«'■Preis eines staatSretterischenAderlasse», der natürlich im«amen des„praktischen Ehristmthums" bewerkstelligt würde.— Für Freiheit, Ehre und Baterlaud! lautete der Wahrspruchder patriotischen Burschenschafter, welche die Woche vor Pfingsten inLeipzig„tagten" und fich bei dieser Gelegenheit mit wahrer Todesver-achwng der Aufgabe widmeten, das bischen Verstand, das sie in ihrensogenannten Studienjahren nicht weggetrunken, in Bier und Gase zurrsiufen. Für„Freiheit" heißt natürlich für Sozialistengesetz und Polizei-Diktatur für„Ehre" heißt für Spitzslei und Denunziantenthum ü laJhring-Mahlow und„Leipziger Tageblatt"; und„für Baterland" endlichheißt für das Bismarck'sche Nationalzuchthaus. Unsere„Patrioten" habensich eine eigene Sprache gebildet und zwar dadurch, daß fie jedem Wortden entgegengesetzten Sinn unterschieben, welchen es im gewöhnlichenLerkehr hat. Wer diesen sehr einfachen Schlüssel der modernen po-litischen Sprache befitzt, versteht es sofort richtig, wenn gesagt wird:Bismarck lügt nie; Jhring-Mahlow ist ein Ehrenmann; Puttkamer hatMtz, Tugend und einen guten Geschmack; die Regierung will das Wohldes armen Mannes; die vereinigten Spitzbuben kämpfen für die Heilig-ieit des Eigenthums; Stöcker ist ein Prediger der Wahrheit; und soveiter und so weiter.Wer diesen Schlüssel nicht besitzt, wird allerdings vollständig ver-«irrt von dem Jargon der Gegenwart und bewegt fich wie in einerRaskerade.Uebrigens ist auch hier das„neue Kaiserreich" nicht original. Nichtnur, daß es, wie wir schon früher gezeigt, auch in dieser Beziehung einPlagiat am französischen das Empiro verübt hat— es hat, was jedererfahrene Kriminalist uns bestätigen wird, in einer gewissen, Jahrhun-d«ie. wo nicht Jahrtausende alten Sprache ein leuchtendes Vorbild.D»e Sprache, welche wir hier im Auge haben, zeichnet fich vor der ordi-naren Sprache dadurch aus, daß jedes Wort in einem ganz verschiedenenSinne als dem gewöhnlichen, meist grade, u in dem umgekehrten Sinnegebraucht wird. Es ist das die ehrsame D i e b s s p r a ch e, die in allenLändern der Welt nach denselben Grundsätzen aufgebaut ist.Daß unsere patriotischen Gesellschaftsretter und Ordnunzsmänner dieseDiebSsprachs im Wesentlichen zu der ihrigen gemacht und nur noch etwasweiter entwickelt haben, kann uns nicht Wunder nehmen. Die Geistes-,Gesinnung?- und Ziel-Verwandtschaft mußte mit Roth-wendigkeit auch eine Sprachverwandtschaft erzeugen.— Würdelose» Gewinsel— schret die tugendhafte deutscheRspiilisnpresse entrüstet, im Hinblick auf die Schritte, die 187S GeneralLeflü als Vertreter der französischen Republik beim russischen Zarenthat, um von diesem Rückhalt gegen einen— sagen wir, vermeintlichvon Bismarck geplanten erneuerten Ueberfall zu erlangen. Schön—wir wollen den Ausdruck gelten lassen. Aber Frankreich war damalsdurch den Krieg total erschöpft, es hatte kaum die fünf Mlliarden-Entschädigung abgetragen, und seine militärische Ausrüstung war selbst zuewer erfolgversprechenden Vertheidigung nicht ausreichend.Hören wir nun, wie der Vertreter Deutschlands, das militärisch wiefinanziell Frankreich damals in jeder Beziehung überlegen war, sich umdieselbe Zeit dem Zaren gegenüber verhielt. Am 22. Januar 1876ivreibt der deutsche Botschafter in Petersburg, Prinz R e u ß, wörtlichan seinen Auftraggeber Bismarck(der Brief ist in der„NorddeutschenAllgemeinen" veröffentlicht worden):»Ich sagte dem Kaiser, ich glaubte bemerkt zu haben, wie man vonsehr überwollender Seite her immer bestrebt sei, ihm Mißtrauen gegen«w. Durchlaucht einzuflößen. Ich wage daher, ihm gewissermaßen als«in Vermächtniß, welches ich ihm zurückließe, die Bitte auszusprechen,Goch dergleichen Jntriguen kein Gehör zu schenken. Mehr vielleicht wie»send Jemand sei ich in der Lage zu bezeugen, wie mächtig der Wunsch,unsere beiderseitige Kabinette im guten Einvernehmen zu erhalten, aufdie Leitung der Politik meiner Regierung von Einfluß gewesen sei.Durchlaucht hätten sich durch nichts in dieser Politik irre machenlassen, die die Politik unseres Kaisers sei und bleibe. Schritt für Schritt'anne man diesem Streben folgen, und selbst dann, wenn es>u weilen den Anschein gehabt habe, als wenn die�rganeder russischen Regierung eine andere Rich-tung»erfolgten."Ist das etwa eine würdige Haltung? Oder wird hier nicht auch inunterthänigster Weise um die Freundschaft des Väterchens gebettelt!»Wlr sind deine frommen Diener, auch wenn du deine Preßmeute aufuns loszulassen beliebst"— hier wäre vie Entrüstung der Patrioten der«Kölnischen Zeitung" eher am Platze, wenn ihr Patriotismus überhaupt�cht wäre. Aber der hält so wenig Farbe als ihre Entrüstung.� Die Götzendiener de» Leipziger Landkreises sind durchaen sozialdemokratischen W a h l p r o t e st, der ihren„patriotisch-natio-«ölen Aufschwung" ins richtige Licht gestellt hat, in einen fast komischenschrecken versetzt worden. Herr Götz kommt in Folge der zahlreichen»Angst-Döppchen" nicht aus dem Katzenjammer heraus und Herr Sparig,Ikur„Wahl.Moltke", richtet unter den Gosenslaschen eine Verwüstung an,welche die gesammten Produktions- und Konfumtionsverhältniffe dieses«ervzrget Spezialgetränks auf den Kopf zu stellen droht. Da mit ehr-Wen Mitteln gegen den Protest nichts auszurichten ist, so muß es mitEinschüchterung, Mogelei und Schwindel versucht werden. Durch einensemer sauberen Kartellbrüder hat der gesinnungstüchtige Götz den Wahl-Protest, welcher rm Reichstag noch nicht zur öffentlichen Verhandlunggekommen rst, und unter dem Schutz der Privilegien desReichstags steht, unter Verletzung des Anstands und desGesetzes, fich heimlich weg stibitzen lassen, hat ihn heimlich ad-geschrieben, und versucht nun mit Hülfe seiner Wahlmacher die invem Protest namhaft gemachten Zeugen unter der Hand einzu-schüchtern, indem dieselben, falls sie ihre Behauptungen nicht zurück-fiehen, daS heißt zu Gunsten des Götz und seiner Götzendiener nichtlügen wollen, mit Anklagen bedroht werden.Herr Götz mit seinem Sparig und dem sonstigen Generalstab hat indeß"ie Rechnung ohne den Wirth gemacht. Die Bedrohten haben ihn aus-gelacht, die Drohbriefe der Oeffentlichkeit übergeben undwerden Sorge tragen, daß die Urheber dieses neuen Bubenstücks derperdienten Strafe und Züchtigung nicht entgehen.«»Tm- beutscheu Blättern lesen wir neuerdings von Zeit zu Zeitpon ttntersuchungen gegen fremde Sozialisten, die derIchweizerlsche Bundesrath angestellt haben soll, von Aus»«e l s u n g e n, die auf die betreffenden Berichte hin in Aussicht stän-°en lc.,c. Wir können nicht genug vor diesen Notizen warnen, die sammtund sonders au? sehr unsauber» Quellen stammen, bei deren UrhebernWunsch der Vater des Gedankens ist. Sie haben keinen andern Zweckr sa M Interesse gewisser Leute, die das S o z i a l i st e n g e s e tz am«ebsten zu einem internationalen erweitern möchten,„ S t i m-b'ung" zu machen.Daß Untersuchungen stattgefunden haben, glauben wir übrigens gern,«»für sorgt schon die in Deutschland systematisch großgezogene Denun-twilonswuth, die bis in die Schweiz hinein ihre duftigen Blüthen treibt.denunzirte jüngst in Winterthur ein Schuhwaarenfabrikant drei Ar-»iiter seiner Branche, weil fie ihm zu verschiedenen Malen die MaskeArbeiterfreundlichkeit vom Gesicht geriffen, in einer speziellen Ein-«abe als gefährliche Anarchisten, während alle Drei bekannte Mit-JHWder der Sozialdemokratie find. Noch ärger treibt es ein herabgekom-j sws Individuum in Zürich, daS, da es am Orte selbst total abge-spielt hat, nur noch davon lebt, von Zeit zu Zeit das Baterland vor«en rothen Umstürzlern zu„retten". Diese Denunzianten sind es dennLsih. welche die angeblichen Erfolge ihrer Denunziationen selbst in die?ilt hinausposaunen, und zwar mit um so größerem Lärm, als die-svossnung gering ist, ihre schmählichen Absichten zu erreichen.Äur Korruption uusere» Richterstaude». In Sachsen,K* wan uns, ist's bekanntermaßen„gemüihlich". Und im„gemüth-0. o' wachsen gabs ehemals auch gemüthliche Richter, die ihres Amts? �'ssenhast walteten und ohne Ansehen der Person— zwar nicht un-ebem»ber doch unparteiisch„Recht sprachen". Wohlan, vor einem derRirf?. Semüthlichsten und ob der gewissenhaften Unparteilichkeit seinerFall b 6etÖ''mte'ien Gerichtshof« Sachsens spielte sich jüngst folgenderw,-• Eines Sonntag« im vorigen Jahr machten einige ArbeiterHfl» in j» Spaziergang in s Freie und einer der Gesellichast trug, wie dasll» j» iener Gegend notorisch allgemein« Sitte ist, unter der jugendlichenpp � volkerung— dir Schullinder eingeschlossen— ein TaschentuH aneinem Stock. Gin Individuum, welche? der jetzt in Deutschland s» häu>figen Klasse der Denunzianten angehört, und auf«inen der Spazier«gänger einen alten Grimm hat, steht das, läuft zum Gensdarmen undzeigt ihm an, die Spaziergänger seien Sozialdemokraten und liefen unterSchreien und Lärmen hinter einer— o Graus!— hinter einer rothenFahne her. Man denke: hinter einer rothen Fahne! Vermuthlich hintereiner derselben rothen Fahnen, die Junker Bismarck einst in jener ent«setzlichen Reichstazsoiston von Boulanger getragen sah— von jenerVision datirt seine komische Angst vor Boulanger. Unser Lumpazius vonDenunziant wollte sich natürlich ein rothes Röckchen und wo möglicheinen Orden verdienen. Der Gensdarm nahm sich der Sache an, wiedas seines Amtes ist, und wollte die Männer der blutigen Fahne unddes blutigen Umsturzes unterwegs abfassen. Es gelang ihm das abernicht; sei es nun, daß fie schUellsüßiger waren als er oder einen andernWeg gingen— genug, der Wächter des Gesetzes lief keuchend einenhalben Tag in der Irre herum und kam dann spät Abends unverrich-teter Sache, hundsmüd und im übelsten Humor wieder in seiner Woh>nung an. Doch— die Göttin Justitia war einmal in Bewegung gesetztund die„Untersuchung" begann. Monate und Monate lang wurde„untersucht". Monate und Monate lang wurde nach dem oorpu« ägUotigesucht: der fürchterlichen rothen Fahne. Bei dieser Gelegenheit sei be-merkt— was die meisten unserer Leser übrigens schon wissen werden—daß es im„gemüthlichen" Sachsen ein Gesetz, oder richtiger eine Ber-ordnung aus der„gemüthlichen" Beust'schen Aera gibt, durch welche dierothe Farbe als Farbe des Umsturzes in Acht und Bann gethan, undjedes Tragm von Abzeichen rother Farbe ic. mit Strafen belegt wird.Gut— nachdem Monate und Monate verstrichen waren, und nichtsgefunden, aber auch Richter und Gensdarm nichts mehr zu untersuchenund zu suchen hatten, wurde— im einst so„gemüthlichen" Sachsen—die Anklage formell erhoben und schließlich ein Verhandlungsterminanberaumt.Die Anklage lautete auf Tragen von Abzeichen in rother Farbe. DaSoorpus ckolioti, über das bisher ein geheimnißvolles Dunkel gewaltet,wird vorgefordert. Feierlicher Moment.Es erscheint— in Gestalt eines Schnupftuches, welches neben derff-j- rothen Farbe auch die heiligen Farben schwarz und weiß—die Farben des„Jntelligenzstaats"— des Masterstaats vom„deutschenBerufe" zur Schau trägt. Und mit diesen heiligen Farben vereinigt bildetdas unheilige Roth doch, wie jedes normalschadliche deutsche Schulkindweiß, die Farben des„neuen deutschen Reichs".Das Publikum ist verblüfft. Unter den intelligenten Richtern und— natürlich ebenfalls intelligenten— Schöppen lange Gesichter und„allgemeines Schütteln des Kopfes". Was thun?Vor 1378 wären Richter und Schöppen beim Anblick des schwarz-weiß�rothen Schnupftuchs in ein homerisches Gelächter ausgebrochen.Wir zählen aber 1837 neuntes Jahr des Sozialisten«g e s e tz e s— und auf der Anklagebank sitzen Sozialdemokraten. Es mußalso verdonnert werden. Der vorfitzende Richter betrachtet nachdenklichdas ominöse Schnupftuch mit den reichstreuen Farben. Wie, in desHimmels oder des Teufels Namen kann man die Leute verdonnern?Das Gesetz oder die Verordnung spricht doch von r o t h e r Farbe, undroth ist doch nicht schwarz-weiß-roth. Sonst hätte ja da? heilige deutscheReich Bismarck'scher Schnapsherrlichkeit die Farben der Umsturzpartei.Und die bloße Annahme einer solchen Thatsache wäre Bismarck- undMajestäts-Beleidigung in konzentrirtester Form.Gedankenschwer schüttelt der Vorsitzende Richter das Haupt. Er istam Ende seines Lateins.Da leuchtet plötzlich sein Auge. Ein rettender Gedankenblitz hat dasrichterliche Hirn durchzuckt. Herrscht die rothe Farbe in dem schwarz-weiß«rothen Schnupftuch nicht vor? Hat die rothe Farbe, außer wosie von der hohen Obrigkeit hingesetzt oder hinzekleckst ist, nichtihrer s-ff- Natur nach die gefährliche, echt umstürzlerische Eigenschaft,„vorzuherrschen"?Heureka! Ich habe es gefunden. Ich hab's!„Die rothe Farbeherrscht in dem sündhaften Schnupftuch vor— diesesVorherrschen ist sündhafte Absicht, denn der Besitzer desschmarz-weifrrothen Schnupftuchs ist ein sündhafter Sozialdemokrat—orgo wird verdonnert.Und es wurde verdonnert.- Der Leser lacht.„Unmöglich I Das ist ein schlechter Witz!"Nein, lieber Leser! Das ist kein schlechter Witz und auch kein guterWitz. Das ist Wahrheit. Und hat sich im Wesentlichen genauso zugetragen, wie wir es hier erzählt.Im Deutschland der Bismarck, Puttkamer, Jhring-Mahlow. Stöckerund Genossen nennt sich das I u st i z, welches lateinische Wort aufdeutsch heißt Gerechtigkeit.— Er scheint wirklich etwa» gelernt zu habe»— nämlichJohann Mo st. Bisher gehörte es zu den Dogmen des Anarchismusund Sozialrevolutionalismus, daß die Lumpen-Proletarierdie geborenen Revolutionäre, gewissermaßen die Pioniere der zukünftigenGesellschaft seien, und wehe dem, der dagegen etwas einzuwenden wagte,Spießbürger! Reaktionär! Parlaments-Sozialistl— Das waren nochdie mildesten Ausdrücke, die man sofort an den Hals geworfen bekam.Most hat nun im Gefängniß von Black wells Island Gelegenheit ge-habt, diese„Pioniere" etwas genauer kennen zu lernen, und dabei ganzeigene Erfahrungen mit ihnen gemacht. Er schreibt darüber:„Wir Anarchisten sind gewiß die Letzten, welche auf sogenannte ge-meine Verbrecher Steine werfen, denn wir erblicken in denselben nurProdukte elender sozialer Verhältnisse. Damit werden aber dieseProdukts selbst nicht besser, als sie eben sind; am Aller-wenigsten kann Unsereiner Lust empfinden, sie zu Gesellschaftern auszu-wählen. Nun, hier in der Penitentiary wurde ich zwangsweise zumKameraden dieser Gestalten der Gosse und der Spelunke gemacht. Unddie Burschen geberdeten sich nicht nur sehr„kollegialisch" mir gegen-über, sondern sie erlaubten sich mit mir auch allerhand„Späße". Daßsie mir Eßwaaren, Tabak u. dergl. oft aus der Tasche herausstahlen,hätte ich gern verschmerzt. Daß ich mich dagegen den schändlichsten In-sulten solcher Kerle gar häufig ausgesetzt sehen mußte— das war bitter.Mein schon erwähnter Gehilfe an der Bohrmaschine pflegte oft zuAnderen zu sagen:„Wenn ich diesen Kerl(mich meinte er) ansehe, sokomme ich mir vor, wie ein Drehorgelspieler, der einen Affen bei fichhat."— Meine anfänglichen Versuche, solche Redensarten mir zu ver-bitten oder Moral zu predigen, hatten nur bestialischere Ausbrüche zurFolge:„Verfluchter deutscher Hund!"„Verrückter Anarchist!" Daswaren noch die gelind, sten Beschimpfungen, die es da regnete.Vor meinen Ohren redeten die Kerle oft mit einander über mich. Ichgreife das Wesentliche aus diesen Konversationen heraus:„Der hältsicher keine Rede mehr," sagte der Eine.—„Doch, doch," rief der An-dere.„Der Lump macht ja Geld mit seinem Blödsinn und beschwindeltarme Leute."—„So einen Schuft sollte man eigentlich hängen," warf«in Dritter ein. Ein Vierter bemerkte:„Wenn er hier fertig ist, schafftman ihn ja nach Chicago; da wird man es ihm schon besorgen."—„O, wenn ich doch den Strick dabei anziehen könnte l" ließ sich ein Fünf-ter vernehmen. Und so weiter mit Grazie.Ein für mich zulässiges Mittel, diesen Infamien ein Ende zu machen,gab es nicht. Ich konnte freilich mich beklagen und diese Menschen inden Dunkelarrest bringen, allein mein anarchistisches Prinzip verbot mir,so zu handeln. Ich hätte die Burschen züchtigen können— um mir selberDunkelarrest nebst Kettenstrafe K. zuzuziehen!— Es gab nichts alsStoizismus, ein scheinbar taubes Ohr, welches da am Platze war.—Was diese Menschen unter sich redeten, ließ in einen wahren Abgrundvon Demoralisation und Verworfenheit blicken. Die Sprache war ekel«Haft gemein, der Gesprächsstoff in der Regel kriminell."Auf Grupd dessen kommt Most nun zu folgendem Ergebniß:„Manchmal glauben die Revolutionäre, das Lumpenproletariat werdein den kommenden Kämpfen einen bedeutenden Faktor bilden. Das magsein, aber wahrscheinlich stehen diese Elemente nicht diesseits,sondern jenseits unsere? Lagers, wie fie heute schon denGrundstock des korruptesten Stimmvieh» bilden.Sie sind für Geld zu Allem fähig."Stimmt. Und grade mit Rücksicht auf diesen Umstand haben wir vonjeher mit der äußersten Energie alle Bestrebungen bekämpft, die daraufHinausliesen, die vorgeschrittenste« Ritglied« der Arbeiterklasse in'sLumpenproletariat herabzudrücken.— Noch ei» Rcichsgannerstückcheu. Man schreibt uns: Umdie Berliner F r a u e n o e r e i n e, die sich mit„w i r i h s ch» s t l i ch e nFragen" beschäftigten, unter die Rubrik der„politischen" Vereinszu bringen, hat der II. Strafsenat des Leipziger Reichsgerichtsfolgenden Saliomortale geleistet:„Die Erörterung wirthschaftlicher Fragen ist als Erörterungpolitischer Gegenstände zu erachten, wenn eine Aenderung der beestehenden sozialen Zustände mittelst staatlichen Zwanges, staatlicher Ein-richtunzen oder gar mittelst Beseitigung geltender Verfassungsgrundsätzeerstrebt wird."Was ist„erstreben"? Was sind„geltende Verfassungsgrundfätze"?Was sind„staatliche Einrichtungen"? Was ist„staatlicher Zwang"?Was find„bestehende soziale Zustände"? Was ist eine„Aenderungder bestehenden Zustände"?Die Elektrizität ist sicherlich ein„unpolitisches" Ding.Nehmen wir einen V e r e i n an, der— wie es denn wirklich solcheVereine gibt— die praktische Anwendung der Elektrizi-tätzu Beleuchtungs- und Bewegun gszwecken zum Pro«gramm hat—„erstrebt" derselbe nicht„eine Aenderung der bestehendensozialen Zustände"(sogar eine„Revolution"!!), eventuell„durchstaatlichen Zwang"(Gesetze, polizeiliche ll eberwachung der«lek«irischen Motoren und Lampen:c.)?Und dieser Verein ist also ein„politischer Verein", ihr Herren Reichs»Pfiffikusse? Und die Propaganda für die Vervollkommnung und Aus-breitung der Elektrizität ist„eine Erörterung politischer Gegenstände", dieunter das Vereinsgesetz und die polizeiliche Ueberwachung fällt?O Ihr Reichsgerichtspfiffikusse l Schämt Euch! Kärtchen Missnickwürde es ebenso gemacht baben.— Anarchistische». Die Londoner„Autonomie", Organ der gleich»namigen„Gruppe", der Herr P e u k e r t als Mitglied angehört, theiltin ihrer neuesten Nummer ihren Lesern mit, daß,„obwohl die profeffio«nelle Denunzianten- und Verleumder- Tendenz des„Sozialdemokrat"gegenüber allen Anarchisten und speziell gegenüber Genosse Peukert ge»nugsam bekannt ist", sie sich durch unfern Artikel:„Wie John Reveder preußischen Polizei in die Hände geliefert wurde" veranlaßt gesehenhat,„eine spezielle Versammlung für Sonntag, den 22, Mai L I., indieser Angelegenheit einzuberufen, zu welcher alle deutschredenden sozia-listischen Vereine eingeladen waren. Da— fährt sie fort—„noch ein»zelne Punkts einer näheren Untersuchung bedürfen, konnte dieSache noch zu keinem definitiven Abschluß gebracht werden, weshalbwir einen vollständigen Bericht darüber erst in unserer nächsten Nummerbringen werden, vorläufig können wir darüber nur berichten, daß, nachden von verschiedenen Seiten gegebenen Aufschlüssen, der im„S.-D."erschienene Artikel eine Menge tendenziöser Lügen enthält."Merkwürdig, daß unter solchen Umständen erst noch eine„nähereUntersuchung" nothwendig sein soll. Sollten sich in die„Menge tenden»ziöser Lügen" etwa auch einige unbestrittene— Wahrheiten einge»schlichen haben?Wir sind gespannt, was die Untersuchung in dieser Hinsicht ergebenwird. Vorläufig sollen sich als„tendenziöse Lügen" des bösen„S.«D."herausgestellt haben:1) Daß die preußische Polizei seit Langem auf Neve fahndete.2) Daß Theodor Reuß seit Langem in London als der Spio»nage höchst verdächtig bekannt war.3) Daß N e v e' s Aufenthalt geheim bleiben sollte.4) Daß Peukert zu der von uns angegebenen Zeit zu Neve ge»reist ist.5) Daß Peukert auf diese Reise Reuß mit sich nahm und zuNeve führte.K) Daß bald darauf N e v e' s Auslieferung und Verhaftung erfolgte.Wem das nicht genügt, um dem in politisch-polizeilichen Dingen ja saunerfahrenen Peukert eine Ehrenerklärung zu erlheilen, der mußwirklich sehr anspruchsvoll sein.Vielleicht öffnet es ihm über unsere Scheußlichkeit die Augen, wennwir unsere„Denunzianten-Tendenz" unumwunden eingestehen Es istthatsächlich unser Bestreben, Polizeiagenten und deren freiwillige od«bezahlte Helfershelfer rücksichtslos zu—„ d e n u n z i r e n".— Aus der gleichen Nummer der„Autonomie" ersehen wir, daßder„Kommunistische Arbeiior-Bitdungs �Verein I. Sektion"(ebenfallsanarchistisch) den bekannten V i k t o r D a v e als„des in ihn gesetztenVertrauens in jeder Beziehung(in politischer sowohl als in privater)unwürdig", einstimmig ausgeschlossen hat.Sonderbar! Dave war ja doch kein— Reichstagsabgeordneter!— Au» Frankreich. Man schreibt uns aus Paris, 28. Mai tDie Sozialisten haben bei der Gemeinderathswahl einen so eklatantenSieg errungen, daß er die Erwartungen Aller, welche die Bewegung inunmtttelbarer Nähe verfolgen, übertroffen, sogar die Hoffnungen d«Sozialisten selbst weit hinter sich zurückgelassen hat.Man erwartete höchstens 6—7 Mann durchzubringen, und nun sind10 Mann definitiv gewählt worden, und von Rechtswegen sollte auchder 11. Sozialist, Chauviöre, in das Stadthaus einziehen, da seinGegner nur mit einem Mehr von 1 Stimme als gewählt proklamirtwurde, und diese eine Stimme vom sozialistischen Komite bestritten.wird.Wahrscheinlich wird jedoch die Seinepräfektur, von der die Verisizirungder Wahlmandate abhängt, die Wahl für ungiltig erklären.Bei dieser Gelegenheit sei bemerkt, daß die Präfektur, wie mir vonsozialistischer Seite versichert worden ist, in ähnlichen Fragen mit mehrGerechtigkeit und Unparteilichkeit vorgeht als die Kammer selbst oderetwa gar der deutsche Reichstag.Daß in Paris die Präfektur die Wahlmandate verifizirt, anstatt daßdies, der demokratischen Einrichtung der übrigen Gemeinden Frankreichsentsprechend, der Gemeinderath selbst thut, liegt in der Ausnahmestel».lung, welche Paris überhaupt in Verwaltungsfragen einnimmt. Die.Pariser Gemeindeverwaltung steht unter Oberaufsicht der Regierung, einenapoleonische Segnung, und ist demzufolge dem Präfekten des Seine«Departements unterworfen, so daß die Stadt hinsichtlich ihrer Verwal«tung, ihres Budgets weniger Recht besitzt als irgend ein Bauerndorfetwa Fouilly-les-Oies— Gänsetümpel— wie die Franzosen sagen.Kehren wir nach dieser kurzen Abschweifung zu den stattgehabteizWahlen zurück.Zuvörderst will ich den Genossen in Deutschland die zehn gewähl!Sozialisten vorstellen; es sind dies: Chabert, Dumay, F a i l l e l,'Joffrin und Baillant, die im ersten Wahlgang, und Brousse,Lavy, P a u l a r d, Reties und S o ö n s, die im zweiten Wahlganzgewählt wurden. Sechs von diesen Geno ssen treten zum ersten Mal i»den Stadtrath ein— die Sozialisten haben also um mehr als dasDoppelte zugenommen, und werden so die Radikalen oder Autonomisten(so genannt, weil sie die Selbstverwaltung von Paris fordern) in diesemKampfe stärken. Die Zahl der Autonomisten beträgt 44, mit den Sozialisten zusammen also 54 Vertreter der Rechte von Paris, d. h. die großeMajorität des Stadtrathes, der aus 80 Mitgliedern besteht. Nur 2sSitze sind für Opportunisten(IS) und Reaktionäre(11) geblieben.Werfen wir nun einen Blick aus die von den Sozialisten gewonnene»Position.Ich sagte schon in meiner vorigen Korrespondenz, daß die extreme»Parteien aus der Wahl als Sieger hervorgingen, die zwischen ihnenliegenden Parteien aber aufgerieben werden, mehr und mehr an Terrainverlieren. Dieses Schicksal wird auch die Radikalen ereilen, die lang»sam aber sicher aus ihren früheren Domänen verdrängt werden, wennsie auch in Paris jetzt thatsächlich noch eine Macht sind, denn Paris istvor allem noch eine radikalisirenoe Stadt und keineswegs, wie Berlin,eine sozialistische. Die Arbeiter von Paris sind noch zu sehr in der.radikalen Phrase befangen, und dem Sozialismus gegenüber relativ in»different. Der Grund dieser Erscheinung liegt wohl theilweise in dengroßen Aderlässen, welche die Pariser Arbeitermasse im Verlaufe diesesJahrhunderts drei Mal auszuhalten hatte, und dann aber auch Haupt-sächlich in der hier üblichen kleinbürgerlichen Produktionsweise, und deninfolge dessen vorherrschenden kleinbürgerlichen Anschauungen. Der klein-bürgerliche Zug tritt sogar leider auch bei den meisten Sozialisten her»vor, zumal bei der sozialistischen Arbeiterfederation. Sagte doch derengeistiges Haupt, P. Brousse, bei dem nach der Wahl zu Ehren des Siege?stattgehabten„Punch", daß die Aufgabe der Sozialisten in Frankreichjetzt darin bestehe, die Gemeinderäthe zu erobern und somit den sozia-listischen Staat einzuführen. Geschwindigkeit ist keine Hexerei.Die Sozialisten haben in die einzelnen Hochburgen des Radikalismusbedeutende Breschen geschlagen, und dies sowohl be.m ersten Wahlgange.wie auch bei der Stichwahl. Lavy im 18. ArronDissement, Paularo im19. und Reties im 20. Arrondisjement haben ihre Sitze den äußersten