­lichen Laster liegen ihr fern, sie will Geld machen, und, wenn sie nur das Wesen und den praktischen Nugen der Herrschaft hat, ver­zichtet sie gern auf die äußere Form und Ehre derselben, wie wir in Frankreich   unter dem Kaiserreich des zweiten Bonaparte gesehen haben und jetzt in Deutschland   unter der Bismarck  'schen Kopie dieses zweiten Bonapartischen Kaiserreichs sehen. Auf das Wesen und den praktischen Nutzen kommt es den Herren Bourgeois an: Die Herr schaft der besiglosen Massen im Staate bedeutet die Ausbeutung der Minorität durch die Majorität." Ein kostbarer Sak! Klarer konnte nicht ausgesprochen werden, was die politische Herrschaft in dem modernen Klassenstaate bedeutet: die Aus­beutung der Beherrschten durch die Herrscher. Die ökonomische Aus­beutung ist der Zweck der politischen Herrschaft. Der heutige Staat gibt der besitzenden Minorität die Herrschaft, und die Herrschaft wird von der Minorität dazu benüßt, die besitlose Majorität auszubeuten. Das ist in der Ordnung. Und daß diese Ordnung jetzt durch das all­gemeine Wahlrecht bedroht wird, bringt die Herren Bourgeois in Har­nisch. Wenn der Spieß umgedreht und die besitlose Majorität sich der Herrschaft im Staat bemächtigen würde- welch haarsträubende Aus­sichten: die Minorität würde von der Majorität aus= gebeutet werden! schauervoll! schauervoll! Höchst schauer­voll! Die Minorität von der Majorität ausgebeutet, die Wenigen von den Vielen! Mit anderen Worten: Die beste der Welten auf den Kopf gestellt, alle Grundlagen der Gesellschaft um­gestürzt. Denn ist es nicht ewiges Gesetz, daß die Majorität von der Minorität ausgebeutet wird? Die Vielen von den We­nigen?

Nun, die Herren Bourgeois mögen sich beruhigen. Es ist in der That ein ewiges Gesetz so ewig" wie das Herrschen und Ausbeuten überhaupt-, daß die Majorität von der Minorität ausgebeutet wird, und nicht umgekehrt. Es ist nicht bloß ewiges Gesetz, sondern es hat auch allein Sinn, während das Gegentheil absoluter Unsinn wäre. Daß sich aus den besiglosen und arbeitenden Massen etwas Tüchtiges heraus­schlagen läßt, dafür legen die Milliarden beredtes Zeugniß, welche all­jährlich dem Nationalreichthum der verschiedenen Kulturstaaten hinzu­gefügt werden und in die weiten Taschen der internationalen Bour­geoisie wandern. Was würden aber die arbeitenden und besitlosen Massen herausschlagen, wenn sie unsere Herren Bourgeois und sämmt­liche Drohnen der Gesellschaft ,, ausbeuten" wollten!

Ei, die verzogenen, verzärtelten Bürschchen würden meist gar nicht im Stande sein, durch ehrliche Arbeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen und müßten von ihren Ausbeutern" noch gefüttert werden. Dafür danken wir! Wir wollen nicht ausbeuten, schon weil wir es nicht können, und nie können werden. Wo nichts ist, da hat der Kaiser sein Recht verloren. Was die Herren von der, herrschenden Minorität an aufgespeichertem Ertrag fremder Arbeit besigen, das wird ja nicht bis zum St. Nimmerleinstag in ihrem Besitz bleiben, allein vor unserer Herrschaft und Ausbeutung brauchen sie sich nicht zu fürchten. Wenn die jetzt Beherrschten und Ausgebeuteten nicht mehr beherrscht und ausgebeutet werden, ist's mit dem Herrschen und Ausbeuten über­haupt Matthäi am Letzten.

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Ueber den verstorbenen Lasker haben wir uns zwar bereits in voriger Nummer geäußert, doch sehen wir uns veranlaßt, heute noch einmal auf den Mann mit der verunglückten ,, Mannesseele" zurückzukommen.

Bor längerer Zeit schon hatten wir, auf Grund sorgfältiger Beobach­tung, mitgetheilt, daß Herr Lasker an Gehirnerweichung leide, und zwar im streng me dizinischem Sinne des Wortes moralische Gehirnerweichung hat er immer gehabt und war in Folge dessen der von der Natur prädestinirte Fyrer des nationalliberalen Parteibreis. Diese Notiz ward uns damals von Vielen übel genommen. Jetzt hat sich herausgestellt, daß wir buchstäblich die Wahrheit gesagt.

Es waren übrigens keineswegs gehäffi Motive, welche uns zu dieser Notiz veranlaßt hatten. Herr Lasker   hatte längst aufgehört, ein ernst­hafter Gegner für uns zu sein. Das Verbrechen dieses Mannes bestand in seiner Schwäche. Herr Lasker   war schwach, aber ehrlich, soweit ein schwacher Mann ehrlich sein kann. Sozialdemokratischen Abgeordneten gegenüber gab er im Privatgespräch rückhaltlos zu, daß er sich in seinen Parteibestrebungen und seiner Partei geirrt. ,, Wenn ich einmal zu Ihnen komme, dann jagen Sie mich nicht fort. Ich fürchte, ich bin auf dem Wege, Sozialdemokrat zu werden", sagte er eines Tages; und er sagte es nicht im Scherz. Daß seine besten Freunde" ihn schnöde bei Seite geschoben, das merkte er schon vor Jahren, wozu freilich kein sonderlicher Scharfblick gehörte. Und nach seinem Tode haben ihm die besten Freunde" den Eselstritt gegeben. Der Nachruf des Hannover  'schen Couriers", des Organs des Staatsmanns Bennigsen, ist das Per­fideste und Gemeinste, was uns seit langer Zeit vorgekommen. Nun, von der Sippe ist nichts anderes zu erwarten.

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Bravo  , bravo, dreimal bravo! Die neu revidirte Ge werbeordnung, dieses Probestück konservativ- ultramontaner Gesetz­gebung, ist mit dem 1. Januar in Deutschland   in Kraft getreten und zeitigt bereits ihre Früchte. Wie dem Schwäbischen Wochenblatt" aus Frankfurt   an der Oder mitgetheilt wird, hat die dortige Be­hörde den Kolporteuren unter Anderem: Schorer's Familienblatt"( ein patriotisch- liberales Unterhaltungsblatt), Stunden der Andacht"

völkerungszahl, eine der stärksten. Ihre glorreichen Schlachtfelder aber find die Ebenen des Borinage und von Charleroy: in dem Blute von un­bewaffneten Bergleuten und Arbeitern pflegt der belgische Offizier seinen Degen zu tausen" und seine Epauletten zu fischen. Die europäischen  Nationen haben keine Volks-, sondern Söldnerarmeen zum Schutz der Kapitalisten gegen das Volk, das dieselben zu zehnstündiger Gruben­oder Fabrikarbeit verdammen will.

Aber so groß dieses Heer vo unnüßen Mäulern, so unersättlich auch seine Gefräßigkeit ist, so genügt es noch immer nicht, um alle Waaren zu konsumiren, welche die durch das Dogma von der Arbeit verdummten Arbeiter erzeugen, ohne sie konsumiren zu wollen, noch sich darum zu küm­mern, ob sich überhaupt Leute finden, die sie konsumiren. Und so besteht, an­gesichts der doppelten Verrücktheit der Arbeiter: sich durch neberarbeit abzurackern und in Entbehrungen dahinzuleben, das große Problem der tapitalistischen Produktion nicht darin, Produzenten zu finden und die Kraft derselben zu erhöhen, sondern Konsumenten zu entdecken, ihren Appetit zu reizen oder ihnen solchen anzuerziehen.

und da die europäischen   Arbeiter, vor Hunger und Kälte zitternd, fich weigern, die Stoffe, die sie weben, zu tragen, das Korn, das sie bauen, zu verzehren, so sehen sich die armen Fabrikanten genöthigt, zu den Antipoden zu laufen und dort Leute zu suchen, welche die Erzeugnisse des Fleißes der europäischen   Arbeiter brauchen können. Hunderte von Millionen und Milliarden an Werth sind es, welche Europa   jährlich nach allen vier Enden der Welt für Völker ex­portirt, die nicht wissen, was sie damit anfangen sollen. Die erforschten Erdtheile sind ihnen nicht ausgedehnt genug, daher brauchen sie jung­fräuliches Land. Die Fabrikanten Europas   träumen Tag und Nacht von Afrika  , vom Saharameer, von der Sudanbahn; mit gespannter Aufmerksamkeit folgen sie den Reisen der Stanley, der de Brazza, dr Nachtigall, der Holub; offenen Mundes lauschen sie den wunderver­heißenden Erzählungen dieser muthigen Forscher. Welch unbekannte Wunder verbirgt nicht dieser dunkle Erdtheil"! Ganze Felder sind mit Elephantenzähnen besäet, ganze Flüsse von Palmöl fließen in einem Bett von Goldsand dahin, Millionen von schwarzen Hintern, nackt wie Bismarcks Schädel, harren des europäischen   Kattuns, um den Anstand, des Schnapses und der Bibel, um die Tugenden der Zivilisation zu

erlernen.

Aber alles Das reicht noch nicht aus: Die Bourgeois, die sich anmästen, die Dienstbotenklasse, die zahlreicher ist als die produktive Klasse, die

( natürlich nicht die unseres alten Johann Philipp Becker  , denn die sind in Deutschland   längst verboten, sondern die 3 schokke'schen), ,, 500 Jahre Berliner   Geschichte"," Buch der Erfindungen", ,, Vom Fels zum Meer"( eine nationalliberale Zeitschrift), a Is zur Kolportage ungeeignet von der eingereichten Liste ge strichen.

Wir können die brave Frankfurter   Polizei zu dieser Entscheidung nur von Herzen beglückwünschen. So infame Geseze wie diese Gewerbeordnung müssen stramm gehandhabt werden, sonst kommt ihre Niedertracht den Massen nicht gehörig zum Bewußtsein. Auch entspricht dieser Entscheid durchaus den Absichten der Macher des Gesetzes, die bekanntlich über­haupt nur die Kolportage von religiösen Verdummungsschriften und Geschichtsfälschungen gestatten wollten.

Ganz besonders billigen wir das Verbot des Buches der Erfin dungen. Das ist ein durch und durch gottloses Buch. Anstatt die ganzen Erfindungen als Teufelswerk hinzustellen, was sie doch mit Aus­nahme der Krupp'schen Kanonen und des preußischen Schnapses sammt und sonders sind, werden sie dort als großartige Manifestationen des menschlichen Geistes verherrlicht. Es ist ein aufrührerisches Buch, denn es verführt seine Leser zu der Frage: Wie kommt es denn, daß alle die herrlichen Erfindungen der Masse der Menschen bisher so wenig Nugen gebracht? Es ist ein landesverrätherisches Buch, denn es zeigt seinen Lesern, daß die Völker auf den friedlichen Verkehr mit einander angewiesen sind, daß eines vom andern lernen kann, lernen muß, und es ist ein majestätsbeleidigerisches Buch, denn von Königen, die epoche­machende Erfindungen gemacht, ist nichts darin zu lesen. So ein Buch muß also in Preußen verboten werden!

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Zur Rohheitsstatistit. Durch die deutsche Presse lief jüngst die Notiz, daß ein Prinz des preußischen Königshauses im Begriff stehe, sich von seiner Gemahlin scheiden zu lassen. Hinterher ward dann mit­getheilt, daß der Prinz, auf den da angespielt wurde, Prinz Fried­ rich Karl   der rothe Prinz" sei, daß derselbe zwar schon seit einiger Zeit von seiner Gemahlin getrennt lebe, daß aber eine Scheidung schon deshalb nicht erfolgen werde, weil das Familienoberhaupt Kaiser Wilhelm   seine Zustimmung zu diesem Schritt nicht ertheilen mag.

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Diese Geschichte wäre an sich herzlich uninteressant, wenn sie nicht ein Streiflicht werfen würde auf die Sitten in den ,, besten" Kreisen der ,, besten" Gesellschaft. Wir haben da zunächst zu berichtigen, daß nicht Friedrich Karl, der würdige Sohn des Thalerprinzen, es ist, der die Scheidung begehrt, denn die hat ein Mann in diesen Kreisen nicht nöthig, wenn ihm seine Frau nicht mehr konvenirt, sondern seine glückliche Gattin. Und zwar keineswegs aus Eifersucht oder dergleichen deshalb läßt sich keine Fürstin von ihrem Manne scheiden, man müßte sonst fürstliche Ehepaare mit der Laterne suchen, auch nicht wegen ehelicher Vernach­lässigung, denn auch Prinzessinen wissen sich schadlos zu halten, nein Ursache ist eine viel prosaischere: es ist die Tapferkeit des edlen Hohenzollern  . Der heldenmäßige Prinz- Helden sind sie ja alle, alle! liebt es nämlich, seiner Frau die Beweise seiner Tapferkeit hand greiflichst zukommen zu lassen, deutlicher ausgedrückt, er prügelt fie, wie Prinzen sonst nur ihre Diener zu prügeln pflegen. Die sehr lebenslustige Frau mußte wiederholt von Hoffestlichkeiten wegbleiben, weil Arme und Hals mit Liebesbeweisen des hohen Gemahls übersäet waren. Was Wunder, daß sie jetzt, wo sie ihre Töchter an den Mann gebracht, den eignen Mann los sein möchte! Aber die Religion muß dem Volke erhalten werden", das Volk darf in seinem Regentenhaus nur den Inbegriff alles Hohen und Erhabenen sehen, deshalb Alles, nur teine öffentliche Scheidung!

" Die Strenge des Gesetzes". Unsere beste aller Gesell­schaften kann gar nicht besser charakterisirt werden als durch nachstehende Notiz der Wiener ,, Allgemeinen Zeitung" vom 5. Januar:

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,, Die Strenge des Geseze 3. Zupassen ist ein Spiel, welches im Errathen der Lage eines mit der Hand verdeckten Geld­stückes durch zulegen eines gleichen Geldstückes besteht. Gottfried Bradler, Philipp Weiß und Heinrich Zucker, Knaben im Alter von 15 und 16 Jahren, hatten am 30. November nichts Besseres zu thun, als sich auf der Stiege des Börsen­gebäudes niederzuhocken und um zweiKreuzer zupassen" zu spielen. Da nahten sich ihnen zwei Sicherheitswachmänner; diese saisirten den Einsatz, die zwei Kreuzer, und arretirten die Spieler. Das Gesetz qualifizirt Zupassen" als Hazardspiel, und so standen denn die drei Burschen heute vor dem Richter des Wiener Bezirksgerichtes im Alsergrund, Dr. von Neubauer, unter der Anklage der Uebertretung des Hazardspieles. Sie waren geständig und wurden verurtheilt, Jeder zu einem Gulden Geldstrafe; Weiß aber, der ein Ungar ist, und Zucker, dessen Zuständigkeit in Rußland   sich befindet, auch zur Landes verweisung." die Strafe

Wegen Ausrathens von zwei Kreuzern Landesverweisung,

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ist hart, aber gerecht. Warum sind die Burschen nicht einige Stufen höher gestiegen, warum haben sie nicht dort, anstatt um zwei Kreuzer, um Tausende und Millionen zupassen" gespielt! Da wäre der eine vielleicht Ritter pp.  , der andere Freiherr geworden, und sie könnten in Kasinos und Klubs mit Grafen   und Erzherzögen, mit Justizministern und Polizei­direktoren hazardiren, daß es eine wahre Lust wäre. Um zwei Kreuzer spielen! Da ist ja weder Kurstreiberei noch Flaumachen von Nöthen, da braucht es ja weder falscher Telegramme noch Informationen aus höchsten Kreisen". Um zwei Kreuzer spielen! Und es wurde nicht ein­mal Sekt dabei getrunken, ja das Geld war kein von armen Acker- und Fabriksklaven erprestes so etwas mußte streng bestraft werden; und wer das nicht einsieht, der ist nicht werth, die Segnungen der besten aller Welten zu genießen.

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Klassenjust i z. Aus Westphalen geht der Berliner ,, Volks zeitung" unterm 9. Januar folgende Zuschrift zu:

wilden Völkerschaften, die man mit europäischen   Waaren meuchelt*) nichts, nichts vermag die Berge von Produkten zu erschöpfen, welche höher und gewaltiger als die Pyramiden Egyptens anschwellen: die Produktivität der europäischen   Arbeiter trost allem Konsum, aller Ver­schleuderung. Die Fabrikanten wissen in ihrer Angst nicht mehr, wo den Kopf lassen, sie können nicht Rohstoffe genug auftreiben, um die wahnsinnige Arbeitssucht ihrer Arbeiter zu befriedigen. Gewisse Wollen­fabrikanten kaufen schmutzige, halbverfaulte Wollenlappen ein und ver fertigen daraus ein Tuch, das so lange vorhält wie Wahlversprechungen oder königliche Eide, in anderen Industrien geht es ähnlich zu. Man fälscht die Produkte, um ihren Absatz zu erleichtern und ihre Eriſtenz dauer zu verkürzen. Ignoranten zeihen unsere frommen Fabrikanten darob des Betruges, während sie in Wahrheit nur der Gedanke beseelt, den Arbeitern, die sich nicht dazu entschließen können, mit gekreuzten Armen sich ihres Lebens zu freuen, Arbeit zu geben. Diese Fälschungen, die einzig und allein humanitären Rücksichten entspringen, jedoch den Fabrikanten, die sie praktiziren, famose Profite eintragen, sind zwar für die Qualität der Waaren von verderblichster Wirkung, sind zwar eine

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unerschöpfliche Quelle von Vergeudung menschlicher Arbeit, aber sie kenn­zeichnen doch die geniale Philantropie unserer Bourgeois und die schreck liche Verkehrtheit der Arbeiter, die, um ihre lasterhafte Arbeitssucht zu au befriedigen, die Herren Industriellen veranlassen, die Stimme ihres Ge wissens zu ersticken und sogar die Geseze der kaufmännischen Ehrbarkeit zu verlegen.

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Und doch, trotz aller Ueberproduktion, trotz Waarenfälschung überfluthen M die Arbeiter in immer wachsender Menge den Markt und rufen flehent du lich: Arbeit! Arbeit! Ihre übergroße Zahl sollte sie veranlassen, ihre statt dessen treibt sie sie bis zur Raserei. Wo Leidenschaft zu zügeln

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sich nur Aussicht auf Arbeit bietet, darauf stürzen sie sich. Sie arbeiten 12, 14 Stunden, um sich nur so recht abschinden zu können; und Tags darauf liegen sie wieder auf dem Pflaster und wissen nicht, wie ihre Arbeitssucht befriedigen. Jahr für Jahr treten in den verschiedenen In dustrien mit der Regelmäßigkeit der Jahreszeiten Stockungen ein; auf die für den Organismus mörderische Ueberarbeit folgt für drei bis sechs V

(*) So müssen z. B. die Wilden Australiens  , unbekümmert darum, daß es die Ursache ihres Aus sterbens ist, sich englisch kleiden und auf englisch   besaufen, lediglich deshalb, weil die schottischen Brenner und die Industriellen Manchesters Konsumenten brauchen.

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