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Der Sozialdemokrat

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in

London  .

Berlag

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Organ der Sozialdemokratie deutscher   Bunge.

bill?) binileg Briefe an die Redaktion und Erpedition des in Deutschland   und Desterreich verbotenen Sozialdemokrat wolle man unter Beobachtung äußerster Borsicht abgehen lassen. In der Regel schide man uns die Briefe nicht direkt, sondern an die bekannten Decadressen. In zweifelhaften Fällen eingeschrieben.

Nikolaus Gavrilowitsch Tschernyschewsky. Wir sind, auf Grund langjähriger Erfahrungen, in Bezug auf alle Nachrichten, die auf dem Wege gewisser Blätter aus Rußland   nach West- Europa   gelangen, sehr skeptisch geworden. So haben wir auch, als eines derselben, das ,, Berliner Tage­blatt", die Nachricht brachte, daß der große Denker Niko­laus Tschernyschewsky am 29. Oftober in seiner Vaterstadt Saratow   gestorben sei, dem Anfangs keine Be Deutung beigelegt, sondern auf Bestätigung von anderer Seite gewartet. Diese ist seitdem erfolgt, und zwar von einer Seite, deren Glaubwürdigkeit keinem Zweifel untersteht. Der bedeutendste Manu, ben das moderne, nach politischer Frei­heit und sozialem Fortschritt dürftende Rußland hervorgebracht, hat sein Leben ausgehaucht.

Das infame Zaren- Regiment hat ihn bis an sein Ende gepeinigt, mit seinen Verfolgungen, wie mit seiner Gnade" Es ist sicher feine bloße Fronie des Zufalls, sondern eine auf einen ursächlichen Zusammenhang deutende Erscheinung, daß nur wenige Wochen, nachdem die Welt durch die Nach­richt überrascht wurde, daß die russische Regierung Tscherny­schewsky begnadigt habe, bie Trauerkunde von seinem Ableben eintrifft. So sah von jeher die zarische Gnade" aus. Perfid, wie das Zarenthum in allen seinen Maßnahmen ist, fordert es nie mehr zu Mißtrauen heraus, als went es fich airgeblich zu Gnadenakten bequeint. Wahr ist es mur, wenn es die Knute schringt.

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Sa Und warum sollte es Tichernyschewsky nicht tödtlich hassen? Nichts naturgemäßer fast hätten wir gesagt, nichts berech­tigter, als diefer Haß. Die Lüge muß die Wahrheit hassen, sonst hört sie auf, Lüge zu sein; die Reaktion muß in jedem Vorwärtsstrebendem ihren persönlichen Feind erblicken, sie kann nicht objektiv sein. Sie ist deshalb auch zu allen Zeiten brutaler gewesen als der Fortschritt. Alle Gewalt­thaten, welche im Gefolge von Freiheitsbewegungen verübt wurden, verschwinden gegenüber den Gewaltthaten der Unter­brücker. Der Kampf für Recht und Freiheit adelt, der Kampf für Vorrechte und Machtbesig verthiert. Der Henker haßt sein Opfer mehr als dieses ihn. Er wird geleitet durch den Instinkt, dieses durch die Erkenntniß.

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Die genaueren Umstände, unter denen der Tod Tscherny­schewsky's erfolgte, sind noch nicht bekannt. Im Telegramm hieß es, er sei bei der Durchsicht eines Korrekturbogens einem Gehirnschlag erlegen. Was aber diesem Gehirnschlag" vor­ausgegangen, werden wir wohl erst später erfahren.

Wie wenig auf offizielle Nachrichten aus Rußland   zu geben, zeigt der Umstand, daß die angebliche völlige Begna­idigung des großen Denkers sich auf die Thatsache reduzirt, daß ihm, nach zweijährigem Zwangs- Aufenthalt in dem höchst ungefunden Astrachan  , gestattet wurde, in seine Vater­stadt Saratow   zu übersiedeln. Wahrscheinlich wußten feine Henker, daß er sie nicht mehr lange vor seiner Feder zittern machen würde. Troßdem hielten sie ihn bis zu seinem letzten Athemzuge unter Polizei Aufsicht. Um diese Gnade, die äußerste, deren das Barenthum fähig ist, recht zu wür­digen, muß man im Auge behalten, daß die Strafe, zu der schurkische Richter im Jahre 1864 Tschernyschewsky wegen Entwurfs eines nicht einmal von ihm herrührenden Entwurfs eines Flugblatts verurtheilt hatten, schon seit 20 Jahren verbüßt war. Besser konnten die russischen Gewalthaber nicht beweisen, daß diese Verurtheilung nur der Vorwand war, den Mann, der die Herzen der Jugend besaß, unschäd­lich zu machen, als damit, daß sie ihn noch 16 Jahre nach verbüßter Strafe in Sibirien   zurüchielten, und auch dann ihn nicht freigaben. Für sein wirkliches Verbrechen Jugend mit dem Feuer der Begeisterung für alle modernen Ideen erfüllt zu haben, gab es keine Sühne. Was für das römische Papstthum ein Giordano Bruno  , ein Savonarola  , ein Galilei  , das war Tschernyschewsky für das zarische Ruß

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land: der Antichrist.

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Tschernyschewsky wurde im Jahre 1828 geboren, er hat mithin das Alter von 61 Jahren erreicht. Sein Vater, selbst Priester, hatte ihn zum geistlichen Beruf bestimmt, aber er hatte keine Neigung für denselben empfunden, sondern ging nach Petersburg  , um auf der dortigen Universität seine Stu­dien zu vollenden. Frühzeitig begann er, schriftstellerisch zu arbeiten, blieb aber ziemlich lange unbekannt, bis die Leiter des Zeitgenossen"( Sowremennik), eine von dem berühmten Dichter Nekrassow   herausgegebene Rundschau, auf ihn auf merksam wurden und ihn zum Eintritt in die Redaktion dieser Zeitschrift aufforderten. Er nahm an und blieb bis 1863, wo er verhaftet wurde, in dieser Stellung, in der er seine sozia­listischen Ideen entwickelte und einen ungeheuren Einfluß auf die gesammte intelligente und fortschrittlich gesinnte Rußland  gewann.

Es war die liberale Epoche Rußlands  . Aber das Bürger­thum war bei Weitem noch nicht start genug, um als Klasse in die Arena zu treten, der Liberalismus ward verfochten von seinen Denkern, von Jdeologen, und blieb daher von jener Engherzigkeit frei, welche der Liberalismus der zur Herrschaft gelangten Bourgeoisie aufweist. Es gab überhaupt noch kein Bolt, dieses sollte erst geschaffen werden, und die Aufhebung der Leibeigenschaft war der erste noth­

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die wendige Schritt dazu. Sie beschäftigte alle Geister ertremsten Freiheitsschwärmer und die zarische Regierung, denn auch diese brauchte ein Volk, ohne das sie keine euro­päische Großmacht bleiben oder vielmehr werden konnte.

Dies vorausgeschickt, lassen wir im Nachstehenden einige Säße aus einem Nachruf folgen, der der Wiener   Arbeiter­Beitung" aus Petersburg   zugeht:

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Kurz vor der Abschaffung der Leibeigenschaft verfaßte er( Tscherny­schewsky) eine Reihe von Auffäßen über die Agrarfrage in Rußland  , alle fanden einen großen Widerhall, besonders ein Aufsaz über den An­kauf der Bauernguter durch den Staat. Ohne das Wort Sozialismus in seinen Artikeln auszusprechen, waren sie doch rein sozialistisch. Damals schien die Regierung voll der besten Absichten. Alles, was Rußland   an liberalen und fortschrittlichen Elementen besaß, suchte sich zu dem großen Werke zu verbinden, welches die Regierung schließlich verkleinlichte und verpfuschte, weil sie die Unzufriedenheit der Aristokratie, die alte Stüße des Thrones, fürchtete. Tschernyschewsky war einige Male eingeladen worden, um mit den Mitgliedern jener Redaktionskommission" Sigungen abzuhalten, welche ein Projekt ausarbeitete, das die Befrei ung und Organisation des bäuerlichen Grundeigenthums zum Ziele hatte. Man bedurfte der Nathschläge eines Mannes, welcher sein Leben dem Studium der sozialen Fragen gewidmet hatte.

Aber nach 1860 begann die offizielle Welt vor dem riesigen moralischen Einfluß, den politischen und sozialistischen Ideen des großen Schrift­stellers Angst zu bekommen. Man verdächtigte ihn natürlich, an den Verschwörungen theilzunehmen. Man fand jedoch keine Beweise seiner Schuld. Nichtsdestoweniger wurde er im Jahre 1863 verhaftet und in der Peter Pauls- Festing in Petersburg   eingesperrt. Dort fchrieb er seinen berühmten Roman: 28 as thun". Zu fener Zeit war die Reaktion weit entfernt, jenen Grad zu erreichen, der sie heute charak­terisirt. Der Roman fonnte( zweifellos mit Zensurstrichen) in 3eit­genossen" erscheinen und wurde eine wahre Schule des Sozialismus für genossen" erscheinen und wurde eine wahre Schule des Sozialismus für die russische Jugend.

Der Prozeß Tschernyschewsky's wurde vor dem obersten Gerichtshof geführt. Die Beweise seiner Theilnahme an der revolutionären Bewegung fehlten. Ruhig und würdig beantwortete er die Fragen des Richters mit einem ironischen Lächeln. Als die Frage nach seinem politischen Stand­punkt an die Reihe fam, antwortete er: Stepublikaner!" Man verur­theilte ihn zu 7 Jahren Zwangsarbeit, und nach Ablauf des Termines hielt man ihn noch zwanzig Jahre in Sibirien   fest!!

Da die Regierung sich vor seinem Einfluß auf die Verbannten fürch= tete, ließ man ein eigenes Gefängniß für ihn bauen, es war dies in Vilunst( im östlichen Sibirien  , im Lande der Jakuten). Als einzige Ge sellschaft hatte er die Gendarmen, welche ihn selbst auf seinen einsamen Spaziergängen nicht verließen.*) Umgeben von Büchern und Manu stripten, welche selbst die Grausamkeit der russischen Negierung ihm nicht zu nehmen gewagt, sezte er seine Arbeiten fort und erhielt sich auf diese Weise die ganze straft seines Verstandes und seines Talentes, trotz der Leiden der Verbannung in einem Lande, wo die Temperatur bis auf 40-45° R. unter den Gefrierpunkt sinkt. In dieser Wüste las er Marg, und dort schrieb er viele Werke, deren Mehrzahl noch nicht gedruckt werden konnte.

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franto gegen franto. Gewöhnliche Briefe nach England toften Doppelporto.

od 16. November 1889,

Ein Komplott gegen die Internationale" in den Abschnitten Die Allianz in Rußland  " und" Anhang zur Allianz in Ruß­ land  " Material über Tschernyschewsky's Wirken und über den Gegensatz zwischen diesem und Bakunin  . Es ist heute wohl nur wenigen bekannt, daß Bakunin   seine agitatorische Thätig­keit unter der russischen Jugend mit Angriffen auf Tscherny­schewsky begann, der weder Panslavist war, noch in dem unwissenden russischen Bauer das Ideal der Vollkommenheit erblickte. Tschernyschewsky revolutionirte die russische Jugend, indem er die Erfenntniß der sozialen Zustände in ihr förderte, während Bakunin   sie mit Illusionen erfüllte, um sie für seinen Anarchismus zu gewinnen.

Es ist nicht hier der Ort, auf diesen Gegensatz näher ein­zugehen, ebenso müssen wir heut darauf verzichten, die wissen­schaftlichen Ideen Tschernyschewsky's genauer darzulegen. Dazu wird sich später Gelegenheit darbieten. Für heute wollen wir noch einmal den Verfasser des vorher zitirten Ar­tikels das Wort geben, der das Gesammtbild Tschernyschewsky's in folgende Worte zusammenfaßt:

Ein fiefer Verstand, Originalität und Einfachheit des Ausdruckes, große Bildung, fiefe Kenntniß der fremden Sprachen und Literaturen, sozialistische Ueberzeugung und der unerschütterliche Glaube an eine beffere Zukunft für Nußland, vollständiges Fehlen von Chauvinisms, verbunden mit einer tiefen und leidenschaftlichen Liebe fürs Vaterland, ruhige Energie, offener Muth, ohne jede Oftentation, ohne jede Gitel­feit, aufrichtige Bescheidenheit und Schlichtheit in Worten und Thaten. Diese Eigenschaften zeichneten Denjenigen aus, den das ganze sozialistische Rußland   beweint, und dessen Verdienste auch von seinen Gegnern nicht bestritten werden, und dessen Name immer eng verbunden bleiben wird mit der Geschichte der Entwicklung des Sozialismus und aller Jdeen von Emanzipation und Freiheit in Rußland  . Für ihn, wie für Alle, welche unter seinem Einfluß waren, ist die politische Frage mit der sozialen eng verbunden. Das Ziel aller Thätigkeit soll das Allgemein­wohl sein, der Triumph der Sache der Arbeit und der Freiheit, der Kampf gegen die Unterdrückung und die Unterdrücker und die Verbin­dung aller sozialistischen   Kräfte.

Die Thätigkeit Tschernyschewsky's war der Prolog jener Bewegung, welcher Rußland retten, und die früher oder später seine Befreiung herbeiführen wird." 790

Wir hoffen, unsern Lesern demnächst einige Auszüge aus den Schriften des großen Denkers vorführen zu können.

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Aus dem Deutschen Reichstag. pie 19

Vor zwei Jahren erlaubte man ihm nach Rußland   zurückzukehren. Um seinen Unterhalt zu verdienen, und da die Feder von jeher sein einziges Hilfsmittel war, arbeitete er an der Uebersetzung von Weber's Weltgeschichte und fügte jedem Bande einen Artikel in Form einer Vor­rede bei. Einer dieser Artikel ist den Sprachen der verschiedenen Völker gewidmet. Durch und durch international, macht er sich mit der ge­wohnten Feinheit seines Verstandes über die landläufigen oberflächlichen Definitionen der Nationalitäten luftig, die geeignet sind, die Völker, zur großen Freude ihrer Beherrscher, zu entzwveien. Von Zeit zu Zeit schrieb er in einige Revuen und Zeitungen, ohne jedoch die Erlaubniß zu haben, seine Artikel zu zeichnen. Der Zeitgenose" ist eine bibliographische Seltenheit geworden; es ist selbst in den Bibliotheken untersagt, den selben dem Publikum zu geben. In dieser Revue find die hauptsäch= lichsten Werke Tschernyschewsky's erschienen: Seine Ueberseßung von J. St. Mill's politischer Dekonomie mit Anmerkungen, welche allein einen besonderen Band füllen; ein großer Auffaz über Leffing, über die Juli- Monarchie, eine Artikel- Serie über Agrarfragen in Rußland  , über die russische Ackergemeinde, viele polemische und kritische Artikel, sein Roman Was thun" 2c. 2c."

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Das Pfeudonym, unter dem die Arbeiten Tschernyschewky's nach seiner Deportirung erschienen sind, war Andrejew. Viele derselben sind in der Revue Ruskaja Myst"( der russische Gedanke) veröffentlicht worden. Auch ein in dieser Zeitschrift erschienener Artikel Gegen den Darwinismus und unterschrieben ,, Ein alter Transformist" soll, nach Cäsar de Paepe, Tschernyschewsky zum Verfasser haben. Wie schon die Ueberschrift andeutet", schreibt de Paepe im Peuple", greift Tschernyschewsky keineswegs die Entwickelungslehre ( Transformismus) an, im Gegentheil bringt er neue Argu­mente für sie vor, aber er bekämpft die Theorien, durch welche Darwin   die Umwandlung der Arten erklärt, und ins­besondere die vorherrschende Rolle, die der große englische   Natur­forscher der natürlichen Auswahl und dem Kampf um's Dasein" zuschreibt." Weiter schreibt de Paepe, ihm sei ver­sichert worden, daß Tschernyschewsky seit Langem eine fri­tische Studie über Karl Marr und das Kapital" habe veröffentlichen wollen, und nur aus Furcht, die Zensur werde sie ihm zu ſehr verstümmeln, das bisher unterlassen habe. Bewahrheitet sich dies, so können wir nur wünschen, daß Die­jenigen, denen der literarische Nachlaß Tichernyschewsky's an­heimfällt, bald mit der Veröffentlichung dieser Arbeit vor­gehen. Wie Marr über Tschernyschewsky dachte, geht aus dem Satz seines Nachworts zum Kapital" hervor:

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eine Bankrotterklärung der bürgerlichen Deko­nomie, welche der große russische Gelehrte und Kritiker N. Tschernyschewsky in seinem Werk Umrisse der politischen Dekonomie nach Mill" bereits meisterhaft beleuchtet hat". Weiter findet der Leser in der von Marr verfaßten Schrift

*) Tschernyschewsky sagte selbst einmal, als er von seinem einsamen für ihn eigens erbauten Gefängniß sprach, daß seine einzige Gesellschaft Gendarmen und Wölfe   gewesen seien, daß er aber die letzteren vorge­

zogen hätte; sie seien menschlicher gewesen.

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Die große Sozialisten- Debatte", welche im Reichstag eine ständige Institution geworden ist, und die unsere Feinde für die Zukunft sich so gern vom Hals schaffen möchten, kam diesmal früher als gewöhnlich. In der Regel zog man sie so lange hinaus wie nur irgend möglich Gefallen hatten die Herren niemals an dieser Sozialisten Debatte, und gleich dem Schuljungen, der eine schlechte Bensur nach Haus bringt und in sicherer Aussicht auf eine Tracht Prügel im Schneckentempo marschirt und alle erdenklichen Umwege macht, suchten sie die böse Viertelstunde" des Rabelais, die sich mit­unter auf verschiedene Tage auszudehnen pflegte, auf jede Weise hin­auszuschieben. Diesmal ging das nun nicht. Die Dauer der Session ist eine sehr beschränkte. Sie tann nicht über den 20. Februar ber­längert werden, und sollen die zwei Hauptarbeiten der Session: die Neubelastung des Volts mit einer Drittels Mil= liar de, und die Verewigung" des Sozialistengefeßes fertig werden, dann war feine Zeit zu verlieren, da eine kommissarische Berathung in beiden Fällen nicht zu umgehen ist.

So wurde denn wohl oder übel die Sozialistendebatte schon auf den 4. d. Mits. anberaumt, und zwar dergestalt, daß die sogenannten Rechenschaftsberichte" über den kleinen Belagerungszustand

zunächst besprochen werden, und dann sofort die erste Berathung des neuen" Sozialistengesezes beginnen sollte.

In den früheren Sessionen hielten bei Besprechung der Rechenschafts­Berichte die sozialdemokratischen Redner meist Monologe. Die übrigen Parteien mischten sich nicht ein, und sogar die Negierungsver­

treter waren, durch trübe Erfahrungen belehrt, schließlich zu der weisen Pragis gelangt, die Rolle stummer Personen zu spielen. Sie hatten gemerkt und selbst der Rhinozeros häutige Buttkamer hatte es zu= letzt begriffen, daß ieder Versuch, die Infamien des fleinen Be­lagerungszustands zu rechtfertigen, nur die Wirkung einer verstärkten denn vor, mit spartanischem oder indianischem Stoizismus alles über Dofis von Peitschenhieben für die Herren hatte; und so zogen sie es fich ergehen zu lassen und nicht mit den Wimpern zu zucken, während die Hiebe auf ihren hinteren und edleren Menschen herniedersausten. Der Puttkamer

gnüglich sur la brachte es jogar fertig, zu dieſer Prozedur ganz ver­

was die Rothhäute unter ähnlichen Ver­hältnissen bekanntermaßen nicht fertig bringen. Das ist eben der Vor­theil der bewußten Rhinozeroshaut, die beiläufig um den Schäde I amt dicksten ist.

Diesmal war es anders. Die Fortschrittler haben im Hinblick auf die nahenden Wahlen ein sehr lebhaftes Bedürfniß, den bösen Eindruck, den sie durch ihre Verräthereien bei der letzten Generalwahl und durch thre perfide Taktik bei der 1884er Verlängerung des Sozialistengesetzes auf das Gros der sozialdemokratischen Partei hervorgebracht haben, einigermaßen zu verwischen, und unsere Partei einer milden Auslegung des St. Gallener   Beschlusses hinsichtlich der Stichwahlen geneigt zu. machen. Sie betheiligten sich an der Debatte, und es muß zugestanden werden, daß ihr Redner Barth seine Sache recht gut machte.

Auch die Regierungsvertreter befolgten eine andere Taktit: nach den wuchtigen Schlägen, die Singer, unser erster Sprecher, dem herr­schenden Polizeisystem verfeßt, ergriff Herr Herrfurth, der Nach­folger des gegangenen Puttkamer, das Wort, weil es ihm eine ,, Her= zenssache" sei, jeden Schimmer eines Scheins, als ob er das Lockspiel­thum begünstige, gründlich und auf immer zu zerstören. Er verabscheue die Lockipigelei aus tieffter Seele, und werde überhaupt nach jeder Richtung hin dafür sorgen, daß Alles hübsch ordentlich, reinlich und im Wege Rechtens hergehe. Speziell in Bezug auf die Versammlungs­Auflösungen Singer hatte ihm ein duftendes Sträußchen von be= habe sonders humoristischen und grotesken Auflösungen gewunden er die stritteste Ordre gegeben, die überwachenden Beamten sollten nur dann auflösen, wenn wirklich auf den Umsturz gerichtete Bestre­bungen" zu Tag treten. Herr Herrfurth ist offenbar ein ganz ge=

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