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34. Jahrgang. Nr. 16

Sonntag

Schrei der Sehnsucht.

Wenn Sehnsucht an den Wolfen reißen fönnte, Dann bräche wahrlich manches prafselnd los. Der Mensch lebt nicht vom Brot nur. Elemente Der Menschheit dürften. Solcher Durst ist groß.

Wenn diese Sehnsucht in sich selbst verbrennte Und fände nicht Erlösung! Erde, stoß Den Schrei aus mit ingrimmigem Akzente: Nach neuem Leben lechzt der Menschheit Cos.

O wir sind müd' der alten Tyranneien, Und wir verschmachten nach dem neuen Heil, Das uns vom Fluch des Mammons soll befreien.

Wenn Herzen schon wie trodne Steine schreien, Dann brennt die Sonne nicht mehr lange steil, Und Wolfenrachen werden Ströme speien.

50 Jahre

Karl Hendell

deutsche Reichsverfassung.

Von Friedrich Stampfer  .

Beilage zum Vorwärts" Berliner Volksblatt

Berlin, 22. April 1917

Wenn die Gegner Deutschlands   von einer preußischen Autokratie" reden, so spielen sie damit auf Verhältnisse an, die zur Zeit der Entstehung unserer Verfassung und ein Menschenalter danach annähernd bestanden haben, die aber heute nicht mehr bestehen.

wählen nach Gutdünken die einzelstaatlichen Regierungen, und zusammenstehende aktionsfähige und aktionsluftige Mehrheit aus diesen bildet sich wieder der Bundesrat, dem das eigent- in ihm nicht vorhanden ist. liche Schwergewicht des Einflusses zugedacht ist, während der Reichstag nur als notwendiges Zugeständnis an die Demo­fratie erscheint. Sein Wahlrecht, aus Gründen der aus wärtigen Politik im entscheidenden Augenblick in die Pfanne geworfen", gilt als eine Einrichtung auf Probe, die man wieder abschaffen könnte, wenn sie sich nicht im Sinne der regierenden Schicht bewährte. Die Volksvertretung hat auf Schritt und Tritt um einen bescheidenen Anteil an der staat­lichen Gewalt zu ringen. Den Gipfel des stolzen Machtbaues frönte aber ein Mann, der Bundeskanzler: Bismard.

Seitdem hat sich vieles im Reich geändert. Was für ewige Zeit gegründet schien, ist schwächer und schwankender geworden, was als vorübergehende Erscheinung und als ver­änderlich galt, hat sich fest eingewurzelt. Würde man heute die Verfassungsbestimmungen aufzählen, die früher oder später verschwinden könnten- das allgemeine Wahlrecht zum Reichstag würde man unter ihnen nicht nennen!

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Damit ist nicht gesagt, daß das Fehlen einer altions­fähigen Mehrheit im Reichstag ein Vorteil für das deutsche Bolt wäre. Aus hundert Gründen, die in diesem Blatt schon oft erörtert worden sind, ist gerade das Gegenteil der Fall. Die furchtbare Prüfung dieses Krieges hat das deutsche Volf in einem Zustand der politischen Unfertigkeit getroffen: mitten auf dem Wege von Bismard zur Demokratic. Es ist, wie wenn ein Wanderer von einem heftigen Unwetter überrascht wird, nachdem er ein schüßendes Dach verlassen und bevor er ein anderes erreicht hat.

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Das Vertrauen in die auswärtige Politik eines Staates fann fich entweder auf einen Mann stüßen oder auf eine Partei oder Parteigruppierung. In primitiven Verhält­Geblieben ist die überragende Stellung des Reichs.nissen, denen wir entwachsen sind, erscheint der einzelne Wann fanzlers. Er wird vom Kaiser ernannt, teilt die Ver- auf Grund seiner Stellung und seiner Leistungen als Ver­antwortung mit keinen Kollegen die Staatssekretäre find treter des allgemeinen Volfswillens. In vorgeschrittenen feine Untergebenen und braucht aus dem Widerspruch des wählt sich das Volk die Männer feines Vertrauens selbst, sie Reichstags feine Konsequenzen zu ziehen. Oft hat man diese wachsen organisch aus der Tiefe des Volksbodens, und für Stellung des Reichskanzlers mit Sürassierstiefeln verglichen, ihre rrtümer tragen nicht nur sie selbst das Bolf trägt die Bismarck   für seinen eigenen Gebrauch hatte herstellen mit ihnen die Verantwortung. lassen, die aber nicht auf jedermanns Fuß paßten. Durch sie Diese breite tragende Grundlage fehlt jetzt dem deutschen  befestigte Bismard sein persönliches Regiment. Dem alten Regierungssystem zu einer Zeit, in der sie ihrer dringender Kaiser war er unentbehrlich, und so konnte er seinen schier bedurft hätte, denn je. Sie fehlt ihr zum guten Teil auch des­Der 16. April war der 50. Geburtstag der deutschen   unermeßlichen Einfluß nach allen Seiten, Krone, verbündete halb, weil durch rechtswidriges Festhalten an einer alten Wahlkreiseinteilung der wahre Wille der Wähler Reichsverfassung. An diesem Tage vor 50 Jahren nahm der Regierungen und Reichstag  , zur Geltung bringen. fonstituierende Reichstag mit 230 gegen 53 Stimmen die Die Situation änderte sich von Grund auf, als ein nicht rein zum Ausdruck kommen kann. Troßdem! Wer die kümmerlichen Anfänge mit den Verfassung des Norddeutschen Bundes   an, die auf das spätere iunger Saiser den Thron bestieg, der sein eigener Reich übernommen wurde und in ihren Hauptzügen auch Stanzler" sein wollte. Die ungeheure Wacht, die sich in der gegenwärtigen Zuständen vergleicht, der wird finden, daß Stellung des Kanzlers vereinigte, ging damit zunächst auf Deutschland   auf dem Wege zur Befreiung der politischen ihn über, und jetzt empfand man das Fehlen verfassungs- Volfskräfte immerhin ein gutes Etüd borivärts gekommen rechtlicher Hemmungen als um so schwereren Mangel. Caift. Der Verfassungsausschuß, der acht Tage nach privi und Hohenlohe waren, bei aller Stärke ihres dem 50. Geburtstag der Reichsverfaffung zusammentritt, hat guten Willens, doch nur Figuren, die Licht und Glanz, Macht die geschichtliche Aufgabe, eine notwendige Entwidelung zu und Einfluß von der Krone empfingen; entlassene Kanzler vollenden: die Entwvidelung von der preußischen Autokratie oder Staatssekretäre glichen Puppen des Marionettentheaters, zum deutschen   Volksstaat! fobald die Hand fehlte, die sie an starken Fäden aufrecht­gehalten und bewegt hatte, lagen sie unbeweglich am Boden.

heute noch in Kraft steht.

Unter den 53 Ablehnenden befand sich die Fortschritts. partei   mit ihren Führern Eugen Richter  , Waldeck und Schulze­Delizich. Auch Bebel war selbstverständlich gegen den Entwurf. Der Bund, hatte er in seiner Jungfernrede zu Art. 14 gefagt, sei nur ein Groß Preußen, umgeben von Vasallenstaaten, deren Regierungen nichts weiter als Generalgouverneure der Krone Preußens feien. Er forderte die Aufnahme Süddeutschlands   und wies den Einwand einer drohenden französischen   Einmischung zurüd. Sie würde zur Folge gehabt haben, daß sich ganz Deutschland   wie ein Mann Fürst Bülow   das wichtige Amt bekleidete. Fürst Bülow   war arim gegen Frankreich   erhoben hätte...! Der Bund, schloß Bebel, mache Deutschland   zu einer großen Kaserne, er verdrüdt- doch ein Künstler in der Behandlung des Parla­nichte den letzten Rest von Freiheit und Volksrecht. Die Fortschrittler hieben in dieselbe Kerbe. Walded nannte den Reichstag   ein Scheinparlament", ein 3oll, Telegraphen- und Postparlament"." Er hat ja keine Rechte, und ein Parlament, das feine Rechte hat, muß man auch nicht wollen." Und am 31. Mai beantragten Walded, Virchow und Hoverbed im preußischen Abgeordnetenhaus die Ablehnung des Verfassungswerks, weil eine so mangelhafte, die Volksrechte beschränkende und gefährdende Verfassung für eine weitere Ausbildung im Sinne freiheitlicher Entwickelung feine Aussicht gewährt."

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Das Arbeitsverhältnis

mittelalterlichen Handwerk.

Die Stellung des Reichskanzlers hob sich erst wieder, als obgleich der Urheber vieles Unheils, das uns heute be­Von August 2innig. ments, und dieser Kunst verdankte er eine Position, die sich, Das Arbeitsverhältnis hat im Laufe der Geschichte mannig­wenn auch mit der Bismards bei weitem nicht vergleichbar, fache Wandlungen erfahren. Es war nicht immer so wie in doch nicht mehr so ganz wie die seiner unmittelbaren Border Gegenwart; aber der Kampf um seine Verbesserung gänger auf Gunst und Gnade des Herrschers aufbaute. Der nimmt uns zunächst derart in Anspruch, daß wir den weiter Trieb zu erhöhter Selbständigkeit führte Bülow dazu, mit zurückliegenden Wandlungen nur selten gedenken. Und doch seiner Blockgründung einen ersten Schritt in der Richtung ist ein Rückblick auf die früheren Formen des Arbeitsverhält des parlamentarischen Systems zu machen, und an einem ge- nisses lohnend und reizvoll, er läßt uns den Plak erkennen, schichtlichen Tag im November 1908- stand er vor dem den unser heutiges Streben im Ganzen der geschichtlichen Ent­Kaiser nicht mehr bloß als Träger eines Amts, sondern als wicklung einnimmt, er vermittelt uns auch ein besseres Träger der Volksmeinung. Damals zeigte es sich, daß der Augenmaß für die Bedeutung der Veränderungen, die wir im Kanzler einen Reichstag braucht, auf den er sich stüßen kann, gewerkschaftlichen und politischen Kampfe durchfeßen können. Jener Teil des Liberalismus indessen, der seinen Frieden wenn er nicht nur der Ausführer ihm übertragener Aufträge, Wir wollen dabei von dem Arbeitsverhältnis im Alter­mit Bismard gemacht hatte, wollte den geschichtlichen Augen- fondern ein aufrichtiger und selbstbewußter Ratgeber der tum absehen es war ein reines Sklavenverhältnis und blic nicht vorübergehen lassen, ohne daß etwas zur Einigung Krone sein will. fann für die Bedeutung der heutigen Formen gar nichts Deutschlands   zustande kam. Der Streit darüber wurde Fürst Bülow   wurde das Opfer des Systems, mit dem sagen. Der gewerbliche Lohnarbeiter entwickelte sich in zwischen den Liberalen so heftig, daß sich alte Freunde in den er experimentiert hatte. Als ihn die Konservativen im Stich mancherlei lebergangsformen aus dem hörigen, fron­Wandelhallen des Reichstags nicht mehr grüßten. Und doch ließen, stand er weder im Vertrauen der Krone noch in dem pflichtigen Gesinde der frühmittelalterlichen Wirtschaftshöfe. waren auch die Nationalliberalen mit dem Entwurf des Reichstags so fest, daß er sich hätte halten können. Die Aufhellung dieses Entwicklungsvorgangs ist der Forschung feineswegs einverstanden. Sie forderten Diäten für die Ab­Die folgende Entwicklung unter der fünften Reichs- bisher noch nicht gelungen. Man nimmt an, daß diese Wirt geordneten, parlamentarisches Bewilligungsrecht hinsichtlich fanglerschaft zeigt zunächst eine absteigende Kurve in der schaftshöfe( Fronhöfe) ein wachsendes Bedürfnis nach gewerb des Militäretats und ein berantwortliches Reichs. Richtung zu Caprivi und Hohenlohe. Herr v. Bethmannlicher Arbeit entwickelten, daß bestimmte Senechte vorerst nur ministerium. Da Bismarck   das Ganze an der Diäten- regiert, auf das Vertrauen der Krone geftüßt, ohne feste gelegentlich gewerblich)( als Schmiede, Stellmacher, Zimmerer, frage scheitern zu lassen drohte, fielen sie in diesem Punkte Parlamentsmehrheit. Aber diese neue Veränderung ist auf Maurer, Schuhmacher, Schneider usw.) tätig waren, allmählich um; in den beiden anderen gab es ein Kompromiß. Der feinen neuen Machtvorstoß des persönlichen Regiments" zu aber dauernd solche Arbeiten verrichteten, bis sich aus ihnen fog. ciferne Militäretat", der die Bundespflichten für das rückzuführen, sondern sie erklärt sich aus der Tatsache, daß dann eine besondere soziale Gruppe, die der gewerblichen Heer zahlenmäßig festlegen wollte, sollte nur für eine leber- es dem Reichstag an einem festen, bleibenden Willens Arbeiter, entwickelte. Die Fronhöfe selber wuchsen allmählich gangszeit, bis Ende 1871, in Kraft bleiben. Das verantwort- zentrum fehlt. Die erste sozusagen parlamentarische Mehrheit über ihren ersten Umfang hinaus, manche von ihnen wurden liche Reichsministerium war gegen Bismards Widerstand nicht im Reichstag hatte sich ja auch nicht aus eigenem Antrieb zum Wirtschafts- und Verwaltungszentrum ausgedehnter Be­durchzusetzen, doch wurde durch einen Antrag Bennigsen die gebildet, fie war von Regierungs wegen dekretiert, Kunst- fizungen, zu denen oft mehrere Güter, Vorwerke und Meie Berantwortlichkeit des Reichsfanzlers vor und Verlegenheitsprodukt zugleich. reien gehörten. Sie wurden zu kleinen Residenzen. In dem Reichstag festgelegt. Dieser Beschluß hatte die wichtige An ihre Stelle trat der schwarzblaue Block der Konfer- einem solchen erweiterten Wirtschaftszentrum, das vielleicht Folge, daß Bismard das Amt selbst übernahm, während er vativen und des Zentrums. Mit ihm konnte Herr v. Beth- auch noch eine Marktstätte für fremde Waren wurde, bildeten ursprünglich die Absicht hatte, einen Stern zweiten Ranges mann nicht parlamentarisch regieren, er hätte dann alle fich Bedürfnisse heraus, die nicht mehr durch die Hand der man dachte an Savigny  - zum Kanzler zu ernennen, der Städte, die großstädtische Presse, die bürgerliche Intelligenz Herrschaft befriedigt wurden und die dann einem Teil der dann nicht viel mehr gewesen märe als der Gehilfe des gegen sich gehabt, und die Wahlen von 1912 hätten dann wie gewerblich tätigen Knechte Gelegenheit zu freier Arbeit gegen allmächtigen preußischen Ministerpräsidenten. Durch die Ein- für diesen Block so auch für ihn einen ruhmlosen Ausgang besonderen Lohn gaben. führung einer, wenn auch sehr unvollkommenen, Stanzlerver- bedeutet. Diese Entwicklung muß schon unter den Karlingen be­antwortlichkeit wurde also die Stellung des Kanzlers ge- Diese Wahlen von 1912 brachten den großen Sieg der gonnen haben, denn zwei bis drei Jahrhunderte später hatte hoben und verselbständigt. Der Gedanke, daß das Reich Sozialdemokratie und eine kleine sozialdemokratisch- liberale fie schon zu einem bodenständigen Handwerk geführt, das fich über Preußen, nicht Preußen über dem Reich stehen sollte, be- Mehrheit, den sogenanten Großblock, der jedoch als Macht mehr und mehr von jeder herrschaftlichen Bevormundung gann Tat zu werden. Es war der erste Schritt weg von fattor nie in Erscheinung trat. Er hätte, um als solcher auf- freigemacht hatte und seine sozialen Angelegenheiten entweder der preußischen Autokratic". Die Forderung eines dem treten zu können, die klassenmäßig heterogensten Elemente unter Zuhilfenahme des Stadtregiments oder aber ganz felb­Reichstag wirklich verantwortlichen Reichsministeriums wurde umfassen müssen. Der schwerindustrielle Einschlag in der ständig ordnete. indes von den Nationalliberalen nicht aufgegeben. Bennigfen nationaliberalen Bartei zeigte eine ebenso lebhafte Neigung Verfolgen wir die Entwicklung des Arbeitsverhältnisses wiederholte sie Teider stets ohne Erfolg noch viermal: nach rechts, wie er einen wahren Abscheu gegen links emp- von dieser Zeit an und hier bieten erhaltene Urkunden 1869, 1877, 1889 und 1892. fand. Und der Ausbruch des Krieges ließ den Gegensatz ziemlich sichere Anhaltspunkte, so stoßen wir in den ganzen So war das Mißvergnügen des liberalen Bürgertums zwischen der imperialistischen Großbourgoisie und dem so weiteren Verlauf auf drei Faktoren der Gestaltung, deren an der neuen Verfassung nur allzu begreiflich. Denn die zialistischen Proletariat keineswegs verschwinden. Anteil an der Beherrschung des Arbeitsverhältnisses im Laufe Einigung Deutschlands   war ein Werk, das vom deutschen   So steht es um die deutsche   Verfassung in ihrem ent- der Zeit gewaltig schwankt, die aber doch immer wieder als Bürgertum begonnen, aber erst von den Fürsten   unter der scheidenden Punkte jegt! Wir haben feinen Reichstag, die maßgebenden Sträfte hervortreten, die dem Arbeitsverhältnis Führung der preußischen Dynastie und Bismards, ihres der wie zu Bismards Zeit oder in den Anfängen der Form und Wesen geben. Es sind energischen Ratgebers, vollendet wurde. So erscheint die Ber  - neuen Aera  - durch einen herrischen Willen niedergeduct die öffentliche Gewalt, faffung als ein Vertrag, der zwischen den verschiedenen re- wird, wir haben aber einen Reichstag, der seine Machtmög die Meister oder Arbeitgeber, gierenden Familien geschlossen wird. Ihre Oberhäupter lichkeiten bisher nicht zu entwideln vermochte, weil eine fest Die Arbeiter.

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