verdankt die Regierung das schauberhafte" Resultat der letzten Reichs­

vom großen Bismarck an der Nase herum und zur Wahlurne geführt wurde, in welch' geradezu gemeiner Weise der große Staatsmann dem Volfe die Lügen des Kriegsrummels aufgebunden hatte. So erzog sich die Regierung selbst ihre Wähler. Und wie ganz Deutschland über­haupt nur eine einzige große Pflanzschule der Sozialdemokratie bildet, in welcher Regierung und Polizei die Professoren spielen, und von welcher Preußen gleichsam die beste klasse mit den besten Professoren darstellt, davon sei es uns gestattet, hier einige der Wirklichkeit ent­nommene Episodeit zu erzählen.

der Korrespondenz meinte man. Weit wahrscheinlicher, als daß die französische Polizei durch Experimente in Naincy auf das verbreche- tagswahlen. Der deutsche Michel hatte nicht vergessen, wie er 1887 rische Treiben" der Verschwörer aufmerksam gemacht wurde, ist, daß das russische internationale Spielthum, mit der russischen Botschaft an der Spize, der französischen Regierung einen Wint gegeben, auf welche Weise fie sich beim Väterchen" beson­ders beliebt machen könne. Die Vermuthung wird dadurch bestätigt, daß die französische Polizei besser unterrichtet über Personalien und Antezedenzien der verhafteten Personen war, als deren Kameraden. Sie wußte von jebem Einzelnen, wie dessen wahrer Name lautete, ob und weshalb er schon in Rußland verurtheilt worden 2c. Ganz besonders aber spricht die Thatsache für die oben erwähnte Vermuthung, daß die Polizei eine ganze Reihe von Personen behaussuchte oder verhaftete und sämmtliche in deren Wohnungen vorgefundenen Briefe, Dokumente, Bro­schüren tonfiszirte, obgleich bei den Betreffenden keine Spur von Dynamit 2c. vorhanden war, ja dieselben absolut keine Beziehungen mit den Personen unterhielten, bei denent man Sprengstoffe gefunden haben will. So hat man z. B. bei P. Lawroff gehaussucht, bei Serebriafoff alle Papiere weggeschleppt, troßden die peinlichsten Untersuchungen nichts Verdächtiges ergeben hatten. Ferner sind, die beiden polnischen Genossen Mendelssohn und Dembski verhaftet und ihre Papiere foufis­zirt worden, obgleich die Haussuchung nach verdächtigen Stoffen resultattos geblieben. Durchaus ungerechtfertigt iſt auch die Verhaftung des Fräulein Fedorowa( Krapolina genannt), welche feinerlei Beziehungen mit Reinstein, Stepanoff 2c. hatte, in deren Woh­mung außer Antipyrin und Chinapulver Nichts entdeckt ward. Ihr einziges Verbrechen besteht darin, daß sie mit Reinstein und dessen Fran zusammen eine größere Wohnung inne hatte.*) Da aber Frl. Fedo­rowa bereits in diußland in einen politischen Prozeß verwickelt gewesen, auch bereits 3 Jahre Gefängniß verbüßt hatte und zu 8 Jahren Zwangs= arbeit in Sibirien verurtheilt worden, aber auf dem Transport ent= tommen war, wähnte man, interessante Korrespondenzen bei ihr zu finden. Frl. Fedorowa lernte das Holzschneiden, sie hatte angefangen, sich eine bescheidene Existenz zu gründen und lebte durchaus zurück­gezogen, ohne Beziehungen mit den fämpfenden Revolutionären. Schuld los verhaftet ist wahrscheinlich auch die Studentin der Medizin, Frl. Bromberg, die ganz außerhalb der revolutionären Welt stand und jedenfalls mit Recht behauptet, die Stifte mit Bomben, die man bei ihr gefunden, von einem Unbekannten erhalten zu haben. Die Behauptung hat nichts unwahrscheinliches, wenn man weiß, wie oft es vorkommt, daß russische Studenten, die ihre Wohnungen oft wechseln, Leuten, die fie fanm gesehen, Kisten mi Büchern 2c. zur zeitweiligen Aufbewahrung

anvertrauen.

Noch weiß man nicht, wie die Anflage lauten wird, aber sicher ist, daß die verhafteten und behaussuchten Personen, sogar wenn ihnen kein Verstoß gegen das französische Gesetzbuch nachgewiesen werden tanu, aus Frankreich ausgewiesen und dadurch materiell schwer geschädigt werden. Denen, die bis fezt legal" waren, wird infolge des auf ihnen lastenden Verdachts die Rückkehr nach Rußland unmöglich gemacht. Die schlimmsten Folgen jedoch dürften die in Rußland lebenden Korre= spondenten der betreffenden Revolutionäre zu gewärtigen haben. Poli­zeiliche Ueberwachung, administrative Verschickung nach Sibirien , Zwangs­arbeit und ähnliche Errungenschaften der kunfischen Kultur warten ihrer. Ueberaus schmachvoll ist die Haltung der französischen Presse, etliche radikale Blätter, wie Bataille, Lanterne, Justice, ausgenommen. Dieselbe wälzt sich in hysterischen Krämpfen aus Frende, daß es der französischen Polizei gelungen, dem natürlichen Verbündeten der Ne­publik", dem 3aren, einen Liebesdienst zu erweisen, daß es dem fran­zöfifchen Büttelthum gehungen, das deutsche im Steeplechase des Buh­lens um die Zarengunst um eine Nasenlänge zu schlagen.urdf Ueber die Absichten 2c. der russischen Revolutionäre werden die abentheuerlichsten Nachrichten folportirt, deren geheime Quelle die rus­sische Botschaft bildet. So heißt es z. B. in einem Artikel des ,, Gaulois", die Bomben seien nicht für Nußland, sondern für Paris (!) bestimmt gewesen, die russischen Revolutionäre hätten mittels ihrer die Manifestation des 1. Mai fortseßen wollen 2e. In Fontenay- aux­Roses, wo Mendelsohn wohnte, hat man das Gerücht ausgesprengt, Dieser sei ein preußischer Militärspion, der allabendlich die Forts zeichnete. Die Folge davon ist, daß Frau Mendelsohn Abends die Fenster eingeworfen werden 2c. Sturz, die russische Botschaft arbeitet durch ihre niederen Informationsspigel und durch ihre höheren jour nalistischen Kosacken, gegen die Verhafteten Stimmung zu machen. Den gleichen Zweck verfolgen angebliche Telegramme über Manifestationen der russischen Bevölkerung, um der franzöfifchen Regierung für ihre be­wiesene Billigkeit zu danken. Das Gößenbild der französisch- russischen Allianz wird mit allen erdenklichen Lügen und Gerüchten gefüttert, unt zu bewirken, daß das französische Volk der Vergewaltigung des Asyl­rechts zu Gunsten der russischen Regierung ruhig zusieht. Uebrigens wird es mit Maßregelung der russischen Revolutionäre nicht sein Bewenden haben. Die angebliche oder wirkliche Fabrikation von Dynamitbomben muß den Vorwand liefern, um den Streuzzug gegen die in Frankreich lebenden Sozialisten zu inszeniren, den der schneidige" Constans schon vor Wochen angekündigt. Die große französische Bourgeoisrepublik darf sich doch von der kleinen Schweizerrepublik nicht beschämen lassen. Ein zufälliges Ereigniß muß als Feigenblatt für die Neaktion dienen, die ficher auch feigenblattlos gekommen wäre.id W. R. S.nl

Die preußisch- deutsche Erziehungsanstalt für Sozialdemokraten.

Brasilien , Ende April 1890. Vor einiger Zeit brachte ein brasilianisches Blatt, O Estado de Sao Paulo", unter dem Titel Die sozialistische Propaganda", einen Artikel, der so ziemlich die Ansichten über die thums der sozialistischen Bartel in Deutschland lachen des Wachs­

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der enormen zu­nahme der sozialistischen Wahlstimmen wiedergibt, wie sie deutsche Ne­gierungs- und Polizeifreise zu ihrem eigenen Schaden hegen. Es heißt da: Ja, die Hauptsache wird in Vereinen" gemacht. Man gibt vor, im Vereine" Bier zu trinken und zu rauchen, im Grunde ge= nommen dient aber dieser Vorwand nur zur Verheimlichung des wahren Zweckes, nämlich jedem neu Eintretenden allmählig die Sozialdemo fratie" beizubringen. Die Polizei fann natürlich nicht auf jedes ein­zelne Vereinchen" aufpassen, und so ist es selbstverständlich den Sozial­demokraten leicht, immer frischen Zuwachs zu züchten". Jawohl, das könnte so sein! Wieviele Leute aber auf ganz anderem Wege wirk­lich überzeugungstreue Sozialdemokraten geworden sind und werden, wissen leider die preußisch deutschen Sicherheits­wächter" nicht. Daß die korrumpirte Staats- und Polizeiwirthschaft selbst massenhaft Sozialisten erzieht, glauben die staatserhaltenden" Größen Deutschlands nicht, weil sie selbständiges Denten selbst niemals gelernt oder es sich im Schweifwedlerdienst wieder abgewöhnt haben und das Gleiche auch bei ihren Nebenmenschen vorausseßen. Daß ein brasilianisches Blatt der Ansicht ist oder die Ansicht in einer Uebersetzung reproduzirt, daß in Deutschland allen Sozialdemokraten ihre Tendenzen erst von den Führern oder Verführern" wie Schul­buben beigebracht und aufgehängt werden, können wir ihm keineswegs übel nehmen; denn in Brasilien pflegen sich bekanntlich über 90 Pro­zent des Volkes weder mit Lesen und Schreiben, noch mit Kaiserthum und Republik , noch mit anderen politischen oder sozialen Fragen zu be= faffen. Sie hören einfach, was der Pfaffe von der Kanzel sagt. Wenn Dagegen dem deutschen Proletarier" alljährlich der Steuerzettel in die Hand gedrückt wird, so hat er schon Veranlassung genug, Lesen, Schreiben Rechnen und Nachdenken" zu lernen. Und aus eben diesem Nachdenken ergeben sich dann ganz von selbst für jeden Einzelnen gefährliche sozialistische Ideen"; er bringt die Leiteren schon fix und fertig mit in die Vereine" und hat in der Regel nur die Freude, im Vereine Leute zu finden, welche seine subjektiven Anschauungen bereits ganz zu den ihrigen gemacht haben. Schade, daß der große" Bis­march nicht noch vor seinem Abgange dem Volke der Denker" das Denken überhaupt fontmißmäßig verbieten konnte!

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Nicht den Vereinen, sondern dem Nachdenken" des deutschen Michels *) Es ist hier unter den Russen üblich, zu ziveien oder dreien größere Wohnungen zu miethen, da dieselben relativ billiger sind als einzelne Zimmer. dguns and

Unter unseren Bekannten befizen wir einen Freund, der die Ehre" hatte, im preußischen Staatseisenbahndienst seine Karriere als Sub­alternbeamter zu beginnen. Daß diese Subalternen fich den stolzen Titel Staatsbeamter" beilegen dürfen, im Uebrigen aber noch unter dem Lohn- Proletarier stehen, sollte er bald erfahren. Bek einem Ge­halt von 54, 60, 75, 100 und 125 Mart pro Monat dürfen diese " Staats- Proletarier" täglich 10, 12 und 15 Stunden zur Tages- oder Nachtzeit mit der Feder arbeiten. Doch halt, bis vor kurzer Zeit er­hielten sie zu Weihnachten eine Extra= Remuneration von ganzen 10 bis 15 Reichsmart, während die Herren Assessoren, Regierungs- und Bauräthe z. B. an der Direktion ihr ungeheures( 1) Arbeitspensum täglich von halb 11 bis 12 Uhr und von 4 bis 6 Uhr erledigen, dafür aber auch zu Weihnachten nur 300, 500 und 600 Mark für hervor­ragende Leistungen befamen. Hatte der Staatsproletarier wohlgewogene Vorgefeßte, so konnte es ihm passirent, daß ihm monatlich noch 5 bis 6 Mark von seinem Hungerlohne für Ordnungsstrafen gekürzt wurden, und wenn er an der Unordnung" so wenig Schuld trug wie ein neu= gebornes Kind. Führte er Beschwerde etwa bei der Direktion, so fand diese natürlich( militärisch!) teine Veranlassung, die Strafverfügung der Unter- Instanz aufzuheben. Ja, in einem derartigen Falle mußte ein Bestrafter von einem Direktionsbeamten sogar die Worte hören: " Ja, wissen Sie, eigentlich sind Sie ja unschuldig; das sieht auch die Direktion ein, aber die Disziplin leidet doch nicht, daß wir Ihren nächsten Vorgesetzten Unrecht geben!" Also mit Gott für König und Disziplin, und wenn der Staatsproletarier" sammt Weib und Kind verhungert!

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Im Jahre 1884 hielt Liebknecht in Offenbach a. M. eine Wahlver­fammlung ab, und unser Freund drückte sich als" Staatsproletarier" ingenirt als Zuhörer unter die Fabrits- Proletarier". Als er aber zufällig nach einer im Saale befindlichen Gallerie blickte, gewahrte er zu seinem Entfezen 15 bis 20 ihm persönlich bekannte Subalternbe amte der Frankfurter königlichen Eisenbahndirektion, welche den Worten des umstürzterischen Demagogen" Tauschten, froßdem Einige von ihnen fogar 3000 oder 3600 Mart jährliches Gehalt bezogeit. Sie alle er­flärten später beim Glase Bier, ganz bestimmt auch einen Kandidaten wählen zu wollen, der der Regierung recht angenehm(!) sei die Weihnachtsremunerationen für die Herren Oberbeamten noch etwas er­höhen und dem Herrn Eisenbahnminister noch etwas mehr Ueberschüsse erzieleit helfen würde. Einem sozialdemokratischen Verein gehörte Keiner dieser Beamten" an, und doch fanden sie den Weg zu Liebknecht und hoffentlich auch einen entsprechenden Kandidaten zur Wahl! Wie viele von den übrigen Beamten der Direktion mögen aber auch dieſen Kandidaten gefunden und gewählt haben, die sich noch mit Rücksicht auf ihr bischen tägliches Brod scheuten, einer öffentlichen sozialistischen Wahlversammlung beizuwohnen? Da laufen sich die Polizeibüttel die Füße wund um sozialistische Proletarier, und der Staat hat fie legionen­weise in seinen eigenen Bureau's fizen! Wie kommt das, weise Staats­fenter?

Wer wählt z. B. gerade in Frankfurt a. M. den sozialdemokratischen Kandidaten? Frankfurt ist in erster Reihe Handelsplay. Der Fabrik­Proletarier sind da weniger als der gebildeten Proletarier", wie der vormalige eiserne Stanzler fie nennt. Diese gebildeten Proletarier find zum vorwiegenden Theil Handlungsgehilfen bei selbstredend na= tionalliberalen Großhändlern, die bekanntlich von der Regierung die nöthige Unterstützung bei ihrer blutsaugerischen Ausbeutung der Ar­beitskräfte erwarten. Kommis mit 45, 50 und 60 Mart monatlichem Salair und täglich 15-16stündiger Arbeitszeit sind in Frankfurt wie im übrigen Deutschland längst keine Seltenheit mehr; selbst in Ge­schäften mit einem jährlichen Reingewinn von 50,000 Mart. Wenn da drei Kommis dem Herrn Prinzipal, der oft dümmer ist, als der eben eingetretene Handelslehrling, die Arbeit besorgen, erhalten fie jährlich zusammen 3000 Mark, und 47,000 Mart steckt der Herr Prin­zipal in die Tasche; es ist ja fein Geschäft und sein Kapital, welches das Geld verdient". So gerecht, anzuerkennen, daß der Gewinn we­sentlich auch der Intelligenz und Thätigkeit der armen Gehilfen zuzu­schreiben ist, sind Wenige der nationalliberalen Geldprozen. Die fai­ſerlich königliche Staatsregierung zeigt es ihnen ia auch am Besten, wie's gemacht wird! Fragt die Steuerkommission den Herrn Prinzipal, wieviel Salair der Kommis erhalte, so erhält sie genaue Auskunft, und der hungernde Kommis zahlt seine Abgaben danach für Heller und Pfennig. Wird dagegen der Herr Prinzipal nach seinem eigenen Einkommen gefragt, so macht es fa nichts, wenn er 10 bis 20,000 Mart weniger deklarirt und die Staatskaffe um die betreffende Steuer auf Kosten der Arbeiter-, Gelehrten- und Staats- Proletarier betrügt. Ohne Mitglied von Vereinen zu sein, weiß da jeder gebildete Proletarier, wem er bei der Wahl seine Stimme zu geben hat. Es wäre stark, ihm zumuthen zu wollen, etwa einen Kartellbruder zu seiner Interessenvertretung zn berufen. Immer wieder zeigt die famose Staats­wirthschaft selbst dem Nachdenkenden den Weg auf dem er Sozial­

ebenfalls nicht, welcher obendrein in der unverschämtesten Weise den armen Bauer mit weiteren Schritten gegen ihn selbst bedrohte, wenn er dem Herrn Bürgermeister" Derartiges nachsage! Der Justizminister endlich sagte, er fönne der Oberstaatsanwaltschaft gegenüber weiter nichts thin! Noch heute spielt der meineidige Schuft preußischer Bürgermeister! Schöne Zustände in einem Rechtsstaate"! Solche Leistungen bringen der Herr Staatsanwalt in Hanan und der Herr Oberstaatsanwalt in Staffel fertig, wenn es sich um Einen aus ihrer Krähenfamilie" handelt. Ein gelungenes Gegen ftück in der That, zu der Entrüstung, welche gewisse Reichstagsmit­glieder in Bezug auf die angebliche Verherrlichung des Mein­eides durch Sozialdemokraten an den Tag legten! Wen soll der tyrannisirte Staatsbürger wählen, wenn nicht einen Mann, der feit entschlossen ist, mit Zuständen und Personen, wie die eben geschilderten, ganz gründlich aufzuräumen? Wer erzieht also die gefürchteten Sozial­Demokraten? Die Herren Staatsanwälte und Genossen selbst, sie, die mit meineidigen Bürgermeistern und aller Moral baren Polizei­bütteln die Stützen" der jezigen Tyrannenwirthschaft ansmachen.

Betrachten wir uns auch einen Polizeibüttel, d. h. einen würdigen Gehilfen der Staatsanwaltschaft. In einer Stadt des Regierungsbe zirks Staffel führte der Polizeibüttel Lehmann Jahre hindurch ein Leben wie Gott in Frankreich ". Der Dienst war so wenig anstrengend, daß er mehr Zeit, als eigentlich nöthig, auf seine leibliche Pflege verwenden konnte. Bäcker, Metzger und Wirthe wissen davon ein Lied zu singen; denn im Punkte des Bezahlens nahm es Lehmann nicht sehr genau, konnte er doch die Geschäftsleute leicht seine Macht durch allerlei Chi­fanen in ihrem Gewerbebetrieb u. dgl. fühlen lassen. Preußische Po­lizeibüttel wiffen ja, wie's gemacht wird, um sich nicht etwa" Naub und Erpressung" zu Schulden kommen zu lassen! Als Lehmann bei einem Wirth einen kleinen Pump von baaren 300 Reichsmark ver­suchte, mißlang diefer, und bald darauf sahen sich Wirth und Stanim gäfte mit einent Strafverfahren wegen Hazardspieles" beglückt. Unser Lehmann war Denunziant. Durch die Zeugenvernehmung fonnte der Gerichtshof nur fonstatiren, daß allerdings startenspiele in des Wirthes Lokal gespielt worden waren, und daß zuweilen auch ein Spieler selbst­verständlich 20, 30 oder 50 Neichspfennige gewonnen oder verloren habe. Ein Hazardspiel vermochte das aber selbst der dem Staatsanwalt stets sehr willfährige Richter nicht zu nennen, und es mußte Freisprech= ung erfolgen.( Die Roften trug, wie immer die Staatstasse, richtiger die Steuerzahler.) Nun tommt das Beste! Provozirt durch diese Nichtswürdigkeit des Polizeibüttels wandte sich Giner der falsch An­geschuldigten mit einer objektiv und höflich gehaltenen Eingabe an den Vorgesetzten des Büttels, den Königlich Preußischen Landrath zu Fulda natürlich Einer der Edelſten der Nation" indem er diesem über das Betragen dieses ihm untergeordneten Schußmanns Aufklärung, gab und ihm weitere Schritte anheimftellte. Der würdige Schutzmann treibe fich, statt seinen Dienst zu versehen, tagelang in Wirthshäusern umber, verweile troz Feierabendstunde, bis in die tiefe Nacht hinein darin, um zu singen und zu standaliren, sei schon verschiedentlich total be­frunken auf offener Straße gesehen worden, führe in Wirthschaffen öffentlich unfittliche Neben, habe sich Stellnerinnen gegenüber gewiffe Griffe" erlaubt und sei von einer solchen deshalb einmal in öffente lichem Lokal geohrfeigt worden u. f. 10. furz ein netter Hüter des Gesetzes". Beugen waren für alle Behauptungen angegeben; statt daß aber der Herr Landrath eine Untersuchung für der Mühe werth hielt, kam der Herr Staatsanwalt sofort mit einer Beleidigungs­Stage, sogar gegen den erwähnten Wirth, welcher die Eine gabe des Anderen blos im Vorübergehen in den Briefkasten des Landrathsamtes geworfen hatte. Troß aller Zengenaussagen verurtheilte der würdige Schöffenrichter ( viele beisigende Schöffen verzichten ja gerne von vornherein auf eine selbständige Meinung 1) die Beiden zu einer Geldstrafe von je 20 Mart wegen Beleidigung" des Musterexemplares von Polizeibüttel. Von Rechts wegen. Wo bleibt da die Verfassung, welche dem Staatsbürger dieses Recht gewährleistet, und welche vom Staatsoberhaupte be= schworen ist?( Man denkt da unwillkürlich wieder an die Ver­herrlichung des Meineides".) Man muthet offenbar dem deutschen Michel zu, den Schlechtigkeiten eines gefunfenen Polizeibüttels, zu bessen Unterhalt er Steuern zahlt, schweigend zusehen zu müssen! Wundert man sich da immer noch, wenn Staatsoberhaupt und das forrupte Me gierungssystem sich schließlich einer radikalen Opposition gegenüber sehen, der sie ohnmächtig unterliegen müssen? Gerade diese Verhöhnungen des gefunden Menschenverstandes und der Gerechtigkeit bringen den denken­Sen, ehrlichen Menschen zur Erkenntniß, daß eine radikale Umgestaltung, wie sie der Sozialismus erstrebt, allein alle diese Uebelstände ver­schwinden lassen kann. Fälle, wie die von uns erzählten, kommen tagtäglich im Reiche der Gottesfurcht und frommen Sitte vor. Hun derte und Tausende von Bürgern können davon erzählen, und so lange es so bleibt, wird( ganz abgesehen von volkswirthschaftlichen Fragen) der sozialistische Stimmenzuwachs fortdauern, ohne daß die Volts­Demagogen" überhaupt nur den Mund aufzuthun brauchten; denn die Propaganda macht das herrschende Regierungssystem in seiner Nichts­würdigkeit selbst, es macht Deutschland zu einer ausgezeichneten Erzieh­ungsanstalt für Sozialdemokraten, in der es sich seine dereinstigen Tobtengräber erzieht! diur witn Populus.

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demokrat" wird, ja sie brängt ihn förmlich auf diesen Weg. Sozialpolitische Rundschau.

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Auf der Eisenbahnstation Barmen- Rittershausen war noch vor wenigen Jahren ein armer Strüppel mit nur einem Arme zu sehen, den Andern hatte er bei einem Unfalle im Eisenbahndienste verloren. Die könig­liche" Verwaltung beauftragte ihn n. A. mit der Arbeit, von den ent­ladenen Güterwagen die alten Beklebezettel zu entfernen und zahlte ihm einen Tagelohn von sage und schreibe Neunzig Reichs pfennig". Auf diese Weise hatte die schlaue Verwaltung gleichzeitig etwaige Haftansprüche von sich abzuhalten gewußt. Eines Tages über­sah der arme Teufel, einen alten Beklebezettel abzutragen, und ein herumschnüffelnder Revisor bemerkte es. Die Folge war eine Ord­numgsstrafe" von 75 Pfg., also fast einem ganzen Taglohu, ein Aus= fall, der den unglücklichen Krüppel empfindlicher trifft, als der Ausfall von 75 Mark den besser situirten Mann. Irgend welche Unzuträglich­keiten wären im gegebenen Falle durch das Bleiben des alten Zettels gar nicht entstanden. Das Hübschefte bei der Sache aber ist, daß dem­selben Kassenfonds, in welchen die 75 Pfg. des armen Krüppels, dem das Elend aus Gesicht und Kleidung schaute, flossen, die Weihnachts­geschenke für die Herren Oberbeamten entnommen werden. Für der­artige Zustände kann jeder gerecht und menschlich Fühlende nur ein " Pfui" haben, und wer die Umkehr von solchen Zuständen zu Gerech­tigkeit und Menschlichkeit aufrichtig wünscht, kann nur einem Sozial­demokraten feine Stimme geben.

An diesen Beispielen aus der Staatseisenbahnverwaltung dürfte man schon genug haben. In den übrigen Staatsverwaltungsziveigen ist die Wirthschaft teine beffere; denn der regierende Geist geht von der Zen­tralinstanz aus, und die nachgeordneten Schweifwedler haben blos dem Ober- Dresseur zu gehorchen; dann kann die Auszeichnung bei der Hunde- Prämiirung, die auch zuweilen Ordensfest" genannt wird, nicht

fehlen.

Wie steht es mit der Justiz? In einem Dorfe des Regierungs­bezirks Stassel eristirt ein Bürgermeister, welcher einem seiner Bauern eine Gemeindewiese auf drei Jahre verpachtete. Als der Bauer im zweiten Jahre den Graswuchs abmähte, erstattete der ihm feindlich ge­fiunte Bürgermeister gegen ihn Anzeige wegen Diebstahls. In der Gerichtsverhandlung befchwor der wackere Bürgermeister als Zeuge, die Wiese sei auf ein Jahr verpachtet worden. Der Vorsigende fragt den Bauer, ob denn nicht vielleicht eine schriftliche Abmachung f. 3t. darüber stattgefunden, worauf der Bauer den vom Bürgermeister selbst niedergeschriebenen und unterzeichneten Pachtvertrag aus der Tasche zieht, der deutlich auf drei Jahre lautete und sogar in mehrfacher Weise die Pachtzeit ausgedrückt enthielt. Auf die Vorhaltungen des Vorsitzenden hatte der Bürgermeister noch die dumm= dreiste Antwort, das sei ein Schreibfehler"(!). Der Bauer mußte natürlich freige­sprochen werden; die Sosten frug die Staatstasse oder, rich­tiger gesagt, der Steuerzahler. Was geschah nun gegen den offenbar meineidigen Bürgermeister? Nichts! Der Bauer bean­tragte deffen Strafverfoigung wegen Meineids, der Herr Staatsanwalt fonnte keine Veranlassung hierzu finden", der Herr Oberstaatsanwalt Find sdigo sil mga detal

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London, 4. Juni 1890.

Aus Deutschland wird uns geschrieben:

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Die angenehme Temperatur", welche bisher in dem neuen Reichstag herrschte und die liberalen Spießbürger so begeisterte, daß sie den Himmel bereits voll liberaler, fortschrittlicher nnd demokratischer Baßgeigen sahen, hat glücklicherweise die längste Zeit gedanert, und das Barometer deutet auf Sturm. Und das hat mit seinem nimmersatten Magen der Militarismus gethan. Was für jeden halbwegs denkenden Menschen von vorn herein flar war, was aber das liberale( fortschritt­liche, demokratische) Spießbürgerthum durchaus nicht sehen wollte­nämlich daß die neue Militärvorlage nur das dünne Ende eines ge­waltigen Keils war, der dann später bis über's dicke Ende hinaus in den Stamm der Volksvertretung getrieben werden sollte das ist in der Militär- Kommission mit rückhaltloser Offenheit eingestanden worden. Wir sind von Frankreich auf militärischem Gebiet überholt und, weit entfernt, Rußland und Frankreich gleichzeitig die Spize bieten zu föne nen, wie das früher, als es sich um die Durchsetzung des letzten Sepa tennats handelte, in Aussicht gestellt ward, sind wir nicht einmal Frank­ reich allein gewachsen. Der Dreibund" ist zwar eine sehr schöne Sache und besteht auch noch in vollster Kraft, aber wir können doch nur auf uns selbst rechnen, und wenn wir ganz sicher sein und den Weltfrieden, wie man den gegenwärtigen Zustand zu nennen beliebt dauernd erhalten wollen, so müssen wir unsere Armee. einfach verdoppeln. Die Militärvorlage, die sich angenblicklich vor dem Reichstage befindet, ist nur der Anfang einer Reorganisation, welche uns nicht zehn, nicht hundert, nicht tausend Millto­nen, nein, die Kleinigkeit von mindestens drei Milliarden kosten wird." Das ist in nuce die Ankündigung, durch welche der neueste Kriegsminister das gesammte liberale Spießbürgerthum ver­blüfft hat, entweder mit allen Illusionen und Traditionen des liberalen Spießbürgerthums zu brechen, oder den Kampf auf Leben und Tod mit dem Militarismus und der Regierung aufzunehmen.

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Mit einem Schlag hat sich die Situation geändert; aus den Sammt pfötchen, die den Reichstag so liebtosend gestreichelt hatten, sind die harten spizzen Strallen hervorgeschnellt, und das Gespenst des Konflikts steigt dräuend aus dem Boden. Kein Zweifel der Kriegsminister hat keinen Scherz machen wollen, Es ist ihm bitterer Ernst, und die Milliarden, welche von uns zur Verdoppelung der bereits schier unerträglichen Militärlast gefordert werden, find das Programm der Regierung ein Pro­gramm, zu dessen Verwirklichung um jeden Preis und mit allen Mitteln sie fest entschlossen ist.

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Was ist da zu thun? Biegen oder brechen. Bedingungslose Unterwerfung oder Konflikt. Entweder Oder. Ein Drittes gibt's nicht. Von Konzessionen" will die Regierung nichts wiffen. Die zwei­

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