-

maßregelt worden und bekämen nirgends wieder Arbeit. Die von dem Direktor mitgebrachten Ober- und Untersteiger mußten zugeben, daß sie die Arbeiter auf Veranlassung Berg's hätten fortschicken müssen; erst als der Vorsitzende des Gerichtshofes Wagner heißt die würdige Staatssäule ihnen die Frage stellte, ob die Entlassungen eine Maß­regelung gewefen, ertönte lakonisch das erwartete Nein". Als dann der Angeklagte Horn an Berg die Frage stellte, was diese Entlassungen dannt seien, und warum so tüchtige Bergleute fortgeschickt wurden, er­flärte dieser fühl, das ginge den Angeklagten nichts an, er könne die Arbeiter fortschicken, wenn es ihm gefiele. Und Richter und Staats­anwalt pflichteten dieser Meinung bei. Die Entlastungszeugen wurden öfters unterbrochen, als u. A. der Zeuge Zimmermann, der von Berg selbst entlassen worden war, die Verhältnisse etwas näher erör= tern wollte, wurde ihm einfach das Wort entzogen. Kurz, die ganze Verhandlung war die schändlichste Verhöhnung auf den Bes griff einer unparteiischen Untersuchung. Parteiwuth führte die Anflage, Prozenhochmuth war ihr Zeuge, und Klassenhaß fällte das Urtheil. Man muß dieser Gerichtsszene beigewohnt haben, um an solch brutalen Geivaltakt im Gewande der Justiz glauben zu können. Doch auch die sen Richtern nebst dem Massenmörder wird das Stündchen der Ver­geltung noch schlagen."

Dies die Einsendung. Wir haben ihr nichts hinzuzufügen.

Sozialpolitische Rundschau.

London , 23. Juli 1890.

Aus Deutschland wird uns geschrieben: Der Streit in Hamburg ist das wichtigste Ereigniß des Tages geworden und wird es wohl auch noch einige Zeit bleiben. Schon der Ursprung war un­gewöhnlich. Die Hamburger Arbeiter hatten im Laufe des Frühjahrs auf mehreren Versammlungen beschlossen, den 1. Mai als einen Tag der Arbeitsruhe zu feiern. Sie waren, gleich vielen anderen deutschen Arbeitern, der Meinung gewesen, die betreffende Resolution des Pariser Kongresses habe die Arbeitsruhe für den 1. Mai gefordert. Als sie aber durch das Manifest der Fraktion über den wirklichen Stand der Dinge aufgeklärt wurden, beschlossen sie, die früheren Beschlüsse zurück­zunehmen, und den 1. Mai in anderer Weise würdig zu feiern.o

Das paßte jedoch den Herren Ausbeutern nicht in den Kram. Mit dem scharfen Justinft, welchen der Besiz der Macht verleiht, und welcher dem Unterdrückten und Beherrschten sehr häufig abgeht, sahen sie, daß die Zeitverhältnisse ihnen eben so günstig waren, wie den Arbeitern ungünstig; und daß, wenn überhaupt es noch möglich, die Arbeiter­organisationen zu zerbrechen, der Moment jest der geeignetste set. Sie provozirten nun die Arbeiter in unerhörter Weise, warfen ihnen Feigheit vor, daß sie nur deshalb von dem Gedanken der Arbeits­ruhe zurückgekommen seien, weil sie sich vor den Arbeitsherren fürchteten erst haben die Arbeiter renomirt, jezt zögen sie den Schwanz ein, wie elende Köter u. s. w., u. f. w.

Kurz, die Arbeiter wurden so schmählich beschimpft und so raffinirt gereizt, daß sie sich aus ihrer NReserve heraustreiben ließen und den Stampf aufnahmen.

Der Kampf löfte sich sofort in verschiedene Einzelgefechte auf, von denen indeß bald die meisten abgebrochen wurden, bis zuletzt nur die Elitetruppen der Arbeiter: die beiden Bauge werke der Maurer und Zimmerer allein auf dem Plan waren und den Kampf für alle anderen führten.

Die Arbeiter überzeugten sich nach einigen Wochen, daß in Folge des schlechten Geschäftsgangs, namentlich in dem Baugeschäft, die Chancen für die Arbeiter und Arbeitgeber nicht gleich waren, und sie famen beshalb überein, den Kampf abzubrechen und auf die Forderungen zu berzichten, die von den Bauunternehmern hauptsächlich bekämpft, und als Hauptursache des Konflikts hingestellt worden waren: die Forderung der neunstündigen Arbeitszeit, anstatt der zehn­stündigen, und einer Lohnerhöhung. Allein nun tam es jofort an den Tag, daß die Herren Prinzipale, indem sie zum Streit gedrängt hatten, weitergehende Ziele verfolgten. Sie erklärten, nur solche Arbeiter beschäftigen zu wollen, die den Fach vereinen der Maurer und Zimmerleute nicht angehörten. Jeder der in Arbeit bei ihnen trete, habe einen Nevers zu unterschreiben, wodurch er sich verpflichte, während der Dauer der Arbeit keinem Fachverein anzugehören.

-

Das war zu arg. Das Spiel der Herren lag nun offen auf dem Tisch. Das Sto alitionsrecht soll zerstört werden der denkbar beste Ersatz für das Sozialistengeset". Und die Verschwörung, welche in Hamburg zum Ausbruch fam, ist, wie deutsche Arbeiterblätter mit Recht sagen, unzweifelhaft über ganz Deutschland verbreitet. Unter solchen Umständen blieb den Hamburger Arbeitern nichts anderes übrig: fie mußten den Handschuh aufnehmen.

Der lokale Kampf um die Arbeitszeit ist nun mit einem Schlag zu einem allgemeinen Stampf um das Koalitionsrecht der deutschen Arbeiter geworden; und wird auch von den deutschen Arbeitern als solcher aufgefaßt. Sämmtliche Arbeiterblätter ent= halten warme Aufrufe für die Hamburger Maurer, und die Herren Prinzipale, die bereits den Sieg in den Händen zu haben vermeinten, finden sich plößlich in ihren Hoffnungen betrogen.

In der ganzen deutschen Arbeiterschaft ist man sich vollkommen klar darüber, daß die Sache der Hamburger die der ganzen deutschen Arbeiterschaft ist, und ein jeder klassenbewußte deutsche Arbeiter fühlt die Verpflichtung, mit Anstrengung aller Kräfte den Ham­burgern Hilfe zu leisten.

3

Feuilleton.

Aus dem Tagebuch eines politischen Zuchthäuslers. Die Freistunde.( Fortsetzung.)

Das 73" way meine Kleidernummer; alle Sachen, die ich von der Anstalt zum Gebrauch bekam, waren mit 73 gezeichnet. An jeder Zellen­thür hängt eine solche Tafel; diejenigen Sträflinge, welche bereits Fluchtversuche unternommen haben, haben gelbe Tafeln mit schwarzer Schrift, und auf jeder Etage hängen 6 bis 8 solcher gelben Tafeln.

Antreten!" kommandirte der Aufseher, Sämmtliche Leute stellen sich mitten in dem gewölbten Gange in einer Reihe auf, jeder seinen Nachteimer vor sich. Zunächst hält der Aufseher Musterung, ob auch alles an ihnen in vorgeschriebener Ordnung sei.

In Ermanglung eines Staatsanzeigers oder Verordnungsblattes für die Anstalt werden alle neuen Verordnungen durch den Mund des Aufsehers den Unterthanen kundgeben. So auch an diesem Tage.

Es wird bekannt gegeben, daß jeder Sträfling, der in der Kirche beim Sprechett betroffen und angezeigt wird, 14 Tage Dunkelarreft be tommt; im Wiederholungsfalle gibt es 30 Beitschenhiebe oder 14 Tage Lattenarrest."

Allgemeine Verblüffung allgemeiner Tumult. Alle redeten, aber keiner zu dem Andern, sondern alle auf den Aufseher ein; wenn er anzeigen wollte, so hätte er den ganzen Gang melden müssen.

" Hier gibt es feine Ginwendung, hier wird befohlen und gehorcht; jetzt herrscht Ruhe", rief der Aufseher dazwischen.

Für ein Wort 14 Tage Dunkelarrest 30 Peitschenhiebe für zwei Worte da müssen die Worte hohen Tauschwerth besigen, wenn schon Eines in 14 Tage Arrest umzusetzen ist; da müssen Peitschenhiebe tief im Kurse stehen, wenn dieselben so heillos verschleudert werden.

Jezt kam der Aufseher von der 4. Etage; dieser hind unser Aufseher halfen sich bei der Freistunde gegenseitig aus. Beint Ausmarschiren ging einer voraus und öffnete die zu passirenden Thüren der andere Aufseher bildete den Schluß und schloß alle Thüren wieder zu. Auf der steinernen Wendeltreppe finden die Sträflinge während des Hin abmarschirens manchmal Gelegenheit, ihr Mittheilungsbedürfniß zu be friedigen.

Der größte Groll über die oben gehörte Verordnung richtete sich gegen die drei Anstaltspfaffen. Sie wurden als die Urheber der neuesten Verschärfung der Disziplinarstrafen angesehen. Das Bedürfniß einer

-

Agrarische Experimente und liberale Rezepte. Der Wunsch, dem Mangel an ländlichen Arbeitern, nament­lich im preußischen Often, abzuhelfen und die Furcht vor der Ausdehnung der Sozialdemokratie auf das platte Land, das sind" schreibt die Liberale Korrespondenz" die bei­den Triebfedern, welche zunächst zu dem Erlaß des soeben( in Preußen) publizirten en tengütergefeßes geführt haben, und die, nach einem im Reichstage eingebrachten Antrage zu schließen, demnächst den Erlaß eines deutschen Heimstättengesetzes zur Diskussion stellen werden. Das Problem soll dadurch gelöst werden, daß in dem einen Falle der ländliche Arbeiter, der über die erforderlichen Mittel zum Ankauf von Grundbesiß nicht verfügt, in Besiz gesetzt wird unter der Bedingung, daß er den Kaufpreis in der Form einer zum Theil un ablösbaren Rente an den Eigenthümer entrichtet, in dem anderen Falle dadurch, daß der Bauerngutsbesiger gefeßlich gegen die übermäßige Belastung seines Besizes durch Hypothekenschulden ge= schützt wird. Wie dieses letztere Problem praktisch gelöst werden soll, ist noch eine offene Frage. Die Befürworter der Heimstättengefeß­gebung nach amerikanischem Vorbild haben sich bis jetzt die Aufgabe, die Lösbarkeit des Problems nachzuweisen, sehr leicht gemacht. Bis jezt haben die Freunde der Heimstättengefeßgebung noch nicht einmal einen Bersuch gemacht, die Anwendbarkeit des amerikanischen Gesetzes auf deutsche Verhältnisse nachzuweisen und die von Lucius vorgebrachten Gegengründe zu widerlegen. Der Saß, daß der Ausschluß der Verschuldung auch die Kreditfähigkeit des Besizers ausschließt, ist unwiderlegt geblieben.

Ob und in welchem Umfange das Rentengütergesez dem Ziele der Seßhaftmachung ländlicher Arbeiter zu Gute fommen wird, darüber waren im Abgeordnetenhause sowohl, wie im Herrenhause die Meinungen sehr getheilt. Aber selbst, wenn der Erfolg des Gesetzes die Hoffnungen, welche an dasselbe geknüpft worden sind, vollauf er­füllen sollte, der eigentliche Zweck des Gesezes wird nicht erreicht werden. In dem Herrenhausbericht über die Vorlage ist dieser mit aller Offen­heit bezeichnet worden":

Die Ursache des Mangels an ländlichen Arbeitern, heißt es da, muß zumal für den Osten und die industriereichen Landstriche der 31 Monarchie nicht nur anerkannt, sondern es muß Alles versucht werden, dieselbe unter Mithilfe aller Betheiligten zu beseitigen. Das zu erreichen, ist Zweck der Vorlage.

Dieser Zweck aber wird auf dem eingeschlagenen Wege nicht erreicht werden. Entweder bekommt der Rentengutsinhaber ein so fleines Grund­ftück als Rentengut, daß er die Bearbeitung vollständig seiner Familie überlassen kann, dann wird er das thun und wird nach wie vor nach Auswärts gehen, um dort Erwerb zu finden, oder er erhält ein großes Rentengut, dann wird er vollauf mit der Bearbeitung dieses seines eigenen Landes beschäftigt sein und wird keine Zeit übrig haben, um als Arbeiter bei dem Begeber des Rentenguts zu wirken. Die Sachsen­gängerei, der Zuzug der ländlichen Arbeiter in die großen Städte und die Industriegebiete, welche die Großgrundbesizer als die eigentliche Ursache des Mangels an ländlichen Arbeitern bekämpfen, wird in dem ersten Falle fortdauern; in dem zweiten Falle wird dieses Uebel ver= mindert werden, aber ohne daß der Großgrundbefizer von dem Mangel an ländlichen Arbeitern befreit wird. In beiden Fällen wird man durch die Gesetzgebung die heilsame Arbeit der Ablösungskommissionen in den letzten vierzig Jahren, welche die Aufgabe hatten, die Hinder­nisse zu beseitigen, welche der Entwicklung eines vollkommen freien Eigenthums entgegenstanden, illusorisch gemacht, die durch die Gesetz­gebung von 1850 beseitigten Einrichtungen der Grbpacht unter anderen Namen wiederhergestellt haben, ohne dem Nothstande, über den die Agrarier heute flagen, wirksam abzuhelfen. Auf dem Wege der Gesetzgebung ist eben das Ziel, die ländliche Arbeiter­schaft wieder an die Scholle zu fesseln und sie in den Dienst der Groß­grundbesitzer zu zwingen, überhaupt nicht zu erreichen. Niemand hat das allein wirksame Mittel zur Abhilfe schärfer bezeichnet, als das ge­legentlich der Berathung der Alters- und Invalidenversicherung im Reichstage seitens des Abg. v. Mirbach geschehen ist. Die ländlichen Arbeitgeber können die ländlichen Arbeiter nur in ihrem Dienste fest­halten, wenn sie sich entschließen, ihr Loos durch höhere Löhne und gute Behandlung in dem Maße zu verbessern, daß sie auf die Sachfengängerei und die Kasernenwirthschaft", wie sich der Abg. v. Rauchhaupt im Abgeordnetenhause ausdrückte, aus eigenem, freiem Jutereffe verzichten. So lange die ländlichen Arbeitgeber an diesem Puntte den Hebel nicht aufeßen, werden alle Versuche, der Auswanderung, der Sachfengängerei und dem Abzug der ländlichen Arbeiter nach den Industriezentren zu steuern, vergeblich sein."

So das Organ der Herren Rickert und Genossen. Sowohl in der Kritik der beiden Agrargefeße, wie in dem eignen Gegenrezepte zeigt fich die ganze Halbheit des Liberalismus, von der seine Impotenz nur die nothwendige Folge ist.

Lassen wir für heut die Frage der Heimstätten bei Seite und sehen wir, wie es mit den Mentengütern steht. Hier hat die Lib. Korr." Necht, wenn sie in denselben nur ein Mittel erblickt, die Erb= pacht, diese verkleidete Form der Hörigkeit, wiederherzustellen. Falsch ist es aber, wenn sie dieselben in ihrer Wirksamkeit als gar so unbedeutend hinzustellen sucht. Zwischen ihrem Entweder Oder gibt es noch einen ziemlichen Spielraum, das Nentengut" braucht nicht so groß zu sein, um die Familie ganz zu ernähren, aber auch nicht so flein, um das Sachsengehen" des Besizers zu ermöglichen, und dann behält der Agrarier Recht. Außerdem bringt die an den früheren Inhaber, den Landjunker, zu zahlende Rente den Rentenguts­befizer" wie schön das flingt gegenüber dem ehemaligen Infaffen"

in eine materielle Abhängigkeit, die sich bei etwaigen Rückständen sehr leicht in eine völlige Schuldknechtschaft verwandeln laßt. Das Mittel ist also durchaus nicht so unschuldig, wie es die liberale Storrespondenz" hinstellt. Warum aber stellt sie es, trotz ihrer Gegnerschaft, als un­

so exorbitanten Verschärfung lag der Meinung der Sträflinge nach nicht vor. Es seien in letzter Zeit nicht mehr Anzeigen über das Sprechen in der Kirche eingelaufen, als in früheren Perioden, früher aber habe es in der Regel nur 1 bis 2 Tage oder 3 bis 5 Nächte Arrest gegeben. Offenbar wollte man jezt die gänzliche Aus­rottung des Gedankenaustauschs erzielen.

Erst kürzlich sei auf Veranlassung des Pfaffen der Genuß des Kaffee's eingeschränkt worden. Vorher hätten die Sträflinge immer den zweiten Tag Morgens Kaffee bekommen, da habe es sich denn manchmal ge= troffen, daß auf einen Staffeetag zugleich der Gottesdienst fiel, der bei den Katholiken in früher Morgenstunde abgehalten wird. Die Folge davon sei öfteres Austreten der Sträflinge während des Gottesdienstes gewefen. Diese Störung war den Pfaffen unangenehm, und so schafften sie Abhilfe. Seitdem gab es in der Woche dreimal Kaffee und viermal Mehlsuppe. Man wird einwenden: ist kaum der Nede werth,

aber

im Zuchthaus wird die geringste Verschlechterung von den Sträflingen bitter empfunden.

Unten im Hof Nr. 4 stellten sich die Sträflinge den Friedhof ent­lang, der neben der Anstaltsmauer liegt, wieder in einer Front auf. Dann wurden mit dem Juhalt sämmtlicher Nachteimer einige derselben vollgefüllt und eine Kolonne Züchtlinge mußte die vollen Eimer nach dem Dekonomiehof tragen. Währenddem hatten die Zurückgebliebenen­ihre entleerten Eimer in- und auswendig gründlich zu fegen und zu puzen.

Aber Freistunde, wo bleibst du?

Wohlan, als diese angenehme Arbeit gethan war, fomiten wir in einem eigens dazu bestimmten großen Kreis herumgehen, Giner hinter dem Anderen, mit acht Schritten Abstand. In der Mitte dieses Kreises stand ein Abort mit vier Abtheilungen. Wir Sozialisten nun zogen das Sißen auf dem Abort dem ermüdenden einförmigen Laufen vor. Denn durch die Fugen und Nisse der Bretterwände bei den Abtheilungen fonnten wir leise zusammen reden. Da war es auch, wo ich Dave er= fuchte, mich mit den Grundzügen der anarchistischen Theorie bekannt zu machen, und auch seine Zusage erhielt. Ich verhehlte ihm nicht, daß ich vom Anarchismus so gut wie gar nichts wisse. Außer einem Artikel im Jahrbuch der Sozialwissenschaft", mehreren Broschüren, aber von Gegnern der Anarchisten geschrieben, und der Freiheit" hätte ich nichts darüber gelesen. Aber ich muß gestehen, in Punkto des Anarchismus weiß ich heute soviel, wie damals. Statt sein Versprechen einzulösen, gefiel fich Dave darin, die Führer der deutschen Sozialdemokraten zu verdächtigen und herunter zit reißen. Und wenn mein Freund Binger oder ich dem nicht gleichgültig zuhörten, sondern ihm scharf entgegen­

schuldig, bezw. unwirksam hin? Weil für fie, als bürgerliches Organ, es hauptsächlich darauf ankommt, es in den Augen der Bes sizenden zu diskreditiren, weil sie es zu Gunsten des vollkommen freien Eigenthums" bekämpft, des Eigenthums, das erst dann seinen Beruf erfüllt hat, wenn es in die wirthschaftlich tüchtigste, d. h. die fapitalfräftigste Hand gelangt ist.no

" 1

Gebt

Laßt ab von diesem Beginnen, ruft sie den Landjunkern zu. höhere Löhne und gute Behandlung, dann hört die Sachfengängerel von selbst auf." Das ist ganz gut gesagt und mag auch ganz gut gemeint sein, aber gute Worte thun es einmal in der Welt nicht, und Agrarius ivill keine höheren Löhne bezahlen, weil er sonst nicht bestehen, d. h. nicht standesgemäß" leben kann. An diesem will" oder vielmehr will nicht" scheitert die liberale Heilmethode, mit Ermahnungen furirt man feine fozialen Schäden. Gegen die Bestrebungen der Agrarier, die alte Hörigkeit wiederherzustellen, gibt es nur zwei Mittel: Erstens den organisirten Widerstand der Landproletarier, und zweitens den Weg einer wirklichen Agrarreform im Sinne der Schaffung von freien Landarbeiter Genossenschaften mit Staats­Kredit. Vor Beidem aber schreckt das bürgerliche Gewissen der Liberalen Korrefp." ebenso zurück, wie der heutige Militärstaat, der im Landjunkerthum seine edelste und beste Stüße erblickt. Den Landproletarier wird erst der Sozialismus erlösen.

Dem Oberspitel Krüger, der nun endlich auch faltgestellt ist, widmet die Berliner Boltsztg." folgenden Nachruf:

Alle die Männer, welche fich durch ihre Charaktereigenschaften so vorzüglich zu Gehilfen des Systems Bismarck eigneten, verschwinden allgemach von der Bildfläche unseres öffentlichen Lebens. Die hervor ragenden staatsmännischen Talente der Grafen Herbert Bismarck und Rangau verfümmern im Verborgenen; Schweninger ist nicht mehr eine Zierde der Universität, und jetzt wird auch der Abtritt des durch un zählige Reichsfeindverfolgungen bekannt gewordenen Polizeidiret tors Krüger gemeldet. Er hat, angeblich auf direkte Veranlassung des Ministeriums des Innern, von der Schaubühne verschwinden müssen. Krüger war Hilfsarbeiter im Auswärtigen Amt und galt als die rechte Hand des Fürsten Bismarck. Er hat eine außerordentliche Karriere gemacht. Noch bis zum Jahre 1870 pflegte er in dem damals als Tingel- Tangel glänzenden Walhalla- Theater als Orchestermitglied den Fiedelbogen zu streichen, erregte aber dadurch, daß er mit den fremden Chansonettsängerinnen französisch zu parliren verstand, die Aufmerkſam­feit des Polizeibeamten, der diese Pflegestätte der Kunst und Sitte überwachte. Und da unter den Nichtgentleman, die dem Molkenmarit zu Gebote stehen, die Kenntniß des Französischen garnicht vorhanden oder äußerst rar war, legte jener Beamte dem strebsamen Musiker nahe, seine Talente in dem staatsrettenden Dienste der Geheimpolizei zit ver­werthen. Doch Krüger war zu hohen Dingen berufen. Als der Arnim­prozeß im Gange war, gelang es dem nach Genf entsandten Krüger durch Manipulationen, die nie recht aufgeklärt worden sind, sich in den Besiz des Manuskriptes von Graf Arnim's Broschüre zu setzen, welches zur Verurtheilung dieses Bismarckfeindes ausgenutzt wurde. Damit war Krüger's Glück gemacht. Er war der rechte Mann für das System d.r Reichsfeindverfolgungen. Hand in Hand mit dem Fürsten Bis­marck durchschritt der Polizeidirektor Krüger die letzten Jahrzehnte deutscher Geschichte. Sie passen beide vortrefflich zusammen, und gewiß ist es rührend, zu hören, daß auch der Polizeidirettor a. D. Strüger jetzt zum Besuch in Friedrichsruhe erwartet wird."

Natürlich bezieht der Spigelmeister, gleich den übrigen Säulen des Systems Bismarck ein standesgemäßes Ruhegehalt. Für die Verdienste, die sich dieser Emportömmling um die öffentliche Korruption erworben, wird er fortan jährlich achttausend Mart aus dem Steuer­säckel des Volkes entnehmen. Man kann daher faum von einer Sühne für die begangenen Missethaten reden. Was einen Mann von Charak ter und Ueberzeugung tief fränten würde, läßt Geister vom Schlage eines Krüger verhältnißmäßig falt.

Dieser Mensch hat sich als jeden edleren Gefühls bar erwiesen. Zynisch brutal, wie sein Chef, hat er die unfauberen Obliegenheiten seines Amfes mit einem gewissen Wohlbehagen zur Ausführung gebracht. Er fannte nur ein Bestreben sich nach oben hin als unentbehrlich, als wachsamer Hüter des Staats und der Staatshäupter zu eriveisen. Bismarck's Feigheit fam ihm dabei wunderbar zu statten, und wenn er sich im Stillen vielleicht über die bodenlose Angst des Mannes von Eisen um feine Haut luftig machte, offiziell ging er auf alle Wünsche deſſelben um Schuß seiner foftbaren Person dienstwillig ein er fam ihnen wo= möglich noch zuvor. Auch den alten Wilhelm wußte er stets in heil­samem Schrecken zu erhalten wenn sich nicht gerade ein Komplott" entdecken und vereiteln ließ, so mußte ein revolutionäres" Flugblatt herhalten. Es ist notorisch, daß der alte Wilhelm wirklich glaubte, ihm werde von den Umstürzlern" nach dem Leben getrachtet.

Strüger war der Züchter der Jhring- Mahlow, der Naporra, der Schröder. Er war es, der an Haupt in Geuf schrieb: Wir brauchen mehr, wir brauchen Nachrichten über ein geplantes Attentaf." Strüger war es, der in Deutschland das System einführte, Leute durch Bedrohungen zur Spigelei zu pressen. Wie oft er von Rechtswegen vor den Staatsanwalt gehört hätte, läßt sich nicht berechnen es möchte sonst eine stattliche Zahl herausschauen.

Das Vorstehende war bereits im Sazz, da erhielten wir von zuver fäffiger Seite die intereffante Mittheilung, daß Krüger bereits seinen ,, Urlaub" angetreten hat, und, nachdem er in Friedrichsruh mit dent Chef" Konferenz gehalten, auf dem Weg nach London ist. Was ihn herführt?" Der nächstliegende Gedante", schreibt unser Gewährs­mann, ist natürlich: Die Abwicklung mit seinen Stunden", und deren sind es wahrlich nicht wenige in der Themsestadt. Aber das hätte sich auch, wie gewöhnlich, auf brieflichem Wege abmachen lassen, in solchen Fällen heißt es einfach: Wir brauchen Dich nicht mehr. Der Mohr hat seine Schuldigkeit gethan, der Mohr fann gehen. Wenn Herr Krüger in höchsteigener Person reist, so hat es sich bisher selten

"

traten, redeten wir uns öfter so in die Hize hinein, daß der Aufseher einschreiten und uns erinnern mußte, wo wir uns eigentlich befänden. Zum Glück war unser Aufseher von anderen Gefühlen gegen uns be­feelt, als der Direktor und die meisten der dortigen Beamten; er meldete uns nicht, und so geschah es, daß derartige Szenen sich zu wiederholten Malen abspielten.nom staibigrou isp

" 1

Kann die große gehaltvolle sozialistische Literatur in Deutschland Ihnen denn gar nicht imponiren?" fragte Binger eines Tages Dave auf dem Abort. Und die fünfmalhunderttausend Stimmen der letzten Reichstagswahl, find fie Ihnen kein Beweis von dem unanfhaltsamen Fortschreiten unserer Ideen? Nennen Sie uns ein Land, in welchem der Anarchismus ähnliche Fortschritte aufzuzählen hat?"

Und wo find denn die Erfolge, die ihr aufzuweisen habt, als daß euere Führer im Parlament sizen, troß euerer großen Literatur und großen Stimmenzahl" fragte Dave zurück.

Was hat denn die Freiheit" für Erfolge erzielt, als den, daß zehn arme Teufel im Zuchthaus fizen," wandte ich ein. Wahrlich, die Schreibweise der Freiheit", ihr roher Ton und ihr unerschöpflicher Vorrath von Schimpfwörtern ist nicht geeignet, Einfluß auf Arbeiter­freise zu erlangen; sie stößt viel eher ab." Das

" Die Freiheit" schreibt ganz gut," unterbrach mich Dave.

ist es eben, weshalb ihr in Deutschland noch nichts erzielt habt, troẞ eurer gewaltigen sozialistischen Literatur, weil sie in einem zu gebildetent Tone gehalten ist, den das Volk nicht versteht. Wären euere Bücher, euere Broschüren und Zeitschriften geschrieben wie die Freiheit", dann hättet ihr auch Erfolge aufzuweisen."

Unter Erfolg verstand er Revolution,

Seltiam, Dave, der uns gegenüber stets auf seine Bildung pochte, der sich der Freundschaft des Pfarrer Wocker und des Kaplan Peter rühmte, weil er gebildet und ein Doktor sei", Dave, der sich himmel­hoch erhaben dünfte über die deutschen sozialdemokratischen Arbeiter, ,, bei denen er wohl Schuhleisten, aber feine Bücher mud feine Biblio­thefen angetroffen habe," hier verwirft er die Bildung und empfiehlt die rohe Schreibweise der Freiheit".

Freilich, Dave's Ansichten werden gedeckt von der Taktik der Ant­archisten. Aber deckt die anarchistische Theorie diese Taktik Meines Erachtens nicht.

-

Die Ideale der Anarchisten: Verneinung jeder Autorität, Autonomie der Gruppe, fezen zu ihrer Verwirklichung wenn sie überhaupt zu realisiren sind eine Vervollkommnung der Menschheit voraus, die weit über den Kommunismus hinaus zu suchen ist. Dann ist aber auch bekannt, daß die Anarchisten weniger Werth darauf legen, ihre Ideale

8

1

3

S

b

e