liegt die Sache denn doch nicht. In der schwarzen Liste" sind Perfonen gebrandmarkt, die unehrenhafte Handlungen begangen, hier handelt es sich aber um taktische und prinzipielle Differenzen, und da würde selbst ein Einzelner das Recht beanspruchen dürfen, gegen eine Vielheit als gleichberechtigt gehört zu werden. Die Masse entscheidet nicht, wer objektiv Recht hat; sie wählt nur aus, sie ist ebenfalls Irrthümern unterworfen.
Wir sagen das nicht, um Partei zu ergreifen. Dazu stehen wir den Verhältnissen zu fern. Sollen wir aber unsere subjektive Meinung ab= geben, so geht dieselbe dahin, daß uns die Opposition nicht frei von einem gewissen Doktrinarismus zu sein scheint, während wir der Parteileitung den Vorwurf nicht ersparen können, auch der objektivsten Kritik mit einer Empfindlichkeit zu begegnen, die in feiner politischen Partei, am wenigsten aber in der sozialistischen am Plaße ist. Es ist unsere fefte Ueberzeugung, daß mit weniger Empfindlichkeit und weniger Geneigtheit, fede Oppofition als von Gegnern gekauft hinzustellen, der ganze Konflikt der Partei hätte erspart werden können. Gerade der Umstand, daß sie die große Majorität für sich haben, sollte die Genossen von der Hauptpartei abhalten, zu Kampfmitteln zu greifen, die auf den objektiven Beobachter den Eindruck terroristischer Intoleranz machen müssen und im Uebrigen nichts erzielen, als Verbitterung. Je eher sie darauf verzichten, um so schneller wird die Gesammtpartei die jezige Krisis überwinden."
Sozialpolitische Rundschau.
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- Aus Deutschland wird uns geschrieben: " Fünf Tage vor der Wahl. Ich kann's nur wiederholen: es ist eine Lust zu leben". Einen Bericht über den Stand der Wahlbewegung geben unmöglich. Es ist ein wogendes Meer, eine sich vorwärts wälzende Springfluth elementarartig da hört jede Schilderung auf. Und woher die Zeit nehmen? Hätte ich jetzt Zeit, so wäre ich nicht werth, ein Sozialdemokrat zu sein. Jezt gibt es nur einen Gedanken, nur ein Streben: den Feind schlagen, der Sache der Menschheit einen Sieg zu erkämpfen. Es steht Jeder im Feld. Tout est soldat Alles ist Soldat, wie 1792 in Frank reich , als das Vaterland in Gefahr war und die Revolution gerettet werden mußte.
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Die Feinde sind entmuthigt durch die Wucht unseres Angriffs und den Mangel einer Wahlparole und einheitlicher Führung. Die„ kaiserlichen Erlasse", in denen sie einen Augenblick den Hoffnungsanfer ge= sehen hatten, erfüllen sie mit geheimem Grauen. Ein bloßes Wahlmanöver kann das nicht sein. Die Herren auf der„ steilen Höh, die weder Noß noch Reisige zu schützen vermögen", lernen zwar sprichwörtlich nichts oder nicht viel aber das muß ihnen denn schließlich doch durch die Logik der brutalen Thatsachen in den Schädel geklopft worden sein, daß die soziale Frage nicht mit sich spielen läßt.
Der schnapsbrennende Demagog der Neaktion hatte sich in der ihm eigenen tollen Selbstüberschäzung allen Ernstes eingebildet, den Sozialismus vor seinen Junkerfarren spannen zu können. Fünfundzwanzig Jahre hat er sich abgemüht Niederlage über Niederlage erlitten, Schande an Schande gereiht und heute liegt er zappelnd am Boden und wird wohl gelegentlich aus Gnade und Barmherzigkeit auf den Altentheil gesetzt" werden.
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Und das Beispiel sollte so ganz ohne abschreckende Wirkung geblieben sein? Stein Zweifel, das Ideal war: Zuckerbrod und Peifsche. Nur daß das Zuckerbrod etwas appetitlicher gemacht werden sollte. Allein das Versprechen ist eine gefährliche Sache, wenn ein Starter da ist, der den Versprecher beim Wort nehmen kann. Und der Starte ist da: die deutschen Arbeiter nehmen den deutschen Raiser beim Wort, wie sie weiland Bismarck beim Wort nahmen, als er die Sozialreform versprach. Er hat nicht uns, wir haben ihn", sagte der sozialdemokratische Redner der dritten Lesung des ersten Unfallgesezes. Und wir haben ihn gehabt. Sein PolizeiManchesterthum ist heute ein überwundener Standpunkt, und der„ Dedipus des neunzehnten Jahrhunderts" muß in den Abgrund stürzen, weil er es nicht verstanden hat, das Räthsel der sozialen Sphing zu lösen.
Dem Urheber oder den Urhebern der„ kaiserlichen Erlasse" wird es nicht besser ergehen, wenn sie die gleiche Unfähigkeit entwickeln, und den tindisch- frevelhaften Plan haben, die soziale Frage in ihrem dynastischjunterlichen Interesse auszunuzen, statt die Lösung derselben zu erstreben. Ehrlichkeit ist die beste Politit", sagen die Engländer. Und in diesem Fall ist der Saz ganz besonders wahr. Der Bien muß. Will er nicht ehrlich" sein, das heißt, will er ein Komödienspiel aufführen, dann wird nicht die Sozialdemokratie der„ Gefoppte" sein einzig er selber. Der wirkliche, realpolitische, um mich so auszubrücken dynamische Werth der sogenannten„ kaiserlichen Erlasse" liegt in der Triebfraft, welche sie der sozialdemokra= tischen Mühle liefern. Abgesehen hiervon sind sie nicht mehr werth, als das Papier, auf welchem sie stehen. Nur von unten herauf, nur durch die Sozialdemokraten kann verwirklicht - alle anderen Klassen und Parteien werden, was dort verheißen ist find der Sache des Arbeiterschußes und sind der Sache des Gleichberechtigung der Arbeiter spinnefeind. Und so ist denn der deutsche Kaiser in die tragikomische Lage gekommen, daß er sein kaiserliches Wort nur mit Hilfe der Sozialdemokraten halten kann, die er vor nicht gar langer Zeit so haßte, daß er Alles, was ihnen freundlich gestimmt war, über den Haufen schießen" wollte. Die übrigen Parteien, die, auf welche die Monarchie sich bisher stüßte, und auf welche sich der deutsche Kaiser noch im gegenwärtigen Moment ſtüßt, verabscheuen den Inhalt der„ kaiserlichen Erlasse" und wollen sie sich
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nicht nur Vollkommenes verlangen, aber wir dürfen an ihn dieselbe Anforderung stellen wie an Maler und Bildhauer, uns nur das vorzulegen, was wenigstens in irgend einer Hinsicht auf unsre Aufmerksamkeit Anspruch erheben kann. Cacatum non est pictum, um einmal naturalistisch zu reden, gilt auch in dieser Hinsicht.
Damit jedoch genug der Ausstellungen. Sonst gerathen wir in Gefahr, beim Leser den entgegengesetzten Eindruck hervorzurufen, den wir beim Lesen des" Diorama" empfangen und hier wiedergeben möchten. Dieser ist, trotz allem, was wir bisher zu rügen hatten, vielmehr ein recht günstiger. Es geht etwas sehr bunt zu in dem" Diorama", das uns Henckell bietet, aber es weht der frische, gesunde Hauch eines vorwärtsstrebenden Geistes durch dasselbe, der uns zu interessiren, zu fesseln, zu packen versteht. Wir können es als eine wahre Wohlthat bezeichnen, einem Dichter zu begegnen, der weder der Modekrankheit unsrer Zeit, Blafirtheit, huldigt, noch sein jugendliches Empfinden durch Nachäffung Scheffel'scher Kneipenlyrik bekunden zu müssen glaubt. Henckell ist in jeder Beziehung noch ein Werdender, auf Schritt und Tritt heften ihm noch die Eierschalen seiner dichterischen Vorbilder an, aber doch zeigt er schon seine Eigenart, er hat eigenes Pathos, eigenen Wiz, eigenes Empfinden und eigene Kraft. Er hat auch, worauf beim Dichter so viel ankommit, eigene Augen. Er versteht anschaulich zu schildern, zuweilen vielleicht ein Bischen zu anschaulich, aber er hat einen flaren Blick und weiß das Wesentliche oft wunderbar herauszufinden. Wir können hier nur knappe Auslese halten, doch wollen wir ivenigstens einige Proben aus dem reichen Inhalt des„ Diorama" den Lesern vorführen.
Hier eine Stelle aus dem prächtigen Nachruf„ Vor einem Bilde Salomon Vögelin's":
....?" Da fam
„ Ein kleines Häuflein stunden wir einmal Ünt dich im Halbkreis am Großmünsterthurm; Du ließest uns die Stilvermischung suchen, Und bald war die Debatte flott im Gang. Seh'n Sie den Steinriß da? Wann mag Ein schönes Mädchen stramm vorbeigeschritten Zur Rechten aus dem Töchterseminar; Um ihren Hals die blonden Locken glitten, Meerblau wie Gudrun floß das Augenpaar.
nur als ein gemeines Wah I m a növer gefallen lassen, welches dem Urheber der Erlasse die denkbar unrühmlichste und unwürdigste Rolle anweisen würde.
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Und er ist vorläufig ganz in den Händen dieser Gesellschaft. Man betrachte sich nur die Mitglieder des„ Staatsraths", der ertra aus der Numpelkammer hervorgeholt worden ist, um die Verwirklichung des Programms jener kaiserlichen Erlasse anzubahnen! Klassischer konnte der Bock nicht zum Gärtner gemacht werden. Doch was liegt jetzt an diesem Plunder? Wir sind jetzt in der Iustigen Faschingszeit, und solcher Mummenschanz ist in bester Harmonie mit den modischen Fastnachtsspäßen. Es wird aber bald der Aschermittwoch kommen; mit dem Mummenschanz ist es dann zu Ende, und wenn das von den Faschingsspaßmachern nicht begriffen wird, dann müssen sie sich auf allerhand unangenehme Ueberraschungen gefaßt machen.
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Genug die Lonarchie der Hohenzollern ist in eine gar verzweifelte Lage gerathen sie hat ein Programm aufgestellt, dessen Verwirklichung nur mit Hilfe der Sozialdemokratie möglich ist und dessen Nicht verwirklichung den moralischen und politischen Bankerott der Monarchie bedeutet.
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Die Sozialdemokratie ist Herrin der Situation. Sie kann in dem Spiel, das am 5. Februar ds. Js.*) begonnen hat, nur gewinnen. Und unsere Feinde können nur verlieren! Unter so günstigen Auspizien ist unsere Partei noch nie in den Wahlfampf eingetreten günstigere Auspizien sind überhaupt nicht denkbar. Und das wissen unsere Genossen, und das wissen unsere Feinde. Doch die Pflicht ruft. Der Brief ist schon länger geworden, als er ursprünglich sein sollte. Nach dem Kampf die Beschreibung. Bis zum 20. Februar gehört jedes Atom unserer Kraft dem Wahlkampf. Die Schlacht muß ein Sieg sein. Und ist die Hauptschlacht geschlagen, dann haben wir noch keine Nuhe- dann kommen die Stich wahlen. Und sie werden zahlreich sein. Wie die Arbeit all zu bewältigen ist, ich weiß es nicht. Aber sie wird bewältigt werden, denn jeder Sozialdemokrat wird seine Schuldigkeit thun.
-Mit welch gespannter Erwartung die Sozialisten aller Länder den Wahlkampf der deutschen Sozialdemo fratie verfolgen, wie sehr sie die Bedeutung desselben zu würdigen wissen, und wie gern sie dazu beitragen, das Resultat zu einem recht großartigen gestalten zu helfen, davon gehen uns jeden Tag neue, ebenso erhebende wie oft geradezu rührende Beweise zu. Wir bedanern, daß uns der Naum fehlt, von allen diesen Kundgebungen im Einzelnen gebührende Notiz zu nehmen, und wir müssen die Leser in dieser Hinsicht vorläufig schon auf die an anderer Stelle veröffentlichten Quittungen verweisen. Für heute wollen wir nur einige der bezeichnendsten Thatsachen erwähnen.
Den Genter und Antwerpener Genossen sind auch die Brüsseler Sozialisten gefolgt und haben am 10. Februar zu Gunsten des deutschen Wahlfonds ein großes Arbeiterfest abgehalten, das glänzend besucht war und einen ausgezeichneten Verlauf nahm. Unsere französischen Genossen, die so schwer unter der Ungunst der Zeit zu leiden haben, haben froßdem eine Sammlung eröffnet, die bereits gegen 400 Franken ergeben hat. Darunter 159 Franken von der, fast nur aus armen Webern bestehenden Nordfederation, und 100 Franken von der Federation des Ostens( Montluçon ).
Aus Italien fündigt uns die Arbeiterliga von Reggio Emilia ( Mittel- Italien ) die Absendung von Frc. 24 an, mit dem Ausdruck des Bedauerns, daß die finanzielle Lage des Vereins nicht erlaube, mehr zu schicken. Aus Nom sendet uns Professor Labriola 50 Franken als Zeichen der Liebe für die deutsche Sozialdemokratie, die, schreibt er, nach meiner festen Ueberzeugung als einzig zukunftsfähig und ge schichtlich begründet, die allgemeinen Interessen vertritt der Menschheit". Nach dem Süden der Norden. Aus Stock ho I m senden uns die schwedischen Genossen als„ einen kleinen Beitrag" 40 Mt., den Ueberschuß eines Vortrags des Genossen H. Branting über die deutsche Sozialdemokratie.
Unseren österreichischen Genossen hat die hochlöbliche Polizei die Fortsetzung der begonnenen Sammlung verboten. Aber schon hatte die Arb.- 3tg." allein gegen 600 Gulden( zirka 1000 Mt.) quitfiren fönnen, ein, wenn man die Verhältnisse berücksichtigt, wahrhaft glänzendes Resultat.
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Unfre Genossen in der Schweiz , an deren Sammlung sich auch viele Schweizer betheiligt, haben bereits über 2000 Franken an das Zentralwahlkomite abgeführt.
Selbst die russischen Sozialisten haben nicht zurückbleiben wollen. Das Komite des russischen sozialdemokratischen Bundes hat ein Zirkular an die russischen Freunde der Freiheit erlassen, worin es zit Sammlungen auffordert und betont, daß der Sieg der Sozialdemokratie als der einzigen entschiedenen Vorkämpferin für den demokratischen Staat, auch für Rußland von großer Bedeutung sei. Der Aufruf ist unterzeichnet: der Sekretär des russischen sozialdemokratischen Bundes, W. Sassulitsch.
Aber auch, wo die Sozialisten des Auslandes aus lokalen Gründen von Sammlungen Abstand nahmen, zeigt ihre Presse, mit wie gespannter Aufmerksamkeit sie dem Wahlkampf in Deutschland folgen. So enthält 3. B. El Socialista", das Organ der spanischen Sozialdemokraten, spaltenlange Berichte über denselben. Kurz, in allen Ländern wird die Wichtigkeit des 20. Februar für die Arbeitersache von den Sozialisten und nicht nur von ihnen, voll gewürdigt, es ist keine Uebertreibung, zu sagen, daß die Augen von ganz Europa , der ganzen zivilifirten Welt gegenwärtig auf die deutsche Sozialdemokratie gerichtet sind.
Mögen sich die Genossen in Deutschland dessen bewußt sein. Sie haben die Pflichten, die diese internationale Stellung ihnen auferlegt voll begriffen; mögen sie sich darum der Thatsache erfreuen, daß ihr Sieg mitgefeiert werden wird, wo nur Arbeiterherzen für Recht und Freiheit erglühen. Der 20. Februar wird ein internationaler Feiertag sein.
*) Dem Tage, wo die Erlasse publizirt wurden.
Zurück trat'st du. Die feierlichste Pause, Die ich erlebt. Und Kopf an Kopf, von rechts Nach links geleitend, haben wir genossen Das Schlußtableau von Purpur übergossen....
Der Schönheit Priester und der Freiheit Freund, Genoff' des Volk's, des Rechtes Schirm und Rath, Fürsprech der armen und betroguen Leute. Der Leyte du aus Urpatrizierstamm,
Vom Arbeitspult das Buch der Zukunft hebend,
Ein echter, glockenklarer Demokrat.
Das ganze Gedicht ist eine so treffende Schilderung des ausgezeichneten schweizerischen Gelehrten und Volksmannes, daß man selbst so zweifelhafte Säße wie„ Meerblau wie Gudrun floß das Augenpaar" mit in den Kauf nehmen kann.
Sehr schön heißt es im Gedicht„ Gegensatz":
Ein schwanger Weib ist mir ein Heil'genbild", Schleppt sich's in Lumpen bleich und eckig hin, Das Leben sichernd dem, das lebend quillt, Die nothgekrönte Schmerzenstönigin. Lastträgerin der Welt, entbehrungsreich, Mir qualschön, Dir die widrigste Figur.
Geh Du nach Rom ! Romanisch ist Dein Sinn. Vor Raphaels Madonna knie Du! Mein Auge sieht der Proletarierin Mühsamem Werkgang überwältigt zu."
Und im„ Memento der Freiheit":
Auf Freunde! Nicht ewig das Elend bejammern In sentimentalen Gedichten!
Laßt uns mit strophischen Eisenklammern Den Bau des Rechtes errichten!
Die Thränen, die ihr in Versen vergießt,
Wie sie der Proz mit Behagen genießt!
Die goldgescheckte Hyäne
Weint gar noch selbst eine Thräne.
Zur Geschichte der internationalen Fabrikgesetzgebung. Sehr richtig erinnert ein Berner Korrespondent der„ Frankfurter 3tg." daran, daß das Verdienst, die Frage der internationalen Fabrikgesetzgebung auf die Tagesordnung der praktisch ent Politik gebracht zu haben, einem deutschen Sozialisten, dem leider zu früh verstorbenen Karl Höchberg , gebührt. Er schreibt:
Allerdings war der Erste, der unseres Wissens ein internationales Gesetz über die Industrie- Arbeit" anregte, der elsässische Fabrikant Daniel Legrand , der im Jahre 1841 an die französischen Kammern eine be= zügliche Eingabe gemacht und 1857 ein Zirkular in gleichem Sinne an verschiedene Regierungen gesandt hat. Nationalrath Vögelin hat dieses in Bern wieder aufgefunden, als er sich mit der Frage der internatio= nalen Fabrikgesetzgebung beschäftigte, und von dem denkwürdigen Schriftstück in einer am Zentralfest des Grütlivereins 1886 in Grenchen ab= gehaltenen Rede gesprochen. Dieser elsässische Fabrikant verlangte den zwölfstündigen Normalarbeitstag, das Verbot aller Nachtarbeit für Jünglinge unter 18 Jahren und für Frauen jeden Alters, das Verbot der Arbeit von Knaben unter 10 und Mädchen unter 12 Jahren, sowie endlich das Verbot der Sonntagsarbeit. Sind die von Legrand 1841 in Paris gemachten Vorschläge nicht ähnliche wie die später, 1857, ge= machten, worüber Genaneres nicht bekannt ist, so war es vermuthlich die Regierung von Glarus , welche eine derartige internationale Regelung der Arbeitsverhältnisse zuerst für ersprießlich hielt. Sie wünschte im Jahre 1855 Gleichheit der Fabrifgefeßgebung zwischen den schweizerischen Kantonen und meinte dabei, es sollte allerdings wegen den Gefahren der Konkurrenz„ durch internationale Stipulationen zwischen den industriellen Staaten von ganz Europa ein einheitliches Systent geschaffen werden." In jüngerer Zeit war nun von einer internationalen Fabrikgesetzgebung in den Jahren 1879 und 1880 in der„ Züricher Post" die Nede, in welcher Karl Höchberg dieselbe befürwortete und das Mittel der europäischen Konferenz empfahl. Es galt hiemit zugleich, das schweizerische Fabrifgesetz vom Jahre 1877 zu retten, dessen Aufhebung manche Industriellen verlangten. Wenn zwischen Legrand und Höchberg auch zahlreiche andere Volkswirthe und Politiker dieselben Ansichten äußerten, so sind es doch die Vorschläge Höchbergs, welche die ersten Versuche eines Parlaments und einer Regierung, den gezeigten Weg zu beschreiten, bewirkt haben. Oberst Frey stellte im Dezember 1880 im Nationalrath eine Motion, welche den Bundesrath einlud, den Zusammentritt von Delegirten der Industriestaaten zu veranlassen, was denn auch, aber ohne Erfolg, geschah. Seither er flärte der Bundesrath, im Jahre 1887, einen zweiten gleichen Versuch machen zu wollen."
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Wir können diese Ausführungen noch durch einige speziellere Mittheilungen ergänzen. Als Deutschland 1879 zur Schutzzollpolitik übergegangen war und namentlich auch sehr hohe Textilzölle eingeführt hatte, glaubte ein schweizerischer Fabrikant, der seinerzeit selbst eifrig zit Gunsten des Fabrifgesetzes von 1877 eingetreten war, den Untergang der schweizerischen Industrie erleben zu müssen, wenn die Schweiz nun nicht sofort den Normalarbeitstag wieder abschaffte, und begann eine Agitation in diesem Sinne. Dieselbe schien Anfangs viel Auklang zu finden, und die schweizerische Arbeiterbewegung war durch Krisis und die Rückwirkung des deutschen Sozialistengesezes so gelähmit, daß eine fräftige Gegenagitation ihrerseits nicht zu erhoffen war. Für jeden Sozialisten war es aber klar, daß alles aufgeboten werden mußte, die schwer errungene Fabrikgesetzgebung nicht antasten zu lassen, den Gegnern aller Länder nicht den Triumph zu bereiten, daß sich der Normalarbeitstag im ersten Land, wo er durchgeführt worden, als unpraktisch oder gar schädlich erwiesen habe. So kam Höchberg auf den glücklichen Gedanken, der Forderung der Rückwärtsrevision die der interna= tionalen Ausdehnung der Fabrikgesek gebung gegen= über zu stellen. Unter Anderen ersuchte er auch den damals in London lebenden Sozialisten Karl Hirsch, ihm für die in Leipzig erscheinenden „ Staatswirthschaftlichen Abhandlungen" einen Artikel über dieses Thema zu schreiben. Hirsch kam der Einladung nach, im dritten Heft der„ Abhandlungen" findet der Leser den von ihm darüber verfaßten Artikel, und es fann feinem Zweifel unterliegen, daß Hirsch, der zu iener Zeit sehr intim mit Mary und Engels verkehrte, ihn sicher nicht verfaßt hat, ohne darüber mit den großen Theoretikern des modernen Sozialismus zu sprechen. Einzelne Stellen seines Artikels lassen dies ziemlich deutlich erfeunen. Später veranlaßte Höchberg noch Karl Stautsty, in einer Broschüre die Frage detaillirter und mit Hiniveisung auf die bestehende Fabrikgesetzgebung zu behandeln. Diese Broschüre ist unter dem Titel" Internationale Fabrifgesetzgebung" im Verlage von Erich Koschny in Leipzig erschienen und noch heute im Buchhandel zu haben. Höchberg selbst suchte in der Tagespresse den Gedanken zu pro= pagiren, und wie ihm dies, Dank der Mitwirkung der Züricher Post" gelang, wie der demokratische Oberst Frey die Frage vor den schweizerischen Nationalrath brachte, ist oben dargelegt.
Wenn also der deutsche Kaiser sie jetzt gleichfalls aufnimmt, so können wir ihm dazu nur gratuliren. Es muß ihn mit besonderer Genugthuung erfüllen, sich in so anständiger Gesellschaft zu sehen, der Testamentsvollstrecker eines Karl Höchberg zu werden, dieses wie Streuzztg." und„ Neichsbote" den edlen Verstorbenen so gern nennen.
jüdischen Sozialrevolutionärs"
- Eine wohlverdiente Züchtigung haben unsere Frankfurter Genossen in einer von den Nationalliberalen einberufenen Wählerversammlung einer der Zierden dieser Partei, dem Er- Polizeipräsidenten von Hergenhahn, angedeihen lassen. Dieser liberale Beamte, unter dessen Regime die schändlichsten Polizei- Brutalitäten, die Frank furt unter der Aera des Schandgesezes erlebt, ausgeführt wurden: die Friedhofsmeẞelei und die Massenausweisungen am Weihnachtsfest 1886 dieser willige Handlanger des Buttkamer hatte den wenig beneidenswerthen Muth, vor die Frankfurter Neichstags- Wählerschaft als Agitator für den nationalliberalen Kartellkandidaten hinzutreten. Aber er hatte die Rechnung ohne die Frankfurter Arbeiter gemacht. Man höre, wie es ihm in jener- Wählerverfammlung erging. In einem Bericht der Frankfurter 3tg." heißt es darüber:
Wohl soll mit erschütternden Wahrheitstönen Die Noth aufschrei'n in der Dichtung.
Doch nicht Lamento der ganze Mann! Stimmt das Memento der Freiheit an! Schlagt mit den Merten der Reime In die wurmzerfressenen Bäume.
Gewitter in Eure Lieder!
Sonst donnert die Zukunft Euch nieder.
Eine ganze Reihe von Gedichten:" Bock Abend in der Tonhalle", Café chantant"," Familien" und viele andere, verrathen eine glück= fiche Anlage zur Satire, und einige der lyrischen Gedichte zeichnen fich burch vortreffliche Stimmungsmalerei aus.
Genug. Wir haben in Henckell einen unzweifelhaft reich begabten Dichter vor uns, von dem noch viel erwartet werden kann, wenn er sich vor einem hütet vor Verflachung. Er hat sein ,, Diorama" Leopold Jakoby gewidmet, und wir freuen uns, in der Widmung an diesen das Versprechen zu finden, fich angelegentlicher als bisher dem Studium der Gesellschaftswissenschaft" zu ergeben. Möge der Einfluß Leopold Jakoby's sich auch in anderer Beziehung dem jungen Dichter wohlthätig erweisen.
Das„ Diorama" ist von der Berliner Polizei auf Grund des Sozialistengeseẞes verboten worden. Es bedurfte dessen wirklich nicht, um das Buch jedem Sozialisten, jedem Freund moderner Poesie werth zu machen. Aber Henckell darf wenigstens von sich sagen, daß er das Verbot redlich verdient hat. Wohl fehlt im Diorama die Aufforderung zum gewaltthätigen Umsturz", die man ja wohl ehedem als poetische Lizenz den Dichtern hingehen ließ. Aber dafür mußten sie wenigstens sonst hübsch artig sein und nicht die Polizei in so fecken Satiren verhöhnen. Und dann, dieses Gedicht„ Das Ausnahmegeseb:"
Es steht ein Blatt beschrieben im Buch der deutschen Schmach, Das muß der Teufel lieben, bis an den jüngsten Tag. So etwas darf nicht im honetten Buchhandel vertrieben werden. Und
so werden die unhonetten Leute es sich auf unhonettem Wege verschaffen.