Jndeß die öffentliche Meinung läßt sich bis zu einem gewiffen Grade ja künstlich machen. Bismarck   ist jetzt genöthigt, va banque zu spielen. Und die einzige Möglichkeit für ihn, das Spiel wenigstens momentan zu gewinnen, besteht darin, die Geister zu verwirren, und in ähnlicher Weise die Sinne der Volksmassen zu be- thören, wie dies 1878 geschehen ist. Warum sollten wir nicht demnächst wieder einige Attentate bekommen? Bon den 1878er Attentaten hat Bismarck   sechst halb Jahre gezehrt und gelebt um ein paar Iährchen weiter zu leben, wird er sich's schon Einiges kosten laffen sgeht's doch nicht aus seiner Tasche!) Und für ein paar Tausend Reptil-Thälerchen läßt sich ein halb Dutzend Attentate verfertigen. Jedenfalls ist es gut, wenn wir uns und das Publikum auf derartige Ueber- raschungen vorbereiten! An Versuchen zu Attentaten hat's bekanntlich in letzter Zeit nicht gefehlt immerhin ist's möglich, daß einmal ein Versuch gelingt. E s laufen noch sehr viele Schmidt und Friedemann herum! Glück auf den Weg! Der von Bebel in seiner Rede vom 20. März gekennzeichneteRevolutionär" F r i e d e m a n n hat sich nach Mexiko   eingeschifft. Erst spielte er die gekränkte Unschuld, als er aber merkte, daß der Wind von einer ganz anderen Richtung her wehte als er glaubte, als die Schweizer   Behörden Miene machten, einmal den Spieß umzukehren, und die Hetzagenten, welche Bismarck und Kompagnie in der Schweiz   unterhalten, sich etwas näher anzusehen, da verduftete «r schleunigst. Wahrscheinlich hat ihn sein Spezialgönner, auf den wir nach wie vor ein wachsames Auge haben, rechtzeitig gewarnt und mit dem nöthigen Reisegeld oersehen. Run, das soll ihm wenig helfen. Wir haben absichtlich uns bisher mit der Affäre Friedemann nicht befaffen mögen; oder wollten und wollen unfern guten Freunden Bis- marck und Puttkamer die Ueberraschung nicht verderben. Alles zu seiner Zeit! Aus der guten Gesellschaft. Junge Dirnen, alte Betschwestern, das ist ein uraltes Sprichwort; aber so alt ist, so wahr ist es auch. Und es gilt nicht nur für Individuen, es 8>lt für ganze Klassen, ganze Gesellschaften. Den Beweis liefert uns m drastischster Weise die moderne bürgerliche Gesellschaft. Je mehr sie fühlt, daß ihr die Kräfte ausgehen, daß es mit ihrer Herrlichkeit zu Ende geht, um so lebhafter fühlen ihre Repräsentanten das Bedürsniß für das Ueberirdische, dasTranszendentale". In den höheren Kreisen ist man heute, im Jahrhundert Darwins, gläubiger als je; es gehört zum guten Ton, fromm zu fein. Die Pariser  Haute-Volöe" hat sogar, wie derFigaro", das Organ der verhei- ratheten und unverheiratheten Halbwelt, mittheilt, für die Art, die Fastenzeit zu begehen, ein ganzesSystem" ausgeklügelt, das es dieser Bande ermöglicht, ihre Frömmigkeit recht demonstrativ zur Schau zu �agen. Denn je mehr die Republik   die Priesterverfolgt", d. h. den Pfaffen das Herrschen unmöglich macht, um so heiliger der Eifer Herzoginnen, Gräfinnen, Baronessen und welche Titel diese D ämchen noch führen Man höre nur. In den ersten Wochen der Fastenzeit geht die Geschichte noch an, da begnügt man sich mit dunklen Toiletten und so weiter. Das dauert bis Mittfasten, wo eineErholungspause" gemacht wird, die doch , jetzt müssen wir wörtlich zitiren. Zu Mitfasten allgemeine Erholung, die für tausend Thorheiten auf dem Gebiete des Luxus, der Eleganz und der Gastronomie ausgenutzt wird. Allein schon Tags darauf besucht man nur noch die Armen und Stiefkinder des Glücks(die man das ganze Jahr über b e st o h l e n hat). Statt in das Bois de Boulogne   geht man in die Kirche. Amethyste und Perlen werden in das Etuis zurück- gelegt. Kein Theater mehr, kaum noch ein Konzert; keine Blumen auf dem Hute oder am Busen; dichte Schleier und auf dem Haar ein Wölkchen von Asche nicht doch, von grauem Puder, der mit Myrrha und Benzoe parfümirt ist. Jetzt ist der Augenblick der bekannten Betbücher gekommen, die ein Vermögenwerth sind, der Rosenkränze aus k o st b a r st e m G e st e i n, das man in den weißen Händen flimmern läßt, da man Hals und Arme damit nicht schmücken darf. Der kleine Salon wird in ein B e t z i m m e r verwandelt, die Terrakoten, die Bronzen, die Genrebilder machen einer Gnadenmutter Platz, vor deren Füßen man die Blumen hinstreut, die nicht niehr getragen werden oder als Zierde dienen dürfen. An dieser heiligen Stätte liest man die Evangelisten und die Bußpsalmen und zersticht sich grausam die Hände beim Nähen für arme nackte Kinder(alberne Spielereil). Da empfängt man die intimen Freundinnen und die gut gewillten Männer(!), die man auf diesem liebenswürdigen Wege nach Damaskus   zu Gott führen möchte. Manchmal kommt der Abbe von..., welcher die Beliebtheit des Professor Caro theilt und vor einer Gruppe hübscher Weltdamen einen geistlichen Vortrag hält. Ein großes Glück, ein großer Vorzug, die höchste Auszeichnung, welche bei denen stillen Neid erregt, in deren Salon dieser Chrysostomus, ein Aus- bund von chic, die frohe Botschaft nicht zu bringen versteht. E r ist es, der den Speisezettel macht, wenn man gezwungen ist, ein Diner zu geben, er, der darüber wacht, daß auch gehörig gefastet wird, aber in einer sehr duldsamen Asketik(!) das Menu mit Seeungeheuern, Erstlingsgemüsen aus dem Ge- wächshaus, tropischen Früchten, Fasanen und Schildkröteneiern und anderen Seltenheiten aufputzt. Kommt dann die Charwoche, so tauchen die frommen Schönen ganz unter. Man zieht sich zu irgend einer geistlichen Genoffen- schaftolan"(?) zurück, hüllt sich sieben Tage lang in das Gewand der Novizen und empfängt in dieser Tracht, die oft kleid- famer i st, als eine Amazone von Redfern, seine Freunde am Gitter des Sprechzimmers. Man stellt Betrachtungen an, fastet, schläft auf hartem Lager, wandelt in den grünen Gängen des Klostergartens auf und ab und verläßt diese freiwillige Zurückgezogenheit gestärkt, erfrischt, verjüngt, voller Lust für die Mühen eines neuen Lenzes." Wem ekelt es nicht bei der Schilderung dieser lüsternen Frömmigkeit ihrerduldsamen Asketik"? Asketik heißt Kasteiung welche infame ieucheiei ftettt nicht in dieser duldsamen Kasteiung! Manfastet" �ritlmgsgemüse aus dem Gewächshaus, tropische Früchte, Schildkröten- sser undandere Seltenheiten", und schließlich nimmt man moralische Brechmittel wie die Römer der Kaiserzeit es mit ihrem überreizten Gaumen machten. So treibt man es in P a r i s. In W i e n, wo es gegen keine ßottlose Republik zu demonsttiren gilt, wo noch ein großer Theil des »Plebs" den Pfaffen nachläuft, befriedigt man dastranszendentale Be­dürsniß" durch den spiritistischen Schwindel dievierte Dimension". Man macht in Geistreichigkeit, und da der Gesellschaft der Geist fehlt, so müssen die Geister den Mangel ersetzen. Kein besseres Geschäft heutzutage als Geisterbeschwörer. Wird solch ein Schwindler ent- �arvt, dann ist er sicher, trotzdem von seinen hochadlichen Gönnern und Gönnerinen mit Geschenken überhäuft zu werden. Der Humbug reißt nachgerade so stark ein, daß sogar den Psaffen ob der Konkurrenz bange wird. Dafür finden sich aber Professoren, Philo- lophÄ,, die ihnwissenschaftlich" in Schutz nehmen. Nicht nur in Wien  , wndern sogar auch in dem gelehrten und aufgeklärten Leipzig  , Ein Mitarbeiter derMünchener Allgemeinen", der über das Buch des Erzherzogs Johann,Einblicke in den Spiritismus" schier aus dem Häuschen ist und in demhohen Verfasser", der ein spiritistisches Medium w eine obendrein ziemlich plumpe Falle lockte und alsdann ent- hüllte, schon einen Geistesriesen erblickt, kommt am Schlüsse seiner Artikel folgender Bettachtung: Es fehlt derzivilisirten" Menschheit eine sittliche Aufregung und Bethätigung, die hoffnungsvolle Arbeit an der Verwirklichung eines Ideals. Sie langweilt sich offenbar. Große, die ganze Gesellschaft ergreifende Ereignisse fegen solche Hallucinationen weg, wie ein kräftiges Ge- witter die B e r g e s n e b e l." . Den letzten Satz haben wir unterstrichen. Er stimmt ganz mit unfern Ansichten überein. Und daß dieseskräftige Gewitter" möglichst bald eintrete, dafür zu wirken, ist unsere höchste Genugthuung. Berühmte Namen oder Lokalkandidaten. Unter diesem Motto schreibt uns ein Genosse: In unserer Partei reißt leider die Sucht immer mehr und mehr ein, die paar Reichstagsabgeordneten, welche wir haben, an allen Ecken und Enden als Kandidaten aufzustellen zum allergrößten Schaden der Partei. Wenn es sich um einen Wahlkreis handelt, wo jede Aussicht auf Erfolg von vorneherein ausgeschlossen ist nun, da läßt sich ja nicht gerade viel sagen; immer vorausgesetzt, daß kein geeig- neter Kandidat sich im Wahlkreise selbst befindet. In letzterem Falle werden aus Minderheiten gewöhnlich in ein paar Jahren Mehrheiten. Was soll man aber dazu sagen, wenn einzelne bekannte Freunde in mehreren, ja in einer ganzen Anzahl von Wahlkreisen aufgestellt werden, welche wir für gut und eroberungsfähig, ja vielfach für sicher halten müssen? Soeben lese ich z. B., daß einer unserer Abgeordneten, dessen Wahl in dem Kreise, den er jetzt vertritt, doch einigermaßen sicher ist, in einem ebenso guten Wahlkreise aufgestellt worden ist. Dadurch schädigt man beide Wahlkreise und nimmt unserer Agitation die Energie; denn jeder Wähler sagt uns:Der wird ja doch da oder dort gewählt." Ebenso kann der Kandidat selbst sich nicht um alle seine Wahlkreise kümmern, wodurch uns oft die besten Wahlkreise verloren gehen. Ich erinnere nur an verschiedene sächsische Wahlkreise. Wenn nun ein Kandidat in zwei Kreisen gewählt worden ist, oft erst durch Stichwahlen, dann geht der Wahlkampf von Neuem los: nochmals Stichwahlen und schließliches Resultat Durchfall. Man denke nur an Mainz  . Sollte denn unsere Partei so arm an geeigneten Kandidaten sein? Ich sage entschieden: Nein! Ebenso muß ich bestreiten, daß unsere Reichstagsabgeordneten so dar- auf erpicht sind, daß jeder in einem halben Dutzend der besten Wahl- kreise aufgestellt werde. So haben wir mit unseren guten Wahlkreisen keineswegs leichtsinnig zu verfahren. Nicht zu vergessen ist bei dieser Frage, daß wir vorigesmal in einigen kaum beachteten Kreisen durch Aufstellung geeigneter Kandidaten, welche im Wahlkreise wohnen, geradezu überraschende Erfolge erzielt haben. Woran liegt es also, daß so wenig Lokalkandidaten ausgestellt werden? Diese Frage will ich in kurzen Worten beantworten, und gleichzeitig meinen Freunden aus dem Arbeiterstande damit tüchtig den Kops waschen. Es ist offen gesagt die gegenseitige Eifersucht der Arbeiter unter einander. Ueberall gibt es einige tüchtige Leute, welche leidlich unab- hängig sind und sich zu Kandidaten sehr gut eignen und die Kandidatur auch annehmen. Allein da heißt's:Was sollen wir denn mit Dem der kann auch nicht mehr wie wir. Nein, wir wollen einen berühmten Kandidaten!" Ein solcher Fall liegt z. B. in einem Wahlkreise vor, welcher für einen Lokalkandidaten ziemlich sichere Aussicht auf Erfolg hat. Auch ein Kandidat ist da, der sich bereits seit Jahren als Stadtoerord- neter bewährt; dennoch wird von einer Anzahl Genossen(ohne daß die größere Menge gefragt wird oder gefragt werden kann) ein gänzlich fremder Kandidat ausgestellt, welcher einen sicheren Wahlkreis hat und natürlich noch in einem halben Dutzend von Kreisen aufgestellt werden wird. Beide Kandidaten sind sehr gute Freunde von mir, ich kenne auch die Lage des betreffenden Wahlkreises genau besser vielleicht wie beide Kandidaten und ich stehe nicht an, ein solches Verhalten im Allge- nieinen, und hier im Speziellen, als eine enorme Schädigung der Partei zu bezeichnen. Noch ist es Zeit. Suche jeder Kreis z u e r st nach einem Kandidaten, welcher im Kreise oder in der Nachbarschaft ansässig ist oder der sich ihm ausschließlich widmet. Man sehe auf geachtete Namen, zuverlässige Gesinnung und möglichste Unabhängigkeit der Stellung. Solche Kandr- baten, welche, ohne gerade fertige Redner zu sein, auch maleinen Ton sprechen können", finden sich überall. Wenn's nach mir ginge, würde ich überhaupt dekrettren: Kein Genosse darf in zwei guten Wahlkreisen kan- didiren. Was erreichen wir durch die gegenwärtigen Verhältnisse? Die alte Garde wird überall aufgestellt, und junger Zuwachs fehlt zumeist. Daß unsere bewährtesten Genoffen in allererster Reihe berücksichtigt werden müssen, das wird Niemand oerkennen; aber die in guten Kreisen massenhaft erfolgend- Aufstellung derseloen und immer derselben Per- sonen ist entschieden ein geistiges Armuthszeugniß unserer Partei. Auch ein Lokalkandidat. Die Stichwahl im 2. Meininger Kreise hat trotz ko- loffaler Wahlbeeinflussungen doch noch ein außerordentlich günstiges Re- sultat für unsere Sache ergeben: 4 8 3 9 sozialdemokratische Stimmen gegen 8306 liberale Ordnungsbrei- Stimmen. Damit ist die höchste Stimmenzahl, welche unsere Partei je in diesem Kreise erhielt, erreicht worden. Weit höher aber als diesen, an sich nicht hoch genug zu veran- schlagenden Erfolg schätzen wir die Wiederbelebung der Arbeiterbewegung in diesem Kreise. Und es wäre ein Unrecht, wenn wir das Verdienst verkennen wollten, welches der Kandidat selbst sich durch Annahme der von vorneherein aussichtslosen Kandidatur und rastlosen Eifer für die Agitation erworben. Ihm und seinen Wählern ein Bravo!f 's Anarchistisches. Von den in B u d a p e st verhafteten Anar- chisten ist ein Theil gegen das V e r s p r e ch e n, sich von jeder staatS- gefährlichen Bewegung fernzuhalten, freigelassen worden, darunter die Revolutionäre  " Falkas, Szabo und Bokros. Ueber letzteren schreibt dieArbeiterwochenchronik": Es ist dies derselbe B o k r o s, bei welchem seinerzeit auchzufällig" die Papiere des in Prag   zu zwölf Jahren Kerker oerurtheilten Schuh- machers Fischer gefunden wurden, und der ein Intimus desEhren- mannnes" K o v a c s gewesen ist, welcher bekanntlich auch aus dem Rahmen derUngarländischen Allgemeinen Arbeiterpartei" gegangen wurde und sich in letzterer Zeit mit dem dankbaren Handwerke des Festarrangements für den vergessenen Kompatrioten Tancsis befaßte, und dembetreffs erst kürzlich ein an das patriotische Gefühl axpellirendes Zirkular erlassen wurde." Ueberhaupt erscheinen verschiedene der Radikalsten der Radikalen Plötz- lich in einem ganz wunderbaren Lichte. So meldet ein Telegramm, daß der Redakteur desRadikal", Herr A l b i n S ch e f f l e r, der nicht genug Schmutz auf dieVerräther" Bebel, Liebknecht k. werfen konnte, der mit dem Brustton heiligster Ueberzeugung gegen dieStimmzettel- sozialisten" donnerte, vor dem Untersuchungsrichter als Kronzeuge fungirt habe. In der That, eine sehr gemischte Gesellschaft, diese Revolutionshelden. Streiks. In Berlin   streiken 850 Arbeiter der Nähmaschinen- fabrik F r i st e r u. R o ß m a n n. Ursache: L.o h n r e d u k t i o n. Ein uns zugesandtes Flugblatt des Stteikkomites fixirt die Forderungen der Arbeiter folgendermaßen: 1) Wir fordern den alten Lohnsatz, und daß die Tischler denselben Lahn   erhalten, den sie vor 14 Tagen erhalten haben. 2) Die Direktion verpflichtet sich schriftlich, kein Kommissionsmit- glied nach etwa beigelegtem Streik zu maßregeln. 3) Verlangt die Kommission seitens der Meisterschaft eine bessere Behandlung als bisher, resp. daß diejenigen, welche die Kommission namhaft gemacht, zu entlassen sind. und schließt: Kollegen! Mitarbeiter! Wir fordern nur, was dem Arbeiter zukommt: menschlichen Verdienst and menschliche Be- Handlung. Die große Zahl, die heute die Arbeit niedergelegt, ha- bewiesen, daß wir im Recht sind, daß Niemand ohne das Roth- wendigste leben kann. Kollegen! Mitarbeiter! Wir lassen uns durch nichts schrecken und hoffen auf Euch. Einer für Alle! haben wir auf unsere Fahne geschrieben, und Alle für Einen! das haben wir bewiesen. Darum hoffen wir, daß Ihr uns nicht vergeßt. Alle schriftlichen Mittheilungen sind an den Vorsitzenden der Kommission, Herrn Niemanscheck, Rixdorf, Ziethen- st r a ß e 3 2, zu richten. Unser Kassirer, Herr Koch, wohnt Oranienstraße 198, v. II. Alle arbeitersreundlichen Zeitungen werden um Veröffentlichung oder Notiznahme gebeten! In Dresden   streiken die Arbeiter derSiemens'schen Glas- fabrik- 500 an Zahl um 10 Proz. Lohnerhöhung und Herab- setzung der Arbeitszeit; in Leipzig   die Maurer um 10 stündige Arbeitszeit und 35 Pf. Lohn pro Stunde. Zu diesem Stteik bemerkt ein Korrespondent der BerlinerVolkszeitung": Lohnt es denn überhaupt, nachdem in Leipzig   Einigung über den Lohn pro Stunde erzielt worden, wegen der Arbeitsdauer zu streiken? Die Meister verlangen offenbar die elfte Arbeitsstunde nur, weil ihnen an schleuniger Fertigstellung der in Angriff ge- nommenen Bauten liegt und sie werden ganz aus eigenen Stücken tn Verkürzung der Arbeitszeit auf 10 Stunden willigen, sobald die Bauten fertig sind. Nun ist es in der ganzen Welt Brauch, daß man mehr arbeitet, wenn zu viel zu thun ist, und umgekehrt. In diesem Falle leiden die Arbeiter dadurch keinen Schaden, da sie die elfte Stunde be« zahlt erhalten." Wie schlau!Offenbar" ahnt dieser Pfiffikus gar nicht, welches Jntereffe für die Arbeiter besteht, daß die Bauten nicht so schleunig fertig gestellt uud sie nicht so schleunig auf's Pflaster geworfen werden können als es den Meistern wünschenswerth erscheint; wie wenig es im Jnter- effe der Arbeiter liegt, zeitweilig sich zu überarbeiten um hernach müssig herumzulungern; daß 10 Stunden Arbeitszeit gerade genug ist, mehr wie genug, für Einen, der seinen Lebenszweck nicht darin sieht, sich vieh- mäßig abzuarbeiten. Oder er sieht es doch ein und will es nur nicht einsehen aus guten Gründen. Wir haben nämlich gegründete Ursache anzunehmen, daß der Ein- sender dieser Notiz Niemand anders ist als der von uns mehrfach ge- kennzeichnete Herr Doktor Heinrich Fränkel. Korrespondenzen. Plagwitz  -Leipzig  . Am 24. Februar d. I. wurde der im hie sigen Krankenhause verstorbene Genosse L o u i s M e tz e aus Lindenau  beerdigt. Metze war einer unserer thätigsten Genoffen, und er hat es verdient, daß sein Name hier in Ehren genannt werde. Das Leichen- begängniß unseres Genoffen war äußerst feierlich, es waren gegen 400 Personen, Männer und Frauen, erstere zum Theil mit rothen Rosen im Knopfloch, die unserem Genoffen die letzte Ehre erwiesen. Dem Zuge voran, dicht hinter dem Sarge, wurde ein mit großer rother Schleife gezierter prächtiger Lorbeerkranz, von den Parteigenossen Leipzigs   und Umgegend gewidmet, getragen. Als nun der Zug das etwa 15 Minuten entfernte Kleinzschocher   er- reicht hatte, wo sich der Friedhof befindet, trat der dortige Ortspfarrer L o h s e in Begleitung des Küsters und einer Anzahl Schulkinder(Chor- knaben) auf die den Zug eröffnenden Leichenträger zu, hieß sie anhalten, die Bahre absetzen und verlangte, daß dieauffallenden rothen Schleifen und Blumen" entfernt würden. Diesem Verlangen entsprach jedoch kein einziger der Leidtragenden, infolgedessen das Pfäfflein sammt seinem Gefolge Kehrt machte, und somit unser Genosse zwar ohne allen kirch- lichen Nimbus, aber in einer desto würdigeren Weise beerdigt werden konnte. Einer der Anwesenden sprach einige Worte des Abschieos und einige Sänger vervollständigten die Feier durch ein erhebendes Lied. Von Seiten der Groitzscher Genossen(14. Reichstagswahlkreis) war gleich- falls ein Kranz gespendet, welcher nebst dem der Leipziger  , sowie den auffallenden" rothen Blumen der Erde mit übergeben wurden. Diese an und für sich unschuldige Feier gab der hiesigen Pfaffensippe Ver- anlaffung, gegen eine Anzahl hiesiger bekannter Sozialvemokraten Straf- antrag zu stellen, und zwar heißt es in dem Mandate, welches dieselben zugestellt erhielten, wie folgt: Durch das Tragen ves zu einem Trauergeleite durchaus nicht passenden Abzeichens, hat sich..... einer mit der Würde und Sitte eines christlichen Begräbnisses und den Gefühlen(siehe unten) der kirchlich gesinnten Mitglieder der Kirchgemeinde unvereinbaren Verhaltens schuldig gemacht." Daß nun hwrbei auch eine Anzahl Leute denunzirt wurden und be- straft werden sollen, die gar nicht dabei gewesen, ja überhaupt seit Jahren nicht mehr, einige sogar n i e zu uns gehört, thut nichts zur Sache: der Jude wird verbrannt! Den beleidigten Gefühlen der kirchlich Gesinnten und speziell dem ultraorthodoxen Herrn Pastor Lohse fühlen wir uns übrigens veranlaßt, folgendes, worüber man gern, ach wiegern! den Mantel christlicher Un- verfrorenheit decken möchte, vor Augen zu führen: Unweit EuresGottesackers" uns Eurer Kirche, Ihr Heuchler, be- findet sich ein Laden, dessen Besitzer, der Schuhmachermeister Große, vor einigen Monaten ein 13 jähriges Schulmävchen, welches einer Be- stellung wegen von ihrer Mutter zu ihm geschickt wurde, geschändet hat. Das Kind, das zu diesem Akt, der nicht ohne Folgen blieb, gezwungen wurde, erzählte die Geschichte weiter, und so erfuhr auch die liebliche Gattin dieses Lüstlings davon. Dieses Musterexemplar einerchristlichen Hausfrau" begibt sich in die Wohnung der Eltern jenes Mädchens, stellt Letzteres ob seines Nichtschweigens zur Rede, und schlägt vor den Augen der Mutter auf's Brutalste auf das Mädchen los. Die Mutter will das nicht zulaffen, vergreift sich an derfrommen" Schusterin, und wird nun, nachdem letztere, um ihrer Frechheit die Krone aufzusetzen, noch Strafantrag gestellt, mit 10 Mark bestraft. Große selbst läuft zur Stunde noch frei herum, trotzdem der Staatsanwalt die Sache schon seit Wochen in Händen hat. Zum Verwundern ist das keineswegs, denn Lohse und Große sind dicke Freunde; außerdem sind beide Kirchenvor- stände, und solchenGrößen" gegenüber drückt die von Gott   verordnete Obrigkeit gern ein Auge zu, wenn's irgend möglich ist, und überdieß dem Volke muh die Religion erh alten werden! Ein Gläubiger. Stollberg   t. S., 15. März. Ein Stimmungs- uud Situationsbericht. Hier ist man wieder auf der Suche nach einem Bürgermeister. Das Amt trägt 4000 Mark, aber es scheint, daß dieser Gehalt nicht recht konvenirt, denn ein Assessor in F., der bereits zugesagt, hat wieder abgelehnt. Für gewisse Beamten-Kategorien ist eS somit unstreitig recht schön auf dieser Welt, die wiederum für Viele ein wahres Jammerthal ist. Vor ungefähr 12 Jahren starb hier der alte Bürgermeister Augustin. Er war ein Mann von größter Einfachheit: treu, fleißig und ehrlich im Amte und von gutem Bürgersinn. Unter seinem Regiment hatte zwar nicht alles Henkel und Stiel; aber die Steuerzahler wurden doch nicht so ausgeplündert wie jetzt. Sie brauchten kaum den zehnten Theil der jetzigen Abgaben zu zahlen. Da verschaffte sich der tugendhafte Hermann, jetzt Bürgermeister in Großenhain  , ein Scheinfortschrittler, Geltung, und ward zum Vater der Stadt auserkoren, sein Hauptwortführer war der Baumeister und jetzige Landtagsabgeordnete U h l m a n n. Uhlmann wußte geschickt den guten Vätern der Stadt allerhand Operationspläne plausibel zu machen, womit das Ansehen der Stadt und das Wohl der Bewohner gehoben werden sollte, und so wurde denn das Städtchen mit 6000 Einwohnern zur Mittelstadt   aufgeblasen, äußerlich durch den Bau neuer Sttaßen, Eisenbahn  , hohen Kirchthurm, Realschule, Gasbeleuchtung und dergleichen herausgeputzt, wobei Uhlmann sein Schäfchen ins Trockene brachte. Da aber der Aufschwung des Städtchens ttotzalledem ein kaum nennenswerther war, kamen unsere genialen Maulhelden auf einmal auf den Trichter: zum gewerblichen Aufschwung müsse man aus der Mitte der Bürgerschaft der Stadt einen Vertreter in dem sächsischen Land- tage haben, und Uhlmann's einziger Wunsch, dort seine Mitbürger ver treten zu dürfen, ging in Erfüllung. Uhlmann freilich, das weiß Jeder, ist der gewerbliche Aufschwung den er ja durchaus nicht schaffen kann jedes Andern Schnuppe; er hatte den Weiterbau der Eisen- bahn im Auge, wobei für ihn dann ein gutes Stück Geld mit abgefallen wäre, wie er sich ja auch beim Verkauf des Bahnhof-Areals als Speku- laut zu erkennen gab, wobei sein guter Pattiotismus gerade so viel wog, wie der des schäbigsten Schacherjuden. Nach Einführung der Realschule glaubten der Direktor derselben, Dr. Gelbe und der Realschuloberlehrer Lösche, daß sie nun mit ihren Kollegen Stollberg   glücklich machen würden und daher im Verein mit Uhlmann die erste Geige da spielen dürften. Es ließ sich also Lösche in einen der beiden Militärvereine hier aufnehmen und sich da natürlich nur um seinen kameradschaftlichen Sinn zu bekunden und zu fördern zum Vorsteher wählen; auch in's Stadtverordnetenkollegium