dem deutschen Volke zu unterscheiden. Als die Boulangisten sich nicht verhehlen konnten, daß die Trauben sauer, d. h. der Erfolg mehr als zweifelhaft war, verzichteten sie vor der Hand auf die beabsichtigte Interpellation. Dafür gab ihnen, anläßlich der Interpellation Lachize das Eingreifen Joffrins in die Debatten Gelegenheit, sich in den Vordergrund der Aufmerksamkeit zu drängen, und zwar noch obendrein in einer ihnen zu Nuze kommenden Position: als Vertheidiger des allgemeinen freien Stimmrechts.
Am 20. Januar gelangte nämlich die vor den Kammerferien auf vier Wochen vertagte Interpellation des Abgeordneten Lachize, Mitglied der sozialistischen Gruppe, über die Annullirung der Beschlüsse verschiedener Stadträthe, die Unterſtügungen an die streifenden Kohlengräber und Weber bewilligt, zur Verhandlung. Nachdem Lachize seine Interpellation entwickelt und besonders auch auf den Widerspruch in der Haltung der Regierung hingewiesen, welche sich den Beschlüssen der Stadträthe von St. Etienne und Roanne nicht entgegengesetzt, dagegen die der Gemeinderäthe von Paris, Roubaix 2c. aufgehoben hatte, antwortete der Minister wie üblich, daß er nur der treue Hüter der be= stehenden Gesetze sei. Die Gemeinderäthe hätten sich nur mit städtischen Interessen zu beschäftigen, und dürften sich nicht in die Konflikte zwischen den Arbeitern und den Unternehmern mengen. Baudin erinnerte darauf durch einen Zwischenruf daran, daß die Regierung bis jetzt stets durch Aufgebot der bewaffneten Macht zu Gunsten des Kapitals in der= artige Fälle sich eingemischt habe. Die Gensdarmen", erwiderte Herr Constans , haben nur die Ordnung und die Freiheit der Arbeit aufrecht erhalten; das ist eine Pflicht, in deren Erfüllung sich die Regierung nie schwach zeigen wird." Bezeichnend für den Geist, der die neue Kammer beherrscht, ward diese Erklärung des Ministers kräftigst ap= plaudirt." Nachdem noch Antide Boyer im gleichen Sinne wie Lachize gesprochen, verkündete der Präsident, daß Herr Joffrin das Wort habe. Bei dieser Meldung brach auf Seiten der Boulangisten und der Rechten ein Sturm der Entrüstung aus. Sämmtliche boulangistische Deputirte erhoben sich wie ein Mann und suchten durch systematische Zwischenrufe Joffrin am Sprechen zu verhindern, da derselbe nur durch eine Vergewaltigung des Stimmrechts in der Kammer sei und nicht das Recht habe, sich als Volksvertreter aufzuspielen. Zurufe der beleidigendsten Art wurden dem pofsibilistischen Abgeordneten entgegengeschleudert. Hören Sie den Kommissär der Regierung nicht an", rief Deroulède. Es ist
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eine Schande, daß die Kammer einen Polizisten in ihrer Mitte hat", tönte es von einer andern Seite. Gehen Sie hinaus, Sie sind fein Deputirter"," Sie haben kein Recht zu sprechen", Wo sind Ihre Wähler" 2c. klang es durcheinander. Die Regierungsrepublikaner antworteten durch andre Rufe und stürzten sich schließlich in den Halbkreis vor der Tribüne und auf die Boulangisten zu, die sie mit den Fänsten bedrohten, so daß die Huissiers zwischen jenen und ihren Angreifern einen Wall bilden mußten. Die Boulangisten ließen sich durch die Lust ihrer Gegner, zu Handgreiflichkeiten überzugehen, nicht einschüchtern, sondern fuhren mit ihren systematischen Unterbrechungen fort. Der Präsident rief und läutete umsonst zur Ordnung und drohte mit der Zensur und mit der zeitweiligen Ausschließung. Der Tumult war unbeschreiblich und so groß, daß das Palais Bourbon , welches doch schon stürmische Sigungen genug gesehen hat, nie etwas Gleiches erlebt haben soll. Schließlich wurde über Deroulède die zeitweilige Ausschließung ( auf 14 Tage) aus der Kammer verhängt. Der Erchef der Patriotenliga weigerte sich jedoch, den Saal zu verlassen, die Sigung mußte aufgehoben, die Tribünen geräumt werden. Deroulede verharrte inmitten seiner Gesinnungsgenossen auf seinem Plaze und verließ denselben nur, der„ Gewalt weichend", d. h. vom Plazkommandant des Palais Bour bon und 8 unbewaffneten Soldaten eskortirt. Nach Wiedereröffnung der Sigung wiederholte sich der Vorgang zum zweiten Male und endete mit der Ausschließung und militärischen Herausführung des Boulangisten Millevoye . Kaum war die Sizung zum dritten Male eröffnet, so spielte sich das gleiche Stück Szene um Szene auch zum dritten Male ab. Diesmal war es Laguerre, der von der Kammer auf 14 Tage ausgeschlossen und dann mit militärischen Ehren herausgeführt ward. Joffrin war unterdeß wie das traditionelle Männchen des Wetterhäuschens abwechselnd auf der Tribüne erschienen und von ihr verschwunden, hatte aber den Angriffen der Boulangisten eine große Ruhe entgegengesetzt. Als er zum vierten Male das Wort erhielt, erklärten die Boulangisten und ein großer Theil der Konservativen, daß sie unmöglich einer Sigung beiwohnen könnten, in der ein Mann sprechen solle, der nicht der Erwählte des allgemeinen Stimmrechts set.
Nach dieser Erklärung fand ein allgemeiner Erodus der Genannten statt, und Joffrin konnte durch die Erklärung debütiren, er sei gekommen, um gegen das Ministerium zu sprechen."( Rufe:„ Sie sind sehr undankbar.") Und er sprach auch gegen das Ministerium, das er aufforderte, den Arbeitern die von den Stadträthen bewilligten Summen zukommen zu lassen. Eingang und Ende seiner Rede war gegen Boulangisten und Konservative gerichtet und wurden deshalb von den Negierungsrepublikanern mit Beifall aufgenommen.
Natürlich wird der Vorfall von der boulangistischen Presse und Agitation tüchtig ausgenügt, was um so mehr geschehen kann, als diesmal das Recht thatsächlich auf ihrer Seite ist, da die Anwesenheit Joffrins im Parlament wirklich eine Vergewaltigung des allgemeinen Stimmrechts bedeutet. Es war jedenfalls eine große Ungeschicklichkeit der Regierungsrepublikaner, Herru Joffrin inbegriffen, den standalsüchtigen Boulangisten Anlaß zu einem Radau zu bieten, wo das Recht auf Seiten der Radaumacher ist. Es ist ja klar, daß es den Boulangisten mehr um den Skandal als die Vertheidigung der verfassungsmäßigen Volksrechte zu thun ist. Aber die Masse unterscheidet nicht immer nach den Beweggründen, sie sieht nur die Thatsachen, und diese sprechen
Feuilleton.
Bücherschau sozialistischer Dichterwerke.
II.
Sturm. Zweite durchgesehene und vermehrte Auflage.( Zürich , Verlags- Magazin( G. Schabelig).
Als das Büchlein, das den obigen Titel führt, in erster Auflage erschien, erregte es in sozialistischen Streisen berechtigtes Aufsehen. Selbst wer die spezielle Tendenz des Verfassers er bekannte sich als Anarchift nicht theilte, freute sich der kräftigen Sprache, der schönen, abgerundeten Form seiner Gedichte. Auch der Sozial Demokrat" hat nicht gezögert, bei passender Gelegenheit dem Talent John Henry Mackay's seine Anerkennung zu zollen.
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Das zeigt uns freilich schon die erste Auflage des„ Sturm", daß wir es in seinem Verfasser mit einem feineswegs ausgereiften Talent zu thun hatten. Gedanklich ließen seine Gedichte viel zu wünschen übrig. Ihr Ideeninhalt war verhältnißmäßig arm, das Gegebene weder neu, noch besonders tief; es war mehr ein Berauschen in radikalen Vorstellungen, wie man es so oft bei Leuten findet, die die Eierschalen der alten Gesellschaft noch nicht abgestreift haben und darum in einem unbedingten Negiren ihre Ueberlegenheit über dieselbe suchen. Solche Keckheit verzeiht man indeß dem Anfänger gern, und namentlich dem jungen Dichter.
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Als wir jetzt, nach mehr als zwei Jahren, die zweite Auflage des Sturm" erhielten, nahmen wir das Buch mit ziemlich gespannter Erwartung zur Hand. Und daß wir es gleich sagen wir wurden recht sehr enttäuscht. Durchgesehen und vermehrt ist diese Auflage, aber berbessert ist sie nicht. Im Gegentheil. Die Gedichte, die hinzugekommen sind, ermangeln durchaus der Vorzüge, die denen der ersten Auflage Reiz verliehen. Schwung und Kraft sind dahin, und gedanklich ist der Dichter zur Bettelarmuth der unfruchtbarsten Jch- Anbetung gesunken, die ihm nur noch ein gereimtes Stammeln erlaubt. Statt der Gedanken eine Fülle von Gedankenstrichen.
John Mackay hat das Pech gehabt, daß ihm Mar Stirner's„ Der Einzige und sein Eigenthum " in die Hände fiel, und dieses Buch hat es ihm angethan. Dem Andenken May Stirner's widmet er die zweite Auflage des Sturm".
Es ist allerdings ein merkivürdiges Buch, dieses„ Der Einzige und fein Eigenthum". Man kann es das Hohelied des Individualismus nennen. Friedrich Lange bezeichnet es in seiner„ Geschichte des Materialismus“ als„ das extremiste Buch, das wir überhaupt kennen".
hier für die Vertreter der„ Nationalpartei". Außerdem hat die bou langistische Minorität der auf sie einrasenden Majorität entschlossen Stand gehalten, und eine derartige Stellung imponirt vielen naiven Gemüthernt.
Natürlich stimmt jezt die gesammte opportunistische Presse Klagelieder Jeremiä darüber an, daß die Boulangisten Szenen veranlassen, welche das Ansehen des parlamentarischen Systems untergraben müssen. Aber an dem Zustandekommen dieser Standalszenen haben die Regierungsrepublikaner so gut mitgearbeitet wie die Anhänger des„ braven Generals". Ueberhaupt wenn Jemand das parlamentarische System diskreditirt hat, so sind es sicher die Herren Opportunisten gewesen. Gewiß ist, daß der letzte Vorfall, wie überhaupt die ganz unqualifizirbare Art, auf welche Joffrin in das Parlament gelangt ist, von Einfluß auf die Ergebnisse der für Mai bevorstehenden Stadtraths= wahlen in Paris sein wird. Die Boulangisten werden die geschaffene Situation zu einer rührigen Wahlagitation ausnüzen, von welcher man bereits jetzt die ersten Anzeichen bemerken kann. Das in politischer Beziehung so radikale und vor allem oppositionelle Kleinbürgerthum, theilweise auch die nichtsozialistische Arbeiterbevölkerung werden gegen die Mißachtung des freien Stimmirechts, welche die Regierung gezeigt, protestiren. Und sie werden dies in der Form thun, welche zwar unverständig ist, welche aber für den Augenblick den stärksten Gegensatz, den schärfsten Protest gegen die Regierung bedeutet: durch die Wahl boulangistischer Stadträthe. Andererseits tragen parlamentarische Zwischenfälle der Art dazu bei, das moralische Ansehen der Possibilisten, das ohnehin schon einen argen Stoß erlitten, immer mehr zu untergraben. Die Pariser Bevölkerung vergißt zwar sehr leicht und wahrscheinlich hatten die poffibilistischen Führer darauf gerechnet, daß sich dieselbe mit der Zeit nicht mehr daran erinnern würde, auf welche Weise und mit wessen Hilfe Joffrin Deputirter geworden. Allein Vorfälle, wie der berichtete, die sich nach Erklärung der Boulangisten erneuern werden, sobald Joffrin das Wort ergreift, zeigen den possibilistischen Abgeord= neten stets von Neuem als den Mann, der sich dazu hergegeben, von der Regierung in seiner Person das allgemeine Stimmrecht mit Füßen treten zu lassen. Er bleibt schon für immer an den Nockschößen des Opportunismus hängen und um sein Ansehen ist es geschehen. Dazu wird das Ansehen der Partei, zu deren Führern er zählt, schwer ge= schädigt: dieselbe hat bis jetzt stets die allgemein verurtheilte Haltung Joffrins offiziell gebilligt. Die nächsten Stadtrathswahlen werden auch in dieser Beziehung wichtige Fingerzeige geben.
Die nächste Folge des Kammerstandals ist bis jetzt gewesen, daß der stets reaktionslüsterne Opportunist Reinach einen Antrag behufs Umänderung des Kammerreglements eingebracht hat. Unter der Motivirung, daß das gegenwärtige Reglement ohnmächtig sei, Versuche von Tumult und Rebellion zu verhindern, fordert er nichts geringeres, als ,, daß die Kammer im Falle des Widerstands eines Deputirten der Aufforderung des Präsidenten gemäß die Stammer zu verlassen, dieselbe ohne Debatten die Ausschließung des Betreffenden für die Dauer der ganzen Session verhänge."
So vertheidigen diese Herren die von Boulanger bedrohte„ Freiheit".
Zur Agitation Zur Agitation unter den jüdisch redenden Arbeitern.
Wir erhalten folgende Zuschrift:
Paris , den 20. Januar 1890. Auf die im„ Sozialdemokrat" vom 19. ds. Mts.(( Nr. 3) zitirten Ausführungen des von Genosse Hepner redigirten St. Louis- Tagebl." fühle ich mich genöthigt, zu erwidern, daß das„ Jüdischdeutsch" zur Aufklärung der Juden vorläufig leider noch absolut unentbehrlich ist, ausgenommen in den westeuropäischen 2c. Ländern, wo die Juden den von 4-5 Millionen noch gesprochenen Jargon bereits nicht mehr verstehen. Diesen 4-5 Millionen aber die sozialistische Jargonliteratur zit entziehen, heißt so viel, wie allen diesen Juden den Weg zur wahren politischen Aufklärung auf viele, viele Jahre hinaus verschließen.
Wenn der Artikelschreiber im St. Louis- Tageblatt" sagt:
„ Ist der russisch- polnisch- galizisch- jüdische Arbeiter, dem Ihr sozialistische Literatur in jüdisch- deutscher Mundart zugänglich machen wollt, um ihn für die Arbeiterbewegung zu gewinnen, gescheidt genug, um Eure Lehre zu begreifen, so kann es doch wahrlich nicht schwierig sein, ihm das deutsche oder das englische Alphabet beizubringen, damit er englische oder deutsche Schrift lefen kann" so ist er ganz und gar im Irrthum. Ein Arbeiter, der in seinem Leben keine Schule besucht hat und das ist leider bei den meisten jüdischen Arbeitern der Fall, die deutschen, französischen, englischen und amerikanischen ausgenommen
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durchaus nicht so leicht lesen wie begreifen lernen. Davon kann sich jeder durch Unterrichtertheilen überzeugen. Hebräisch dagegen kann fast jeder dieser jüdischen Arbeiter lesen, und die meisten können es auch schreiben, weshalb auch das füdisch deutsch " mit hebräischen Buchstaben geschrieben wird.
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Seßen wir nun den Fall, daß alle jüdischen Arbeiter energisch genug seien, diese Schwierigkeit zu überwinden, oder, daß ihnen deutsche Leftüre mit hebräischen Buchstaben zu Gebote gestellt wird, wäre schon damit das Ziel erreicht? Wären wir alsdann im Stande, ihnen durch deutsche oder englische Lektüre die sozialistische Literatur zugänglich zu machen? Steineswegs. Der den jüdischen Jargon Sprechende denkt auch hebräisch.
Andere nennen es das Kühnste, was der philosopische Radikalismus hervorgebracht". Kühn, o ja. Aber der kühnste Saltontortale des Radikalismus. Denn wenn wir das mit vielem Geist und Scharfsinn geschriebene Buch aus der Hand legen, sind wir genau, wo wir am Anfang waren: bei unserm lieben J ch. Wir haben gelesen, daß es für uns nichts gibt, das über diesem Ich steht, daß nur aus dem Ich heraus unser ganzes Thun und Lassen zu begreifen und zu beurtheilen ist, und daß wir demnach vollkommen sind. Denn wir sind jeden Augenblick Alles, was wir sein können, und brauchen niemals mehr zu sein" heißt es wörtlich. Was wir mit diesem vollkommenen Ich anfangen, ist unsre Sache. Es gibt keine Pflicht außer unserm Ich; sobald wir eine solche anerkennen, hören wir auf, uns zu eigen" Uns zu eigen sind wir nur, wenn wir uns als einzig" setzen, nicht für einen Menschen, sondern für den Menschen erflären. Die Begriffsfrage:" was ist der Mensch?" hat sich dann in die persönliche umgesetzt: ,, wer ist der Mensch?" Und die ist überhaupt keine mehr, sie beantwortet sich selbst." O mist di
Aber fragt mich nur nicht, wie. Bin ich um einen Deut flüger,
wenn ich sage, daß Ich der Michl bin, und nicht blos ein Indivi
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duum der Gattung Mensch Nicht im Geringsten. Vorausgesetzt, daß ich mich nicht dahin drücke, wo ich wirklich und nicht nur in meinent Stopfe ein Ginziger" bin, bin und bleibe ich trotz meines erhabenen Bewußtseins immer nur ein Einer, eine ganz miferable Eins unter etlichen Millionen Einerit. Und um so miserabler, je mehr ich dent Bewußtsein meiner Einzigkeit" fröhne, je mehr ich mich darüber hinwegtäusche, daß ich ohne diese Millionen Mit- Einer nicht eine lumpige Eins, sondern- eine Null wäre. Kein Satz im ganzen Stirner richtiger als der Schlußsaz:
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Stell' Jch auf Mich, den Einzigen, meine Sache, dann steht sie auf dem Vergänglichen, dem sterblichen Schöpfer seiner, der sich selbst verzehrt und Ich darf sagen:
Ich hab' mein' Sach' auf Nichts gestellt." Stimmt. Die absolute Unabhängigkeit läuft in das Nichts aus. Der Einzige" erhält eine fatale Alehulichkeit mit dem indischen Heiligen, der seinen Nabel bewundert. Diefe, lederne Jch Vergötterung nun athmen alle Gedichte, die Mackay in feine zweite Auflage neueingefügt. Als Folio dient ihr ein nicht minder lederner Pessimismus. Das war nicht anders zu machen. Wenn das Jch Alles sein soll, so muß alles andre nichts sein. Mit souveräner Verachtung blickt Mackay auf die Welt und die Menschen herab, seitdem er, wie er uns im Einleitungsgedicht erzählt, sich gefunden.
Ich fehrte bei mir ein. Mein ward die Welt Seitdem ich kühn mich über sie gestellt
triumphirt er. Und
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Die ganze Jüdischjargonliteratur athmet den hebräischen Geist. Der orientalisch Denkende muß eine jahrelange Uebung haben, bis er im Stande ist, auch nur die leichteste Lektüre einer europäischen Sprache zu verstehen. Ich habe in dieser Hinsicht ganz besonders durch Stundengeben viele Erfahrungen gemacht. Eine solche jahrelange lebung kann sich indeß der Arbeiter leider nicht vergönnen. Dazu fehlt ihm die Zeit. Das müssen die meisten Arbeiter schon ihren Nachkommen überlassen. Wir aber können unsere sozialdemokratische Agitation unter den jüdischen Arbeitern nicht für solange aufschieben. Wir können nicht solange warten, bis sie dahin gekommen sind, die Jargonsprache aufzugeben. Wir müssen vielmehr jede Gelegenheit benügen, wo, wie und in welcher Sprache es auch sein mag meinethalben auch in Volapük die Ideen wahrer sozialer Aufklärung zu verbreiten. Nicht auf die Sprache kommt es an, sondern nur auf das Denken und Fühlen eines Jeden, und endlich auf die Zustimmung zu unsern sozialdemokratischen Prinzipien. Wenn diese Zustimmung sich nun in der Jargonsprache weniger ausdrücken ließe als in irgend einer andern Sprache, so würde ich dem Artikelschreiber im St. Louis- Tageblatt Recht geben. Es ist jedoch durchaus übertrieben, wenn der Artikelschreiber behauptet, daß der Jargon ein Injult gegen alle Sprachen sei, ein Scheusal an Gestalt und Ton, und daß er ferner die Heimstätte der Unkultur sei.
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Wodurch werden die meisten Juden aufgeklärt, wenn nicht einzig und allein nur durch die Jargonliteratur? Die Jargonsprache hat sogar eine sehr schöne Literatur aufzuweisen.
Ein Vortrag oder ein Gedicht von einem Jargonisten vorgetragen, ist ebenso sinnreich und fast ebenso schön klingend wie im Deutschen . Indessen will ich keineswegs etwa diese Sprache vertheidigen. Ich sehe ihrem Untergange vielleicht mit eben solcher Sehnsucht entgegen, wie der Artikelschreiber selbst. Nur läßt dieser Untergang sich nicht so schnell und mit Gewalt erzwingen. Moses Mendelsohn's Bibelübersetzung hat auf den ungebildeten Juden keinen Einfluß gehabt. Für seine Bibelübersetzung fonnte nur der aufgeklärte und freigesinnte Hebräer, ganz beson= ders seines zur Bibel in der rabbinischen Sprache geschriebenen Stomentars( biur) wegen, Interesse haben. Die vollständige Annahme der hochdeutschen Sprache von den Juden in Deutschland hat man der ungeheuren Aehnlichkeit des Jargons mit dem Deutschen zu verdanken. Ein im wahren Sinne des Wortes gut redigirtes, sozialdemokratisches, füdisches Jargonblatt können wir als ein fruchtbringendes Werkzeug für alle Juden, die eine fremde Sprache nicht verstehen, nur mit Freuden begrüßen. Wir fürchten deshalb keineswegs, daß die Juden dadurch von der Fortbildung in einer lebenden Sprache ferngehalten werden.
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S. Rubinste in.
Sozialpolitische Rundschau.
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Noch ein Sieg am Vorabend der großen Schlacht. Dank unerhörter Wahlmachinationen und direkter Wahlschwindeleien war bei den am 15. Oftober vor. Jahres stattgefundenen sächsischen Landtags= wahlen im Wahlkreis Crimmitschau - Werdau der Fabrikbefizer Kürzel zum Abgeordneten nicht gewählt, aber proklamirt worden. Er sollte 1576 Stimmen erhalten haben, sein sozialdemo= fratischer Gegenkandidat Restaurateur Goldig nur 1506 Stimmen. Herr Kürzel 30g triumphirend in den Landtag ein. Aber es gibt ein Ding, das heißt Wahlprüfung, und als es sich herausstellte, daß selbst die wohlwollendste" Kommission die standalösen Fälschungen 2c., denen Herr Kürzel sein Mandat verdankte, nicht werde vertuschen fön= nen, zog es der gute Mann vor, allen unangenehmen Erörterungen durch freiwillige Niederlegung seines Mandates die Spize abzubrechen. Es wurde eine Neuwahl ausgeschrieben, bei der die Vereinten Ordnungsparteien" mit Hochdruck darauf hinarbeiteten, neue Wähler für sich an die Wahlurne zu schleppen. Kein Mittel der Bearbeitung wurde unversucht gelassen. Und was war das Resultat? Am 21. Ja nuar fand die Nachwahl statt und ergab 2165 Stimmen, 1990
Goldik, Sozialdemokrat Stürzel, Startellbruder
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Die Kartellbrüder hatten zwar um 414, die Sosialdemokraten aber um 659 Stimmen zugenommen. Die sozialdemokratische Fraktion im sächsischen Landtag zählt ein Mitglied mehr.
Ein neuer, wuchtiger Schlag auf das Haupt der ordnungsparteilichen Reaktionäre wo werden die Unglückseligen am 20. Februar ihre Köpfe hinhalten?
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Aus Deutschland schreibt man uns unter'm 24. Januar: Der Faschings- Reichstag hat in zweiter Lesung der Verewigung bes Schandgefeges mit 166 gegen 111 Stimmen zugestimmt. Diese lezte That" des Faschingsreichstags sei ihm unvergessen. Sieist eine Striegserklärung gegen das um seine Eman= zipation ringende Proletariat, das vermittels des Ausnahmegesezes niedergehalten und unterdrückt werden soll. Mit einer Leichtigkeit, als handle es sich um einen kleinen Spaß, haben die Kartellbrüder es fertig gebracht, die Fristbestimmung im Sozialistengesetz zu beseitigen, und damit ihrem verbrecherischen Treiben das Siegel aufgedrückt.
Trotzdem ist Junker Otto nicht zufrieden; sein Herz hängt an dee
Nie kommt der Tag, der alle Menschen eint, Ob den Gutnachteten als Frieden scheint" Was soll das bedeuten? 100
Wann aber kommt der Tag, der meinen Gruß Der fliehenden Zukunft windet um den Fuß?"
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Ich weiß es nicht. Aus meines Lebens Buch Niß ich das Blatt des Wahns, mir selbst genug." Wenn die Worte noch einen Sinn haben, so ist es dent Dichter- man verzeihe das unpoetische Wort durchaus Wurst, wann der Tag kommt, der seinen Gruß der fliehenden Zukunft" um den Fuß windet. u„ um den Fuß windet"? Darüber erhalten wir keine Wieso und wozu Auskunft. Die Deutung, daß der um den Fuß gewundene Gruß vielleicht die Fliehende aufhalten soll, wird durch die Erklärung aufge= hoben, daß der Dichter das„ Blatt des Wahns" ausgerissen hat, seit er sich selbst genug" ist. Es ist ein Bild, das nach etwas aussehen soll, und hinter dem doch nichts steckt. Bloße Wortmacherei, auf die wir aber inimer und immer wieder stoßen.
Das Einleitungsgedicht schließt: infandun
,, Geendet ist der Kampf nicht, doch die Qual: Ich ward mir selbst mein letztes Ideal!" Armer Dichter, der kein Jdeal hat als sich selbst. Tiefer zu sinten ist unmöglich.
In der Abtheilung„ Weltanschauung" stoßen wir unter den neu eingereihten Gedichten zuerst auf eines, das sich Uluabhängigkeit" betitelt. Es ist durch folgenden Vers hinlänglich bezeichnet:
Wie heißt der Quell, an dem mit müden Lidern Für immer Du die große Sehnsucht stillst Die Unabhängigkeit von Deinen Brüdern", Daß geh'n Du kannst und weilen, wo Du willst!"
Der flachste Bourgeoisliberalismus,
Ein Anderes, Anarchie" betitelt, beginnt:
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„ Ich bin ein Anarchist!"
" Immer geschmäht, verflucht, verstanden nie", und gibt zum Schluß als Erklärung: 008 magap to Warum?"" Ich will Nicht herrschen, aber auch beherrscht nicht werden!" John Mackay irrt sich, wenn er meint, daß das so schwer zu verstehen sei. Es ist nur sehr schwer zu verwirklichen. Und unmöglich bei Anschauungen wie die, welche er im Gedicht„ Arbeit" entwickelt:
Ihr sagt: Nichts ist, was ich mir selbst verdiente, Gemeinsam ward, was wir erreicht, gethan, Darum kannst du, den unsere Kraft umschiente, Zurück nur geben, was du erst empfahu!"