scheidter Meusch
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verschiedene seiner Deduktionen verriethen einen ziemlichen Scharfsinn wie aber ein gescheidter Mann einen solchen Blödsinn glauben und dem ersten besten Polizisten die Fähigkeit zutrauen kann, das Zutagetreten der Umsturzbestrebungen" unfehlbarzu erkennen, das ist uns ein psychologisches Räthsel. Das kann Herr Herrfurth ja selbst nicht Beweis die zahlreichen wider= spruchsvollen Erkenntnisse, welche er als Vorsitzender der Reichsbeschwerdekommission erlassen, und zum Theil verfaßt hat.
Als zweiter Redner unserer Partei sprach Frohme, der Hauptsächlich den Feldzug der Polizei gegen die gewerkschaftlichen Arbeiterorganisationen behandelte. Unsere beiden Redner verfügten über eine reiche Fülle von Material, und Herrn Herrfurth war es anzusehen, daß er sich nicht behaglich fühlte. Er ist noch nicht so abgebrüht, wie der Puttkamer, und hat auch dessen Rhinozeroshaut nicht. Mit der Zeit wird's aber schon kommen. Der Mensch wäch st nicht blos mit seinen Zwecken, er verzwergt und verfault auch mit ihnen, wenn es kleinliche und faule Zwecke sind.
Dant dem Eingreifen des Herrn Herrfurth und der Fortschrittler zog sich die Debatte so in die Länge, daß die erste Berathung des neuen Sozialistengefeßes auf den nächsten Tag- Dienstag den 5. ds.verschoben werden mußte.
Wider Erwarten eröffnete Herr Herrfurth die Generaldebatte nicht. Erster Redner war der Zentrumsmann Reichensperger, der sehr energisch gegen das Ausnahmegesez in jeder Gestalt sprach, sich jedoch wohl hütete, seine Partei irgend zu engagiren. Die Herren Zentrumsleute denken offenbar an allerhand S ch a ch ergeschäftchen. Die peinliche Verlegenheit, in welcher die Nationalliberalen sich befinden, kam in der Person und in den Ausführungen des zweiten Redners: Cuny, zu spaßhaftem Ausdruck. Schon daß Herr Guny, ein ganz unbedeutendes Männchen, der nur etwas juristische Rabulisterei gelernt hat, zum Parteiredner bei einer so wichtigen Frage gewählt wurde, ist charakteristisch. Jemand, der etwas vorstellt, hätte sich zu einer so jämmerlichen Rolle nicht hergegeben; und, wenn ein Guny in der Hize des Nedefeuers ein Wort zu viel sagt, fann man es leichter zurücknehmen, als wenn ein Bennigsen, Benda oder Miquel sich verhaspelt hätte.
Freilich die Cuny'sche Nede hätte ebensogut von dem ersten besten Dienstmann , dem man einen Phonograph mitgab, gehalten werden können. Wir sind für die Verlängerung, aber nicht in dieser Gestalt wir werden Ja! sagen, wenn unsere Wünsche berücksichtigt werden; wir binden uns aber nicht für den Fall, daß unsere Wünsche nicht berücksichtigt werden sollten wir wollen kein Ausnahmegesez, sondern ein Spezialgesez( welches beiläufig nur als halbes Fremdwort genau das Nämliche besagt und auch ist) wir haben Bedenken gegen den kleinen Belagerungszustand, gegen die Ausweisungen, gegen Dieses und Jenes allein, aber, indessen, wenn, und so weiter. Eins aber steht fest für uns Mannesseelen von Nationalliberalen : das Gesetz muß ,, ewig" sein!" was übrigens, wie die durch die Schwere des Wortes anscheinend erschreckte Mannesseele mit gnädiger Herablaffung definirte, nicht die Ewigkeit im religiösen Sinn bedeute, sondern bloß die juristische Ewigkeit, die eine beschränkte Dauer habe.
Nun aus solchem Geschwafel setzte sich die Nede der Mannesseele Guny zusammen, die übrigens Angst schwißte.
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Liebknecht, der ihm folgte, gönnte sich nur ein paar Augenblicke, um das Cuny'sche Gewäsch abzufertigen und ging darauf sofort in den Kern der Sache. Er gab in großen Umrissen die Geschichte des Sozialistengefeßes, wie es aus einer Lüge den angeblich sozialdemokratischen Attentaten entsprungen sei, und den Ausgangspunkt der heutigen Reaktionspolitik bilde. Fürst Bismarck habe, was jest ja zugestanden sei, die oppositionelle Majorität sprengen und seine Neattionspolitik einleiten wollen dazu habe er das Sozialistengesetz ge= braucht. Ob der Herr Minister Herrfurth die Lockspizzel gern habe oder nicht, so lange das Sozialistengefez bestehe, werde es Lockspizzel geben u. f. w. Liebknecht wies das Fiasko des Sozialistengesezes an zahlreichen Beispielen nach, und schloß mit einer Parallele des heutigen Deutschland und des Deutschland vor 100 Jahren. Damals brachte die Verblendung der Regierungen, namentlich der preußischen Junker, welche die bürgerliche Revolution durchaus ausrotten wollten, die Katastrophe von Jena ; die gleiche Verblendung herrscht jetzt gegenüber der sozialen Revolution, und wird zu einem neuen und größeren Jena führen. Das gefiel den Herren Junkern nicht; und sie machten ziemlichen Radau.
Den folgenden Tag fand im Wesentlichen nur ein Plänkelgefecht zwischen Juristen statt, in welchem die Herren Hartmann ( Staatsanwalt) und der sächsische Kommissär Held( Generalstaatsanwalt) von dem Fortschrittler Munck el elegant in den Sand gestreckt wurden.
natürlich mäßige
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Herabsetzung der Arbeitszeit weder für die Arbeiter, noch für die Unternehmer ein Bedenken habe, aus welch letzterer Bemerkung dann wieder die Anarchisten den Schluß ziehen, daß eine solche Herabjegung der Arbeitszeit überhaupt für den Arbeiter abfolut werthlos sei. Denn wie fann in einer Sache für die Arbeiter ein Vortheil liegen, wenn dem Unternehmer aus ihr fein Nachtheil erwächst? Die guten Leute übersehen dabei, daß die Arbeiterfrage mit der Lohnfrage allein nicht erschöpft ist, und daß je kürzer die Arbeitszeit, desto größer die Kampffähigkeit der Arbeiterklasse.
Doch dies nebenbei. Denn was die obige Argumentirung anbetrifft, so kommt sie zwar der Wahrheit näher als die erste, hat aber vor allem den Fehler mit ihr gemein, daß sie auf der Voraussetzung beruht, daß es sich zwischen Unternehmern und Arbeitern um den Verkauf von Arbeit", abgemessener Arbeitsmenge handle.
Das ist nun aber feineswegs richtig. Was der Unternehmer dem Arbeiter abkauft, ist nicht dessen Arbeit", sondern dessen Arbeits kraft, die in Produktionsprozeß sich in Arbeit" umseßt. Allerdings ist dabei Voraussetzung, daß die Arbeitskraft des Arbeiters ausreicht, innerhalb einer gegebenen Frist mindestens eine gegebene Menge Arbeit zu verrichten, andernfalls sie nicht als voll zählt, aber selbst bei der Affordarbeit, bei der doch scheinbar wirklich nur bestimmte Mengen von Arbeit, oder besser, von Arbeitsleistungen bezahlt werden, wird der Preis derselben in letzter Instanz nach dem Marktwerth der Waare Arbeitskraft regulirt. Es würde zu weit führen, das hier des Näheren darzulegen, den theoretischen Beweis hat Karl Marr im " Kapital" geliefert, den praktischen aber die Praxis. Würde nicht die Arbeitskraft, sondern das, was man schlechtweg Arbeit nennt, d. h. die Arbeits leistung, gekauft, so wäre es geradezu unmöglich, daß eine Herabsetzung der Arbeitszeit von einer Erhöhung des Arbeitslohnes begleitet wird und dies in so kurzer Zeit, daß inzwischen selbst eine verhältnißmäßige Intensifizirung der Arbeit nicht eingeführt werden konnte. 3110 Aunis
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Daß diese Erscheinung sich thatsächlich vollzieht, dafür liefern die bereits wiederholt von uns zitirten Auszüge der New- Yorker VolksZeitung" aus dem Sechsten Jahres Bericht des New= Yorker Arbeitsstatistit Bureaus" eine ganze Fülle von Beweismaterial. Bei dem großen Interesse, das die Frage für die Arbeiterklasse hat, glauben wir wenigstens einen Theil desselben den Lesern des„ Sozialdemokrat" unterbreiten zu sollen. Das genannte Bureau, dessen Vorsteher, Herr Beck, zwar fein Sozialist, aber ein durchaus unabhängig gesinnter Mann ist, hatte 1888 die Arbeiterorganisationen des Staates New- Yort aufgefordert, so genau als möglich ziffernmäßige Angaben einzuberichten, aus denen für jedes der legten fünf Jahre je die durchschnittliche Arbeitszeit, sowie der Durchschnittsarbeitslohn innerhalb des Wirkungskreises der betreffenden Organisation zu ersehen sei.
Indem wir die Antworten von Gewerkschaften hier folgen lassen, die eine Verkürzung der Arbeitszeit verzeichnen, lassen wir der Einfachheit und Raum- Ersparniß halber erstens die Angaben in Bezug auf die Arbeit an Samstagen fort, und geben weiter für die ersten Jahre nur die Durchschnittszahlen, da fast überall erst mit 1886, dem Jahr der großen Achtstundenbewegung, eine Reduktion der Arbeitszeit eintritt. Weiter übersezen wir die Bezeichnungen der Berufe in's Deutsche und geben in Klammern die Jahreszahlen der Gründung der betreffenden Gewerkschaft.
Maurer Gewerkschaft in Brooklyn ( 1881). Arbeitszeit an den ersten fünf Lohn per Tag in Dollars Tagen der Woche.
1883-85
1886 1887
110
à Mt. 4.25. 4.- 03
1883-84 1885-87
10 9
1886
10 10 9
2.75
2.
2.50
2.75
1887 Vereinigte Oberlicht- und Erterfenster Arbeiter New- York( 1886).
1883-85 1886
Col 1887
Am dritten und letzten Tag der Debatte ließ sich zuerst ein Welfe Deckenvernehmen, der gleich dem Polen Koszielski vom Tage vorher, sich kräftig gegen jedes Ausnahmegesez erklärte. Jhn löften ein zweiter Nationalliberaler ab,- Herr Kuhlemann der das nämliche Blech zusammen hämmerte wie am ersten Tag Guny, nur daß er doppelt so lange das Haus langweilte. Als leẞter Redner trat endlich Bebel auf, der das schwere Geschütz skandalösester Thatsachen gegen das Sozialistengesez und dessen Urheber und Vertheidiger spielen ließ und unbarmherzig mit ihnen in's Gericht ging. Während Liebknecht mehr die allgemeinen Gesichtspunkte hervorgehoben und gruppirt hatte, segte er aus unzählichen Details ein Mosaitbild der durch das Sozia- d listengesetz geschaffenen Zustände zusammen, welches an abschreckender Häßlichkeit nur von dem Original übertroffen werden kann.
Zu antworten wagte Niemand. Was konnte auch geantwortet werden? Wo die Wahrheit so handgreiflich ist, da ist es das Klügste, sie zu ignoriren.
Nach der Bebel'schen Rede wurde die Debatte geschlossen und das Gesetz vor eine Kommission von 28 Mitgliedern verwiesen. Einen der Size, welche den Fortschrittlern gehören, haben diese den Sozialdemo fraten angeboten, und er wird wohl auch angenommen werden. Es ist immerhin von Nußen, daß wir im Stand sind, das Material sofort im geeigneten Moment vorzubringen, und auftauchenden Lügen gleich auf den Stopf zu schlagen.
Die zweite Lesung wird die Hauptschlacht bringen. Da gilt es schonungslos alle Sünden der Feinde zu enthüllen. Und wenn das Haus beschlußunfähig ist zur Generaldebatte waren höchstens 80-100 Mann gekommen dann werden unsere Abgeordnete ohne Gnade auszählen lassen. Wer Henterarbeit thun will, der soll sie auch persönlich verrichten.
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Arbeitszeit und Arbeitslöhne.
Wenig Arbeit, hohen Lohn".
Es gibt immer noch Leute, auch unter den Arbeitern, die sich nicht von dem Gedanken frei machen können, daß eine Herabsetzung der Arbeitszeit eine entsprechende Herabsetzung der Löhne zur natürlichen Folge habe. Jede„ Arbeit" hat nach ihrer Ansicht einen gegebenen Preis, und wenn die Menge der geleisteten Arbeit verringert werde, was ja eine Folge verkürzter Arbeitszeit sei, so falle naturgemäß auch die Bazahlung, die der Arbeiter für das täglich geleistete Arbeitspensum erhalte. Weniger Arbeit weniger Lohn, das liege doch auf der Hand.
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So räjonniren u. A. die erleuchteten Staatsmänner in fast allen Parlamenten, wenn sie vor der unangenehmen Nothwendigkeit stehen, zur Frage der gesetzlichen Herabjegung der Arbeitszeit Stellung zu nehmen. Ihre ablehnende Haltung wird dann stets mit der Rücksicht auf die Einkommensverhältnisse der Arbeiter motivirt, sie wollen nicht die Hand dazu reichen, daß dieselben, die ja in der That oft recht geringe feien, zwangsweise noch weiter verkürzt werden. Ob diese Redensart immer nur ein Ausfluß wirklicher Ignoranz ist, wie z. B. bei dem erleuchtetsten aller Staatsmänner, Deutschlands großem Kanzler, oder bloßer Vorwand, lassen wir dahingestellt, stimmen thut sie auf keinen Fall. Andere, philanthropisch gesinnte Bourgeois 2c., gehen einen Schritt gehen einen Schritt weiter. Sie anerkennen die Thatsache, daß eine Verkürzung der Arbeitszeit keineswegs nothwendigerweise eine Verringerung der Arbeitsleistung zur Folge hat, sondern daß die Differenz in der Arbeitszeit durch größere Jutenfifizirung der Arbeit ausgeglichen werden, somit auch der Lohn auf der alten Höhe sich so forterhalten kann, und daß somit eine+
10
9 9
10 9
1.44-2.42
1.50-2.75 2.75-3.
2.75
3.25
1886-87
2.10 2.25
Deutsche Zimmer- Maler- Union New- York( 1878). 1883-84 7 10949 2.50-3.- aption
1885
1886 1887
1883-85 1886-87
10
09 9
3.- 3.25 3.25-3.50 3.50
1001
3iegelieger- ll nion( 1886).
10
1.50
39
2.
Möbel Polirer( 1886).
1.75
2.33-2.50 2.33-2.50
2.50 3.
=
1883-8510
batean 1886 9-10 1887
9
Hufschmiede- Union New- Yort( 1882). 10 09
1883-85
1883-85 1886-87
10
10
2019
2.50-3.
2.75-3.25 3.00-3.50
1883 1884-85 100 id 1886-87 901 Küfer Union, New- Yort, Stüdarbeiter( 1886). 1883-85 10 2.50-2.75 1886-87 9
Schneider, Progressiv- Union, New - York. ( 10-14 per Woche) ( 10-16
2Boche)
1883-85
1886-87
1883-85
1886-87
11-12 10-11
10
990 912
16.00-19.00 18.50-20.50
Noch günstigere Zahlen weisen die durch die Organisation der Bäcker und Brauer errungenen Erfolge auf. Bei Ersteren finden wir eine Redution der Arbeitszeit von durchschnittlich etwa zwei Stunden pro Tag und eine Steigerung der Löhne von durchschnittlich gegen 11/2 Dollars( 6½ Mark) pro Woche, bei den Brauern eine Ermäßigung der Arbeitszeit von über drei Stunden pro Tag nnd eine Grhöhung der Löhne um fünf Dollars( 21 Mark) und darüber per Woche. Natürlich stehen allen diesen Zahlen auch ungünstige in anderen Industrien gegenüber. Wir finden Arbeitszweige mit stabil gebliebener Arbeitszeit und gesunkenen Arbeitslöhnen, solche mit erhöhter Arbeitszeit und gesunkenen Löhnen, aber kaum eine einzige mit verkürzter Arbeitszeit und gesunkenen Löhnen. Und darauf eben kommt es an. Es fällt uns selbstverständlich nicht ein, aus diesen Thatsachen absolute Schlüsse zu ziehen. Wir wissen sehr wohl, daß es sich hierbei fast überall um günstiger gestellte Industriezweige handelt, und daß die besonderen Verhältnisse des Landes der Aufschwung der Geschäfte, die Erweiterung des Abjaßmarktes 2c. große Rolle bei Erzielung der abenerwähnten Resultate gespielt haben. Indeß, das ist für unsere Frage von nebensächlicher Bedeutung. Die Hauptsache ist, daß wo die Arbeiter überhaupt in der Lage sind, eine Verkürzung der Arbeitszeit durchzuführen, diese über kurz oder lang eine Erhöhung der Arbeitslöhne nach sich zieht. Das kann nicht oft genug wiederholt
werden.
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London, 12. November 1889. Offenheit ist immer eine schäzenswerthe Eigenschaft, und so verdient auch die Kölnische Ztg." für ihr Geständniß, daß das Sozia listengesez deshalb unentbehrlich sei, weil es nichts anders ist und fein soll als eine Korrektur des allgemeinen Wahlrechts" unsere volle Anerkennung. Freilich verräth das Organ der rheinischen Großkapitalisten uns damit nichts Neues, aber gewisse Wahrheiten können nicht oft genug wiederholt werden, weil sie sonst zeitweise vergeffen oder doch nicht genug berücksichtigt werden. Daß die Kölnerin in einem Rückfall von Schwäche die Sache so herumzudrehen sucht, als handle es sich nur um die Verhinderung der Ausbeutung der Unwissenheit, soll unsere Anerkennung ihres Verdienstes nicht beeinträchtigen, solche Mäßchen täuschen Niemand. Als ob es heut noch Jemand gäbe, der im Ernst daran glaubte, daß mit dem Einkommen auch der Verstand und die politische Einsicht wachse, und daß ein Zensus, und sei er noch so hoch, ein Schutz gegen die Herrschaft der Unwissenheit sei. Nicht um einen Kampf zwischen Bildung und Unbildung handelt es sich, sondern um einen Kampf von Klasse gegen Klasse. Nicht die unwissenden Wähler fürchten die„ Kölnische 3tg." und ihre Hintermänner die haben sie am Schnürchen, fie bilden ihre Schußgarde, das Bollwerk ihrer Macht, sondern gerade die wisenden zur Erkenntniß der Verhältnisse Gelangten. Der unwissende Wähler ist zugleich auch der feige, unterwürfige Wähler, er folgt willig dem Befehl seines ökonomischen Vorgesezten, wie die Wahlen auf dem Lande zeigen; der wissende Wähler aber, der ist das Uebel, das eine Korrektur nothwendig macht, der wissende Wähler aus dem Proletariat, der klassenbewußte Arbeiter das ist der Feind. Schmerzerfüllt jammert das bald hätten wir gesagt bedeutendste, das größte aller deutschen Bourgeoisorgane:
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Der Trieb zur gesinnunglosen Umschmeichelung der Massen, die Neigung zum Wettbewerb um die Gunst des süßen Pöbels ist mit dem Wahlsystem unserem Parteiwesen untilgbar eingeimpft. Und da Se. Majestät das Volk weder Gedächtniß noch Verstand besitzt, so ist es von vornhinein klar, daß diejenigen Parteien, welche zu gewissenhaft und zu anständig sind, um Dinge zu versprechen, die sie nicht geben können, gegenüber dem großen Troß der Leute, die ein weiches Gehirn, eine starke Lunge und ein weites Gewissen haben, in eine recht üble Lage gerathen."
" Bu gewissenhaft und zu anständig" hoffentlich ist der Skribifar, nachdem er das aufs Papier geworfen, aufgesprungen, und hat sich im Spiegel schmunzelnd angelächelt. Die nationalliberale Startellbande zu gewissenhaft und zu anständig", um den Wählern ,, Dinge zu versprechen, die sie nicht geben können." Als ob diese abgefeimtesten aller Demagogen nicht den Wählern das Blaue vom Himmel herunter vorschwin= delten, ihnen den Himmel auf Erden versprachen, und nur deshalb bet dem füßen Pöbel" lies: den Arbeitern damit abfielen, weil dieselben leider sowohl Verstand wie Gedächtniß in ganz gehöriger Portion besitzen. Der Arbeiter hört den Kartellbruder an, der ihm alles Mögliche und Unmögliche verspricht, und- gibt dem Sozialdemotraten seine Stimme, der ihm gar nichts verspricht als der Träger seiner Forderungen, der Wahrnehmer seiner Inter= essen zu sein. Das kann der Kartellbruder freilich nicht, und wenn er es thäte, antwortete ihm homerisches Gelächter. Denn der„ süße Pöbel" hat Gedächtniß.
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Das allgemeine Wahlrecht verlegt den Schwerpunkt der Entscheidung in die Klasse der Besiklofen, es enterbt", wie die Köln. 3tg." das sehr schön ausdrückt, den Besiß. Zunächst nur theoretisch, insofern der Besitz die öffentliche Meinung auch unter den Besiglosen beherrscht. Je mehr sich aber unter diesen eine eigene öffentliche Meinung entwickelt, je mehr sie ihrer besonderen Klassenforderungen bewußt worden, um so mehr wird diese theoretische Enterbung" praktische Thatsache, wenn auch vorläufig erst auf politischem Gebiet. Der Besiz" hat aber eine feine Nase und weiß, daß politische Macht schließlich gleichbedeutend ist mit ökonomischer, und darum ist das Sozialistengefez„ politisch, geschichtlich und fittlich eine Nothwendigkeit geworden" sagt die " Stölnische Ztg."
Sittlich? Ei ganz gewiß.
„ Gefährdet ist das Palladium
Des sittlichen Staats, das Eigenthum." Ja, wenn die Arbeiter noch hinter den bürgerlichen Parteien einherliefen. Dann fönnte man sich das allgemeine Wahlrecht allenfalls ge= fallen lassen; sobald sie aber eine eigne Partei bilden, hört der Spaß auf. Die Nothwendigkeit", berichtet die Kölnerin,„ dem Staatswesen eine Ergänzung, eine Korrektur des demokratischen Wahlsystems einzufügen, ergab sich erst mit unausweichbar zwingender Gewalt, mit der Entwicklung der sozialdemokratischen Bewegung
Dant, Oberoffiziofus für dieses Geständniß. So schimpflich es für die deutsche Bourgeoisie, so ehrenvoll ist es für die deutsche Sozialdemokratie. Ehrenvoll und nüßlich. Denn es erspart uns hundert Artikel über den Werth des allgemeinen Wahlrechts und speziell des sozialdemokratischen Stimmzettels als Waffe für die
kämpfende Arbeiterklasse.
- Von befreundeter Seite wird uns geschrieben:
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Die thatsächliche Beschlußunfähigkeit des deutschen Reichstags während der ganzen Sozialistengesez- Debatte ist vielleicht ein noch frappanterer Beweis der herrschenden Verkommenheit und Storruption, als die Gesetzesvorlage selbst und deren Vertheidigung durch die Vertreter der Regierungen und der Ordnungsparteien. Die Infamie fann unter Umständen noch imponiren, wenn sie Geist und Muth zeigt. Dieser Infamie, welche in dem Sozialistengeset ihren Ausdruck ge= funden hat, fehlt der Geist ebenso wie der Muth. Was wußten die Herrfurth, die held, die Hartmann anders vorzubringen, als entweder die hundertmal gehörten Phrasen der Reptilienpresse oder die abgetragensten, verbrauchtesten Juristenkniffe? Ernst konnten sie selber das nicht meinen, und Niemand sonst konnte es ernst nehmen. Da waren die alten Herenmeister doch tausendmal achtungswerthere Leute: fie glaubten wenigstens, was sie behaupteten, sie glaubten an die Verbrechen, die sie richteten, und hielten diese Verbrechen für etwas so Entseßliches, das göttliche und menschliche Recht so Tiefverlegendes, daß die strengste Bestrafung ihnen als eine heilige Pflicht erschien. Obendrein auch als eine Wohlthat für die Heren selbst, die nach dem Glauben der damaligen Zeit durch den Feuertod geläutert und der Seligkeit des ewigen Lebens theilhaftig gemacht wurden. 8981 91002
Die Herenmeister von heute dagegen glauben nicht an die Verbrechen, über die sie sich anmaßen, zu Gericht ſizen zu wollen. Sie wissen, daß die sozialdemokratischen Lehren nichts Verbrecherisches enthalten, und sie wissen, daß die sozialdemokratische Partei nichts Verbrecherisches gethan hat und nichts Verbrecherisches erstrebt fie sind kaltblütige, berechnende Henter, die bloß einen unbequemen Gegner sich vom Hals schaffen wollen, und zu diesem mörderischen Zweck fich der Schlinge eines schuftigen Ausnahmegesetzes, statt des Gifts oder Dolches bedienen.
Doch die Herrfurth, Hartmann, Held und einige ihrer Stumpane waren doch wenigstens im Reichstag und wagten es, ihren Schlachtopfern ins Auge zu sehen, oder wenigstens unter die Augen zu treten. Allein die große Mehrheit ihrer Kumpane hat diesen traurigen Muth nicht gehabt. Sie„ drückten" fich sie werden, wenn es zur endgiltigen Abstimmung fommt, unzweifelhaft im Reichstag sein, um ihr Scheit auf den Scheiterhaufen zu werfen, allein den Debatten beizuwohnen, oder gar sich an ihnen zu betheiligen, dazu fehlt diesem feigen Volt die Kourage. Da ist keine Leidenschaft, welche das Vorgehen der Burschen entschuldigte, feine Gefahr, die zu rücksichtslojem Handeln zwänge Deutschland ist so ruhig, wie es nur sein fann, und die Elenden, welche den Strick drehen, vermittelst dessen eine ganze große Partei erdrosselt werden soll, sind selber so ruhig, als handelte es sich um die Anordnung eines Frühstücks, oder eine noch gleichgültigere Sache- denn ein gutes Frühstück ist für diese Gesellschaft oft eine Haupt- und Staatsaftion.
Der raffinirteste, langer Hand vorbereitete Giftmord zur Beseiti= gung eines im Weg stehenden Lebens kann nicht verbrecherischer sein