WWW»»»»» In derselben Versammlung, in welcher Frohme sprach, trat auch der Kandidat der demokratischen Partei, Stadtverordneter May, auf und entwickelte sein Programm. Und was sagte der Herr? Der langen Rede kurzer Sinn läßt sich in folgendem Satze zusammenfassen:Ueber seine etwaige Thätigkeit im Landtag   wir zitiren nach derFranks. Z." wolle er sich nicht äußern, denn kein Mensch könne wissen, was dort vorkomm e." Und für solch' einen programmlosen Nichtwisser sollten sich die Partei- genossen in's Zeug werfen? Statt daß Frohme, wie es seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit gewesen wäre, diesem Jammermann von Kandidaten gehörig an den Kragen gegangen wäre und ihm den Standpunkt klar gemacht hätte, hat er für ihn kein Wort des Tadels, wohl aber für jene Parteigenossen, und diese bilden in Frankfurt   die erdrückende Mehrheit, welche die Wahlkomödie nicht mitmachen wollten. Ist das ein Auftreten, wie sich's für einen Vertreter unserer Partei geziemt? Frohme sagt:Es sei nothwendig, die Reaktion, besonders wo sie sich mit dem Schein freiheitlicher Bestrebungen, mit der sogenannten Fort- schrittspar tei, verbinde, zurückzuweisen, und deshalb verstehe er es nicht, wie es Sozialdemokraten hätten gewesen sein können, die eine derartige Annonce erlassen haben." Nun, wir verstehen nicht, wie man als Sozialdemokrat nach Kenntniß der Frankfurter   Verhältnisse solche Sätze aussprechen kann. Daß die Fortschrittspartei mit der Volkspartei bei der Wahl nicht gemeinsame Sache machen wollte, das war es gerade, was die Herren in Anwesenheit Frohme's so sehr bedauerten. Hatte denn Frohme keine Ohren, als der Vorsitzende der Versammlung, Dr. Rößler, erklärte: Das Bündniß mit der Fortschrittspartei, welches langeJahre bestanden, zum Vortheil beider Par- teien, und ich darf sagen, auch zum Wohle unserer Stadt, ist gesprengt worden, gesprengt ohne unsere -Schuld... Im Abgeordneten Hause saß in mehreren Wahlperioden ein Fortschrittler neben einem Demokraten. Die beiden Abgeordneten haben immer einmüthig zusammengearbeitet. Es ist für uns durch- aus kein Anlaß gewesen, Herrn Flinsch(den Fortschrittler) nicht wieder zu akzeptiren." Und in derselben Versammlung äußerte sich der Kandidat, Stadtver- ordneter May: Daß die Fortschrittspartei seine Kandidatur nicht annehme, habe ihn nach den Vorgängen indem Komite überrascht. Er habe, da von einem Mitglied der Fortschrittspartei selbst zuerst der Vorschlag ausgegangen sei, ihn aufzustellen, dem Fortschritt gegenüber eine andere Gesinnung gehegt und die Ansicht vertreten, ehe wir Jemand nach Berlin  schicken, der reaktionär stimmt, müssen wir lieber für zwei Fortschrittler stimme n." Ist das nicht deutlich? Die Frankfurter   Demokratie hat also, und von ihrem Klassenstandpunkt aus mit Recht, ihr Bündniß nach rechts und nicht nach links gesucht; und das Gros der Partei mag wohl nicht wenig überrascht gewesen sein, als F r o h m e ihr das nicht erwartete Bündniß von links auf dem Präsentirteller darbrachte. Daher der leb­hafte Beifall, den die Versammlung seinen Worten zollte. Wie die Wahl zeigt, hat freilich die Frankfurter   Sozialdemokratie Frohme schmäh- lich im Stiche gelassen. Die Wahlbetheiligung war in der dritten Klasse dort am schwächsten, wo die Sozialdemokratie bei der Reichstagswahl die meisten Stimmen hat, und in den Vororten, unserer eigent- lichen Domäne, wurden fast lauter nationalliberale Wahlmänner gewählt, weil die Soz ialdemokratie zu Hause blieb. Stärker konnte Frohme nicht desavouirt werden, als es geschah. Er dars sich darüber nicht beklagen, denn wer sich selbst desavouirt, muß es sich auch gefallen lassen, wenn ihn Andere desavouiren. Für die Selbstdesavouirung Frohme's hier ein Beispiel. DerFrankfurter Volkssreund", das vorausnahmegesetzliche Organ unserer Frankfurter   Genossen, enthielt in der Nr. 88 vom 28. Oktober 187k es sind also gerade neun Jahre her einen Artikel von Frohme, betitelt:Politische Wallsischtonne n." Anknüpfend an einen Satz von Karl Heinzen   führt Frohme aus, daß der Kunstgriff der Wallfischfänger, Tonnen ins Meer zu werfen, mit denen dann die Wallfische spielten, wodurch sie um so leichter harpunirt wer- den können, auch in der Politik Nachahmung finde. Hier spiele das Volk den Wallfisch, und die Tonnen bildeten allerlei Schlagworte und Scheinrechte, wie z. B. die Schlagworte-.Nationalstolz" undPatrio- tismus", oder das Scheinrecht: Dreiklassensystem. Er sagt dann wörtlich: Da haben wir das Älassenwahlsystem*) behufs Bildung ver­schiedener gesetzgebender Körperschasten eine Tonne von ziemlich alter Sorte. Glücklicherweise spielt die große Masse des Volkes damit nicht mehr, läßt sich davon nicht mehr täuschen, denn längst hat sie eingesehen, daß eine von den b e v o r z u g t e n K l ass e n gebildete Gesetzgeb- ung keine Volksvertretung sein könne. Diese Tonne ist auch bereits sehr leck; durch das viele Spielen, welches die bevorzugten Klassen mit ihr gethan, ist sie morsch geworden, nur noch mit vieler Mühe wird sie über Wasser erhalten. Wohl gibt man sich alle er- denkliche Mühe, sie wieder zu regieren, wird aber nicht gelingen, und man darf sagen, daß der Augen- blick, wo sie auseinanderfällt, nicht mehr ferne i st." So urtheilte Frohme 1876 über das Dreiklassenwahlsystem. Wir überlassen es dem Opportunisten Frohme von 188S, sich mit dem Sozialdemokraten Frohme von 187K darüber auseinanderzusetzen, wer von den beiden den andern moralisch todtgeschlagen. Wo aber die guten" undtüchtigen" Männer der sozialdemokratischen Partei zu suchen sind, von denen Frohme in seiner Rede so salbungsvoll spricht, bedarf nach dem Vorhergegangenen keiner weiteren Auseinandersetzung. -�A/XiA/W- Sozialpolitische Rundschau. jZ ü r i ch, 4. November 1885. Sind wir noch Sozialdemokraten? Die neueste Nummer des von dem sozialistischen Abgeordneten Gen. Viereck herausgegebenen Recht aus Arbeit" enthält einen überaus gereizten Ausfall auf unfern Artikel über den Normalarbeitstag. Wir haben schon so viele Eigen- thümlichkeiten dieses Blattes, die die sozialistische Kritik herausforderten, unter Berücksichtigung der schwierigen Verhältnisse, unter denen es er- scheint, und wegen mancher unleugbar guten Seiten desselben ruhig hin- genommen, daß wir auch diesen neuesten Einfall mit höflichem Still- schweigen übergehen könnten, wenn uns nicht ein Umstand zur Replik zwänge: die grobe Verdächtigung der Tendenz unserer Artikel, die zusammeusällt mit der Jn-die-Acht Erklärung der g r u n d s ä tz- lichen Bekämpfung der heutigen Ausbeutergesellschaft. Es wird uns da nämlich die Absicht unterstellt,den ebenso gesunden als praktischen Masseninstinkten, die jetzt in der ganzen Welt sich auf diesen Punkt zu konzentriren beginnen, und der endlichen Verwirklichung einer durchgreifenden internationalenArbeiterschutzgesetz- g e b u n g uns näher bringen, einen Dämpfer aufzusetzen."Früher," heißt es an anderer Stelle,nahm die deutsche   Arbeiterpartei keine der- artig verzwickte Stellung zu dieser Frage fdes Normalarbeitstages) ein." Und um uns alssozialistische Doktrinäre" mit dem Rodbertusiancr Schippe! in ein-n Tops werfen zu können, wird von unserer Leitartikel- serie gesagt, daß sieunter Aneignung der Zitat«, die der Rodbertusiancr(!) Schippe! aus den Berichten der englischen Fabrikinspekioren gegen den Normalarbeitstag entnommen hat, sich gegen dieoptimistischen Anwälte des Normalarbeitetages" wcndit". Wobei zu bemerken, daß das Aus- rufungszeichen und die Unterstreichung desg e g e n" von der Redaktion desRecht auf Arbeit  " herrühren. Thatsachen sind Thatsachen, und sie werden dadurch nicht unrichtig, daß der Rodbertusiancr Schippel, für den wir nie Reklame ge- macht, sie anführt. Zur Beruhigung unserespraktischen" Widersachers sei aber doch bemerkt, daß die in unserem vorigen Leitartikel zitirten Aussagen der englischen Fabrikinspekioren sich in dem Werke eines ge- wissen Karl Marx  , betiteltDas K a p i t a l", vorfinden, und zwar in dem sehr lehrreichen KapitelMaschinerie und große Industrie", Unterabschnitt 3 o:Jntensifikation der Arbeit". Zu welchem BeHufe nun aber haben wir diese Stellen zitirt? Um die deutschen Arbeiter von der Erstrebung des Normalarbeitstages abzulen- ken, sie, die jetztauf richtigem Wege" sind,irre zu machen," wie dasRecht auf Arbeit  " zart durchblicken läßt? Wir brauchen dieser Unterstellung gegenüber, die wir nur durch eine derbe Injurie gebührend qualifiziren könnten, einfach auf unfern die Serie einleiten- den Artikel zu verweisen. Da heißt es gleich im Anfang:Der Normalarbeitstag steht mit Recht im Bordergrund der nächsten Ziele, welche die deutsche Ar- beiterklaffe zu erkämpfen entschloffen ist." Und nun wird im ganzen Artikel auf diehohe Bedeutung des Kampfes umdie Ar- b e i t s z e i t" hingewiesen, unter ausdrücklicher, durch gesperrte Schrift hervorgehobene Anführung des Marx'schen Ausspruches von der physischen und moralischen Wiedergeburt der Fabrikarbeiter" Englands durch die Beschränkung der Arbeitszeit und die Fabrikgesetzgebung überhaupt. Am Schluß heißt es dann:Die Bedeutung des Normalarbeitstages ist von unserer Partei also sicherlich niemals unterschätzt worden." Wer uns hiernach noch vorwerfen kann, daß wir uns auf den Stand- punkt deskonservativen Utopisten" Rodbertus   stellen, der kann entweder nicht lesen, oder--- wir verzichten darauf, den Satz zu Ende zu führen. Wir wenden uns gegen die U e b e r s ch ä tz u n g des Normalarbeits- tages. Thun wir damit etwas in unserer Partei Unerhörtes? Mit Nichten; es war bisher der Stolz unserer Partei, über die aktuellen Fragen des Tages nicht die sozialistische Kritik zu vergessen, uns nie in die Sackgasse derpraktischen" von-der-Hand-in den Mund Politik zu verrennen. Bis jetzt hat unsere Partei ihre Stärke darin gesucht, alle Illusionen über die Tragweite gewisser Reformvorschläge zu zer- stören, weil wir uns sagten, daß ein mittels falscher Vorspiegelungen genährtes Feuer nur Strohfeuer sein kann. Und unsere Partei ist bei dieser Taktik groß und mächtig geworden, in ihrem wissen- s ch a f t l i ch e n Charakter lag ihre Kraft. Von Anbeginn an haben wir z. B. das allgemeine Wahlrecht kritisirt, seine Unzuläng- lichkeit für die endgültige Emanzipation des Proletariats aufs Schärfste hervorgehoben, hat das die deutschen Arbeiter verhindert, sich des Wahlrechts in vortrefflichster Weise zu bedienen? Im Gegentheil. Grade, weil sie es nicht überschätzten, machten sie es sich dienstbar. Hätten wir ihnen goldene Berge vom allgemeinen Wahlrecht versprochen, so würden sie erst seine Knechte, und hinterher, enttäuscht, Anarchisten geworden sein, die bekanntlich das allgemeine Wahlrecht gleich einem Fetisch fürchten. Und ebenso wie mit dem Wahlrecht halten wir es mit dem Normal- arbeitstag. Wir zeigen den deutschen   Arbeitern seine guten Seiten, und wir haben sie oft genug hervorgehoben, und werden sie noch ost genug hervorheben. Aber wir zeigen ihnen auch seine Mängel, warnen sie, sich einseitig in den Normalarbeiistag zu verbeißen, und zeigen ihnen, daß auch die Verkürzung des Arbeitstages, wie sie in der heutigen Ge- sellschast durchführbar ist, noch nicht die Emanzipation des Proletariats vom Druck der kapitalistischen   Ausbeutung herbeiführt, wie das Beispiel Englands, von der Schweiz   ganz zu schweigen, beweist. Wir haben zu den deutschen   Arbeitern so viel Zutrauen, daß sie die Wahrheit, die volle Wahrheit vertragen können, daß wir ihnen nicht ein X für ein U zu machen oder ihnen den richtigen Sachverhalt zu verschweigen brauchen. Der bisherige Gang der deutschen   Arbeiterbewegung gibt uns die Ge- währ dafür. Denn grade früher nahm dieArbeiterpartei" nicht die verzwickte Haltung" ein, daß die sozialistische Kritik deshalb einede- plazirte"(nicht ain Platze) sei, weil sie gewissen Vorurtheilen den Garaus macht. Entweder sind wir Sozialdemokraten oder wir sind es nicht. Sind wir es nicht gut, dann breche man radikal mit unseren bisherigen Grundsätzen und treibepraktische Tagespolitik". Sind wir es aber, dann wollen wir auch an der guten sozialistischen   Sitte festhalten, über den Fragen des Tages nie unsere weitere sozialistische Erkenntniß zu vergessen, und nach wie vor aufs Entschiedenste die spießbürgerliche Auf- fassung bekämpsen, man mache die armen, ohne akademische Bildung herumlaufenden Arbeiter dadurchirre", daß man ihnen klaren Wein ein- schenkt. Des Werkes zweiter Theil. Es steht also fest, die Chem- nitzer Staatsanwaltschaft will sagen Herr von Abelen hat gegen das freisprechende Erkenntniß des Landgerichts Chemnitz   Revision ange- meldet, der fürchterliche Sozialisten-Geheimbunds Prozeß wird vor dem Reichsgericht sein Nachspiel haben. Es wäre auch in der That schade, wenn das von der Staatsanwaltschaft will sagen von Herrn von Abelen mit so großem Bienenfleiß zusammengetragene Anklagemate rial so ohne Weiteres von der Bildfläche verschwinden sollte. Daß das Reichegericht das Chemnitzer   Erkenntniß umstoßen wird, glaubt die Staatsanwaltschaft glaubt Herr von Abelen selbst nicht. So gering er auch die Unabhängigkeit der Herren anschlagen mag, so weiß er doch auch, daß sie sich hüten werden, ihr Bischen Renommee durch einen so offen- kundigen Bruch mit der gesunden Logik, wie es ein Eingehen auf die Argumente der Anklageschrist bedeuten würde, gänzlich preiszugeben. Aber, die brave Staatsanwaltschaft will sagen Herr von Abelen, will wenigstens die Genugthuung haben, sagen zu können:Was an uns lag, ist geschehen. Wenns nichts genützt hat, so hat's halt nicht sein sollen. Wir waschen unsere Hände in Unschuld." Und dieses erhebende Bewußt- sein erfüllter Pflicht gönnen wir dem treuen Leser unseres Blattes. Es sei Balsam auf die Wunde, die das Chemnitzer   Erkennwiß seinem Putt- kamer-frommen Herzen geschlagen. Das Chemnitzer   Urtheil ist allerdings, wie wir gleich zu Anfang sag- ten, die Berurtheilung des Sozialistengesetzes, seine reäuotio ad absurdum. Das Sozialistengesetz dient jetzt nur noch der kleinlichen W'llkür und persönlichen Rachsucht. Es erleichtert die Zerstörung von Existenzen das ist eigentlich Alles. Unter solchen Umständen ist es natürlich, daß der Gedanke nicht der Abschaffung, aber der M o d i f i z i r u n g des Sozialisten- gesetzes sich in den reaktionären Schädeln mehr und mehr einbürgert. Nun wir sagen unseren Feinden, ähnlich*) wie die französischen  Garden den englischen in der Schlacht bei Fontenoy:Schießen Sie so scharf Sie können, wir werden wiederschießen!" Spaßig ist der Aerger der sächsischen Partikularisten, daß Herr von Abelen sich dazu hergegeben hat, für die Preußen die Ka- stanien aus dem Feuer zu holen.Warum," fragen dieDresdener Nachrichten" ganz entrüstet,hat die preußische Regierung, die doch die ganze Sache eingefädelt hat, den Prozeß nicht in Preußen führen lassen?" Je nun, weil es ein bekannter preußischer Kniff ist, die guten Freunde und Bundesgenossen zu kompromittiren. Seit Erlaß des Sozialistengesetzes hat die preußische Regierung das schon mehrmals mit großem Erfolge gethan. Zunächst Hamburg  gegenüber. Die Einigkeit, welche dort zwischen allen Klassen der Beoöl- kerung in Bezug auf die Z o l l ans ch l utz f r a g e bestand, mußte ge- stört werden. Gut, man zwang den Senat, der das perfide Spiel ahnte und sich lange dagegen sträubte, zur Verhängung des Belagerungs- zustandes, das heißt zum Krieg gegen die sozialdemokra- tische Mehrheit der Einwohner. Mit der Einigkeit war die Widerstandskraft gebrochen Hamburg  mußte seine Freihasenstellung aufgeben. Nicht viel anders kam der Leipziger   Belagerungszustand zu Wege. Sachsen   zu schwächen, die sächsische Regierung vor der Welt und im eigenen Land zu diskreditiren, ist seit den Zeiten des großen Räuber- königS, genanntder alte Fritz", preußische Tradition, von der nie ab- gewichen wurde. Indem nian die sächsische Regierung dazu veranlaßt-, in Leipzig  , gegen den Rath aller dortigen Behörden, den Belagerungszustand zu verhängen, und auf Grund dessen die bru- talsten und zugleich frivolsten, well durch nichts gerechtfertigten, Gewalt- *) DaS Wort ist im Original fettgedruckt. *) Aehnlich, nicht ganz so. Die französischen   Garden riefen den ihnen > in Schlachtordnung gegenüberstehenden englischen Garden zu:Schießt ' Ihr zuerst, dann kommen wir!" akte zu verüben, versetzte man dem Ansehen der sächsischen Rezierunz einen schweren Stoß und brachte sie in gewaltsamen Gegensass zu der Majorität der Einwohner. Herrn Bierey von denDresdener Nachrichten" scheint nachträglich ein Dämmerlicht über den preußischen Macchiavellismus, d« sich auch in der Sozialistenhatz bethätigt hat, aufgegangen zu sein. Leid» ists zu spät. Die Sozialdemokraten laboriren nicht an Gedächtnißschwäche- Die Nationalliberalen fruktifiziren schon den C h e m- nitzer Prozeß in der von uns vorausgesehenen Weise; sie wolll» der Regierung verschärfte Strafgesetzparagraphen natürlich unter Beibehaltung eines Theils des Sozialistengesetzes a?' portiren. Der Kautschuk Politiker G n e i st, die juristische und staati- rechtliche Egeria der Nationalliberalen, hat sich in diesem Sinn ausge- sprachen, und dieNationalliberale Korrespondenz", das offizielle Organ derPartei", ist bereits kräftig an der Arbeit. Das Einzige, was di« realpoliiischen Herren noch befangen macht, ist, daßman noch keim Kenntniß von den Absichten der Regierung hat" natürlich eine v»' zweifelte Lage für die nationalliberalen Bauchrutscher. Jedenfalls wird der Fortschrittler Hänel Gelegenheit bekommen, bei der g» planten neuen Knebelakte, derengeistiger V a t e r" er durch seinen berüchtigten Antrag ist, als Geburtshelfer mitzu- wirken. Kostbar ist die Angst desLeipziger Tageblatts", das sich sogar>» einer halben Revolution gegen sein offizielles Parteiorgan aufrafft. Wir sind", so stöhnt es,was uns anbetrifft, der Ansicht, daß das Sozialistengesetz im Interesse einer gedeihlichen Entwicklung unseres öffentlichen Lebens noch auf lange Jahre hinaus(warum nichi in alle Ewigkeit?) nicht entbehrt werden kann. Das Gesetz hat sich als unbedingt heilsam erwiesen, und es wäre zu wün- schen, daß eine möglichst korrekte Handhabung desselben überall die Orb- nungsparteien in ihrem Kampfs gegen die Ilmsturzpartei unterstützte. Diejenigen aber, welche dem Gesetz widerstreben, mögen sich nur in die Theile des Reiches begeben, welche als notorische Herde der Sozial- demokratie bekannt sind, und da Erfahrungen sammeln, um ihr Urtheil einem thatsächlich vorhandenen Nothstande gegenüber zu prüfen." DieErfahrungen" in Sachsen   würden allerdings zeigen, daß nach Aufhebung des Sozialistengesetzesdie nationalliberale Partei Sachsens  " ihr Bündel schnallen kann. Der Schmerz desTageblatt" ist also nicht ganz ohne. Es lebe der Fortschritt! Vergangene Woche wurde in Preußen wieder einmal gehörig geschweifwedelt. Mau feierte väm- lich das zweihundertjährige Jubiläum eines seltenen Ereignisses, nämlich eines Akts hohenzollerischer Hochherzigkeit. Am 29. Oktober waren es 200 Jahre, daß der Kursürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg  , der sogenannte große Kursürst, durch das Edikt von Potsdam  die infolge der von Ludwig XIV.   verfügten Aufhebung des Edikts von Nantes   in Frankreich   rechtlos gewordenen Hugenotten zur Nieder- lassung in die Mark Brandenburg einlud. Wären die um ihrer Religion willen Verfolgten Katholiken und arme Teufel gewesen, so würde man in der That von einem Akt hochherziger Gerechtigkeitsliebe reden können, da es sich aber um Protestanten, und zwar zum Theil sehr wohl- habende Protestanten handelte, und da serner die Mark Brandenburg damals noch ungeheuer an der durch den dreißigjährigen Krieg hervor- gerufenen Entvölkerung litt, so qualifizirt sich dieses berühmte Potsdamer   Edikt lediglich als der Ausfluß einer wohlberechneten Hausmachtspolitik. Von Duldung und Humanität kann dabei gar nicht die Rede sein. Waren somit die Motive, aus welchen denRefugies  " ein Asyl geboten wurde, keineswegs so edel, wie man sie hinzustellen liebt, so waren doch die Folgen dieses Aktes in der That überaus günstige für die Mark Brandenburg, und speziell für Berlin  . Die Franzosen haben einen ganz bedeutenden Einfluß auf die Entwickelung der gewerblichen Verhältnisse der Hauptstadt auegeübt, sie wirkten auch günstig auf den Geist der Be- völkerung ein, kurz, fanden die Hohenzollern   ihre Rechnung, so fand sie in diesem Falle das Land auch. Und so könnte inan sich mit der- kularfeier innerhalb gewisser Grenzen allenfalls einverstanden erklären, wenn nicht die Ausweisungsdekrete Puttkamero einen lauten Protest dagegen einlegten. Zweihundert Jahre nach dem fa- mosen Potsdamer   Edikt steht die damals gastfreundliche Hauptstadt unter dem Bann des kleinen Belagerungszustandes. Die Existenz von fechszig- tausend Einwohnern der Stadt hängt von der Gnade, das heißt von der Laune der Polizei ab, ein jeder von ihnen muh jeden Tag gewärtig sein, mit einem Äusweisungsdekret bedacht zu werden. Und zu dem Ge- setz gegen die mißliebige Partei kommt das brutale Vorgehen gegen die mißliebige Nationalität: die allen Begriffen von Humanität schnöd« ins Gesicht schlagenden Polenausweisungen. Daß den Rednern, welche die Toleranz des Hohenzollernhauses in den Himmel erhoben, nicht das Wort im Munde stecken geblieben ist! Zehntausend Polen   aus ihrer Existenz gerissen, von ihren Angehörigen getrennt, rücksichtslos über die Grenze gejagt, das ist die Signatur des Jahres 1885 in Preußen. Dagegen war die That des Jahres 1685 aller- dings ein Akt außerordentlicher Hochherzigkeit. Was nicht zweihundert Jahre Kulturfortschritt thun! Unter allgemeinerTheilnahmlosigkeit fanden am 29. Oktober in Preußen die Wahlen zum Landtag statt. Die Wahl geschieht nach dem elenden Dreiklassenwahliystem, und da sie obendrein öffentlich ist, so nimmt, wie gesagt, die Oeffentlichkeit an derselben keinen Antheil. Mit Ausnahme von einigen Städten, wo die Hauptparteien sich erbittert rauften, war die Wahlbetheiligung überall schwächer als je, und ganz besonders in der dritten Klasse. In vielen Wahlbezirken ist es vorgekommen, daß von der dritten, der zahlreichsten Wähler- klaffe, nicht e i n Wähler erschien! Jammervoll wie das Wahlsystem war auch der Wahlkampf. Bon rechts bis links feilschte man um Kompromisse hier Freisinnige mit Nationalliberalen gegen Konservative, dort Konservative mit National-! liberalen gegen Freisinnige, hier Freisinnige und Uitramontane gegen Nationalliberale, und in Frankfurt am Main   setzten die Deutschfreisinni- gen ihrer Gesinnungstüchtigkeit die Krone auf und verbanden sich mit den Nationalliberalen gegen den einzigen und obendrein ach, so z a h- m e n! Demokraten des preußischen Landtages. Em wahrer Saustall, diese Dreiklassenwahl. Das Wahlresultat weist nur geringe Veränderungen gegen die bis- herige Zusammensetzung der Parteien auf. In der Aera der Wilhelm- Bismarck  'schen Erlasse beim preußischen Wahlsystem neue Wahlkreise für die Opposition erobern zu wollen, ist Wahnsinn; die Freisinnigen hatten alle Mühe, ihre bisherigen Plätze zu halten. Sie werden etwa um ein ganzes Dutzend Abgeordnete schwächer in den Landtag einziehen, d. h. um vier Dutzend zu viel. Von Rechtswegen gehört da gar keine Oppo- sition hinein. Die Sozialdemokratie hat sich überall der Wahl enthalten. Ein Wahl- system, das uns von vornherein auf den Stimmenschacher anweist, ist für uns gerichtet. Wie Rußland   auf dem Balkan intriguirt. Ein gewöhnlich sehr gut unterrichteter Belgrader   Korrespondent derKölni- schen Zeitung" schreibt derselben über die Rolle, welche zur Zett monte- negrinische Einwanderer in Bulgarien   spielen: In der That soll die starke montenegrinische Einwanderung, die sich angeblich im vorigen Jahre auf etwa tausend Familien belief, der bulgarischen Regie, ung hier und da einige Unruhe bereitet haben. Mun erinnert sich, daß mitunter der Herrscher der schwarzen Berge oder sein Schwiegervater Peter Karageoraewitsch als K a n d i- dat Rußlands   für den unerledigten bulgarischen Thron bezeichnet wurde. Grade angesichts solcher Andeutungen, die möglicherweise von den beidw, würdigen Kandidaten selbst ausgehen, ist es interessant, auf den Ursprung dieser Auswanderung näher einzugehen. Ihr Berichterstatter nahm Veranlassung, in unauffälliger Weise durch einen zuverlässigen Mann hier und da bei den m Bulgarien einwan- dernden Zügen von Montenegrinern nach den Gründen forschen zu lassen, welche sie bewogen, dem Vaterlande den Rücken zu wenden. Da lautete denn die Antwo-t mit ziemlicher Uebereinstimmung dahin, daß die Leute kurzweg zur Auswanderung nach Bulgarien   befohlen worden waren. Manche von ihnen waren für Montenegro sehr bemittelt, erhielten aber ohne Angabe des Grandes die Weifung, ihren Grundbesitz sofort zu veräußern und mit ihren Angehörigen nach Bulgarien   zu gehen. Monte- negro»st ein autokratisch regiertes Ländchen. Da wurde ohne weiteres