1 t Jury, die zu diesem Zweck zusammengesetzt worden war. Ich klage den Staatsanwalt und Bonfield einer niederträchtigen Verschwörung an. Morde zu begehen. Ich will hier einen kleinen Zwischenfall anführen, der vielleicht Licht aus die Sache werfen mag. Am Abend der Heumarkt- Versammlung, gegen 5 Uhr, traf ich einen jungen Mann- Namens Kirch- ner und derselbe verließ mich nicht, bis ich ein paar Sekunden vor der Explosion vom Wagen sprang. Er wußte, daß ich an jenem Abend Schwab nicht gesehen hatte und keine solche Unterredung mit ihm führen konnte, wie Thompson aus agt-, wußte, daß ich kein Streichholz anzün- dete und die Zündschnur der Bombe nicht in Brand setzte. Er ist kein Sozialist und kein Anarchist. Warum hat man nun diesen wichtigen Zeugen nicht vorgeführt? Einfach deshalb, weil die ehrenwerthen Ver- treter des Staats, Grinnell und Bonfield, dafür sorgten, daß er aus der Stadt verschwand. Sie wußten, seine Aussagen würden Thompson und Gilmer als Meineidige entlarven. Ich will Bezug nehmen auf die Aussagen unserer Zeugen. Die Lohnarbeiter begannen, Dinge zu sagen, welche unseren kapitalistischen Patriziern nicht gefielen. Sie dachten, acht Stunden Arbeit sollten genug sein.Man" fühlte, der Plebs müsse stille gemacht werden. Bonfield war der Mann, diesen Wunsch der Bürger- Assoziation auszuführen; Bonfield, dessen Visage, man nur zu sehen braucht, um sich vor ihm zu hüten. Er war der Mann, die Arbeit aus- zuführen. Hätte ich die Bombe geworfen, oder wüßte ich, wer es that, ich würde nicht zögern, es zuzugeben. Dies, Ew. Ehren, ist ein Grund» warum ich in diesemHof der Gerechtigkeit", wenn diese Bezeichnung auf dieses Gericht angewendet werden darf, nicht zum Tode verurtheilt werden sollte. Ich erinnere mich, daß die Chicagoer Tribüne" vom 23. Februar 188S einen langen Artikel enthielt über Dynamitbomben, welche gegen rebellische Arbeiter verwendet werden sollten. Warum hat man nicht den Redakteur derTribüne" wegen der Empfehlung des Dynamits prozessirt, denn das ist Alles, was dieArbeiter-Zeitung " gethan hat. Und warum ist nicht der Redakteur derDaily News" prozessirt wor- den? In seiner Zeitung war die Fabrikation von Bomben lang und breit auseinandergesetzt und eine derselben wurde in seinem Besitz ge- sunden. Dies, Ew. Ehren, ist ein anderer Grund, warum das Todes- urtheil nicht gegen uns gefällt werden sollte. Ich bin so lange als Grinnell ein Einwohner dieser Stadt gewesen, und ein mindestens ebenso guter. Er hat an den Patriotismus der Jury appellirt, ich will ihm mit den Worten eines englischen Staatsmannes antworten:Der Patriotismus ist die letzte Zuflucht eines Schurken." Das Lohnsystem ist die Wurzel aller gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten. Ungerechtigkeiten so ungeheuerlich, daß sie zum Himmel schreien. Grinnell hat uns mitgetheilt, daß der Anarchismus vor Gericht stand und pro- z-ssirt wurde. Der Anarchismus ist eine Weltanschauung und auf dem Heumarkt ist kein Wort davon gesagt worden. Aber wenn der Anarchis- mus prozessirt wurde, so sage ich stolz: Ich bin ein Anarchist. Sie können,«hrenwerther Richter, Ihr Urtheil über mich fällen, aber laßt es der Welt wissen, daß trotzdem im Jahre l38ö im Staate Illinois acht verurtheilte Männer ihren Glauben an den Fortschritt der Mensch- heit nicht verloren haben. Es ist die alte, alte Frage. Durchblättert die Geschichte von Griechenland und Rom , und Ihr werdet darin denselben Kampf geschildert finden, den Kampf der Entrechteten gegen das Privi- legium, der Armen und Unterdrückten gegen ihre Herrscher, die Reichen und Unterdrücker. Ehrenwerther Richter, die Dämonen der Hölle werden einstimmen in das Gelächter, welches Eurem Urtheil folgen wird. Wenn die Entscheidung dieses Gerichts Gesetz werden soll, dann gibt es keinen Menschen mehr in diesem Lande, der nichtgesetzlich" gehängt werden kann. Jeder, der in diesem Lande eine Meinung äußert, könnte der Verschwörung oder des Mordes überführt werden. Jedes Mitglied der Trades Unions, Knights of Labor oder irgend einer anderen Organisa- tion kann der Verschwörung überführt werden. Wenn Sie diese Ent- scheidungen in Wirksamkeit setzen wollen, dann werden Sie verantwort- lich sein für das Blut, das vergossen werden wird und auf Ihr Haupt wird das unschuldige Blut kommen. Eine Anzahl Polizisten sind umge- kommen; Ihr verlangt Leben um Leben, sagt Grinell, und Ihr habt eine gleiche Anzahl von Männern verurtheilt, von denen in Wahrheit nicht gesagt werden kann, daß sie mit dem Tödten der Opfer von Bon- field's Ordre'-) etwas zu thun hatten. Dieses System der Justiz kann unter verschied nen wilden Völkern und Stämmen gefunden werden. Der Wilde entschädigt sich für ihm zugefügte Unbilden dadurch, daß er an seinem Feinde Aehnliches verübt. Es kommt ihm nicht viel daraus an, daß die Strafe den Verüber trifft, wenn er nur Zahn um Zahn, Leben um Leben erhält. Wenn wir auf Grund solcher Prinzipien gehängt werden sollen, dann sagt es auch offen, laßt es die Welt wissen, was die Justiz ist in diesem zivilistrten und christlichen Lande, in dem die Jay Goulds, die Vandcrbilts und der Rest sich als die Besitzer und Retter des Gesetzes aufspielen. Grinnell hat oft gesagt, unser Land sei ein aufgeklärtes, nun, er mag sich dies merken: Wenn der Herr Staatsanwalt und Ew. Ehren glauben, daß Sie durch die Ausführung dieses Wahrspruchs die Arbeiterbewegung zertreten können, dann haben Sie keinen Begriff von der Macht dieser gewaltigen Bewegung, von welcher die unterdrückten und elenden Kinder der Arbeit Abhülfe erhoffen. Sie löschen ein paar Funken, und wissen nicht, wo die Flammen im nächsten Augenblick herausschlagen werden. Es ist ein unterirdischer Brand, den Sie nicht überwältigen können, der Grund und Boden unter Ihren Füßen glimmt und brennt. Sie wollen die Verschwörung zertreten? Sie gleichen dem Kinde, das hinter dem Spiegel nach seinem Bilde sucht. Was Sie in unserer Bewegung sehen und was Sie zu erfassen wähnen, ist nur das Spiegelgebilde Ihrer schlechten Gewissen. Wollt Ihr die Verschwörung und die Agitatoren zerstampfen, dann müßt Ihr jeden Fabrikherrn zertreten, der seinen Reichthum angehäuft hat aus der unbezahlten Arbeit seiner Bediensieten, müht den Landlord vernichten, der sein Geld aus unterdrückten Tage- löhnern und ausgesogenen Pächtern zieht. Ihr wißt, daß ein paar Men- schen die Arbeitsmittel eignen, die riesigen Maschinen, aus denen sie Reichthum münzen, indem sie die Leben kleiner Kinder opfern, während kräftige Männer müßig gehen und hungern. Aber stampft und zertretet, was Ihr wollt, wir schreiten vorwärts, nicht zurück. Ihr und Niemand kann der steigenden Fluth Halt gebieten. Ein Geistlicher sagte mir in einer Versammlung vor meiner Verhaftung:Ihr orgamsirt eine Revolution!" Ich antwortete ihm: Eine Revolution kann nicht gemacht, nicht organi- strt werden. Sie ist so wenig ein Werk der Menschen, wie es Orkane oder Erdbeben sind. Wir wissen nur, daß wenn die Bedingungen einer Revolution vorhanden sind, sie kommen wird ohne unser Zuthun. Sieht das aus, als ob ich mich mit dem Gedanken trug, daß am I.Mai oder 4. Mai Gewalt angewandt werden sollte?" ... Ihre Entscheidung, unsere Schuldigsprechung sind nichts als Willkür- akte. Wahr ist, daß die Rechtswissenschaft keinen Präzedenzfall dieser Art kennt. Wahr ist, daß wir das Volk aufforderten, sich zu bewaffnen. Wahr ist, daß wir wieder und wieder verkündet haben, der große Tag für eine Benderung der Dinge nahe heran. Wir wünschten kein Blut- vergießen, denn wir sind keine Bestien. Wir wären keine Sozialisten» wenn wir Bestien wären. Unser Menschlichkeitsgefühl trieb uns in diese Bewegung zur Emanzipation der Unterdrückten und Nothleidenden. Wahr ist, daß wir das Volk aufgefordert haben, sich zu bewaffnen, sich vorzubereiten für den kommenden Tag. Das scheint der Grund zu sein, auf welchen hin das Verdikt aufrechterhalten werden soll. Wenn aber eine lange Reihe von Usurpatoren, die unverrückbar daffelbe Ziel im Auge haben, die Absicht verrathen, das Volk unter absoluten Despotismus zu zwingen, dann ist es des Volkes Recht, ist eS seine Pflicht, eine solche Regierung abzuschütteln und neue Posten für seine künftige Sicherheit auszustellen." Dies ist ein Zitat aus der Unabhängigkeits- Erklärung. Haben wir irgend welche Gesetze übertreten, indem wir dem Volke zeigten, daß diese Usurpatoren, welche in den letzten 20 Jahren an die Oberfläche gekom- men sind, fortwährend ein Ziel verfolgt haben, nämlich das: eine Oli- garchie in diesem Lande zu errichten, so stark, so mächtig, so ungeheuer- lich, wie sie je in einem Lande gewesen ist? Ich begreife sehr wohl, weshalb der Mensch Grinnell nicht in die Grand Jury gedrungen isi, uns des Hochverrathes anzuklagen. Ich ver- stehe das genau. Ihr könnt nicht versuchen, einen Mann dieses Ver- brechen« zu überführen, der die Konstitution aufrecht erhalten hat gegen Diejenigen, welche sie mit Füßen treten. Das wäre kein so leichtes Stück Arbeit gewesen, Mr. Grinnell, als diese Leute des Mordes zu beschuldigen. *) Es ist der Befehl zum Dreinhauen gemeint.

Zum Schluß nun: dieses sind meine Ideen. Sie bilden einen Theil meiner selbst. Ich kann mich nicht von ihnen trennen, und wenn ich es könnte, würde ich es nicht wollen. Wenn Sie glauben, diese Ideen, welche täglich mehr Boden gewinnen, vernichten zu können, indem Sie uns an den Galgen schicken wenn Sie noch einmal Leute dasür die Todesstrafe erleiden lassen wollen, daß sie die Wahrheit zu sagen wagten, dann haben wir nichts mehr zu sagen. Wir haben nichts als die Wahr- heit gesagt. Ich kann es kühnlich abwarten, daß Sie versuchen sollten, uns einer Lüge zu zeihen. Wenn Sie diese Ideen ausrotten, die Wahrheit unterdrücken zu kön­nen vermeinen, dann mögen Sie dem Henker rufen und mich und meine Freunde demselben übergeben. Ich werde stolz und trotzig für die Wahrheit sterben, wie es so viele Märtyrer gethan haben, wie es So- krates, Christus, Huß, Giordano Bruno , Gallilei und so viele Andere gethan haben. Sie sind uns auf diesem Pfade vorausgegangen, wir sind bereit zu folgen."

Sozialpolitische Rundschau.

Zürich , 3. November 138K. Armer Puttkamer! Die Erklärung in Nr. 43 unseres Blattes paßt ihm gar nicht, sie droht, ihn in seiner liebsten Gewohnheit schwer zu beeinträchtigen. Und so muß denn Pindter heran und dieselbe in derNordd. Allgemeinen" im Puttkamer'schen Sinne um interpretiren. Auf die wörtliche Mittheilung unserer Erklärung verzichtet er, weil sie von Beleidigungen für die deutsche und preußische Regierung und besonders den Herrn Minister des Innern sPutty) strotzt." Warum plötzlich so blöde, holde Tugend? Das war doch früher nicht. Nur Geduld, alles hat seine Gründe. Der Inhalt der Erklärung des Herrn Conzett", fährt nämlich da« Berliner Oberreptil fort,geht aber dahin, daß durch die Erklärung der Fraktion das Verhältniß der letzteren zumSozialdemokrat" zwar der Form nach geändert sei, der Sache nach jedoch unverändert bleibe. Die Verantwortlichkeit für den Inhalt desSozialdemokrat" wird also die Partei auch in Zukunft kaum ablehnen können." Da haben wir's, ob wir offiziell sind oder nicht, die Partei bleibt für uns verantwortlich, denn derSozialdemokrat" hat erklärt, nach wie vor den Interessen der Partei dienen zu wollen. Das ist Pindter- oder Pindar -(denn Seine Exzellenz dichtet bekanntlich in ihren Muße- stunden) Puttkamer'sche Logik. Schade nur, daß sich damit vor keinem Gericht, vor keinem urtheilssähigen Publikum etwas ansängen läßt. Für deutsche Richter und PolUiker kommt die Erklärung der sozialdemokra- tischen Fraktion in Betracht, und an der läßt sich einfach nicht drehen noch deuteln. Uebrigens, menschlich gesinnt, wie wir nun einmal sind, autorisiren wir hiermit Herrn Puttkamer , auch fürderhin soviel und so schön, als er es nur vermag, im deutschen Reichstage aus unserem Blatte vorzu- lesen. Den sozialdemokratischen Abgeordneten wird es Vergnügen machen und uns ersetzt es eine Agltationsnummer. Also trösten Sie sich, Exzellenz, zwischen unS bleibt in der That das Verhältniß unverändert. Denn ich bin groß und Du bist klein. Wenn nicht noch die nächsten Tage eine Aenderung der Situation bringen, so wird Ruß- land trotz derBlamage" des Schandbuben Kaulbars in allen Punkten in Bulgarien seinen Willen durchgesetzt haben Dank dem jammer- vollen Verhalten der europäischen Diplomatie. Nie ist ein Volk im Kampf um seine Selbständigkeit schmählicher verrathen worden als das bulgarische, verrathen worden von denen, welche das höchste Interesse daran hatten, ihm zu helfen. Vollkommen wehrlos stand die bulgarisch - Regierung dem zaristischen Hetzapostel gegenüber, der mit einer Scham- losigkeit sondergleichen im Lande die Auflehnung gegen die gesetzmäßige Regierung predigen er, der Vertreter der absolutistischsten aller Regie­rungen! und Blutszenen provoziren durfte wie die von D u b n i tz a, die an Entsetzen ihres Gleichen in der Geschichte suchen. Anfangs wagten die bulgarischen Patrioten, ihm wenigstens passiven Widerstand entgegen- zusetzen, seitdem sie sich aber haben überzeugen müssen, daß sie auf keinerlei Hülfe von Seiten irgend einer Großmacht zu rechnen haben, geben sie Schritt für Schritt nach, um immer unverschämter mit Fußtritten rega- lirt zu werden. Schon sind die verrätherischen Offiziere freigelassen, welche den Putsch gegen den Battenberger geleitet denn Väterchen wollte es so und Bismarck unterstützte ihn dabei. Die beiden Haupt- Vertreter des monarchischen Prinzips als Unterstützer der Rcbel- lion gegen einen rechtmäßig regierenden Fürsten; so widerlich das Schauspiel an sich, so lehrreich ist es doch auch zu- gleich für die Völker, die gegebenenfalls hoffentlich die Konseque n- zen solch erlauchter Beispiele ziehen werden. Verfolgt man die Rolle, welche Kaulbars in Bulgarien gespielt, so bietet sie«ine frappante Analogie nnt der Rolle des Geßler gegenüber der Eidgenossenschast. Freilich gehört der übermüthige Landvogt wie sein Geaner Tell nur der Sage an, die Geschichte weiß weder von dem einen noch von dem andern, aber Tell mit seiner befreienden That ist nicht nur in das Bewußtsein des schweizerischen Volkes übergegangen und hat in ihm Leben und Gestalt gewonnen, in der ganzen Welt feiert man ihn und preist seine That. Hätte aber ein Bulgare es gewagt, durch einen kühnen Schuß sein Land von Geßler-Kaulbars zu befreien, wie Wenige hätten den Muth gehabt, ihm öffentlich Beifall zu zollen, wenn sich die Meisten auch im Stillen höchlichst darüber gefreut hätten. Das ist eben die Heuchelei unseres ausgeklärten Jahrhunderts, daß Gewalt unv Mord nur dann gutgeheißen werden, wenn sie von oben geübt werden, und man sich höchstens einmal dazu herbeiläßt, über eine offenkundige Vergewaltigung entrüstet zu deklämiren. Was solch- schwindsüchtige Ent- rüstung nützt, hat der trotz so vielermoralischer" Niederlagen erlangte Sieg des großen Rußland über das kleine Bulgarien bewiesen. Wieder einmal hat die Macht, die nackte, brutale Gewalt über das Recht gesiegt. Aber wie für das Blutbad von Plewna die Sühne nicht ausblieb, so wird auch die Vergewaltigung Bulgariens gesühnt werden. Auch eineIdiosynkrasie". Der geniale Otto hat an den Berliner Magistrat, der ihm die von den städtischen Behörden Berlins zum N at u r f o rs ch e r< K o n g r herausgegebene Fest- schrift übersandt, geantwortet, er fühle sich zwar durch das Geschenk sehr geehrt, bedaure aber, von seinem Inhalt nicht Kenntniß nehmen zu können, da ergrundsätzlich in deutscher Sprache verfaßte Werke nicht lese, wenn dieselben mit lateinischen Lettern gedruckt seien". Die Ber - linerVolkszeitung" findet in dieser Gepflogenheit des großen Mannes die Erklärung für feine phänomenale Unwissenheit in Bezug auf den modernen Sozialtsmus. Wir hielten eS," schreibt das fortschrittliche Blatt witzig,für un- möglich, daß der Staatsmann, welcher sich die Vernichtung der Sozial- demokratie zur obersten Lebensaufgabe gesetzt hat, nicht einmal das grund- legende Werk der sozialdemokratischen Weltanschauung gelesen haben sollte; wir hätten eS für vermessen gehalten, daran zu zweifeln, aber jetzt liegt die Lösung des Räthsels vor unS: dasKapital" von Marx Nie- mand kann es bestreiten ist mit lateinischen Lettern gedruckt und solche Werke liest Fürst Bismarck grundsätzlich" nicht. Oder ein an- deres! Wer sich erinnert, daß vor anderthalb Jahrzehnten der national- liberale Professor Lujo Brentano einen Lehrstuhl an der Breslauer Hoch- schule erhielt, weil er in zwei dicken Bänden nachgewiesen hatte, daß ohne Koalitionsfreiheit und Arbeiterschutzgesetzgebung niemals an eine vernünftige Sozialreform zu denken sei, wird sich immer gewundert haben, wie dennoch Fürst Bismarck ein so abgesagter Gegner der Kyali- tionSfreiheit und Arbeiterschutzgesetzgebung sein kann. Jetzt ergreift uns eine bang» Ahnung; wir nehmen Brentano'«Arbeitergilden" au« un- serem Bücherschrank und siehe!, sie sind mit lateinischen Lettern ge- druckt und Fürst Bismarck liest siegrundsätzlich" nicht. Um nach der Tragik aber auch die Komik zu ihrem Rechte kommen zu lassen, so er- innere man sich, mit welcher tiefsinnigen Miene Professor Adolf Wagner sich als sozialpolitischen Mentor des Reichskanzlers hinzustellen liebt, wie er mit dem Finger an der Nase dozirt, daß er und Fürst Bismarck mannichfach" übereinstimmen undmannichfach" von einander abweichen. Aermster aller Wagner, die sich je einem unternehmbaren Faust ver«

schrieben haben! Verhüllen Sie Ihr Haupt und trollen Sie sich in Ihr Kämmerlein. IhrHauptwerk" ist ja mit lateinischen Lettern gedruckt und Fürst Bismarck liest Siegrundsätzlich" nicht." Die Benutzung der lateinischen Lettern nicht nur für den Druck wissen« schaftlicher Werke, sondern auch sonst in Druck und Schrift wurde seiner- zeit ganz besonders lebhaft befürwortet von den Gebrüdern Grimm , diesen berühmten Sprachforschern, denen selbst der fanatischste Urgermane keine undeutsche Gesinnung vorwerfen kann. In allen romanischen Län- dern, in England, in Holland , Schweden k. eingeführt, eignet sich das lateinische wie kein zweites zum internationalen Schriftsystem. Wenn ein Proletarier, der nur unsere jammervolle Volksschule besucht, sich mit den lateinischen Buchstaben schlecht zurechtfindet, so ist das de- greiflich und entschuldbar, wenn aber ein Mann, der das Gymnasium absolvirt, in Paris rc. gelebt hat, erklärt, er lese deutsche Werke in latei- Nischen Letterngrundsätzlich" nicht, so verräth das eine Beschränkt- heit, die ihresgleichen nur noch in Rußland findet. In diesem gesegneten Lande sträuben sich die maßgebenden Elemente ebenfalls mit aller Energie dagegen, daß selbst wissenschaftliche Werke anders als mit den, jedem Nichlrussen das Lesen erschwerenden russisch -zyrillischen Lettern gedruckt werden. Man bildet sich ein, so die Besonderheit der politischen und sozialen Verhältnisse Rußlands besser erhalten zu können. So doku- mentirt sich auch in dieser Hinsicht Bismarck als der stlavische Nachbeter ruffisch-asiatischer Sitten. Ein OrdnungSmann, wie er im Buche steht. DerFrank- furter Zeitung" schreibt man aus Essen : Der seitherige Bürgermeister im benachbarten A l t e n e s s e n, Herr Pean, beantragte kürzlich seine Pensionirung, und zwar aus Gesundheitsrücksichten; er legte auch ein Physikats-Attest vor, das ihm Krankheit bescheinigte. An Pension stand ihm der Betrag von 1643 Mk. zu, welche Summe jedoch, da Herr Pean kein Vermögen besitzt, freiwillig auf 1 8 0 0 Mark erhöht wurde. Der kranke Herr Bürgermeister hat sich mit der Pension aber nicht etwa zur Ruhe gesetzt, sondern übernahm, als er kaum ausgetreten war, die mit 7 5 0 0 M k. dolirte Stellung eines Direktors der Knapp- fchafts-Berufs-Genossenschaft Sektion Bochum . Da man nicht annehmen kann, die Sektion werde einemkranken Mann" ein so hoch dotirtes Amt übertragen haben, so muß es mit der Krankheit wohl nicht weit her sein. In der Bürgerschaft Altenessens wird nun lebhaft dafür agitirt, die Auszahlung der Pension an Herrn Pean einzu- stellen." Nicht wahr, ein recht gewissenhafter Beamter, dieser Herr Pean? Man kann der Bochumer Knappschafts -Berufs-Genossenschaft zu dieser schätzbaren Acquisttion nur gratuliren. War es doch auch Herr Pean, der vor einigen Jahren einen armen Handwerksburschen, der allerdings keine Pension von 1800 Mk. bezog, hatte zu Tode peitsche« lassen! So wenig aber damals«in Staatsanwalt sich fand, der gegen Herrn Pean eingeschritten wäre und Sühne für den gemordeten Prole« tarier verlangt hätte, so wenig werden die maßgebenden Herren in Bochum sich in Bezug auf den von ihnen ernannten Direktor beirren lassen durch seine Aufführung gegenüber der Stadt, für deren Wohl zu wirken er gelobt. Denn gerade dieSchneidigkeit" gegenüber dem Richtsthuer" hebt sein Verdienst in ihren Augen. Leute, die keine Pension haben und arbeitslos sind, verdienen die Peitsche. Und dann ist Herr Pean ein Mann derOrdnung". Als er letzten Sommer vor Gericht stand, um in einem Meineidsprozeß wider den Gast« wirth Kellersohn als Zeuge über den Leumund des Angeklagten auszu- sagen, da trat er vor und erklärte, daß er den Kellersohn als einen ehrenhaften Bürger keni e, der auch bei patriotischen Ge- legenheiten stets voran sei. Mit anderen Worten heißt das: Kellersohn ist ein Regierungsanhänger, folglich sprecht ihn frei, Ge- schworne! Er ungue leonorn dieses eine Wort charakterisirt den Mann. Wie heißt es doch in der Spies'schen V-rtheidigungsrede? Der Patrio- tismus ist die letzte Zuflucht eines Schurken! Aber der Schurke bezieht einstweilen 7500 Mk. Gehalt, 1800 Mk. Pension und ist 200 Pfund schwer. Er hat sich eben im Kampfe ums Dasein als der Fähigere erwiesen wie der manchesterliche Dar« winist sagen würde. Und so ist alles zum Besten geordnet in dieser besten aller möglichen Gesellschaften. r. In den Ver-e inigten Staaten, wie überall, sucht das internationale Kapital, während es von den Arbeitern verlangt, daß sienational" fein sollen, aus aller Herren Ländern billige Arbeits- kräfte zu importiren, um die Löhne der einheimischen Arbeiter zu drücken. Welche Rolle die Chinesen und hier und da bei Bauten die Jta- l i e n e r in Amerika spielen, ist bekannt. Nicht so bekannt ist, daß auch Franzosen in dieser Beziehung dem internationalen Kapital hervor- ragende Dienste leisten. In der Fabrikstadt Manchester , New-Hamp- shire(mit 45,000 Einwohnern), besteht z. B. die Hälfte der Arbeiter aus Franzosen, und während die Deutschen und Jrländer mit den ein- heimischen Arbeitern gemeinschaftliche Sache machen, sind es die dort arbeitenden Franzosen, welche durch ihreBedürsnißlosigkeit" die Löhne herabdrücken, und denBosses" gegen die übrigen Arbeiter beistehen. Es sind das keine neuerdings aus Frankreich eingewanderten Arbeiter, sondern kanadische Franzosen, zum Theil mit indianischem Blut in den Adern Leute, die von den modernen Ideen nicht berührt worden sind, mit unglaublich niedrigen Löhnen vorlieb nehmen und sich jede Arbeitszeit gefallen lassen. Sie sprechen ein veraltetes und auch meist sehr unreines Französisch und lesen, da es in und um Manchester keine französischen Zeitungen gibt, und sie kein englisch verstehen, gar keine Zeitung. Viele können auch gar nicht lesen. Der letzte große Streik in Manchester scheiterte an den Franzosen. Wir machen unsere franzS« fischen Genossen in Frankreich auf diese Thatsache aufmerk« sam; es eröffnet sich da für sie ein fruchtbares Arbeitsfeld, und wir sind überzeugt, ein paar leichtfaßliche Flugblätter in franzö« sischer Sprache würden von guter Wirkung sein; diejenigen, welche nicht lesen können, würden durch ihre gebildeteren Kameraden und Lands- leute von dem Inhalt unterrichtet werden. Inzwischen nimmt die Arbeiterbewegung in Amerika einen immer zielbewußteren Charakter an, und es unterliegt keinem Zweifel, daß die Agitationstour unserer europäischen Genossen dabei nicht ohne heilsamen Einfluß ist. Die Vorträge unserer Genossen, die anfangs von der anglo-amerikanischen Presse sehr stiefmütterlich behan- dclt, und zum Theil in arg entstellter Form wiedergegeben wurden, er- regen mehr und mehr Aufmerksamkeit und der Inhalt dringt in immer weitere Kreise. Henry Georg e's Wahlreden gewinnen von Tag zu Tag an Schärfe und Klarheit. Es zeigt sich hier wieder einmal recht deutlich die erzieherische Wirkung einer gesunden Wahlagitation. Die Logik der Thatsachen macht sich unwiderstehlich geltend. In seinen letzten Reden wendet Henry George sich direkt gegen den Kapitalismus und bekämpft das herrschende Produktionssystem, welches die eigentlichen Schöpfer des Reichthums zur Armuth verdammt, und den Reichthum in die Taschen von Leuten bringt, die ihn nicht verdient haben. Sc spricht die Ueberzeugung aus, daß Amerika eine ähnliche Revolution wie die französische werde durchmachen müssen, um die Dreieinigkeit der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" zu verwirklichen. Es mag on dieser Devise ja heutzutage manches auszusetzen sein, und man mag für den heutigen Tag eine schärfere Formulirung wünschen, allein es darf nicht außer Acht bleiben, daß Völker mit eingewurzelter politischer Frei« heit sich langsamer zu sozialem Radikalismus bekehren, als Völker, denen die sozialen Mißstände durch ein despotisches Regiment fühl- und greifbarer gemacht werden. Ein unabhängig demokratisches Blatt, die New-IorkerWorld", welche die Kandidatur Henry George's ziemlich sympathisch behandelt, meint, stattBrüderlichkeit" hätte er lieber sagen sollen:E i g e n t h u m" alsoFreiheit, Gleichheit und Eigenthum" denn es gebe doch auch ehrlich erworbenes Eigenthum. Nun wenn esEigenthum für Alle" hieße, dann könnten wir uns mit der Ver« besserung zur Roth einverstanden erklären. Der Sozialismus will ja das Eigenthum nicht abschassen, sondern es zum Gemein gut Aller machen, die arbeiten und Reichthum erzeugen, und den Schmarotzern das Hand' werk legef, die heutzutage das Eigenthum der Arbeiter in die Tasche stecken. Die Begeisterung der Arbeiter für die Kandidatur George'« ist>n fortwährendem Wachsen begriffen, und die Eintracht, mit der sie vor» gehen, ist wirklich bewundernSwerth. Selbst wenn kein Wahlsieg erfocht«"