Unser leider recht gottloses Bruderorgan, das„ Phil. Tageblatt", schreibt die Katastrophe, der so viele wackere Seeleute zum Opfer gefallen, ganz anderen Ursachen zu. In einem sehr bemerkenswerthen Artikel„ Der Engländer kam davon" führt es aus:
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Das einzige englische Schiff, das bei Ausbruch des Sturmes im Hafen lag, kam davon.
Das war tein Zufall, sondern ein Beweis der Geschicklichkeit und Erfahrenheit der Engländer und vom Gegentheil der Deutschen und Amerikaner. Apia hat so gut wie feinen Hafen; was so genannt wird, das ist nicht viel mehr als eine offene Rhede , die von niederen KorallenKlippen umgeben wird, über welche der Sturm fast ungehindert hereinbricht.
" In den Tropen erheben sich plötzlich fürchterliche Stürme, die in der Samoa - Gruppe in die Zeit vom November und April fallen. Handelsschiffe halten sich ohne die zwingendste Nothwendigkeit daselbst während dieser Zeit nicht auf. Dampfschiffe bleiben unter Dampf und entfernen sich sogleich aus dem Hafen, wenn der Sturm sich erhebt. Der Engländer that es und rettete sich.
Abgesehen von der Unerfahrenheit oder N a chlässigkeit der Kommandeure der deutschen und amerikanischen Kriegsschiffe trägt die Schuld an dieser Katastrophe selbstverständlich die famose„ Kolonial- Politit" Deutschlands , welche es nöthig machte, daß eine ganze Flotte zum Schuße der dortigen Landgrabscher aufgeboten wurde. Die drei deut schen Kriegsschiffe mußten dort während der Sturmzeit bleiben, um den Schattenkönig Tamasese aufrecht zu erhalten.... Das Unglück war unvermeidbar. Bei Beobachtung der gewöhnlichen Vorkehrungs- Maßregeln wäre es vermieden worden. Aber die Deutschen , die auf dem Lande an der Spize der Militärstaaten stehen, haben bis jetzt zur See noch wenig Geschick bewiesen. Wir erinnern nur an den„ Großen Kurfürsten," der im englischen Kanal beim schönsten Wetter und am hellen Tage von einem anderen Panzerschiffe in den Grund gerannt wurde."
„ Je nun, das war eben auch„ Gottes Wille". Und wenn es nach neueren Nachrichten heißt, daß das englische Schiff deshalb sich retten fonnte, weil seine Dampfmaschine besser fonstruirt war als die auf den deutschen Kriegsschiffen, so ist das gleichfalls einzig und allein„ Gottes Wille". In Deutschland entscheidet der militärische Leiter, wie das Kriegsschiff zu bauen ist, der Ingenieur hat nach Befehl den Bau auszuführen, aber nichts dreinzureden. Die militärische Leitung aber bestimmt der von Gottes Gnaden, eingesezte oberste Kriegsherr. Gott " hat's gewollt.
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-Mit Bezug auf den Artikel Rückgang" in voriger Nummer unferes Blattes erhalten wir von befreundeter Seite folgende Einsendung:
" Die Sophisten des Militarismus und des Nationaldünkels haben zu jeder Zeit den Krieg als einen sittlichen Zuchtmeister gepriesen. Für innerlich schon verlotterte Völker, denen ihr Tyrann äußere Motion machen muß, mag diese Behauptung traurige Wahrheit sein. Da heißt es: Gift gegen Gift! Revolution im Völkerleben gegen innere Revo= lution! Dennoch kann niemand verkennen, daß der Krieg der höheren Kultur tausendfach schadet. Er ist dem humanen idealen Streben feindlich und bringt einen bengelhaft brutalen Nationalegoismus, der sich als Mordpatriotismus breit macht, zur Herrschaft. Er schwächt den Freiheitssinn der Völker und erzieht sie für die innere Knechtschaft. Er hätschelt einen blutdürftigen Nationalstolz voll von furchtbaren Gefahren, erschüttert die Achtung des Rechts, erweckt die Raubthiertriebe im zivilifirten Menschen wieder, zerrüttet den Nationalwohlstand; durch das Schuldenwesen in seinem Gefolge leistet er der Geldoligarchie Vorschub und wird Zuchtschule von zahllosen andern Aeußerungen privater und öffentlicher Unittlichkeit. Er beugt nicht einmal den Chauvinismus des besiegten Volkes, sondern macht den Rachedurft zum einzigen Hebel, um der Zerrüttung Einhalt zu thun. Bis zur Erschöpfung aller Völker erzeugt ein Krieg den andern und in jedem wird die Gesammteristenz mehr oder weniger dem Spiel des Zufalls preisgegeben... In unübertrefflicher Weise hat Aristoteles zur Zeit, als der makedonische Militarismus im Zenith des Erfolgs stand, dem Krieg das Urtheil gesprochen."( Schäffle, Bau und Leben des sozialen Körpers, IV. Bb.) Ob die schwäbische Erzellenz wohl auch heute, unter Wilhelm, dem Kriegshelden auf Vorschuß, dergleichen ristiren würde? Schwerlich. Als der Verfasser der Quintessenz" merkte, daß er seiner Zeit für einen deutschen Gelehrten zu weit vorausgeeilt, da trat er schleunigst seinen Rückgang an und es entstand die„ Aussichtslosigkeit" der Ministerkand pardon, der Sozialdemokratie".
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Doch lassen wir den büßenden Schäffle und halten wir uns an den andern sagen wir, den Vorsichtslosen. An einer andern Stelle des oben zitirten Buches nennt er das meist übliche Lob des Krieges als einer Schule erfrischender Uebung von Kraft und Muth und Sittlich feit" frivo!" und zitirt ein Wort Herbarts:„ Die Konsequenz wird alsdann auf die Frage leiten, ob eine ähnliche Gymnastik nicht auch zwischen den Provinzen eines Staates, ja zwischen einer Stadt einzuführen sei."
Das heißt, daß diese sich von Zeit zn Zeit tüchtig durchholzen, ganz im Sinne des von Ihnen mit Recht hergenommenen Professor Holzer nomen est omen( der Name schon ist eine Vorbedeutung). Kommentar ist im Artikel„ Rückgang" gegeben.
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Die Staatsfäulen in Schwulitäten. Die armen Bismards, junior und senior! Ihre Kolonialpolitik ist gerade wie verhert fein Tag ohne Blamage. In Ostafrika noch vor Thorschluß eine ganz gesunde Niederlage, und auf den Samoa- Inseln die homerische Wolfe weggeblasen, hinter der sich der Rückzug unter der Maste eines diplomatischen Triumphes staatsmännisch vollziehen sollte. Die bösen Amerikaner, die„ Gleichhettsflegel", haben eben so gar keinen Respekt vor Allem was einem deutschen Reichs- Philister heilig ist: sie haben unsern Eisenstirn ohne Umstände am Kragen gepackt, wie ein Schußmanu den ersten besten Raufbold, und haben ihm ein kräftiges move on! zugerufen, das heißt Troll Dich Deiner Wege oder! Und ER wird sich trollen. Der Bien muß". Der arme Junior aber greint wie ein Schulbube, dem der Lehrer das versudelte Heft um die Ohren geschlagen. Denn der Junior hat so heillose Dummheiten gemacht, daß Senior sich bemüssigt sah, ihm eine kleine Lektion vor versammeltem Volt zu ertheilen, und zu eigner Ehrenrettung die Schande des Monsieur Filius in einem neuen„ Weißbuch" an die große Glocke zu hängen*). Eine glückliche Familie".
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Auch dem armen Kollegen Strauts geht es nicht mehr nach Wunsch. Das Gericht hat ihm, wegen Fluchtverdachts, die Haftentlassung ver weigert, und der preußische Staat wird wohl für einige Jahre durch einen andern Kopfabschneider gerettet werden müssen.
Es wackeln also alle Säulen des Staats sogar dem Stöder
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fängts an bange zu m werden. Verschiedene seiner Gönner haben ihm
Fußtritte gegeben.
Wahrhaftig, wenn's so fortgeht, wird's bald heißen: Ein Königreich für einen zweiten Hödel oder Nobiling! S
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Einer der frechften preußischen Junker, Graf Brühl der Herr ist, wenn wir nicht irren, Königlicher Kammerherr leiſtete jüngst im preußischen Herrenhause den klassischen Ausspruch: Die bestbesoldeten Lehrer sind die schlechtesten." Ein echtes Junkerwort, das in seiner Unverschämtheit allerdings den Einen Vorzug hat, subjektiv wahr zu sein. Unter seinesgleichen der Nothwendigkeit enthoben, zu heucheln, hat der Junker einmal gesprochen, wie es ihm um's Herz ist." Die bestbesoldeten sind die schlechtesten." So denkt der Junker, nicht blos von den Lehrern, sondern auch von dem übrigen Knechtsgesindel. Denn dazu gehören sie alle, ob Schulmeister oder Pferdejungen. Je besser man sie bezahlt, um so unverschämter werden sie. Je schlechter sie aber bezahlt werden, um so unterwürfiger werden sie. Hundelohn erzeugthundegesinnung. Das weiß der Junker, diesen Zusammenhang zwischen ökonomischer Ursache und moralischer Wirkung kennt er, so wenig er sonst vom wissenschaftlichen Materialismus versteht, und wenn es nicht schon das Interesse für seinen Geldbeutel thäte, so würde ihn allein diese moralische
*). Der krampfhafte Versuch, den Konsul Knappe als den Missethäter bloszustellen, der alles Pech verschuldet, ist natürlich kläglich verunglückt. Jedermann weiß, daß der Knappe nur die Weisungen befolgt, die ihm vom„ schneidigen" Ritter Herbert zugegangen.
Wirkung veranlassen, Hundelöhne für das Ideal seines Lebens zu erflären.
Man kann sich denken, mit welcher Stimmung der gräfliche Ausspruch in den Kreisen derer aufgenommen wurde, auf die er gerade speziell Bezug hatte: der Lehrer. Ganz erbost schreibt ein Organ derselben, die„ Schles. Schulzeitung":
" Nicht wahr, ein fräftiger Sag, bestechend durch seine lapidarische Kürze? In diesem Tone erlauben sich jene Herren, von unserem Stande zu reden. Ein furchtbarer Stachel liegt in den Worten: sobald dem Lehrer eine sorgenfreie Existenz beschieden ist, verfällt er der sittlichen Haltlosigkeit. Dann ergiebt er sich allerhand üblen Passionen, die ihn in Verruf bringen und seiner amtlichen Thätigkeit Abbruch thun. Oder meint der Herr Graf, der sorgenfreiere Mann erscheine auch als der freiere Mann, der nicht mehr vor jedem gnädigen Herrn bedientenhaft friechen will, sondern sich sogar dann und wann ein offenes Wort ge= stattet? Ja, so will man den Lehrer sehen: in Demuth gebückt, weil ihn Noth beugt. Sind die bestbesoldeten Lehrer die schlechtesten, dann sind wohl die schlechtestbesoldeten die besten? Das wäre die einfachste Konsequenz fener gräflichen Worte. Mit gleichem Rechte könnte man von den reichen Leuten bei jeder Gelegenheit das Gleichniß vom Kameel und Nadelöhr zitiren. Welchem vernünftigen Menschen kommt das in den Sinn? Doch genug davon; es ist uns immer lieb, weun wieder einmal ein derartiger greller Ausspruch den Verblendeten unseres Standes zeigt, in welchem Lager ihre erbittertsten Gegner sigen." Ganz recht, nur mögen die Herren vom„ Stande " der Lehrer nicht vergessen, daß hinterm Berge auch noch Leute wohnen und nicht in Bezug auf diese die Arbeiter vertheidigen, gegen was sie für sich so entrüstet Verwahrung einlegen. In dieser Beziehung liegt es bei ihnen noch sehr im Argen.
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Kommt auch anderwärts vor. In Milwaukee waren bei den kürzlich stattgehabten Wahlen zur Stadtvertretung auch unsere Genossen mit einer eigenen Liste in die Aktion getreten. Am Tage nach der Wahl so lesen wir in der„ New- Yorker Volkszeitung" berichteten die Zeitungen: das sozialistische Ticket habe in Milwaukee 410 Stimmen erhalten. Damit schien die Sache abgethan. Auf diesen 410 Stimmen wurde nun weidlich herumgeritten, sie wurden verlacht und offen verspottet. Die Sozialisten, obgleich sie feine einzige Wahlagitations- Versammlung abgehalten und nur ein einziges kleines Wahlflugblatt ausgegeben hatten, behaupteten aber, sie seien bei der Zählung arg bemogelt worden, da sie in einer Anzahl Precinkte( Wahlbezirke) feine einzige Stimme gezählt erhielten, obgleich sie dort solche abgegeben hätten. Es hat daraufhin eine offizielle Zählung unter besonderer Kontrole stattgefunden, und siehe da, die ersten vier Precinkts, die gezählt wurden und wo die Sozialisten angeblich gar keine Stimme erhielten, ergaben 64 sozialistische Stimmen. Es sind noch 22 Precinkts nachzuzählen. Wenn dies so fortgeht, und es spricht alles dafür, dann werden die 410 Stimmen auf 1000 Stimmen anwachsen, dies ohne irgend eine Versammlung, auf ein rein sozialistisches Ticket! Merkwürdig ist aber wieder, daß die Geldsackspresse ganz einmüthig das Resultat dieser offiziellen Zählung to dtschweigt. Sie weiß warum."
So die" New- Yorker Volkszeitung". Diese Zählmanöver oder wohl richtiger Nicht zähl- Manöver find keineswegs eine Spezialität der smarten" Yankees , die tugendhaft- idealen Musterbürger des Reiches der Gottesfurcht und frommen Sitte verstehen sie ebenfalls aus dem Grunde, und nirgends werden sie vielleicht lieber praktizirt, als im„ kemiethlichen" Sachfen. Wo das ordnungsparteiliche Fabrikantenthum im Wahlbureau hübsch unter sich ist, da werden Zahlenkunststücke verübt, wie sie eben nur Leute fertig bekommen können, die ihre Arbeiter schon beim Zumessen der Arbeit betrügen und für die die Forderung ehrliches Maß den Umsturz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung bedeutet. Daß den Falschzählern später amtlich genau nachgezählt, daß ihre Mogeleien aufgedeckt worden, das kommt in Sachsen merschtendeels nicht vor. Darin sind wir eben den Amerikanern über.
Freue dich, Deutschland . Während die Staatsanwälte und Polizisten darüber nachsinnen, wie der Oppositionsgeist auf die Anklage= bant und in's Gefängniß zu schleppen ist, bringt der Nachfolger Friedrichs des Großen seine freien Stunden, in denen er nicht exerziren, Revue passiren, manövriren und seinen Namenszug signiren muß, damit hin, eine neue of tracht zu entdecken. Er hält täglich mit einem halben Duzend von Schneidern, unter denen auch einige Schneiderinnen sind, diplomatische Konferenzen ab und soll im Entwerfen neuer Kniehosenmuster und Strumpfzwickel auch wirklich eine gewiffe Genialität entwickeln. Man sieht, nicht blos unter den Schriftstellern sind Leute zu finden, die ihren Beruf verfehlt haben. darb
Ueber die Fortschritte des Südens der Vereinigten Staaten in kapitalistischer Entwickelung finden wir in der„ New- Yorker Volkszeitung" folgenden interessanten Artikel:
Schon mehrmals in den lezten Monaten hatten wir Veranlassung, auf bedeutsame Thatsachen hinzuweisen, die sich auf den rapiden Aufschwung der kapitalistischen Entwickelung in den Südstaaten der Union beziehen. Wir haben es da mit Symptomen einer großen WandLung zu thun, die in neuerer Zeit recht auffallend hervortreten, einer Wandlung, die im Begriffe steht, die gegenwärtige Formation der politischen Parteien ne uzu gestalten und überhaupt für alle Interessentämpfe dieses Landes eine total veränderte Situation zu schaffen. Demgemäß dürfen wir nicht unterlassen, neuere, diesmal ganz bestimmte Angaben bezüglich dieser Vorgänge zu berücksichtigen.
Das zu Baltimore erscheinende Fachblatt für industrielle Unternehmer: The Manufacturers Record", konstatirt, daß insbesondere die letzten brei Monate einen ungeheuren Aufschwung industrieller Thätigkeit im Süden mit sich brachten. Raum eine Woche, sagt das Fabrikanten Organ, ist seit Neujahr vergangen, in der nicht stompagnien mit Millionen Rapital für bedeutende Unternehmungen gebildet wurden, während die Zahl von kleineren, aber nichtsdestoweniger wichtigen Etablissements sich in überraschender Weise vervielfacht hat." Wie der Artikel des genannten Blattes versichert, ist das nicht etwa ein„ Boom"( künftlich erzeugter Aufschwung), der sich nur auf eins der Industriegebiete erstreckt, sondern wir sehen da ein allgemeines Aufleben im gesammten Bereiche des Erwerbslebens. Und diese Beobachtung beschränkt sich nicht auf das Areal von wenigen Staaten, sondern umfaßt den ganzen Süden.
Hochöfen vervielfachen sich, indem mit den Profiten der bestehenden nene erbaut werden. Baumwoll- Spinnereien vermehren sich, da deren Dividenden- Fruchtbarkait, auf Grund bisheriger Erfahrungen, hoch angeschlagen wird, was große Kapitalfummen zur Anlage in neuen Fabriken dieser Art herbeizieht. Auch mit Eröffnung neuer Bergwerfe und mit Erbauung von neuen Eisenbahnen geht es rasch vorwärts. Einige der von der Natur am meisten begünstigten Gegenden des Südens sind nun offen für die Annäherung von Kapital und Handel. Neue Ortschaften und Städte wachsen aus dem Boden hervor, und sogar die am meisten aristokratischen der älteren Gemeinden sagen dem Geiste des Philisterthums„ Valet", um den Genius unternehmerischer Regfamkeit zu bewillkommnen."
So der„ Manufacturers Record." Was da gesagt wird, flingt zwar etwas nach südlicher Großsprecherei; aber es werden Zahlenan= gaben beigefügt, welche diese Schilderung bekräftigen. Die neuen Unternehmungen, welche während der letzten drei Monate organisirt oder in Angriff genommen wurden, beziffern sich auf nahezu dreizehnhundert das ist zweihundert mehr als im gleichen Zeitraum des vorigen Jahres, während das in diesen Unternehmungen angelegte Stapital die Summe von achtundfünfzig Millionen Dollars erreicht, gegenüber achtunddreißig Millionen in den ersten drei Monaten des Jahres 1888.
Danach gewinnt die Sache den Anschein, als ob das Resultat des letzten Wahltages: der Sieg der republikanischen Partei fich als ein be= sonderer und zwar sehr wirksamer Anstoß für die Kapitalisten zur Anlegung ihrer Entbehrungslohn- Ersparnisse" im Süden erprobt habe. Wenn, wie anzunehmen ist, dieser Entwicklungsprozeß mit wachsender Schnelligkeit sich fortsetzt, dann ergibt sich damit eine Wahrscheinlichkeit, daß schon innerhalb der nächsten vier Jahre das spezifisch industriell= tapitalistische Interesse in der bisherigen Domäne der Grundbesitz-, Baumwollen- und Krautjunker eine genügend große Machtstellung erlangt, um auch dort der Schutzzoll- Politik Eingang zu ver schaffen, was mit dem Aufbrechen der Phalany des, für die demokra tische Partei geeinigten Südens" gleichbedeutend sein würde. Nun hiermit sehen wir doch ein Ergebniß in dem Herannahen begriffen, das
die kapitalistische Entwickelung des nächsten Jahrzehnts jedenfalls zeitigen muß.
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Die demokratische Partei stirbt ab durch Verlust des Solid South"*), den der dort wachsende Gusto an Schußzöllnerei zersetzt, während im Norden die Arbeiter nicht lange mit dem albernen Röder eines Schuhzolls", der nur die Ausbeuter schüßt, behumbugt werden können. Das aber führt jedenfalls zu einer politischeu Neugestal= tung und speziell zu freier Bahn für Organisirung einer tlassenbewußten politischen Arbeiterpartei.
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Ein sauberes Stückchen moderner Geschichtsfälschung nagelt die Berliner Volkszeitung" fest. Im jüngsten Heft seiner Politischen Geschichte der Gegenwart" versucht der nationalliberale Professor Wilhelm Müller in Tübin= gen die Geschichte des vorigen Jahres wie üblich im bismarckschen Sinne umzu lügen, was aber leider nicht ohne plumpe Verstöße gegen die wuchtige Sprache der Thatsachen zu bewerkstelligen ist. Um nämlich seinen Lesern weiß zu machen, daß auch der„ liberale" Kaiser den Kanzler Eisenstirn für unentbehrlich gehalten habe, erzählt er, unser Frizz habe einst bei einer schweren Erkrankung seiner Ge= mahlin für den Fall, daß sie zur Regentschaft berufen würde, das Versprechen abgenommen, nie etwas ohne den Fürsten Bismarck zu thun. Diese Geschichte," schreibt die„ Volkszeitung", ift uns bereits im vorigen Jahre in der Kartellpresse begegnet und von uns als unwahr nachgewiesen worden; sie wird dadurch nicht wahrer, daß sie Herr Wilhelm Müller jetzt wiederholt. Nach preußischem Staatsrechte kann in Preußen, so lange noch volljährige männliche Mitglieder der königlichen Familie vorhanden sind, eine Frau die Regent= schaft für einen minderjährigen oder aus anderen Gründen an der Regentschaft verhinderten König nicht führen. Bis jetzt hat es nie an volljährigen Mitgliedern der königlichen Familie gefehlt, welche ein verfassungsmäßiges Recht anf Uebernahme einer Regentschaft, wenn eine solche erforderlich gewesen wäre, hätten geltend machen können. Die von Herrn Müller wieder mitgetheilte Aeußerung des Kronprinzen tann hiernach garnicht gefallen sein. Für den tübinger Professor, der es unternimmt, eine politische Geschichte der Gegenwart zu schreiben, ist es bezeichnend, daß er nicht einmal weiß, wer in PreuBen und im Deutschen Neiche verfassungsmäßig die Regentschaft zu führen haben würde, wenn die Einsetzung einer solchen einmal noth= wendig werden sollte. Woher Herr Müller Kenntniß davon hat, daß Kronprinz Friedrich Wilhelm keinen wichtigen Schritt gethan, keine Reise unternommen haben soll, ohne die Nathschläge Bismarcks vorher eingeholt zu haben, wird wohl sein Geheimniß bleiben. Aus diesen Proben werden aber unsere Leser entnehmen können, welcher Art die Müller'sche Geschichte" ist, und was unser amtliches Blatt unter ,, objektiver Schilderung" versteht.
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- Mit Bezug auf die in voriger Nummer bereits gekennzeichneten neuesten Rechtsfälschungsversuche im Rechtsstaate Preußen schreibt man uns:
" In der Anklageschrift gegen die Opfer des Rheinischen MonstreProzesses macht der Staatsanwalt von Elberfeld das naive Geständniß, nach Schluß der Reichstagssession werde er in Erwägung" ziehen", ob nicht die ganze sozialdemokratische Reichs= tagsfraktion als Haupt des obersten Geheimbunds: Sozialdemo= fratische Partei, angeklagt werden könne. Die Elberfelder Staatsanwaltschaft hat schon nach dem Wydener Kongreß das nämliche Plänchen in Erwägung gezogen". Und das ist schon lange her.
Nicht daß es im Punkte der Rechtsvergewaltigung eine Unmöglichfeit" in Deutschland gäbe! Wir sind weder Optimisten noch Schmeichler. Aber die Albernheit eines solchen Prozesses wäre doch etwas zu groß. Ungefähr so groß wie die, welche jetzt von einigen Reptilblättern angekündigt wird: daß der neueste deutsche Kaiser die„ Volkszeitung" wegen Majestätsbeleidigung verflagen wolle, weil diese seinen Großvater angegriffen, mit dem er sich identisch er= tlärt habe. Das Gesetz bestimmit ausdrücklich, daß es todten Monarchen gegenüber keine Majestätsbeleidigung gibt. Nach dieser neuesten Theorie braucht ein lebendiger Monarch sich bloß mit irgend einem be= liebigen todten zu identifiziren und die Majestätsbeleidigung ist fertig. Die Konsequenzen könnten recht erbauliche sein. Nero z. B. iſt in allen Schulbüchern als schuftiger Despot, als ein Monstrum von Wollust und Grausamkeit, gekennzeichnet. Fiele es nun einem, sich ihm verwandt fühlenden modernen Bübchen von Gottesgnaden ein, sich mit Nero zu identifiziren, so müßte jeder Schulmeister, der über Nero„ mißliebig" geurtheilt, wegen Majestätsbeleidigung eingesperrt werden. Es ist das non plus ultra des Widersinnigen. Aber wir sind fast so weit wie jener Stirchenvater, der in der Widersinnigkeit die Quelle des Glaubens sah. Credo qui absurdum je wider= sinniger, desto glaubhafter, ist die Signatur der neuesten Aera .
Unseren Deutschthümlern muß es sehr unangenehm sein, daß unter den Trägern des Deutschthums sich so viele mit fremdländischen Namen und von fremdländischer Abstammung befinden. Daß Stöcker's Großmutter eine Jüdin vom reinsten Wassertroß des christlichen Taufwassers war, hat dem antisemitischen Meineidspfaffen schon manche schlaflose Nacht verursacht, und wenn nicht andere Leute hinter das böse Geheimniß gekommen wären, dann würde es die Welt ebensowenig erfahren haben, als sie es erfahren hätte, daß Midas Eselsohren hatte, wenn dieser nicht von einem schwaßhaften Sklaven überrascht worden wäre, als er gerade die verlängerten Königsohren unter der sinnreich verlängerten Königskrone zu verbergen suchte. Für einen Liebermann von Sonnenberg, einen Förster und einen Bismarck drei so hervorragende Vorkämpfer des reinen Dentschthums", muß es äußerst peinlich sein, wenn durch die kurze Kartoffelnase und durch die hervorragenden Backenknochen der mongolischfalmückische Ursprung mit augenfälliger, schreiender Deutlichkeit aller Welt auf die Nase gebunden wird. Ungefähr ebenso fatal ist es, daß an der Spize des preußischen Striegsministeriums und somit thatsächlich an der Spize der gesammten deutschen Kriegsorganisation ein Mann steht, dessen Familienname den deutbar reichsfeindlichsten Namen offenbart. Wir meinen Herrn Bronsart, der einen Namen von so offenbar französischer, also wälscher" Herkunft trägt, daß dieses„ Kainszeichen" durch den nachfolgenden Schellendorf" nicht unseren Blicken entrückt, nicht einmal verdunkelt oder in diskreten Schatten ge= stellt werden kann.
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Das ist entschieden ein sehr großes Pech für einen deutschen Kriegsminifter. Indeß Pech ist bloßer Zufall, für den das betreffende Menschentind und auch sonst Niemand und Nichts verantwortlich gemacht werden fann. Einen schlimmeren bösartigeren Charakter nimmt aber dieses kriegsministerielle Bech dadurch an, daß der bereits erwählte Nachfolger des Monsieur oder Citoyen Bronsart einen noch impertinenter französischen Namen hat, nämlich Monsieur oder Gitoyen Verdy du Vernois! Daß zwei deutsche Kriegminister hintereinander französischer Abstammung sind, das kann kaum mehr ein Zufall sein; und das eröffnet eine Gedankenreihe, die für einen Reichsfreund zu recht beängstigendem Schlußergebnis führt. Oder werden wir nicht zu der Annahme gezwungen, daß im französischen Geblüte ein besonderes Talent für das Kriegshandwerk oder sagen wir die Kriegskunst oder Striegswissenschaft stecken muß? Und da nun in Frankreich die Leute französischer Abkunft unzweifelhaft weit zahlreicher sind als in Deutsch land , so muß ein braver germanischer Reichsfreund mit Bezug auf die Zukunft des deutschen Reichs" und namentlich in Bezug auf die mit so vielen Milliarden vorbereiteten Zukunftstriege zu äußerst entmuthigenden Folgerungen kommen.
Genosse Alexander Reichel, Präsident der sozialdemokratischen Partei der Schweiz , hat an der diesjährigen Märzfeier in Basel eine vortreffliche Rede über die Aufgaben der Sozialdemokratie in der Schweiz gehalten, und der Basler Arbeiterfreund" hat dieselbe ausführlich zum Abdruck gebracht. Am Schluß dieser Rede kam Reichel auf die Frage vom geseglichen Weg zu sprechen, und seine Ausführungen darüber verdienen auch in unserent Organ wiedergegeben zu werden. Er sagte:
„ Und bei der Gelegenheit den Leuten vom Schlage der„ N. Züricher Zeitung" noch Etwas ins Stammbuch, die die Bombenaffäre in Zürich
*) Der stramme Süden.