lagen unserer erbärmlichen Gesellschaftsordnung oder richtiger= Unordnung sind, das wird selbst von Herrn Sonnemann nicht mehr be: fritten werden können, seit er sich im letzten Wahlkampfe mit dem ganzen bünkelhaften Pathos des geschwollenen Geldprogen dem Kandibaten der Sozialdemokratie gegenüber als Vertreter des von der Umsturzpartei bedrohten Bürgerthums aufgespielt hat.
Und wie steht es erst auf politischem Gebiet? Ist nicht gerade durch die Fortschrittspartei die heutige„ Reaktion" erst möglich geworden? Hat die Fortschrittspartei nicht 1866, nachdem sie jahre lang den reaktionären Krautjunker Bismarck des Verfassungsbruchs an getlagt, ihm das Kainszeichen des Eidbruches" auf die Stirne gebrannt batte, in ihrer partikularistisch preußischen Großmannssucht den Siegen Bruderkrieg" zugejubelt, und hintennach nicht blos für den ,, Bruderrieg", sondern auch für den Verfassungsbruch" und„ Eidbrüch" Indemnität( Berzeihung und Billigung) ertheilt?
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Und waren es nicht etwa diese Siege im„ Bruderkrieg", durch welche Bismarck erst in den Sattel kam und in die Möglichkeit versetzt wurde, die seinem reaktionären krautjunkerlichen Wesen entsprechende reaktionäre innere Politik durchzuführen?
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Die Bismarck 'sche Reaktion" ist im wahrsten Sinne des Wortes von der Fortschrittspartei großgezogen worden.
Dem Bruderkrieg" von 1866 folgte mit Naturnothwendigkeit der heilige Krieg" von 1870/71, der, unter dem frenetischen Jubet der Fortschrittspartei, das Gebäude der Bismarck'schen Politik krönte und der frautjunkerlichen„ Reaktion" auf Jahre hinaus, carte blanche"( unbeschränkte Vollmacht) gab.
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Als 1870 diese Folge des heiligen Krieges" von unseren Vertretern orausgesagt ward, ertönte von sämmtlichen Bänken des Reichstags Dieherndes Gelächter, und wohl das lauteste von den Bänken der Fortgrittspartei.er, und wohl da
Das damals von dem sozialdemokratischen Redner Vorausgesagte ist auf's Wort eingetroffen, und was haben die Fortschrittler gethan? haben sie ihr Unrecht und ihre Verblendung eingesehen und die begangenen Sünden wieder gutzumachen versucht?
Mit Nichten!
Wohl haben sie in unzähligen Reden gegen die ,, Reaktion" gedonnert und auf die Bismarck 'sche Wirthschaft losgeschlagen, allein es waren Borte, Worte, Worte. Vor Thaten hatten und haben die Fortschrittler eine gewaltige Scheu, sie thaten nichts, und bewilligten sogar dem reaktionären Krautjunker Bismarck mit tadelloser Pünktlichkeit alle Jahre ben Staatshaushalts Etat, das ist: die Mittel zur Durchführung der ber Reaktion".
In einer Anwandlung von Kourage proklamirte das Haupt der FortSchrittspartei, der große Mundheld Eugen Richter , einmal das:
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Fort mit Bismarck !"; sobald ihn aber Bismarck deshalb zur Rede stellte, verlegte der tapfere Gugen, wie ein vom Lehrer auf irgend einer Unart ertappter Schuljunge, sich auf's Leugnen
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er wollte nie
etwas Aehnliches gesagt haben( obgleich er es vor versammeltem Reichslag gesagt und hernach in seinem Blatt zum Ueberfluß noch geschrie ben hat) und flüchtete sich in die famose 3 weise el entheorie, nach welcher Bismarck nur auf dem Gebiete der inneren Politik ein Reaktionär" ist, auf dem Gebiete der äußeren Politik dagegen der größte aller Staatsmänner, die je gelebt haben und noch leben werden, und ein Mann ganz nach dem Herzen der Fortschrittspartei.
Während man also die„ reaktionäre" innere Politit Bismarck's auf's Heftigste angreift, erhebt man seine äußere Politik in die Wolken und thut das Möglichste, ihm das Ansehen zu verleihen, dessen er zur Durchführung seiner reaktionären" innern Politik bedarf!
Und wenn ein paar Dußend dieser fortschrittlichen Weichthiere und Ronfufionsräthe im Wahlkampfe erlegen sind, soll das ein Nuken sein für die Reaktion"!
Kindisches Gefasel.
Von der tausendfachen Verleugnung der demokratischen Prinzipien durch die Fortschrittspartei, von dem Votum der„, 28" zu Gunsten des Sozia liftengesetzes und anderen ähnlichen Verräthereien wollen wir hier gar nicht reden. Genug, daß wir in kurzen Umrissen gezeigt haben, wie diese Fortschrittler es gerade sind, welchen Bismard seine reaktionären Erfolge oder Erfolge in der Reaktion verdankt.
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oder Von der Volkspartei brauchen wir gar nicht zu reden. Ist war( fuimus Troes!) sie doch stets blos ein Anhängsel der Fortschrittspartei, trotz der kleinlichen Zänkereien zwischen Sonnemann und Richter Bänkereien, die rein persönlichen Ursprungs waren und mit Prinzipienfragen absolut nichts zu schaffen hatten,
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je nun, Freut Bismarck sich über die Niederlage der Fortschrittler das ist seine Sache; die Zeit wird kommen, wo er sie eben so gern wieder zur Macht bringen wird, wie jezt die vor 6 Jahren an die Wand gedrückten" Nationalliberalen.
Für die freiheitliche Entwickelung der Dinge ist es ein wahres Glück, daß die Fortschrittspartei mit ihrem volksparteilichen Anhängsel in die Pfanne gehauen worden ist. Sie hat der Sozialdemokratie nur den Weg versperrt, und die Sozialdemokratie ist die einzige Partei, welche das Zeug hat, mit der„ Reaktion" fertig zu werden. Mag es uns auch" rief Liebknecht vor der Frankfurter Stichwahl in der Riesenversammlung des Saalbaues Herrn Sonnemann und dessen Freunden zu,, mag es uns auch unter den obwaltenden Verhältnissen in mancher Beziehung lieber sein, einem Konservativen oder Nationallibe talen im Kampfe gegenüberzustehen als einem bürgerlichen Demokraten, so ist es doch eine Nothwendigkeit, daß die bürgerliche Demo tratie, welche die Konsequenzen des demokratischen Prinzips nicht ziehen will oder kann, von der konsequenten Demokratie: der Sozialdemokratie verdrängt wird, welche auf wirthschaftlichem wie politischem Gebiet die Konsequenzen des demokratischen Prinzips zieht. Nur die Sozialdemokratie ist im Stande, der Reaktion wirklich und gründlich zu steuern. Damit sie dies kann, müssen aber die Mittelparteien verschwinden, die zwischen uns und den Feinden des Volkes stehen und uns verhindern, ihnen auf den Leib zu rücken. Was Fortschrittspartei und Volkspartei nicht vermocht haben, die Sozialdemokratie wird es erreichen: die Herrschaft des demokratischen Prinzips. Weg mit den Mittelpar Parteien! Das ist der Wahrspruch, den das deutsche Volt am 28. Oftobe: abgegeben hat. Möge Frankfurt ihn beherzigen!" Frankfurt hat ihn beherzigt.
Und daß die Sozialdemokratie an die Stelle der Fortschrittspartei und bürgerlichen Zwitterdemokratie rückt, das bedeutet das Todten= geläute der Reaktion!
Zur Grund- und Bodenfrage. Die Zeitungen veröffentlichen jetzt die Ergebnisse der am 5. Juni 1882, gleichzeitig mit der Berufszählung, aufgenommenen I andwirthschaftlichen Berufsstatistit. Dieselben sind noch mehr als für die übrigen Parteien für uns von Interesse.
Lassen wir zunächst die Zahlen über die Vertheilung des Grundbesitzes folgen. paprons
,, Deutschland hatte nach der Aufnahme vom 5. Juni 1882 im Ganzen 5,276,344 landwirthschaftliche Betriebe, welche zusammen eine Fläche von 40,178,681 hektaren bearbeiten, worunter 31,868,972 Ha. Ackerund Gartenland, Wiese, kultivirte Weide, Obstgarten und Weinberge, sowie 4,951,975 Ha. Holzland. Unter diesen 5,276,344 landwirthschaftlichen Betrieben befinden sich 2,323,316 Einzelwirthschaften( 44.03 Prozent der Gesammtzahl) mit einer Flächengröße unter einem Hettar, und 4,043,238 Einzelwirthschaften( 7 6.62 Prozent der Gesammtzahl) mit einer Flächengröße unter fünf Hettar, d. h. nicht einmal 20 preußische Morgen. Auf diese Betriebe unter fünf Hektar Flächengröße kommt durchschnittlich nur eine Flächengröße von 1.48 Ha., also taum 5.8 preußische Morgen. Die Zahl der Betriebe zwischen 5 und 10 ha. Flächengröße beträgt 554,174, d. h. 10,5 Prozent der Gesammtzahl, dann folgen 372,431 Betriebe oder 7,06 Prozent der Gesammtzahl mit einer Flächengröße zwischen 10 und 20 Ha., weiter 239,887 Betriebe oder 4,5 Prozent der Gesammtzahl mit einer Flächengröße zwischen 20 und 50 ha., ferner 41,623 Betriebe oder 0,8 Prozent der Gesammtzahl mit einer Flächengröße zwischen 50 und 100 Ha. Sodann sind noch zu verzeichnen 11,033 Betriebe oder 0,21 Prozent der Gesammtzahl mit einer Flächengröße zwischen 100 und 200 Ha., 9,814 Betriebe oder 0,18 Prozent der Gesammtzahl mit einer Flächengröße zwischen 200 und 500 ha., weiter 3,629 Betriebe oder 0,07 Prozent der Gesammtzahl mit einer Flächengröße zwischen 500 und 1000 Ha. und endlich nur 515 Betriebe oder 0,0097 Prozent der Gesammtzahl mit einer Flächengröße von 1000 ha. und darüber. Rechnen wir alle Betriebe über 50 Ha. Flächengröße zusammen, so ergibt sich nur eine
Zahl von 66,614 Einzelwirthschaften oder 1,24 Prozent der Ge= sammtzahl. Von Interesse ist ferner die Angabe der Statistik, daß von den selbstständig Landwirthschaft treibenden Personen 3,222,270 oder, wenn wir die Zahl der selbstständigen Landwirthe als mit der Zahl der Betriebe übereinstimmend annehmen, 61 Prozent(!) außer der Landwirthschaft noch einen oder mehrere Erwerbsthätigkeiten als Haupt- oder Nebenberuf ausüben. Nicht weniger als 712,668 Landwirthe oder mehr als 13 Prozent der Gesammtzahl treiben ein selbst st än= diges industrielles, Handels- oder Verkehrsgewerbe ohne Ge= hülfen, 982,436 Landwirthe oder fast 19 Prozent der Gesammtzahl treiben nebenher landwirthschaftliche oder sonstige Taglöhnerei, und zwar fallen diese Taglöhner fast ausschließlich unter die Betriebe mit weniger als 5 hektar Flächengröße. Als industrielle Hülfs= arbeiter sind 626,547 selbstständige Landwirthe oder fast 12 Prozent der Gesammtzahl beschäftigt, ferner treiben 157,306 Landwirthe oder 3 Prozent der Gesammtzahl nebenher Gast- oder Schankwirthschaft, 37,085 Landwirthe sind im Fuhrwesen thätig, 52,977 Landwirthe oder 1 Prozent der Gesammtzahl treiben Getreidemüllerei, 8674 Landwirthe ferner sind nebenher Branntweinbrenner. Sehr bemerkenswerth aber ist, daß von den Branntweinbrennerei treibenden Landwirthen 5670 oder fast 66 Prozent auf Betriebe über 10 Ha., die meisten auf Betriebe zwischen 20 und 50 Ha., entfallen."
Vor allen Dingen sehen wir hier wiederum, welch' koloffaler Prozentsatz der Landbevölkerung seiner Klassenlage nach zum Proletariat gehört, und daß es nur einer planmäßigen Agitation bedarf, um diese Leute für uns zu gewinnen. Die 626,547 selbstständigen Landwirthe", die nebenbei(!) industrielle Hülfsarbeiter sind, die 982,436 Landwirthe, die nebenbei landwirthschaftliche oder sonstige Tag löh= nerei betreiben, können naturgemäß von keiner andern Partei Wahrung ihrer Interessen erwarten, als von der Sozialdemokratie. Das sind bereits 31 Prozent aller sogenannten selbstständigen Landwirthe. Wie viel von den 13 Prozent, die ein selbstständiges Handelsoder Verkehrsgewerbe betreiben, weiter nichts sind als Hausarbeiter, die ein Stück Land besitzen, ist nicht gesagt; wenn wir aber lesen, daß 44,03 Prozent der Gesammtzahl aller Landwirthe unter einem Heftar Grundbesitz haben, so beantwortet sich diese Frage von selbst, denn von einem Hektar Grundbesitz kann eine Familie nicht leben. Aber auch die Besitzer von fünf Hektaren und darunter haben kein Interesse an dem heutigen Stand der Dinge: es sind Kleinbauern, die bei einer Aenderung der Produktionsweise nur gewinnen können, so daß wir getrost behaupten dürfen: Dreiviertel aller selbstständigen Landwirthe müßten, wenn sie ihre Klassenlage be= griffen haben, sich der Sozialdemokratie anschließen. Und sie müssen aufgeklärt, müssen gewonnen werden, wenn unsere Sache siegen soll. Gewiß ist schon Manches in dieser Beziehung geschehen, und zweifelsohne haben eine ganze Anzahl von Kleinbauern diesmal sozialistisch gewählt. Aber es muß mehr geschehen, darüber sind wir wohl Alle einig. Dazu ist aber nöthig, daß die Genossen durch die Vermittelung des Zentralorgans sich die Erfahrungen mittheilen, welche sie bei der Agitation auf dem Lande gemacht.
Wir werden bei der Wichtigkeit der Sache noch oft auf dieses Thema zurückkommen. Für heute nur noch so viel:
Nach der obigen Statistik fallen gegen 99 Prozent aller landwirthschaftlichen Betriebe auf solche unter 50 Heftaren, während nur 1 Prozent über 50 Hektaren Land enthalten. Dieses eine Prozent aber repräsentirt insgesammt eine Fläche von 9,636,249 Heftaren Getreideland, während die 99 Prozent nur 3,747,677 Heftaren Getreide: land, also wenig mehr als ein Viertel des ganzen Getreidelandes reprä sentiren.
Diese Zahlen reden eine so deutliche Sprache, daß selbst der schlichteste Landproletarier sie verstehen wird.
wir
Unsere Feinde sind kuriose Leute. Sie haben eine erschreck liche Angst vor uns, und trotzdem behaupten ste fortwährend, daß wir im ,, Rückgang" oder gar in der Auflösung begriffen sind. Wir mögen thun und lassen, was wir wollen, es mag geschehen was will sind im Rückgang", in der Auflösung". Natürlich jetzt nach unsern Wahlerfolgen erst recht. Die Siege, welche wir erfochten haben und die sich nicht wegleugnen lassen, sind Pyrrhussiege", an denen wir zu Grunde gehen müssen. Gerade, daß wir unsere Stimmenzahl verdoppelt, in allen Mittelpunkten des politischen Lebens solch' gewaltige Stimmenmassen aufgebracht haben gerade das ist unser Verderben. Daß es in Deutschland 700,000 Männer über 25 Jahre alt geben kann, welche den sozialdemokratischen Frrlehren und Umsturzbestrebungen huldigen, das ist einfach unmöglich. Die größte Mehrheit dieser 700,000 sind durchaus keine Umstürzler, sie wollen eine friedliche Sozialreform, und, wenn sie statt für die Kandidaten des Bismarck, der ja die Sozialreform will, zu stimmen, für die Kandidaten der Sozialdemokratie, welche die Bismard'sche Sozialreform nicht will, gestimmt haben, so ist der Grund einfach darin zu suchen, daß in den Arbeiterkreisen noch immer ein gewisses Mißtrauen gegen die Reichsregierung obwaltet, das aber unzweifelhaft bald geschwunden sein wird. Den Thatsachen kann Niemand sich verschließen. Und so werden die Arbeiter sich von der Sozialdemo= tratie abwenden und dann ist es aus mit der Sozialdemokratie. Jetzt schon lassen sich Zeichen der Auflösung entdecken. An verschiedenen Orten beabsichtigen die sozialdemokratischen Wähler bei den Stichwahlen
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w.
für konservative Kandidaten zu ſtimmen( natürlich nicht wahr!) u. 1. me Kurz die Sozialdemokratie hat sich zu Tode gesiegt, wenn reaktionären Blätter liest. Nun wir gönnen unsern Feinden das kindliche Vergnügen, und hoffen, daß wir uns noch recht oft zu Tode siegen mögen. Ein solches Sterben ist schön das laffen wir uns gern gefallen.
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Der erste Gruß, mit dem Bismarck den neuen Reichstag beehrte, war ein solider Fußtritt: die Eisenbahnfreikarten sind jetzt derart ausgestellt, daß die Abgeordneten nur noch zwischen ihrem Wohnort und Berlin freie Fahrt haben, gewissermaßen 3wangsrouten. Deutlicher kann man einer Körperschaft wohl kaum seine M is a ch= tung bezeugen, als durch diese Neuerung. Von Sparsamkeitsgründen zu reden wäre abgeschmackt; im Reichsetat, wo die Millionen für alle möglichen Zwecke nur so herumfliegen, spielen die zirka 48,000 Mart, welche die Freifarten bisher jährlich gekostet, die Rolle einer Lappalie. Wie man aber der einzigen auf Grund des allgemeinen Stimmrechtes erwählten Körperschaft Deutschlands bisher beharrlich die Diäten ver weigerte beiläufig sehr charakteristisch für die Arbeiterfreundlichkeit, daß man es Arbeitern fast unmöglich macht, ein Mandat anzunehmen! so ist jetzt auch diese Vergünstigung noch zu viel. Wundern thut uns nur, warum man die Fahrkarten nicht je nach der Parteistellung der betreffenden Abgeordneten für die verschiedenen Eisenbahnklassen ausgestellt hat. Indeß, vielleicht kommt auch das noch.
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Ob sich im Reichstag eine Majorität zusammenfinden wird, um auf diese liebenswürdige Begrüßung bei erster Gelegenheit die passende Antwort zu haben? Schwerlich. Wissen doch die Organe der äußersten bürgerlichen Opposition schon jetzt nichts besseres zu thun als das Kars nikel zu suchen, welches zu dieser Neuerung den Vorwand gegeben. Das ist die rechte Art, mit Bismarck fertig zu werden.
Man weiß nicht, was man bei den Nationalliberalen mehr bewundern soll: ihre Verlogenheit oder ihr dickes Fell. Während sie überall da, wo sie mit uns in Stichwahl kamen, unsere Partei in der infamsten Weise verleumdeten und beschimpften, wußten sie da, wo sie um unsere Stimmen bettelten, oder aus Neid gegen ihre bürgerlichen Konkurrenten unsern Sieg wünschten, uns nicht liebenswürdig genug hinzustellen. Zwei Proben mögen genügen.
Jm„ Odenwälder Boten" erschien am Tage vor der Stichwahl zwischen Liebknecht und dem Nationalliberalen Schloßmacher ein Wahlaufruf der Nationalliberalen, in welchem es wörtlich hieß: ,, Die Namen der Mordgesellen Hödel, Nobiling, Kammerer, Stellmacher, Schenk, Schlossarek tragen das Gepräge des Feindes, der Sozialdemokratie nämlich, die sich nicht scheut, öffentlich zu bekennen, daß ihr Weg nur über Blut und Leichen führt, recht deutlich an sich. Die Mordthaten eines Schenk, der dem Leben harmloser Menschen meuchlings ein Ende gesezt, feiert die genannte Partei als ruhmvolle Heldenthat."
Schenk war der Hallunke, der in Wien eine Reihe von leichtgläubigen Mädchen betrog und hinterher ermordete. Auch dieses Scheusal, dessen " Poesien" damals die Runde durch die korrupte Bourgeoispresse machten, wurde uns an die Rockschösse gehängt; klüglicherweise einen Tag vor der Wahl, wo eine Widerlegung nicht mehr möglich war.
Wie anders in Hannover , wo unser Genosse Meister gegen den Welfen Brüel in Stichwahl war. Da wurden Meister und seine Wähler in Briefen an die Kölnische Zeitung " in einer Weise kajolirt, daß man hätte meinen sollen, unsere hannover 'schen Genossen seien thatsächlich die schimpflichsten Leisetreter von ganz Deutschland . Und das, nachdem im Wahlflugblatt unserer hannover 'schen Genossen die nationalliberale Partei folgendermaßen charakterisirt worden war:
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,, Diese Partei der Charakterlosigkeit und politischen Heuchelei ist todt und bereits in Fäulniß gerathen. Durch das be= kannte Heidelberger Programm sind sie völlig zu den Konservativen übergelaufen. Ihr Führer, der große" Rudolf von Bennigsen , ist nicht Minister geworden, sondern von Bismarck schmählich an die Wand ge drückt und hat infolge dessen die Flinte in's Korn geworfen. Seine verlassenen Getreuen" sind nur eine Anzahl von Hans wursten. Die Hundedemuth der Nationalliberalen ist durch das bekannte„ ge= flügelte" Wort ihres früheren Parteigenossen Bamberger : Hunde sind wir ja doch!" sprichwörtlich geworden. Ihrer erbärmlichen Feig heit und Charakterlosigkeit ist es zu verdanken, daß die Reaktion in Deutschland so stark geworden ist. Sie unterscheiden sich von den Konservativen nur dadurch, daß diese vor Bismarck's Kürassierstiefeln auf den Knieen liegen, während die Nationalliberalen auf dem Bauche rutschen. Deshalb wird ihnen das Volk am 28. Oktober den woh l- verdienten Fußtritt versehen. Wenn sie dann endlich eins sehen sollten, daß die Wähler nichts mehr von ihnen wissen wollen, so können ja diese begeisterten" Anhänger der Kolonialpolitik nach Angra Pequena und Klein- Popo oder unsertwegen auch zu den ,, Buschkleppern" auswandern."
Man bemesse danach die Dickhäutigkeit der Nationalliberalen. Unsere hannover'schen Genossen keine Sozialdemokraten!" sie, in deren Flugblatt es wörtlich heißt:
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,, Ueber unsere Stellung zu der sogenannten Bismarc'schen Sozial reform" haben wir Folgendes zu bemerken: Wenn die Regierung dem Reichstage Gesetze vorschlagen würde, welche wirklich geeignet wären, die Lage der Arbeiter zu verbessern, so würden unsere Abgeordneten dieselben annehmen, ohne indessen auch nur einen Augenblick unser großes Endziel, die Beseitigung der Klassenherrschaft, aus den Augen zu verlieren. Die bisher vom Reichstage fabrizirten sozialpolis tischen Gesetze( Krankenkassen- und Unfallversicherungsgesetz) sind indessen so hundserbärmlich schlecht, daß unsere Vertreter nothgedrungen dagegen stimmen mußten. Die Regierung bemüht sich vergeblich, die Arbeiter durch die sogenannte Sozialreform" zu versöhnen. Mit der einen Hand schwingt sie die Peitsche, mit der andern reicht sie uns das Zuckerbrod. Wir rufen ihr zu: Dein Zuckerbrod verachten wir, Deine Peitsche zerbrechen wir!"
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3wischen den Urhebern des Sozialistengesetzes und der deutschen Sozialdemokratie ist keine Versöh nung möglich.
Wir brauchen wohl nicht erst zu bemerken, daß unsere Abgeordneten einstimmig gegen das Tabaksmonopol stimmen würden, wenn diese ,, Lieblingsidee" des Kanzlers wieder auftauchen sollte. Der ganze Staatssozialismus, wie er heute von der Regierung und den Konserva tiven betrieben wird, ist der reinste Schwindel. Man will Deutschs land auch auf dem wirthschaftlichen Gebiete zum reinen Kasernenstaat machen. Dies muß um jeden Preis verhindert werden. Eine Zukunft hat einzig und allein der demokratische Sozialismus, welcher den Staat und die Arbeit der Staatsbürger auf demokratischer, freiheitlicher Grund= lage organisiren will."
Kann man deutlicher, kann man kräftiger reden?
Man bemesse danach die Verlogenheit, die dazu gehört, von Meister zu sagen, er sei ,, eigentlich" ein Anhänger der Bismarc'schen " Sozialreform"!
Wahrlich, da wird einem die Entscheidung schwer, was größer: Verlogenheit oder die Dicke der Epidermis.
Um so leichter aber wird uns die Wahl zwischen Lob und Beschimpfung von Seiten der Nationalliberalen. Keinen Augenblick stehen wir an, uns für Letztere zu erklären.
Beschimpft uns, so viel als ihr wollt und könnt, verleumdet uns, so gemein ihr es nur vermögt, nur sagt von uns nicht, daß wir euch nahe stehen, nur bringt uns nicht in den Verdacht, eure Genossen zu sein. Euer Lob ist der größte Schimpf, den man uns anthun kann.
- Unser Nürnberger Sieg von den Gegnern beurs theilt. Am Abend der Stichwahl ließ sich der Hauptredner der Nürn berger Ordnungspartei, Professor Günther, folgendermaßen über das Resultat derselben aus( wir zitiren nach einem Bericht der liberalen ,, Augsburger Abendzeitung"): drids)
" Ich wollte, daß ich heute mit anderen Gefühlen diese Worte an Sie richten könnte, heute, wo wir nach einer Anstrengung, wie sie großartiger von den reichstreuen Wählern dieses Wahlkreises noch nie gemacht worden, doch eine Niederlage zu verzeichnen haben. Wir hatten den besten Mann auf unsern Schild gehoben, den Mann, deffen Name mit dem bayerischen und deutschen Parlamentarismus seit Jahr zehnten auf's Jnnigste verbunden ist. Und doch war dieser Name nicht stark genug, die unheimlichen Kräfte zu überwinden, die gegen uns gekämpft haben! Mit jenem französischen König nach erlittener Niederlage aber rufen wir: Alles verloren, nur die Ehre nicht! Die Ehre Nürnbergs ist glänzend gewahrt durch die Aufopferung, die im Kampfe an den Tag gelegt wurde wie nie zuvor. Hier werden die Stimmen nicht gewogen, sondern gezählt, und in diesem Kampf gegen die plumpe Zahl ist die Intelligenz unserer Stadt unterlegen. Sollen wir darum muthlos werden? Nein, wir werden das nächstemal gerade so tapfer wieder erscheinen auf dem Plan, und bis dahin heißt es rast los weiter gekämpft gegen den Geist der Lüge! Was uns über die Niederlage insonderheit trösten kann und was mehr werth ist als selbst ein Erfolg des Augenblicks, das ist, daß sich zum Stichwahltage Nürn bergs Bürgerschaft voll und ganz wiedergefunden hatte, daß aller Hader gegenüber der Allen gemeinsamen Liebe zum Vaterlande gewichen war, daß alle wahren Bürger für die gute Sache eingetreten sind. Wir können mit Stolz sagen: Es war keiner zurückgeblieben, Alle waren da auf ihrem Posten! Und wenn wir trotzdem nicht gestegt haben, so sind wir daran nicht selbst schuld, sondern jene finstern Mächte, gegen welche anzufämpfen sich vorläufig als aussichtslos erwiesen hat. Wird dies aber stets so sein? Nein! Auch die Sozialdemokratie wird ihre Hochfluth haben, und diese Hochfluth wird sich verlaufen!"
Nun, wir gönnen Herrn Günther und seinen Gleichgesinnten diesen Trost; vorläufig wird es wohl mit dem„ verlaufen" noch ein Weilchen dauern. Die Redensarten von der plumpen Zahl" und den„ Stimmen, die gewogen werden müssen", nehmen sich von Seiten einer Gesellschaft, die mit allen Mitteln der Demagogie gegen eine an Händen und Füßen gefnebelte Partei kämpfte, zu lächerlich aus, als daß wir uns bei ihnen aufhalten sollten. Nur so viel sei bemerkt, daß Herr Günther, der frühere fortschrittliche Vertreter Nürnbergs, noch heute ein Haupthahn der Fortschrittler ist. Welch' eine Partei!
Wie die Pfaffen wider uns gewühlt haben. Einer Zuschrift aus dem Kölner Landkreis entnehmen wir Folgendes: " In Kalt, wo sechs unserer Genossen gemaßregelt sind, hat der dortige Pfaffe in der Christenlehre den Kindern erklärt, daß die Sozialdemokraten böse Mens ben wären und seinen geistreichen Vortrag mit den Worten geschlossen: Wehe, wehe über Euch und Eure Väter, wenn sie Bebel wählen, dann müßt Ihr barfuß zur Hölle gehen! In Nippes hat der Kaplan heut vor 14 Tagen von der Kanzel heruntergepoltert, man solle doch nicht den bösen Sozialdemokraten glauben, die wollten Abschaffung der Religion, und führte für das Märchen von der Theilung Folgendes an: Man solle sich einen armen Beamten denken, der jahrelang sich für seine Familie gequält und gespart(?), dann, wenn die Sozialdemokraten an's Ruder kämen, wollten sie mit ihm theilen."
Hilft aber Alles nicht; es geht doch vorwärts!
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Leipzig, den 13. November. Die Reichstreuen" im Landkreis sind noch immer ganz aus dem Häuschen. Daß sie so gründlich würden geschlagen werden, das hatten sie nicht gedacht. Herr Heine läuft herum, wie vor den Kopf geschlagen. Aber auch in der Stadt sind die Reichstreuen, trotz ihres Sieges, nichts weniger als siegesfroh. Die ungeheure Vermehrung der sozialdemokratischen Stimmen liegt ihnen doch schwer im Magen, und Nationalliberale und Konservative streiten sich, wem von ihnen beiden das größere Stück des gemeinsamen Kandi