unbestimmten, großen, allgemeinen Zieles ein einlaches, geringes, un> mittelbar greisbares Ziel setzt. Dieses Ziel wird erreicht. Ich will zum Schlüsse noch aus ein Beispiel hinweisen, woran man recht klar sieht, wie Großes gleistet wird, wenn man in passender Weise vom Einzelnen nur Geringes verlangt. Wer hat noch nicht von der ReichSfechtschule gehört? Dem weit ausgebreiteten Philisterbund mit dem Zwecke, das Geld zu Waisen- Häusern durch Pfennigsammlungen zusammenzubringen? Und von dessen unerwartetem Erfolg?(Der sich indeß wohl auch durch den Reiz der Neuheit dieses Sports erklärt. Die Red.) Was ich vorschlage, ist im Prinzip dasselbe. Es ist swenn wir solche Aeußerlichkeiten hinzufügen wollten) eine geheime Reichswühl- schule mit Wühlburschen, Wühlgesellen,- Meistern,- Obermeistern und wirklichen geheimen Reichswühlräthen mit ein, zwei und drei rothen Bammeln. Nur daß wir die Sache mit mehr Ernst und ohne die kin- dischen Faxen betreiben und, dem Charakter unserer Bewegung ent- sprechend, solche Würden und Abzeichen weglassen. Der innere Gehalt der Bewegung wird uns diese äußere Form reichlich ersetzen.— Wollen wir unverzüglich darauf lossteuern, eine stetige Flugblätter- vertheilung wie die besprochene herbeizuführen! Wollen wir jetzt unmittelbar nach den Wahlen die durch unsere und zum guten Theil auch der reaktionären Parteien Bemühungen aufge- rüttelten Geister in Beschlag nehmen und die Erregung nicht wieder verklingen lassen, wie nach den letzten Wahlen, uwo man vergeblich nach Flugblättern lechzte. Und wir müssen das thun, wenn wir nur im Mindesten den Gang der sozialen Entwicklung beschleunigen wollen und nicht warten wollen, wie sich die Geschichte im langsam malmenden Gang der Jahrhunderte nach immanenten Gesetzen ihrem Ziele unter dem Aechzen der Kreatur entgegenwälzt.?dosplior. Sozialpolitische Rundschau. Zürich , 22. Dezember 1884. — Es leben die Feinde, unsere Freunde! Wie oft hatten wir Gelegenheit, so auszurufen; und wie oft konnten unsere Ab- geordneten im Reichstag dem Fürsten Bismarck versichern, daß er die Geschäfte der Sozialdemokratie aufs Beste sührt! Die Verhältnisse sind eben stärker als die Menschen. Die Entwicklung der Dinge vollzieht sich nicht nach dem Willen einzelner Individuen, und seien sie noch so mächtig, sondern nach festen Gesetzen, die von den T ha t s a ch e n nicht loszulösen sind. Wenn der Wille sich gegen die Verhältnisse aufbäumt, in Widerspruch mit ihnen setzt, so kann er höchstens für den Moment einen Schein- triumpf erzielen— in Wirklichkeit muß er den Verhältnissen sich unter- werfen. Recht augenfällig trat das in den Reaktionsjahren zu Tag, welche der 1848er sogenannten Revolution folgten. Das Junkerthum war äußerlich wieder zur Herrschaft gelangt, die Partei des Hrn. Bis- marck, der die großen Städte als die Brutstätten der Demokratie zer- stören wollte, war am Ruder— der bürgerliche Geist sollte gebannt, die Bourgeoisie erdrückt, die Zeituhr um dreihundert Jahre und mehr — hinter die Reformation— zurückgestellt werden. Und der Erfolg? Die„schwarze Reaktion" wurde die Geburtshelferin der modernen Gesellschaft, die in anderen Ländern freilich viel früher das Leben er- blickt hatte— das Grab der„M ärzrevolution" wurde die Wiege der deutschen Bourgeoisie. Hätten statt der bürgerfeindlichen Manteufsel, Westphalen, Branden- bürg, und wie sie alle heißen, ächte Vollblutbourgeois damals in den Ministerien gesessen— der Sieg des Bürgerthums hätte sich nicht voll- ständiger und nicht schneller vollziehen können. Jetzt erleben wir ganz Aehnliches. Eine reaktionäre Regierung will die Sozialdemokratie vernichten, und zieht sie groß! Alles was sie thut, um dem gehaßten und gesürchteten Feinde zu schaden, um ihn in's Herz zu treffen, gereicht ihm nur zum Vortheil, und alle Anstrengungen, die sich gegen ihn richten, dienen nur zu seiner Kräftigung. Man betrachte z. B. das Kranken-Versicherungsgesetz. Es wurde angefertigt in der Absicht, die Arbeiterkassen unter die Ver- waltung der Polizei zu bringen; die freien Kassen sollten zerstört werden. Nun ist aber genau das Gegentheil deffen eingetroffen, was die Ur> Heber dieses traurigen Polizeigefetzes erstrebten: es hat den freien Kassen einen außerordentlichen Aufschwung ge- geben. Und nicht blos in dem Sinne, wie wie wir es schon früher bespro- chen haben. Daß die freien Kassen von den Arbeitern vorgezogen werden, und daß ihnen, um den Zwangskassen zu entgehen, tausende und abertausende von Mitgliedern beitreten würden, das war voraus- zusehen, und kam wohl auch den Herren Gesetzgebern, die den freien Kassen die Existenzbedingungen abgeschnitten zu haben vermeinten, nicht ganz unerwartet. Was sie jedoch nicht vorausgesehen hatten, das ist: daß die Arbeitgeber von den Zwangskassen nichts wissen wollen, und in vielen Städten Deutschlands offene Propaganda für die freien Kaffen machen. Der Grund liegt einestheils in dem polizeilichen Charakter der Zwangs- kaffen, der den Arbeitgebern viel Scherereien bereitet. Anderntheils in Feuilleton. Ein Much zum Austeihen. Oft schon ist die Klage ausgesprochen worden, es fehle in unserer Literatur an Schriften, die man Leuten in die Hand geben könne, welche bisher dem politischen Kampfe ganz fern gestanden haben, welche in einem ganz anderen Jdeenkreise leben, als ihn selbst unsere populärsten Broschüren voraussetzen. Und in der That leiden die meisten unserer Agitationsschriften an dem Fehler, daß sie sich an Leser wenden, die schon mehr oder weniger politisch denken gelernt haben, welchen die politische Ausdrucksweise geläustg ist, an Leser, die ssich aufklären wollen, während vielfach sich das Bedürfniß nach Schriften geltend gemacht hat, die den Leser aufklären, ohne daß er es so recht merkt, die ihn gewissermaffen spielend in die sozialistische Gedankenwelt ein- führen— nach Schriften, die nicht den Stempel der Agitation sozusagen an der Stirne tragen, die mehr aus Neugier als aus Wißbegier gelesen werden. Das Bedürfniß nach solchen Schriften ist namentlich da ein lebhaftes, wo unsere Bewegung noch sehr schwach ist, noch mit dem Vorurtheil der großen Masse zu kämpfen hat. Namentlich aus Gegenden, wo das Pfaffenthum noch dominirt, ist schon oft der Ruf ergangen nach solchen ganz und gar populären Ausklärungsschriften. Nun gibt es wohl keine leichtere— d. h. leichter faßliche— Form der Belehrung, als die durch das Beispiel. Unsere ganze moderne Erziehungslehre beruht auf dieser Erkenntniß. Es wird also wohl die Schrift die populärste sein, welche am wenigsten Ansprüche an das Abstrakttonsvermögen des Lesers stellt, ihn vielmehr Schritt für Schritt selbst erfahren läßt, was ihm klar gemacht werden soll, welche die Vorurtheile, die er im Kopfe hat, in systematischer Reihen- folge eines nach dem anderen zerstört, nicht durch Deduktion, sondern, wie gesagt, durch die Wirkung des Beispiels aus dem alltäglichen Leben. Es ist nun in diesen Tagen ein Buch erschienen, welches im Wesent- lichen diesen Ansprüchen gerecht wird, und aus welches wir daher die Aufmerksamkeit unserer Leser lenken möchten. Es ist eine Erzählung, betitelt:„Die wahr hastige Lebens- geschichte des Josua Davidsohn", die vor Jahren in der „Neuen Welt" lim ersten Jahrgang derselben) veröffentlicht worden ist. Schon damals fiel dem Schreiber dieses der vortreffliche Agitations- werth dieser Erzählung auf, und heute, wo sie ihm in Buchform vor- liegt, findet er sein damaliges Urtheil voll und ganz bestätigt. In der That, welchen Leser wird das Schicksal des armen cornischen Zimmer- der Bestimmung, daß die Arbeitgeber in die Zwangskassen ein Drittel des Beitrags bezahlen müffen. Genug— die Arbeitgeber ziehen die freien Kassen den Zwangskaffen vor,— und da die Ä r b e i t e r natürlich dasselbe thun, so ist das Krankenkaffengesetz, da« die freien Kassen ersticken sollte, der b e st e Nährboden für die freien Kassen geworden. Das Krankenkaffengesetz ist aber der Eckstein der Bismarchschen Sozialreform! Und wie das Krankenkaffengesetz, so wird die ganze Bismarck'sche S o- z i a l r e f o r m bloß den Sozialdemokraten zu Gute kommen, deren Vernichtung ihr Zweck war! — Staats st reichelt es? Vergangenen Montag wurde in allen Kasernen des deutschen Reiches peinliche Nachsuchung gehalten nach sozialistischen Schriften und Korrespondenzen, und zwar nicht nur bei den„gemeinen" Soldaten", sondern bis hinauf zum Unter- offizier. Mit ächt preußischer Brutalität durchschnüffelten die Spitznasen die Briefschaften der Soldaten, während man diese auf den Kasernen- Höfen hatte antreten lassen. Können wir es schon an sich als ein günstiges Zeichen betrachten, daß man in den oberen Regionen so deutlich zeigt, welches Mißtrauen man gegen die große Maffe der Soldaten hegt, so haben wir wirklich nur noch die Hoffnung hinzuzufügen, daß solche all-g e m e i n e Durchschnüf- felungen öfter stattfinden mögen. Eine bessere Agitation für die Sozialdemokratie können wir uns gar nicht wünschen. Fragen wir aber nun: Weshalb plötzlich diese planmäßig angeordneten Durchsuchungen in den Kasernen? so ist das Mißtrauen gegen die„Zu- verläsfigkeit" des Heeres keine genügende Antwort. Denn dieses Miß- trauen besteht, wie wir sehr gut wissen, nicht erst seit gestern. Man hat es nur bisher für gut gehalten, es nicht merken zu lassen. Es dürste daher die zweite Frage sehr berechtigt sein, ob nicht ein g e- wisser Zusammenhang besteht zwischen diesen Kasernendurch- suchungen und dem von der Polizei provozirten Skandal in der Nord- deutschen Brauerei in Berlin , der von Bismarcks Leiborgan aus das Tendenziöseste zurechtgeknetet unb umgelogen wird— ganz in derManier, wie seinerzeit dieAttentateverwerthet wurden! Zieht man dies in Betracht, so wird man die nachfolgende Zuschrift aus der Feder eines sehr erfahrenen Genoffen nicht unbegründet finden. „Es scheint, daß diese Allarmnachrichten speziell auf die Person des Kaisers Wilhelm berechnet sind, den man systematisch in Auf- regung hält, und der in Bezug auf militärische Dinge ganz besonders nervös ist. Es st a a t s st r e i ch e l t offenbar, und der B o d e n soll präparirt werden. Thatsache ist, daß Bismarck in einer Sackgaffe steckt, aus der er ohne Staatsstreich nicht gut herauskommen kann. Der Reichstag nimmt eine immer feindlichere Haltung gegen den„großen Staatsmann" ein, er hat durch seine Obstruktion einen Knüppel zwischen die Räder der Regierungsmaschine geworfen, und wenn Bismarck nicht zurücktreten will— was ihm nicht einfallen wird—, so muß er sich aus die eine oder andere Art des Reichstages entledigen. Eine Auslösung hat aber jetzt ihre sehr großen Bedenken, da die allgemeine Stimmung in Deutsch - land der Regierung kemeswegs sehr günstig ist." Warten wir's ab. — 8. I m Reichstag nahmen unsere Genoffen in den letzten acht Tagen hervorragend an den Verhandlungen Theil. Nachdem am vorigen Sonnabend(den 13. Dez.) Grillenberger, Kayser und Voll- mar bei der Etatsberathung mit dem Zentrum eine scharfe Aus- einandersetzung betreffs der Spekulation aus den„armen Mann" gehabt, brachte der darauf folgende Montag uns ein heftiges Gefecht über einen von Bismarck selbst wiederholt geforderten Posten von 2t),tXK) Mark für eine neue„Kraft", die im auswärtigen Amt angestellt werden sollte. Die neue„Kraft" ist Niemand anders als Graf Herbert Bismarck, und der Reichstag hatte keine Lust, diesem die geforderten 2<1,000 Mark zu bewilligen. Darob gerieth der Eiserne in unbändige Wuth— nahm die 20,000 Mark auf seinen„Diensteid" und meinte, der Reichstag , wenn er n u n seine Zustimmung verweigere, erkläre ihn— den„Eiser- nen"— entweder für unglaubwürdig, oder unzurechnungsfähig.„Ein Drittes gibts nicht"— meinte der Eiserne. Der Reichstag verweigerte aber trotzdem die Summe, und ließ ihm die Wahl zwischen dem„un- glaubwürdig" oder„unzurechnungsfähig". Bei dieser Gelegenheit wurde dem„Eisernen " der„Diensteid" durch Volkmar gehörig eingetränkt, der auch den fortschrittlichen Halbparlamentariern unter die Rase rieb, daß mit dem Nörgeln an kleinen Posten nichts genützt sei, und daß der Reichstag, wenn er nicht eine jämmerliche Rolle spielen wolle, allerdings nach der vollen„Parlamentsherrschaft" streben und dem persönlichen Regiment ein Ende machen müffe. Am Mittwoch trat Liebknecht für die Forderung der Polen ein, daß in den polnischen Landestheilen neben dem Deutschen auch das Polnische als Gerichtssprache eingesührt werde, und sprach sich dabei persönlich für die Wiederherstellung Polens aus. Ferner begründeten Liebknecht und Volkmar den bekannten Antrag betreffs der Kieler Verhaftungen; der Antrag wurde, wie schon im Mai des vorigen Jahres der gleichlautende Antrag Kayser- Liebknecht, der Geschästsordnungs-Kommission überwiesen, deren Bericht unmittelbar nach den Ferien zu erwarten ist. Die Kommission hat die nöthigen Vorarbeiten schon in der ersten Session gemacht und wird die- selben jetzt nur der Form halber, damit sie auch für den jetzigen Reichs- tag gelten, erneuern müssen— was aber keine Zeit in Anspruch neh- men wird. Jedenfalls genügt eine Sitzung; und wir haben den Vor- theil, daß Einer unserer Genossen jetzt in der Kommission sitzt.— Zur dritten Lesung des Diätenantrages sprach Sabor. Er sagte den Herren von der Rechten einige schneidige Wahrheiten, was diese zu dem bekann- ten Manöver veranlaßte, den Redner durch Gelächter außer Fassung mannssohns nicht ergreisen, der mit der ganzen Inbrunst eines jugend- lich-empfänglichen Gemüthes die Lehren des Christenlhums in sich auf- nimmt, Christus nachzuleben trachtet, und nun Schritt für Schritt mit dem offiziellen, dem wirklichen- im Gegensatz zu dem„ideale n" — Christenthum in Konflikt geräth, bis er schließlich der Brutalität des modernen Christenthums erliegt, freilich nicht ohne sich vorher klar dar« über geworden zu sein, welcher Gegensatz zwischen diesem modernen praktischen Christenthum besteht und der konsequenten Durchführung deffen, was er in Christi Lehre gefunden hatte, und als wirklich gläu- biger Christ auch hatte finden müssen! Dieser Gegensatz ist ohne jedes verletzende Wort, ohne jedes geschraubte Pathos so einfach, so wahr, so faßlich geschildert, daß es schwerlich ein Leser, der vorher geglaubt hat, aus der Hand legen wird, ohne zum Zweifeln, zum Nachdenken angeregt zu sein, und— wenn er ein Ar- b e i t e r ist— ohne sich für den Sozialismus zu intereffiren, ohne die Nothwendigkeit des Klassenkampfes zu begreifen. Leider ist der Preis des Buches ein solcher, daß von Massenabsatz nicht die Rede sein kann. Aber vortrefflich ist es geeignet, a u s g e- liehen zu werden, als ein„gar sonderbarer Roman", der weder von ritterlichen Grafen, noch von romantischen Theaterprinzesiinen, weder von hartherzigen Vätern, noch von verliebten Pärchen handelt, und der doch an alle Seiten unseres Gefühlslebens anschlägt, uns packt, ob wir wollen oder nicht. Als Probe für das Gesagte lassen wir hier den Schluß der Erzählung folgen: den Tod des armen Josua Davidsohn, der mit dem heiligen Eiser seiner Ueberzeugung durch das Land zog, um das zu lehren, was er für wahr, recht und gut hielt, und dafür mit dem Leben büßen mußte. „Zuletzt kamen wir an einen Ort Namens Lowbridge, wo ein Freund von uns wohnte, ein Mitglied der Internationale; und hier kündigte Josua durch Plakate an, daß er einen Vortrag über die Kommune im Rathhaussaal zu halten beabsichtige: er, Josua Davidsohn, werde beweisen, daß Christus und die Apostel der Bibel zufolge Kommunisten gewesen und daß sie— die Verschiedenheit der Methode natürlich zuge- standen, welche in der Verschiedenheit der nahezu zweitausend Jahre aus- einanderliegenden sozialen Einrichtungen von damals und jetzt begründet sei— wesentlich dieselben Lehren gepredigt hätten, für deren Verwirk- lichung die Kommune gekämpft habe. Der Abend kam heran, und Josua machte sich bereit, in die von ihm berufene Versammlung zu gehen, und ich mit ihm. Unser Freund hatte ihn gewarnt; einen freundlichen Empfang habe er nicht zu erwarten. Indeß Josua war nicht der Mann, sich durch einige Zornesblicke und drohende Geberden einschüchtern zu lassen, und ich glaube, ich Hab« ihn zu bringen. Welche Genugthuung für Herrn Sonnemann!— Am letzten Tag vor den Weihnachtsferien kam der Antrag Grillen- berge r-Kayser in dritter Lesung vor. Nach eingehenden Reden der beiden Antragsteller, und nach einem amüsanten, wenn auch nichts weniger als gleichen Duell zwischen Bebel und Kayser einer- und dem antisemitischen Dresdener Lokalpatrioten und-Hanswurst H a r t- w i g anderseits, wobei es letzterem natürlich sehr übel erging, wurde der schon früher erwähnte Kommissionsantrag angenommen. Der Reichstag ging am Donnerstag(18. Dezember) in die Ferien und wird— nach drei Wochen— Donnerstag den 8. Januar wieder zusammentreten. Der erste Gegenstand aus der Tagesordnung ist der Nachtrags-Etat für die D a m p f- B a r k a s s e rc., bei welcher Gelegen- heit die K o l o n i a l p o l i t i k zur Debatte gelangen wird. Der Entwurf des Arbeiterschutzgesetzes, welchen die so- zraldemokratischen Abgeordneten dem Reichstage vorlegen wollen, ist bereits ziemlich weit gediehen, und wird wohl schon wenige Wochen nach Wiederbeginn der Session eingebracht werden können; von anderen Anträgen hat die Fraktion bisher abgesehen; alle diesbezüglichen Mittheilungen der Blätter sind aus die Phantasie müssiger Reporter zurückzuführen. Die Feigheit der Fortschrittler zeigt sich jetzt wieder recht deutlich nach der Niederlage, welche Bismarck am IS. dieses Monats im Reichstage erlitten. Die konservativen und nationalliberalen Organe des Reichskanzlers drohen mit Auflösung, und da ist denn den tapferen Forsichrittlern sofort das Herz in die Schuhe gefallen. Mehrere ihrer Organe meinen schon, es sei eigentlich unrecht gewesen, den ge- strengen Herrn Reichs- Wauwau bei einer so geringfügigen Gelegenheit zu reizen; man hätte besser gethan, ihm die Sunime(die 20,000 M. für seinen Herberl) zn bewilligen. Und was ähnliche Angstmeiereien mehr sind. Wir wollen nicht bestreiten, daß man eine beffere Gelegen- heit hätte wählen können, wenn man die Wahl gehabt hätte; allein der Reichstag hatte eben— die jetzige parlamentarische Kampf- weise als maßgebend angesehen— keine andere Wahl. Den Gesammt- Etat zu verweigern, das fällt der oppositionellen Majorität nicht ein; der Militär-Etat ist durch das Septennat festgestellt, und so hat denn der Reichstag, Dank der bisher geübten Praxis, keine andere Wahl, als bei Kleinigkeiten einzusetzen. Im vorliegenden Fall aber hatte Bismarck durch sein zudringliches und grob insultirenves Vorgehen den Konflikt geradezu hcrbeigezerrt. Der Reichstag mußte den Kampf ausnehmen. Für das Kleinliche der Gelegenheit ist nicht der Reichstag veramwortlich, sondern Bismarck selbst, der mit solcher Shylockartigen Zähigkeit sich an die Forderung der„lumpigen" 20,000 Mark sestklam- merte. Die Kleinlichkeit liegt hier ganz auf Seiten des„großen" Reichs- kanzlers, der wahrhastig reich genug ist, seinem schlechterzogenen Spröß- ling das Taschengeld aus eigenen Mitteln, statt aus dem Säckel des Volks bezahlen zu können. Also einmal die jetzige parlamentarische Kampfweise vorausgesetzt, hat die Fortschrittspartei durchaus korrekt gehandelt, indem sie ihrem Gegner Bismarck bei dieser Gelegenheit ein Paroli bot und einen Fußtritt gab. Es war das die richtige Antwort auf das freche Junkerwort:„I ch lasse mir vom Reichstag nicht imponire n." Um so jäm- merlicher sind die Gewissensbisse der HH. Fortschrittler ob des bewie- senen Hcldenmuths. Die Sache ist, wie schon gesagt: die Fortschrittspartei hat Angst vor einer Auslösung; die letzten Wahlen liegen ihr noch in den Gliedern, und sie zittert bei dem bloßen Gedanken einer Neuwahl. Deshalb wird sich auch bei der Abstimmung über die Dampfer- subventionsvorlage dasselbe Schauspiel wiederholen, wie bei der Abstimmung über das Sozialistengesetz: ein Theil der Fortschrittspartei wird für die Vorlage stimmen, obgleich dieselbe, als das Prinzip der Staatshilse involvirend, von der manchesterlichen Fortschritts- partei unter allen Umständen prinzipiell zu verwerfen wäre. Doch was kümmert sich das um Prinzipien! Apropos, die Kastan-Parisius- Affaire ist jetzt geklärt. Die Abkom- mandirungsbriefe sind geschrieben worden, aber nicht von dem ordent- lichen Sekretär, sondern von P r i v a t f r e u n d e n des Hrn. Eugen Richter , u. A. von Hermes und Rickert. Ein von Hermes unterzeich- neler Brief dieser Art befindet sich in dem Besitze Kastans. — Bedenkliches Lob. Wir lesen im Leitartikel eines Wiener Blattes: „Bekanntlich existiren in Oesterreich zweierlei sozialdemokratische Ar- beiterfraktionen, die im Grunde genommen dasselbe anstreben, jedoch an- geblich auf verschiedene Weise. „Wir sagen„angeblich" aus Gründen, die im weiteren Verlause dieser Besprechung dem geneigten Leser klar werden dürsten. „Die eine Fraktion, die sogenannte„gemäßigte Arbeiterpartei", an deren Spitze Männer wie Gehrke, Höger, Schwarzinger, Bardors und Andere mehr stehen, behauptet, daß ihr Programm nur durch vorherige politische Emanzipation der Arbeiterklaffe in Erfüllung gehen könne, darum strebt sie das allgemeine direkte Wahlrecht an. Die zweite Arbeiterfraktion, die sogenannte„radikale Arbeiterpartei", betrachtet das allgemeine Wahlrecht als einen kapttalistischen Schwindel, weist daraus hin, daß die gemäßigte Sozialdemokratie Deutschlands im Geheimen mit gewissen Bankfirmen im innigen Kontakte stehe und eigentlich nur Oppor- tunitätSpolitik treibe. „Sie betont, und dies wohl nicht ganz mit Unrecht, daß eine wirthschaftlich vollständig abhängige Arbeiterschaft eigentlich gar nicht in der Lage sei, ihrer politischen Gesinnung freien Ausdruck zu verleihen. Zudem erkennt sie, daß ja die ganze Bevölkerung eines Staates nicht blos aus Fabrikarbeitern bestehe, und steuert dafür direkt auf die Emanzipation der Arbeit aller Stände von der Herrschaft von dem Geiste dessen, was er zu lehren unternommen, nie so erfüllt gesehen, als an jenem Abend. Dennoch bemerkte ich an ihm einen schmerzlichen Zug, der mir auffiel. Ernst war er immer, an diesem Abend war er ernst bis zur Traurigkeit, die feierliche Traurigkeit eines Märtyrers, der in den Tod geht, standhaft, opfersroh Zeugniß abzulegen für die gute Sache, aber— sich bewußt, daß er sterben muß. Er drückte mir, als wir in den Saal eingetreten waren, warm, fast zärtlich die Hand, indem er sagt-: „Es ist doch schön, daß du mich nicht allein hast gehen lassen! Du warst mir stets ein treuer Freund!" Dann lächelte er mir zu— der Augenblick war gekommen— und er ging nach der Rednerbühne. In der ersten Reihe, ihm rechts gegenüber, war der frühere Pfarrer von Trevalga, den wir als Knaben wegen seines Hochmuths und seiner Vornehmheit nur„Herr Grand" zu nennen pflegten. Er hatte kurz vorher die reiche Pfründe von Lowbridge erhalten, nebst anderen welt- lichen Vortheilen, und stand befriedigt am Ziel seiner Wünsche. Josua's Gesicht veränderte sich, als er des Geistlichen ansichtig wurde. Es nahm nicht den Ausdruck von Feigheit an, wohl aber den eines Mannes, der seinen Todfeind erblickt. Doch es war nur für einen Moment, dann hatte Josua's Gesicht wieder seinen gewöhnlichen Ausdruck heiterer Ruhe. Fest um sich schauend, ergriff er das Wort. Aber kaum hatte er den Mund geöffnet, so brach ein Lärm los, wie ich ihn niemals in einer öffentlichen Versammlung gehört habe, und ich bin doch in mancher stürmischen Versammlung gewesen. Das Schreien, Zischen, Pfeifen, Brüllen war unbeschreiblich. Unmöglich für eine menschliche Stimme, durchzudringen! Ich glaube, das Gebrüll eines Löwen wäre übertönt worden. Josua stand da, ruhig und würdevoll, der tobenden Menge ins Antlitz blickend und das Ende des Tumultes abwartend. Vergebens. Der Tumult hörte erst auf, als Herr Grand sich erhob, den Stuhl be- stieg, aus welchem er gesessen, und mit einer Handbewegung zum Schwei- gen aufforderte. „Freunde", sagte er,„ich freue mich, daß Sie in Ihrer echt englischen Liebe zu dem Gesetz und zu Gott kräftig und unzweideutig an den Tag gelegt haben, was Sie von dem Gift denken, das dieser Demagoge in Ihre Ohren zu träufeln beabsichtigte. Ich kenne den Mann wohl— auf Josua zeigend— ich kannte ihn schon als Knaben, und ich kann bezeu- gen, daß er stets ein schlecht gearteter, anmaßender, unverschämter Bursche war. Ich weiß, daß er ein abscheuliches Leben in London ge- sührt hat und, weil er ein schlechtes Haus hielt, von der Polizei einge- sperrt werden mußte. Liederliche Weibsbilder, Diebe, Mörder— der Abschaum der Gesellschaft— waren seine Freunde, und um Allem die Krone auszusetzen, ging er nach Paris während der gräßlichen Zeit der Kommune, wo, wenn es jemals der Fall, die Hölle auf Erden war, und schloß sich jener Bande von Niederträchtigen an, welche den Namen der v $ v 6i s° n C li n le « al P ch w
Ausgabe
6 (25.12.1884) 52
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten