man es in den Sumpf hinabgleiten, in den es gehört. Es beweist dies, daß man innen abrüsten will; man hat eingesehen, daß, wenn man ernstliche Sozialpolitik oder gar Sozialreform treiben will, man nicht vor die Arbeiter treten fann mit der Knute eines Aus­nahmegesebes. Am Ende des 19. Jahrhunderts gibt es feine Begiückung par ordre du moufti. Das System der Völker­begiidung par ordre de moufti, der sogenannte intelligente Despotismus", der revolutionäre Despotismus, die Revolution von Ober war im vorigen Jahrhundert der Traum einer Statharina II., eines Joseph II.   und auch Friedrichs des Zweiten von Preußen; aber die Begiückung von oben erwies sich als eine Un­möglichkeit, und schließlich mußte die Sache doch von unten gemacht werden, wo sie allerdings gründlich gemacht wurde...

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Der Feldmarschall Graf Moltke   meinte in seiner vorgestrigen Rede, der Frieden werde nicht von den besitzenden Klassen des Volfes bedroht, aber gewisse Voltsschichten seien ihm gefährlich er nannte fie die begehrlichen Elemente". Ja, wer sind denn die begehrlichen Elemente" Aus dem Zusammenhang der Nede wollte es mir den Eindruck machen, daß die Arbeiter gemeint waren. Es thut mir jehr leid, daß der Herr Feldmarschall vorigen Sommer nicht in Paris   und auf unserem internationalen kongreß war.

( Heiterfeit.)

Er hätte da sehr viel gelernt, jedenfalls würde er seine vorgestrige Nede nicht gehalten haben. Dann hätte er sich überzeugt, wie die Blüte der Arbeiter aus allen Ländern der Erde, als die wahren Träger der modernen Kultur, dort einstimmig waren in dem Wunsch, die Lösung der sozialen Frage auf dem Wege der Gesetzgebung anzubahnen und Abrüstung, Beseitigung der Kriegs= gefahr durch Abschaffung der stehenden Heere und Einführung des Milizsystems zu fordern.

Die Arbeiter, diese begehrlichen Glemente, fie gerade sind es, die den Frieden am heißesten erstreben. Denn wer muß im Kriege sein Blut am meisten versprigen? wer hat die meisten Opfer zu bringen? Es ist ja doch die Arbeiterklasse, es ist ja doch das arbeitende Volk, dem die 2 asten wohl zufallen, aber nicht die Ehren und die Vortheile des Kriegs, wenigstens nur in ganz verschwindendem Maße. Ju jenem denkwürdigen internationalen Arbeiterparlamente hat es sich gezeigt, daß die Arbeiterschaft der ganzen Welt den Frieden will. Die den Krieg wollen, das ist eine kleine Minorität; das sind in Frankreich   die sogenannten Chauvi= nisten, das sind in Deutschland   die sogenannten Chau= vinisten, die den französischen   ähnlich sehen, wie ein Gi dem anderen. Wir wissen, wer in Deutschland   zum Striege gehezt hat; wir kennen ja die Herren sie sizen zum Theil hier, allerdings im ge­ringer Anzahl, welche damals vor der Wahl des Jahres 1887 in die Kriegstrompete bliesen: Frisch auf zum fröhlichen Jagen", die Franzosen wollen in's Land kommen", die alle Leidenschaften der Nation aufheßten zum Striege. Da( auf die Bänke der National­liberalen deutend) fizzen die Chauvinisten, und das deutsche Volf hat am 20. Februar bewiesen, daß es mit ihnen nichts zu thun haben will; es hat sie heimgeschickt und bloß ein paar Neste hierher, damit sie erzählen können von der Niederlage, die sie erlitten haben.

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( Heiterkeit.)

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Einen bestimmten Vorschlag in Bezug auf die internationale Abrüstung mache ich nicht; so lange nicht noch von anderen Parteien vorgegangen wird, und so lange die Forderung nicht im Volte noch mehr Wurzel gefaßt hat, ist ein parlamentarisches Vor­gehen hier im Reichstag praktisch aussichtslos, und bloße De= monstrationen zu machen, dazu ist unsere Partei jetzt zu starf geworden. Aber wir werden mit aller Macht für den Gedanken agitiren; wir werden die Ueberzeugung, daß der Militaris­mus ein unheilvolles Uebel ist, daß er die Lasten des Volkes stets erhöht, ohne daß er Sicherheit gewährt, daß er im Gegentheil die Kriegsgefahr schafft, mehr und mehr in die Massen zu bringen suchen

Wir

Ich bin am Schluß: es gilt Umkehr, vollständigen Bruch mit diesem System, kein weiteres Anziehen mehr dieser Schraube ohne Ende. Im Namen meiner Parteigenossen habe ich zu erklären, daß wir, getreu unserer bisherigen Haltung, gegen die Vorlage stimmen werden. Wir sind auch nicht dafür, daß fie in eine som mission gehe, denn da wir prinzipielle Gegner find, so können wir durch die rein technischen oder opportunistischen Gründe, welche dort vorge= bracht werden können, nicht erschüttert werden. Der Militarismus als solcher ist vom Uebel und muß beseitigt werden. handeln hier im Einklang mit unseren Wählern; wir handeln hier im Einklang mit der Mehrheit des deutschen Volkes. Das Votum des 20. Februar d. J. lautete: Bruch mit dem Systeme des Fürsten Bismarck! Fürst Bismarck   ist fort; nieder jest mit seinem System! Nieder mit der Blut- und Eisenpolitik und nieder mit dem Militarismus! ( Bravo  ! bei den Sozialdemokraten.)

Der erste Mai der polnischen Arbeiter.*)

Seit Mitte des vorigen Jahres hat die Arbeiterbewegung einen so mächtigen Aufschwung erfahren, daß es verwegen wäre, ihre Ausdeh­nung auch nur annähernd schätzen zu wollen. Welche lleberraschungen" die nächste Zukunft birgt, vermag selbst der seiner Ziele bewußte Pro­letarier nicht zu sagen. Ohne Verbindung mit den revolutionären Bar­teien der betreffenden Länder, ja, hier und da eine Betheiligung der sozialistischen   Partei ausschließend, stellt das arbeitende Volk klar und bestimmt seine Forderungen, an deren Berechtigung die Pächter der öffentlichen Gewalt nicht rütteln können. So in den zivilisirten Län­dern. Beim Anlaß des Festtags, an dem das Proletariat sich gestand, daß es eine Macht ist, wird es indeß nicht unzweckmäßig sein, anch der Genossen zu gedenten, die, unglücklicher als wir, um Erlangung berjenigen Rechte kämpfen, die die übrige Welt in Wirklichkeit, oder wenigstens im Prinzip lange schon genießt.

( Hier geht der werthe Einsender auf eine Schilderung der Maifeier in Warschau   über, die in allen Punkten das in voriger Nummer da= rüber Mitgetheilte bestätigt. Er sfizzirt die zur Vertheilung gelangten Proklamationen, und hebt gleichfalls hervor, daß diefelben namentlich dadurch an Bedeutung gewinnen, als sie zeigen, daß nach fünf­jähriger Pause Warschau   wieder eine geheime sozialistische Druckerei hat. Er fährt dann fort:)

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Außer den Aufrufen erschien am gleichen Tage die erste Nummer einer Zeitschrift, die den Titel trägt: lassenkampf. Organ des War­ schauer   Arbeiter- Komite's. Druck der geheimen Parteidruckerei". Sie umfaßt acht dicht gedruckte Dktavseiten in sauberer Ausführung, und stellt eine Festschrift dar. Es wird in ihr in ruhiger Sprache die Be­deutung des Tages besprochen. Bis vor kurzem habe es für das europäische Rußland  ( 5 Million Quadratkilometer mit 87 Millionen Einwohnern) im Ganzen nur 4 Fabrikinspektoren gegeben. Vereins­und Nedefreiheit, sowie eine Gesetzgebung zum Schuße des Arbeiters seien darum auch die Forderungen des polnischen Proletariats. Es handelt sich hier nicht um das Parteiinteresse, das ja auch das Eurige ist, nicht um die ferne Zukunft, in der unsere Jdeen verwirklicht wer­den, nein, wir erinnern Euch an die Bedeutung des heutigen Tages, in Eurem persönlichen Interesse, es ist das Glück Gurer Familien, Eurer Kinder, das wir im Auge haben", erklärt das Warschauer Arbeiter­Komite. Bemerkenswerth in der erwähnten Festschrift ist der Nach­bruck, den sie auf reine Arbeiterinteressen legt, auf Fachvereinig= ungen 2c. Es werden die Vortheile des auf acht Stunden reduzirten Arbeitstages erklärt. Kurz, der ganze Inhalt beweist, daß der pol= nische Arbeiter den gleichen Entwicklungsgang durchgemacht hat, wie feine westeuropäischen Brüder, denn die Festschrift hätte fast unverändert in irgend einem andern Lande bei gleichem Anlaß bennzt werden können Dies scheint uns das wichtigste Merkmal der neuen geheimen polnischen Arbeiterpresse. Und wirklich ist der polnische Arbeiter, wie

*) Nachdem wir in voriger Nummer eine Zuschrift über die Mai= Demonstration in Warschau   veröffentlicht, geht uns von be währter Seite noch ein ausführlicherer Bericht zu. Wir bringen den jelben, unter Fortlassung des bereits mitgetheilten, mit Dant zum

Abdruck.

fein anderer in Rußland  , befähigt, die dem Deutschen   gut bekannten " Freiheiten" zu genießen. Wir sehen, wie die Klassenpolitik ihn mehr und mehr von dem radikalen Nachtrab der bürgerlichen Parteien trennt. Nachdem er sich von der patriotischen Bewegung losgesagt hat, von der unklaren radikalen Strömung unter der studirenden Jugend, muß er zu der Ansicht gelangen, daß er allein steht; diese Ueberzeugung wird ihn vor möglichen aber unnatürlichen Stompromissen bewahren. In den letzten sozialistischen   Prozessen figuriren fast ausschließ= lich Arbeiter; Studenten, Angehörige der befizenden Klassen, sind Ausnahmen. Vor kaum 6 Jahren war in Kongreß- Polen   das Um­gekehrte der Fall.

In der Entwicklung der Industrie weit hinter Polen   zurückstehend, war dieses Frühjahr Galizien   der Schauplatz einer regen Arbeiter= bewegung. Der Streik in Mährisch- Ostrau  , auf den der hohen Aristo­fratie gehörenden Gruben, wirfte ansteckend auf die in der Nähe g:= legenen Fabrikstädte und Bergwerke Galiziens  . So haben wir zu ver­zeichnen in Biala größere Streits in Tuchfabriken und Webereien; in Saybusch   das Gleiche verbunden mit Ruhestörungen, denen Berufung von Militär folgte; Unruhen in den Kohlengruben von Sierszy, und Streit in Jaworzno  .

In Bieliz- Biala, vielleicht der bedeutendsten Fabrikstadt Ga­ liziens  , ging es besonders bewegt zu. Straßenfämpfe zwischen den Streifenden und Militär fanden statt, in denen 17 Arbeiter erschossen wurden. Das Börsenblatt Neue Freie Presse" ließ sich zu jener Zeit telegraphiren: Die Wirkung der Mannlichergewehre hat sich an den Leichen der Opfer der Erzesse sehr deutlich gezeigt. Jn 10 obduzirten Leichen wurde feine Kugel gefunden; überall zeigte der Schußkanal eine durchgehende Kugel durch den ganzen Körper u. s. w." Mit andern Worten, das neue österreichische Gewehr hat seine erste Probe an Arbeitern bestanden. Troß dieser glänzenden Wirkung" scheint die Zukunft der Bielizer Bourgeoisie nicht gesichert, denn die Bürgerschaft hat die kompetenten Behörden um Errichtung einer ständigen Garnison gebeten. Ginstweilen wagten jedoch nach diesen Vorfällen die Fabri­fanten nicht, den Arbeitern die Feier des 1. Mai zu verbieten. Es standen alle Fabriken still. Troß dieser Zuvorkommenheit werden die durchgehenden Kugeln von der galizischen Arbeiterschaft nicht vergessen werden. Der lange niedergedrückte, in einer ähnlichen Lage wie das oberichlesische Grubenvolk sich befindende Arbeiter machte dem zurückgehaltenen Groll einmal Luft. Von der Erregung, die dort herrschte, zeugt die Thatsache, daß fünfzigprozentige Lohn= Erhöhung verlangt wurden und die Streifenden sie auch erhielten. Die Ereignisse, die ich hier in möglichster Kürze erwähne, sind um so wichtiger, als es eine solche Massenbewegung in Galizien   bisher noch nie gegeben hat.

Auch aus anderen Theilen Galiziens   liegen erfreuliche Nachrichten vor. Ju Lemberg fand am 1. Mai eine große Versammlung statt. Die neue sozialistische Robotnit" bereitete schon Monate vorher auf die Feier vor. Die Versammlung, die um 10 Uhr Morgens im Nathhaussaal anberaumt war, fand im Hofe dieses Gebändes statt, da der Saal sich als zu klein erwies, um die 3000 Versammelten zu fassen. Es wurde beschlossen, das Parlament aufzufordern, im Sinne der Ein­führung des achtstündigen Arbeitstags und des allgemeinen Stimmirechts zu wirken; ferner beschloß man, eine allgemeine Arbeiterunterstützungs­fasse zu gründen. Wie lebhaft die Betheiligung war, läßt sich daraus ermessen, daß für den Tag Patrouillendienst in den Eisenbahnwerk­stätten in der Grodefvorstadt und in Zniesienie angeordnet wurde. Nach Winnifi ging ein Bataillon ab zum Schuße" der dortigen Tabakfabrik der Negierung. Es verlautet, daß auch dort gefeiert wurde. Man er­wartete Unruhen; aber Nichts von alledem erfolgte, die Feier nahm einen ruhigen Verlauf. In Krakau   fand ebenfalls eine zahlreich besuchte Versammlung statt, die entsprechende Beschlüsse faßte.

Sehr bescheidene Dimensionen nahm die Feier endlich in der Pro= vinz Posen an.

Und nun ein Wort über das Verhalten der revolutionär sein wol­lender Patrioten, die den Arbeitern das Glück vormalen, das ihnen aus dem Vaterlande unter einer einzigen Bourgeoistnute ersprießen soll. Der schwache Anhang dieser opportunistischen Voltsbeglücker rieth von der Feier ab, forderte aber zur Betheiligung an der Feier des 3. Wai auf, an dem vor 99 Jahren der polnische Adel sich eine Verfassung gab. In dieser hatte derselbe nämlich den Bauern einige Zugeständ­nisse gemacht, so z. B. den Eintritt in den Adelsstand erleichtert. Es schwebte diesen Herrn zu der Zeit, in der Frankreich   die Adelsvorrechte aufhob, der Gedanke vor, durch die Verfassung großmüthig, aber all­mälig das ganze Volk in den Adelsstand zu erheben. Sie garantirten sich natürlich alle Privilegien, und die schöne Konstitution trat gar nicht in's Leben. Zur Feier eines solchen Gedenktags war der Ar­beiter nicht zu bewegen. Kaiserl. königl. polnische Beamte sammt dem frommen gedankenlosen Publikum ging an diesem Tage in die Kirche. Ihnen schloß sich der Theil der studirenden Jugend an, der, immer unter falscher Flagge schwimmend, bald fleinbürgerliche Reformversuche austrebt, bald als Sozialist sich benimmt, im Grunde aber nur den Beweis liefert, daß es der polnischen Bourgeoisie gutgeht und sie darum übermüthig zu werden anfängt. Robotnik" und" Praca  ", die zwei sozialistischen Blätter Galiziens  , bekämpften die patriotische Propaganda heftig; der denkende Arbeiter versagte ihr die Betheiligung. In Russisch­Polen waren die Patrioten weniger rührig. Die russische   Regierung fofettirt nämlich nicht mit ihnen wie die österreichische, sondern steckt fie hinter Schloß und Niegel. Dies ist so verständlich für die Pa­trioten, daß sie weniger an die Feier dachten; statt großsprecherischen Uebermuths philosophisches Schweigen. A. M.

Die skandinavische Frauenbewegung und ihr Ausgang.

II.

P. E. Wichtig für die Erkenntniß des Umschwunges ist das Studium dreier Personen: Friedrich Nietzsche  , Georg Brandes   und August Strind­ berg  .

Friedrich Nietzsche  , ein Deutscher, Profeffor in der Schweiz  , seit etwa einem Jahr geistig erkrankt, ist ein sehr interessanter und eigenthümlicher Vertreter der bürgerlichen Dekadenzphilosophie, in der Art etwas Aehn­liches wie Schopenhauer  . Er ist Gegner der spießbürgerlich humanen demokratischen Phrase und Vorfämpfer der brutalen Herrschaftsgelüfte der Großbourgeoisie. Da seine Gedanken dadurch in gewisser Weise der wirklichen geschichtlichen Entwicklung parallel find, ihr nicht zuwider­laufen, wie die Ideale des absterbenden Spießbürgerthums, so bleiben sie stets mit den realen Thatsachen in Stonner, trotz alles Schielenden und Schiefen, das ihnen nothwendig anhängt.

Nietzsche   hat großen Einfluß auf Georg Brandes   ausgeübt. Brandes ist eine Figur, wie sie eben nur in den kleinen Staaten des Nordens entstehen konnte. Er spielt die Rolle, die bei uns Männer wie Gottsched  , Goethe, Hegel gespielt haben. Er ist der Denker der standinavischen Völfer; an seinem Munde hängt der ganze Norden. Wie er zu dieser Stellung gekommen ist, bleibt ein Räthsel; denn er ist entschieden einer der größten Gjel, welche je existirt haben. Aber vielleicht wünscht ihn gerade deshalb das Spießbürgerthum als geistigen Führer. Seinen Einfluß fann man sich nicht übertrieben genug vor= stellen. Als durch die Zeitungen die Nachricht ging, daß die viel genannte Madame Tschebrifowa mit seiner Hülfe Rußland   eine Verfassung ver= schaffen wolle, haben wohl die Meisten an der Wahrheit dieser Notiz gezweifelt. Aber sie ist wahr. Wir persönlich hat ein Pole einen ganz ähnlichen Plan erzählt: mit der Hülfe von Brandes Polen zu befreien.

Früher war Brandes Demokrat, echt vom Scheitel bis zur Sohle schwärmte er für alle Ideen des radikalen Spießbürgerthums, blies er in das allgemeine Horn. Aber wie Jvien, hatte auch er eine feine Witterung; als er den Umschwung merfte, begann er Nietzsche   zu lesen, und schlug auch um; er wurde jezt ein Aristokrat; ein Aristokrat des Geistes". Jegt verachtete er die demokratische Krapile, die seichten demo­fratischen Theorien, framte er mit den tiefsinnigsten Redensarten aus Niebiche.

Das Bürgerthum folgte seinem Leithammel, oder besser gesagt, es folgte der neuen Witterung, die der Leithammel frühzeitig genug be= kommen hatte. Die Komödie dieser Bekehrung ist wirklich zu kostbar; sie verdient, daß man sie in den Akten studirt.

Natürlich hatten die armen Weiber jetzt sehr zu leiden, und je opti= mistischer man sie gestern betrachtet hatte, desto pessimistischer betrachtete

man sie hente; je mehr man sich von der Frauenbewegung verfprocher hatte, je eifriger man für sie eingetreten war, desto mehr veripottete und verhöhnte man sie jetzt.

Der Dichter dieser Phase in der Frauenbewegung ist August Strind­ berg  .

Man muß Strindberg, troßdem er sich jetzt auch zum Nietzschefultus bekennt, nicht etwa mit einem Brandes zusammenwerfen. Schon ehe man im Norden etwas von Nietzsche   wußte, hat er seine Gedanken ge­habt; und als die Frauenbewegung noch auf ihrer Höhe war, hat er fie schon befämpft und verhöhnt. Strindberg ist eine scharfe, energische denktüchtige Natur, von der Halbheit und dem Phrasenthum der Spieß­bürgerei angeekelt. Er hat selbständig die Narrheit und Thorheit der Kleinbürgerbewegung eingesehen und gegen sie protestirt; freilich nicht vom proletarischen Standpunkte aus, wie man das ja auch nicht ver= langen kann, sondern wieder vom bürgerlichen. Seine Seritif war dem­gemäß nur negativ; mehr fann er nicht als Bürger; aber auch das hat seinen Werth, wenn er die Phraseologie in ihrer ganzen Dummheit aufdeckt.

Der bürgerliche Radikalismus in der Frauenfrage, kritisirt von einem Bürger! Die Stritif soll die Thorheit der bürgerlichen Emanzipations­bestrebungen nachweisen. Aber wie? In Wirklichkeit sind diese Be­strebungen thöricht, weil sie außer Zusammenhang stehen mit der öfo­nomischen Entwicklung. Diese Einsicht kann der bürgerliche Kritifer jener Theorien nicht haben; von der Seite der ökonomischen Entwick lung her fann er die Sache nicht angreifen; denn diese ist ihm selbst unflar. Seine Kritik muß von einem andern Standpunkt ausgehen, natürlich von einem unrichtigen, da jenes der einzig richtige ist.

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Der Standpunft, welcher sich dem Bürger von selbst darbietet, ist der des Natürlichen. Von der Seite der Natur" her ist er ja lange gewohnt, zu kritisiren, die überkommene Ideologie der vorigen Klasse hat er von hier aus betrachtet; die Theologie, die Jurisprudenz, die Defonomie, alle Wissenschaften hat er gegen die Natur" gehalten; mit Hülfe der natürlichen Theologie hat er die letzten Reste der feudalen Neligion vernichtet, mit Hülfe des Naturrechts die letzten Reste des feudalen Rechtes. Und trotz aller Behauptungen, daß die Kategorie von Natur" nicht mehr in seiner Wissenschaft vorkomme verkappt findet sie sich überall noch.

So wird auch die Frauenbewegung kritisirt mit der Kategorie von Natur". Es wird nachgewiesen, daß die Frauenbewegung unsinnig ist, weil sie dem natürlichen, durch die Geschlechtsverhältnisse bedingten Cha­rafter der Weiber widerspreche.

Wie für den Kritiker der natürliche Charakter der Weiber zu Stande fommt, ist flar: wie alles Natürliche" zu Stande kommit, durch Ab­straktion aus den jedesmal herrschenden Zuständen. Der natürliche Charakter der Weiber" ist nichts als ein anderer Name für den Cha­ratter des modernen Bourgeoisweibes".

Dadurch kommt es, daß troß des Grundfehlers, der in dem Bour­geoischarakter des Kritikers begründet ist, trotz der Grundfehler der Phrase von der Natur, die Kritik doch richtig bleibt. Es ist eben eine richtige Sache unter einem falschen Namen gegeben. Strindberg friti­firt in Wirklichkeit so:" Die Emanzipationsbestrebungen sind unrichtig, weil ihnen der Charakter der Bourgeoisweiber widerspricht." Sest man nun noch hinzu: Der Charakter der Bourgeoisweiber widerspricht ihnen aber, weil er durch ganz andere ökonomische Verhältnisse bedingt wird, wie jene soziologischen Phantasten glauben so hat man eine Kritit, die völlig unanfechtbar ist, und der nur eins fehlt, was aller­dings nur der Sozialdemokrat, der Proletarier bieten fönnte, nämlich der Ausblick auf das Weitere, die positive Seite, die Richtigstellung.

Wenn man von diesem Gesichtspunkte aus die Thätigkeit Strindbergs betrachtet, so wird man ihn zwanglos in die Folge der zeitigen Schrift­steller Skandinaviens   einreihen fönnen.

Strindberg, um dies nebenbei zur Charakteristik des Dichters zu be merken, ist fein Genie erster Größe; immerhin ist er ästhetisch wohl höher zu stellen, wie Ibsen   und Björnson; da sein Blick nicht durch die Phrasen getrübt ist, so sieht er viel flarer und wahrer; seine Widergabe ist sehr scarf und entschieden, geschieht freilich oft durch unkünstlerische Mittel. Er trägt ästhetisch radikale Allüren zur Schau, ohne indessen neue fünstlerische Formen zu finden. Jedenfalls eine ästhetisch sehr sympathische Erscheinung. Ein tüchtiger Arbeiter. Er nimmt es ernst mit der Kunſt.

Aus der großen Anzahlseiner Werfe, welche hierhergehören, will ich nur einige herausgreifen.

A Seine Novelle" Der Lohn der Tugend" richtet sich gegen die spieß­bürgerlichen Sittlichkeitsbestrebungen. In der Sittlichkeit" hat das Spießbürgerthum nämlich ein Mittel gefunden, um die Prostitution und was damit zusammenhängt, zu vernichten. Die jungen Männer sollen bis zum fünfundzwanzigsten Jahre feusch bleiben und dann sollen sie heirathen. Unmöglich natürlich aus physischen und sozialen Gründen. Strindberg zeigt die Unmöglichkeit aus physischen Gründen; sein Held folgt den Lehren der Sittlichkeitsapostel und wird infolge seiner ge= schlechtlichen Enthaltsamkeit frank und siech, so daß er eines frühzeitigen Todes stirbt, während sein lustiger, unmoralischer Bruder, der alle Bordelle besucht, munter und gesund bleibt, sich glücklich verheirathet und sechs gesunde Kinder zeugt.

Man kann die Moral dieser Geschichte zynisch nennen, vorzüglich, wenn man sich noch nicht ganz von der spießbürgerlichen Sentimenta­lität frei gemacht hat. Allein das ist die oral des wirklichen Lebens, mag das ja allerdings zynisch sein. Es läßt sich weiter nichts sagen, als: es ist so. Die Björnson und Ibsen   haben dieses es ist so" mit ihrem Idealismus verfleistert; nach dem Umschwung macht sich die Wirklichkeit schonungslos in dem Bewußtsein der Menschen geltend. Daß Strindberg nur das es ist so" gibt, daß er nicht sagt, aber so wird es sein", kann man ihm nicht zum Vorwurf machen. Er ist eben Bourgeois.

Durch seine ganze schriftstellerische Thätigkeit zieht sich der Kampf gegen die Ibsen  'sche Phrase; und überall, wo er Weiber zu schildern hat, schildert er sie, wie sie sind, dumm, hysterisch, eitel, findisch, grau­fam, launenhaft, phantasielos, schlecht. In dem Trauerspiel Der Vater" bringt das Weib den Mann zum Wahnsinn durch ihre unbarm­herzigen, tückischen Machinationen; in dem Trauerspiel, Fräulein Julie  " wird das Weib in ihrer ganzen Gedankenlosigkeit, Feigheit, Schwäche und Dummbeit geschildert; in der Novelle Ein Puppenheim  " wird die Emanzipationsphrase mit föstlichem Humor zu nichte gemacht durch das Wachrufen der wirklichen Instinkte des Weibes. Und so fort.

Den Fehler in seinem Gedankengang muß man sich freilich immer vorhalten die unrichtige Verallgemeinerung des bürgerlichen Weibes als Weib überhaupt. Man darf nie vergessen, daß infolge dieser Fehler Strindberg   als entschiedenster Gegner des menschlichen Fortschrittes überhaupt betrachtet werden muß, als ein Reaktionär, um so gefähr= licher, je geistreicher und bedentender er ist; ein Reaktionär, wie Jeder, der von natürlichen" Eigenschaften der Menschen spricht. Der Mensch ist nicht ein Ding, sondern der Ausdruck eines Verhältnisses, das sich jede Minute ändert; und deshalb gibt es nicht den Menschen" und den natürlichen Menschen", es gibt nur den modernen Bourgeois, den modernen Proletarier, den Bourgeois von vor zwanzig Jahren, und so fort.

Mit Strindberg ist die bürgerliche Frauenemanzipation glücklich bei ihrem Gegentheil angelangt. Sie ging aus von einer optimistischen Idealisirung des bürgerlichen Weibes, und endete mit dem denkbarsten Pessimismus. Sie ging aus von der Idee, vermittelst der Emanzipa­tion der Bourgeoisweiber die ganze Gesellschaft umzukehren, und sie endete damit, daß sie die gegenwärtige Form als die natürliche" in alle Ewigkeiten etabliren will. Es ist jetzt gründlich zu Ende.

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ww w

Sozialpolitische Rundschau.

London  , 28. Mai 1890.

Aus Deutschland   wird uns geschrieben: Auflösung und Spaltung" oder Spaltung und Auf­lösung", je nachdem der Unglücksprophet mehr oder weniger logische Meihenfolge beobachtete, wurde der Sozialdemokratie dieses Frühjahr nach ihrem gewaltigen Wahlsiege von all ihren altweiberlichen Feinden männlichen, weiblichen und sächlichen Geschlechts- das lettere ist in der politischen Welt Deutschlands   gauz besonders zahlreich vertreten