kraft, so hält die deutsche Arbeiterklasse das Andenken an die Märztage, da ihre ersten Streiter in die Arena des öffentlichen Lebens traten, unentwegt hoch, und Arbeiter und Anhänger der Arbeitersache werden es sein, welche die Gräber der März- gefallenen mit frischen Blumen schmücken werden. Die Arbeiter- klaffe schämt sich ihrer begangenen„Sünden" nicht, sie hat ihre Ideale vor sich liegen und fühlt die Kraft in sich, wenn es nöthig sein sollte, für ihre Erreichung den Kampf mit einer ganzen Welt aufzunehmen. Der 18. März ist auch der Gedenktag der Pariser Kom- mune des Jahres 1871. So große Wirkung dieselbe zu ihrer Zeit und noch lange Jahre hindurch auf die Arbeiter- bewegung aller Länder hatte, so erscheint sie uns doch heute nur noch als eine Episode in dem großen Emanzipations - kämpf des modernen Proletariats. Eine furchtbare, erschüt- ternde Episode, aber immerhin nur eine Episode. Das heroische Beispiel ihrer Kämpfer hat Tausende zum gleichen Opfermuth, zur freudigen Hingebung an die von ihnen ver- sochtene Sache entflammt; die unter dem Beifallsgejohle der herrschenden Klassen aller Länder an ihr verübte blutige Re- Pression Tausenden und Abertausenden geoffenbart, wessen sich das kämpfende Proletariat von seinen Gegnern zu gewärtigen hat. Aber sie hat dem Kampf der Arbeiterklasse keine neuen Bahnen eröffnet, ihm keine neue Parole gegeben. Die Be- wegung ist über sie hinweggegangen, gegenüber den Program- men, mit welchen die klassenbewußte Arbeiterschaft Frankreichs wie der anderen Länder heute den Kampf für ihre Befreiung führen, erscheint das Losungswort der Kommune unklar und verschwommen. Und— warum eS verschweigen?— seit die französische Republik die Amnestie der Kommunekämpfer durchgeführt, hat der Name der Kommune den geheimnißvollen Zauber, den er einst auf die Herzen der Arbeiter aller Länder ausgeübt, verloren, hat er aufgehört, Kampfesparole, das Banner zu sein, unter dem sich die Streiter für die Sache des Prole- tariats zusammenschaaren. Heute gehört die Kommune der Geschichte an, und damit der rückhaltlosen, alles Mysterium durch- brechenden Kritik. Das hindert uns, das hindert die fortgeschrittene Arbeiter- schaft aller Länder aber nicht, das Andenken der Kommune hochzuhalten und ihren Todestag zu feiern— der so zu einem internationalen Festtag des Proletariats wird. Und hierin liegt vielleicht seine größte Bedeutung. Allüberall, wo sich am nächsten Sonntag Proletarier zusammenfinden, um das An- denken an die heroische Erhebung von Paris zu feiern, seiner verzweifelten Kämpfe und der blutigen Opfer zu gedenken, mit denen es seine hochherzigen Illusionen bezahlen mußte, wird der Gemeinsamkeit der Bestrebungen der Arbeiter aller Länder gedacht werden, wird der Sammelruf unseres großen Bor- kämpfers Karl Marx ertönen: „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!" In diesem Sinne laßt uns den achtzehnten März feiern. In vieinoriain! «m 9. März ist Wilhelm I. , Kaiser von Deutschland und K&nig von Preußen gestorben— gestorben unter Umständen, die einer gewissen Tragik nicht entbehren. Niemals hat daS Wort der Alten: kein Mensch ist vor seinem Tode glücklich zu schätzen, sich eindringlicher bewahrheitet. Nach einem Lebensabend, der in fast märchenhaster Weise von der Sonne dei Glückes beschienen war, mußte er es erleben, daß der Sohn und Grbe von unheilbarer Krankheit befallen wurde und der Tod einen Enkel dahinraffte, und damit das Aussterben einer ihm nachstehender Dynastie wahrscheinlich machte. Das doppelte blomsnw mori!, welches die letzten Augenblicke des Sl jährigen Herrschers verdüsterte, kann auch auf den stumpfesten Geist seine Wirkung nicht verfehlen. Das Sprüchwort vom„Glück der Hohenzollern " gehört der Vergangenheit an.--- Die gesammte deutsche Preffe hat— mit Ausnahme weniger Arbeiter- blätter, die lieber schwiegen, als nach dem Beispiel des Hauptorgans der deutschen „Demokratie" eine Loyalität zu affektiren, die grade den wirklich Königstreuen am meisten anwidern mußte— die Verdienste Wilhelm« l. um daS deutsche Volk auf das Ueberschwänglichste gefeiert. Kein HeroS, kein großer Mann in der Geschichte, dem Wilhelm I. nicht in diesen Tagin von der„Norddeutschen Allgemeinen", der„Kölnischen Zeitung ", biS herab zum Barden des obskursten Winkelblättcheas, an die Seite gestellt worden wäre. Niemand wird sich darüber verwundern können, Niemand darüber in Eiser gerathen. Die Legende ist einmal da und wird nur sehr allmälig dem unbefangenen, sachlichen Urtheil der Geschichte weichen. Nach der Legend« verdankt das deutsche Volk Alles, was es ist, seine ganze Be- deutung, seinen Rang unter den Völkern der zivilistrten Welt diesem einem Manne— die Geschichte wird ihm höchstens das Verdienst zusprechen, die mililärisch-diplomatische Machtstellung, die Deutschland in diesem Augenblick einnimmt, zu Stande gebracht zu haben. Und dafür möge« ihn Diejenigen preisen, die in dieser Machtstellung, auch wenn sie nur auf Kosten der Wohlfahrt, der Freiheit und Recht« des Volkes durchzuführen und aufrechtzuerhalten, die im äußeren Glanz« das Glück und die Größe eines Volkes erblicken. Wir haben nie diesen Standpunkt vertreten, und können ihn auch heute, am Grabe des„Be- gründers der deutschen Einheit", nicht annehmen. Ebenso find wir bis heute noch nicht überzeugt, daß die Einheit Deutschlands nur durch„Blut und Eisen" zu erreichen war— dieser Weg wurde nur deshalb noih- wendig, weil Diejenigen, die ihn später beschritten, weil Wilhelm von Preußen und seine Paladine die Erringung der Einheit auf d e m o- iratischem Wege, weil sie die Einheit durch die Freiheit nicht wollten und stch ihr mit Ausbietung ihre« ganzen EinfluffeS widersetzten. So ist auch die Erringung von Deutschlands Einheit nur ein sehr r e l a- t i v e s Verdienst, zumal dem von tausend Zufällen abhängigen Glück der Schlachten die entscheidende Rolle dabei zufiel. Und ebenso kann alles das, was Wilhelm l. zur Ausbildung der M litärkraft PreußenS und Deutschlands gethan, nur für Diejenigen in Betracht kommen, die in derselben, und zwar in ihrer heutigen Gestal- tung, das richtige Mittel erblicken, die Unabhängigkeit und die friedliche Fortentwicklung des deutschen Volkes zu sichern..... Wir gehören nicht zu diesen, können uns auch heut« noch mcht, und heute weniger als je, zu dem Standpunkt bekehren, daß ein wirthschaft- lich wie politisch erdrückender Militarismus das richtige oder gar das einzig richtige Mittel sei, dem deutschen Volk den Genuß der oben- genannten Güter zu garantiren— der Militarismus hat sich eher als das G-gentheil denn als ein« Garantie de« Friedens erwiesen, aber er hat die kulturelle Entwicklung zunächst des eignen Solle«, dann aber auch der benachbarten Völker in mehr als einer Hinsicht gehemmt. Das in diesem Augenblick zu verschweigen, wäre ein Verbrech-n an unserer heiligen Uederzeugung, an dem, was wir für recht und gut und der Menschheit allein nützlich erkannt. In allen Nachrufen wird der mild« Sinn, die erhabene Menschlichkeit de» v.rstorbenen Kaisers gerühmt. Und doch gebührt Wilhelm I. ein ganz bedeutender Antheil an der heute herrschenden Reaktion gegen den Geist der Humanität, der das vergangene und die erste Hälfte dieses Jahrhunderts auszeichnet«. Wir gebe» zu, daß er diese Wirkung seiner Politik nicht in dem Maße gewollt haben mag, alS sie thatsächlich ein- getreten ist, aber das entlastet den an so hervorragenden Stelle Stehenden nicht von der Verantwortung vor der Geschichte. Seine eigens Auf- faffung von der Stellung des Regenten, die er mit starrem Sinn immer und immer wieder hervorhob, schließt jede Abschwächung der Verant- wortlichkeit für feine RezisrungsthStigkeit aus. Aber war denn die Milde wirklich eine so hervorragende Charakter- Eigenschaft Wilhelm I. ? Wenn wir nicht nach dem urtheilen, waS da- von erzählt wird, sondern nach dem, waS die Thatsachen sagen, so kann unsere Antwort nur eine verneinende sein. Wir wollen nicht bestreiten, daß der Verstorbene in seinen späteren Lebensjahren häufig Beweise einer gewissen Weichheit der Empfindung an den Tag ge- legt hat, aber diese Eigenschaft ist von wirklicher Milde himmelweit unter- schieden. Wir finden sie auch bei den grausamsten, blutgierigsten Gewalt- habern, welche die Geschichte nennt, wie denn überhaupt Grausamkeit und Sentimentalität oft Hand in Hand gehen. Di« wahre Milde, die ächte Güte des HerzenS offenbart sich nicht im Verhalten gegenüber seinen getreuen Freunden und gehorsamen Dienern, sondern im Verhalten gegenüber denen, die eS gewagt, uns entgegenzu- treten, gegenüber denen, die wir al« unsere Widersacher betrachten. Hier aber gerade verließ den Mann, der jetzt alS der Mildeste der Ml- den gepriesen wird, die vielgerühmte Weichheit. An der Bahre der Verstorbenen schweigt der politische Haß. Nicht aber schweigt, nicht aber darf schweigen die historische Wahrheit. Und wenn in tausenden und abertausenden von ZeitungSblättern heute dem deutschem Volk sein« Geschichte zu Ehren eineS einzelnen Mannes in lügen- haftester Weise entstellt vorerzählt wird, wenn Alle», wa« aus dem Schoohe de« Volkes heroorgegan zen, geflissentlich verschwiegen, verkleinert wird, um nur den Ruhm des Einen ins Unermeßliche emporzuschrauben, so mag wenigstens in unserem Blatt die Wahrheit ein bescheidenes Plätz- chen finden. Die Freiheitsbestrebungen deS deutschen Volkes fanden in den vierziger Jahren dieses Jahrhunderts in Wilhelm von Preußen stets einen er- bitterten, bis zur Grausamkeit fanatischen Gegner. Selbst die zu der nächsten Umgebung des preußischen HofeS gehörenden aufgeklärteren Männer hatten darunter zu leiden. Dafür nur ein Beispiel, das Barn- hage« von Ense , seinerzeit geheimer Legationsrath, in seinen Tage- büchern(herausgegeben von Ludmilla Asfing) mittheilt: „17. Mär, 1848: Besuch vom Fürsten Carolath. Er sprach mit ge- sundem Verstand, aus purer Redlichkeit, die gediegensten Wahrheiten aus, die reinsten Sympathien für's Volk; daß man für die Arbeiter und Armen sorgen müsse, und w«nn es Millionen erfordere, daß man Jeden, auch den Besitzlosen, in die städtische Verwaltung ausnehmen müsse, daß Waffengewalt hier gar nichts ausrichte, das ganze Ministe- rium als untauglich und oerhaßt sogleich zu entlassen sei u. f. w. Vor mehr als 8 Monaten hat er so auch mit dem Prinzen von Preu- ßen gesprochen, kam aber schlecht an. und ist seitdem in Ungunst." (Aus Varnhagen's Tagebüchern.) Keine Konzessionen an das nach politischer Bethätigung, nach Befreiung von den Fesseln des Absolutismus lechzende Volk. Da brach in Paris die Februarrevolution aus und bald trug der Wind den Geist der Revolution nach Berlin . Es kam zum Barrikadenkampf des IS. März. Am Kampf selbst nahm Wilhelm keinen Antheil, wie er über ihn dachte, zeigen zwei, ebenfalls von Varnhagen mitqetheilte Aeußerungen: „Als vor dem Schloß durch die hervorstürmenden Soldaten die ersten Gefangenen in den Schloßhof gebracht wurden, meist armselige Leute, Krüppel, die nicht schnell genug hatten fliehen können, schwächliche Alte und unreife Jungen, die darauf in die Schloßkeller gebracht und arg behandelt wuroen, da trat der Prinz von Preußen(Wilhelm) hervor und redete die Soldeten heftig an:„Grenadierel Warum habt Ihr die Hunde nicht auf der Stelle nieder- gemacht?" Der Major X stand dabei und hörte es, auch der General, Fürst X." (Varnhagen von Ense , Tagebücher. Leipzig , BrockhauS, B. ivv.©. 283.) „In der Nacht vom 18. auf den lS. März trat ein angesehener Mann hervor und bat den König flehentlich, er möchte doch Befehl geben, daß der furchtbare Kanpf aufhöre, daß die Truppen das Feuer einstellten. Der König lag auf den Arm gestützt und schwieg. Da trat der Prinz von Preußen heran und rief:„Nein, daS soll nicht geschehen, nimmermehr! Eher soll Berlin mit allen seinen Ein- wohnern zu Grunde gehen! W>r müssen die«usrührer mit Kartätschen zujammenichießen." Der König blieb auf den Arm gestützt und schwieg.(Aus sehr zuverlässiger Quelle.) (läom, S. Bd. S. Sl0.) Wie sich dann schließlich doch die Nothwendigkeit herausstellte, ange- sichts der Stärke der Volksbewegung und der beginnenden Demoralisa- tion der Truppen dem Kampf E.nhalt zu gebieten, und wie Wilhelm bei Nacht und Nebel vor dem drohenden Volkszorn nach London ent- fliehen mußte, das ist bekannt. Bekannt ist auch, wie er 1849 die Ober- leitung der Truppen übernahm, welche die in Baden ausgebrochene Er- Hebung sür die Reichsverfasfanz niederwerfen sollten. D a ß er diese Mission übernahm, ergab stch von s- ner politischen Stellung von selbst. kann ihm also persönlich nicht zum Vorwuif gemacht werden— was sich aber auS semer politischen Stellung allein nicht ergab, das war seine Handlungsweise gegenüber den b siegten Freischärlern. Nach der Niederlage bei Rastatt 2S./30. Juni hatte stch ein großer Th-il derselben in die Festung geworfen, die g-g-n drei Woch-n der Belagerung Stand hielt, bis schießlich, auf Betreiben des dekannten Corvin, ein Kapitulationsvertrag abgeschlossen wurde, in welch-m den Belagerten volle Amnestie zugesichert wurde. „Nun ergaben sie sich auf Treue und Glauben und die Kapitulation ward am 23. Juli vollzogen. Bei dieser Feierlichkeit ritt der Festung«- kommandant Tiedemann dem an der Spitze seines Generalst bes hal- tenden preußisch-n General von der Gröben entgegen und über« lieferte ihm seinen Degen. Di- Ffiungskaballerie, welche absaß, und die Offiziere legten ihre Säbel aus d.e Er°«. und die Infanterie stellte ihre Gewehre zusammen. Nachoem aber die Freiichaaren ihre W-ffen abgeliefert hatten, wurden st- Räuber und L u m p e n g- s r n d e l genannt und als Gefangene in die Kasematten der F stung eingesperrt, wo sie ein« sehr harte Behandlung erleioen mußten- Di« Preußen erklärten den Kapitulationsoertrag jetzt für ungiltig, weil denselben nicht der Prinz von Preußen selber, sondern in seinem Namen nur«in unter« geordneter GeneralstabSosfizier, Major von AlvenSleben, unter- zeichnet hatte." „Zwar war B a d e n kein preußifchesLand, und folglich konnte der A. fstand als kein Hochoerratheverbrechen gegen den preußischen souveränen König gedeutelt werden: auch waren viele von Denen, die gefangen genommen worden waren, weder preußische noch ba- drsche Unterthanen und standen folglich zu dem Prinzen von Preußen in keinem andern R-chtsoerhältniß, wie jeder Mensch im Allgemeinen zu feines Gleichen; ferner war der Kampf formell und auS- drucklich für die in Baden gesetzlich anerkannte R.ichsoersaffung geführt worden, während dieselbe doch der König von Preußen, der in ihr für Deutschland bestimmte Erbkaiser, abgelehnt hatte, w-ßhalb nach dem in Baden gültigen Rechte der Prinz von Preußen sich bei seinem Kriege gegen die Reichsveriassungekämpfer entschieden im Uirechte befand; allein die Reaktion dürstete nach Rache, sie wollte Blut sehen und kümm-rt- stch, al» ste stch einmal nach so vielen bangen Tagen und durchwachten Nächten wieoer im Bollgenusse der unbestrittenen höch- sten Macht sah, um keine rechtlichen und gesetzlichen B-- denken, wie sie etwa befangene Sterbliche hinsichtlich der Heiligkeit der Menschenleben in FriedenSzeiten und hinsichtlich der in den Frieden aufgenommenen Kriegsgefangenen hegen. So wurden denn gerade die tapfersten Männer der Demokratie, und zwar deßhalb, weil sie die tapfer« sten waren, standrechtlich hingeschlachtet Zu Mannheim wurde auf An- ordnung des preußischen Kriegsgerichts das auS Sach en gebürtige Parlaments nitqlied Adolph von Trützschler erschossen, da man ihm seine sozial-demotratlschen Ansichten um so mehr verargte, al» Trützschler auS einer altadeligen, hochangesehenen und begüterten Familie war."(Bernhard Becker, die Reaktion in Deutschland ic. Braunschweig 1873.) In emem Arukel, betitelt„Zu einem Denk- und Markstein", den die „Frankfurter Zeitung "— im Sommer 1874— dem Andenke« b« gp» fallenm Freiheitskämpfer widmete, heißt es: Von dem Oberbefehlshaber der preußisch-n Truppen wurde das Stand« recht verkündet. Niemand hat die Verkündigung desselben zu rechtfertig gen gewagt; von keiner Seite ist behauptet worden, daß diese Kriegs« gerichte auch nur den Schein des Rechts, auch nur des barbarischen Kriegsrechts für sich hatten." „ES ging das Gerücht, daß die Standgerichte Befehl hätte», nur Todesurtheile zu fällen. Manche Umstände machten dieses Ge» rächt höchst wahrscheinlich. Der Erste, der vor das Standgericht zu Mannheim gestellt wurde(am 7. August), war der Heidelberger Student und schweizerische Unterlieutenant Arnold Steck aus Neuenburg. Von allen Gefangenen war er am schwersten belastet, denn man beschul- digte ihn, LudwigShafen in Brand geschossen zu haben. Aber er wurde von Küchler so wacker vertheivigt, daß das Kriegsgericht ihn nicht zum Tode, fondern„in Anbetracht seiner Jugend" nur zu zehn Jahre» Zuchthaus verurtheilte. Da soll auS dem Hauptquartier zu O f f e n b a ch, wo sich der Hauptbefehlehaber der Armee, der Prinz von Preußen, befand, der Befehl gekommm sein, augenblicklich daS Standgericht aufzuheben und ein neues zu ernennen. Wenigstens war zur Sitzung am 13. August das Personal des Ge- richts verändert worden; es wi>d einstimmig behauptet, daß man alle Diejenigen, welche in der letzten Sitzung nicht für Tod ge- stimmt, entfernt und durch andere Soldaten ersetzt hatte." Und so wurden von den Standgerichten zu Mannheim ,c. 30 Kämpfer für die deutsche Reichsverfassung zum Tode verurtheilt und von diese» 28 erschossen und nur zwei— der schon erwähnte Corvin und der württembergische Oekonomierath M ö g l i n g—„begnadigt" und wan- derten mit noch 68 weiteren Kampfgenossen in's Zuchthaus. In den Jahren der Reaktion gerielh Wilhelm, der im Exil in Londo». Mancherlei gelernt und eingesehen hatte, daß er zur Durchführung d«p Einigung Deutschlands unter preußischer Spitze der Mitwirkung weiterer Kreise des Bürgerthums bedürfe, mit der preußischen Erz-Junkerpartei. in Konflikt, und dies erklärt wohl feine, gegen diese und das Mucker- thum der„Stillen im Lande" gerichteten Erklärungen beim Anttitt seiner Regentschaft, die ihn vorübergehend in den Ruf eines„Liberalen " brachte». 1 Daß er nichts weniger als ein solcher war, sondern starr an seinen ab«. solutistischen Vorrechten sesthiett, zeigte sich bei der ersten ernsthaft«' Differenz zwischen Krone und Volksvertretung. Die schnell erlangte Popu» larttät— Völker verzeihen leichter als Fürsten — schwand rasch dahin, um nach dem Kriege von 1866 ihn von Neuem auszuzeichnen und sich nach dem Feldzug von 1370/71 bis zur Vergötterung zu steigern. Vom Glück in einer Weise begünstigt, die er selbst wohl kaum je ge- ahnt, feierte Wilhelm I. , Kaiser von Deutschland geworden, einen Lebens« abend, wie kaum je ein Fürst vor ihm. War aber aus dem harte» Mann wirklich ein milder Greis geworden? Das Jahr 1373 brachte die Attentate von Hödel und Nobiling. Ob« wohl eS in ganz Deutschland keine zehn Mann gab, welche dieselben ge« billigt hätten, obwohl vor allen Dingen die Partei, der man diese Attea» tat« in die Schuhe schob, jeden Zusammenhang mit den beiden Atte»« tätern energisch abwies und damit die That selbst entschieden desavouirtr, wurde diese mit einem Gesetz beantwortet, da« hunderttausende von An« gehörigen deS deutschen Reiches zu Bürgern zweiter Klasse degradirt«,! das die Arbeiter ihrer besten Waffe in dem ohnehin so schweren Kampf um'S Dasein, des Koalitionsrechts, beraubte, sowie für Hun« derttausende das elementarste aller Rechte, das Heimathsrecht,! illusorisch macht«. Gewiß, es wäre falsch, Wilhelm l. allein sür diese« Gesetz verantwortlich zu machen, aber seine Minister haben eS aus- gearbeitet, in seinem Namen wurde eS vollzogen und ausgeführt, vo« seiner Regierung wurde immer wieder von Neuem sein« V-rlänge« rung beantragt und durchgesetzt, und wir, daS Organ der folchermaße» Geächteten, wir, die wir aus nächster Nähe Zeugen gewesen sind der Leiden, welches dieses Gesetz über hunderte und tausend« braver, hingebender Genossen gebracht, wir, die wir so manch- unserer beste» Mitstreiter für die Sache des arbeitenden Volkes als Opfer dieses Ge- setzes einem vorzeitig n Tod ha en erliezen sehen müssen, wir sollte» durch feiges Schweigen unsere Zustimmung dazu geben, daß dem Mann«, unter dessen Regierung all' das geschehen, das Beiwort„milde" zuertheilt werde? Nein, da» können wir nicht, das dürfen wir nicht. ES wäre Verrath an unseren Tobten, an unseren Märtyrern. „Man kann Kaiser Wilhelm nicht davon freisprechen", schreibt in einem sonst durchaus wohlwollenden Artikel die demokratische„Züricher Post", „daß er mit Härte politische und militärische Vergehen ahnden ließ, und daß das Begnadigungsrecht deS Landesherrn unter ihm fast zur Fabel verblaßte." Wiederholt bot sich ihm im letzten Jahrzehnt Gelegenheit, durch Ge«! Währung einer Amnestie schreiendes Unrecht gut zu machen— sie ging! jedesmal unbenutzt vorüber. Als er, nach seiner Auffassung durch Gottes Gnade, von den Wunden, die Nobiling ihm beigebracht, glücklich geheilt' in die Hauptstadt einzog, waS lag da näher, als durch einen einzige»! Federstrich denen die Kerkerthüren zu öffnen, die in der Attentatshetze oft auf die harmlosesten Äußerungen hin, wegen Beleidigung seiner Person zu den drakonsschsten Strafen verurtheilt worden waren? Es! geschah nicht. Wo die Milde am ehesten geboten, wurde sie nicht geübt. Man wird vielleicht einwenden, Kaiser Wilhelm habe von den horren«' den„Rechtssprüchen", die in seinem Namen gefällt, von den drakoni« schen Maßregeln, die in seinem Namen verübt wurden, nicht« gewußt. Zugegeben, daß er nicht alle« bis in'S kleinst- Detail gewußt; aber daß er nicht mindestens im Allgemeinen davon unterrichtet gewesen, das! können wir denen am allerw-nigstrn glauben, welche die peinliche Pflicht- treue in der Ausführung des Regentenberufs al« seine vornehmst« Tugend rühmen. Ganz abgesehen davon, daß die Entschuldigung falscher oder ungenügender Information den Herrscher von Gottes Gnaden nicht i decken würde. e Wir wollen hier nicht in eine Kritik der gesammten RegierungSthättg-! kett Wilhelm l. eintreten, noch ein erschöpfendes Bild seines Charalters geben. Beide unterstehen jetzt dem Urtheil der Geschichte, da» zu ver- treten weder wir unS anmaßen, noch unseren Gegnern zuerkennen. Wir| haben nur in einigen Punkten, wo da« Geschreibsel der Weihrauch spende»«! den Tagespr.sse in zu schroffem Gegensatz zur Wahrheit steht, dieser Letzteren die Ehre geben wollen I Und wir haben vor allen Dingen als Dolmetscher der Gefühle all' derer dienen wollen, die unter der Regie« rung des jetzt verstorbenen ersten Kaisers des neugeeinten Deutschland für ihre Uederzeugung verfolgt und geächtet wurden, für die es gegeu polizeiliche Willtür keinen Schutz gab, und gegen behördliche Maßrege, langen keinen Appell. Und die Zahl derselben ist keine geringe. ES ,st in unserem Jahrhundert der konstitutionellen Lüge fast eine «unst für«inen Monarchen, vor der Meng- nicht gut zu scheinen. Sie � stiebt ihm den Ruhm für alles Gut« zu, was geschieht, und entlastet! ihn von der Verantwortung für alle« Schlimme. Er braucht nur kein Mensch zu sein, so vergöttert sie ihn schon. Der GeniuS der Menschhett aber läßt sich durch keinen Weihrauch blenden, und nicht achtend der Lobgesänge der Gläubigen ruft er den Mächtigen der Erde' die herrlichen Worte entgegen, die Deutschlands größter Dichter ihn einst i dem ZeuS ,n'S Antlitz rufen ließ: „Ich Dich ehren?-- Hast Du die Schmerzen gelindert Je dei Beladen«»? Hast Du die Thränen gestillet I« des Geängsteten?" Im zehnten Jahre des»echtungsgesetze«. Fort mit den Illusionen! Bon sehr g«schStzter Sette erhalten wir folgend« Zuschrift: �Di« Glossen, mit welchen ein deutscher Landwehrmann in Rr. 10 de» „Sozialdemokrat" die neueste Heeresorganisation im deutscheu Reiche -«gleitet, nöthigen zu einigen Gegenbemerkungen. Für«ine Paitei wie ->- Sozialdemokratie fin» Jllustonen vom llebel, und stark illusionär cheinen uns jene Auseinandersetzungen zu sein. Zugegeben ist, daß die stehende Armee in den heuttgen Staaten(Re- publiken wie Monarchien) ebenso sehr als Kampfmittel nach Außen, wie als UnterdrückungSmittel nach Innen verwendet und zu diese« Zweck so
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10 (17.3.1888) 12
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