2 Zeder Beziehung daran mitschuldig zu bezeichnen, einen Theil der schuld tragen auch die Herren Fortschrittler. Durch ihre Rechnungs- »ägerei haben sie dem Treiben der Natwnalservilen Vorschub geleistet; dadurch, daß sie es nicht gewagt, mit auch nur einer konventionellen düge der modernen Gesellschaft entschieden zu brechen, haben sie sich des Rechtes beraubt, über die Charakterlosigkeit Anderer herzuziehen. Die Lugend der Bourgeoisie findet heute in keiner bürgerlichen Partei Vor- bilder, von denen sie echten Unabhängigkeitssinn lernen könnte, die Halb- Helten und Inkonsequenzen der bürgerlichen Demokratie imponiren ihr Jjicht, vom Sozialismus hält sie ihr Klasseninstinkt zurück, und so lasten sie sich von der Schamlosigkeit und dem Dünkel der Machtanbeter hin- reißen, so werden sie zu Trabanten eines Stöcker! An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen! Die Saat, die solche Früchte ieitigt, sind nicht einzelne Individuen, es ist die gesammte Entwicklung her modernen Gesellschaft. Die Versumpstheft der akademischen Jugend 'ß ein Zeichen der Zersetzung, ist das Todesurtheil derselben. — Wozu Arbeiterkolonien gut sind. Aus Königs- derg schreibt man der„Fr. Ztg.": »Im Februarheft der„ A r b e i t e r- K o l o n i e, Korrespondenzblatt für die Interessen der deutschen Arbeiter- Kolonien", findet sich eine Schilderung der Ostpreußischen Arbeiter-Kolonie Karls- h°f. Es wird zunächst berichtet, daß man die Anstalt ausnahmsweise ous gutem Ackerboden errichtet habe, und daß es Mühe gemacht habe, Fonds zu erlangen. Dies wird merkwürdigerweise darauf zurück- Bhsührt, daß„ganz Ostpreußen etwas von dem an sich habe, was seiner Hauptstadt Königsberg den Namen„Stadt der reinen Vernunft" Angetragen habe, und wo dies Etwas zu sehr herrsche, wolle man die «aat nicht gleich daranwenden, wenn die Erntehoffnung in allzu weiter Ferne liege.". Jedoch was die Stadt der reinen Vernunft nur lau ausnahm, hat dafür der Provinzialverein für innere Zession„in seinem Schooß sonderlich gefördert", und die Kolonie stt da. »Ueber die Arbeit, mit der die Kolonisten beschäftigt werden, wird nun Folgendes berichtet: »In 7 Werkstätten und aus dem Arbeitshof werden 40—50 Mann ah!chästigt mit verschiedenen Gewerbearbeiten und dem Kleinmachen von «tubben, wofür die Heilanstalt Karlshof wie Privatpersonen 'N Rastenburg willige Abnehmer sind... Auf den Gütern der �nigegend werden Moorwiesen bekarrt, in Ziegeleien Lehm gestochen; auch fanden fünfzig Mann in der nahen «uckersabrik Beschäftigung. Man sieht, in Ostpreußen , dem �and der niederen Arbeitslöhne und hohen Buswanderungsziffern, wirkt 7>e Kolonie ganz eigenthümlich. Sie hilft den Gütern und Fabriken der Umgegend billige Arbeiter verschaffen, und zwar Arbeiter, die in der hui milden Gaben errichteten Kolonie Unterkunst und Schlafstätte haben, hei denen also die Ansprüche sehr bescheiden sind und von denen nie zu befürchten ist, daß sie etwa durch zweijährigen Aufenthalt im Gutsbezirk ben Unterstützungswohnsitz dort gewinnen. Uns scheint eine derartige Verwendung der Arbeitskräfte der Kolonisten in allerhöchstem Grade bedenklich.» Uns auch. Aber sie überrascht uns nicht. Sie ist auch keineswegs auf Ostpreußen beschränkt. Auch anderwärts sind die Herren Arbeiterfreunde ver— nünstig wie in der Stadt, oder sagen wir lieber gleich, in der Provinz der reinen Vernunft. Hurrah, er ist wieder frei! Einer Korrespondenz aus Dresden , die wir wegen Raummangels für eine der späteren Rum- �krn zurücklegen mußten, entnehmen wir vorläufig die erfreuliche Mit- 'Heilung, daß Herr Elias Schmidt, auch„Spitzel Schmidt" geheißen, sich wieder auf sreiem Fuße befindet. Von feinen vier Jahren Zuchthaus sind ihm zwei in Gnaden erlaflen worden. Oder, setzt unser Kor- tespondent hinzu, war der„werthe Freund" überhaupt nicht in Wald- heim? In Sachsen ist Alles möglich. Schmidt, heißt es weiter, hat von Mehnert, dem Schwiegersohn Acker- Mann's, eine Baustelle in Dresden gekaust. Wo er wohl das Geld bazu„locker" gemacht hat?! Bescheidene Anfrage an„Freund" Paul. — Der Mohr hat seine Schuldigkeit gethan, der Mohr kann gehen. Kaum haben die Nationalliberalen ihre Pflicht als Eintreiber des Ottopsennigs gethan, so erhalten sie auch schon von ihrem Götzen Bismarck den berühmten Kanzlerdank. In einer der letzten Nummern der„Norddeutschen" wird ihnen mit dürren Worten der Stuhl vor die Thüre gesetzt, und auf der Bildfiäche erscheint das herz- erhebende Bündniß zwischen Konservativen, Zentrum und Bismarck ! Und das hat mit seinem Segen, der Korn- und Holzzoll Sethan. — Wer den Schaden hat, braucht für den Spott Nicht zu sorgen. Folgende Notiz der„Frankfurter Zeitung " ist zu amüsant, als daß wir sie nicht auch unseren Lesern mittheilen sollten. Unterm 3. April schreibt das volksparteiliche Blatt: „Noch in letzter Stunde bemüht sich die demokratische Frankfurter Leitung, ein trotz seiner Verbreitung von jeher durch Schamlosigkeit Und Niedrigkeit der Gesinnung berüchtigtes Börsenorgan, die Bis- Marckspende durch das Gerücht zu diskreditiren, es solle die Jubi- laumsgabe zur Arrondirung der Bismarck 'schen Familiengüter, d. h. Also mit anderen Worten: zur Zahlung alter BismarcTscher Familienschulden bestimmt sein!! Die Tendenz dieses„Ge- Füchtes" ist so widerwärtig klar, daß gegen das Frankfurter Platt allein ein kräftiges Pfui am Platze ist!!" Also zu lesen in der «Neustadter Zeitung"— wie der Ton und Anstand zeigt, ein Platt Heidelberger Couleur— vom 17. Wärz. Wir legen das Opus AM 2. April neu auf mit der Frage: Was will der entrüstete Gentle- Man von Neustadt jetzt mit seinem„Pfui" anfangen? Es gegen Die schleudern, welche es wagen, die Verwendung der er- preßten Gelder schnöde zu bekritteln. Arme Nationalliberale! Das Rindvieh ist, wie allbekannt, Dem Rothen nicht sehr zugewandt— Aus Ehlingen wird dem„Schwäbischen Wochenblatt geschrieben: „Zu großem Schrecken und Aergernih aller philiströsen Elemente Unserer guten Stadt wehte heute in der Worgensrühe, als am reichs- 'anzlerischen Geburtstage, auf der Neckarhalde aus einem Baume ange- bracht, weithin durchs Neckarthal sichtbar eine große rothe Fahne. Der Baum wurde erst gegen 11 Uhr Vormittags durch die Polizei seiner großen Last entledigt. Wie groß der Aerger hierüber bei manchen beuten war, erhellt aus den hahvollen Worten, die einer unserer„natio- ualen» Heißsporne in seiner Wuth ausgestoßen haben soll:„Den Kerl, oer das gethan hat, sollte man dazu aushängen!"" Erst haben. — Der Unterschlagungsprozeß wider den konserva- ' iv e n Reichstagskandidaten und Sparkaffendirektor Ernst Voß in werden kommt demnächst zur Verhandlung, und halten es unsere Ver- bener Genossen aus gewissen Gründen für angezeigt, die Leistungen die- ses ehedem„hochgeachteten Mitbürgers" vorher noch einmal im„Sozial' bemokrat" zu kennzeichnen. Voß war vor etwa IL Jahren noch Steuerempsänger, setzte es aber durch hohe Gönner durch, daß er Direktor der Amtssparkasse in Verden wurde. Kaum im Amt, brachte er es durch glückliche Spekulation und Sparsamkeit dahin, daß er sich drei Rittergüter sowie verschie- bene Häuser in Hannover und hier im Werthe von Millionen anschaffen wnnte, aus welche er natürlich nur den Kaufschilling bezahlte. Jetzt 'utschirte der ehemalige Steuerempsänger nur noch vierspännig(das Ge- Ichirr zu einem einzigen seiner Gespanne kostete z. B. allein zirka 5000 Mark) und verkehrte nur noch mit der höchsten Aristokratie. Unter Inderm stand er mit dem Großherzog von Mecklenburg in 'ntimen Beziehungen, und dieser würde ihn auch wahrscheinlich bei einem seiner persönlichen Besuche noch geadelt haben, wenn der Be- .'rüger nicht rechtzeitig entlarvt worden wäre. Und ein Recht auf den «ldel hatte Voß, denn er verstand das Annektiren ja ebenso gut wie die hohen Herrschasten. I Er hing aber auch mit einer wahrhaft rührenden Liebe an dieser . Adlen Ausbeutergesellschaft, das zeigte die letzte Reichstagswahl, wo der Noble Herr Reichstagskandidat und Freund des Großherzogs von Weck- � lenburg, der frühere Steuerempsänger, die Wahlkosten aus seiner„Tasche", b-h. vondenihm vondemBürgerpack anvertrauten Feldern be st ritten. Für alle nabeln Paffionen hatte er Ver- ständniß. So war er auch ein großer Kunstfreund, und schuldet z. B. einer einzigen Gemäldehandlung in Berlin das artige Sümmchen von 88,000 Mark. Wir glauben nicht zu hoch zu greifen, wenn wir sagen, daß seine Gemäldesammlung allein einen Werth von einer halben Million repräsentirte. Wie durch die hiesigen Blätter bekannt gemacht wurde, unterschlug Voß nur die kleine Summe von 2,062,000 Mark. Es wird sich aber, das heißt wenn die Herren es für thunlich halten, noch viel mehr herausstellen. Wie es aber möglich war, bei einer alle acht Tage durch den Vorstand, wozu der hiesige Kreishauptmann Geh. Reg.-Rath Roscher auch gehört, vorgenommenen Revision eine derartige Summe zu unterschlagen, ist unjerm schlichten Menschenverstand unbegreiflich. Jndeß muß die Sache doch wohl ihre Richtigkeit haben, denn sämmtliche Vorstandsmitglieder befinden sich noch in Amt und Würden. Außer den Sparkassengeldern unter- schlug Voß noch sonstige ihm anvertraute Summen, z. B. Mündelgelder, aus Handschein geliehene Kapitalien k., wofür die Kasse nicht zu hasten braucht. Wie sehr nun der kleine Mann unter den Gaunerstreichen des Voß leiden muß, zeigt uns deutlich ein Beispiel: Ein Kleinbauer soll zur Deckung des Defizits 4500 Mark tragen, er selbst hat nicht so viel ein- gelegt, weil aber die Herren Gemeinderäthe des betreffenden Dorfes Interessenten waren, und somit die Bürgschaft auf den Schultern der Gemeinde lastet, muß eben wieder der kleineMann die größten L a st e n tragen. Es ist dies nur Einer von den Vielen, welche dabei zu Grunde gerichtet werden. Das Gesetz bestraft eben Dieb- stahl und Betrug ganz exemplarisch, d. h. wenn es sich um eine Klei- nigkeit handelt. Ob es aber in diesem Falle ebenso streng geHand- habt wird, ist eine andere Frage; wir zweifeln daran. Hat man sich doch nicht gescheut, Voß in seiner Untersuchungshaft als Schreiber zu verwenden und ihm so dieselbe so angenehm als möglich zu gestalten. Außerhalb seiner Gesängnißmauern aber sind seine Freunde und Gönner auch nicht unthätig, ja man hat sogar den Versuch gemacht, dem Publi- kum einzureden, der Mann müsse geistesschwach sein. Welch' schwacher Geist dazu gehört, ein solches Raffinement wie Voß zu ent- wickeln, kann sich jeder Leser selbst vorstellen. Wir sind nun aus das Urtheil sehr gespannt und werden später darüber berichten. Ob es nicht an ein bekanntes Sprichwort erinnern wird? Für solche Leute sind stets „mildernde Umstände" bei der Hand, da ist selbst den Herren Prügel- sanatikern das Strasrecht nicht„zu human". Jndeß, wir werden sehen. — Aus Niederbayern erhielt einer unserer Abgeordneten folgende kurze aber ebenso beredte Schilderung des Zersetzungsprozeffes, der sich in dem von der Natur sowohl wie von einem zahlreichen Pfaffenthum sonst so gesegneten Landstriche gegenwärtig vollzieht. Die bisherigen Wunder der Industrie- und Getreidezölle finden in diesem gedrängten Rahmen ihre volle Beleuchtung. Die Erhöhung der Getreioe- z ö l l e dürfte nicht ermangeln, auch den Geschwindjchritt dieser Abwirth- schaftung zu steigern. Der betreffende Arbeiter bäuerlicher Abkunft schreibt: „Ich kann Ihnen noch die Mittheilung machen, daß ich vergangene Weihnachten in Niederbayern bei meinen Verwandten war, seit acht Jahren wieder zum erstenmale. Da habe ich nicht wenig gestaunt, wie die Armuth der Bevölkerung zugenommen hat. In Au, Mainburg , Psaffenhausen, Landshut habe ich em Elend zu Gesicht bekommen, wie es in den sogenannten Nothstandsdistrikten kaum schlimmer gedacht wer- den kann. Der Gallach(Pfaffe) hat hier noch eine große Gewalt mit seiner Maulvoll-Religion. Zu Hunderten kommen die Leute durch die heutige WirthschastSpolitik von Haus und Hof, und warten vergebens, daß rhnen die heilige Dreifaltigkeit in Berlin Hülfe bringe." — Ueber die Schlagwetter-Cxplosionaufder Grube Camphausen bei Saarbrücken am 13. März wird jetzt ein amtlicher Waschzettel verbreitet, in dem es heißt: „Eine vollständige Aufklärung über die Entstehung der in ihren Folgen so überaus traurigen Katastrophe wird wohl kaum jemals zu erlangen sein. Mag die Entzündung der Schlagwetter aus was immer für einer Ursache in einem der den Schächten zunächst gelegenen östlichen oder westlichen Bremsschachtfelder oder auch in den einfallenden Bauen unter- halb der ersten Sohle erfolgt sein, jedenfalls ist sie nicht, wie unter ge- wohnlichen Verhältnissen zu erwarten gewesen wäre, eine lokale geblieben, sondern hat sich init Blitzesschnelle fast über die ganzen Grubenbaue verbreitet. Es bleibt hiernach kein Zweifel, daß neben schlagenden Wettern der bei der großen Trockenheit der Grube überall der Luft beigemengte feine Kohlenstaub in verberblichster Weise mitgewirkt hat, nicht nur die Explosion weiter fortzutragen und zu verstärken, sondern auch durch die Bildung gewaltiger Massen kohlenoxydreicher Schwaden dieselbe um so verhängnißvoller zu gestalten." Darnach bleiben ivir so klug wie zuvor. Die Frage ist: wie konnte sich der Kohlenstaub in so großer Wenge ansainmeln? Warum hat man nicht, da die Gefährlichkeit solcher Ansammlungen bekannt ist, bei Zeiten Schutzmaßregeln getroffen? Warum war der W e t t e r s ch a ch t„seit Langem" im Bau? An Arbeitskräften fehlte es doch gewiß nicht. Ja, wenn es sich darum gehandelt hätte, für die Huldigungsreise irgend eines Gekrönten eine holprige Straße zu reguliren, wäre in ein paar Tagen Rath geschafft worden, aber es handelt sich ja nur um das Leben von gewöhnlichen Arbeitern! Da muß gut Ding Weile haben. — Unverbesserliche Kerle, diese Proletarier! Zur Bismarckspende wird uns geschrieben: Eine größere Maschinen- sabrik am Rhein ließ unter ihren Arbeitern eine Liste zu„frei- willigen" Gaben zirkuliren. Die Leute nahmen die Sache ernst, zeich- neten für Bismarck keinen Pfennig und sanimelten zugleich Mk. 35 für streikende Genossen.„Fein I Nicht wahr?" be- merkt der Korrespondent dazu.„Sonst geht Alles gut, langsam, aber sicher." Die Reaktion von unten hebt den Nacken. Heil dem Ottopfennig! — Natürlich! Aus Schlesien schreibt man der„Fr. Ztg.:„Nach einer Atittheilung des Kreisblatts für Landeshut hat der Staatsanwalt zu Hirschberg die Untersuchung gegen Kommerzienrath Epner e i n g e st e l l t. Nach Lage der Dinge war. das zu erwarten, da Kom- merzienrath Epner die Schuld der Benachtheiligung der Weber durch Verlängerung der Ketten auf ein Versehen des Direktors geschoben halte. Die Militärlieferungen werden also dem Kommerzienrath Epner wohl verbleiben." Ein Thor, wer anderes erwartet hätte. Was sollte aus der berühm- ten„sittlichen Weltordnung" werden, wenn man sie nicht mehr laufen ließe, die großen Sp—«kulanten? — A lies umsonst. In Pieschen bei Dresden haben un- sere Genossen am 31. März bei der Ergänzungswahl zum Gemeinderath einen glänzenden Steg davon getragen— trotzdem durch Einführung des„Gemeindebürgerrechts" 700 Wählern das Wahlrecht wegstibizt war, und der Ordnungsmischmasch— die vier„größten" Vereine hatten einen Kompromiß geschlossen— mit Riesenanstrengung„agitirten". Bravo! — Wir werden um Aufnahme folgender Erklärung ersucht: „Da die Mittheilung in Nr. 12 des„Sozialdemokrat" betreffs des Genoffen O st e r m a n n über seinen Charakter als Parteige- noffe Zweifel zulaffen könnte, so erklären die Sozialisten deutscher Zunge in Paris , daß derselbe sich während seines Aufenthaltes hier voll und ganz unserer Sache widmete. Ostermann zog sich durch seine Thätigkeit bei den 81 er Wahlen in Berlin seine Ausweisung zu. Wir können ihn allen Genoffen auf's Wärmste empfehlen. Die Pariser Genosse n." — England. Die Demonstrationen gegen die Fort- setzung des Krieges im Sudan mehren sich. Nicht nur die Sozialisten und ihre Organe,„Justice" und„Commonweal", auch ein Theil der bürgerlichen Radikalen bekämpfen dieselbe auf's Heftigste. Ueber ein am 2. April stattgehabtes großes Friedensmeeting in St. James Hall in London schreibt uns ein Genosse: Das Meeting war von den Radikalen einberufen, als Präsident war Herr Bradlaugh bestimmt. Der geriebene Agitator hatte wie immer die günstige Gelegenheit ergriffen, den einflußreichen Volksführer zu spielen— er hatte die Stimmung der Masse genügend studirt und sah überhaupt, daß er auf einen großen Erfolg rechnen durfte. Die ungewöhnlich große Halle war schon lange vor der bestimmten Zeit überfüllt, so daß ein großer Theil der Besucher wieder umkehren mußte. Bei Beginn der Versammlung wurden mehrere Briefe von Parlaments- Mitgliedern verlesen, die an der Versammlung nicht theilnehmen zu kön- nen erklärten, aber entschieden gegen die Weiter sührung des Krieges protestirten. Alsdann sprach Bradlaugh unter großem Beifall; denn daß es demselben an Schlagworten nicht fehlt, ist bekannt. Professor B e e s- l a y, der nach Bradlaugh das Wort ergriff, beantragte folgende Reso- lution, die er in längerer Rede motivirte: „Die heutige Versammlung hält den Einfall in den Sudan für moralisch ungerechtfertigt und den Interessen der großen Masse des eng- tischen Volkes für schädlich und fordert die Regierung auf, unsere Truppen sofort zurückzuziehen." In gleichem Sinn wie die Genannten hatten noch eine Anzahl Parka- mentsmitglieder gesprochen, als Genosse William Morris das Wort erhielt. Derselbe erklärte, daß er mit dem, was in der beantragten Resolution gesagt wird, durchaus einverstanden sei, beantragte jedoch in Gemeinschaft mit Genosse M o w b r a y im Auftrage der„Socialistic League", deren Delegirten sie seien, folgenden Zusatz: „Ferner ist die Versammlung der Ansicht, daß der Angriffskrieg im Sudan nur in dem Bestreben inszenirt wurde, dieses Land im Interesse der Kapitalisten und Spekulanten auszubeuten, und ruft der Arbeiter- klaffe zu, daß solche Kriege nicht aufhören werden, bis sie sich in der ganzen Welt organisirt und ihre Angelegenheit selbst in die Hand ge- nommen haben wird." Als Morris die Resolution unter vielem Beifall befürwortete, wurde er nach kaum fünf Minuten vom Präsidenten Bradlaugh unterbrochen und ihm das Wort entzogen, wogegen er, freilich vergebens, energisch protestirte. Daß eine solche Resolution, welche direkt auf die Ursache des Krieges losgeht, dem Bourgeois Bradlaugh und seiner Madame B e s a n t durchaus nicht in ihr Handwerk paßten, versteht sich ja von selbst. Frau B e s a n t, welche nach W. Morris das Wort erhielt, wußte denn auch mit der bekannten Geschicklichkeit und Sophisterei die Reso- lution der Socialistic League so zu entstellen und als nicht zur Sache gehörig hinzustellen, daß dieselbe bei der Abstimmung unterlag und die Gefahr somit für den Freidenker-Papst und seine Madonna noch einmal gehoben war. Daß man in einer solchen Versammlung die Kapitalistenfrage nicht in Anregung bringen kann, ohne alle die großen Wortführer gegen sich in Harnisch zu bringe», liegt zu sehr in der Natur der Sache, als daß man sich darüber wundern sollte. Aber das ändert die Thatsache nicht, daß diese Resolution und die Befürwortung unseres Parteigenossen Morris großen Beifall fand, und wenn Bradlaugh ihm nicht mit Ge- walt das Wort entzogen hätte, so unterliegt es keinem Zweifel, daß die Nkajorität dafür gestimmt hätte. Uebrigens haben die Sozialisten ihren Zweck vollkommen erreicht. Sie haben eine große Menge Manifeste gegen den Krieg im Sudan , sowie eine große Anzahl Exemplare ihres Organs und andere Druck- jchristen vielfach verbreitet, und dies war ja der Hauptzweck unserer Betheiligung. Zum Schluß sei noch bemerkt, daß der Vorstand der Socialistic League schon vor einigen Monaten gegen den schändlichen Kapitalistenkrieg im Sudan protestirt und Resolutionen in diesem Sinn gefaßt hatte. Aber als das fürchterliche Geschrei gegen die Araber hier im Gange war, da fand man wenig Gehör, und selbst ein so großer Herr wie Bradlaugh ließ nichts von sich hören. Natürlich. Damals gab es ja noch keine sichere Aussicht auf Erfolg! Denn darin liegt die große Kunst unseres spekulirenden Tageshelden, den rechten Zeitpunkt zu ergreifen und jede Bewegung für seine erbärmlich kleinlichen Privatinteressen auS- zubeuten." Ein alter Parteigenosse?. L. Korrespondenzen. Glauchau , im März.(Situations- und Wahlbericht.) Endlich kommen wir Glauchauer wieder ans Tageslicht, obgleich wir eS eigentlich nöthig gehabt hätten, das Parteiorgan fortwährend in Anspruch zu nehmen. Aber wozu sich immer mit Subjekten befassen, deren Da- sein nur im Stehlen der Volksrechte, in Verläumdung und Ausbeutung der Arbeiter rc. besteht? Nachgerade sind wir nun aber doch gezwungen, gewisse Vorkommnisse zur allgemeinen Kenntniß zu bringen. An der Spitze unseres Berichtes figurire unser Früchte! V o l l e r t, Buchhalter im Bäßler'schen Etablissement, wo die skandalösesten Löhne bezahlt werden. Dieser Biedermann ließ am 2. August v. I. einige Arbeiter zu sich rufen, um eine Fabrikkrankenkasse zu gründen. Die Ansprache war:„Ich will lieber mit zehn Sozialdemokraten kons«- riren als mit hundert." (Ja, das glauben wir, denn um mit uns zu polemisiren, fehlt diesem Schlaukops das Geschick.) Früchte! fährt fort:„Nein, es ist ja schrecklich, wie diese Kerle e? treiben, haben sie mir da einen Züricher„Sozialdemokrat" geschickt, wo ich so schlecht gemacht bin, daß kein Hund ein Stück Brod von mir frißt" u. s. w. (Bravo ! Die Hiebe haben gesessen, vielleicht sitzen die jetzigen Hiebe noch besser! Der Kerl hat zwar Furcht, aber bis jetzt noch keine Besserung.) Am 3. August hatte nun Früchte! mit seinem Kollegen Götze eine längere Unterredung, und die Früchte dieser Abmachungen ließen nicht lange auf sich warten. Götze, ein erzgrober Kerl und dabei ein Mucker, ist Inhaber einer der größten Webereien hier, worin zwei unserer Ge- nassen arbeiteten, dieselben, welche schon vordem von Früchte! aus dem Bäßler'schen Etablissement in„feiner" Weise hinauSgemaßregelt worden waren, nämlich die Genoffen Ernst Krause und Theodor Müller. Früchte! glaubte nun wahrscheinlich, daß entweder Krause oder Müller der Korrespondent des„Sozialdemokrat" sei, wobei die Schlauköpfe sehr auf dem Holzweg waren, denn der Korresondent, Ihr Herren, bin ich— halt! beinahe hätte ich Euch meinen Namen genannt; der mag vorläufig noch unter Diskretion bleiben, kommt aber vielleicht später noch, und freue ich mich schon auf unsere gegenseitige Vorstellung! Also weiter: Am 6. August wurde somit unseren beiden Genossen vom ersten Werkmeister ein Schreiben vorgelesen, in welchem es hieß, daß Krauße und Müller wegen Ausreizung ihrer Milarbeiter sofort die Fabrik zu verlassen haben. Auf direkte Anfrage erhielten unsere Genoffen vom Mucker zur Antwort:„Sie, Krause, habe ich entlassen, weil Sie für die streikenden Weber zu Crimmitschau gesammelt haben(schrecklich II, und Sie, Müller, weil Sie erwiesenermaßen Sozialist sind(hu!)", und ferner bemerkte der Biedermann:„Wenn Sie, Müller und Krause, mir den Beweis erbringen, daß Sie Ihre Agitation für die sozialistische Partei ganz eingestellt haben, können Sie wieder bei mir arbeiten." (O wie gnädig doch so ein grober und vermuckerter Kapitalist sein kann!) Früchte! hatte nun somit seine Rache gestillt, aber an Unschuldigen. Wir aber müssen uns bei Früchte! und Mucker bedanken, denn durch ihre Dummheit hatten sie unsere Partei nicht etwa geschwächt, im Gegen- theil, diese Schlauköpfe haben uns dadurch nur Nutzen gebracht, indem wir nun wenigstens ein paar Genoffen hatten, welche jetzt erst recht an die Oeffentlichkeit gehen konnten und bei der Reichstagswahl auch kräftig Hand ans Werk gelegt haben. Zunächst möge nun der„ B a u e r n t a g" zu Remse bei Glauchau leuchten. In dieser Bauernsängerversammlung war auch der F ü r st zu Waldenburg erschienen; Flegel G e l b k e war Referent, und waS der Kerl da geschwatzt, können sich die Leser des„Sozialdemokrat" leicht vorstellen, wenn sie an dessen von uns gekennzeichnete Rede im sächsi« schen Landtage zurückdenken. Die Hauptsache und nochmals die Haupt- fache war: Erhöhung der Getreidezölle, Aushebung der Grundsteuer, Verschärfung der Gesindeordnung u. s. w. Daraufhin hielten wir am 9. August eine stark besuchte öffentliche Versammlung ab mit der TageS- ordnung:„Der Bauerntag zu Remse gegenüber dem Interesse der Industrie und der Arbeiter", zu welcher alle Landbewohner, sowie der Fürst zu Waldenburg , der Amtshauptmann v. Waentig und Flegel Gelbke eingeladen waren. Obgleich wir für die Geladenen separate Plätze reservirt hatten, war von diesen Herren doch keiner erschienen, nur Gelbke hatte sich brieflich dahin entschuldigt, daß in einer öffentlichen Versammlung über diese Sache nicht zu diskutiren sei.(Ei, ei, Herr Gelbke, aber bei den„dummen Bauern" ging's doch? Ei, ei!)
Ausgabe
7 (9.4.1885) 15
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