Anstrengungen. Auch das Bürgerthum hatte mit partiellen Koalitionen gegen die Feudalherren begonnen. Man hat viel Untersuchungen angestellt, um den verschiedenen historischen Phasen nachzuspüren, welche die Bourgeoisie von der Stadtgemeinde an bis zu ihrer Konstituirung als Klasse durchlausen hat. Aber wenn es sich darum handelt, sich genau Rechenschaft abzulegen über die Streiks, Koalitionen und die anderen Formen, unter welchen die Proletarier vor unseren Augen ihre Organisation als Klasse vollziehen, so werden die einen von einer wirklichen Furcht befallen, während die andern eine transzendentale sübersinnliche) Geringschätzung an den Tag legen. Eine unterdrückte Klasse ist die Lebensbedingung jeder aus den Klassen- gegensatz begründeten Gesellschaft. Die Befreiung der unterdrückten Klasse schließt also nothwendigerweise die Schassung einer neuen Gesell- schaft ein. Soll die unterdrückte Klasse sich befreien können, so muß eine Stufe erreicht sein, auf der die bereits erworbenen Produktivkräfte und die geltenden gesellschaftlichen Einrichtungen nicht mehr neben ein- ander bestehen können. Von allen Produktionsinstrumenten ist die größte Produktivkraft die revolutionäre Klasse selbst. Die Organisation der revolutionären Elemente als Klasse setzt die fertige Existenz aller Produktivkräfte voraus, die sich überhaupt im Schooß der alten Gesell- schaft entfalten konnten. Heißt dies, daß es nach dem Sturz der alten Gesellschaft eine neue Klassenherrschaft geben wird, die in einer neuen politischen Gewalt gipfelt? Nein. Die Bedingung der Befreiung der arbeitenden Klasse ist die Ab- schaffung jeder Klasse, wie die Bedingung der Befreiung des dritten Standes, der bürgerlichen Ordnung, die Abschaffung aller Stände*) war. Die arbeitende Klasse wird im Laufe der Entwicklung an die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft eine Assoziation setzen, welche die Klassen und ihren Gegensatz ausschließt, und es wird keine eigentlich- politische Gewalt mehr geben, weil gerade die politische Gewalt der offi- zielle Ausdruck des Klassengegensatzes innerhalb der bürgerlichen Gesell- schaft ist. Inzwischen ist der Gegensatz zwischen Proletariat und Bourgeoisie ein Kampf von Klasse gegen Klasse, ein Kamps, der auf seinen höchsten Aus- druck gebracht, eine totale Revolution bedeutet. Braucht man sich übri- gens zu wundern, daß eine auf den Klassengegensatz begründete Gesellschaft auf den brutalen Widerspruch hinausläuft, auf den Zusammenstoß Mann gegen Mann, als letzte Lösung? Man sage nicht, daß die gesellschaftliche Bewegung die politische aus- schließt. Es gibt keine politische Bewegung, die nicht gleichzeitig auch eine gesellschaftliche wäre. Rur bei einer Ordnung der Dinge, wo es keine Klassen und keinen Klassengegensatz gibt, werden die gesellschaftlichen Evolu- t i o n e n aufhören politische Revolutionen zu sein. Bis da- hin wird am Vorabend jeder allgemeinen Neugestaltung der Gesellschaft das letzte Wort der sozialen Wissenschaft stets lauten: Kampf oder Tod; blutiger Krieg oder das Nichts. So ist die Frage unerbittlich gestellt. (George Sand .) »* So schrieb Marx vor nahezu 40 Jahren, und was er über die Ar- beiterkoalitionen sagt, die sich damals immerhin noch im embryonalen Zustande befanden, ist so treffend, daß man meinen könnte, dies Kapitel wäre heute erst geschrieben. In allen Ländern sehen wir mit der stei- genden Entwickelung der Industrie sich die Arbeiterkoalitionen entwickeln, trotz aller Schwierigkeiten, welche entgegengesetzte Traditionen, Straf- gesetze und dergleichen ihnen in den Weg legen. So sehen wir in F r a n k r e i ch, wo die politisch-revolutionären Ueber- lieferungen vorherrschen, die Arbeiter schließlich doch wieder auf die ge- werkschaftlichen Organisationen(Syndikatskammern) zurückgreifen, die heute den soliden Kern der französischen Arbeiterbewegung bilden. Und ebenso entwickelt sich in Deutschland immer stärker das Gewerkschafts- wesen, obwohl der von den deutschen Arbeitern hochverehrte Lassalle be- kanntlich ein Gegner desselben war. Lassalle's Jrrthum in dieser Be- ziehung rührte von seiner stark ideologischen Auffassung des Staates her, die heute von gewissen Staatssozialisten gern benutzt wird, um den großen Agitator für ihre unsauberen Zwecke in's Feld zu führen. Die Rolle, welche oben die„Sozialisten" den Gewerkschaft� gegen- über spielten, spielten in den KOer und 70er Jahren in Deutschland die orthodoxen Lassalleaner, während heute es die Anarchisten sind, welche in ähnlicher Weise argumentiren. Aber die Gewerkschaftsbewegung ist so stark, daß sie das Vorurtheil der Buchstabengläubigen des Lassalleanis- mus ebenso besiegt hat wie die hochtönende Phrase des Anarchismus. Wo die Anarchisten Erfolge erzielen wollten, mußten sie mindestens das gewerkschaftliche Aushängeschild benutzen, oder ihren Anarchismus den Gewerkschaften wohl oder übel anzupassen suchen, wie sich das nament- lich jetzt in Amerika zeigt, wo der Anarchismus die ergötzlichsten Mets- morphosen vollzieht. *) Stände hier im historischen Sinn der Stände des Feudalstaats, Stände mit bestimmten und begrenzten Vorrechten. Die Revolution der Bourgeoisie schaffte die Stände sammt ihren Vorrechten ab. Die bürger- liche Gesellschaft kennt nur noch Klassen. Es war daher durchaus im Widerspruch mit der Geschichte, wenn das Proletariat als„vierter Stand" bezeichnet worden ist.(Anm. von Fr. Engels.) Feuilleton. Per Hehehte. Dramatisches Gemälde aus der Jetztzeit. In drei Abtheilungen und einem Vorspiel. Von E. Gr. (Fortsetzung.) (2. Szene. Habgier und Frau treten auf in reicher Kleidung.) Habgier: Siehst Du, liebe Lucie, von dieser kleinen Anhöhe aus kannst Du am besten den Fortgang der Arbeiten überschauen und Deine Pläne der Verwirklichung entgegeneilen sehen. Darf ich Dir meinen Feldstecher anbieten? Frau Habgier: Danke, lieber Alex, Du bist sehr freundlich.(Sie schaut aufmerksam durch das dargereichte Glas.) In der That, jetzt unterscheide ich deutlich die Rundung des auszugrabenden Teiches, und dort erhebt sich schon recht sichtbar der aufgeschüttete Hügel. Durch dies Arrangement gewinnt unser Park bedeutend. Habgier: O ich habe noch ganz andere Veränderungen in Aussicht genommen: ich hoffe mit der Zeit unseren Park zu einem kleinen Para- dies umzuwandeln. Frau Habgier: Siehst Du, so gefällst Du mir. Denn eigentlich bin ich eS doch, der das Verdienst gebührt, diese Verschönerungen in An- regung gebracht zu haben. Du wolltest anfangs absolut nichts davon wissen. Erst nachdem ich mit unserem Ingenieur Rücksprache genommen und die Anwendung der billigen Arbeitskräfte in Aussicht hatte, ließest Du Dich herbei, diese großartigen Arbeiten zu beginnen. Habgier: Liebes Kind, ich weiß, wie übel so etwas gedeutet werden kann. Frau Habgier: Du hast Deine kleinlichen Skrupel wohl noch nicht ganz überwunden? Aber bedenke doch, lieber Alex, daß wir den armen, hungernden Handwerksburschen eine Wohlthat erweisen, wenn wir ihnen Arbeit und Essen geben. Glaube mir, gerade die Rücksicht auf das Elend der Armen bestärkte mich in meinem Entschluß. Hier sind die wirklich ehrlichen Menschen, welche die Arbeit lieben, doch vor dem äußersten Hunger geschützt. Es berührt mein Herz stets schmerzlich, wenn ich von der großen Arbeitslosigkeit höre oder lese und dem unsäg- lichen Elend, welches sie im Gefolge hat. Habgier: Meine liebe Lucie, ich weiß wohl, daß Dein Edelsinn allein Dich veranlaßte, auf diese Weise dem Elend und Hunger zu steuern. Ist doch die Botschaft unseres erhabenen Monarchen von den- selben Trieben diktirt; auch die Sozialresorm unseres Fürsten Reichs- kanzler entspringt den gleichen Motiven. Wenn nur Jedermann davon überzeugt wäre. Frau Habgier: Was kümmert uns das Urtheil des Pobels! Ueber das sind wir erhaben. Du wirst sehen, der Minister, dem Du Den Schlußpassus von dem Aufhören der eigentlichen politischen Gewalt, sobald die Klassenherrschaft aufgehört hat, haben wir schon ftü- her einmal jitirt, um zu zeigen, wie lächerlich es ist, wenn Anarchisten und Staatsschwärmer von einer Bekehrung von Marx bczw. Engels zum Anarchismus reden. Das hat indeß weder die Einen noch die Andern verhindert, nach wie vor diese Albernheit auszuspielen,— die Anarchisten als Beweis für die Großartigkeit ihrer Lehre, die Staats- schwärmer, um die unbequeme Kritik ihres Götzen Staat um so besser denunziren zu können. Beide verschweigen dabei kliiglich, daß Marx und Engels überall, wo sie von einem Aufhören der politischen Staatsgewalt reden, sie als das Resultat einer geschichtlichenEntwickelung in Aussicht stellen, und daß Engels, um jeglicher Mißdeutung vorzu- beugen, in seiner Schrift„Die Entwickelung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft" ausdrücklich hervorhebt, daß der Staat nicht „abgeschafft" wird, wie die Anarchisten sich einbilden, sondern daß seine Funktionen als Ausfluß der politischen Gewalt im Laufe der Entwickelung nach und nach absterben. Das ist so klar ausge- drückt, daß es selbst Herr H. W. Fabian in Rew-Pork verstehen sollte. Indeß mit diesen Leuten ist nicht zu diSkutiren. So wirst uns ge- nannter Herr Fabian im Sonntagsblatt der„New-Iorker Lolkszeitung" vom 28. Dezember vorigen Jahres vor, eine„Schwenkung" vollzogen zu haben, weil wir Bismarck gegenüber, der vom„Verhüllen unserer Ziele" gesprochen, einen Passus aus dem Wahlmanisest unserer Partei abgedruckt hatten, in welchem es unter Anderm heißt, daß der Staat „durch und durch demokratisch sein muß, so daß der Gegensatz zwischen Staat und Volk ganz verschwindet". Wäre Herr Fabian weniger von seiner Unfehlbarkeit durchdrungen, so würde er vielleicht so ehrlich gewesen sein, die Thatsache nicht zu verschweigen, daß wir unsere Auffassung vom Staat nie als die der Partei ausgegeben, vielmehr gerade ihm oder Herrn Rosenberg gegenüber ausdrücklich zugestanden haben, daß das Gros der Partei' wahrscheinlich nicht unserer Ansicht sei. Hatten wir schon aus diesem Grunde keine Ursache, gegen den genannten Passus uns zu verwahren, so ist derselbe zudem so gefaßt, daß wir ihn unbeschadet unserer historischen Auffassung von dem schließlichen Absterben des Staatsorganismus getrost unterschreiben konnten, gerade weil wir auf dem Standpunkt der Entwickelungs theorie stehen. Herr Fabian ist aber so in den Staat verliebt, daß ihm schon der geringste Zweisel an dessen„Macht und Herrlichkeit in Ewigkeit" als ein Ber - brechen erscheint, und er deshalb das strenge Erforderniß an die Partei stellt, die neuesten Schriften von Engels und Bebel auf den Index zu setzen, bei Strafe, jeden Anspruch auf den Titel sozialdemokratisch zu verlieren. Indeß wir fürchten, wir fürchten, er bleibt der Prediger in der Wüste. Leo. Sozialpolitische Rundschau. Zürich , 25. Februar 1885. —». Die Sozialrefo r-m ssür die oberen Zehntau- send, so könnte man kurz die Verhandlungen charakterisiren, die sich seit zehn Tagen im deutschen Reichstag abspielen. Bismarck glaubt für die Proletarier genug gethan zu haben, es fällt ihm ein, daß es neben diesen auch noch andere„Rothleidende" gibt, für die sein Herz besonders warm schlägt, und siehe, flugs kommandirt er seine Geheimräthe, sich hinzusetzen und eine Verbesserung zum Zolltaris von lS7S auszuarbeiten, die, Gesetz geworden, den nothleidenden Großgrund- und Waldbesitzern die schon vollen Taschen noch weiter vollpfropft. Die Arbeiter haben bisher die sozialdemokratischen Wohlthaten aus eigener Tasche bestreiten müssen, in Unfallsachen sogar weit mehr als die einfachste Billigkeit und Gerechtigkeit ihnen zumuthen konnte. Die Sozialreform für die Reichen kostet diese keinen Pfennig, die Kosten bezahlt wiederum der arme Mann, und so erfüllt sich da« hübsche Sprüchlein der Bibel: Wer da nichts hat, dem wird genommen, was er hat, und der da hat, dem wird gegeben, aus daß er habe. Es ist schwer, Zorn und Entrüstung niederzukämpfen, wenn man sieht und hört, mit welcher Unverschämtheit die Agrarier im deutschen Reichstag sich hinstellen und über die Roth des kleinen Landmanns und der ländlichen Arbeiter jammern, wo sie doch nur an sich denken. Der kleine Mann und der ländliche Arbeiter werden vorgeschoben, weil man zu gut weiß, welch maßlose Entrüstung losbrechen würde, ivenn die ge- täuschten Massen erkennten, zu wessen Vortheil das parlamentarische Komödienspiel in der Leipzigerstraße zu Berlin sich vollzieht. Den Landjunkern und Latisundienbesitzern ist noch zu wenig, was die Regierung ihnen bietet. In blinder Gier verlangen sie noch mehr, und da die eigene Zahl nicht ausreicht, den Raub am arbeitenden Volk sich auf parlamentarischem Wege zu sichern, verbünden sie sich mit den In- dustriebaronen, um ein Schachergeschäst abzuschließen, das kurz gefaßt dahin lautet: Bewillige mir meine Agrarzölle und ich bewillige Dir Deine Jndustriezölle. ! Nach diesem sauberen Grundsatz sind die Getreidezölle verdrei- facht worden, wird man die Holzzölle servier- und versechs- fachen, mögen unsere Millionen von Arbeiter auch nicht wissen, wo- her sie das tägliche Brod nehmen sollen, mögen die Hunderttausende von unserer neuen Einrichtung geschrieben hast, wird Dir seine Aner- kennung nicht vorenthalten. Habgier: Es wäre mir sehr angenehm. Uebrigens sollten wir bereits Antwort haben. Frau Habgier: Sieh', da kommt der Briefbote, vielleicht bringt er das Gewünschte. (Briefbote überreicht mit militärischem Gruß einen großen Brief mit amtlichem Siegel und entfernt sich, gleichfalls militärisch grüßend.) Habgier(öffnet sichtbar erregt den Brief und fliegt denselben durch; dann freudig erregt zu Lucie): Du hast's errathen, von Seiner Durch- laucht. Höre nur!(Er liest den Brief laut vor, während Lucie neben ihm mit den Augen zu folgen sucht.) Deutsche Reichskanzlei. Abtheilung für innere Berlin , 17/3. 1885. Angelegenheiten. Ew. Hvchwohlgeboren zur geneigten Kenntnißnahme, daß mich Ihr geneigtes Schreiben vom 18. v. M. mit hoher Befriedigung erfüllt hat. Möchte doch Ihr hochherziges Beginnen in weitesten Kreisen unseres verdienstvollen und königstreuen Adels Nachahmung finden und die zahlreiche Klasse der Enterbten erkennen lassen, daß ihr Wohl nur gefördert werden kann in treuer Anlehnung an Kaiser und Reich. Daß dieses Vorgehen wohlthätig rückwirkt auf Se. Majestät unseren erhabenen Monarchen, welcher inmitten der politischen Stürme unserer Zeit unwandelbar dem Ziele zusteuert, welches Er in Seiner Botschaft verkündete, dürfte Ihnen zur befonderen Ge- nugthuung gereichen. Aber auch der von mir verfolgten Sozialreform ebnen Sie in erfreulicher Weise die Wege. Sie können, mein lieber Herr von Habgier, versichert sein, daß ich Ihrer stets anerkennend gedenken und dafür sorgen werde, daß Ihren Verdiensten um die Monarchie auch die staatlich- Anerkennung nicht vorenthalten bleibt. Mit Hochachtung ergebenst gez. Otto von Bismarck Fürst Reichskanzler. Herrn Alex von Habgier aus Schloß Habgier. Herrlich, herrlich, das übertrifft meine kühnsten Erwartungen! Frau Habgier: Habe ich Dir nicht gesagt, daß der Minister sich nur günstig äußern kann. Du bekommst nun gar einen Orden. Alex! Der erste Schritt zu Deiner künftigen Landrathsstelle ist hiermit geschickt eingeleitet. Habgier: Nach einer so günstigen Antwort glaube ich es selbst. Frau von Habgier: Du bist immer zu kleinmüthig. Anders konnte der Minister gar nicht antworten. Wir haben durch die Jnangriff- nähme dieser Arbeiten ein Wilhelmsdorf sn miniature für die Roth- leidenden eingerichtet. kleiner Handwerker, denen man mit mittelalterlichen Zunfteinri chtunge» vergeblich zu helfen sucht, ihre Rohmaterialien so vertheuert bekoinmev, daß sie die Kaufpreise kaum noch erschwingen können und der Macht des Großkapitals immer mehr erliegen. Bismarck behauptet, dem Kleinbesitz helfen zu wollen, gleichzeitig lobt er aber auch die Kulturmission des Großgrundbesitzes für den heutige« Staat, diesen Grundbesitz, der gierig wie eine Harpie nach jedem Fetz' chen Land angelt, das er ergreisen kann, und polypenartig die Kleine« aufsaugt. Insofern erfüllt der Großgrundbesitz allerdings eine Kultm- Mission, aber eine, die zu ganz andern Resultaten führt als die kultur - kämpferischen Großbesitzer sich einbilden. Die Großackerwirthschast führt zur Expropriirung des Kleinbesitzes, zur Entvölkerung des flachen LandeS, zur kapitalistischen Spekulations- und Raubwirthschast. Indem die Aus- beutung des Grund und Bodens auf höchster Stufenleiter Gegenstand spekulativer Privatwirthschaft wird, muß die Ernährung der Volksmenge darunter leiden. Die Lebensbedingungen der Masse verschlechtern sich in demselben Maße, wie die Profite aus der Grundrente wachsen. Eines Tages aber wird das ausgebeutete Volk gewahr, daß es in seinen wich- tigsten Lebensinteressen einer Handvoll Grundherren zum Opfer gefalle« ist, es wird sich des Grund und Bodens wieder bemächtigen und ih« zu dem machen, was er einst war, zum Gemeineigenthuw Aller. Diesem Ziele arbeitet Bismarck und sein Junkerthum ungewillt ent- gegen, und von diesem Standpunkt aus begrüßen wir seine Volksfeind- lichen Maßregeln als unsere sichersten, unfehlbarsten Bundesgenossen. — Aus den Reichstagsdebatten ist noch nachzutragen, daß die Berathung des Antrags Lenz mann behufs Entschädigung un> schuldig Verurtheilter auch unserer Partei Gelegenheit gegeben hat, die heutigen I u st i z z u st ä n d e zu geißeln und auf die Nothwendigkeä hinzuweisen, daß nicht blos unschuldig Verurtheilte, sondern über- Haupt unschuldig Verhaftete entschädigt werden. Es ist eine That- fache, die manche der Leser aus Erfahrung bestättgen werden, und die andern sich psychologisch erklären können, daß die Untersuchungshaft mit ihrer Ungewißheit weit peinlicher ist als die Strafhaft. Jeder, der während der Untersuchungshast verurtheilt wird, hat ein Gefühl der Erleichterung, sobald der llrtheilsspruch verkündet ist und er das Ende seiner Strafzeit kennt. Kayser sprach im Namen der Fraktion, und schüttelte dabei den sächsischen Staatsanwalt Hartmann, der die braven Richter und Staatsanwälte vertheidigen wollte, nach Noten ab. Noch eine andere, die Reform der Rechtspflege betreffende Materie: die Herabsetzung der Gerichts- und Advokaten-Ge- b ü h r e n beschäftigte den Reichstag in jüngster Zeit. Unser Stand- punkt in dieser Frage wurde von Bock zur Geltung gebracht, der aus die jetzt herrschenden Mißstände hinwies, und den Nachweis führte, daß eine gründliche Besserung nur durch Unentgeltlichkeit der Rechts- pflege, wie unser Programm sie fordert, erzielt werden könne. Aus dem beabsichtigten Schluß der Session vor Ostern wird nichts. Die Herren Großgrundbesitzer haben ihre Getreidezölle glücklich eingeheimst, und nun haben sie keine Eile mehr. Mag über die sonsti- gen Zölle noch Wochen geredet werden— sie können es in Gemüths- ruhe anhören, denn„die Katze, die Katz' ist gerettet".— Am 21. dieses vertagte der Reichstag sich auf eine Woche. Das Mo- tiv ist charakteristisch. Herr Windthorst, der bisher den Konservativen bei der Jagd auf die Kornzölle geholfen, empfindet jetzt das Bedürfniß, im preußischen Abgeordnetenhause, wo der Kultus-Etat aus der Tages- ordnung steht, Kulturkampf zu- treiben, und das kann er nicht mit der nöthigen Muße, wenn der Reichstag gleichzeitig tagt. — b. In Sachen der Dampfersubvention hat die sozial- demokratische Reichstagsfraktion in ihrer letzten Sitzung beschlossen: a) für die ostasiatische und für die australische Linie— für letztere mit Ausnahme der Samoa -Zweiglinie— zu stimmen; b) in Konsequenz ihrer Stellung zur Kolonialpolitik die afrikanische sowie die Samoa -Linie abzulehnen; c) zu verlangen, daß die einzustellenden Schiffe neue Dampfer ersten Ranges und auf deutschen Wersten gebaut sein müssen. Wird diesem Verlangen nicht nachgegeben, und wird eine der Linien, gegen welche die Fraktion sich erklärt hat, vom Reichstag angenommen, so wird die Fraktion gegen die Gesammtvorlage stimmen. Ein Blick auf diese Beschlüsse zeigt, daß die Majorität der Fraktton von dem Gedanken geleitet worden, eine Scheidung der Linien, welche offenbar blos der Kolonialpolitik dienen sollen, und derer, die an sich als den Handelsinteressen dienend betrachtet werden können, vorzunehmen. Nach den Erklärungen, welche Bismarck selbst mündlich und in seinem Leiborgan, der„Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" abgegeben hat, kann zwar nicht daran gezweifelt werden, daß die ganze Dainpfersubventions- vorläge der Kolonialpolitik dienen würde, indeß das läßt sich doch nicht: leugnen, daß die ostasiatische und auch die australische Linie(ohne die! Samoa -Zweiglinie) dem Handel gewisse Vortheile bieten würde, während! die afrikanische nur den Kolonialschwindel befördern soll. Die Majorität des Reichstags und die Regierung selbst wird unter keinen Umständen auf die afrikanische und Samoa -Linie verzichten, und\ auch nicht die betreffs der Qualität und des Baues von unserer Fraktion gestellten Bedingungen eingehen. So wird also die sozialdemokrattsche Fraktion einstimmig gegen die Dampfersubventionsvorlage in ihrer Äesammt- h e i t st i m m e n. Habgier: Es berührt mich nur unangenehm, daß keiner von den aus der Landstraße aufgegriffenen Handwerksburschen länger als die kontraktlich unterschriebenen 14 Tage hier bleibt. Wenn wir überhaupt keine Vereinbarung vorher abschließen würden, blieben sie nicht einmal! diese 14 Tage hier. Frau Habgier: Das beweist höchstens, daß eS mit den geflissentlich verbreiteten Berichten über die große Nothlage und Arbeitslosigkeit nicht so weit her ist, und daß das Volk lieber hungert als arbeitet. Bei solchen Wahrnehmungen muß aber schließlich auch das regste Mitgefühl schwinden. 3. Szene. (Gensdarm Grob tritt auf und grüßt devot.) Gensdarm: Gnädiger Herr, ich habe die Ehre zu melden, daß ich heute einen jungen kräftigen Arbeiter zugeführt habe. Habgier(leutselig mit der Hand dem stramm stehenden Gensdarm winkend): Schon gut.(Greift in die Tasche und reicht dem Gensdarm! ein Geldstück.) Gensdarm: Danke ergebenst, gnädiger Herr. Ihr unterthänigster Diener.(Geht ab.) Frau Habgier: Ein ungezogener Mensch, dieser Gensdarm, der nicht einmal soviel Anstand besitzt, bei Erledigung seiner Dienstangelegen- heilen aus mich Rücksicht zu nehmen. Habgier: Was willst Du machen, meine Liebe? Ich habe diesem Büttel ein für allemal gesagt: die Regelung dieser Angelegenheit mit mir unter vier Augen zu erledigen. Aber gerade diese Sorte Beamter ist frech und unverschämt, wie man selten ihres Gleichen trifft. Frau Habgier: Ich finde übrigens zwei Mark für seine geringe Dienstleistung enorm. Der Mensch sammelt ja Kapitalien an, wenn das so fortgeht und jeder Hergeführte immer nur 14 Tage bleibt. Habgier: Morgen werde ich ihm ankündigen, daß ich seine Dienste nur noch mit einer Mark zu vergüten gedenke. Frau Habgier: Ah sieh', da kommen unsere Arbeiter.(Langsam und ächzend führen einige Arbeiter ihre schweren Karren vorüber. Frau Habgier schmigt sich ängstlich an ihren Gemahl.) Wie häßlich, roh und verkommen sehen doch diese Menschen aus! Ich fürchte mich vor jeder Begegnung mit ihnen. Habgier: Das sind unsere Kulis. Sieh', darum bin ich gegen die Chineseneinfuhr. Warum sollen wir unser deutsches Vaterland mit noch mehr heimathlosem und Diebs-Gesindel überfüllen? Wir haben dessen genug. Denn, meine theure Lucie, diese unstät herumstreichenden Vaga- banden können wir nur mit den Waffen in der Hand in Schach halten. Was ist Denen Baterland, was deutsche Ehre?— Es ist nur gut, daß Du Dich nicht um Politik kümmerst, denn Du würdest Dinge zu hören bekommen, die Dir manchmal die Freude am Leben vergällen könnten und Dich nur angstvoll in die Zukunft schauen ließen. Frau Habgier: Aber ich bitte Dich, lieber Alex, ich glaube, Du siehst schon wieder zu schwarz. Diese Lagabonden können uns doch un- möglich in dem Maße bedrohen,«IS Du annimmst.
Ausgabe
7 (26.2.1885) 9
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