FSulniß der Bourgeoisie, von der Armee von 30.000 posiibilisttschen Wählern sprachen, aber das damit schloß, das Volk möge ruhig und Zeder hübsch zu Hause bleiben. Dieses Plakat paßt- so gut in daS Spiel F-rry's, daß es vielfach heißt, es sei von den Ferrysten bestellt und bezahlt worden. Die Agitation der revolutionSren Sozialisten schlug ein: am ersten Dezember belagerten 15,000 Menschen die Deputirtenkammer mit dem Rufe: Nieder mit Ferry ! Ins Waffer mit Ferryl und überhäuften die des Ferryimus verdächtigen Abgeordneten mit Verwünschungen und Drohungen. Grevy, der diese Demonstration gegen Ferrq für eine Auf- forderung der Bolksmaffen an ihn hielt, zu bleiben, ließ, statt seine Tntlaffung zu geben, wie er feierlich versprochen, der Kammer sagen, er habe seine Ansicht gewechselt. Die Deputirten aber kriegten Furcht vor der Agitation im Volke, die, wenn sie fortdauerte, zu allem Mög- liehen führen konnte, und erklärten, statt auseinander zu gehen, ihre Sitzung in Permanenz, biS der Präsident ihnen eine endgültige Antwort geschickt haben werde. Man sprach sogar davon, zum Kongreß zusammen- zutreten und in der Verfassung eine Aenderung anzubringen, auf Grund deren eS möglich wäre, den Präsident abzusetzen. Da endlich begriff Grevy, daß er gehen müsse, und ließ um sechs Uhr der Kammer mittheilen, daß er am nächsten Tage, den 2. Dezember, seine Entlassung geben werde, was er denn auch that. Aber an diesem Tage gab es bereits 50,000 Manifestanten, und e« kam zu Kollisionen mit der Polizei und den berittenen Munizipalgarden. In der Meng- fing eS an, zu gähren; wenn die Krise fortgedauert hätte, würde eS Sonnabend und Sonntag Abend mehrere hunderttausend Menschen in den Straßen gegeben haben. In den Werkstätten in den Vorstädten wurde daS Schlagwort auSge- Sben, in allen Stadtvierteln bildeten sich Komttes, die die Namen und dressen der Händler notirten, die Waffen oder chemische Produkte feil- hatten, und die Inbesitznahme derselben organistrt-n. AuS der Provinz kamen D-legtrt» und thetlten mit, daß ihr- Gruppen bereit wären, sich mit Paris zu erheben, wenn Ferry gewählt würde. Man stand am Vorabend einer Schlacht, die Samstag Abend ihren Anfang genommen hätte.— An diesem Tage, den<> Dezember, schickten alle Gruppen Dele- girte ins Stadthaus, um die aus Versailles , wo der Kongreß tagte, einlaufenden Berichte entgegenzunehmen, und alles war bereit, dieselben sofort den Arbeitervierteln zu übermitteln. Der Gemeinderath.(die Fraktion der autonomistischen Republikaner — nicht die Poffibilisten— würde sich erhoben haben) empfing die revolutionären Delegirten und stellte ihnen einen Saal zur Verfügung. Die Demonstrationen an den beiden vorhergegangenen Tagen hatten die Deputirten und die Senatoren im Kongreß bereits so erschreckt, daß, als sie erfuhren, daß die Delegationen der revolutionären Gruppen im Stadthaus in Permanenz seien, sie glaubten, die Kommune sei proklamirt. Im Gefühl dieser Furcht vollzog sich die Abstimmung. Wenn Ferry durchfiel, so geschah-S Dank den von den revoluttonären Sozialisten und den sozialistischen Radikalen geleiteten Volksdemonstrationen. Die possibilistischen Führer rührten sich nicht, aber ihre Soldaten waren mit den Revolutionären; man wird Ersteren ihr f-ig-S und unehrliches Verhalten nicht vergessen. Das Parts der großen Tage war plötzlich wieder erwacht: es hätte sich verzweifelt geschlagen. Vielleicht wäre es besiegt worden, denn die peinlichsten Vorkehrungen waren getroffen, aber dieser Sieg wäre den Männern der Ordnung theuer zu stehen gekommen.
Wie aus der vorigen Nummer unsres Blattes ersichtlich, stimmt die hier entwickelt« Auffassung der Pariser Vorgänge im Wesentlichen mit der unsrigen überein. Es wäre oder vielmehr es ist der schlimmste Dok- trinarismus, die Einmischung des arbeitenden Volkes in den Präsident- fchaftskonflikt unter der Motivirung zu verwerfen, der ganze Streit sei eine innere Angelegenheit der herrschenden Bourgeoisie und gehe die Arbeiter nichts an. ES kann den Arbeitern zunächst durchaus nicht gleich- gültig sein, ob ein Mann die oberste Leitung der Republik in die Hand bekommt, der erklärt, die Gefahr sei auf der Linken, d. h. der den reaktionären Elementen alle denkbaren Konzeffionen machen will, um die „Kanaille" in Schach zu halten, hängt auch von Einem Mann die schließ- ltche Entwicklung der Ding« nicht ab, so vermag er doch der Bewegung viel Schaden zuzufügen, ihr viel unnütze Opfer zu bereiten. Dann aber liegt es grade im Interesse der Arbeiterklasse, die auS tausend Gründen in den heutigen Parlamenten nie einen entscheidenden Einfluß gewinnen wird, wenn solche Fragen wie die diesmalige Prästdentenwahl nicht auS- schließlich von den Intriganten der Kammern entschieden werden, sondern daß so oft wie möglich von draußen her ein Wort mitgeredet wird. Das ist namentlich dann am Platze, wenn eS sich, wie diesmal, um einen Protest, um die Verhinderung der Wahl eines Mannes handelt, der die Politik der systematischen Abwiegelung repräsentirt. In ihren persön- lichen Sympathien haben sich die Massen oft geirrt, in ihren Antipathien selten. Falsch ist eS unsres Erachtens auch, zu sagen, ein Einschreiten der Volksmassen ist erst dann am Platze, wenn die Republik wirklich bedroht ist, wenn ein Staatsstreich im Ernst versucht wird. Dann ist ei vielmehr meist zu spät. Daß das Pariser Volk im richtigen Moment intervenirt hat, zeigt nichts deutlicher als der Wuthschret der reaktionären Bourgeoisie, der in Deutschland verständntßmntgen Wiederhall gesunden.
Mehr zur wirthschaftlichen Entwicklung. (Eingesandt.) Ein recht bezeichnendes Bild der heutigen Produkttonsverhältnisse liefert die Strohhutfabrikation. Von einem der rentabelsten Geschäftszweige ist diese Branche in den letzten 5—6 Jahren so„auf den Hund gekommen", daß die„armen" Fabrikanten schier aus der Haut fahren könnten, oder vom sozialökono- mischen Standpunkt aus betrachtet:„Das kapitalistische System mit der so viel gepriesenen freien Konkurrenz hat in dieser Branche so abge- wirthschastet, daß nur die sozialistische Produktion als rettender Engel gesundere Verhältnisse schaffen kann." In dem Fabrikantenorgan„Dresdener Strohhut-Zeitung" macht ein Einsender— anscheinend Grobfabrikant— seinem Herzen Lust und schreibt ziemlich treffend wie folgt: „An wem liegt'S? „An wem liegt'S, daß unsere Branche, die noch vor einem Jahrzehnt eine der besten war, in ihrer Rentabilität so zurückgegangen ist? „Da ist zunächst die Nähmaschine gekommen, die hat unS so leistungsfähig gemacht, daß Viele von unS geglaubt haben, eS sei nun ganz in der Ordnung, wenn wir die Hüte im Preis- herabsetzen. Also der ganze Vortheil, den unS die Nähmaschine gebracht, ist von dem größten Theil der Fabrikanten bescheiden(o diese Tugendengel!) für sich abgelehnt und Anderen überwiesen worden. Ganz ädnlich ist eS auch mit dem Import von Shinastroh gewesen. Durch daS Chinastroh waren wir in den Stand gesetzt, auch für Leute, die wenig Geld haben, bei einer für uns noch leidlich günstigen Kalkulation einen sehr billigen Strohhut liefern zu können. Das genügte Bielen von uns nicht, sie wollten einen spottbilligen Hut liefern. Es kamen Preis« auf, bei denen man sich fragte, was ist an dem Hut eigentlich bezahlt? Die betreffenden Fadrikanten lehnten abermals allen vortheil, den die maflen- haste Einführung eine» billigen und sehr brauchbaren Geflecht« hätte bringen können, bescheiden für sich ab. er wurde abermal» Anderen überwiesen. So sind zwei wichtige ge chäftliche Neuerungen, welch« bei normaler Ausnutzung für die Branche von Segen sein konnten, nur Ursache zu Herabsetzung der Preise geworden. Und wie hat sich in der- selben Zeit, in welcher die Nähmaschine und das Chinastroh so einfluß- reich geworden, das Geschäft erschwert. Die rasche Leistungs- fihi gleit hat eS mit sich gebracht, daß die Grossisten und Detail« listen bis zum letzten Augenblick mit ihren Bestellun- gen warten. Trotz dieser notorischen Zurückhaltung ist e« Mode ge- worden, statt, wie früher zweimal, jetzt vier- bis fünfmal auf die Reise zu gehen und damit womöglich schon vor Pfingsten, also vor Ablauf der alten Saison zu beginnen.(Ist im Vorjahr lhatsächlich mehrfach vor- gekommen.) Die rasche Leistungsfähigkeit verführt auch zu einem noch rascheren Wechsel in den Moden. Ran gibt sich gar nicht mehr die Mühe, gute Formen besonders zu poussiren, man legt immer ReueS vor und meint:„Wer Vieles bringt, wird Jedem etwas bringen", aber
daS bedenkt selten Einer, daß er sich mit den übergroßen Formensvesen nur selber ums Geld bringt, und daß auf diese Weise die beste Form nicht zum Durchschlag kommen kann. „Ist auf der einen Seite daS Unterbieten im Preis« ein Mal- heur, so ist eS das Ueberbieten auf dem Gebiet der NouveautoS nicht weniger. Es wird fortwährend oersucht, man sabrizirt oft gar nicht mehr, sondern experimenttrt und daS kostet immer Geld, fordert Opfer an Zeit und wir setzen unfern Fleiß an nutzlose Dinge. Das Konzen- triren der Fabrikation aus wenige Monate hat auch die Arbeitskräfte im Preise gesteigert, wenn auch daS noch zu übersehen sein mag. Kurz, wir haben alle Bortheile der neuen Fabrikationsmethode abgetreten an Andere, und alle Uebel, wie die gesteigerten Spesen, die Unsicherheit der Dispositionen, den raschen Modewechsel behalten— kein Wunder, wenn Niemand mehr etwas verdient. „Wem kommt nun eigentlich die Differenz, der Ausfall an Verdienst, zu Gute? Etwa dem Grossisten? Kaum! Er hat jede Preisermäßigung, jeden„Erfolg" im Preisdruck, sofort auch seinerseits ebenfalls der leidigen Konkurrenz wegen, wieder abgetreten und zwar zunächst an den Detaillisten. Aber hier bleibt der Vortheil auch nicht sitzen. Man lese nur in den Schaufenstern die Preise. Buch hier hat eine unsinnige Kon- kurrenz Unheil angerichtet. Die einzige Partei, die bei dem ganzen Handel sich in's Fäustchen lachen kann, ist daS Publikum, dieses vielköpfige Ungeheuer, daS nicht einmal EtwaS davon weiß, welch« Opfer ihm an Intelligenz und Kraft gebracht werden, wie man ihm in einem übermäßigen Furchtgefühl vor der„Konkurrenz" in letzter Linie alle Vortheüe zuschiebt. „ES wäre dem Publikum wahrhaftig aleichgiltig, wenn eS für den bil- ligsten Mottledhut 15 Pf. und für da» Mittelgenr« 30 Pf. mehr bezahlte. Sieben lange Monate wird«in Strohhut getragen, es müßte der Träger ärmer sein wie eine Kirchenmaus, wenn ein solcher Betrag für ihn in Frage käme. Dieser geringe«uffchlag würde unsere Branche zwar auch noch nicht unter die lukrativen Gewerbe erheben, aber eS würde wenig- stens nichts mehr zugesetzt, eS würde unsere Mühe und Arbeit nicht mehr vergeudet an«in ärgerlich aufregendes Geschäft, von dem wir genau wissen, daß es unS unter den obwaltenden Verhältnissen nicht vorwärts, sondern nur rückwärts bringen kann. „Di- einzige Ursache zu dieser ganzen Misöre ist die gegenseitige Angst vor uns selber oder mit anderen Worten, vor der Konkurrenz. Als wenn heute noch etwas eingebüßt wäre, wenn unS ein Anderer einen Auftrag wegschnappt! Ich für meinen Theil bin auf dem Standpunkt angelangt, fort mit Schaden, soll'S ein Anderer machen, wenn ich nichts dabei verdiene und ich habe gegenwärtig die Genugthuung, man kommt vereinzelt doch wieder. „Wo soll auch ein dauernde» Geschäft herkommen, wenn Jemand Auf- träge übernimmt, von denen er nsr weiß, daß er Arbeit, aber keinen V-idienst hat? Nach einer Richtung muß er sich helfen, und dann gibt'S die bekannten Differenzen. „Soll daS so fortgehen? „Ich bin der Meinung, eS würde rasch besser werden, wenn wir unS «in wenig mehr Ruth anschaffen, unfern Abnehmern gegenüber. Kalkuliren wir mit einem unbedingt nothwendigen, wenn auch bescheidenen Nutzen und halten wir daran unter allen Umständen fest. Insbesondere möchte ich daS den kleinen Fabnkanten zurufen, die sich jetzt meist schlechter stehen wie vor Jahren, als sie noch Presser gewesen. Ohne Kapital, ohne Hilfsmittel, mit oft sehr beschränktem Kredit würgen sie und quälen sich und bringen doch nicht mehr weg» wie den Mund bei allem Aerger und Sorgen ob- ndrein. „Di- Geflechte sind im Preise gestiegen, die Saison ist da, benutzen wir diese Konjunktur zu einem vernünftigen Aufschlag. Wollen wir uns denn immer die Ohren voll lamentiren, wie bisher, und«S beim Alten lassen? Freilich, Mulh müssen wir un» anschaffen, wir müssen sogar den Muth haben, die Produktion«in« z u s ch r ä n k e n, wenn man unS keinen berechtigten Gewinn zukommen lassen will. Haben wir unS soweit ausgerafft, dann wird und muß ein« Besserung eintreten." Solche und ähnliche Artikel, der eine mehr klagend als der andere, füllen tagtäglich die Fachblätter und zum Theil auch die kommerziellen Spalten der sonstigen bürgerlichen Presse. „Soll das so fortgehen?" ist der stereotype SchmerzenSlchrei, und die gegen die mißlichen industriellen und kommerziellen Verhältnisse rmpfoh- lenen Palliativmittel kennzeichnen nur die in den betteffenden Kreisen herrschende Rath- und Thatlostgkett. Die gemachten Borschläge zur Besse- rung bleiben nur im Reiche der Illusion, da sich kein Mensch daran
kehrt. An Versuchen, t e l l e zu bilden, z. B. im Jahre hauptsächlich um
„T r u st"- R i n g e oder Fabrikanten-Kar- hat eS auch in dieser Branche nicht gefehlt; so tagte 1835 ein Strohbutsabrikanten-Kongreß in Dresden , eine einheitliche Kalkulation einzuführen, und für die billigen Chinastrohhüte Minimalpreise festzusetzen. Der Versuch scheiterte kläglich, da der Kapitalismus eben kein« Einschränkungen verttägt, und nun wird weiter geschleudert. Daß unter dieser Misöre grade die Arbeiter und Arbeiterin- nen(diese Branche beschäftigt viele Mädchen und Frauen mit dem Nähen und Garniren der Strohhüte) sehr zu leiden haben, ist selbstver- ständlich. Fast jedes Jahr— solange Schreiber dieses in der Branche arbeitet — sind die Arbeitslöhne herabgesetzt worden, besonders die für die weiblichen Krätte. Der Mangel jedweder fachlichen Organisation und daS vermehrte Angebot weiblicher Arbeitskräfte mag die Hauptschuld daran tragen. Letzterer Umstand hat jedenfalls auch viele größere Fabri- kanten veranlaßt, wahricheinlich aus Bescheidenheit, von den zu Hauie arbeitenden Näherinnen— größtentheils verheirathete Frauen— die Selbstanschasfung einer Nähmaschine zu verlangen, wenn st« Arbeit erhalten wollten. Daß sich die Fabrikanten dabei nur gut stehen, ist einleuchtend: sie haben kein so oroßeS Arbettelokal nöthig, sparen an Dampikrast, Heizung und Beleuchtung, brauchen nicht die Lamentationen über die schlechten Nähmaschinen anzuhören, sparen die nicht unbedeutenden AuSbesserungikoften für dieselben und, was daS Wichtigst- ist. sie zahlen den HauSnäherinnen keinen Pfennig an Arbeits- lohn mehr, eher weniger, da die meist verheiratheten Frauen mit einem kleinen Nebenverdienst zufrieden sind und eS eben Arbeitskraft im Ueber- fluffe gibt. Sehr n a ch t h e i l i g für die Arbeiter und deren L o h n v e r- h ä l t n i s s e ist auch der Umstand, daß stch die Produktion immer mehr aus einen kurzen Z itraum, Februar, März, April, zusammendrängt und deshalb die Arbeitskraft auf daS A-uß-rfie anspannt. In dieser Zeit wird fast überall 15—18 Stunden, ja oft Tag und Nacht hindurch „geschuftet"(der Ausdruck ist hier wirklich sehr am Platz), Sonn- und Feiertage werden nicht reipektirt,'«« geht in ernem Athem fort. Wenn die Arbeiter ber dieser doppelten Arbeitszeit einmal 30—40 Mark per Woche verdienen, so ist das zu viel und die Fabrikanten ver- suchen, die„hohen" AkkorMStze herabzusetzen, ohne Rücksicht darauf, daß aus die kurz« Zeit de» flotten Geschäftsganges die lang«„Saison morts" folgt, wo die Hälft« der Arbeiter unfreiwillig feiern müssen und die übrigen nur ungenügend beschäftigt werden. Der E nfender der„Strohhutztg." weiß warum er der Preissteigerung der Arbeitskrä te in der Saison keinen großen Werth beilegt, sie findet eben niemal» statt; die Arbeiter haben stch dagegen immer nur gegen Lohareduktwaen wehren müssen. (Schluß folgt.)
Sozialpolitische Rundschau. Zürich , 14. Dezember 1887. — Wir kennen unsere Pappenheimer— inwendig und au»- wendig. Als vor etwa einem halben Jahre oder vor dreiviertel Jahren die deutsche Polizeipresse anfing, notorische vp tzel zu ihren Mitarbeitern zu machen, den Anarchismus in allen Tonarten auszupuffen und Untersuchunzen über die Frage anzustellen, od denn eigentlich«in wesent- licher Unterschied z w i s ch e n S o j i a l i i m u» undAnarchis- muS besteh«— da sagten wir sofort:„Die» ist die Vorbereitung für
die nächste Verlängerung des Sozialistengesetzes. Da die alten Argui mente rostig geworden sind und das Sozialistengesetz selbst bis tief in die nationalliberal« Partei hinein seinen Kredtt verloren hat, so muß man zeitig für neue Waffen sorgen. Und daS soll dadurch geschehen, daß man den Nachweis liefere, die deutscheSozialdemokrati« sei im Begriff, mit Sack und Pack in das anarchistische Lager überzulaufen." Der Beschluß de» St. Gallener Parteitags kam de» mit di«ser sauberen Aufgabe betrauten Leuten stark in die Quer«— indeß ein Mensch, der die Slöcker'schen Meineide und die Jhrtng« Mahlow 'schen Dynamit-Verschwörungen und MajestätSbeleidtgungen zu rechtfertigen, ja zu oerherrlichen gelernt hat, der stolpert nicht über solch» Zwirnifäden, der kann Alle». Es gibt für ihn keine Schranke de» Logik, der Ehre, deS Anstand «— er setzt sich ruhig über jede Schranke hinweg und— so hat die journalistische Leibgarde der Puttkamer, Stöcker, Bismarck es denn fertig gebracht, der Welt vorzulügen, in St. Gallen habe die deutsche Sozialdemokratie stch den Anarchisten so genähert, daß kein Unterschied mehr vorhanden sei. Und sollt« etwa noch irgend ein Zweifel vorhanden sein, so werde er durch daS bekannte Telegramm zu Gunsten der Chicagoer Anarchisten geliefert. Nun— solche Nichtswürdigkeiten lassen sich nicht kritistren, ste lassen stch blos konstatiren. Sie müssen angenagelt werden, voilä tont. Wer aber das Völkchen an der Arbeit sehen will, der sehe stch die neueste Leistung des Bismarck'schen„Sauhirten" Schweinburg an. Die« selb« ist in allen Reptilblättern zu finden und lautet: „Wie auS den verschiedensten Andeutungen in der Presse zu entnehme» ist, wird die voraussichtlich noch in dieser Session dem Reichstage zu« gehende Vorlage über die Verläagerung des Sozialistengesetze» nicht nur gleich dem vor zwei Jahren akzeptirten Entwurf eine Dauer von fünf Jahren, sondern auch eine Verschärfung der Bestimmungen verlangen. Man kann ja selbstverständlich auf dies« Kombinationen keinen zu großen Werth legen, aber der Entwicklung gegenüber, welch« nament» lich auf dem St. Gallener General-Kongreß der deutsche« Sozialdemokratte die letztere genommen hat, wäre eine schärfere Anzie« hung der gesetzlichen Bestimmungen nur naturgemäß. Früher, und namentlich auch im Reichstag «, dursten die sozialdemokratischen Führe» die Aeußerung wagen, zwischen Anarchismus und Sozialdemokrati« herrsche ein unübersteiglicher Gegensatz, und obgleich alle staatserhaltend«» Element« deS Reichstags von der Nichtigkeit solcher Redensarten über« zeugt waren, konnten sie einen durch thatsächliches Material begründeten Widerspruch hiergegen nicht erheben. Jetzt ist es damit anders geworden. Der St. Gallener Kongreß hat bewiesen, daß die Sozialdemokrat«» nicht absolut« Gegner de» Anarchismus sind, sondern denselben nur bekämpsen wollen,„insowett er die absolute Autonomie erstrebe." In Uebereinstimmung mit dieser theoretischen Hinneigung haben die Herren Singer und Genossen auch prattisch ihre Sympathie mit den anarchi« stischen Bestrebungen dadurch bethätigt, daß sie mit einem Begnadigungsgesuch für die Chicagoer Anarchisten eingetreten sind. Und e» ifi auch nicht zu verwundern, daß die Sozialdemokraten jetzt offen ein Geständniß abgelegt haben, zu dem sie wohl schon längst in ihrem Innern gelangt waren. Sind denn nicht die gegen- wärtigen Leiter des Anarchismus aus sozialdemo« kratischen Reihen hervorgegangen, sind denn nicht beid» Richtungen von einem gleichen entsetzlichen Pessimismus in der Beur- theilung unserer bestehenden Gesellschaftsordnung beseelt, zeigen nicht beide denselben Atheismus, denselben naturalistischen Materialismus? Der Teufel der Anzweiflung jeder Autorität begnügt sich nicht mit einer Annäherung an den Abgrund der Anarchi«, er treibt seine Anhänger in denselben hinein. Diesem Schicksal sind auch die Sozialdemokraten nicht entgangen, ste haben stch als Anhänger deS größten Theil« der Be> strebungen der Anarchie bekannt, sie werden bald von den Anarchist«« nicht zu unterscheiden sein. Die Regierung jedeS Staatet aber, welcher sich nicht mit in diesen Abgrund zieh«» lassen will, muß Sicherheitsmaßregeln treffen und sollten sie auch in derVerschärfung eine» Ausnahme- gesetzei bestehen." Die» die Schweinbur g'sche Leistung. Wir können nur sagen daß ste unS insofern einen sehr angenehmen, ja erheiternden Sindrul gemacht hat. al» st« da» Seständnib emschlzeßt, daß das Sozia listengesetz der Sozialdemokratie gegenüber ohn« mächtig gewesen ist. Da» FiaSko des Sozialistengesetze» ist also amtlich konstattrt. Wir nehmen Akt von dem Geständniß. — Zur MeineidSfrage schreibt man unS: „Die Sozialdemokrati« wird von gewissen Leuten immer und immer wieder als diejenige Partei bezeichnet, welche systematisch zum Mein- e i d erzieht. Uns gegen diesen Borwurf zu vertheidigen, ist über« flüssig. Da genügt der Name Stöcker, und die Gegner sind zu Bode« geschlagen. Wir wollen aber heute den Eid von einer anderen Seit« belrachien, welche bis jetzt wenig oder gar nicht betrachtet worden ist. Es kommt sehr oft vor, daß Beamte in ihrem Dienst« ein«» Meineid leisten. Sind wir nun in der Lage, die erforderlichen Zeugen und theilwese noch mehr Zeugen als nöthig war, zur St-lle zu bringen, welche mit gutem und reinem Gewissen bezeugen können, daß der Beamte einen Meineid geschworen hat, so tritt der Staatsanwalt hin und spricht:„Reine Herren, diese Leute gehören zv jener Partei, welche den Meineid verherrlicht und empfiehlt, ich bitte den hohen Gerichlshof, diese fünf oder sefchs Zeugen als nicht glaubwürdig anzusehen. De» Eid dieses Beamten hat für mich mehr Werth al» die sechs Eid« diese» Sozialdemokraten." Der„hohe" Gerichtshof schließt sich regelmäßig dieser„Auslegung" an und der meineidige Beamte geht wohlgemuth nach Hause. Konsequenterweis« mußten nun die fünf oder sechs Zeuges wegen Meineid unter An klag« gestellt werden. Aber die Herren Slaatt« anwälte haben stch bis dato fast immer mtt der Rettung des L«- amten zufrieden gegeben. Ein solcher Fall, wo«ine ganz« Anzahl— 6— Zeugen den Meineid eines Beamten nachwiesen, ist z. B. in Leipzig pasfirt und Staatsanwalt H ä n tz s ch e l hat die eben beschrieben« Rolle gespielt. Es wurden bei dieser Gelegenheit sechs Männer als Lügner hingestellt und vor der ganzen Welt als Schufte gebrandmaikt, denn wer«m fälschet Zeugniß ablegt, wird doch al« Schuft und Lump betrachtet. Wäre e» vielleicht nicht gut, wenn man einmal den Versuch macht«. gegen einen solchen Staatsanwalt mtt einer Beleidigungsklage vorzu- gehen? Und noch ein anderer Punkt muß hervorgehoben werden. Warum läßt man überhaupt Sozialdemokrat«« schwören, wenn man deren Eid« doch schon im Voraus al« werthlot bezeichnet? Rur au» dem einen Grunde: e« könnte in del beschworenen Aussage ein Sozialdemokrat sich etwas ungeschickt aus- drücken, woraus dann mtttelS„guter Auslegung" ein Meineid gemacht weiden könnte. In einem solchen Falle würde Staatsanwalt H ä n tz s ch« l sofort plädiren:„Meine Herren, dieser Mann gehört jene» Partei an, welche u. f. w. Ich bitte um«ine hohe Strafe." Also: man läßt die Sozialdemokraten nur der Form««ge» schwöien, gewissermaßen zum Privatvergnügen, oder richtiger, um ste z» sangen;— stellt sich aber einmal eine winzige Differenz heraus. sofort wird die härteste Strafe angewendet— wie scho» dagewesen. Wir würden unseren Genossen empfehlen, an denjenigen Gerichten. wo schon, wie in Leipzig , Eide vonunS ali werthlos behandelt wur- den, d nEid au« diesem Grunde zu verweigern, denn zuol Rarrenspiel dürfen wir uni nicht hergeben. WerthloS find unser« Eide , aber fahrlässig« Eide ein» Sozialdemokraten sind nicht straflos wie bei Stöcker. Da« ist da» gleiche Recht im„Reich der Gottessurcht und fromme» Sttte." So unser Korrespondent, dessen folgerichtige Logik selbst die deutsches Staatsanwälte nicht werden beftretten können. Was den Vorschlag angeht, Staatsanwälte, die sich frech beleidigend� Aasdrücke bedienen, zu verklagen, so kann ja in einem besond rs tnast1* schen Fall der Versuch einmal gemacht werden. Staateanwälle steh«» weder über dem Strafgesetz noch über dem Gesetz de« Ai.standes , od- gleich viele von ihnen dieser Ansicht zu fem scheinen— wenigstens ihre» Benehmen nach zu schließen. Beleidigt und beschimpft der Staatsanwa«