Plackereien, in der Lage sind, die Dinge ausschließlich und allein vom prinzipiellen Standpunkt aus zu beurtheilen. Ich werde mit dem Artikel von V. L. in Nr. 2 beginnen. In diesem wird zunächst behauptet, daß, wenn unsere Vertreter für die Dampfersubvention ganz oder theilweise stimmen, dies dem bekannten Kongreßbeschluß von Kopenhagen nicht widerspreche, indem es sich doch nicht um eine prinzipielle Frage im strengeren Sinne des Wortes handle. Ich meine nun, daß es überhaupt schon nicht thunlich ist, von Prinzip im strengeren und weiteren Sinne zu sprechen, denn wenn wir diese Unterscheidung erst als berechtigt anerkennen, dann sind wir meiner Meinung nach auf dem besten Wege, daß wir eines schönen Tages unser Prinzip so weit auffasien, daß innerhalb dieser„Weite" Platz für alles Mögliche ist. Ich nieine, es gilt hier nicht zu entscheiden, ob es eine Prinzipiensrage im weiteren oder strengeren Sinne ist, sondern einfach, ob es eine Prinzipienfrage ist. Ist es dies— und ich bin der Meinung, daß es eine solche ist— dann haben unsere Abgeordneten den Kongreßbeschluß zu beachten. Weiterhin ist im angezogenen Aufsatz davon die Rede, daß man unter gewissen Voraussetzungen dafür stimmen könne, nämlich dann, wenn die Regierung uns gewisse Garantien und Aequivalente dafür biete, und es wird nun der Vorschlag gemacht, von der Regierung 4— S Millionen für Arbeiterastoziationen w. zu verlangen.*) Ich muß gestehen, als ich Solches gelesen, war ich ziemlich perplex, solche Vorschläge im Ernste von einem Genossen zu hören. Statt aller weitgehenden Erörterungen möchte ich nur an zwei Dinge erinnern. Als vor langen Jahren(damals marschirte die Partei noch in ge- trennten Lagern) die Militärdienstzeit im Reichstag auf der Tagesord- nung stand, sprach Genosse Hasenclever für Einführung des Volks- Heeres und bemerkte dabei, daß wir unter Umständen auch mit uns handeln liehen, und auch eine Verkürzung der Dienstzeit akzep- tiren würden. Ein Theil der damaligen Parteipresie- kritisirte dies„mit sich handeln lassen" auf das Allerscbärfste und nicht immer in an- ständiger Weise. Damals aber waren wir noch nicht geächtet, noch nicht durch ein infames Ausnahmegesetz unserer bürgerlichen Rechte beraubt, damals konnte man wenigstens noch mit einer„anständigen" Regierung„han- dein", und man fand es doch schon für unrecht, daß ein Abgeordneter mit sich handeln lasse; jetzt aber macht man uns denselben Vorschlag, wenn auch für eine andere Sache, und heute müßten wir handeln mit einer schuftigen Regierung. Weiter bringt man uns allen Ernstes den Vorschlag mit den 4—5 Millionen zu Assoziationen. Hier frage ich einfach: 1) Will man denn wirklich vom heutigen Staat, von dem miserablen preußisch-deutschen Polizeistaat, Subvention annehmen? 2) Will man denn wirklich mitten in die heutige kapitalistische Pro- duktion hineinspringen mit unseren Produktiv. Genossenschaften, mitten hinein in die Schmutz, und Schwindelkonkurrenz der heutigen Ausbeuter? 3) Denkt man gar nicht daran, daß diese Großkapital-Schwindler Alles daran setzen werden, um durch Schmutz- und Schwindelkonkurrenz unsere Genossenschaften zu ruiniren, um hinterher den Beweis zu liefern, daß es nichts mit unserem Prinzip sei? 4) Kann man uns wirklich solche Vorschläge machen, wenn man vor- her nur diese nächstliegenden Punkte in's Auge gesaßt hat? Bezüglich dieses Punktes will ich nur wieder an jene Zeit erinnern, wo die Partei in Deutschland in zwei Lagern marschirte. Damals wurde von einem Theil unserer Presse in der schärfsten Weise gegen solche Projekte polemistrt, und was damals galt, gilt auch heute noch: „Wir wollen nichts vom heutigen Staat, wir bewilligen ihm aber auch nichts." Damit basta! Ich schließe diesen Theil mit den umgekehrten Worten des Artikels: „Ich glaube, daß wir gut thun, diesem Vorschlag keine Beachtung zu schenken, wer dann schreien will, daß wir über der Zukunft die Gegen- wart vergessen, der mag immerhin schreien, er wird uns nicht betäuben." Ich komme nun zu dem Artikel in Nr. 5 von J. A. Genosse J. A. sieht in der Dampsersubvention eine Hebung des Ver- iehrs und Förderung der Werke des Friedens. Auf die Gefahr hm, mich auch der Verquickung der Kolonialpolitik mit der Dampsersubvention schuldig zu machen, behaupte ich, daß das Resultat nicht Werke des Friedens, sondern Werke des abscheulichsten Krieges sein werden. Beweise für diese Behauptung wird wohl Niemand von mir verlangen, sie liegen überall klar zu Tage, man braucht nur wissen zu wollen, und man weiß. Freund J. A. betrachtet die projektirten Dampferlinien als Kultur- träger; es liegt mir ferne, dies bestreiten zu wollen, sie könnten wenigstens Kulturträger sein. Was ich aber bestreite, ist, daß das, was diese Einrichtungen tragen oder tragen sollen, überhaupt Kultur ist. Auch hier bin ich der Beweisführung wohl überhoben, ich brauche nur auf England zu verweisen: Schwert, Kanonen, Pulver und Blei, Schnaps und die Bibel, das ist die Kultur, die von diesen Einrichtungen getragen wird. Vielleicht sagt nun hier der Eine oder Andere: Ja, das ist wohl wahr, aber dann müssen wir alle dergleichen Dinge verdammen. Dar- über ließe sich viel schreiben, es genügt aber für meinen Zweck, zu sagen, wir sollen nicht mithelfen, der Bourgeoisie die Kastanien aus dem Feuer zu holen, denn solange alle diese Einrichtungen Monopol der Geldprotzen sind, werden sie keine Träger wahrer Kultur sein, und der Arbeiterstanb als solcher wird keine Vortheile daraus ziehen. Wäre Letzleres der Fall, so müßte England ein wahres Eldorado für die Ar» beuer sein, und doch ist wohl in keinem Lande der Arbeiterstand im Verhältrnß miserabler gestellt wie hier, nirgends mehr Armuth wie hier. Bezuglich dieses Punktes möchte ich noch auf die Fußnote der Redaktion betreffs des Bremer„Lloxd hinweisen. Ich meine, uns muß daran liegen, daß die heutige Gesellschaft sich so fchnell wie möglich abwirthschastet. Wir haben also alles das zu thun, was diesen Prozeß beschleunigt, und alles das zu Unterlasten, was zur Verlängerung destelben beitragen kann. Der Schlußsatz des Artikels versichert uns, daß unsere Abgeordneten nur nach reiflicher Ueberlegung handeln werden. Das ist erfreulich, enlhedt uns aber nicht der Verpstichtung, selber zu denken und unsere Meinung abzugeben. Denn als Sozialdemokraten dürfen wir zunächst nicht Ander« für uns denken und machen lasten, sondern müssen dies selbst besorgen, und unsere Vertreter sollen nur die Aussührer des Parteiwille»» sein. Endlich meint Freund 3. A., daß alles das, was„im Kulturinteresse geschieht, auch im Interesse der Arbeiter ist." D»es mag richtig sein in einer sozialistisch organisirten Gesellschaft, unter der heutigen Schandwirthschaft aber trifft das durchaus nicht zu. Heute ist meistens das Gegentheil der Fall. *) Wir sind nicht ganz der Meinung des Genosten R. Wir haben den betreffenden Passus so verstanden, daß er nach Ansicht des Versasters die einzige Bedingung angibt, unter welcher wir uns nicht von vorn- herein der Dampfersubvention ablehnend gegenüberstellen, sondern auf eine Diskussion derselben eintreten könnten. Er war nicht an die Adreffe der Gegner der Vorlage gerichtet, um diese umzustimmen, sondern an die Anhänger derselben. Für die grundsätzlichen Gegner d e r D a m p f e r sub- vention st and er daher von vornherein außer Frage. Dies auch der Grund, weshalb die Redaktion des„Sozialdemokrat" sich nicht veranlaßt sah, Stellung zu ihm zu nehmen. Od nun die Arbeiter vom heutigen Staat— ein Unterschied zwischen der Regierung von 1874 und heule besteht für uns nicht— Unterstützungen annehmen können, kommt nach unserer Ansicht ganz auf die Bedingungen und Umstände an. Daß sie sie in gegebenen Fällen zu fordern haben— bei Arbeitslosigkeit ic.— dafür werden wir stets eintreten. Wir bewilligen dem heutigen Staat nichts— ganz recht. Aber nichts- destoweniger desteht er und nimmt ganz gehörig von den Arbeitern. Warum sollen ihn daher diese schnöde ignoriren, wenn sie auf Hilfe an- gewiesen sind. Das kann nur der verlangen, der der famosen Theorie von» Sprung in'» sozialistische Jenseits huldigt. Wir verwerfen die Slaalshilfe für die Arbeiter nur dann, wenn sie denselben Verpflichtungen auserlegt. Die Redaktion. Diesbezüglich verweise ich nur auf die stetigen Fortschritte auf dem Gebiete des Maschinenwesens und der Technik im Allgemeinen. Alle Fortschritte auf diesem Gebiete sind eminente Kulturfortschritte, aber daß sie unter der heutigen Mißwirthschast auch im Interesse der Arbeiter liegen, wird wohl kein Sozialist bei reiflichem Nachdenken behaupten wollen. In einem Punkte bin ich mit dem Genosten<1. A. einverstanden, nämlich daß auch ich nicht eine so große Gefahr in einer Meinunzsver- schiedenheit unserer Abgeordneten für die Partei sehen kann. Ich bin der Ansicht, daß, wo Meinungsverschiedenheiten wirklich schwerwiegend werden, die Partei kräftig genug ist, eventuelle störrische Elemente aus- zuscheiden(siehe den Fall Hasselmann und später Rittinghausen)— die Partei wird aber intakt bleiben. H. R. Sozialpolitische Rundschau Zürich ,'11. Februar 1885. —"Wie recht wir hatten, als wir uns den Rachrichten über den angeblichen Attentäter des Rumpf, Julius Lieske, gegenüber skeptisch verhielten, zeigt sich mit jedem Tage deutlicher. Wäh- rend es anfangs hieß, Lieske sei bereits rekognoszirt und quasi über- führt, wird jetzt eingeräumt, daß es noch an jedem Beweismittel gegen ihn fehle. Und aus der einzigen Thatsache, daß Lieske jegliche Auskunft über seine Person verweigert, ist noch kein Schluß auf die Thäterschaft zu ziehen. Wiener Blätter, die sich in solchen Dingen allerdings von jeher mehr durch Phantasie als durch Wahrheitsliebe auszeichneten, haben berichtet, daß Lieske im Untersuchungsgeftngniß einer wahren Tortur unterworfen werde, um aus ihm Geständnisse herauszupressen. Namentlich werde er häufig Nachts geweckt und schlaftrunken einem peinlichen Verhör unter- worsen. Vom Untersuchungsrichter ist die Wahrheit dieser Nachricht ent- schieden in Abrede gestellt worden, was natürlich noch kein Beweis von ihrer Unwahrheit ist. Uns selbst schreibt man aus Frankfurt am Main in dieser Sache: „Das„Klapperfeld", wo der angebliche Attentäter sitzt, ist von vier- fachen Posten bewacht, in der Umgebung darf kein„Rendezvous" abgehal- ten werden. Die umliegenden Gebäude sind nach Dynamit untersucht worden. Zirka 200 fremde Spitzel sind hier, worunter manchmal alte Bekannte von Dresden , Berlin zc. gesunden werden. „Nach dem Berliner Enten-Tagblatt waren die meisten Betheiligten bei der Beerdigung von Rumpf Sozialdemokraten mit blauen Blousen. Famos! Vielleicht meint der Korrespondent dieses und anderer auswär- tiger Blätter(für die hiesige Preste darf er nicht schreiben, da dieselbe schweigen muß, und fo geht er auswärts sein Brod verdienen) die Tram- bahn- und Eisenbahnarbeiter, welche gezwungen wurden, mttzuzehen. Selbst die Neugierde trieb unsere Leute nicht dahin. Der Korrespondent weiß, wie wir über die Sache denken, und sollte er es nicht wissen, so sagen es ihm die hiesigen Spießbürger, die in diesem Punkt mit uns derselben Meinung sind. Nächstens werden wir Ihnen ein Exemplar der Grabrede des Pfaffen v. S e tz d e w i tz, die im Druck erschienen ist, für das Archiv senden, und Ihnen zugleich an einigen Beispielen nach- weisen, wie loyal Rumpf gegen uns war. R.K. Die Debatte über den Belagerungszustand, oder richtiger über die„Denkschriften" der preußischen Regierung und des Hamburger Senates betreffend die Verlängerung des über Berlin und Hamburg-Altona verhängten Belagerungszustandes fand am Sonnabend, den 3. Januar, statt. Als erster Redner unserer Partei sprach Singer, welcher die Denk- schrift, soweit sie Berlin angeht, einer schai fen Kritik unterzog, aber die Materie auch von höheren allgemeinen Gesichtspunkten behandelte. Er zeigte den flagranten Widerspruch, der darin liegt, daß die Reichsregie- rung einerseits für die Sozialreform einzutreten behauptet, andererseits diejenige Partei unter ein Ausnahmegesetz stellt, von welcher Bismarck selbst erklärt hat, daß ihr die Initiative in der Sozialreform zu ver- danken ist. Im Lauf seiner sehr wirkungsvollen Rede kam Singer auch auf die famose Abstimmung der deutschfreifinnigen Partei in Sachen des Sozia- listengesetzes zu sprechen und verurtheilte die zweideutige Haltung der Deutschfreisinnigen. Natürlich geschah auch der absoluten Willkür Erwäh- nung, mit der die Berliner Polizei bei dem Verbot und der Auslösung der Versammlungen zu verfahren pflegt. Namentlich beschäftigte Redner sich mit jener Versammlung, in welcher das Resultat der letzten Berliner Stichwahlen verkündet werden sollte, und die den Anlaß zu der durchaus ungerechtfertigten Ausweisung des Stadtverordneten Ewald bot. Herr von Puttkamer machte sich die Antwort außerordentlich leicht. Die Polizei habe einfach ihre Pflicht gethan, und was Ewald anbetreffe, so habe derselbe die Leidenschaften geschürt und, statt zu be> schwichtigen, Oel ins Feuer gegossen~ eine Behauptung, die der Wahr- heit geradezu ins Gesicht schlägt. Er versicherte übrigens, die Ausweisung Ewald'S sei dem Polizeipräsidenten„sehr schwer geworden", was insofern nicht ganz unwahr ist, als der Polizeipräsident gar nicht daran dachte, Ewald auszuweisen, und erst durch Herrn v. Puttkamer dazu gezwungen wurde. Sonst gab Puttkamer sich die äußerste Mühe, der Sozialdemokratie ein sreundliches Gesicht zu schneiden. Die Regierung wünsche sehnlichst die Aufhebung des Ausnahmegesetzes,— nur müßten die Sozialdemo- kraten sich gut aufführen, mit ihrer revolutionären Vergangenheit brechen, und was derlei Redensarten weiter sind. Das Sozialistengesetz, meinte der brave Staaisretter, habe eine vortreffliche„erzieherische" Wirksamkeit gehabt, früher sei es undenkbar gewesen, daß die sozialdemokratische Fraktion mit einem Arbeiterschutzgesetz, wie dem soeben eingebrachten, hervorgetreten sei. Dieses Arbeiterschutzgesetz sei durchaus gemäßigt und hätte auch von der rechten Seite des Hauses kommen können— eine Aeußerung, über welche die Herren Konservativen nicht wenig erstaunt waren, und an die wir den konservativen Minister von Puttkamer ge- legentlich erinnern werden. Nicht minder gelungen war die Prophezeiung, aus der sozialdemokratischen Partei werde sich mit der Zeit vielleicht eine radikale Bourgeoispartei entwickeln— Alles natürlich unter dem„erzieherischen" Einfluffe des wunderthätigen Sozialisten- gesetzes. Die Zukunftsphantasien deS Herrn von Puttkamer begeisterten seinen Parteigenossen von Kölker(der„immer töller" wird) zu einer wahren Orgie des unfreiwillig-komischen Blödsinns. Genosse F r o h m e, der als zweiler Redner unserer Partei nach diesem heiteren Reichstagsclown das Wort erhielt, machte dem heiteren Junker in gebührender Weise den Standpunkt klar, und beschäftigte sich mit dem edlen Geschlecht der Spitzel und axoot» proroeatsurs, die durch das Sozialistengesetz massenhaft gezüchtet werden. Er gab ferner sehr eingehende Details über die Handhabung des„Kleinen" in Hamburg- Altona , und beleuchtete endlich aus eigener Anschauung die Vorkomm- niste in jener Versammlung, die für die Ausweisung Ewald's den Vor- wand bildeten. Herr von Puttkamer hatte inzwischen seine erkünstelte Ruhe abgestreift; er wollte Frohme widerlegen und verfiel dabei in seine alten Gewohn- hetten und— Ungeschicklichkeiten. Nachdem er in seiner ersten Red- die Sozialdemokratie für so zahm erklärt hatte, daß sie auf der rechten Seite des Hauses sitzen könne, meinte er jetzt, wir hätten den Dolch für Rumpf mitgeschliffen, denn— wir sympathisirten mit dem Mörder. Zum Beweis dieser synipathetischen Dolchschleiserei verlas er-ine Notiz des„Sozialdemokrat", betreffend das Frankfurter Attentat, lieh aber fürsorglicherweise mit der ihm-ige- nen„Moralität" und„Moral" die wichtigsten Stellen weg. Diese Fälschung durfte nicht unbestraft bleiben. Liebknecht, der ihm folgte, konstatirte zunächst die Unterschlagung, indem er die ausgelaffene Stelle verlas, in welcher die Verantwortlichkeit für den Rumpf und den Rumpftödter dem Herrn Puttkamer und Genossen zugeschleudert wird, und führt- diesen Gedanken hernach in seiner Rede aus. Er dreht- gegen Puttkamer den Spieß voll- ständig um, bezeichnete diesen nebst Bismarck und Kompagnie als„Nähr- väter" der Anarchisten, und wies nach, daß nur die organisirte Sozial- demokrati« uns noch von dem Nihilismus trenne. Herr von Puttkamer steckte die Züchtigung ein und— schwieg, das Gescheidteste, was er thun konnte. Hätte er überhaupt „geschwiegen still, und den Mund gehalten fein", dann wäre es bester für ihn gewesen. Seine eigenen Parteifreunde gestehen zu, daß der ziegenbärtige Tugend bald mit seiner Dolchschleiserei sich entsetzlich blamirt hat. Jedenfalls war Sonnabend, der 2l. Januar, ein Tag, mit dem dv deutsche Sozialdemokratie zufrieden sein kann. — Die oben erwähnte Aeußerung Singer's bezüglich der famos!» Abkommandirung deutsch - freisinniger Abgeordneter gelegentlns der vorjährigen Abstimmung über das S o z i a l i st e n g e s e tz führt zu einer äußerst amüsanten Episode. Herr Eugen Richter mit d« bekannten Unverfrorenheit läugnete nämlich die Abkommandirerei.& mußte sich aber selbst rektifiziren. Nachdem er anfänglich erklärt hat» „weder von Seite des Partei Vorstandes, noch von Seiten dst geschäftssührenden Ausschusses sei„abkommandirt" wor den, mußte Herr Richter, durch Singer mit Hinweis auf einen Br«' des ehemaligen fortschrittlichen Abgeordneten Kämpfer gezwungen sein Dementi dahin einschränken, daß er nur noch von Abkommand» rungen Seitens des„Partei v o r st a n d s" sprach. Der bei der letzte» Wahl durchgefallene deutsch -freisinnige Abgeordnete Otto Hermes, vo» dem ein solcher Abkommandirungsbrief vorhanden und in sichere» Besitz ist, gehörte nämlich zwar nicht dem Partei» o r st a n d e, ab» dem„geschäftssührenden Ausschuß" als Schriftführer a» In der äußersten Verlegenheit wollte Herr Eugen Richter sich du«! die Erklärung:„wir werden es nie wieder thun!" aus der Affai« ziehen; die bösen Sozialdemokraten gaben ihm aber ihre respektlos« Zweifel so deutlich zu erkennen, daß er zuletzt das Verzweiflungsgelüb« ablegte, er selbst wenigstens werde nie für die Verlängerung des S» zialistengesetzes stimmen, und wenn die deutsch -freisinnige Partei sis in dieser Frage abermals spalten sollte, werde er— Eugen Richter ihr nicht mehr angehören. Somit wäre also Eugen Rich persönlich angenagelt— sonst nichts. Denn daß etwa andertl Dutzend seiner jetzigen Fraktionsgenossen unter keinen Umständen gege' die Verlängerung des Sozialistengesetzes, und theilweise positiv für dl Verlängerung stimmen wollen und werden, steht fest und ist dem He Eugen Richter ebenso wohl bekannt wie uns. Er könnte also leicht die unangenehme Lage gerathen, zwischen Wortbruch und Austritt seiner Fraktion wählen zu müssen.— Der P o st e t a t führte, wie immer, zu einer ziemlich langen Debatst in welche verschiedentlich Seitens unserer Genoffen eingegriffen wurK Unter Anderm brachte Liebknecht die Postfpjtzelei zur Sprache, wis rend V o l l m a r für die so stiefmütterlich behandelten niederen Posh beamten eintrat. Ersterer verlangte Beseitigung der ungeheuerlichst (schon 1873 von ihm zur Sprache gebrachten) Verfügung vom k. Febru»» 1879, durch welche die Po st spitzelet förmlich legalisirtui« o r g a n i s i r t ist. Es versteht sich, daß„das hohe Haus" diese ska» dalöse Verfügung Berjügung sein ließ, und die Hände gemüthlich in dst Schooß legte. Sogar Herr Windthorst, der vor sechs Jahren ein» Abänderung für nothwendig erklärt hatte, blieb diesmal mäuschensttf- � Auch die Frage der Sonntagsruh« kam bei dem Postetat zu» Sprache. Es braucht nicht hervorgehoben zu werden, daß unsere Abg» ordneten— selbstverständlich unter Abstreifung des religiösen Elements im Prinzip für die Sonntagsruhe eintraten. — 8. Der Eindruck der letzten B e l a g er u n g s z usta n d i' Debatte war durchweg ein der Sozialdemokratie günstiger, und zw« innerhalb sowohl als außerhalb des Reichstags. Was zunächf den Reichstag selbst betrifft, so blieben die Puttkamer'schen Reden, trol der krampfhaften Effekthascherei des Genannten, ohne allen und je? lichen Effekt; es kam nicht einmal zu einem Achtungserfolg. Und nu» einmal, bei einer deklamatorisch-pathetischen Kraststelle, die von der Dolch schleiferei handelte, rafften sich einige Nationalliberale und Konservativ zu einem pflichtschuld>g-patriotisch-n Bravo auf, erschracken aber über dst Schall ihrer eigenen, traurig vereinsamten Stimmen, und sahen einand« ersch-eckt an, wie Schulkinder, die aus einer Dummheit ertappt worde» sind. Am verlegensten war Herr von Puttkamer , der doch sonst nich» gerade zu den verschämten Jungfrauen gehört und„einen zu guten G« schmück" hat, um so leicht aus der Fassung zu kommen. Mitglieder aller Parteien, die uns feindlichsten eingeschlossen, spr« chen sich während und nach der Sitzung dahin aus, daß Puttkamer„seh» schwach" gewesen sei, und daß, wenn man nichts Befferes für den B« lagerungszustand zu sagen wisse, man lieber den Belagerungszustand aus hebe, oder wenigstens den Mund halte. Genug, Herr von Puttkamer hat sich blamirt und wider Willen sü> die bösen Sozialdemokraten Stimmung gemacht.„Das war das letzt« mal!" meinte ein konservativer Abgeordneter. Nämlich, daß oe» Reichstag sich mit dem Belagerungszustand zu beschäfttgen habe. De» gute Mann lebt allerdings in einer naiven Illusion, wenn er glaubt der Reichstag werde das Sozialistengesetz abschaffen, sobald er sich vo» deffen Nutzlosigkeit oder Gemeinschädlichkeit überzeugt habe. Diese Hebe« zeugung ist bei den meisten Reichslagsabgeordneten längst vorhqndst — man braucht nur die Leutchen unter vier Augen zu sprechen— un» doch wurde vor dreiviertel Jahren das Sozialistengesetz mit großer M» jorttät erneuert. Und so wird es auch wieoer geschehen. Für den Ein» druck der Puttkamer'schen Rede und der ganzen Belagerungszustanos' Debatte ist die Aeußerung aber charakteristlsch. Noch günstiger haben die Debatten im Publikum gewirkt. Au> Kreisen, von denen man sich früher solcher Kundgebungen nicht versehst hätte, sind den sozialdemokratischen Abgeordneten die lebhaftesten Syn» pathiebezeugungen zugegangen. Und namentlich findet es allseitige Zustimmung, daß das Frankfurt « Attentat, sammt allem„Anarchistischen ", einzig und allein auf das So' zialistengesetz zurückzuführen ist, ohne daffelbe nicht möglich wäre.— 1 — Der Reichstag wird sich wahrscheinlich im letzten Drittel dst Februar bis nach Ostein vertagen. Der Plan Bismarck's, die Zoll tarifnooelle rasch durch das Plenum peitschen zu laffen(ohne Kommiß sionsberathung) und dann vor Osterff die Seffion zu beschließen, wir! sich aller Voraussicht nach nicht verwirklichen. Wenigstens scheint es als wolle die Majorität sich aus die Hinterfüße stellen. — Die Engländer sind im Sudan in einer höchst fatalen& tuation. Das Expeditionskorps Wolseley's war bis wenige Tagemärsch» vor Khartum angelangt, als General Wilson die überraschende Kund! brachte, daß die Festung in den Händen des Mahdi sei, und der fromme Hell Gordon entweder gefangen oder todt.„Verrath" von Seiten zwei« Paschas habe den Truppen Achtned's die Thore geöffnet. Natürlich Hai d-ejer Erfolg des Mahdi dessen Ansehen in den Augen der ganzen B« völkerung bedeutend gehoben, so daß die Engländer froh sein könne», wenn Wolsetey und seine Truppen nicht doch noch das Schicksal dst Hicks'schen Korps theilen werden. Wir sind zu wenig Freunde vom Blutvergießen, um überhaupt at einem Siege, wenn die Sache nicht eine über jeden Zweifel erhabst gute ist, eine besondere Freude empfinden zu können, aoer wir müsse» doch sagen, daß die Engländer, d. h. die Anstifter der egyptischef Unruhen, den Schlag, der sie getroffen, wohl verdient haben. Frei lich, die Sache der Menschheit hat durch Viesen Sieg der Sudanesst wenig gewonnen, denn wenn dieselben auch sür ihre Freiheit tämpseit so ist doch ihre Freiheit gleichbedeutend Mit grausamer Unterdruckunj der nichtarabischen Bevölkerung im Umkreise ihrer Macht. Wir könnet uns daher auch nicht zur Gestnnungshöhe der BiSmarck 'schen Reptilist aufschwingen, welche über die Schlappe der Engländer ein wahres In dianergeheul angestimmt haben. — Ein„echter Hohenzoll« r." Vergangenen Sonnabend fant auf der Werft in Kiel die„Taufe" einer Kreuzerlorvette statt m> obligatem Festschmaus— natürlich derer, die nicht an ihr gebaut. Au diesem Festschinaus brachte Wilhelm, vorläufig noch Prinz, so„Gott ' w-ll, aber dereinst König von Preußen, das ebenso obligate Hoch auf dst Kaiser aus, wovon wir natürlich keine Notiz nehmen würden, wenn be sagtes Hoch nicht gar zu charakteristisch für den hoffnungsvollen Jung ling wäre. Da heißt es ,. B.:„Möge es auch diesem Kreuzer vergönnt sein,»t späteren Tagen, von kundiger Hand und sicherem Auge geführt, zu> Ehre des Kaisers und des Reich» den F-inden Vernichtung den Angehörigen Schutz zu bringen. Möge e» seiner tünsl.gen Bejatzunl gelingen, jenen guten, strammen, preugischen Geist der Disziplin, de> unbedingten Gehorsams und der aufopfernden, hlngebendst Tapferkeit zu beweisen, wie derselbe sich schsn öfters und noch»n jüng
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7 (12.2.1885) 7
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