Konnte man den Sieg unserer Partei nicht ungeschehen machen, so ward er auf diese Art wenigstens oerkleiner t Jndeß, das war nur lächerlich. Aller Unbill ungeachtet, welche unsere Genossen von Seiten der Volks- parteiler schon erfahren, haben dieselben in verschiedenen Wahlkreisen bei den Stichwahlen nicht nur selbst für die Kandidaten dieser Partei gestimmt, sondern auch die Wähler aufgefordert, für dieselben zu stim- men— im Interesse der gemeinsamen politischen Forderungen. Ohne die Hilfe unserer Genossen wären weder Schott in Stutt- gart, noch Härle in Heilbronn , noch Lenzmann in Dort- m u n d durchgedrungen. Wir verlangen keinen Dank dafür, eine solche Geschmacklosigkeit liegt uns fern, aber zur Charakteristik der Frankfurterin sei hiermit konstatirt, daß sie in ihren redaktionellen Wahlbülletins diese Thatsachen konsequent todtschwieg. Sie, die jeden Liebesdienst, den ihr das Zentrum erwies, sorgfältig registrirte! Das war unanständig! In Kassel stand unser Kandidat Pfannkuch mit einem Reaktionär Stöcker'scher Observanz, in D a r m st a d t Müller mit einem„Heidel- berger" schlimmster Sorte, in Hanau Frohme gegen einen konserva- tiven Agrarier zur Stichwahl; war es der„Franksurter Zeitung" mit ihrem Kampf gegen diese Richtungen ernst, so mußte sie ihre Anhänger auffordern, für unsere Kandidaten einzutreten. Natürlich that sie nichts dergleichen. Aus Braunschweig , wo Bios gleichfalls gegen einen„Heidel- berger" schofelster Kouleur, einen gewissen Ku le m a n n, in Stichwahl war, brachte sie eine Korrespondenz, in welcher der Einsender die Aufforde- rung der Teutsch-Freisinnigen, unter keinen Umständen für Bios zu stimmen, sondern sich zu überlegen, ob sie Kulemann wählen oder sich der Stiinme enthalten wollen,— dahin e nt schuldigt, es wäre denselben angesichts der„unqualisizirbaren Beschimpfungen" un- niöglich, direkt für K u l e m a n zu agitiren. Keine Bemerkung der Re- .daktion, daß es Pflicht jedes Demokraten sei, unter solchen Umständen für Bios zu stimmen. Das waren freilich nur Unterlassungssünden, aber absichtliche, wie wir gleich sehen werden. In Hannover stand Genosse Meister dem Welsen Brüel gegenüber. Brüel ist politisch oppositionell, wirthschaftlich und in kirchlichen Dingen ein Stockreaktionär. Bei der Stichwahl siegte Meister, die Frankfurterin schrieb nach den Grundsätzen ihrer politischen Buchführung den ganzen Stimmenzuwachs Meistert auf Konto der Nationalliberalen und Kon- servativen und reklamirte die Stimmen ihrer fortschrittlichen Freunde für den Pietisten Brüel . Man glaubt, was man wünscht. Ganz unzweideutig aber offenbarte das Sprachrohr des Herrn Sonnemann seine Gesinnung durch seine Stellung im dritten Hamburger Wahlkreise, wo unser Genosse H e i n z e l gegen den vielberühmten Koloniengründer W ö r m a n n in Stichwahl stand. W ö r m a n n war von den Bismärckern in Hamburg in diesem Wahl- kreis aufgestellt worden, um den bisherigen Vertreter desselben, den Dr. R ä e, zu verdrängen. Das künstlich genährte Kolonialfieber sollte auf diese Weise fruktifizirt werden. In seinen Wahlreden hatte sich Wörmann als politisch durchaus gesinnungslos charakterisirt, die Wahlflugblätter seiner Partei bestanden fast nur aus groben Schimpfe- reien auf die politischen Grundsätze des Dr. Ree . Das Manöver gelang zunächst insofern, als bei der Hauptwahl Herr Wörmann einige hundert Stimmen mehr erhielt als Ree und infolgedessen mit Heinzel in Stichwahl kam. War es den Hamburger Fortschrittlern ernst mit ihrem politischen Programm, so mußten sie jetzt in der Stichwahl entweder für Heinzel stimmen oder mindestens strenge Neutralität verkünden. Dazu hatten sie umsomehr Veranlassung, als bei der Wahl von 1881 Rse nur Dank der Hilfe unserer Genossen über seinen nationalliberalen Gegner gesiegt hatte. Das fortschrittliche Wahlkomite hatte unter diesen Umständen nicht den Muth, allen Geboten der Ehre und Pflicht offen in's Gesicht zu schlagen, es zog sich durch den Beschluß aus der Affäre, bei der Stich- wähl keine Stellung zu nehmen, sondern dies dem Ermessen der Parteigenossen zu überlassen. Dieser Beschluß war aber nur der Deck- mantel für die erbärmlichste Gesiimungsluinperei. Kaum war er gesaßt, so eröffnete die fortschrittliche„Reform" den Feldzug für Wörmann, erklärte es als Pflicht des Freisinns, den bürgerlichen Kandidaten Wörmann nach besten Kräften zu unterstützen. Und so ward denn auch Heinzel trotz der bewunderungswürdigen Anstrengungen unserer Hamburger Genossen geschlagen. Sie brachten es zwar von 10,921 aus 14,«24 Stimme», Wörmann dagegen erhielt IS, 41 7 Stimmen. Am 28. Oktober hatten Ree und Wörmann zusammen 14,900 Stimmen gehabt. Dieser Sieg des nacktesten Bourgeoisinteresses wurde von der„Frank- furter Zeitung" mit folgendem Jubelhymnus begrüßt: Feuilleton. Aus einer kommunistischen Kolonie. Ueber die in Amerika noch hier und da befindlichen Kommunistischen Kolonien ist schon sehr viel geschrieben worden, aber meist auf Berichte von Nicht soziallsten hin. Es wird unsere Leser daher sicher interessiren, einmal eine Schilderung einer solchen Kolonie aus dem Munde eines überzeugten Sozialisten zu vernehnien. Sind wir uns auch über die wissenschaftliche Unzulänglichkeit solcher Versuche, den Kommunismus hinter dem Rücken der heutigen Gesellschaft durchzuführen, durchaus klar, wissen wir auch, daß sie eben nur solange gedeihen können, als sie jede Berührung m>t der Außenwelt möglichst vermeiden, so brauchen wir deshalb noch nicht ohne Weiteres den Stab über sie zu brechen, vlelmehr erheischen es Pflicht und Interesse, auch der guten Seiten dieser Kolonien uns bewußt zu werden und den Auunenmärchen entgegenzutreten, die über sie im Schwünge sind. Genosse August Keitel, Berliner Ausgewiesener, hat der im Staate Ohio befindlichen Kolonie Z o a r einen Besuch abgestattet, und über diesen Besuch am 19. Oktooer in der Mitgliedschaft Cleveland einen sehr interessanten Vortrag gehalten. Stach einem der„New Porker Volkszeitung" eingesandten Referate sagte er ungefähr Folgendes: „Meine Freunde! Der Ausspruch: Unser Pastor Hat'S gesagt, oder: Es steht>n der Bibel, war früher genügen», um irgend etwas zu be- weisen und für wahr zu erachten, während heutzutage die Massen des Volles Alles für wahr anerkennen, was ihnen schwarz auf weiß durch die Presse aufgetischt wird. Wie viele Unwahrheiten aber durch diese in's Volk getragen werden, ist mir noch nie klarer gewesen, als seit meinein Besuch in Z o a r. Ueber die e kommunistische Kolonie haben sich sehr viele Vorurtheile gebildet. So wird fälschlich behauptet, man ißt dort aus einer Krippe, trägt egale Kleider, treivt Weibergemeinschast und wer weiß, was»och Alles mehr. Die kommunistische Kolonie Zoar, im Jahre 1817 von Schwaben gegründet, liegt 80 englische Meilen südlich von Cleveland am Tucara- was River. Ihre Besitzungen unifassen 8000 Acker und gehören zu den fruchtbarsten der Gegend. Die Kommune zählt 300 Köpfe. Der aufmerksame Beobachter, welcher sich kurze Zeit unter diesen von der übrigen Gesellschaft abgeschlossenen Kommunisten aushält, fühlt sich durch den Umgang mit denselben wohlthuend berührt. Die Kinder find wohl erzogen, junge Leute nicht so roh und unsläthig, so daß man Fluchen und rohe Reben nicht zu hören bekommt. Sie sind höflich, besch iden und gebildet. Es gibt dort zwei Schulen. Eine für die kleinen Kinder und eine für die reifere Jugend, welch' letztere von den Kindern bis zum 17. Lebensjahre besucht werden kann. Die reiferen Männer, denen die Pflicht der Arbeit obliegt, sind heiter und munter, denn Sorgen und Kuinmer kennen sie nicht. Am auffallendsten fällt der Unterschied in Betreff der allen, nicht mehr arbeitsfähigen Leute in dieser Kommune und außerhalb derselben Gesellschast auf. Während denselben hier, falls sie nicht schon früher dahinsiechen, größtentheils ein trauriges Loos bevorsteht,.stiehl man die Greise dieser Kömmune frohen Riuthes und in guter Stimmung. Sie leben, trotzdem sie nicht mehr zu arbeiten nölhig haben, geradeso gut wie die übrigen, denn sie haben ja ein Recht auf's Leben, da sie in ihren jungen Jahren ihre Pflicht erfüllt haben. Di- Frauen fühlen sich auch ganz wohl. Ihnen ist dort ihre gleich- berechtigte Stellung zugewiesen. Sie besorgen den Hausstand und benützen dritten Hamburger Sitz diesen Gewmn wesentlich „Die Nationalliberalen haben den für Herrn Wörmann gewonnen. Sie danken dem Fortschritt oder richtiger dem Bürgersinn der Hamburger, der sich dagegen ausbäumte, Hamburgs gesammte Vertretung in den Händen der Sozialdemokratie zu sehen, und über Parteiverbitterung und persön- liche Voreingenommenheit den Sieg davontrug. Die namhaftesten Führer des Fortschritts waren in letzter Stunde mit aller Entschiedenheit für Wörmann eingetreten, nicht für den nationalliberalen Politiker, sondern für den mit den Verhältnissen Hamburgs verwach- wachsenen Bürger, den Rheder und Großkaufmann. Das werden die Nationalliberalen, wenn sie ehrlich sein wollen, zur Beschämung ihrer Parteigenossen im Reiche eingestehen und aner- kennen müssen." Der Rheder und Großkaufmann— da liegt der Hund begraben! Heinzel ist ja nur ein simpler Schneidermeister, er kennt zwar die Leiden und Bedürfnisse der A r b e i t e r, er weiß, wo den Hand- w e r k e r der Schuh drückt, aber was will das sagen gegenüber dem Rheder und Großkaufmann! Die armen Rheder brauchen vor allen Dingen eine Vertretung im Reichstag. Wie hoch stehen die Hamburger Fortschrittler gegenüber den Franksurter Nationallibcralen, die sich nicht entschließen konnten, für den Großkaufmann Sonnemann gegen den Lehrer Sabor zu stimmen! Aber wie ist uns denn? Auch Herr Dr. Räe ist ja Lehrer. Wie nun, wenn Ree und Wörmann in die Stichwahl gekommen wären? Nach der„Frankfurter Zeitung " hätten die Hamburger Wähler ihren Bürger sinn am schönsten dadurch bekundet, wenn sie für„den mit den Verhältnissen Hamburgs verwachsenen Bürger, den Rheder und Groß- kaufmann", gestimmt hätten. Ihr Jubel über den Sieg Wörmann's ist die Verurtheilung der Kandidatur— Ree. Weniger staatsmännisch gebildete Menschenkinder meinen, daß ein politisch gesinnungsloser Mann, wie der Liebling der„Franks. Zeitung", in die Handelskammer oder hinter den Bundesrathstisch gehört, als Regierungskommissär, aber nicht auf die Bänke der Volksvertretung. Die Konsequenz der Sachverständigen-Theorie, wie sie die Frankfur- terin hier plötzlich auftischt, heißt Volkswirthschaftsrath. Und warum dieser unter den gegenwärtigen politischen Verhältnissen Deutschlands nur eine willenlose Regierungsmaschine sein kann, braucht nicht erst noch bewiesen zu werden. Wie sehr der Appell an die„Solidarität des Bürgerthums" gegenüber der aufstrebenden Arbeiterklasse der Reaktion zugutekommt, dafür liefert Sachsen das sprechendste Beispiel; die„Partei der Ordnung" muß an die bornirte Denkweise des zurückgebliebenen Pfahlbürgerthums appelliren, wenn sie Erfolge erzielen will. Darüber kann heute kein Zweifel mehr bestehen. Ein Appell an die„Solidarität des Bürger- thums" ist V e r r a t h an der Sache des Fortschritts, an der Demo- kratie. Wir wollen hier nicht in die Frage eintreten, inwieweit die bürgerliche Demokratie in Deutschland überhaupt heute noch Existenzberechtigung hat. Soviel aber ist klar: wenn sie sich mit der Thatsache, daß hinter ihr die proletarische Demokratie kämpft, nicht abfinden kann, wenn sie ihr Antlitz nicht wider die reaktionären Elemente in Staat und Gesellschast, sondern wider die aufstrebende Arbeiterpartei kehrt, dann unterschreibt sie ihr eigenes Todesurtheil. Und das hat die„Franksurter Zeitung" gethan. Sie hat den B o u r- geoisstandpunkt in einer Weise hervorgekehrt, wie schlinimer kein nationalliberales Blatt. Sie hat uns gezeigt, wessen wir uns in ernsterer Situation von ihr zu versehen haben. Dies zu konstatiren, war der Zweck dieses Artikels. Wir wollen ihn jedoch nicht schließen, ohne gezeigt zu haben, wie andere, nicht von der Staatsmannssucht erfaßte Organe der bürgerlichenDemokratie das jammervolle Verhalten der Hamburger Fortschrittler beurtheilen. In der fortschrittlichen„Berliner Volkszeitung" vom 1«. November lesen wir: „Daß der Vorstand der freisinnigen Partei bei der Affäre eine sehr unglückliche, wenn nicht selbstmörderische Rolle gespielt hat, ist unleugbar." ...„Die Eroberung auch des dritten Hamburger Wahlkreises durch die Sozialdemokratie ist nur eine Frage der Zeit, seitdem es feststeht, daß durch die schwächliche Haltung des Freisinns beim Sozia- listeng esetz und hier am Ort alle entschiedeneren Bürgerlichen in die Reihen der Sozialdemokratie getrieben sind."... Alle Entschiedenen zur Sozialdemokratie, die Schwächlichen zur Reaktion; die Letzteren, gestützt auf das gute Beispiel der demokratischen „Frankfurter Zeitung ". die übrige Zeit, um der Erziehung der Kinder obzuliegen. Allerdings gibt es dort keine Paläste, aber Hütten, durch die der Wind pfeift, auch nicht. Der Viehstall in Zoar, welcher die schönsten Pferde und das beste Rind in Ohio beherbergen soll, ist entschieden besser und gesünder gebaut, als tausende von Arbeiterwohnungen anderwärts. Die Kunst wird dort auch gepflegt. Es besaht dort eine Musikkapelle, deren Mitglieder sich in ihren Mußestunden«» dieser Kunst ausbilden. Außerdem wird die Kunstgärtnerei dort betrieben, und haben sie eine wundervolle Gärtnerei. Als ich in Zoar ankam, blühte gerade an dem Abend die„Königin der Nacht", eine der seltensten und edelsten Blumen. Dieses Schauspiel wurde von Alt und Jung in Augenschein genommen, und der greise Gärtner gab über diese Blume eine ausführliche Erklärung. Alle Anwesenden lauschten dieser Belehrung mit Verständniß, und nach derselben begab sich Jeder frohen Muthes nach seiner Wohnung. Dieser Vorfall hat bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Einen intelligenten jungen Mann fragte ich, ob man kein Gefängniß habe. Er antwortete, daß dergleichen hier nicht nothwendig sei. Diebstahl, Raubmord, Betrügereien, Brandstiftung u. s. w. kenne man nicht. N i e- mand habe Ursache, irgendeines dieser Verbrechen zu begehen, denn wenn Jemand einem Anderen Schaden zufügt, hat er selbst darunter zu leiden. Sie haben eine Kirche in Zoar, und der Aelteste hält allsonntäglich eine religiöse Vorlesung, doch ist die Religion zwanglos. Die Nahrungsstoffe sind unversälscht. Es hat Niemand ein Interesse daran, solche zu verfälschen, weil er sich nicht dadurch bereichern kann. Im Allgemeinen bietet die Kommune ein Bild der Zufriedenheit. Stellen wir diesem Bild ein Bild aus der bürgerlichen Gesellschast gegen- über. Wie anders sieht es da aus! Da liegen im Hockingthale 10,000 Kohlengräber auf offenem Felde am Hungertuche nagend, in Fall River sind 10,000 Wollenweber auf's Pflaster geworfen und mit Weib und Kind dem Elend preisgegeben. Allerwärts herrscht Roth unter den Ar- beitern. Bedenken Sie dieses Elend, und machen Sie einen Vergleich mit Zoar. Bei uns ist Todtschlag, Raub, Diebstahl, Betrug, Hungertyphus, Zerstörung von Eigenthum und alle die häßlichen Geschwüre, welche unserem gesellschaftlichen Systems anhängen, an der Tagesordnung. Wie sieht's mit unserer Jugend aus? Roh, verwahrlost und verkommen wächst sie auf, und was läßt sich für die Zukunft von derselben erwarten? Frauen müssen in die Fabrik, und oft müssen sie mit den Kindern, die in die Schule gehörten, den vergeblich nach Arbeit suchenden Mann und Vater ernähren. Welches Recht hat solch' eine Gesellschast, die Kom- mune Zoar zu verlästern? Bergleichen wir diese zwei Bilder genau und untersuchen wir, was die Ursache ist, daß zwischen denselben ein so himmelweiter Unterschied besteht. Weshalb sind in diesem reichen Amerika Tausende von Menschen existenzlos? Die Republikaner und Demokraten lügen dem Volke ab- wechselnd etwas vor von Schutzzoll und Freihandel oder sonstigen, ganz nebensächlichen Dingen, welche Schuld seien an den sozialen Mißständen. Die Ursache liegt jedoch in der Produktionsweise. Die Produktionsweise der Kommunisten in Zoar ist ähnlich der des von Marx, Lassalle und Anderen wissenschaftlich begründeten Kommunismus. Stach dem 17. Jahre muß jeder arbeitsfähige Mann arbeiten. Die Hauptbeschäftigung ist der Ackerbau. Außerdem hat man eine Brauerei, Gerberei, Schmiede u. s. w. Lohn gibt es nicht. Jeder erhält, was er zum Leben bedarf. Durch diese Produktionsweise wird Einigkeit geschaffen. Es herrscht dort keine Konkurrenz wie bei uns. Die Konkurrenz erzeugt Haß. Der stetige Kampf des Menschen mit dem Menschen bedingt Feindschaft. Wie schön dagegen ist das Bild von Zoar. Dort ist Jeder bestrebt, der Gemeinschaft zu dienen. Ein junger Mann sagte zu inir:„Ihr Sozialpolitische Rundschau. Zürich , 20. November 1884. — Die Sozialisten des Auslandes über die deut- schen Wahlsiege.„I-�on socialiste", das Organ der Sozialisten Lyons, begrüßte das Wahlresultat vom 28. Oktober mit nachfolgendem Artikel: Die Lyoner Arbeiterpartei an die deutschen Arbeiter. „Dank Eurer Einigkeit und Eurer Energie hat das sozialistische Pro- letariat soeben einen glänzenden Sieg in Deutschland errungen. Die Arbeiterpartei des Bezirkes Lyon (Sektion der französischen Arbeiterpartei Roanner Programms) benutzt mit Freuden die Gelegen- heit, ihrer Solidarität, die sie mit Euch eint, Ausdruck zu geben. Die Macht der Monarchen und Bourgeoisregierungen beruht zum großen Theile auf dem Hasse der Völker wider einander. Indem sie die Völker gegen einander in's Feld führen, Haß unter sie säen, hoffen sie, den sozialistischen Bestrebungen im Proletariat Abbruch zu thun und die Lösung der sozialen Frage hinauszuschieben, der einzigen Frage, welche die Arbeiter kümmert. So sucht man in Frankreich längst vergessenen Haß wieder aufzu- wärmen, unter dem Deckmantel der Vaterlandsliebe die, welche jenseits der Grenzen wohnen, als Feinde hinzustellen. Diese Bemühungen sind vergeblich, denn für uns kann das Vaterland nicht durch den Willen eines Despoten bestimmt werden. Weder Berge noch Flüsse bezeichnen die Grenzen unseres Vaterlandes; es ist überall da, wo es Leidende, Ausgebeutete, Enterbte gibt, überall da, wo es ein Volk gibt. Die Mensch- heit ist unser Vaterland. Nicht der Deutsche , noch der Engländer, noch der Italiener, der Araber oder der Chinese ist unser Feind. Unser Feind ist derselbe wie der Eure, es ist der Feind aller Völker: der Tyrann, der Despot, der Kapitalist. Alle Diejenigen, welche, sei es unter welcher Form immer, die Völker in Knechtschaft und Elend halten, voin Zaren aller Reussen bis zu söge- nannten französischen Republik . Dies ist auch der Feind, gegen den Ihr in diesen Tagen so tapfer gekämpft habt. Empfanget dazu, deutsche Arbeiterbrüder, unsere leb- Hastesten Glückwünsche; von Herzen wünschen wir, daß die Stichwahlen Euren Ersolg noch großartiger gestalten, Eure Bemühungen voll und ganz belohnen mögen, bis der Tag kommt, da das Proletariat aller Länder, von seinen Vorurtheile» befreit, seiner Klasseninteressen sich be, wüßt, sich erheben, die ungerechte Gesellschaftsordnung, die es knechtet stürzen und endlich das Reich der Gerechtigkeit, der wahren Freiheit- errichten wird. Es leben die deutschen Arbeiter! Hoch die soziale Revolution!" ** * Neben vorstehendem Aufruf enthält unser Bruderorgan„Lyon Socia- liste" noch mehrere Artikel und Notizen, welche die Wahlen in Deutsch - land behandeln und die Konsequenzen für die französischen Sozialisten daraus ziehen. Da heißt es z. B.: „Warum hat sich Frankreich in der sozialistischen Entwicklung über- holen lassen? Gestehen wir es ein! Weil wir in Frankreich keine Män- ner der Aktion oder doch nicht der stetigen Aktion sind; weil die meisten von uns es verschmähen, auf die T h a t s a ch e n Rücksicht zu nehmen. Krankhafte Träumer, die wir das Studium verabscheuen, ver- sessene Erfinder, halten wir uns für Revolutionäre, wenn wir chimärische Gesellschaften in unserem Kopf konstruiren. Wir verwechseln die ermü- dende und ziellose Bewegung mit der zielbewußten Aktion, die Erfolge zeitigt." Wer wagt es, angesichts solcher Sprache noch vom Chauvinismus der französischen Sozialisten zu reden! — ms.„Die Sozialdemokratie dient der Reaktion" — das ist das alte tausendmal, namentlich zu Lassalle's Zeiten, herunter- geleierte Lied, das uns in der fortschrittlichen und volksparteilichen Presse jetzt wieder vorgeleiert wird. Daß wir in dieser Wahlkampagne den Herren Fortschrittlern und Volksparteilern sehr übel zugesetzt und damit deren reaktionären Gegnern hier und da eine kleine Freude bereitet haben, das gestehen wir leichten Herzens zu; aber der„Reaktion" wäre durch unsere Fortschritte doch bloß dann genützt, wenn die Fortschrittler und Volksparteiler e r n st h a s t e F e i n d e der„Reaktion" und ihr feind- licher und gefährlicher wären als die Sozialdemokraten. Das aber behaupten, heißt einfach sich lächerlich machen. Daß die Fortschrittler und ihr volksparteilicher Schwanz auf sozialem Gebiet durch und durch reaktionär, nämlich für die Erhallung der Grund- seid freier, aber wir sind glückliche r." Nachdem ich ihm jedoch ein Bild unserer modernen Lohnsklaverei gezeichnet hatte, fand er, daß er auch noch viel freier sei als wir. Allerdings hat diese Kolonie auch ihre Schattenseiten, und die Wissenschaft beweist, daß eine solche Kolonie auf die Dauer nicht bestehen kann. Viele der jungen Leute dieser Kommune werden von dem äußeren Schein der übrigen Gesellschast bestochen und wollen reisen. Kleine Reisen sind ihnen, allerdings mit beschränkten Mitteln, auch erlaubt. Der Ver- kehr mit der übrigen Welt und der blendende äußere Schein erweckt den Wunsch, auch so austreten zu können wie manche Andere. Deshalb ver- legen sich die jungen Leute in Zoar jetzt bereits auf die Spekulation und suchen Slkittel und Wege zu finden, wie sie für sich etwas nebenbei verdienen. Diese Spekulation ist das erste Gift, welches in die Kom- mune eingeführt ist und schließlich den Ruin derselben zur Folge haben wird. Einzelne junge Leute treten auch aus, aber fast ausschließlich kehren diese, gewöhnlich heruntergekommen und enttäuscht, zurück und sind dann die zufriedensten Kommunisten. Auch nach anderer Seite hin steht der Entwicklung einer solchen Kom- mune ein Hinderniß entgegen. Wie geschlechtliche Kreuzung der verschie- denen Gattungen bei Pflanzen und Thieren Veredelung erzeugte, so ist dies bei Menschen nicht minder nothwendig. Da nun die Ehen dieser Kolonisten größtentheils untereinander abgeschlossen werden, so kann dies ebenfalls aus die Stachkonlmen keinen guten Einfluß ausüben. Wie ganz anders würde es sein, wenn das kommunistische Produk- tionssystein im Allgeineinen eingeführt würde. Alle Mißstände, welche sich bei kleinen Kolonien nicht abwenden lassen, mühten verschwinden. Alle Arbeiter haben daher ein Interesse daran, der Abschaffung unseres heutigen und der Errichtung eines kommunistischen Systems die Wege zu ebnen. Nur durch den Arbeiter ist die Umgestaltung zu bemerk- stelligen. Marx sagt:„Die Befreiung des Arbeiters muß das Werk der Arbeiterklasse sein."— ♦**' Soweit Genosse Keitel . Was uns in seinem Bericht am bemerkenswerthesten erscheint, ist die Aeußerung des Kommunisten von Zoar, daß man in der kommunistischen Kolonie jedenfalls glücklicher, im Grunde aber auch freier lebe als draußen, in der„freien" Gesellschaft. In der That, diese bürger- liche Freiheit besteht für neun Zehntel der Bevölkerung nur in der Einbildung. Es ist deshalb so überaus lächerlich, wenn die Vertheidiger der Heuligen Gesellschaft behaupten, der Kommunismus vernichte die „persönliche Freiheit". Umgekehrt, der Kommunismus, wie wir ihn er- streben und wie er als Prodult der modernen Entwicklung überhaupt nur möglich ist, dieser Kommunismus wird erst die persönliche Freiheit h e r st e l l e n. In der That, in dem Maße, als die Menschheit die Herr- schast des Zufalls aufhebt, und das vermag am besten die kommu- nistische Gesellschaft, umsomehr hört auch der Zwang der Verhält- Nisse*) aus, der heute für neun Zehntel der Gesellschaft die Freiheit zu emer erbärmlichen Lüge macht. Das wollen aber die Bourgeois von heute ebensowenig begreifen wie die A n a r ch i st e n. *)„Aber Zusall, das ist nur der eine Pol eines Zusammenhanges, dessen anderer Pol Nothwendigkett heißt." Fr. Engels, Der Ursprung der Familie k., S. 141. 1' .
Ausgabe
6 (20.11.1884) 47
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