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34. Jahrgang. Nr. 28

Sonntag

Das Lied der Straße 1913.

Bon Jakob Audorf.

Das freie Wahlrecht ist das Zeichen, in dem wir fiegen";- nun wohlan! Nicht predigen wir Haß den Reichen, nur gleiches Recht für jedermann. Die Lieb soll uns zusammenketten, wir streden aus die Bruderhand, aus geist'ger Schmach das Baterland, das Bolk vom Elend zu erretten!

Bon uns wird einst die Nachwelt zeugen; schon blickt auf uns die Gegenwart. Frisch auf! beginnen wir den Reigen, ist auch der Boden rauh und hart. Schließt die Phalang in dichten Reihen! je höher uns umrauscht die Flut, je mehr mit der Begeistrung Gluf dem heil'gen Kampfe uns zu weihen! Auf denn Gesinnungskameraden, bekräftigt heut aufs neu den Bund, daß nicht die grünen Hoffnungsfaaten gehn vor dem Erntefest zu Grund. Jst auch der Säemann gefallen, in gufen Boden fiel die Saat: Uns aber bleibt die kühne Tat, heil'ges Vermächtnis sei sie allen!

Einem Sieger aufs Grab.

Bon Friedrich Stampfer .

In Preußen wird es nicht anders, solange es nicht Tote gibt!"

Unvergeßlich bleibt mir die Szene: Es war ein fleines Café in Schöneberg , mir gegenüber saß auf dem rotbraunen Plüschsofa, der so sprach: Theodor Barth !

Nie hatte ich erwartet, aus dem Munde eines fortschritt­lichen Parteiführers- Barth war damals noch Mitglied der Freisinnigen Vereinigung ein solches Bekenntnis zu ver­nehmen, deſſen leidenschaftliche Offenheit mich um fo tiefer erschütterte, als ich den Sprecher damals erst seit wenigen Wochen persönlich kannte.

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Beilage zum Vorwärts" Berliner Volksblatt

Einer, der für das preußische Wahlrecht in den Tod ging, war Ludwig Frank

Nach seinem tragischen Ende ist viel darüber geredet und geschrieben worden, was ihn als Striegsfreiwilligen hinaus­getrieben hat. Blasse Schwärmer, die den Entschluß zu einer starten Tat nicht verstehen können, sprachen von der Kriegs­psychose eines Umlerners. Adeutsche Patrioten meinten ge­rührt, Frank habe die Sünden, die er mit seiner sozialdemo­tratischen Stritit am Vaterland begangen hatte, wieder gut­machen wollen. Kleine Schmocks deuteten diskret", wie sie mun einmal sind, als geheime Triebfeder seines Handelns die Sehnsucht nach dem Leutnantspatent an. Ein Filmdichter erfand schließlich die blonde Generalstochter und ihren adels­Stolzen Papa, dessen Jawort sich der rote Rechtsanwalt draußen als braver Musketier erkämpfen wollte.

Ich, der ich das Glück hatte, diesem wundervollen Menschen in jahrelanger Freundschaft nahezustehen, weiß, daß Frank für das preußische Wahlrecht in den Tod gegangen ist. Ich weiß es aus seinem Munde, und ich weiß, daß sein Entschluß nichts anderes war als eine blizschnelle Einstellung auf den Barthschen Sat: In Preußen wird es nicht anders, solange es nicht Tote gibt."

Berlin , 15. Juli 1917

fers, der die tiefe Gärung in den Massen erkannte. 110 Ab­geordnete im Reichstag, und doch, sozusagen, in ein politisches Getto gesperrt! Die stärkste Partei im Reiche, und doch ohne ernsten Einfluß, verfolgt und drangfaliert von dem kleinsten Polizeikommissar, mit sittlicher Entrüstung und unnahbarem Hochmut vom fleinsten Regierungsassessor über die Achsel an­gesehen das war kein Zustand, der sich auf die Dauer er­tragen ließ!

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Mit jedemmal hatten die Straßendemonftratio­nen in Berlin und anderen Städten an Umfang und Leb­haftigkeit zugenommen. Unser Eugen Ernst , der Hinden­burg des roten Berlin , gewann über die blauen Jagow­Preußen seine lachenden Siege. Aber auch dieses Mittel ver­fing nicht, die Arbeiter betamen es fatt, wehrlos vor flappern­den Pferdehufen und geschwungenen Klingen davonzulaufen. Wie ein Lauffeuer ging die Parole durch die Zahlabende: Ent­weder das nächstemal Widerstand leisten oder überhaupt nicht wieder!

In einer großen Stadt des Westens wollten die Genossen bewaffnet zur Demonstration antreten, und die Ver­trauensmänner hatten die größte Mühe, sie von diesem Vor­haben zurückzuhalten.

Das waren Anfänge und Vorzeichen. Die Atmosphäre war mit Elektrizität geladen. Da kam der Krieg!

Der Gedanke, daß es in Deutschland keine Möglichkeit des Fortschritts gibt, so lange nicht das preußische Dreitlassen­wahlrecht durch das allgemeine, gleiche ersetzt sei, hatte vor Frank, der mit dem jezigen französischen Munitions­Kriegsausbruch Hunderttausende ergriffen. Nirgends aber minister Thomas zusammen die Seele der Berner interparla­brannte er lebendiger als in einem engeren Streis von mentarischen Konferenzen war, sah das Werk seiner auswärti­Politikern, dem Frank als hervorragendes Mitglied an- gen Friedenspolitik zusammenbrechen. Aber in demselben gehörte. Augenblick erkannte er, daß die Katastrophe des Krieges eine Verständigung mit Frankreich und Demo- breite Bresche in die Mauer schlug, an der wir jahrelang zähne­tratie in Preußen, das waren die beiden Leit- fnirschend gestanden hatten. Der Weg zur Demokratie gedanken. wurde frei. Frank sprang vor. Als Kriegsfreiwilliger- und fiel!

Frant suchte nach einer Methode, das schwere Problem zu bewältigen. Er glaubte sie gefunden zu haben in der " Großblockpolitik" seines engeren Heimatlandes Baden, die er darum auf Preußen und auf das Reich zu übertragen wünschte. Als alle Versuche in dieser Richtung sich als ver­geblich erwiesen, wandte sich seine Tattit zu schärferem Ra­Sifalismus. Ihr habt ja keine Ahnung, was Preußen ist, Ihr kennt nicht die Macht dieses Staates," rief uns Bebel warnend entgegen, als wir ihm die Notwendigkeit einer Preußenpolitit auseinandersetzten, die aufs Biegen oder Brechen eingestellt war.

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Frank aber ging seinen Weg weiter und wurde ein Apostel des Wahlrechts- Massenstreiks. Viele werden sich noch des tiefen Eindrucks erinnern, den es auf die ganze po­litische Welt nachte, als der so gemäßigte" Sozialdemokrat in einer Volksversammlung in Wilmersdorf den Massenstreit für das preußische Wahlrecht ausrief. Der sollte das war Frants besondere Idee- nicht auf einmal ausbrechen, um nicht mit einemnal erstickt werden zu können, sondern er sollte wie ein fliegendes Feuer" von einer Stadt zur anderen, von einer Provinz auf die andere überspringen und so das Wort wahr machen: Reine Ruhe in Preußen, solange nicht das gleiche Wahlrecht erobert ist."

Wie war es gekommen? In stundenlangem Gespräch hatten wir die Frage aller Fragen, wie Preußen- Deutschland vom Dreiklassenwahlrecht befreit werden könnte, noch einmal durchwühlt, und immer wieder waren unsere Gedanken an unübersteigbare Mauern angelaufen. Es gab feine Lösung oder doch nur eine. Barth sprach sie in tiefer oft haben wir darüber diskutiert an die Bildung eines Erregung aus.

Nie hat sich eine Prophezeiung furchtbarer erfüllt als diese. In Preußen wird es nicht anders, solange es nicht Tote gibt!" Es hat Tote gegeben, und es wird in Preußen anders. Barth aber hatte nicht an Krieg gedacht.

Die rote Sonne.

Von Aage von Kohl

Autorisierte Uebertragung von Nell Walden . Die Brauen des Generals Noku lagen, dide weiße Schrägstriche, über seinen Augen. Es bildete sich immerzu ein fleiner Stnoten in seiner Sinnlade, wenn er die Zähne zusammenbiß. Ab und zu riß er unbewußt an dem Zügel. Das Pferd faute immerfort den Zaum und scharrte mit dem rechten Fuß in der Erde, daß das Gras herumflog und schwarze Erdstreifen bloßlagen.

" Jezt sind sie am Hügel angelangt!" sagte der General mit scharfer Stimme, die man immer deutlich hörte, auch wenn er leise sprach. Mit seiner Rechten hielt er das Fern glas vor die Augen, das schwarze dreieckige Rohr bedeckte bei­nahe das ganze Geficht. Ein blankes Stück Leder, das am Fernrohr festhing, lag über Mund und Kinn.

" Ja, da sind sie, gleich da unten!" antwortete einer der Offiziere, in unbewußter Höflichkeit gegen den Chef.

Der General starrte nur. Seine Füße in den Steig­bügeln bewegten sich unaufhörlich, seine Schenkel hatten die Haut auf den Seiten des Pferdes in Teppiche verwandelt.

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Franks Gedanken gingen weiter. Er dachte oft und Freiwilligenforps im Wahlrechtskampfe, dessen Auf­gabe es gewesen wäre, die Massen in den Endkampf fortzu­reißen und persönlich vor keiner Konsequenz zurückzuschrecken. Das war durchaus keine vereinzelte Stimmung. Und es war auch nicht bloß Stimmung, es war der Blick des Politi­

Hat er recht getan? Ich will es nicht entscheiden! Ich wollte nur erzählen, warum er es getan hat. Der glückliche Optimismus, der ihm zu eigen war, hat diese Greuel des Krieges gewiß nicht vorausgesehen. Unendlich höher als er es ahnte, sind die Reichenberge getürmt worden, über die der Weg zu dem neuen Preußen- Deutschland ging. Und er mußte unter den ersten sein, dann kamen die andern, die un­zähligen Es hat viel gekostet, bebor es in Preußen anders ward!

Das allgemeine Stimmrecht.

... Mit dieser erfolgreichen Benutzung des allgemeinen Stimmrechts war aber eine ganz neue Kampfweise des Prole­tariats in Wirksamkeit getreten, und diese bildete sich rasch weiter aus. Man fand, daß die Staatseinrichtungen, in denen die Herr­schaft der Bourgeoisie sich organisiert, noch weitere Handhaben bieten, vermittelst deren die Arbeiterklasse diese selben Staatsein­richtungen bekämpfen kann. Man beteiligte sich an den Wahlen für Einzellandtage, Gemeinderäte, Gewerbegerichte, man machte der Bourgeoisie jeden Posten streitig, bei deffen Besetzung ein genügender Teil des Proletariats mitsprach. Und so geschah es, daß Bourgeoisie und Regierung dahin kamen, sich weit mehr zu fürchten vor der gefeßlichen als vor der ungesetzlichen Aktion der Arbeiterpartei, vor den Erfolgen der Wahl als vor denen der Re­bellion.

Was aber auch in anderen Ländern geschehen möge, die deutsche Sozialdemokratic hat eine besondere Stellung und damit wenigstens zunächst auch eine besondere Aufgabe. Die atvei Millio­

flacher und breiter, weil die Mannschaft sich auf die Erde Fernrohr, aber seine Augen waren geschlossen und die Lide niederwarf, und kleine weiße Rauchwolken stiegen auf: zuckten, während das Fernrohr sie verdeckte.

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es waren zwei neue Stompagnien, die die Schanze ,, Leutnant Futo!" sagte er kurz darauf mit schneller nehmen mußten. Sie nehmen mußten, weil sie die heißer Stimme es gab einen Rud in den Offizieren, als Tür zu der ganzen russischen Stellung war. Sie nehmen sie sie hörten. Er starrte immer noch auf die Schanze, feine mußten- tofte es was es wolle weil das Vorwärts- Lippen wurden ganz dünn und die Winkel zogen sich hin­bringen der ganzen Monate darauf gerichtet war, daß dieses unter vor Energie. Tages Kampf zum Siege führe. Sie nehmen mußten, Futo bog sich nach vorn, während er die Sporen in die aber noch nichts erreicht hatten, obgleich der General Mal auf Seiten des Pferdes begrub. Das Pferd tanzte auf allen Mal neue Abteilungen hingeschickt hatte. vier Beinen wie berauscht von dieser Schmerzmusik, die die Luft füllte. Futo zwang das Tier zur linken Seite des Generals.

Die Rampe hatte nur Platz für ein paar hundert An­greifer, immerfort versuchten die Soldaten heranzukommen, vergebens. Dreimal schon hatte General Noku Drder gegeben, daß die Schanze genommen werden sollte. Dreimal hatten ein paar hundert Mann, rasend verzweifelt, zum Aeußersten ge­hezt, versucht, seine Order auszuführen. Dreimal schon waren sie zurückgetrieben.

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Oberit Katama wird noch zwei Kompagnien gegen diese Schanze sezen, Aber schnell!" sagte der General, und seine Stimme war wieder ganz natürlich so wie immer während er jetzt mit zehn Worten, zum viertenmal in zwei Stunden, auf diesem Platz dreihundert Mann in den Tod fandte.

Weil ein vierzehn Meter langer Stachelgürtel, ganz oben" Jawohl, Herr General!" Futo grüßte. Das Pferd auf dem Abhang, jedesmal die Kompagnien zum Halten hob die Vorderbeine, als er die Zügel nahm, es mieherte und ein brachte: dann guckten die Köpfe der Russen über die Brust- veißer Strich Schaum flog aus dem Munde. Leutnant Futo bog mauer der Schanze hervor, und ein Sturm von Stahl ging seinen Körper über zur linken Seite des Pferdes, drehte das verheerend über die Angreifer. Ein paar Minuten und nur Tier herum, gab ihm lose Zügel und mit einem gewaltigen die Hälfte war noch lebend, sie stürzte sich zuletzt Hals über Ruck sauste das Pferd davon, den Abhang hinunter und ver Kopf in wahnwikiger Eile den Abhang herunter. So mußte schwand, man hörte nur eine Sekunde das schnelle, harte die Artillerie einen neuen Angriff vorbereiten. Und von Dunk- Dunk der Füße.

achtzig Kanonen flog das Feuer, wie ein Vulkan, über die Aber im Gesicht des Generals wurden die Züge plöglich fleine Schanze, aber die Russen verschwanden hinter den ganz scharf. Er schien mit einmal tödlich mager. Man hohen deckenden Mauern von Erde, die vor der Brüstung ge- fah die Schatten und die Umrisse der Zähne auf der graben waren. Oberhaut.

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Die Offiziere hielten in einer Gruppe hinter ihm. Es flirrte immerzu von ihren Säbeln und Steigbügeln, wenn die Pferde sich bewegten oder auf dem Baum tauten. Alle, alle starrten sie durch die Fernrohre wie der General ein Anblick wie von einer Gruppe Mastierter alle sahen sie hin zu jener kleinen viereckigen Schanze, das Ziel des Kampfes. Sie lag, in dieser Entfernung, als wäre fie mit einem Finger in losen Sand gezeichnet. Ein bißchen Schon dreimal hatte der General versucht, die Schanze Kapitän Noku, der Sohn des Generals er war gestern vorgeschoben mitten in der bauchigen Linie der russischen zu bekommen und fein einziges Mal kam der Angriff Kapitän geworden und heute zum Stab des Generals ver­Stellung, eine Nase im Gesicht. weiter als bis zu diesem Stachelgürtel. Aber davor lagen sezt bog seinen Nacken zurück und versuchte einen Seufzer Es führte ein weißer gerader Weg- wie eine Rampe- Haufen auf Haufen Tote und Sterbende; und immerzu drang zu unterdrücken, er merkte nicht, daß auch alle Kameraden hinauf zur Vorderseite der Schanze, sezte sich hinten fort und von diesen Massen ein furchtbares flüsterndes Klagen, das es machten, um ihre Unruhe und Angst zu verbergen. Es verschwand in dem Schießgraben. Die beiden Seiten der hing in der Luft wie meilenweite angstvolle Musit. Der Laut war ja nicht nur ein Kampf ihrer Brigade. Nein, die ganze Rampe: steile beinahe senkrechte Abhänge. Als wäre diese füllte das Dhr und bemächtigte sich aller Nerven. Es ging Armee, die weit, weit rechts kämpfte der Laut der Kanonen Schanze ein Tisch, in die Mitte der russischen Stellung wie tausend schnelle Stiche durch das Herz, es stiegen die ging wie ein Erzgesang durch die Luft diese Armee hatte gebaut. Haare, talte Spizen, auf dem Kopf. ihre Brigade ausgesandt, um die fleine befestigte Schanze Ein Stückchen unten, am Fuß der Rampe, schob sich eine Zum drittenmal war der Angriff zurückgeschlagen, der zu nehmen. Alles hing davon ab, das leine befestigte lange Wellenlinie vor. Sie machte Halt, wurde ein bißchen General hob eine Sekunde mit der zitternden Hand das Fleckchen Erde war die Entscheidung des genzen Krieges.

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