Buchstabenschrift noch nicht erfunden war— die Priester die Verwahrer der Ueberlieferung und der erworbenen Kenntnisse; sie waren mit der Verwaltung der Gemeindegüter und der Generalleitung der Arbeit be- traut. Ebenso hat die Feudalherrschaft in Europa und Asien ursprünglich ihren Nutzen gehabt. Der Bauer stellte sich unter die Schutzherrschaft eines Feudalherrn und verpflichtete sich, ihm einen Tribut in Natural- abgaben(Zehnten) und Arbeit(Frohne, Dienst) zu zahlen, unter der Be- dingung, dafür gegen die zahlreichen Feinde geschützt und vertheidigt zu werden, denen er ausgesetzt war. Der Lehnsherr mußte ein Kastell be- besitzen, wo der Bauer im Falle eines Angriffs sein Vieh und seine Ernte in Sicherheit bringen konnte, er war serner verpflichtet, eine ge- wiffe Anzahl Bewaffneter zu unterhalten, um die Angriffe zurückschlagen zu können.„Aus dem Gesetz der Arbeitstheilung", sagt Engels,„be- ruht die Theilung der Gesellschaft in Klaffen."*) Allein die von der Arbeit befreiten Klassen haben ihre soziale Ueberlegen- heit noch stets gemißbraucht, und der Mißbrauch, den sie mit ihren Privile- gien trieben, wurde um so schädlicher und unerträglicher, als die nütz- lichen Funktionen, die sie erfüllt hatten, in Folge der Veränderung der sozialen Verhältnisse, aus denen sie herausgewachsen waren, immer mehr an Bedeutung verloren. Alle haben sie zur Gewalt und zum Raube, zur List und zum Betrüge ihre Zuflucht genommen, um ihre Herrschaft auf Kosten der arbeitenden Klasse zu erweitern und zu be- festigen, und die Leitung der Gesellschaft in Ausbeutung der Massen zu verwandeln. So nützlich und wohlthätig die von der Arbeit befreiten Klassen ursprünglich auch waren, so sind sie schließlich doch immer schädliche Unterdrücker geworden. Um sich als Unterdrücker zu behaupten, bedienen sich die emanzipirten Klassen, sobald sie zu herrschenden geworden sind, sowohl der geistigen wie der wohlorganisirten brutalen Gewalt. In meinen früheren Vor- trägen habe ich gezeigt, wie die Bourgeoisie, so lange sie gegen den Adel kämpfte, für Voltaire schwärmte, sich aber, sobald sie herrschende Klasse geworden, verpfaffte, wie sie die liberale Religion mit ihren Göttern„Fortschritt, Freiheit, Arbeit, Natur- Gesetze der politischen Oekonomie u. s. w." erfand, und wie sie schließlich den Versuch machte, die gesellschaftliche Unterordnung der arbeitenden Klaffe im Namen der Naturwissenschaft zu dekretiren. Die Aristokratie hat den gleichen Entwicklungsgang durchgemacht: es gab eine Zeit, wo zwischen Papst und Kaiser , Baron und Bischof, Schloß und Kirche offener Krieg geführt wurde; und doch verbanden sich schließ- lich die feindlichen Brüder miteinander zum Zwecke der intellektuellen und physischen Unterdrückung der Arbeiter in Stadt und Land. Die brutale Unterdrückungsgewalt(Armee, Polizei, Gerichte, Staats- anstalten u. s. w.), deren sich die herrschenden Klassen bedienen, wächst in dem Maße, als sie selbst unnützer werden, und als die unterdrückte Klasse größer wird und für ihre entgegengesetzten Interessen eintritt. Die unteren Klassen können ihre Emanzipation nur dadurch herbeiführen, daß sie sowohl die intellektuelle als die physische Uebermacht der Herr- schenden Klasse vernichten, dem Kampf mit bewaffneter Hand einen vor- bereitenden, theoretischen Feldzug vorangehen lassen. Wenn es gilt, den Forderungen oder Gewaltstreichen der unterdrückten Klasse Widerstand zu leisten, so bildet die herrschende Klasse eine ge- schlossene Phalanx, obschon in ihrem Schooß die größte Uneinigkeit herrscht; 1848 und 1871 haben wir gesehen, wie sämmtliche politische Fraktionen der Bourgeoisie ihre Händel einstellten und sich zur Unter- drückung der Volkserhebung verbanden. Die politischen Fraktionskämpfe der herrschenden Klasse sind indeh nur äußerlich und geben nur ein mangelhaftes Bild von den inneren Kämpfen, die sich fortgesetzt inner- halb derselben abspielen. In der That, um mit Marx zu reden:„wenn alle Mitglieder der herrschenden Klaffe insoweit die nämlichen Interessen !aben, als sie eine Klasse bilden gegenüber einer anderen Klasse, so haben ie entgegengesetzte, feindliche Interessen, sobald sie sich selbst einander gegenüberstehen. Für die Bourgeoisie ist dieser Gegensatz die Folge ihrer bürgerlich-ökonomischen Lebensbedingungen.**) Wer ist Kapitalist? In Nr. 23 unseres Blattes veröffentlichten wir unter dem Titel: „Eine bemerkenswerthe Epistel" einen Brief eines„Bour- geois an seinen Sohn" und knüpften daran eine kurze Erörterung. Als Erwiderung auf dieselbe geht uns heute eine Zuschrift mit dem Ersuchen um Abdruck zu, der wir gern nachkommen. Der Einsender schreibt: „Marx spricht von„Aneignung" fremder Arbeit und nicht von„ge- stohlener" Arbeit— gut! War die Aneignung eine ungerechte, unmoralische— und diesen Sinn unterlegt der Verfasser des„Kapital"—, so ist zwischen dem„juristischen" Begriff„gestohlen" und dem sozialpolitischen„Aneignung" von„Frem- dem" kaum ein Unterschied. Sagt doch Jean JacqueS Rousseau irgendwo: daß die Gesetze von den Reichen gemacht seien als Schutz gegen die gerechten Repressalien der Armen! Ich irre also nicht gewaltig, wenn ich Marx das Wort:„gestohlene Arbeit" unterstellt habe. Dagegen finde ich die eigenthümliche und willkürliche Erklärung des Begriffs„Kapitalist" von Seiten der Redaktion des„Sozialdemokrat" durch nichts gerechsertigt, wenn er sagt: „Sein Holzfäller ist deshalb kein Kapitalist, weil ihm ein noth- wendiges Möbel dazu fehlt: der Lohnarbeiter. Der Mann mag noch soviel„Kapital" aufhäufen— er ist doch kein Kapitalist, denn sein Geld„arbeitet" nicht." Diese Auffassung von„Kapitalist" ist höchst einseitig, weil die„Lohn- arbeit" nicht den Kapitalisten zum Kapitalisten macht. Der Kapitalbesitz des Einzelnen ist eine soziale Ungerechtigkeit und daher zu bekämpfen, mit oder ohne Lohnarbeit! Bei der Anarchie, die in unseren Gesellschaftszuständen herrscht, kann ein Besitzer von Werthgütern leben, schwelgen, faullenzen, Lebensmittel vernichten— ohne zur Mitwirkung neuer Sachgüter beizutragen. Darin besteht die Ungerechtigkeit. Es ist kurz gesagt: der Lebensgenuß ohne entsprechende gesellschaftliche Gegenleistung. Es läßt sich ein Kapitalbesitzer denken, der sein Kapital nicht arbeiten läßt; so kenne ich einen hiesigen jungen Mann, der sein ererbtes Ver- mögen zu baar Geld machte, es in seine Kommode verschloß, davon zehrte und lange davon zehrte, weil es ein sehr bedeutendes Vermögen war. War das nicht ein Kapitalist? Er besaß Kapital, und doch fehlt der Lohnarbeiter! Es ist unrichtig zu sagen: Erst das„Arbeitenlaffen" der Kapitals stempele den Besitzer zum Kapitalisten. Das Lebenkönnen aus aufgehäuften Sachgütern, ohne gesell- s ch a s t l i ch e G e g e n l e i st u n g, ist die wahre Erklärung des Begriffs „Kapitalist." Daher war mein Holzfäller, als er sich aus seiner jahrelangen Arbeit einen Haufen Dollars ausgespeichert hatte, aus denen er später ohne Arbeit essen konnte, ein Kapitalist im vollen Sinne des Wortes, und doch hatte er sich keine fremde Arbeit angeeignet."— So der Einsender. Wir glauben, die beiden Streitfragen sind interessant genug, hier noch einmal erörtert zu werden. Aus den ersten Blick könnte es höchst gleichgiltig erscheinen, ob man beim Kapital von„gestohlener" oder angeeigneter fremder Arbeit spricht, denn im Grunde läuft ja die Sache aus das Gleiche hinaus: der Ar- beiter wird vom Kapitalisten ausgebeutet. Thatsächlich aber ist es von ganz besonderer Bedeutung für die Beurtheilung der gesellschaftlichen Einrichtung, daß wir uns dieses Unterschiedes recht klar werden. Stehlen heißt Aneignen im Widerspruch mit den geltenden Rechtsanschauungen. Davon kann aber bei der Aneignung des M e h r w e r t h e s der Arbeit gar keine Rede sein— sie geschieht in vollkommener Uebereinstim- m u n g mit den Gesetzen und Rechtsbegriffen der modernen bürgerlichen, waarenproduzirenden Gesellschaft. Nicht nur der Kapitalist, sondern auch der Arbeiter, soweit letzterer nicht durch den modernen Sozialismus über das Wesen des modernen Produktionsprozesses aufgeklärt ist— hält die Sache für ganz in der Ordnung. Er verlangt möglichst günstige *) F. Engels : Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft . **) Karl Marx , Miaöro de �Philosophie, rdponse ü la Philosophie de la Misere de M. Proudhon, 1847. Arbeitsbedingungen— a fair pay kor a fair work(für rechtschaffene Arbeit rechtschaffene Bezahlung), wie der englische Gewerkschafter sagt— versteht aber keineswegs darunter, daß der Kapitalist überhaupt auf den Mehrwerth verzichten soll. Er will den„Werth" seiner Arbeit erhalten, und das Großartigste des Marx 'schen Kapitals ist eben der Nachweis, daß der Arbeiter den Werth seiner Arbeit*) erhalten kann und doch der Geprellte ist, daß es eben derWaarencharakter der Arbeit ist, der Fehler liegt. Die Arbeitskraft ist eine Waare, deren Preis durch Angebot und Nachfrage regulirt wird und deren Werth wie der jeder anderen Waare durch die zu ihrer Herstellung nothwendigen Kosten, in diesem Falle also durch die nothwendigen Unterhaltsmittel, bestimmt wird.„Preis der Arbeit" und„Werth der Arbeit" können gleich sein, ja der Preis kann sogar den Werth der Arbeit noch um ein Beträchtliches übersteigen, und doch der Arbeiter ausgebeutet werden, denn die menschlicheArbeit ist die einzige Waare, die in ihrem Verwerthungsprozeß Mehrwerth erzeugt. Das erscheint auf den ersten Blick ganz selbstverständlich, und doch haben sich die Ge- lehrten, Sozialisten und Nichtfozialisten, den Kopf zerbrochen, bis Marx die Lösung fand und in glänzender Weise wissenschaftlich begründete. Vor ihm hatten die Sozialisten nach dem Mittel gesucht, der Arbeit ihren„vollen Werth" zukommen zu lassen, jetzt aber war der Beweis geliefert, daß der Liebe Mühe zwecklos, daß nicht im Werthverhältniß, sondern im Produktionsverhältniß der Kern des Uebels liege, und daß die Produktionsweise umgestaltet werden müsse, soll die Aus- beutung des Arbeiters ein Ende nehmen. Vor Marx operirten die Sozialisten mit dem Begriff des Diebstahls, suchten sie die Lücken ihrer Beweisführung durch moralische oder juristische Erörterungen auszufüllen. Marx aber konnte auf dieses billige Auskunsts- mittel verzichten, und darum spricht er nirgends von Diebstahl oder „gestohlener" Arbeit, nennt auch die Aneignung der„fremden Arbeit" weder ungerecht noch unmoralisch, weil diese Begriffe selbst höchst wandet- bare sind, sondern er weist die Art der Aneignung, die W i r k u n g derselben auf die Enteigneten und die Gesellschaft selbst nach; und da stellt sich denn heraus, daß diese Wirkung einer ursprünglich durchaus moralisch erscheinenden, von aller Welt als recht und billig betrachteten Sache dieselbe ist, ja noch schlimmer, als würde das geschehen, was die heutige Gesellschaft Diebstahl, Unrecht, unmoralisch nennt. Und nun zur Frage des Kapitalisten. Hier zeigt sich der Einsender vollständig in der Denkweise der bürger- lichen Vulgärökonomie befangen, gegen deren Konsequenzen sein Gefühl in so anerkennenswerther Weise sich empört. Ihm ist der Holzfäller, der „sich aus seiner jahrlangen Arbeit einen Hausen Dollars aufgespeichert", sich aber„keine fremde Arbeit angeeignet" hat, ein„Kapitalist im vollen Sinne des Wortes",— wem ist dieses Beispiel nicht von den Lobrednern der heutigen Gesellschaft in ähnlicher Weise vorgehalten worden? Auf diese Art erklären sie uns ja in ihren Fibeln, volkswirthschastliche Kom- pendien genannt, die Entstehung des Kapitals. „Solche fade Kindereien", sagt Marx im„Kapital"(„Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation" S. 742 u. ff.)„kaut Herr Thiers z. B. noch mit ftaatsfeierlichem Ernste zur Vertheidigung der propridtc(des Eigenthums) den einst so geistreichen Franzosen vor. Aber sobald die Eigenthumsfrage in s Spiel kommt, wird es heilige Pflicht, den Stand- punkt der Kinderfibel als den allen Altersklassen und Entwicklungsstufen allein gerechten festzuhalten." Nein, der Holzfäller mag noch soviel Holz fällen und anhäufen, er wird doch sein Lebtag kein Kapitalist werden, wenn er nicht gesellschaft- liche Einrichtungen vorfindet, die ihn in den Stand setzen, dieses Holz gegen die Produkte der Arbeit Anderer, bezw. den gesellschaftlichen Repräsentanten aller Produkte: Geld, umzutauschen, und vermittelst dieses Geldes von dem Ertrage der Arbeit Anderer zu leben. Das Beispiel, das auf den ersten Blick so ungeheuer einfach erscheint, ist ein sehr kom- plizirtes, seine Analyse würde uns aber hier zu weit führen; es genügt, denken wir, sie anzudeuten. Auch das Beispiel des jungen Menschen, der sein ererbtes Vermögen zu Geld machte und lange davon zehrte, ist in keiner Weise geeignet, die Behauptung, daß zum modernen Kapitalisten der Lohnarbeiter gehört, umzustoßen. Wir wollen die Frage ganz unerörtert lassen, woher dieses ererbte Vermögen stammt, sondern annehmen, es sei ohne Lohn- arbeit vom Himmel herabgefallen. In dem Augenblick nun, wo der junge Mann es zu baarem Geld machte und in seine Kommode verschloß, raubte er ihm eben die Kapitaleigenschaft, machte er es der Fähigkeit„baar", Mittel der Ausbeutung zu sein, verfuhr er mit ihm wie der Schatzbild- ner, dem wir, um wiederum mit Marx zu reden, bei Völkern begegnen, „wo der traditionellen und auf S e l b st b e d a r f gerichteten Produk- tionsweise ein fest abgeschlossener Kreis von Bedürfnissen entspricht." Das ist z. B. in Asien , besonders aber in Indien der Fall, und findet sich sogar noch in einigen von dem„verpestenden Hauch der Zivilisation" nicht angesteckten Distrikten Europas . Solche Leute Kapitalisten zu nennen, heißt die aus der heutigen Produktionsweise resultirende Kapitaleigen- schaft des Geldes auf das Geld schlechtweg überttagen, d. h. alle charak- teristischen Merkmale des modernen Kapitals verwischen, ein Verfahren, das wir, wie gesagt, der Vulgärökonomie überlassen können. In der heutigen bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, und es handelt sich für uns doch um diese und nicht um irgend eine frühere oder auf irgend einer Südseeinsel herrschende Gesellschaftsform, ist Kapital die Summe angeeigneter fremder Arbeit— gleichviel ob diese Aneignung direkt oder mittelbar(durch Spekulation, Schenkung, Betrug».) vor sich ging, — die ihren Besitzer, den Kapitalisten, in den Stand setzt, den M ehr- Werth der Arbeit Anderer sich anzueignen. Ohne Lohnarbeit kein Mehr- werth, ohne Mehrwerth kein Kapital, kein Kapitalist. Sozialpolitische Rundschau. Zürich , 18. Juni 1884. — Auch ein Beitrag zur Parteimoral. Ein unter natio- nalliberaler Flagge segelndes Reptil, als dessen Chefredakteur Herr Cajus Möller— bekannt durch seine Todtredigirung der Bismarck- schen„Süddeutsche Presse"— figurirt, die biedere„Elberfelder Zeitung", benutzt unseren letzten Artikel:„Zur Taktik der Sozialdemokratie" zu einem allerliebsten journalistischen Taschenspielerstückchen, im gewöhnlichen Leben Fälschung genannt. Weil wir die verschwommene, sozialistisch schillernde Phrase als einen noch schlimmeren Feind als das sogenannte Manchesterthum bezeichnet haben— einen Satz, den wir in jeder Bezieh- ung ausrecht erhalten—, deduzirt das Bismarck 'sche Reptil, wir hätten das Manchesterthum unter unsere Fittige genommen; und aus der That- fache, daß wir die Nothwendigkeit betonen, den wahren polizeilich-reak- tionären Charakter der Bismarck'sche»„Sozialreform" zu denunziren, liest es das„indirekte Geständniß von der für ihr(d. h. der Sozialdemo- kratie) Ansehen bedrohlichen Bedeutung der Sozialreform" heraus. Welche beiden Entdeckungen natürlich zum größeren Ruhme des Reichskanzlers und zu einem der berühmten Fußtritte auf den armen„Freisinn" be- nutzt werden. In unserem Artikel liege die„tiefste Geringschätzung für den deutschen Freisinn." Nun, was wir von dem„deutschen Freisinn" halten, darüber hat der „Sozialdemokrat", dächten wir, sich von jeher so unzweideutig ausgedrückt, daß man schon ein„doctor philosophiae" sein muß, um in besagtem Artikel irgend etwas Neues über diese traurige Mischung von hyper- loyalem Hohenzollernthum und liberaler Phraseologie zu finden. Ja, wenn der„Freisinn" die Titel, die ihm von Bismarck und seinen Or- ganen angehängt werden, wirklich verdiente, das wäre etwas Anderes! Da könnte man unter Umständen wirklich„ein Wahlbündniß nut ihm eingehen"; aber—„in dieser Beziehung ist der Satz nicht mehr zeitgemäß", heißt es in besagtem Leitartikel. Der Bismarck'sche Polizeisozialismus könnte unserer Partei allerdings gefährlich werden, darin hat das Amphibium von der Wupper Recht. Nämlich dann, wenn wir uns durch die„verschwommene sozialistisch-schil- lernde Phrase" verführen ließen, für ihn„auch nur zum Schein" ein- zutreten. Dann wäre es um das Ansehen unserer Partei geschehen, bei den Arbeitern! Denn der Bismarck 'sche Polizeisozialismus, diese Karrikatur des wissenschaftlichen Sozialismus, erfreut sich zwar des Beifalls aller arbeiter feindlichen Kreise, die Arbetter selbst aber danken für dieses Obst. *) d. h. seiner verkauften Arbeitskraft. Wäre dem nicht so, dann wäre es eine sehr dumme Taktik, gegen jede Verwechselung unserer Besttebungen mit denen des Sozialreformeri der Elberfelder und sonstigen Korruptionsblätter zu protestiren. Nicht im Interesse unserer Partei, sondern im Interesse der Arbeiter bekämpfen wir die Bismarck'sche» Projekte. Wir wollen die Verantwor- tung für diesen Humbug nicht auf uns nehmen. Werden sie gegen uns durchgesetzt— gut! Unsere Partei wird dann nur gewinnen! Die Redensart, daß„die Sozialdemokratie das Manchesterthum unter ihre Fittige" nimmt, ist eigentlich zu albern, als daß wir darüber noch ein Wort verlieren sollten. Da nun aber„kein Ding so dumm" ist, daß es nicht doch„sein Publikum" fände, so sei hier noch einmal wiederholt, was wir des Oefteren ausgesprochen: daß es eine alberne Fäl> schung ist, erfunden von den Freihändlern älaBastiat, daß Alles, was nicht manchesterlich ist, was gegen das heilige„laissei faire" verstößt, Sozialismus sei. Nur ein seichter Nachschreiber wü B a st i a t konnte eine Broschüre„Zollschutz und Kommunismus" schrei- ben. Wenn jetzt die Schutz- und andere Zöllner den Spieß umkehre» und sich den Freihändlern gegenüber mit der ihnen entlehnten Phrase«- logie Sozialisten nennen, so ist das zwar für uns sehr lustig mitanzu- sehen, wir haben aber alle Ursache, jeder Verwechselung mit dieser Sorü Sozialisten rechtzeitig vorzubeugen, die aufdringlich hergestreckte„Bruder- Hand" ganz entschieden abzulehnen. Wer sich uns und aller Welt osfe» als Gegner der sozialistischen Bestrebungen zu erkennen gibt, der ist- und sei er noch so stark, uns allerdings lieber als der Schleicher, de« sich in einen, nach dem Schnitt des unsrigen verfertigten Rock hüllt, ui» mit uns verwechselt zu werden. Ihm den nachgemachten Rock vom Leib« zu reißen, jeder Verwechselung mit ihm dadurch vorzubeugen, daß«i« stärker als je die charakteristischen Merkmale unseres Sozialismus hervor- heben, energischer als je jeder Abschwächung, jeder Verwischung unser« Grundsätze entgegentreten, das ist allerdings heute eine der Hauptaufgaben unserer Taktik. Daß aber ein Organ dieser Fälschergesellschaft sich dieser gegen st« ergangenen Warnung noch rühmt, das ist allerdings„auch ein Bei- trag zur deutschen Parteimora l." — Was der Telegraph nicht Alles weiß. Während die europäische Spießbürger- und Polizistenwelt jüngst durch die Mittheiluni von� einem„Revoluttonskongreß" in London alarmirte, aus dem Liebknecht präsidirt habe(zu derselben Zeit befand sich Liebknecht in dem revolo- tionärer Umtriebe gewiß nicht verdächtigen deutschen Reichstage), Niel- dete er über den atlantischen Ozean an den„New-Iorker Herald" so!' genden lustigen Blödsinn, den die„New-Aorker Volkszeitung" seh« richtig mit„Korrespondenten-Phanlasie" abfertigt: „London , 1. Juni. Herr Wilhelm Liebknecht , der Sozialist aid Sachsen, welcher am 18. Mai in Paris eintraf, hat an eine dortig« revolutionäre Zeitung geschrieben, daß er von jetzt ab extremere Mast regeln als bisher empfehlen werde. Cr sagt, die Zeit sei gekommen und das Volk sei dazu reif,„daß jene verborgenen Waffen der Zerstörung- welche die moderne Wissenschaft den Unterdrückten in die Hand gibt"- zur Anwendung gebracht werden können. Die jetzt in Paris versain melten, leitenden Sozialisten haben diese Erklärung des Magdeburgers!! Revoluttonärs gutgeheißen und bereiten sich aus eine Blut- und Donnen Kampagne vor. „Vorgestern Nacht fand in Paris eine geheime Zusammenkunft stast an welcher Männer wie Jules Guesde , Paul Lasargue und ein Dutzend Anderer Theil nahmen, auf deren Köpfe die Hälfte de« Regierungen von Europa Belohnungen ausgesetz haben(!). Bei dieser Zusammenkunft wurde die Abhaltung ein« internationalen� Kongresses avancirter Sozialisten beschlossen. D>« Zeit und der Ort des Kongresses werden absichtlich geheim gehalten- aber das Gerücht sagt, er solle im September zu Antwerpen stattfinde� Trotzdem ist es mehr als wahrscheinlich, daß die Veröffentlichung dies« Arrangements eine Aenderung des Planes herbeiführen werde und d«! der Kongreß nach der Schweiz oder nach Amerika verlegt werdet wird." Punktum. So fruktifiziren hinter's Licht geführte Spitzel ih«« Reinfälle. — Die Vertheilung des Grundbesitzes in Preuß«� stellt sich nach der mit der allgemeinen Berusszählung vom Jahr 188' verbundenen landwirthschastlichen Betriebs st ati st ik f«" gendermaßen: Zahl der Land- In Proz. der wirthschaftsbetriebe Gesammtzahl Größenklassen der Anbaufläche unter 2 Ar bis (>.20 Hektar bis 2„„ ö„„ tü„„ 20„ ,, 20„„ 100„„ 200 ,, ,, 600„„ über 5 20 1 2 S 10 20 so 100 200 500 1000 1000 Ar Hektar 33,491 133,848 445.6SS 843,732 408,434 493,254 278,937 197,450 155,128 31,830 8,537 8,281 3,133 483 1.10 4.10 14.88 27.78 13.43 18.22 9.11 6.50 5.10 1.05 0.28 0.27 0.10 0.02 Zusammen: 3,040,198 100. Unter Bezugnahme auf diese Zahlen weist die„Freihandels-Korrespo" denz" darauf hin, daß nach dem Verhältniß, welches in Deutschland durchschnittlich zwischen der mit Brodkorn bestellten Fläche und d««« übrigen Ackerland besteht, ein Landwirth, der dauernd 20 Zentner Br«� korn, den Bedarf für eine Familie von fünf Köpfen, selbst produzir«« will, mindestens 5 Hektar in landwirthschaftlichem Betriebe Hab«« muß;„auch die Besitzer von 5— 10 Hektar werden in vielen Fäll«« wenig oder gar kein Brodkorn zum Verkauf bringen können, weil st mit der Produktion und dem Verkauf anderer Erzeugniffe ihren Bebte an allerlei Gebrauchsgegenständen, Kleidung». decken." „Blickt man", heißt es dann weiter,„nach diesem Ergebniß auf b>« oben zusammengestellten Zahlen zurück, so kommt man zu dem Schlub daß in Preußen 77.57 Prozent aller landwirthschastlichen Betrieb« unter 5 Hektar Anbaufläche haben, also nicht entfernt oder kaum g« nug für den Bedarf einer Familie von fünf Personen produziren; 9.l! Prozent, zwischen 5 und 10 Hektar, produziren im Durchschnitt ein au� reichendes Quantum, im Einzelnen einige Zenwer mehr oder weniges nur 13.32 Prozent aller Betriebe produziren üb«« den eigenen Bedarf hinaus. Ihretwegen allein st»« die Getreidezölle da, die angeblich im solidarischem Jntereffe der Lanb wirthschaft liegen sollen. Von diesen 13.32 Proz. sind nun noch wied«« 11.80 Proz. mtt einer Anbaufläche von 10— 60 Hektaren, also mit ein«� Verkaufsquantum von Getreide von 1—6 Tonnen. Die heuttgen Getteid«' zölle würden diesen Bettieben also ein Plus in der Roheinnahme v»« 10—80 Mk. verschaffen. Für andere Theile Deutschlands , in weichend«« Getteidebau vor dem Bau von Handelsgewächsen, Weinbau u. s. � weit mehr zurücktritt als in Preußen, wird der Prozentsatz der Begib« sttgten noch geringer sein. Zur Kennzeichnung des angeblich für d<« „Stand der kleinen Grundbesitzer" ersonnenen Planes einer Erhöi.« ung der Getreidezölle sind diese Zahlen unzweifelhaft rein schätzenswerth." Freilich sind sie das. Der„Bruder Bauer", dem Bismarck so wost! wollende Briefe schreibt, ist der Geleimte. Für die Herren Großgruv� besitzer und den Nimmersatten Steuerfiskus sind die Getreidezölle gemw worden, und nicht im Jntereffe des armen Landvolks, das zum größt«' Theile noch Brod oder Brodkorn zu dem geernteten hinzukaufen muh wird die wettere Erhöhung derselben, d. h. weitere Vertheuerung b«* Arodes, geplant, sondern im Jntereffe eben dieses Fiskus und dq Großgrundbesitzer, deren Söhne zudem aus eben diesem Fiskus gefütttn werden. Das mögen unsere Genoffen, wenn sie auf dem Land« agitiren, d« Bauern recht eindringlich vorhalten. — Der deutsche Reichstag hat, neugestärkt durch die Rust der Ferien, sein Werk der Volksbeglückung fortgesetzt. Die erste Sitzu«? nach den Ferien war dem famosen Antrag Ackermann gewidw«' nach welchem den Behörden die Befugniß ertheilt werden soll, Nilst innungsmeistern das Recht, Lehrlinge zu halten, zu entziehen; mit ob deren Worten, den Innungen das Monopol der Lehrlingsausbeutung r
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6 (19.6.1884) 25
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