Aulturzustande in der Schweiz bieiet der am vorigen Don« «erstag beendete große Posener Sozialistenprozeß. Das Dibelwort vom Splitter und Ballen, das beiläufig nirgends weniger Geltung hat, als in den Dreisen der sich bibelgläubig nennenden preußi- fihen Reaktionäre— ist noch zu mild. um das MißverhSltniß ouä*u< brücken zwischen dem, waS die fittenstreng« Exzellenz an der kleinen Schweiz entrüstet tadelte, und dem, was sie daheim nicht blas duldet, tondern direkt befördert. Wäre das Wort:„Ich würde mich « die Seele hinein schämen", daS Herr Puttkamer gegen den Beamten bei— allerdings kleinen— Nachbarstaates schleuderte, nicht genau so «msrichtig gemeint, wie ihm der Grundsatz„Liebet eure Feinde", den Hm seine Religion vorschreibt, hoch steht, wäre der preußisch« Tugend- «mister wirklich eineS solchen GesühlS fähig, die Zustände, die in Posen zu Tage traten, müßten ihn aus ewig verstummen machen! Ist e» erhört? Ein Arbeiter, der Buchbinder JaniisewSki, ««gen Verbreitung eines Wahlflugblattes— man beachte wohl, eineS WahlflugblatteS!— besten deutscher Theil obendrein an an- deren Orten keine Verfolgung nach sich zog, zu z w e i I a h r e n G«- s i n g n i h verurtheilt, um zwei Jahre seines LebenS bestohlen, liegt seit seiner im April dieses Jahres erfolgten Verhaftung in Ketten, «eil— man höre nur— einer seiner Mitgefangenen in einem früheren, nicht minder haarsträubenden Prozeste einen Beireiungsversuch ««macht! Wai dem gemeinsten Diebe, dem schuftigsten Betrüger gegen- über nicht gethan wird, daS wird einem ehrlichen Arbeiter gegenüber «rigewendet, der kein anderes Verbrechen begangen, als bei den Reichs- tagSwahlen für die Partei seiner Ueberzeugung zu wirken. Wo ist heute «och ein Staat, in dem dergleichen möglich wäre— heute, wo alle Ver- fastungen die Meinungsfreiheit, die Gleichheit Aller vor dem Gesetz aus- drüiklich garantiren? Welchem rechtlich denkenden Schweizer aller Par- Seien treibt eS nicht das Blut der Entrüstung in das Gesicht, wenn er solch schändliche Grausamkeit vernimmt! Und noch länger als JaniisewSki— seit zehn Monaten!— siegt der Student S l a w i n s k i auL Russisch-Polen in Ketten— wie- derum, weil ein G e n o s s e von ihm seinerzeit in W a r s ch a u— d. h. sii Rußland — sich der Verhaftung durch die zarische Polizei mit der Waffe in der Hand widersetzt hat, während sein eigenes Vorgehen eben- falls nur in der Verbreitung sozialistischer Schriften besteht. DaS ist die Kultur des heutigen Deutschland ! Und waS ist daS Recht im heutigen Deutschland ? Daraus ertheilt die Antwort der Staatsanwalt Martins. Wai dieser Streber, der von Amtswegen dazu berufen ist, dem Recht unbedingt Geltung zu ver- schaffen, besten Pfiichtgebot also strengste Wahrhaftigkeit sein soll, im Verlauf des Prozestei in Bezug auf da« direkte Gegenth-il ge- leistet, das übersteigt alles bisher in irgend einem Lande der Welt Da- gewesene. Daß Staatsanwälte im Uebereifer tendenziös entstellen, kommt «ohl auch anderwärts vor, daß ein Staatsanwalt aber direkt lügt, daß er die Lüge verherrlicht, das blieb Herrn Staatsanwalt Martins vor- behalten. Die Angeklagten des Prozesses waren, soweit sie überhaupt politisch thätig waren, sammt und sondert Sozialdemokraten, verschiedene sollen den„Sozialdemokrat" verbreitet haben, bei einem derselben aber war «in Exemplar der„Freiheit" gefunden worden. Was thut Herr Mar- sins* Um ein recht hohes Strafmaß zu erzielen, zieht er die ganze «narchistische Literatur, namentlich auch den von dem elenden Peukert herausgegebenen„Rebell" in die Untersuchung. Aber damit noch nicht zufrieden, lügt Herr Martin:„Rebell",„Freiheit",„Sozialdemokrat" nennen sich gegenseitig„Bruderorgan e". Wir zahlen dem Hüter des Rechts sofort 10,000 Mark, wenn er uns eine einzige Nummer des »Sozialdemokrat" namhaft macht, worin anarchistische Blätter von unS Bruderorgan« genannt werden. Eine zweite Lüge des Martins, erster Staatsanwalt am Landge- richt Posen, ist von dem Vertheidigcr Dr. Meschelsohn sofort a n g e- «agelt worden.„Mögen Sie schütteln(nach der Anklagebank gewen- det) soviel Sie wollen, log Herr Martins in der Verhandlung vom 13. Januar, möge sich die sozialdemokratische Partei drehen und wenden wie sie wolle, den Reinsdorff kann sie von ihren Rockschößen nicht ab- schütteln, denn dieser wird im„Sozialdemokrat" als„Genoste" be- zeichnet". Darauf antwortete ihm Hr. Meschelsohn am 2g. Januar: „Der Herr Staatsanwalt sagt: Im„Sozialdemokrat" wird ReinS- dorff„Genosse" genannt. In dieser Beziehung ist wohl dem Herrn Staatsanwalt ein starker Jrrthum passirt. Im„Sozialdemokrat" ist folgendes zu lesen:„Reinsdorfs und Genossen. Dann kommt ein Strich und hierauf ein Artikel, in welchem die Thaten Reinsdorst's oli hirnverbrannt, als die Thaten eineSWahnwitzigen bezeichnet werden. Das ist doch etwas wesentlich Anderes." Nun, es ist eben das direkte Gegentheil. Und wenn Herr Dr. Meschelsohn nur von einem„starken Jrrthum" spricht, so erklärt sich das durch die nun einmal in der osfiziellen Welt üblichen Umgangs- formen, die es verbieten, einem„edat" in'« Gesicht zu sogen, daß er «in ist. Thatsache ist, daß Herr Martins die Unwahrheit gesagt, und daß er die Unwahrheit wider besseres Wissen ge- sagt, denn er hat unser Blatt sehr sorgfältig studirt. Eine Unwahrheit «ider bissereS Wissen ist eine Lüge. Und eine Lüge, um Jemand UebleS zuzufügen, um ihn zu schädigen, ist eine gemeine, nichts- würdige Lüge. Einer der Hauptzeugen im Prozeß war der von uns früher bereits I«kennzeichnete„Schutzmann" R a p o r r a. Von diesem Biedermann «ht fest, daß er sich nicht nur als Sozialdemokrat aufgespielt, um dai Vertrauen der Angeklagten zu gewinnen, sondern auch mit ihnen gezecht, sie traktirt und in provokatorischster Weise„ermuntert" hat. In der Sitzung vom 14. Januar z. B. sagte der T schler Grzadkiewicz «uS , daß Naxorra, den er damals nur als Tischlergefellen kannte, eine» Abends nach Auflösung einer Versammlung zu ihm in die Wohnung gekommen sei, es könne dies Anfang Januar v. I. gewesen sein, und geäußert hätte,„da untenausderStraßeseiRevolutio n", und etwas später,„wenn wir Säbel und Stöcke hätten, könnten wir losschlage n". Und Naporra, hierüber befragt, gab auch die Möglichkeit zu, eine solche Aeußerung gethan zu haben. Zwei Tage hinterher, am 16. Jan., zog er freilich dies Zugeständniß zurück, aber kein vernünftiger Mensch wird diese später««bleugnung über vas unter dem Eindruck des direkten Vorhalts gemachte Geständnih stellen wollen. Run, von diesem Naporra, von dem serner fest- steht, daß er in einem früheren Prozeß ruhig mitansah, wie ein naher Verwandter von ihm(d.r Schwager seine» Bruders), der zu seinen Gunsten aussagte, seine Veiwandlschoftsteziehung verschwieg, dessen Rechtsgesühl zu diesem Betrug stumm war, von diesem Naporra, der einem der von ihm„beobachteten" Arbeiter, dem Schreiner Witt- k o w i k i, mit einem Judaskuß denselben„Sozialdemokrat" in die Hand drückt, wegen dessen ang-blicher Verbreitung Wittkowski zu 30 Monaten Gefängniß verurtheilt worden ist, von diesem Elenden sagt der erste Staatsanwalt eineS preußischen Landgerichts:„Alles, was gegen Na- porra vorgebracht worden ist, ist ebenso viel werth, als der Hauch «uf«inenSpiegel, als der Reif, der derMorgenröthe vorangeht"— Vergleiche, welche die zarteste Unschuld charakterrsiren, für einen Menschen, der eingestandenermaßen gelogen und betrogen hat. Welch' ein Hüter deS Recht? und der Gesetze! Welch' ein Rechtszu- stand, bei dem ein Staatsanwalt so offen feine Mißachtung der Wahrheit ausdrücken darf! Welch ein Kulturzustand, bei dem«in solcher Staatsanwalt nicht vor dem Sturm der allgemeinen Entrüstung sofort seines Amtes entsetzt wird I Allgemein« Entrüstung? Seine» Amtes entsetzt? Und weil er wie« derholt gelogen? Dos fällt uns da ein I Wer auf der Höhe der Kultur steht, entrüstet sich höchsten» über einen richterlichen Beamten, der— dieWahrheitsagt. — Schon mehr in'» Grotesk-konttfche gehend, aber grade deshalb nicht minder bezeichnend für den Geist de» RechlShüterS Mar« t i n S sind folgend« Aussprüche: „Lassalle hat einmal auf die verdammte Bedürfnißlosigkeit der Arbeiter hingewiesen. Dies Wort ist derartig gedeutet worden, daß die Arbeiter all ihren Verdienst verjubeln sollen."— Sämmtliche deutsche Klassiker gegen«ine Rede d«S Herrn Martin», wenn er uns ein sozial- demokratisches Blatt nennt, norm da» geschrieten steht! „In der sogenannten Gründerperiode konnte man in gewissen Gegen- den unsere« Vaterland«» nur vierter Klasse fahren, man war sonst ge« fährdet, mit übermüthigen sozialdemokratisch, n Redensarten belästigt zu werden, denn die zweite Wogenklasse war gewöhnlich von den Arbeitern besüllt, in deren Kreisen der Champagner in Strömen floß." Von dem üppigen Leben der Arbeiter in der Gründerperiode ist seiner- zeit viel geflunkert worden, zu derartigen, ebenso perfiden wie abge- schmackten Uebertreibungen hat sich aber daS ärgste Schwindelblatt nicht aufgeschwungen, daS blieb dem ersten Staatsanwalt am Landgericht Posen vorbehalten. „Im Monat November 1886 schreibt Konopinski auS Posen nach Paris : Wir müssen in Posen ruhig sein bis zu den Wahlen, die Wahl- »eitel müssen sehr bald fertig gestellt sein. Sie sehen, meine Herren Richter, wie weitsichtig die Leute sind. Der Reichstag wurde bekannt- lich ausgelöst Mitte Januar 1887, die Wahlen erfolgten am 21. Febr. 1837. Allein die Leute wußten schon im November 1886, daß die Wahlen unmittelbar bevorstehen, sonst hätte die Bemerkung von der Fertigstellung der Wahlzettel gar keinen Sinn." Also auch die„Weitsichtigkeit", die in diesem Falle beiläufig nur in der Phantasie deS Herrn Martins besteht, ein Verbrechen! J�der ohne Voreingenommenheit Urtheilende kann au» diesem Brref nichts heraus- lesen, als daß die Angeklagten das Hauptgewicht aus die Wahlen— eine durchaus gesetzliche Thäligkeit— legten, Herr Martins aber braucht Stoff zum gruselig machen und dichtet dm einfachen Arbeiter in einen unheimlichen Prophet-n um. Er soll noch vor den SeptennatSdebatten gewußt haben, daß Bismarck den Reichstag auslö en werde. Wäre etwas daran, wie kompromittirend für— Bismarck . Jndch müssen wir dieS- mal den Reichskanzler in Schutz nehmen, der Passus erklärt sich aus der wundervollen Polizeiwirihschaft in Posen, die den Arbeitern jede politische Agitation, außer zur Zeit der Wahlen, unmöglich macht. Da« weiß Herr Martini natürlich so gut wie wir. aber mit dieser einfachen Erklärung würden die Hinweis« auf„Freiheit" und„Rebell" zum großen Theil hinfällig werden, und darum verschweigt er den wahren Sachver- halt und verlegt sich aus's— Dichten. So ist der Mann beschaffen, der geschworen, überall die Wahrheit auszudecken und das Recht zu schützen,„so wahr mir Gott helfe". Und ihm wird geholfen werden, Orden und B-sörderung warten seiner. Er hat sich wohl verdient gemacht um die Ordnung und die Moral deS Reiches der Gottesfurcht und frommen Sitte. — Der Posener Gerichtshof hat sich, wie übrigens auch bisher in allen Eozialistenprozeßen, des Posener Staatsanwalts w ü r d i g erwiesen. Er hat die wahrhrst drakonischen Anträge desselben fast unverändert angenommen. Es wurden verurtheilt: S l a w i n s k i zu 2'«, W i t k o w s k i und Konopinski zu je 2'/,, M a k o w s k i zu 1',«. Janiszewski 1'/, Jahren Gefängniß. Bonden übrigen elf Angeklagten wurden sieben zu neun- bis viermonatlichem Gefängniß verurtheilt, und vier, denen abso'ut nichts nachgewiesen werden konnte, wurden freigesprochen. Die Verbrechen aller Ver- urtheilten bestanden— wir wiederholen es— ausschließlich aui Hand- lungen, die erst durch das Sozialistengesetz und die reichs- gerichtlichen„R-chts"- Auslegungen zu Verbrechen gestempelt worden sind. Unser braver Genosse Janiszewski muß, einzig und allein, weil er für sozialistische Wahlen thälig war, zusammen 3>/, Jahr hinter Kerker- mauern zubringen, nachdem er schon früher aus gleichem Grunde, gegen 2 Jahre seine« Lebens dem Moloch des Sozialistengesetzes hatte opfern müssen. Kein Wort des ganzen Sprachschatzes ist scharf genug, um solche Richter zu kennzeichnen. Aber der Gerichtshof hat sich selbst am besten gekennzeichnet, indem er Jhring-Mahlow und Naporra als völlig glaubwürdige Menschen anerkannte. Mehr braucht es nicht. Das Ehrenzeugniß für die beiden politischen Falschspieler ist auch— das Ehrenzeugniß für Landgerichtsdirektor Hausleutner und seine Kollegen. Denn sie sind alle, alle ehrenwerthe Leute! — Die Debatten über die neue Sozialistengesetzvorlage haben mit der Verweisung derselben an ein- Kommission geendet. Wir behalten uns vor, auf besonders charakteristische Einzelnheiten der Redeschlacht zurückzukommen, sobald wir den stenograph schen G. sammt- bericht in Händen haben, indeirWwir inzwischen unsere Leser auf die Berichte der Tagespresse verweisen, die freilich viel Ungenauigkeiten enthalten. Mit Rücksicht darauf, und bei der Bedeutung der von Singer und B-bel gemachten E> t iillungen werden wir in den nächsten Rum- mern dre ausgezeichneten Reden unserer beiden Genossen vollsiändig nach dem stenographischen Bericht zum Abdruck bringen. Für heute beschrän- ken wir uns aus folgendes Resume: FürdieErpatriirung erklärten sich die Konservativen, für Verschärsungen, aber gegen die Expatrirrung die Freikonservativen, für die einfache Verlängerung auf zwei Jahre die Nationalliberalen und ein Theil deS Zentrums. Gegen die Verlängerung der größte Theil deS Zentrums, sowie die Deutsch-freisinniqen, die Polen und selbfiverständ« lich die Sozialdemokraten. Die Elsässer glänzten durch Abwesenheit— es handelte sich ja nicht um Schutzzölle! vom besten aller möglichen WirthschaftSshsteme. Die segenspendenden Wirkungen der kapital'stischrn E genthumsoronung erhalten durch zwei, im österreichischen Reichsrath eingebrachte Jnter- pellationen eine recht lehrriche Beleuchtung. Wir lesen darüber in der Wiener „Gleichheit": Zwei Interpellationen(Derschatta und Heileberg) richten sich gegen eine Frachtbegünstigung, welche die N o r d b a h n, d. h. ihr Groß- aktionär Rothschild , den Koblerhändlern von Gutmann gewährt«. Rothschild alS Nordbahn-Aktienbesitzer gewährt dem Roth- schild al« Besitzer der Ostrauer Kohlengruben auf diese Weise die Möglichkeit, dem Rothschild als Großaktionär der S ü d b a h n die Kohlen bill-ger zu liefern, als das die Kohlenbergwerke in Steiermark und Krain können. Dadurch erhöht er zunächst seinen Absatz, richtet aber auch zugleich die alpinen Kohlengruben zu Grunde und kann sie später billig kaufen. Wenn da» geschehen ist, wird er es wahrscheinlich vorziehen, für seine S ü d b a h n alpine Kohle zu ver- wenden. Mittlerweile freilich werden in Steiermark und Krain „viele hunderte Arbeiterfamilien, somit viele tausend Menschen mitten i m W i n t e r i h r e r Ar b e it u n d ihres Erwerbes beraubt und schonungslos der Roth und dem Elend preisgegeben"(Interpellation Heilsberg) und in K ö f l a ch allein sind schon 2S0 Arbeiter entlassen w o r d ebi. „Alle Bemühungen, da» sozial- Elend, die herrichende Nothlag« unserer Arbeiterbevölkerung zu lindern(Wessen Bemühungen mögen da gemeint sein? Die Red), weiden deroestalt zu Schanden gemacht, lediglich um der Unersättlichkeit einiger Millio- näre willen, welche unter dem Schutze des Hauses Rothichild und der von diesem abhängigen Nordbahn noch mehr verdienen wollen, un- bekümmert, ob dadurch die Früchte jihrelanger produktiver Arbeit Anderer zerstört, Hui derte und aber Hunderte wohlgeschulter Arbeiter zu Proletariern gemacht werden. Erne derartige Ausnützung derMacht desGroßkapitals ist„geradezu gemeinschädlich zu bezeichnen und sie muß an sich die Regierung zu en-rgischen Maßnahmen herausfordern."(Jnter- pellation Derschatta.) Der hier geschilderte Vorgang ist«in so all- täglicher, das Auffressen der kleinen Kapiialisten durch die großen, und die gleichzeitige Ueb.rflüssigwerdung und da« Zugrundeg he» von Ar- beitern ist so sehr die e-nz ge Form, in der sich da« moderne Wirth- schaftsleben bewegt, das Alles ist vor Allem so gesetzlich, daß unsern Lesern die Zumuthung an den Staat, hier einzugreif-n, gewiß auffallend sein wird. Seit wann hat der Staat die Macht oder auch nur den Willen, brotlose Arbeiter vor dem Hungertode zu schützen, und w-lches Recht hat man, derlei unverschämte Zumuih-n.en an ihn zu stellen? Nur ruhig! Ein solcher Rechtsdruch liegt auch hier nicht vor. Die Ausbeuter allerorts brauchen nicht zu erschrecken und auch Rothschild kann überall seine„Geschäste" weiter machen, ohne sich darum zu küm- mern, daß etwelche Hunderte von Arbeitern zu Grunde gehen. Denn auf«inen so absurden Gedanken konnten die Herren Abgeordneten doch nicht kommen, den Staat an eine Pflicht zu mahnen, von der er nichts weiß, die er nicht kennt, an eine Pflicht, den Kohlenarbeitern in Steier- mark und Krain ihr Recht aus Arbeit zu sichern! R-in, nicht an den Staat alS Fürsorger der Armen wird appellirt und kann appell>rt werden, sondern einfach an den Siaat als— Nordbahninteressent. Nach dem Uebereinkommen d-s Staates mit der N rdbahn gebührt ihm näm- lich die Hälfte des über 10 Perzent leichenden MehrertiägnisseS derselben. Nachdem nun die billigen Tarife die Norddahn und somit den Antheil deS StaatiS schädigen, hätte der Staat ein Recht, einzugleisen. Wir fürchten, Rothschild wird den büchellichen Beweis liesern, daß er an dem Geschäft auch als Nordbahnakuovär ein gutes Siück Geld verdient, daß somit der Staat auchzufr reden sein kann und muß, daß somit AlleS am besten steht in dieser besten aller Welten.— Xsss steirischen Kohlenarbeiter werden aber wahrscheinlich warten müssen, b.s Herr Rothschild die Bergwerke und sie mit ankauft— wenn sie b» dahin noch nicht verhungert sind." So die„Gleichheit". Natürlich wird sie Recht behalten. Wer wird der Wiener Regierung zumuthen wollen, dem soeben in den Kreis der AuSerwähltesten der Auserwählten des Kaiserlichen Hofes aufgenom- menen Baron feinen legitimen Profit— und der Profit ist ja der Rechtstitel seiner barönlichen Legimität— zu beeinträchtigen? Etwa die sich als Opposition geberdenden Deutschthümler? Die wird die Wiener Regierung an den von ihnen so himmelhoch belobhudelten Ber« liner Reichskanzler verweisen, auf seinen Hymnus auf die Millionäre und seine Zollpolitik im Interesse der Millionäre. — Zur Frage der Taktik. Der Verfasser der Notiz„Eine Kon- sequenz" in Nr. t des„S.-D." schreibt unS: „Meine Bemerkung, daß nach Annahme des ExpatriirungSgesetze» die Taktik geändert werden müsse, weil voraussichtlich da» Wählen unmög- lich gemacht werde, ist von verschiedenen Seiten so aufgefaßt worden, als liege in meinem Vortrag entweder ein Zugeständniß an den„Anar- chismuS" oder ein„die Flinte-ins Korn Werfen" Run— nach beiden Richtungen hin besitze ich ein reines Gewissen; solange ich im politischem Kampf stehe, habe ich— unter schlimmere« Verhältnissen als den jetzigen— noch niemals auch nur entfernt an die Möglichkeit gedacht, daß der Kampf aufgegeben werden könne. Und waS den Anarchismus betrifft, so kann Niemand, in theoretischer wie prak- tischer Beziehung, ihn geringer schätzen, als ich es thus. Aber gerade weil ich das Phrasenthum Haffe und den wirklichen, wirksamen Kampf gegen unsere Feinde will, habe ich eS für meine Pflicht gehalten, auf die Konsequenzen des Expatiiirungsgesetzes aufmerksam zu machen. Daß dasselbe sich speziell gegen die parlamentarischen Ver« treter der Partei richtet, ist von den Urhebern des G-setzeS mit zynischer Offenheit zugegeben worden. Und daß von einem Wählen nicht mehr die Rede sein kann, wenn jeder Gewählt, mit dem Mandat den Verbannungs-Ukas erhält, das scheint mir so selbstverständlich, daß ich in der That nicht begreise, wie Jemand da noch einen Zweisel hegen kann. ES ist mir nicht eingefallen, zu verlangen, sobald daS Verbannung»« gesetz angenommen fei, sollten unsere Abgeordneten unverzüglich in cor- poro ihr Mandat niederlegen, und ich halte den betreffenden Vorschlag Harm's für recht ungesch-ckt. Unsere Abgeordneten stehen auf einem Ehrenposten, den sie nicht ver« lassen dürfen. Sie müssen die geplante Brutalität an sich heran« kommen lassen und dürfen nur der Gewalt weichen. Das betrachte ich— und betrachtete ich von vornherein— al» selbst« verständlich. Aber wie nun— und d a s ist der Fall, den ich im Auge hatte und den wir meines ErachtenS im Auge haben müssen— aber wie nun, wenn unsere Abgeordneten expatriirt werden? Sollen wir dann neu« Kandidaten für die Expatriirt-» wählen? Daß man eS einmal versucht, dagegen habe ich nichts— allein auf die Dauer geht da» nicht. Wir wollen nicht die Frage auswerfen, ob sich auch stets die ge- eigneten Kandidaten finden würden, denn angesichts des bewährten Opfermuthes der Genossen würden sie sich finden. Aber hätten wir ein Recht, sie ins Exil zu schicken? Können sie den Partei im Lande nicht mehr nützen? Arbeiteten wir durch ein solches Vorgehen der Polizei nicht direkt in die Hände, indem wir ihr die Proskriptionslisten schrieben? Um eines Phantoms willen würden wir unsere tüchtigsten Genossen auf- opfern und dadurch die nothwendige taktische Festigkeit der Partei erschüttern. Daß die Kandidatur der Verbannten nicht angeht, habe ich be« reits auseinandergesetzt. Die für st« abgegebenen Stimmen wären ein« fach un giltig und würden also nicht gezählt. Man muß doch über die Nase hinaussehen. Und über die Tragweite des ExpalriirungsgesetzeS uns Täuschungen hingeben und die Genossen in Täuschungen wiegen, das wäre sehr schlechte Politik. Die Bedeutung des Wählen« weiß ich sicherlich zu schätzen; doch ein Werkzeug gebraucht man, um>ine Wirkung hervorzubringen. Leeres Stroh dreschen und Hiebe in die Lust thun— ist aber keine Thätigkeit, die eine ernsthaft« Wirkung haben kann— sie ist höchstens lächerlich. Und ein zweck- und wirkungslose« Wählen— d. h. wirkungslos, soweit eS sich um den Zweck des Wählens handelt— würde nicht nur keinen agitatorischen Werth haben, sondern positiv demoralisiren. Ich erinnere nur an die Ausführungen Lassalle'S über zwecklose» Wählen und Wahlkomödien. Was er in der KonfliktSzeit sagte, gilt heute mit verzehnfachter Kraft. Gerade ein zweck« und wirkungsloses Wählen würde thatsächlich ein„dieFlint« ins Korn werfen" sein. Haben wir denn nicht andere Agitationsmittel? Ist denn die Partei nicht im Stand, den Kampf mit ungeschwächten Kräften mit verdoppelter Energie fortzusetzen— ohne in anarchistisch« Polizeidummh-iten zu versallen? Da habe ich von unserer Partei doch eine bessere Borstellung. Genug für jetzt— wir werden Gelegenheit haben, uns noch weiter mit dieser Frage zu beschäfiigen, welche die Masse der Parteigenossen zu meiner lebhaslen Freude sehr ernsthaft beschäftigt. Und noch Eines: ich habe anregen und nicht einen Streit» puukt in die Partei wersen wollen. Was zu geschehen hat, wird allseitig geprüft werden, und was beschlossen wird, dem hat sich Jeder zu unterwerfen— und wird e s gern thun. — Wo find die Schuldige«? Aus Möckern bei Leipzig erhalten wir folgende Zuschrift: Emil Max Gotthard Schrei» b-r, Soldat der 11. Komvagnie, 7. Inf. Regiment Nr. 106 Prinz Georg, schnitt sich wegen Mißhandlungen seitens seiner Vorgesetzten die Pulsadern auf und wurde im Waschraum de» 3 Bataillon« todt aufgesunden. Von Soldaten der Kompagnie ist er« zählt worden, daß Schreiber(der von Beruf Brauer ist und früher in d-r Altienbrauerei Gohlis beschäftigt war) auf eiue Leiter gelegt worden sei und ihm die Glieder angezoge«(„lang gezogen") worden seien. Auch hätten die Vorgesetzten, damit er lerne, die Waden besser durchzudrücken, auf ihu kuieen lassen. Weiter haben Kameraden Schreibers erzählt, sie hätten in der Schule nicht so viel Maulschellen erhalten als in der 11. Kompagnie u. A. mehr. Die II. Kompagnie steht unter dem Befehl des Hauptmann's von Dürkhoff, der Name deS Feldwebels ist Graul, der deS ViceseldwebelS L e i t e r t. Die« die Zuschrift, deren Angaben zu prüfen wir natürlich nicht in der Lage sind. Wir veröffentlichen sie aber, um zu veranlaffen, daß von der zuständigen Stelle aus Untersuchung erfolge. Unser Blatt wird ja von den deutschen Behörden aufmerksam gelesen, so daß wir nicht zu befürchten brauchen, daß diese Notiz ihrer Kenntnißnahm« entgeht. Zur größeren Sicherheit werden wir ab-r noch dafür Sorge tragen, daß ein« genügende Anzahl Exemplare dieser Nummer an daS Kommando des obendezeichncten Regiments gelangt, kurz, nicht» unterlassen, was uns.rseits dafür geschehen kann, daß diejenigen zur Rechenschaft gezogen werten, die Schreiber in den Tod gelrieben haben. Denn daß«in 21jähriger gesunder Mensch sich aus reinem Uebermuth die Pulsadern auflchneidet, wird uns niemand weiß machen. Warten wir nunmehr ab, ob die Untersuchung eingeleitet werden wird, welchen Charakter sie trägt und welches Resultat sie er- geben wird. Von dem Ersolg dieser Notiz werden wir unsre Leser seinerzeit in Kenntniß setzen. — Eine treffende Bemerkung über Verschwörungen finden wir in der Lvndoner„Justice". DaS Organ der sozialdemokratischen Federation schreibt: Es werden, wie wir hören, Versuche gemacht, die Mitglieder der soz aldemokratischen Federation zum Eintritt in anarchistische oder sich al» Fenier bezeichnende Gruppen zu veranlassen, die wir im Augenblick noch Nicht genügend kennen. Daß geheime Veibindungen eines Tages selbst in Großbriianien nothwendig erscheinen können, sind wir bereit zuzu« gestehen. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, daß e«, ausgenommen unier sehr schwerem inneren und äußeren Druck, unmöglich ist, ein« große geheime Konspiralion durchzuführen, und solange die freie Rede, freie Versammlung, sreie Propaganda und freie Presse nicht ausgeh be» sind, wäre die Gründung einer geheimen Verbindung nur ein Mittel,
Ausgabe
10 (4.2.1888) 6
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