— Deutschlands Boulanger. Der Helmbusch des„braven Ge- nerals" hat sein deutsches Pendant erhalten, oder ist vielmehr noch übertroffen worden. Wie die„Schlestsche Zeitung" meldet, ritt vor dem deutschen Kaiser, als dieser sich von dem Bahnhof Dombrowka bei Posen nach dem dortigen Manöoerfelde begab, ein Leibgendarm mit der kaiserlichen Purpurstandarte her und begleitete ihn auch späterhin auf seinen Umritten. Armer„Federwisch", dagegen kommst du nicht auf. Recht bezeichnend ist auch folgendes Stückchen des„Herrschers über öv Millionen Menschen". Als er vor etlichen Wochen per Dampfer über Spandau nach Potsdam fuhr, zog er sich, bevor er die Nußschale bestieg, erst eine extra zu diesem Zweck mitgebrachte Admirals-Uniform an. Der„oberste Chef der Marine" durfte ja nicht in einer Uniform des Landheeres zu Schiff steigen— auf der Havel . Und als der Dampfer in Potsdam landete, zog„Seine Majestät" schnell die Admirals-Unisorm aus und die Generals-Uniform an. Man sieht: zu Wasser und zu Lande «in Held— der Uniform. Deutscher Pharisäer, du hast allen Grund, über den Splitter im Auge des Franzosen zu höhnen. - Die Reaktion aus dem Wege zur Scham. Das papierene Mundstück des preußischen Polizismus, die„Kölnische Z e i t u n g", weiß sich mit folgender Notiz breit zu machen: Bern , 8. September.„AuS der BnndeSkanzlei geht mir soeben folgende amtliche Mittheilung zu:„Die Zeitung„Sozialdemokrat" hat die Nachricht gebracht und andere Blätter haben sie weiter ver- breitet, daß die in Lindau wegen Einführung sozialdemokratischer Druck- schriften erfolgte Verhaftung dreier Schweizer Bürger durch Denunziation saitens des schweizerischen Zollpersonals in Rorschach herbeigeführt worden sei. Die vom eidgenössischen Zolldepartement angeordnete Untersuchung hat diese Mittheilung als gänzlich unbegründet herausgestellt. Das Zollpersonal von Rorschach erhielt von diesem Vorfall wie das Publikum »rst durch die Zeitungen Kenntniß. Nach dem, was in Rorschach bekannt geworden ist, soll die betr. Sendung Drucksachen in einer von Alten- »Hein nach Lindau geführten Schiffsladung Mühlsteine enthalten gewesen sein. Die Entdeckung wurde von der Zollbehörde in Lindau gemacht, welche hierauf zur Verhaftung der Schiffsleute schritt."" Dem Ohre Preußens in Bern scheint dagegen aus der Bundes- kanzlei keine amtliche Mittheilung darüber geworden zu sein, daß in Rorschach auf Verlangen Deutschlands wegen einer in der Schweiz nicht strasbaren Handlung gehaussucht wurde. Als Trophäe aus diesem freiwillig-polizistischen Gewaltstück wurde ein B r i e f konfiszirt und die vorhergehende Verhaftung des Eigenthümers kennzeichnet ebensowohl den Diensteifer als das Pflichtgefühl der repu- blikanischen Behörden ihren— monarchischen Kollegen gegenüber. Die behördliche Einvernahme zweier Personen, als muthmaßlicher Absender des Briefes, bekundet zur Genüge, wie weit das eidgenöffische Regiment mit seiner Fremdenpolizei sich über Verfaffung und Recht zu stellen gesonnen ist und welche Rangstellung die Unabhängigkeit deS Vchweizer-VolkeS und-Landes in den Augen seiner obersten Diener einnimmt. „Amtlich mitgetheilt" kann dem Ohre Preußens in der Bundeskanzlei dielleicht noch werden, daß die„Bugsburger Abendzeitung" und vi cht der„Sozialdemokrat" die erste Nachricht über die Denunzirung dreier Schweizer Bürger in Lindau brachte. Vielleicht kann auch der Berner Tintenfinger der K ö l n e r i n dem eidgenössischen Zolldeparte- went durch die„AugSburger Abendzeitung" Nachricht darüber vermitteln, wer die„Entdeckung der Lindauer Zollbehörde", als von Schweizer Zollbeamten ausgehend, dahin berichtet hat. Den armseligen Kniff, sich aus der Bundeskanzlei amtlich tt i t t h e i l e n zu lassen,„die Zeitung„Sozialdemokrat" habe die Nachricht gebracht und— andere Blätter haben sie weiter ver- breitet,"— während das Umgekehrte der Fall war, wollen wir den berufsmäßigen Machern der anti-sozialdemokratischen Stimmung gönnen, denn— was dem Ferkelstecher unter den Advokaten, frommt mit- Unter auch„Diplomaten". Daß das papierene Mundstück des Preußischen Polizismus amtliche Mittheilungen aus der «undeskanzlei zu Bern empfängt, ist übrigens ebenso selbstver- ständlich, als daß dies lediglich zur Ehrenrettung der Schweizer Zollbeamten geschieht. Politisch- Haussuchungen, Berhaf« t u n g« n und Vernehmungen aber, natürlich nicht im Auftrage Deutschlands , das sind die einzig zweckentsprechenden Funktionen einer eidgenösfischen„Fremdenpolizei".— Höre es,„freies" Schweizervolk l Vernimm es, mittheilsame BundeSkanzleil — Dem antifemitisch-nationalliberalen— die beiden Begriffe scheinen nachgerade gleichbedeutend zu werden—„Deutschen Tageblatt" erscheint eine Verschärfung deS Sozialistengesetzes, Welch- sich gegen die„gewerbsmäßigen Agitatoren" richtet, und ebenso eine Beseitigung der Zeitbeschränkung des Gesetzes als ein B e d 2 r f n i ß. In letzter Beziehung könnte man dem Bedürfniß ja dadurch abhelfen, daß man das gesetzgeberische Meisterwerk„auf ewige Zeiten" Eoklamirt. Hoffentlich dauert eS dann ebensolange an, wie die unter , rufung der gesammten himmlischen Herrschaften„auf ewige Zeiten" steschloffenen Friedensverträge zu dauern pflegten. Was nun die„gewerbsmäßigen Agitatoren" anbetrifft, so gibt eS auch gegen diese ein vortreffliches Mittel. Man entziehe ihnen die Möglich- »est, sich fürderhin von«rbeitergroschen zu„mästen" und setz- sie auf die Hungerrationen deS uneigennützigen Streiters für christlich-germanische Zucht und Sitte, Don Christobal Cremer.?robatum est! — Wirklich? In einer im Feuilleton der„Frankfurter Zeitung " veröffentlichten Zuschrift auS Paris lesen wir: „Die doch über jeden Zweifel- rhabeneWahrheit, daß die Frau dem Manne in allen Dingen gehorsam sein soll, wird von den Franzofen wie eine transzendental« füberstnnliche) Idee dngestaunt, und Bit» erinnert daran, daß Moliäre fast dieselben Worte, mit welchen die Heldin des Shakespeare 'schen Spieles(ei ist von den„bezähmten Widerspenstigen" die Rede) jene Wahrheit so schön und »indringlich verkündet, einer seiner lächerlichen Figuren in den Mund legt." KAlso nicht einmal ein Zweifel daran ist erlaubt, daß die Frau dem ann„in allen Dingen gehorsam" sein soll? In welchem Jahrhundert >t der Mann, oder richtiger— welchem Jahrhundert entnimmt er seine Ideen, der so etwa« zu schreiben fertig bringt? Nicht nur in Frankreich , Aich in der Heimath Shakespeare'« fällt es keinem Menschen ein, der prau Gehorsam gegen den Mann zuzumuthen, ja gerade in Eng - »and nimmt heut die Frau eine zehnmal unabhängigere Stellung ein als selbst in Frankreich . Nur der deutsche Philister bringt es allerdings fertig, Ss Folie für seine Männerwürde die Unterordnung der Frau zu einem ogma zu erheben. Aber selbst davon ist-S noch ein weiter Schritt bis hu der obigen Verherrlichung de«— SklavengehorfamS. Zum Glück pflegt das deutsche Gretchen meist die Situation zu be- Kressen und nach der Hochzeit ihrem„Herrn und Gebieter" de« Unter- schied von Theorie und Praxis klar zu machen. — Eine ElendSstatistik. Dem Jahresbericht der Cre seid er Handelskammer entnimmt die„Frankfurter Zeitung " folgende Zahlen aus der Statistik der Erefelder Sammt-Jndustrie, welch« die starken Schwankungen zur Anschauung bringen, denen die Handstuhlbranche ausgesetzt ist, und damit die jämmerliche Lage «r Arbeiter derselben. Durchschnittlich waren im Laufe de» Jahre» in Betrieb: 1884....... 22,086 Stühle. 1885....... 16,785„ 1886....... 16,026„ 1887....... 14,438„ Dagegen am Jahres-Ende nach amtlicher Schätzung: 1884.. zirka 12,000—14,000 Stühle. 1885..„ 6.000— 2,000„ 1886..« 12.000-20,000„ 1887.. ,,»,000— 4,000„ Die Zahl der Ende 1887 beschäftigten Stühle, heißt e», gibt ein Bild b°n dem großen Elend der Handstuhlweber im Winter Für die mechanischen Stühle zeigt sich in der Durch- l ein Mehr von 235 Stühlen gegen 1886; das wird auch wohl ernd die Zahl sein, die im Jahre 1887 montirt worden ist, so daß Ende 1887 die Stuhlzahl auf zirka 2600—2700 geschätzt werden kann. Von diesen stand etwa ein Drittel still und ein weiterer großer Theil arbeitete mit beschränkter Tages- z e i t." Was das für die Arbeiter bedeutet, braucht nicht gesagt zu werden: bei den Einen Hungerlöhne, bei den Andern direktes Hungern. Und so müssen die Aermsten jahraus jahrein abwechselnd sich schinden, um den Anforderungen der„Saison" entsprechen zu können, und dann wieder hohlen Auges nach Arbeit und— Brod lungern. Dazwischen geht der Verzweiflungskampf des Handstuhls gegen den mechanischen, der trotz krampshaftester Anstrengungen, wie die obigen Zahlen zeigen, mit der Beseitigung des Elfteren endet— leider bedeutet dies Enden auch das Ende von so und so viel Existenzen und— Menschenleben. Ueber Blut und Leichen schreitet das Kapital vorwärts— unerbittlich. Wann wird die Zeit kommen, da diesem Morden Einhalt geboten wird? — Ein Vorschlag zur Güte.„Denn eL ist abscheulich," jammert ein briefmarkensammelnder Reichsphilister in Nr. 17 des Leipziger „Jllu- strirten Briefmarken-Journals",„sich auf ein Kiffen setzen zu sollen, auf das das Bildniß eines deutschen Kaisers gestickt ist."... Der Respekt, den der gute Deutsche seinem Kaiser schuldet, muß aller- dings unter einer solchen Berührung leiden. Es liegt, wenn man etwas tiefer darüber nachdenkt, etwas majestätsbeleidigendes, umstürzlerisches darin. Wäre es nicht dem Zeitgeist viel angemessener, wenn die Geschichte umgekehrt arrangirt und der gute deutsche Bürger in Stand gesetzt würde, wenigstens im Bilde den Revers seines Kaisers täglich in Demuth — begrüßen zu können? Heran, strebsame Erfinder, hier ist ein Riesen- Geschäft zu machen. — Ein Ausspruch Windthorst's, den die kleine Exzellenz auf der Generalversammlijng der katholischen Arbeiter- vereine gethan, verdient herausgehoben und aufbewahrt zu werden. Er sagt zwar nichts Neues, stellt aber die Denkweise des klerikalen Führers, und wohl des Gros seiner Partei, in Bezug auf die Arbeiter- frage in's hellste Licht. Besagte Generalversammlung tagte in Freiburg , neben der großen Generalversammlung der deutschen Katholiken— angemessenerweise im Nebenstübchen— die Arbeiter sollen hübsch bescheiden sein. Dort nun sprach Herr Windthorst nach dem ultramontanen Basler„Volksblatt": „Wenn wir die katholiche Arbeiterschaft nicht sammeln, marschirt sie uns ins anarchistische(soll heißen: sozialistische) Lager. Und da ist die Gefahr! Wir werden einst, und zwar wir Katho- liken und sonst Niemand, mit derSozialdemokratie einen Kampf zu kämpfen haben, größer und blutiger als die Kämpfe, die die Welt gesehen." Man sieht, die kleine Exzellenz kann dramatisch werden. Daß sie der katholischen Kirche und ihrer„Sozialreform"— denn wenn nur noch Katholiken und„Anarchisten" da sind, dann hat ja doch wohl, muß man annehmen, die katholische Kirche freie Hand, ganz nach Herzenslust ihre sozialen Reformen in's Werk zu setzen— daß Herr Windthorst also selbst für diese heißersehnte Zeit an keine andere Besiegung des Sozialismus glaubt als durch„blutige Kämpfe", wie sie die Welt noch nicht gesehen, zeigt geringes Vertrauen in die Geeignetheit derselben, die Gemüther zu beruhigen und den sozialen Frieden herzustellen. Im Grunde liegt hierin das Geständniß, daß Herr Windthorst die Kirche als Hüterin der heutigen Eigenthumsordnung auffaßt— und diese als unantastbar jetzt und für alle Zeiten. Eine Auffassung, weit reaktionärer als sie so'mattherzige Liberale, wie z. B. Herr Bennigsen, empfinden. Beiläufig. Das Basler„Volksblatt" ist ganz entzückt über den rauschenden Applaus, den sein Freund und gelegentlicher Mitarbeiter, Herr Dr. Decurtins, in Freiburg für sein in der That vortreffliches Referat über„Internationale Fabrikgesetzgebung" geerntet. Der hinkende Bote kam aber nach, auf Drängen der Führer des deutschen Zentrums sah sich Herr Decurtins veranlaßt, die von ihm beantragte Resolution, in der er den Inhalt seines Referats zusammengefaßt hatte, zurück- zuziehen. Die Herren hatten Wichtigeres zu thun, die weltliche Herrschaft des Papstes, eine ultramontune Waschzettelfabrik und ähnliche Volksfreundlichkeiten gehen vor. Ob Herr Decurtins nicht, als er dessen inne wurde, frei nach Lessing gedacht hat: Wir wollen weniger erhoben und fleißiger— gehöret sein? — Liebknecht hat von der Regierung bereits die Quittung über ihre Niederlage im Berliner Wahlkampf erhalten. Bei seiner Rückkehr auS der Schweiz wurde er am 11. dies, Abends 11 Uhr, in Hanau , wo er übernachtete, für den andern Morgen auf die Polizei geladen. Dortselbst erhielt er die Ausweisungsordre für den Belagerungs-Distrikt Frankfurt -Hanau zugestellt. Daß dieser Maßregel nur«in Aus- fluß der niedrigsten und kleinlichsten Chikane ist, welche heute das Thun und Treiben der Polizei in Deutschland bestimmt, geht schon daraus hervor, daß Liebknecht die Ausweisung zugestellt erhielt, trotzdem er sich nur auf der Durchreise befand. Man sieht, den Putty sind wir los, die Puttkämerlinge sind geblieben, und fraglich ist nur, ob die Dummheit bei ihnen größer oder die Infamie— groß find sie alle beid'l — Das infame System der Ausweisungen auf Grund des Sozia- listengesetzes, wo gar keine unter dessen Machtbereich fallende„Handlung" vorliegt, hat jüngst wieder Lebenszeichen von sich gegeben. Die fünf Steinmetzen Franz Kitzing, Hermann Eichhorn , Hermann Jakob, Albert Kolbe und August Hermann wurden auf Grund des Sozialistengesetzes aus Leipzig ausgewiesen. Grund: Sie haben am diesjährigen Stein- metzstreik eine aktive Rolle gespielt, verfielen dafür natürlich dem Straf- richter und werden jetzt obendrein von Heim und Familie gerissen. Was die Urheber des Sozialistengesetzes in Worten zu sagen sich hüten und verwehren, das verrathen ihre Handlungen tagtäglich: das Ausnahme- gesetz soll die Widerstandskraft deS Arbeiters gegen den Kapitalismus brechen, jeden Lohnkampf unmöglich machen und die Arbeiter nicht blos auf politischem, sondern auch auf ökonomischem Boden mund- todt, widerstandslos machen. Und das ist die gute Seite des Sozialistengesetzes l Sie öffnet den Arbeitern die Augen darüber, wer ihre Feinde sind, und stärkt zugleich ihr Klassenbewußtsein, die Vorbedingung des sozialen Emanzipationskampfes. — Eine« recht genialen Anssprnch hat die witzige Exzellenz Windthorst auf der diesjährigen Generalversammlung der deutschen Katholiken gethan.„Nur durch die kräfttge Unterstützung unseres Bauernstandes", rief der Führer der Ultramontanen in seiner Rede am Schluß der Versammlung aus,„kann Deutschland wieder auf gesunde Füße gestellt werden. Nur der Bauernstand ist noch gesund und nicht angefressen von dem Materialismus deS modernen Zeitgeistes." Eigentlich könnten wir sagen: Kommentar überflüssig. Denn der logische Saltomortale, der in diesen Worten liegt, bedarf wirklich keiner Erläuterung. Der Bauernstand, diese materiellste aller Gesellschastsklaffen, und zwar infolge ihrer Lebensverhältnisse naturgemäß durch und durch materiell gesinnte Gesellschaftsklasse,„unangefreffen von dem Materialismus!" Freilich, Herr Windthorst setzt hinzu,„des modernen Zeitgeistes", und das könnte ja doch ein anderer Materialismus sein als der, dem der Bauer huldigt. Gewiß, er könnte es nicht nur sein, er ist e» sogar, aber, und das ist eben der unbezahlbare Witz bei der Sache, gerade Herr Windthorst und da« Pfaffenthum aller Konfessionen stellen den modernen Materialismus genau als die grobsinnlich« Denk- weise hin, der der Bauer huldigt, für sie fällt er zusammen mit dem Kultus deS Besitze», der Verachtung aller idealen Bestrebungen. Wenn Herr Windhorst nicht behaupten will, daß die Pflege der Wissenschaften, der schönen Künste, der Literatur im Bauernstande zu Hause ist, daß die geistigen, politischen und sozialen Reformbestrebungen vom Bauernstande die lebhafteste Förderung erfahren, das heißt daS genaue Gegentheil von dem, was ist— waS bleibt dann für feine un- angefressenen Bauern übrig? Neben dem Trachten, den Düngerhaufen vor seinem Hause möglichst zu erhöhen, fast nichts alS- die Kirche. Die Ursache, warum er an diesem festhält, hat freilich mit dem modernen Zeitgeist nicht» zu thun. desto mehr aber mit dem- Materialismus. Der„gesunde Bauer" des Herrn Windthorst hat eine verzweifelte »ehnlichkeit mit dem„gesunden Osten" der Herren Panslavisten. Wie der Erster« Deutschland , so soll dieser gleich den ganzen„faulen Westen" Europas gesund machen durch seine„Unterstützung", will sagen Herr. schaft. Nun weiß aber jeder leidlich Unterrichtete, daß der„gesunde Osten" sich die Früchte der westlichen Zivilisation merkwürdig schnell a.c» geeignet hat, die Korruption blüht in keinem Staate so wie in Rußland , während man die Tugenden des Naturmenschen dort ebenso mit der Laterne suchen muß wie etwa auf den Boulevards von Babylon-PariS, und daß Sittenreinheit des Landvolks auch leider nur in Dorfgeschichten zu die zu finden ist. Und Deutschland durch den Bauernstand, wie er heute ist, wieder gesundmachen wollen, ist eine Kur wie die Regenerirung des westlichen Europa durch das Kosakenthum, auch der Kosak ist„noch nicht angefressen von dem Materialismus des modernen Zettgeistes". — In einem Artikel über die Bestrebungen der Kleinhandwerker macht der Basler„Arbeiterfreund" eine treffende Bemerkung über das Verlangen der Jnnungsme ister nach gesetzlichem Borgehen gegen das„Pfuscherthum": „Das Wort Pfuschen", schreibt er,„hat im praktischen Leben einen doppelten Sinn. Man nennt denjenigen einen Pfuscher, der in seinem Berufe nicht tüchtig ist, aber auch derjenige wird in den Auge« der Gewerbetreibenden als Pfuscher betrachtet und bezeichnet, der sein Gewerbe nicht selbstständig betreibt, sondern für einen Unternehmer ar- beitet und nebenbei auf eigene Rechnung macht, was er eben zu thun bekommt. Wir wissen nicht, gegen welche Kategorie von Pfuschem oder ob gegen beide vorgegangen werden soll. Was soll nun aber derjenige beginnen, der, obwohl kein Künstler, sich trotzdem recht und schlecht mit seiner Hände Arbeit durch's Leben brachte, wenn ihm fernerhin das„Pfuschen" untersagt wird? Soll er sich aufhängen oder ein letzte» Bad nehmen?" Die Frage wird die Herren Jnnungsschwärmer wohl wenig kümmern, über sentimentale Umwandlungen sind sie erhaben. Wenn sie nur ihr Gewerbsmonopol durchdrücken, was kümmern sie die Andern? Bedenken haben sie nur da, wo Gefahr besteht, daß sie sich in's eigene Fleisch schneiden. So neulich auf dem Jnnungstage in Berlin , wo sie ein wahres Gruseln überlief, als einer der Delegirten die Frage aufwarf, was daraus werden würde, wenn die Forderung, daß nur geprüfte Meister sich Meister nennen dürften, Gesetz mit rückwirkender Kraft werde? Selbst noch eine Prüfung ablegen?„Um's Himmels» willen nicht." Da würde nämlich die große Mehrzahl dieser Kämpen für das ehrliche Handwerk sich selbst als— Pfuscher herausstellen. So war's aber nicht gemeint. Man will sich nur jede unbequeme Konkurrenz vom Halse halten. Sonst müßte es ja heißen: gesetzliche Maßregeln gegen pfuscherhafte Arbeit. Wenn der Ertrinkende nach dem Strohhalm greift, um sich vor dem Versinken zu retten, so kann man nichts als Mitleid mit ihm empfinden, wenn er aber in seinem Wahn, er rette sich dadurch, VoShaft auf andre losschlägt, die noch schlimmer daran sind als er, nun, dann zeigt et nur, daß er verdient, daß er zu Grunde geht. — Der moralische Niedergang des BürgerthnmS— der Vorläufer seines sozialen Untergangs— zeigt sich in nichts deutliche» als in dem bodenlosen Servilismus, in den es verfallen ist und von Tag zu Tag tiefer versinkt. Es ist geradezu unglaublich, wie weit die Manier der Selbstentmannung sich in das öffentliche Lebe» unfrer Epoche eingefressen hat. Ist schon der Heroenkultus an sich, sobald er gewiffe Grenzen übertritt, eine tadelnswerthe Unsitte, so verschwindet alles, was auf diesem Gebiet gesündigt wird, gegen de» geradezu wahnsinnigen Kultus, der heute mit und vor Allem getrieben wird, was entweder seichteste Mittelmäßigkeit oder das genaue Gegen- theil geistiger und sittlicher Größe ist— einzig und allein daraufhin, daß es hochgeboren, durch den Zufall der Geburt an die höchsten Plätze gestellt ist. In Deutschland und speziell in der Hauptstadt des deutsche » Reiches wird ein kaum flügge gewordener Mensch, der noch absolut nicht» für die Menschheit geleistet, aber bereits wahrhast empörende Beweis« von Gemüthsroheit an den Tag gelegt, überall, wo er sich zeigt, vom Bürgerthum, dem er direkt in'S Gesicht geschlagen, mit„begeistertem Jubel" begrüßt, und in Oesterreich rüstet sich das Bürgerthum, da» vierzigjährige Jubiläum eines geistlosen Gamaschenknopfs, der daS Menschenmöglichste gethan, den Verfall und Zersall seines Reiches zu beschleunigen, mit Ehren zu feiern, als handle es sich um das größte Genie, den größten Äohlthäter der Menschheit, die je die Erde getragen. Von einem höchst bezeichnenden Vorhaben in dieser Hinsicht lesen wir in der Wiener „Gleichheit": „Einen Obelisken auf dem Ortler , dem höchsten Berg» Oesterreichs , am Tage des 40jährigen Jubiläums deS Kaiser» zu errichten, das ist der neueste patriotische Plan, der von einigen Alpen « fexen ausgeheckt wird. In dem Wetteifer, als die loyalsten Männer zu erscheinen, wollen die Petermann und die übrigen Mitglieder des zu diesem Zwecks konstituirten Komites die Siegespalme erringen. Man hat den erwähnten Plan in den letzten Wochen für einen schlechten Scherz gehalten, doch da»„Wiener Abendblatt" vom 6. d. M. bringt eine geharnischte Erklärung des Petermann, daß sein Plan unbedingt zur Durchführung gelangen werde. Es müffe den Bergsteiger ein solcher Plan nur zur Ausführung reizen. Es wird beschrieben, unter welchen Gefahren der Obelisk auf den über 12,000 Fuss hohen Berg im Dezember hinauftransportirt werden muß. Nun hätten wir ja, bemerkt die„Gleichheit" ganz richtig, gegen diesen Plan gor nichts einzuwenden, wenn die Herren Petermann und die übrigen Komitemitglieder sich vor den Schlitten spannen würden, auf welche« der mehrere Meter hohe Obelisk auf den Ortler transportirt werde» soll. Sicherlich ist eine solche That des Schweißes der Petermänner werth. Wir fürchten aber, daß die Herren Petermänner nur die loyale« Gedanken aushecken, sie aber von simplen Arbettern ausführen lasse», daß die Herren Petermänner auf die Orden spekuliren, und die simplen Arbeiter den Schlitten mit dem Obelisken auf den selbst für den uu- bepackten Mann nur mit Lebensgefahr besteigbaren Gletscher hinausziehe» sollen. Der Plan der Alpenfexe zeigt von durch die Leere ihrer Knopflöcher auf die Spitze getriebener Geistesverwirrung." Gewiß. Nur ist es nicht bloS die Leere der Knopflöcher an sich, die hier wirkt, sondern sie sind bekanntlich erst gefährlich durch eine andre Leere— die sittliche Hohlheit, sie haben keine Ideal« mehr, kein üchtes geistiges Streben, und deshalb sind sie Streber und schwärmen sür's Banale. — Wenn wir Sozialisten auf dm engen Zusammenhang zwt» schon den Produktions» und Etgenthumsvorhältnissen und der Moral hinweisen, wenn wir behaupten, daß die meisten Berbrechm nur Produkte der schlichten wirthschaftlichen Zustände sind, so pflegen unsere Gegner mehr oder weniger„entrüstet" über unfern„Materialis- mus" herzuziehen. WaS wir verkünden, sei da« Ende aller Moral. Man müsse erst die Menschen bessern, belehren sie unS, erst dann werdm auch die gesellschaftlichen Verhältnisse sich besser gestalten, nicht umgekehrt. Sehr schön, schade nur, daß eben dieselben Leute, sobald sie statt zu philosophhirm, vom wirklichen Geschäfte sprechen, uns Sozialisten das schlagendste Material für unsere Auffassung von der Moral gegen die ihre liefern. So schrieb die Philadelphia„Post", ein hochmoralisches Bourgeoisblatt, neulich in einer Polemik gegen verschiedene Versicherung»- Journale: „Wenn der Rest deS Jahre« nicht dem Beispiel der letzten zwei oder drei Monate folgt, so wird da» Jahr 1888 für die Verstcherungsgefell« schaftm nicht besser ausfallen als die letzten fünf Jahre. Der Faktor, welcher für sie arbeitet, ist die Aussicht auf besser« Zeitm. Der„moralische Hazard in der Feuerversicherung", wie der Ausdruck der Kompagnien für den Händler lautet, der es leichter findet, von den Bersicherungs-Gefellschaften alS von seinen Kunden zu kollektiren, ver- g r ö ß e r t sich enorm in schlechten Zeiten und fällt ebenso stark in guten. Die Abnahme der Brände in den letzten drei Monaten ist einer der vielen Beweise dafür, daß daS Geschäft sich bessert." Wird hier nicht mit dürren Worten erklärt, daß die betrügerischen Brandstiftungen, von denen die Versicherungsgesellschaften zu leiden haben, ausschließlich oder doch zum großen Theil nur der relativm Rothlage der Versicherten zuzuschreiben sind und sofort abnehmen, wenn die„Geschäfte" sich bessern, das heißt mehr Möglichkeit geboten ist, auf anständige Weise des Lebens Nothdurft zu erwerben. Nicht die Menschen sind in der einen oder andern Epoche besser, bezw. schlechter, die Ver- Hältnisse sind eS, unter denen sie exlfiirsn, und diese B-rhältnisss beein- fluffen, ja bestimmen die Handlungen derselben. Weil aber die Erwerbs- verhältniffe in der heutigen Gesellschaft gewissermaßen eine Art Hazard darstellen, so ist auch die Moral zur Sache des Zufall», des „Hazard" geworden. Insofern kann man dem von den V.-rsichernugs- I
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10 (22.9.1888) 39
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