sah«:„Denn ich bin groß und du bist klein" oder wie der eiserne Kanzler des deutschen Reiches sagt:„Macht geht vor Recht." Der Regierungsstatthalter von Biel hat also dem Freiburzer Staats- miwalt gehorcht, und zwar trotzdem der dortige Polizeiinspektor auf ein diesbezügliches, an ihn gestelltes Ansuchen erklärt hatte, zu einem der- artigen ungesetzlichen Ansuchen biete er die Hand nicht. Allein es gibt noch Richter, nicht nur in Berlin , sondern auch in Bern . Poppitz fand in Biel einen Rechtskundigen, welcher sich in seinem Namen an die Anklagekammer des Kantons Bern wandte und, unter Darlegung der Vorgänge, sowie mit Berufung auf die einschlägigen Gesetzes- und Ver- faffungsbestimmungen, verlangte: 1)„Es sei die am S. März auf Befehl des Herrn RegierungLstatt- Halters von Biel durch seinen Aktuar A. gegen ihn(Poppitz) vollzogene Hausdurchsuchung und erfolgte Beschlagnahme eines Briefes als ungesetz- lich zu erklären und eS sei dem Poppitz der beschlagnahmte Brief ohne Weiteres in die Hand zu geben; 2)„es sei der Regierungsstatthalter von Biel und dessen Aktuar A. für den Poppitz verursachten Schaden verantwortlich zu erklären. „Alles unter Kostenfolze." Der Entscheid der hohen Anklagekammer des KantonS Bern ist datirt vom 7. Mai 1887 und lautet wie folgt: „In der Beschwerdesache des Emil Poppitz, Schriftsetzer in Biel , gegen den Regierungsstatthalter von Biel, haben wir in unserer heutigen Sitz- ung beschlossen: 1)„Dem Regierungsstatthalter von Biel und dem Aktuar A. wird ein Verweis ertheilt. 2) Dieselben werden zu 25 Fr. Entschädigung an den Beschwerdeführer Poppitz verurtheilt, und zwar hat der Regierungsstatthalter'/«»der Ar. 18 75 und A. V« oder 6 25 zu bezahlen. 8) Mit den weiteren Begehren wird der Beschwerdeführer Poppitz abgewiesen." Zeller's Brief war also offenbar vom Regierungsstatthalteramt Biel schon ausgeliefert worden, weshalb die Anklagekammer auf Viesen Punkt gar nicht mehr eintrat, um allen Komplikationen mit dem deutschen Reich auszuweichen. Der Regierungsstatthalter von Biel hat aber gewiß inzwischen seinen Uebereifer schon mannigfach bereut und wird sicherlich für alle Zukunft von demselben befreit sein. Der Schweizer Arbeiter endlich merke sich noch: wenn irgend Jemand ihn in seinen, von Gesetz und Verfassung gewährleisteten Rechten an- tasten will, so ducke er sich nicht, sondern wende sich vielmehr Vertrauens- voll an die Behörden, welche die Aufgabe haben, über diese seine Rechte zu wachen. Wo kein Kläger, ist auch kein Richter. Wer aber den Muth hat, sein Recht zu suchen, wird es auch finden. Und nur wenn der- jenige, welcher im Rechte ist, auch diesen Muth hat, geht Re�t vor Macht!" Wir haben diesen trefflichen Ausführungen nur wenig anzufügen. Die Nutzanwendung für die Schweizerischen Arbeiter hat der Verfasser selbst gezogen, und es wird wohl auch in der übrigen Bevölkerung der Schweiz Leute geben, welche einen derartigen Liebesdienst, wie ihn der betreffende Regierungsstatth üter in Biel der Freiburger Staatsanwaltschaft geleistet, gleich dem Bieler Polizei-Jnspektor als eines republikanischen Beamten unwürdig betrachten. Solche„Gesälligkeiten" müssen von allen, denen an der Unabhängig- keit der Schweizerischen Republik gelegen, um so schärfer verurtheilt werden, als bekanntlich mit dem Essen der Appetit wächst, und die Preußen, oder richtiger Russen, die jetzt in Deutschland regieren, all- mälig mit immer unverschämteren Zumulhungen kommen würden. In Preußen-Deutschland arbeitet man, wie in keinem zweiten Lande der Welt, auf die Realisirung der Polizei-Jnternational« bin. Der Fall Neve ist eigentlich noch harmlos im Verhältniß zu dem oben geschilderten Handel. Neve wurde zwar aus belgischem Boden von preußischen Spitzeln„überwacht"— und wo trieben sich heute nicht preußische Spitzel herum?—, aber wenigstens anstandshalber auf preußischem Boden verhaftet, hier abeq läßt eine deutsche Behörde ganz unverfroren auf schwerzerischem Gebiete eine Konfiskation, eine Brief-Stieierei vornehmen. Und in was für einer Sache! Wenn eS sich noch um einen höllischen Plan zur In die Luft Sprengung des Kaiserlichen Palais in. Berlin , um das Leben des Monarchen oder irgend eines seiner(dem Lande) sehr „theuren" Beamten gehandelt hätte! Aber nichts dergleichen. Das ganze Attentat bestand in der Unterstützung der Familie eines Mannes, der das fluchwürdige Verbrechen begangen, kür die R e i ch s t a g s w a h l— einen gesetzlichen Akt!— im Sinne/ der Sozialdemokratie zu wirken! Freilich, der Mann, der das Verbrechen begangen, gehörte noch der A�rmee an, und nur wenn es zum Todtschießen oder Todtgeschossen- werden geht oder in dem Phrasengeschwulst der Reichspoeten heißt diese das„Volk in Waffen", für gewöhnlich ist die Armee und was zu ihr gehört, nicht Volt. Wie kann daher ein„Soldat" es wagen, sich als Mann des Volkes zu fühlen und für die Familie eines Demokraten zu sammeln! Das ist Hochverrath, Landesverrath, und einen solchen zu ermitteln, ist die Schweiz moralisch verpflichtet.... Jndeß, die Ironie ist hier so wenig am Platze, wie seinerzeit bei der Auslieferung Deutsch-L..lighin's, die ja auch in Freiburg inszenirt wurde— hier ist nur eine Sprache erlaubt, die uneingekleidete Sprache der Entrüstung. Pfui über eine so schmachvolle Polizeiwirthschast, und vfu: über Alle, die derselben Vorschub leisten, sei eS nun direkt oder indirekt. > Sozialpolitische Rundschau. Zürich , 22. Juni 1887. — Das Bürgerthum ist heute in allen Ländern in moralischer Rückeutwickluug begriffen, nirgends aber tritt dieser Prozeß so ver- Heerend auf als tn Deutschland . In Enzland, in Frankreich , in Amerika gibt es doch neben der reaktionären Bourgeoisie noch radikale bürgerliche Parteien, die einen beachtenswetthen Faktor im öffentlichen Leben bilden— in Deutschland aber wird der bürgerliche Radikalismus bald nur noch eine mitleiderregende Ruine sein. Man erinnert sich, welch jammervolle Rolle die„Deutschfreisinnigen", der linke Flügel deS deutschen Bürgerthums, bei der letzten Reichstagswahl spielten, wie sie aus Furcht vor der Sozialdemokratie für ihre wüthendsten Gegner, für die Nationalliberalen und selbst die Konservativen, d. h. für die Bertreter der reaktionären Bourgeoisie und des feudalen Junkerthums, stimmten. Trotzdem sie für diese klägliche Handlungsweise von allen Seiten nur Spott und Hohn geerntet, trotzdem sie ihre politische Position durch die- selbe nicht nur nicht gebessert, sondern noch verschlechtert haben— sie werden von ihren reaktionären Widersachern nicht einmal mehr gefürchtet— haben sie bei der nunmehr erfolgten Neuwahl zum bayerischen Landtage dasselbe Schauspiel wiederholt. Obwohl die National- liberalen den Führer der Freisinnigen, Herrn von Stauffenberg, in seinem bisherigen Wahlkreise in einer Weise kalt stellten, wie sie verletzender nicht gedacht werden kann, bieten in N ü r n b e r g die Freisinnigen den Nationalliberalen unterthänigst ein neues Mandat an — nur um sich ihrer Hilfe gegen die Sozialbemokraten zu versichern. Nnsähig, den ausstrebenden Elementen im Volke, den„neuen Schichten", Rechnung zu tragen, klammern sie sich ängstlich an die Rockschöße der politischen Reaktion, die sie angeblich bekämpfen wollen, ruft ihr Wort- führer, Herr Erhard, den bürgerlichen Wählern zu:„Wählen Sie, wen Sie wollen, nur leinen Sozialdemokraten!" Dieses Wort, im Munde eines Führers einer bürgerlich-demokratischen Partei, ist das Todesurtheil derselben. Es ist die Proklamirung des KiassenkampfeS der Besitzenden gegen die Besitzlosen. Die bürgerliche Demokratie lann aber nur dadurch leben, daß sie den Gegensatz, der die mchtprivileguten Klassen, namentlich Kleinbürgerthum und Proletariat, trennt, zu überbrücken trachtet oder wenig- stens durch Betonung der vorläufig gemeinsamen politischen Ziele in den Hintergrund drängt. Jedesmal noch, wo sie das vergaß, jedesmal, wo sie ihre Front gegen die von link« andrängenden Element« richtete, hat sie die Kosten dieser„Gesellschastsrettung" selbst zu zahlen gehabt, hat sie für ihre Gegner von rechts die Kastanien aus dem Feuer geholt. So oft hat sich daS schon wiederholt, daß lediglich totale geistigeJmpotenz oder moralischeBersumpftheit fähig sind, allen gemachten Erfahrungen zuwider eine Taktik einzuschlazen, bei der die eigne Partei in jedem Falle nur Schaden ernten kann. Die geistig bedeutenderen EUmente der„freisinnigen Partei" würden daher auch vielleicht eine andere Parole ausgeben, bezw. ausgegeben haben, aber sie haben den Muth nicht dazu. Ihrer sind nur ein sehr kleines Häuflein, und sie würden im Gros der Partei— wenn man noch von einem solchen reden darf— keine Gegenliebe finden. Das Gros der Partei ist depravirt, die kleinen Geister, die Lokalgrößen, können sich über den engen Horizont des Spießbürgers nicht emporheben, und so ziehen sie den Kampf gegen die Rothen dem Kampf gegen die Großen schon deshalb vor, weil er weniger gefährlich ist. Was daS Klasseninteresse allein nicht bewirkt, daS bewirken ergänzend geistige Trägheit und polttische Feigheit. Es ist unseres Erachtens ein sehr einseitiger Schluß, der zu verhäng- nißvollen Jrrthümern führen müßte, wollte man die Zersetzung der bürgerlich-liberalen Partei in Deutschland ausschließlich auf Konto der vorgeschrittenen wirthschaftlichen Entwicklung setzen. Wir sind gewiß die Letzten, den gewaltigen Einfluß dieses Faktors zu unterschätzen, aber so wichtig er ist, so ist er doch nicht der einzige, der auf das Wesen der Parteien einwirkt. Ihm alles zuschreiben, heißt Bismarck undseine Helfershelfer, heißt die Verbrecherbande, welche heute in Preußen- Deutschland den Ton angibt und überall Korruption säet, überall Fäulniß hervorruft, freisprechen. Was ein Mensch vermag, um ein Volk systematisch herabzudrücken, das hat der Mann gethan, der sich von seinen bezahlten Lobrednern der Genius Deutschlands schimvien läßt. Der Genius Deutschlands I Es ist eine Ausgabe, eines Geschichtichreibers würdig, nachzuweisen, wie von dem Tage an, da der Einfluß dieses Mannes datirt, das Werk der Korrumpirung deS öffentlichen Geistes in Deutschland beginnt, und wie nach und nach diese Korruption aus alle Gebiete des öffentlichen Lebens ausgedehnt wird. Ran wende nicht ein, das hieße ihm zu viel Ehre erweisen. Die„Ehre" verschwindet vor der Analyse der Umstände, die ihm sein niederträchtig Werk erleichterten. Ist Bismarck größer als sein Vorbild Bonaparte, weil er mehr Erfolg hatte al dieser? Wie bescheiden waren die materiellen Machtmittel, die Bonaparte zur Verfügung standen im Verhältniß zu denen, die einem Bismarck bei seinem KorruptionSwerk zur Seite stehen! Napoleon war an gewisse Traditionen gebunden und handelte unter eigner Berantwort- lichkeit, Bismarck aber folgt nur seinen Instinkten und ist für all sein Thun und Treiben durch den Hinweis aus feinen„kaiserlichen Herrn" geschützt, den sein Alter über oder unter— wie man will— jede Kritik stellt. Ein Vorzug nur zeichnet Bismarck aus. Napoleon besaß gewisse literarische Neigungen, er schwärmte für Schiller, interessirte sich für römische Geschichte ,c.— wer kann einem Bismarck dergleichen noch- sagen? Der Protektor eines Schwenninger weiß sich über solche Schwächen —„Sentimentalitäten" laut Busch— erhaben. — Ende gut, Alles gut— das kann man mit Fug und Recht von der am letzten Sonnabend geschlossenen Session des deutschen Reichstages sagen. Die letzte Sitzung war ein wür> diger Schlußstein zu all den Nichtswürdigkeiten, deren dieses Produkt der Lüge und brutalen Gewalt sich seit dem ersten Tage seines Zusammentritts schuldig gemacht. So zynisch frech hat wohl noch nie eine Körperschaft, die sich den Namen einer„Volksvertretung" beilegt, alle Pflichten einer solchen mit Füßen getreten, als es dieser Reichstag gethan. Er war oder vielmehr er i st eine S ch a ch e r b u d e, in der die einzelnen Koterien der an der Krippe sitzenden Ausbeuterpartsien mit der reaktionären Regierung Tauschgeschäfte schmutzigster Art machen auf Kosten des arbeitenden Volkes. Brauchst Du mehr Soldaten— hier hast Du sie, gib uns dafür eine anständige Schnapsprämie. Wollt Ihr Eure Zuckerprämien behalten? Gut, so bewilligt mir dafür eine anstän- dige Konsumsteuer. Und die Spießbürger, die aus unsere Versprechungen angebissen? Schön, die kriegen einen Jnnungsknochen vorgesetzt, der wieder für«ine Zeitlang vorhält. Und die Bauern? Auch die sollen etwas bekommen, das ihnen Freude macht und uns nichts kostet. Die arme Großindustrie? Der werden die Arbeiterschutzgesetze, die der Reichstag anstandshalber bewilligen muß, geschenkt werden. Im Uebrigen hat sie ihr«.Schutzzölle weg und ist zufrieden, wenn wir die Arbeiterkayaille in Zaum halten. So ging es vom ersten Tage an, bis zum Schluß. Dazwischen kamen die Komödien, Wahlprüiungen genannt, wo Regierung und Kartell- Parteien die verübten Wahlbettügereien gegenseitig guthießen. Uner- laubte Wahlbeeinflussungen gibt es in Deutschland überhaupt nicht mehr, —„erlaubt ist, was gefällt," sagen die vereinigten Kapital- und Land- protzen mit Tasso. Am letzten Tage trieb der nationalliberale Vizepräsident Buhl die Schamlosigkeit so weit, die Debitte über die Wahl des Herrn Hartmann in Plauen (28. sächsischer Wahlkreis) da- durch zu verhindern, daß er den Lärm, den seine Parteifreunde im Saale machten, dazu benutzte, sie, eh- noch ein Abgeordneter der Oppo- sition das Wort ergreifen konnte, mit Taschenspieler-G-schwindigkeit für„erledigt" zu erklären. Ebenso wie mit den Wahlprüfungen machte man es mit den Berichten über den Belagerungszustand. Die skandalöse „Erledigung" des Berichts über den Stettin er Belagerungszustand wurde noch übertroffen durch die Art, wie der Bericht über den S p r e m< berger Belagerungszustand abgethan wurde. Selbst der Nachweis Hasenclevers, daß der Bericht der Regierung Lügen enthalte, konnte weder das„hohe Haus" selbst noch den Rezierungsvertreter aus ihrer Ruhe bringen.„Es wird Ihnen nicht gelingen, uns zu einer Debatte zu provoziren", erklärte Herr Bötticher, als Singer das Schweigen der Herren vom RegierungSttsche als Zugeständniß sür die Schlechtigkeit ihrer Sache bezeichnete. Eine Lüge? Wer wird sich um eine Lüge, um ein Dutzend Lügen kümmern in einem Reichstag, dessen Mehrheit nur zustande gekommen, weil ein ganzes Netz von Lügen über die Wähler- schast ausgebreitet worden? tlnd daher schwiegen die Regierungsvertreter und schwiegen die Volks vertteter. Und warum sollten diese nicht schwei- gen? Der Belagerungszustand greift ja nur in die elementarsten V o l k s- rechte ein, er ist eine schreiende Verletzung des Heimath s- rechts, dieses Urrechts aller Zivilisation, wer wird um so etwas die Hand rühren? Ja, wenn es sich um Schaffung neuer Pöstch-n für die unversorgten Söhne der oberen Zehntausend handelte, das wäre etwas anderes, da würden patriotische Reden gehalten, denn— daS„Vaterland" über alles I Und diesem korrupten Reichstag, dieser schamlosen Schachergesellschaft, gab zum Schluß Herr Bötticher„auf besondern Befehl Seiner Majestät deS Kaisers" für die an den Tag gelegte tteue Pflichterfüllung den Dank und die Anerkennung desselben als Segensspruch mit auf den Heimweg! „Neunzig Jahre— Kinderspott l" — Unser Protest gegen die Annexion Huttens von Seite« der Sytophanten des neudentfchen Kaiserreichs hat es einem loyalen Anhänger deS Letztern angethan. Wir erhalten folgende Zu- fchrift: „Verehrliche Redaktion des„Sozialdemokrat"! Der„Sozialdemokrat" bringt in seiner Rr. 28 einige Notizen über Ulrich von Hutten und nennt ihn unter Anderm einen Sozialdemokraten seiner Zeit. Schwerlich wird diese Darstellung aufrecht erhalten werden können, wenn man sich nachfolgende Worte Huttens vorführt, die seinem Aufrufe vom Jahre 1518 angesichts des drohenden Türkenkrieges«nt- nommen sind: „Zur Einigkeit aber gehört insbesondere noch, daß, wie überhaupt, so vor Allem in diesem Kriege, Einer das Haupt, der Führer sei, dem alle Andern unbedingte Folge leisten. Im Kriege liegt am Feld- Herrn mehr wie am Heere. Was würde der Türke darum geben, wenn wenn er euch ohne Führer oder ohne Gehorsam gegen diesen fände. Den Führer habt ihr; nach des gesammten Deutschlands Wahl und Willen ist es Kaiser Maximilian . Er ist dieser Stellung würdig, also folget ihm. Keine Ruhe noch Rast hat er bei Tag und bei Rocht, und wir, wenn er einmal seiner Pflicht gemäß Einen straft, schreien über Druck und klagen über Dienstoarkeit; Freiheit aber nennen wir es, um das Reich uns nicht zu kümmern, dem Kaiser kein« Folge zu lei- sten und ungestraft uns Alles zu erlauben. Man bedenkt nicht, daß derjenige, in welchem man nur den lästigen Herrn sieht, vielmehr der Erhaller der Freiheit ist." Zum Sozialdemokraten, auch im Sinne seiner Zeit, fehlte demnach Hutten das Hauptsächlichste, nämlich Jndlfferentismus gegen da» Vater- «t°ß rtgei scher nah kevti H4' habt «err beut land und Feindschaft gegen dessen Oberhaupt, vielmehr kennzeichnen dies« D Worte ihn als einen für Kaiser und Reich begeisterten Patrioten, sowohl jäh im Sinne der damaligen wie der jetzigen Zeit. Wenn ferner in de« Reiä betreffenden Artikel die Sozialdemokratie als Nachfolgerin Hutten's b«> zeichnet wird, so sprechen dagegen folgende Worte aus einem Send- schreiben Huttens von der Ebernburg vom Jahre 1520: „Stets habe ich Aufruhr gemieden, zur Empörung nicht Ursals geben wollen, und zum Beweise, wie wenig es meine Absicht war, einen Umsturz der öffentlichen Zustände herbeizusühren, habe i<S Lateinisch geschrieben." Wenn der„Sozialdemokrat" sich von der Tendenz fernhalten will,«erz deren er seine Gegner mit den Worten„Verlogenheit und Heuchelet' beschuldigt, so wird er nicht umhin können, von diesen Zeilen Notiz j» nehmen und deren Inhalt seinen Lesern nicht vorenthalten dürfen. Ergebenst(Folgt Unterschrist.) Zunächst bemerken wir, daß wenn wir den vorstehenden Brief unsere» Lesern„nicht vorenthalten"," eS keineswegs aus Furcht vor der lieben* würdigen Drohung des Einsenders geschieht, daß wir unS anso' selbst der Verlogenheit und Heuchelei schuldig machten. Es ist vielm lediglich die jedem Sozialdemokraten eigne Toleranz in Meinungsdii renzen, die unS veranlaßt, auch einem Gegner Gelegenheit zu geh seine der unser» entgegenstehende Ansicht geltend zu machen. Um t Recht auf Wiedergabe beanspruchen zu können, müßten seine Einwand» doch etwas beweiskräftiger sein als die oben angefühtten. Also„JndifferentismuS gegen das Vaterland" und„Feindschaft gege» dessen Oberhaupt" sollen das„Hauptsächlichste" der Sozialdem» kratie sein? Eine recht arttge, aber eines wahrheitsliebenden und ehr lichen„Reichstreuen" nur durchaus würdige Unterstellung. Für wen Kais« Wilhelm das Vaterland und Bismarck dessen Oberhaupt ist, dem ka« man eine so un— schuldige Auffassung nicht übel nehmen. Aber lasse» wir sie selbst für die Gegenwart gelten, ist dem Einsender— der bot unsre Literatur so sorgfältig studirt— ganz unbekannt geblieben, d» unsre Partei auf dem historischen Entwicklungsstandpunkt steht, also j» nachdem für frühere Zeiten zuläßt, was sie heute verwirft? Daß st Menschen und Dinge aus dem Geist der Epoche beurlheilt, der sie a» gehören? Wüßte er das oder richtiger, ignvrirte er das nicht, so müßt er schon deshalb die Hinfälligkeit seines Argumentes begreisen. Jndeß wenn wir auch von dieser Ungeheuerlichkeit absehen, eine» ü Mann, der vor nahezu vier Jahrhunderten gelebt, mit dem Maßstab bei Noch Jahrhunderts der Eisenbahnen, der Dampfschiffe, des entwickelten Welt dem Verkehrs und der kapitalistischen Großindustrie messen zu wollen, so bleib! Mei es ein starkes Stück, uns zur Beurtheilung der politischen Thätigket Ber dieses Mannes zwei Briefe vorzulegen, von denen er den ersten zu ein» vor Zeit geschrieben, da er, soeben aus der Fremde zurückgekehrt, frei' noch nicht mit den weltlichen, ja selbst noch nicht einmal mit den kr l'.chen Gewalten gebrochen hatte, sondern nur Mißbräuche der Geistli keit bekämpfte, während der zweite einer Zeit entstammt, da H immer noch darauf rechnete, alle Schichten des deutschen Volkes, sel den soeben zur Regierung gelangten Kaiser Karl V. , für seine Be~ buagen zu gewinnen. Auf solche Art unternehmen wir eS, aus Li einen treuen Anhänger Roms, aus Robespierre einen Royalisten aus Herrn Gneist einen Kämpfer für die Freiheit zu machen. Hui wurde Rebell, als er gesehen, daß vom Kaiser weder für den Kai für geistige Freiheit noch sür die unterdrückten VolkSklaffen etwas erwarten. Wenn in dem Sendschreiben, dem das Zitat entnomme» Hutten auf die Thatsache verweist, daß er bisher Lateinisch geschrieben als Beweis dafür, daß er keinen Umsturz der öffentlichen Zustände g» wollt, so braucht man nur zu wissen, daß grade von 1520 an Hütts seine Flugschriften in deutscher Sprache erließ, um den Wer« dieses Belegstücks für die Streitfrage zu bemessen. Es muß sehr schliirt» um Huttens„Ordnungsliebe" stehen, wenn der Einsender kein besser« Zeugniß für sie ins Feld führen kann. I Nein, werther Herr, grade in dem Punkt, auf den Sie sich steif«» J1*8 um die Bezeichnung Huttens als eines Sozialdemokraten für seine M j!"}! zurückzuweisen, ist für Sie absolut nichts zu machen. Da ist und biet«'eß Hutten der Unsre. Würden Sie mehr vom Sozialismus verstehen,?*»? hätten sie auf die Mängel des Hutten schen Programm»— auch für � damaltze Zeit— verweisen müssen, und dann würde man«>»m,st»nS er»? has� mit Ihnen diskutiren können. Aber in der Aera des KulrurfrieddJ mit Rom und der Ausnahmegesetze wider die Arbeilerklasse einen Hütt«» als das Urbild eineS Bismarckischen Reichstreuen zu reklamirm, ist wü- lich Ver Gipfel der— Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe! J o der geni dier »eh äff« 81 bi West was trat V ins wo S g-ri spie «irl in! sitze z wü, la « tro: doä I — Auch„Arbeiterver treter"..... christelnde Staatsanwalt und Reichstagsabgeordnete Hartman� (Plauen ) hat mitunter An Wandlungen von Komik. Als z. B. in vorig» Woche bei Berathung der jämmerlichen Beschlüsse der jämmerlich» „Arbefterschutz Kommission"(wie sie schönrednerisch noch immer benai» Der fozialreformelnde, praktiss iun »l l dies wird) unser Genosse Meister sein Bedauern darüber ausdrückte, dl keine Aibeiteroertreter in der Kommission seien, erhob sich unser scher Hartmann und meckerte mit theatralischer Geberde: „Der Herr Vorredner sagt, es sei kein Arbeitervertreter in der Ko» Mission. Er hat Recht— es ist allerdings nicht Einer drin, es P 28 Arbeitervertreter in der Kommission. 23 Mitglieder des Reichstag haben die Kommission gebildet, und alle 337 Mitglieder deS Reichstag sind Vertreter des gesammten Volkes, also auch der i' b e i t e r. Und ich weise im Namen der Kommission den Anspruch* Sozialdemokraten, ausschließlich die Vertteter der Arbetter zu sein»»» schieden zurück." Sprach's, und setzte sich stolz nieder unter„Bravo rechts." Ei, liebes Staatsanwältchen— ganz neu ist daS nicht, was Si»' gesagt haben, aber desto komischer. Schon Ihr oberster Chef, der JuN» 0 Eisenstttn, sagte emst:„Auch i ch gehöre zum Volk." Und er m»'» L sogar: ,�Jch bin das Volk." Und hörten wir nicht zu des selig' ~ � itm den 1 de» Mit sire si- Z th« Ion blv! gen Frc Ä >s f Schulze-Delitzsch Zeiten zehntausendmal die Kapitalisten und Arbeitgl betheuern:„Auch wir find Arbeiter!"? Ob manchesterlicher oder sozial polizeilicher Kapitalismus, das sich gleich— Kapitalismus ist Kapitalismus . Und wenn„wir K listen"„auch Arbeiter" sind, find wir natürlich, wenn wir uns Mandat— je nun, erworben haben, auch«Arbeiter»»' t r e t« r." Das ist Logik. Und ein Staatsanwalt muß doch wahrhaftig Logik' Leib haben— freilich nicht immer im Schädel. O wie der staatsanwalttiche„Witz" im deutschen Volk belacht wen' wird, und mit welcher Wonne der deutsche Arbeiter den letzten Arbeit» groschen und der deutsche Bauer„die letzte Kuh" dem Exekutor hing»� wird, wenn er sich dabei sagen kann:„Es sind lauter Arbeitervertt»� die dir die 200 Millionen neuer Steuern und die 383 Millionen v Nachttags-Etat aufgehalst haben-- zu deinem Besten." Im Sprichwort heißt es: die Rose duftet gleich süß, welchen Na»» sie auch habe. Das gilt aber jedenfalls nicht vom Geld und von v, Steuern. Das Geld duftet viel süßer und klimpert viel lustig»». den Junkertaschen, wenn von„A r b e i t e r v e r t r e t e r n" pflichtsiss digst gewährt, statt von hungrigen Ag---'--- ritterlich geraubt. Und die Steuern zahlen wenn sie von„Arbeftervertretern" aufgeladen sind, lichen Raubrittern.'„ Herr Hartmann ist ein Schlaumeier und er weiß das. Und r Kollegen find gleichfalls Schlaumeier— darum daS wohlverdi»' „Bravo rechts". unt ver l 1 zivi Sie' Sr ein der : e t e r n" pflichM zrariern ra»' sich zehnmal leich? nd, statt von ju»' vi Nid lies tte fo» »n -»! die so »n — Puttkamer Lügen gestraft— das ist nichts Merkwürdig und nichts Neues— lügt er doch ost genug— was aber merkwi»� und meu, er ist Lügen gestraft worden von einem amtlichen� gierungsorgan— von der„Leipziger Zeitung", die bekan»8 unberechenbar ist und manchmal die Wahrheit sagt. Stn-insr ikr-r Itfaten Nummern—«nm 11. ds.— Evtttrtt sie tr. dr. 6, au so n» k»! «i daß die verbrecherische Thorheit der Regierung und der Reg'eru>" Parteien die Arbeiter noch zu einer„allgem einen Er heb»»' treiben wird.„Thatfächlich werden die Arb»«' durch das Elend hierzu gezwunge n." � Gewiß sehr vernünftig, das; und wenn Herr Puttkamer das � wird ihm der Kops schwindeln. Doch das ist nicht daS Schlimmste.
Ausgabe
9 (24.6.1887) 26
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